Das theoretische und praktische Versagen der Linken in Bezug auf den Antisemitismus

Die selbstvergessene Moral im labyrinthischen Spiegel

Es ist ein höchst eigentümlicher, fast schon kafkaesk anmutender Anblick, der sich dem unbefangenen Beobachter eröffnet, wenn man die Linke, jene glorreich selbstüberzeugte Allianz der moralischen Wachsamkeit, betrachtet, die, in allen Tonlagen und Registerzügen ihres rhetorischen Apparates, von den Universitäten, den NGOs, den virtuellen Kommentarspalten und den Straßendemonstrationen bis hin zu den stillen Salons der Intellektuellen reicht, wo man sich, die Zigarette lässig zwischen den Fingern balancierend, in verzweifeltem Pathos über Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung und die allgemeine Katastrophe der Menschheit äußert, und doch, während dieser moralische Kanon in epischer Breite entfaltet wird, eine paradoxe, fast tragikomische Blindheit zu Tage tritt, die besonders dann augenfällig wird, wenn es um Juden, ihr historisches Schicksal, ihre kulturelle und politische Selbstbehauptung und die altbekannte, doch unaufhörlich weiterwirkende Form des Hasses geht, die wir gemeinhin als Antisemitismus kennen, eine Blindheit, die sich nicht nur in der praktischen Verweigerung von Solidarität zeigt, sondern auch in einem intellektuellen Zuckerkoma der Theoriebildung, in dem die eigene moralische Brillanz zwar strahlt wie ein kristallklarer Diamant, gleichzeitig aber das Offensichtliche, das historische Gewicht, die realen Opfer und die empirische Evidenz verschluckt wie ein schwarzes Loch, das nur die eigene Selbstgerechtigkeit reflektiert, ohne dass ein Lichtstrahl der Realität es zu durchdringen vermag.

Historisches Versagen: Der lange Schatten der Inkohärenz

Wenn man nun, mit scharfem Blick, den langen Bogen der Geschichte spannt, von den frühen Schriften Marx’, in denen der ökonomische Determinismus und die brillante Analyse kapitalistischer Strukturen aufscheinen, während in den unscheinbaren Ecken seiner Briefe, zwischen den Formeln des historischen Materialismus und den theorethischen Ausführungen über Klassenkampf, die altbekannten, kulturell aufgeladenen Stereotype gegenüber Juden auftauchen, als seien sie unweigerlich im Subtext der Kritik am Kapitalismus verankert, so erkennt man ein Muster, das sich durchzieht wie ein roter Faden durch den Teppich linker Moral: eine geniale Fähigkeit zur theoretischen Schärfe auf der einen Seite, eine selektive Blindheit auf der anderen, die nicht einfach menschliche Schwäche ist, sondern fast schon systemisch, strukturell, ideologisch verankert, sodass sie sich erneut und erneut reproduziert, in der Weimarer Republik, in den Debatten über Zionismus, in den späteren, grausamen Ritualen des Stalinismus, wo außen die Flagge der Emanzipation wehte, innen aber antisemitische Verfolgungen, Schauprozesse, gesellschaftliche Diskriminierung, erkennbar und doch ignoriert, die Opfer oft genau jene, die man theoretisch am meisten zu schützen beanspruchte, und dieses Muster wiederholt sich, leicht variiert, durch die Jahrzehnte, bis in die Gegenwart, wobei die Blindheit stets von einer subtilen Mischung aus moralischem Selbstbewusstsein, ideologischem Pathos und akademischem Habitus überdeckt wird, sodass das Versagen nicht einmal als solches empfunden wird, sondern als bloße theoretische Auseinandersetzung mit dem Problem, als ein Spiel mit Ideen, die im praktischen Leben keinerlei Konsequenzen zeigen, und doch feinsinnig intellektuell wirken, wenn man sie laut vorträgt, mit der gebotenen Attitüde der Empörung, der intellektuellen Erhabenheit, der unerschütterlichen moralischen Sicherheit.

Antisemitismus heute: Die Perversion der selektiven Sensibilität

Heute, im Zeitalter der Postmoderne, der digitalen Öffentlichkeit, der globalisierten moralischen Empörung, hat sich dieses Versagen in einen subtileren, aber nicht minder schädlichen Modus transformiert: Die Linke, deren moralischer Kompass sonst jedes Ungleichgewicht sofort erkennt, die jede Form von Unterdrückung, Diskriminierung oder Ungerechtigkeit im gesellschaftlichen Kosmos aufspürt, findet sich paradoxerweise unfähig, den Antisemitismus dort zu erkennen, wo er nicht auffällig, sondern intellektuell, akademisch, verkleidet als politische Analyse auftritt, wenn also Kritik an Israel, Israel als Symbol des Kolonialismus, der imperialen Macht oder der kapitalistischen Ausbeutung thematisiert wird, in einer Art pseudo-theoretischem Diskurs, der so raffiniert daherkommt, dass er die moralischen Instanzen blendet, die Empörung kanalisiert, ohne die Realität des Antisemitismus zu tangieren, sodass man theoretisch Menschenrechte verteidigt, praktisch aber jüdisches Leben delegitimiert, ohne dass dies als Widerspruch empfunden wird, und genau hierin liegt die Ironie, die Tragik, der Humor, der bitterste aller Bitterstoffe: Die Linke, in ihrem Pathos unerreichbar, erkennt nicht, dass der Hass, den sie zu bekämpfen vorgibt, in ihr eigenes Geflecht von Moral und Theorie eingeschrieben ist, und dass jede Kritik an Israel, die in stereotypische Schuldzuweisungen, Verschwörungsphantasien oder Gleichsetzungen der Existenz Israels mit kolonialer Unterdrückung abrutscht, die blinde Stelle nur vergrößert, die Inkohärenz zementiert, den Antisemitismus intellektuell verschleiert, während er in der Praxis ungehindert fortexistiert.

Theorie versus Praxis: Der unendliche Graben

Wenn man nun, im letzten Akt dieser endlosen Reflexion, die Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen moralischer Selbstgewissheit und realer Blindheit analysiert, erkennt man eine Schlucht, die nicht nur tief, sondern endlos scheint, eine Schlucht, die man durch die Jahrhunderte hindurch, von Marx bis zur Gegenwart, vom Stalinismus bis zu den Postkolonial-Workshops, von den Straßenprotesten bis zu den akademischen Kongressen immer wieder überqueren möchte, doch jedes Mal, wenn man einen Fuß setzt, der eine Annäherung suggeriert, weicht der Boden zurück, verschwindet unter der theoretischen Eleganz, der rhetorischen Brillanz, der moralischen Pose, sodass man unweigerlich erkennt, dass Theorie und Praxis, Moral und Realität, in einem ewigen Tanz gefangen sind, der nur scheinbar harmonisch wirkt, tatsächlich aber eine groteske Farce darstellt, in der die Linke, die moralisch leuchtet wie ein Leuchtturm, in Wahrheit in einem Nebel wandelt, der ihre eigenen blinden Flecken, ihre selektive Wahrnehmung, ihre subtile Komplizenschaft mit der Realität des Hasses kaschiert.

Satire als letzte Rettung

Vielleicht liegt die Rettung nicht in neuen Theorien, nicht in moralischen Appellen, nicht in programmatischen Korrekturen, sondern in einer Satire, die unbarmherzig die eigenen Widersprüche entlarvt, die Ironie sichtbar macht, die Komik der moralischen Hypermoral offenlegt, die Augen öffnet für das, was man zu lange ignoriert hat: Wer Gerechtigkeit ernst meint, muss sie universell anwenden, ohne Ausnahme, ohne Ausflucht, ohne die bequeme Illusion, dass Antisemitismus eine Randnotiz im Kosmos linker Moral sei, eine Fußnote, die man theoretisch diskutieren, praktisch aber unbeachtet lassen kann, und bis dieser Moment der Selbsterkenntnis, der Epiphanie, in der Theorie und Praxis endlich aufeinander treffen, kommt, bleibt nur, mit bitterem Augenzwinkern, die ewig wiederkehrende Mischung aus Pathos, Blindheit und intellektueller Selbstüberschätzung zu beobachten – und die Ironie zu genießen, dass gerade die, die die Welt moralisch retten wollen, die älteste und am längsten existierende Form des Hasses am meisten ignorieren.

Die Queer-Klub-Metrik

Ein absurdes Barometer der Freiheit

Es gibt eine eigenartige, beinahe schon rituelle Manie unter politischen Kommentatoren, Soziologen von der leichten Sorte und Twitter-Philosophen, die darin besteht, die Qualität liberaler Demokratien nach grotesk simplifizierten, fast schon kindlich zu nennenden Indikatoren zu bemessen. So liest man in der einschlägigen Rhetorik gelegentlich, die wahre Stärke einer Gesellschaft liege nicht in ihren Institutionen, nicht in der Unabhängigkeit der Justiz, nicht in der faktischen Teilhabe aller Bürger:innen am politischen Prozess, sondern vielmehr in der Anzahl der Queer-Klubs pro Quadratkilometer. Man muss hier innehalten, um die surreale Absurdität dieses Gedankengangs voll zu erfassen: Die liberale Demokratie als Nachtleben. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als tanzende Körper in Neonlicht getaucht, deren pulsierender Herzschlag über die Existenz von Bürgerrechten entscheidet. Die Logik dahinter ist so schlicht, dass sie fast wieder brillant wirkt: Wer viel Clubkultur hat, muss schließlich tolerant sein. Wer tolerant ist, muss eine funktionierende Demokratie haben. Wer eine funktionierende Demokratie hat, kann getrost die Anzahl der Queer-Klubs zählen, um die politische Stabilität zu prognostizieren. Dass in dieser Kette der Erkenntnis das Wort „Komplexität“ wie ein missliebiger Fremdkörper wirkt, stört offenbar niemanden.

Die Fetischisierung des Sichtbaren

In Wahrheit offenbart diese skurrile Fixierung auf das Sichtbare – neonbeleuchtete Schilder, glitzernde Garderoben und die obligaten Regenbogenflaggen – vor allem eines: eine tiefe intellektuelle Bequemlichkeit. Der politische Beobachter muss nicht verstehen, wie Gesetzgebung funktioniert, wie Korruption gemildert oder Machtstrukturen ausgehebelt werden; er muss nur den Spaziergang durch die Innenstadt wagen und ein paar Instagram-taugliche Bilder der „wahren Freiheit“ machen. Es ist die Fetischisierung des Sichtbaren, die in dieser Betrachtung triumphiert: Freiheit als Konsumgut, Demokratie als Lifestyle-Accessoire. Je mehr Queer-Klubs, desto „liberaler“ die Stadt. Je weniger, desto totalitärer die Tendenz – ein lineares, hypnotisches Denken, das keinerlei Toleranz für das Unsichtbare, für die schwer messbaren Dimensionen von Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit oder Bildung hat. Man könnte fast von einer perversen Form der statistischen Voyeurismus-Kultur sprechen, in der man die pulsierenden Herzen von Menschen als Messinstrument der politischen Reife missbraucht. Und natürlich wird der humorvolle Beobachter in diesem Zusammenhang nicht müde, über die offensichtliche Ironie zu lachen: Dass gerade diejenigen, die sich selbst als besonders aufgeklärt und kritisch geriert haben, in der Praxis zur trivialen metrischen Verzerrung greifen, die jede ernsthafte politische Analyse verspottet.

Liberalismus im Spiegel der Tanzfläche

Doch es wäre unfair, diese Haltung bloß als lächerlich zu entlarven, ohne ihre poetische Qualität anzuerkennen. Denn die Vorstellung, dass Freiheit messbar sei an der Fähigkeit einer Gesellschaft, Queer-Klubs zu beherbergen, hat eine gewisse, zynische Schönheit. Sie reduziert die komplizierte, manchmal unerträglich sperrige Demokratie auf das, was sie zugleich am lebendigsten zeigt: ihre Tanzflächen. Hier zeigt sich die Metaphorik: Liberalismus als Raum der Körper, als erlaubtes Chaos, als feierliche Unordnung, die sowohl sichtbar als auch flüchtig ist. Die Queer-Klubs werden so zu einem Symbol, zu einer Allegorie für alles, was an liberalen Demokratien schillernd, laut und lebenslustig ist – und gleichzeitig zu einem Alarmsignal: Denn wo man beginnt, diese Symbole zu zählen, hat man bereits aufgehört, die Mechanismen zu verstehen, die Freiheit überhaupt ermöglichen. Der Zynismus liegt auf der Hand: Man feiert die Freiheit, während man sie quantifiziert; man applaudiert der Pluralität, während man sie in Quadratkilometern misst. Das Augenzwinkern ist unvermeidlich, denn der satirische Reflex entsteht genau aus dieser Diskrepanz.

Schlussgedanken zwischen Tanz und Statistik

Am Ende ist die Queer-Klub-Metrik mehr als nur ein groteskes Maß für politische Reife. Sie ist ein Spiegelbild unserer Neigung, das Komplexe in verdauliche, Instagram-kompatible Häppchen zu zerlegen. Sie erinnert uns daran, dass wir oft lieber die Oberfläche polieren, als uns in die Untiefen demokratischer Realität zu wagen. Und sie lädt, trotz all des Zynismus, zu einer kleinen, heimlichen Freude ein: Es gibt Orte, an denen die Freiheit sichtbar ist, pulsierend, leuchtend, unordentlich – und wenn wir sie zählen, tun wir das nicht nur, um zu messen, sondern um uns selbst daran zu erinnern, dass Demokratie manchmal einfach nur tanzt.

Molenbeek und die Kunst des Verschwindens

Es gibt Momente in der Politik, in denen die pure, ungeschminkte Wahrheit so unvermittelt auf den Tisch knallt, dass man reflexartig nach einem Glas Wasser oder einem Beruhigungsmittel sucht – oder beides gleichzeitig. Die Äußerung von Saliha Raiss, sozialdemokratische Gemeinderätin in der Brüsseler Enklave Molenbeek, gehört in genau diese Kategorie. Ein Satz, so kurz wie ein Sprung, so scharf wie ein Rasiermesser, und doch in seiner unmittelbaren Wirkung ungefähr so subtil wie eine Atombombe in einem Porzellanladen: „Wörtlich sagte sie: „Wenn wir so viel stören, wenn man uns nicht mehr sehen will, möchte ich sagen: Die Region umfasst 19 Gemeinden; wenn es in Molenbeek anscheinend so unerträglich ist, ziehen Sie doch anderswohin, verschwinden Sie.“

Hier wird nicht nur ein Argument formuliert, hier wird ein epochales Lehrstück in der Kunst des Ausblendens von Dummheit gegeben. Raiss, die als Kind von Einwanderern in Molenbeek aufwuchs und deren Kopftuch im öffentlichen Raum zur selbstverständlichen Selbstverständlichkeit geworden ist, richtet sich gegen die puritanische Ekstase jener, die glauben, Neutralität ließe sich durch das Verbot eines Stoffstreifens erzwingen. Es ist ein kleiner Stoff, der so viel Aufruhr stiftet wie eine Sandkornlawine im Sandkasten der europäischen Moral. Und die Pointe, die hier übersehen wird: Man kann nicht überall sein, man kann nicht alles sehen, aber man kann sehr wohl verschwinden.

Die Kunst des „Anderswohin“ und die Trivialität der Empörung

Die Empörung, die auf Raiss’ Worte folgte, wirkt fast schon mechanisch, als hätte jemand den Automatismus der Entrüstung programmiert: Kopftuch – Verbot – Skandal – Shitstorm – empörte Politikerposen. Man könnte meinen, die ganze westliche Zivilisation sei nur noch ein Theaterstück, in dem jede Geste, jede Haarsträhne, jeder Stofffetzen als Subtext von Verrat oder Unterwerfung gelesen werden müsse. Und in diesem Theaterstück, ach, spielt Molenbeek die Rolle des Bösewichts, des unzivilisierten Außenseiters, der sich nicht dem Diktat der Sichtbarkeit unterwirft.

Doch genau hier liegt die Brillanz von Raiss’ Intervention: Sie entzieht dem Streit die Schärfe. Wer sich belästigt fühlt, der darf sich wegbewegen. Wer glaubt, Neutralität sei gleichbedeutend mit Zensur, der hat die Wahl – aber Molenbeek ist nicht verhandelbar. Es ist ein Vorschlag, der mehr ist als eine politische Position: es ist eine Lebensphilosophie, eine Einladung, die eigene Bedeutung zu überdenken, während man seine Koffer packt. „Verschwinden Sie“ – selten hat eine Aufforderung so lakonisch und gleichzeitig so existenziell das Verhältnis von Freiheit und Zwang auf den Punkt gebracht.

Humor als Waffe und Zynismus als Schild

Natürlich könnte man sich über den Tonfall echauffieren. Wie kann man nur so derb, so unverblümt, so unpolitisch korrekt sprechen? Doch der Humor in Raiss’ Formulierung ist keine bloße Verzierung, keine frivole Pointe, die man lächelnd abnickt. Er ist eine Waffe und ein Schild zugleich. In einer Zeit, in der politische Debatten oft von zermürbender Heuchelei und vorgetäuschter Sachlichkeit geprägt sind, ist das Augenzwinkern fast schon revolutionär. Es zeigt: Man kann sich der intellektuellen Auseinandersetzung stellen, ohne in der Falle der moralischen Unterwürfigkeit zu landen. Zynismus hier ist nicht Resignation, sondern scharfsinnige Abwehr gegen die allzu menschliche Neigung, andere für die eigene Unzulänglichkeit zu bestrafen.

Molenbeek als Spiegel: Wer bleibt, wer geht

Und schließlich reflektiert dieser kurze, giftige Satz eine größere Wahrheit: Die Gesellschaft hat die Wahl. Sie kann sich verbeugen vor der Illusion von Uniformität, vor der Diktatur des Sehens und Verstehens, vor der Angst vor Anderssein – oder sie kann akzeptieren, dass Vielfalt mehr ist als ein Feigenblatt der Toleranz, dass Unterschiede existieren, ohne dass jeder gleichmachen muss. Raiss’ „verschwindet doch“ ist keine Provokation, sondern eine Einladung, sich selbst zu überprüfen: Wer bleibt, wer geht, wer kann wirklich die Welt verstehen, und wer lebt nur in der Projektion seiner eigenen Unzulänglichkeit?

Am Ende bleibt die Erkenntnis, bitter wie ein Espresso und süß wie belgische Schokolade zugleich: Molenbeek ist nicht das Problem. Molenbeek ist der Spiegel. Und wer sich im Spiegel nicht ertragen kann, dem bleibt nur das Anderswohin. Ob das tragisch, lächerlich oder befreiend ist, entscheidet jeder selbst. Raiss hat die Karten auf den Tisch gelegt, die Figur gesetzt, den Vorhang gelüftet – und nebenbei die Absurdität einer Debatte offengelegt, die vielleicht nie politisch, aber immer komisch war.

Ein Prophet im Maßanzug

David Lammy und die Kunst der britischen Außenpolitik

Man kennt sie ja, die großen Gestalten der Prophetie: Jesaja, Nostradamus, Baba Wanga, und nun – fast schon folgerichtig – der britische Labour-Außenminister David Lammy. Wer den Staub der Westminster-Bänke inhaliert, der kann offenbar Dinge sehen, die dem schnöden Volk verborgen bleiben. Während wir anderen uns mühsam mit nackten Fakten, mühsam überprüften Zahlen oder gar mit lästiger Realität abplagen, schließt Lammy kurz die Augen, legt die Handfläche an die Schläfe – und sieht schon glasklar in den Juni 2026 hinein, wo er 130.000 tote Kinder in Gaza zählen kann. Kinder, wohlgemerkt, bis auf die letzte Dezimalstelle, aber ohne Namen, ohne Beweise, ohne irgendetwas, was entfernt an überprüfbare Information erinnert.

Von Geiseln, die nicht verhungern dürfen

Israel kämpft seit fast zwei Jahren in einem Krieg, den es sich nicht ausgesucht hat, und dessen Grund in einer geradezu kafkaesken Realität liegt: Geiseln werden von der Hamas festgehalten, doch niemand weiß, ob sie noch leben, und niemand, ob sie je wieder herausgelassen werden. Das Internationale Rote Kreuz, ansonsten allgegenwärtig in seinen weißen Geländewagen, wurde bislang nicht vorgelassen. Aber das stört Lammy nicht: Er schweigt darüber mit einer so demonstrativen Würde, als sei Verschweigen die höchste Form moralischer Integrität. Kein Wort von den Geiseln, kein Wort davon, dass auch diese Menschen essen müssten, trinken müssten, ein Recht auf Leben hätten. Man möchte fast meinen, die Briten hätten ihr Empire nicht verloren, sondern nur in die höhere Sphäre der Heuchelei verschoben.

Der Hellseher von Whitehall

Wie kommt ein Mann dazu, die Zukunft von Gaza mit solch unerschütterlicher mathematischer Präzision vorherzusagen? Während britische Krankenhäuser kollabieren, Züge ausfallen, und selbst die Queen – Gott habe sie selig – nicht mehr aus eigener Kraft aus Westminster Abbey schreiten kann, tritt Lammy auf und erklärt, wie viele Kinder in fernen Ländern in anderthalb Jahren sterben werden. Das ist keine Außenpolitik, das ist Wahrsagerei. Kein Wunder, dass er nicht über die Vergangenheit reden will – die kennt er schlicht nicht. Aber was soll’s, Nostradamus hat auch nie Belege geliefert, und dennoch kaufen noch heute Esoterik-Buchhandlungen seine Prophezeiungen.

Politik als billige Jongliernummer

Was also bleibt von Lammys Auftritt? Zum einen eine lächerlich verquaste Aussage, die man sich in ihrer Absurdität mehrmals auf der Zunge zergehen lassen muss: Einerseits erkennt Großbritannien Palästina nicht an, solange die Hamas Geiseln festhält. Andererseits prophezeit Lammy das Massensterben palästinensischer Kinder, als sei es ein Naturgesetz. Diese widersprüchliche Logik ist nicht einmal mehr ein Zirkus, es ist ein drittklassiger Jahrmarkt mit billigen Jongleuren und einem Wahrsager im Wohnwagen, der seine Glaskugel bei eBay bestellt hat.

Britische Außenpolitik: Ein Möbiusband der Widersprüche

Man hätte ja hoffen können, dass die Labour-Partei nach Jahren konservativer Selbstzerstörung endlich den Anspruch hätte, Ordnung in die britische Außenpolitik zu bringen. Stattdessen bekommt man von Lammy ein rhetorisches Möbiusband, das bei jeder Wendung in sich selbst zurückfällt: Palästina ja, Palästina nein, Geiseln vielleicht, Israel aber böse, Zahlen unklar, Prognosen apokalyptisch. Am Ende bleibt ein einziges Knäuel aus moralischer Selbstüberhöhung, faktischer Leere und einer beängstigenden Lust am Untergang.

Epilog: Wenn Clowns Politik machen

Es ist ja nicht so, dass Israel keine Fehler mache, nicht so, dass man Kritik nicht üben dürfte. Aber was Lammy abgeliefert hat, war keine Kritik, sondern eine groteske Mischung aus Selbstgerechtigkeit und Scheinmoral. Wenn er schon 130.000 Kinder bis Juni 2026 verhungern sieht, dann wäre es doch ehrlicher, gleich eine Runde Lottozahlen mitzuschicken oder die kommende Fußballweltmeisterschaft durchzutippen. Dann könnte man wenigstens lachen. So aber bleibt einem das Lachen im Hals stecken, weil man weiß: Hier spricht ein Mann, der glaubt, ernst genommen zu werden.

Die ewige Rückwärts-Orgel des Gedächtnisses

Sie können ihre eigene Geschichte simulieren, aber sie können unsere nicht umschreiben!

Geschichte ist bekanntlich kein strenger Buchhalter mit sauber geführten Spalten und doppelt geprüften Quittungen, sondern eher ein leicht beschwipster Archivar, der gelegentlich vergisst, in welchem Aktenschrank er die Wahrheit abgelegt hat. Wenn er sich dann Jahre später in den Keller verirrt, zieht er einen Ordner hervor, pustet den Staub ab und sagt mit der Überzeugung des selbsternannten Experten: „So war’s!“ – während die halbe Menschheit, die oben im Büro sitzt, mit verschränkten Armen seufzt: „Ach, bitte nicht schon wieder diese Version.“

Es gibt nämlich jene historische Ironie, die so grotesk ist, dass sie schon fast zur Farce wird. Und dann gibt es den Versuch, diese Farce nachträglich in einen moralisch astreinen Heldendrama-Direktorenschnitt umzuschneiden – nur dass das Publikum, das zufällig die Uraufführung gesehen hat, nicht vergisst, wie der Vorhang damals wirklich fiel.

1936: Beethoven mit Davidstern

Beginnen wir mit einer Szene, die heute so viele politische Lager in Schnappatmung versetzen würde, dass man schon prophylaktisch Sauerstoffzelte aufstellen müsste: Das „Palästinensische Symphonieorchester“ anno 1936. Wer saß dort mit Geige, Horn und Oboe? Palästinenser, jawohl – nur eben jene, die ihre Namen vorzugsweise mit Rosenfeld, Bernstein oder Weizmann unterschrieben. Ein Ensemble von Juden, die nach britischem Mandatspassport „Palästinenser“ hießen. Die Realität ist manchmal so boshaft pointiert, dass kein Satiriker sie besser erfinden könnte.

Heute würde man vermutlich sofort einen „Kontextfilter“ drüberlegen: „Das war doch nur eine historische Zufälligkeit! Das hat nichts mit dem heutigen Diskurs zu tun!“ – Ach ja? Dieselben, die sonst auf jedes Gramm historischen Erbes pochen wie ein Antiquar auf die Provenienz jedes Bilderrahmens, geraten plötzlich ins Stammeln, wenn sich die Vergangenheit nicht zur aktuellen Empörungskampagne falten lässt.

1939: Elf Juden im Trikot „Palestine“

Drei Jahre später: Die Fußballnationalmannschaft Palästinas – auch hier wieder ein Kuriosum, das in keiner Netflix-Doku Platz finden würde, weil es einfach zu sehr nach Monty Python klingt. Alle Spieler waren Juden. Elf Mann, die sich ein Palästina-Trikot überstreiften und den Ball kicken durften, während der Rest der Welt kurz davor stand, in die größte Apokalypse der Menschheitsgeschichte zu stürzen.

Und jetzt stellen Sie sich vor, man blättert 2025 durch eine radikal-propalästinensische Twitter-Timeline und schreibt drunter: „Fun Fact: Das erste Team Palästinas bestand ausschließlich aus Juden.“ – Der digitale Mob würde kollektiv hyperventilieren, der Algorithmus würde Schnappatmung simulieren, und irgendwo in einem deutschen Seminarraum würde ein Professor mit Kreidehänden ins Schwitzen geraten, weil der Satz in kein heutiges Seminar-Skriptum passt.

1947: „Free Palestine“ – ein zionistisches Bonmot

Dann die nächste historische Pointe: Der Slogan „Free Palestine“. Heute getragen auf T-Shirts, keck gerufen auf Demos, wo Menschen so tun, als hätten sie den Satz gestern Nacht im WhatsApp-Gruppenchat erfunden. Tatsächlich stammt er aus der Werkzeugkiste der Zionist Organization of America, 1947, gegen die Briten gerichtet. Ja, Sie haben richtig gelesen: ein zionistischer Schlachtruf.

Wer das heute in eine Talkshow einwirft, erlebt ein Schauspiel sondergleichen: Die einen reagieren mit dem betretenen Schweigen, das sonst nur deutsche Familien beim Thema „Opa 1944“ draufhaben. Die anderen lächeln süß-sauer und murmeln: „Das war aber ein anderes Free Palestine!“ – als ließe sich Geschichte mit der Semantik von veganem Käse retten.

Der Traum von der nachträglich umgeschriebenen Realität

All dies zeigt ein Muster, das in der politischen Folklore unserer Tage zum Dauerbrenner geworden ist: Man wünscht sich eine Vergangenheit, die man wie ein PowerPoint-Template beliebig umgestalten kann. Heute klickt man ein Bild weg, morgen kopiert man ein anderes hinein, und voilà: Schon erscheint Geschichte als moralisch makelloser Netflix-Dreiteiler, produziert von den Guten, für die Guten, gegen die Bösen.

Das Problem: Geschichte ist kein Dokument im Google-Drive-Ordner der Gegenwart, den man nach Belieben editieren darf. Sie ist da, hartnäckig, widersprüchlich, unbequem – und je mehr man sie leugnet, desto mehr lacht sie einen aus den Fußnoten an.

Simulieren dürft ihr, aber nicht umschreiben!

Man darf seine eigene Geschichte simulieren. Theaterstücke schreiben, Mythen erfinden, Lieder singen, die von einer Heimat träumen, die man vielleicht nie so gesehen hat. Das ist legitim, das ist menschlich, das ist kulturell sogar wertvoll. Aber man darf nicht die Geschichte der anderen umschreiben, um die eigene sauberer aussehen zu lassen.

Denn wenn die Geige des „Palestine Orchestra“ 1936 schon von Juden gestrichen wurde, wenn der Elfmeter von 1939 von Juden verwandelt wurde, und wenn selbst der Slogan von 1947 zuerst zionistische Tinte trug – dann ist das nicht nur eine Fußnote, sondern eine Fußfessel für all jene, die heute so tun, als hätte die Vergangenheit nie einen Sinn für Ironie gehabt.

Die Geschichte ist kein Wunschkonzert. Aber manchmal spielt sie uns eine Melodie, die so absurd ist, dass sie nur als Satire verstanden werden kann.

Die sanfte Macht der Toleranz

Wie wir unsere eigenen Schwächen feiern

Man könnte meinen, wir im Westen hätten die Toleranz zu unserer höchsten Tugend erhoben, als ob sie ein sakrales Relikt wäre, das über jeden Zweifel erhaben ist. Wir öffnen unsere Türen, unsere Herzen, ja, selbst unsere staatlichen Kassen, in einer Mischung aus humanitärer Selbstbeseligung und bürokratischem Pflichtgefühl, und nennen dies Fortschritt. Während wir in dieser wohltemperierten Selbstzufriedenheit schwelgen, gibt es Akteure, die diese Gnade nicht nur akzeptieren, sondern systematisch instrumentalisieren. Sie nicken uns freundlich zu, lächeln, sprechen von Dialog und Integration, und wir applaudieren. Wir klopfen uns auf die Schultern, stolz auf unsere Fähigkeit, einen moderaten, differenzierten Ansatz zu pflegen. Wir haben gelernt, zwischen „Gut“ und „Böse“ zu unterscheiden, doch leider oft nur an der Oberfläche, und lassen dabei die feinen Fäden übersehen, die unsere liberale Ordnung unterwandern. Denn während wir uns in moralischer Überlegenheit sonnen, nutzen andere genau diese Überlegenheit aus – eine Taktik, so subtil wie ein langsames Eindringen von Wasser in die Ritzen eines Hauses, die wir erst bemerken, wenn die Struktur bereits instabil geworden ist.

Die Kunst der schleichenden Unterwanderung

Man könnte es als „Strategie der Gemäßigten“ bezeichnen, eine Maske, die zugleich charmant und gefährlich ist. Anders als die Terroristen, die mit Schlagzeilen und Blut ihre Botschaften verkünden, bewegen sie sich im Schatten der politischen Korrektheit. Sie treten auf, als wollten sie nur höflich am Tisch sitzen, um über kulturelle Themen, Religion oder Bildung zu diskutieren – und wir, das naive Publikum, nehmen sie ernst, weil sie höflich lächeln. In Wirklichkeit aber ist jeder freundliche Gruß, jede scheinbare Kompromissbereitschaft Teil eines minutiös kalkulierten Plans: Schritt für Schritt, subtil, fast unsichtbar, werden gesellschaftliche Normen verschoben, die Grenzen dessen, was diskutierbar erscheint, neu gezogen. Wer heute noch den Mut hat, die Ideologie hinter den freundlichen Worten zu hinterfragen, wird sofort in die Ecke der Populisten, der Islamophoben, der „intoleranten Ewiggestrigen“ gestellt. Die Gesellschaft applaudiert, und der eigentliche Plan, die Wahrnehmung zu verschieben, gelingt ohne großen Aufruhr.

Parallelwelten und offene Geheimnisse

Wer glaubt, dass das Spiel nur hinter den parlamentarischen Kulissen oder in wohldosierten öffentlichen Debatten stattfindet, unterschätzt die Kraft der Parallelgesellschaften. Dort wird Klartext gesprochen, fernab von den Kameras und Reden, die wir so ernst nehmen. Dort sind die Ambitionen der Gemäßigten keineswegs gemäßigt: Es geht um Einfluss, Kontrolle, und um das langfristige Umgestalten unserer liberalen Demokratien nach eigenen Vorstellungen. Während wir uns auf Debatten über Kopftuchrichtlinien oder Halal-Optionen konzentrieren, läuft im Hintergrund die eigentliche Agenda: die schleichende Normalisierung und Akzeptanz von Positionen, die unseren eigenen freiheitlichen Kern infrage stellen. Und wir, die wir glauben, informiert und wachsam zu sein, nehmen die Gefahr nicht wahr, weil sie sich wie ein unsichtbarer Nebel durch unsere Gesellschaft zieht.

Terrorismus als blendender Scheinwerfer

Natürlich wird über Terrorismus gesprochen, er wird diskutiert, analysiert, mit Sicherheitspolitik bekämpft. Er ist greifbar, spektakulär, alarmierend – ein leuchtender Scheinwerfer in der Dunkelheit, der unsere Aufmerksamkeit bindet. Der eigentliche Clou aber liegt woanders: im unscheinbaren Extremismus, der, kaum bemerkt, das Fundament verschiebt, auf dem unsere Gesellschaft steht. Diese Form des Extremismus liefert nicht nur die ideologische Nahrung für die Offensiven der Gewalt, sondern arbeitet gleichzeitig daran, das Feld der öffentlichen Meinung zu transformieren. Wir lernen, uns an kleine Verschiebungen zu gewöhnen, akzeptieren sie als „neue Normalität“ und vergessen, dass der schleichende Wandel gefährlicher ist als die laute Explosion, weil wir ihn viel zu spät als das erkennen, was er ist.

Fazit in Zynismus getränkt

Man könnte diese ganze Szene mit bitterem Lächeln beobachten, als eine Farce, in der wir uns selbst als moralische Sieger inszenieren, während wir in Wirklichkeit die Einladung aussprechen, unsere Werte vorsichtig zu verdrängen. Es ist ein Schauspiel, in dem Höflichkeit mit Strategie verwechselt wird, Toleranz als Schwäche ausgelegt wird, und die so genannten Gemäßigten in der Rolle des unschuldig scheinenden Trojanischen Pferdes glänzen. Vielleicht ist es die Ironie unserer Zeit, dass wir, die wir so sehr auf Freiheit und Demokratie schwören, es sind, die das Theater der schleichenden Unterwanderung erst ermöglichen – applaudierend, lächelnd, in gutem Glauben. Und während wir uns in dieser Illusion suhlen, ist es vielleicht genau diese Mischung aus Naivität, Zynismus und Höflichkeit, die unsere stärkste – und gefährlichste – Schwäche darstellt.

Der Jahrmarkt der Heuchler

Alle paar Monate öffnet der große Rummelplatz der moralischen Selbstinszenierung wieder seine Buden, und die europäische Großstadt verwandelt sich in eine Mischung aus Woodstock, Karneval und mittelalterlichem Pogrom. Nur dass heute statt Heugabeln und Fackeln Schilder aus Recyclingpappe geschwenkt werden, auf denen „Solidarität“ in schlecht gestanzten Lettern prangt. Die Schlagworte sind stets dieselben: „Freiheit“, „Menschenrechte“, „Gaza“. Manchmal verirrt sich auch ein „Kinderschutz“ darunter, was besonders grotesk wirkt, wenn im selben Atemzug die Fahnen einer Terrororganisation hochgehalten werden, die Kinder lieber als lebende Schutzschilde denn als Schutzbedürftige betrachtet.

Doch das Ritual bleibt gleich: Gaza ist die Bühne, auf der die saturierte westliche Mittelschicht ihren moralischen Fitness-Check absolviert. Einmal kräftig Empörung heben, kurz gegen Israel bankdrücken, und schon fühlt man sich innerlich wieder straff und rein. Ein politisches Pilatesstudio der Selbstgerechtigkeit.

Moral zum Mitnehmen – billig, fettig, sättigend

Die Empörung über Gaza ist die Currywurst der internationalen Politik: billig, fettig, schnell zu haben und mit genügend scharfem Gewürz, um den eigenen Geschmack an tatsächlicher Komplexität zu betäuben. Niemand interessiert sich für die innere Logik des Konflikts, die geopolitischen Zusammenhänge, oder gar für die Tatsache, dass Hamas nicht in Kitas investiert, sondern in Raketen. Aber das würde ja die Speisekarte ruinieren.

Man könnte die Demos deshalb auch als „Drive-In-Antisemitismus“ bezeichnen: Einmal am Stand der Empörung vorfahren, kurz „Free Palestine“ ins Mikrofon grölen, und zack – schon erhält man die Extraportion moralische Reinwaschung im praktischen Pappkarton.

Projektionstheater mit historischen Untertiteln

Dass es den Demonstranten kaum um Gaza geht, erkennt man daran, dass sie das Land in der Regel nicht einmal auf einer Karte zeigen könnten. Aber das spielt keine Rolle, denn Gaza ist nur die Projektionsfläche, auf die man das alte Ressentiment neu aufpinseln darf.

Früher hieß es: „Die Juden sind schuld!“ Heute heißt es: „Israel ist schuld!“ Früher brüllte man: „Juden raus!“ Heute skandiert man: „From the river to the sea!“ – was, übersetzt ins ehrliche Deutsch, nichts anderes bedeutet als „Israel weg!“ Es ist die gleiche alte Melodie, nur auf einer hippen Ukulele gezupft, statt auf der Nazi-Trommel.

Europa als moralische Freiluftpsychiatrie

Man muss es so drastisch sagen: Diese Demos sind Gruppenpsychotherapie-Sessions für eine Gesellschaft, die ihre eigene Schuldgeschichte nicht verarbeitet hat. Da pilgern die Enkel von Tätern, die Urenkel von Mitläufern und die Nachfahren der Wegseher mit leuchtenden Augen durch die Straßen und glauben ernsthaft, auf der Seite der Guten zu stehen – während sie alte Muster in neuem Gewand reproduzieren.

Es ist die pure Selbstlüge: Statt die eigene Vergangenheit zu verarbeiten, legt man sie einfach auf Israel ab wie ein Altkleiderbündel im Container. Gratisabgabe der eigenen Schuld, aber bitte mit moralischem Applaus. Gaza als seelische Müllkippe Europas.

Die tragikomische Operette der Empörung

Das Ganze wäre fast lustig, wenn es nicht so widerlich wäre. Da stehen sie mit Regenbogenfahnen neben islamistischen Fahnen, da grölen Feministinnen im Gleichklang mit patriarchalen Gotteskriegern, da marschieren Vegan-Kollektive Schulter an Schulter mit Männern, die im Gazastreifen Ziegen bei lebendigem Leib schlachten. Es ist eine Parodie auf die Parodie, ein groteskes Schattenspiel, das beweist, dass Ideologien nicht kollidieren, sondern sich im Ressentiment vereinen können.

Man könnte fast meinen, Hamas müsse den Demonstranten regelmäßig Werbeplakate schicken: „Danke, dass ihr unsere PR-Abteilung in Berlin, London und Paris übernehmt! Ohne euch wären wir nur eine lokale Terrororganisation. Mit euch sind wir ein globales Symbol!“

Fazit: Das alte Lied, jetzt als Remix

Wer noch glaubt, dass diese Demos etwas mit tatsächlicher Solidarität zu tun haben, glaubt vermutlich auch, dass McDonald’s gesunde Ernährung ist. Nein, die Wahrheit ist bitterer: Unter der Maske des Menschenfreundes lächelt die alte Fratze des Antisemiten, und sie freut sich, dass sie endlich wieder an die frische Luft darf, ohne sofort verbrannt zu werden.

Und die größte Ironie? Die Leidtragenden in Gaza, die Zivilisten, die Kinder, die Mütter – sie sind in diesem Theater nur Statisten, Requisiten, Tränen im Bühnennebel. Für sie wird kein Cent gespendet, kein Haus aufgebaut, kein Brunnen gebohrt. Aber hey – Hauptsache, das Instagram-Selfie mit dem Transparent hat 300 Likes.

Die stillste Heldin des lautesten Jahrhunderts

Das 20. Jahrhundert hat ja keinen Mangel an Helden hervorgebracht. Man stolpert über sie, wie über Pflastersteine im Kopfsteinpflaster der europäischen Geschichte – alle kantig, alle „notwendig“, alle in den Lehrplänen auf Hochglanz poliert. Helden, die erhoben werden, damit wir ihre Schicksale konsumieren können wie moralisch zertifizierte Müsliriegel: reich an Ballaststoffen für die kollektive Schuldverdauung. Und mitten in dieser Kakophonie, wo Generäle, Kanzler, Widerstandskämpfer und Nobelpreisträger ihre Plätze beanspruchen, steht – nein, schweigt – eine Figur, die überhaupt nichts beansprucht. Ottla Kafka. Kein Manifest, keine Rede, keine Fahne. Nur ein schlichtes „Ich gehe mit.“ Und siehe da: Schon wird die größte Heldentat des Jahrhunderts zu einem Satz, der nicht einmal die Länge eines Befehlshaberschnauzers misst.

Bürokratie der Hölle und das leise „Nein“

Denn man muss es sich ja vor Augen führen: Auschwitz, diese abgründige Verwaltungsmaschinerie, war nicht das Werk von wilden Bestien, die mit Messern durch den Wald jagten, sondern von Klemmbrettern, Stempeln und sorgfältig ausgefüllten Formularen. Es war eine Fabrik der Zahlen, in der Menschen nur noch „Stückgut“ hießen. Und mittendrin eine Frau, die den größten bürokratischen Affront wagte: Sie meldete sich freiwillig. Freiwilligkeit, dieses Wort, das sonst nach Sportverein oder Blutspende klingt, wurde hier zur subversiven Geste. Sie unterlief die Logik des Systems nicht mit einer Bombe, nicht mit einem Flugblatt, sondern mit der radikalsten Form menschlicher Zuwendung: einem schlichten Akt des Beistands. Und man stelle sich die Gesichter der uniformierten Automaten vor, wie sie auf ihre Listen schauten und den Stift kurz zögerten: „Wie bitte, Sie wollen da mit?“ Die Maschine stockte – nicht, weil sie zerstört war, sondern weil sie für einen Moment mit Menschlichkeit gefüttert wurde, einem Stoff, den sie schlicht nicht verarbeiten konnte.

Die Mär vom großen Heldentum

Helden, so belehrt uns die Geschichtsschreibung, sind ja normalerweise jene, die etwas verändern. Die „Tat“ muss zählbar sein, im besten Fall eine Wende herbeiführen. Ottla Kafka hat niemanden gerettet. Kein einziger SS-Mann stürzte vom Blitz des Gewissens getroffen tot zu Boden, kein Transport entgleiste, kein KZ-Kommandant begann zu weinen und ließ die Kinder frei. Nein, sie wusste genau: Das Ende bleibt gleich. Und genau darin liegt das Ungeheuerliche – dass man im Wissen um die Wirklosigkeit dennoch handelt. Wir, die wir uns schon beim Überqueren einer roten Ampel für Revolutionäre halten, sollten an dieser Stelle einen Moment die Luft anhalten. Denn hier beginnt das Heldentum nicht bei der Wirkung, sondern beim Willen. Ein Heldentum ohne Happy End, ohne Pathos, ohne Hollywood-Soundtrack. Kurz gesagt: eines, das sich überhaupt nicht für die gängigen Narrationen eignet. Und gerade deshalb wird es nicht groß inszeniert, sondern – wie so vieles bei den Kafkas – eher leise hingenommen.

Erinnerungskultur mit Beipackzettel

Natürlich, man könnte nun rufen: „So etwas muss man viel stärker würdigen!“ Und sofort würde ein Ausschuss gebildet, der eine Gedenktafel in Auftrag gibt. Auf der Tafel stünde dann: „Hier starb Ottla Kafka, sie begleitete Kinder.“ Und daneben würde man QR-Codes für Schulklassen anbringen. Ein feierlicher Redner würde die moralische Botschaft in Sonntagsanzugtonlage vortragen, während die Kinder verstohlen aufs Handy schauen. Und schon wäre alles wieder eingehegt, musealisiert, abgehakt. Erinnerungskultur funktioniert nämlich wie ein Beruhigungsmittel: Wir nehmen sie ein, wir fühlen uns gut, und wir schlafen danach besser. Die eigentliche Zumutung – dass da jemand freiwillig in den Tod ging, nur um ein paar Fremdenkindern die Hand zu halten – bleibt im Hals stecken wie ein Kloß, den man weder schlucken noch ausspucken kann.

Die Kafkaeske Pointe

Und natürlich, wie könnte es anders sein, trägt sie den Namen Kafka. Der Bruder schrieb über die erstickende Bürokratie, die Menschen verschlingt, über Türen, die nie aufgehen, und Prozesse, die nie enden. Sie selbst schrieb kein Buch – sie war eines. Ihr letzter Akt: ein Gegenkapitel zu all der kalten Logik, die den Menschen in Zahlen zerlegte. Und wenn Franz Kafka in seiner Prosa den Menschen in einem undurchdringlichen Labyrinth verlor, so zeigte seine Schwester, dass man selbst im allerdunkelsten Labyrinth noch entscheiden kann, wie man geht. Nicht der Ausgang zählt, sondern die Haltung. Eine stille Heldin, die nichts sagt – und damit mehr spricht als alle, die heute mit erhobenem Zeigefinger von Moral und Mut schwadronieren.

Stumme Heldin

Die stillste Heldin des lautesten Jahrhunderts

Das 20. Jahrhundert hat ja keinen Mangel an Helden hervorgebracht. Man stolpert über sie, wie über Pflastersteine im Kopfsteinpflaster der europäischen Geschichte – alle kantig, alle „notwendig“, alle in den Lehrplänen auf Hochglanz poliert. Helden, die erhoben werden, damit wir ihre Schicksale konsumieren können wie moralisch zertifizierte Müsliriegel: reich an Ballaststoffen für die kollektive Schuldverdauung. Und mitten in dieser Kakophonie, wo Generäle, Kanzler, Widerstandskämpfer und Nobelpreisträger ihre Plätze beanspruchen, steht – nein, schweigt – eine Figur, die überhaupt nichts beansprucht. Ottla Kafka. Kein Manifest, keine Rede, keine Fahne. Nur ein schlichtes „Ich gehe mit.“ Und siehe da: Schon wird die größte Heldentat des Jahrhunderts zu einem Satz, der nicht einmal die Länge eines Befehlshaberschnauzers misst.

Bürokratie der Hölle und das leise „Nein“

Denn man muss es sich ja vor Augen führen: Auschwitz, diese abgründige Verwaltungsmaschinerie, war nicht das Werk von wilden Bestien, die mit Messern durch den Wald jagten, sondern von Klemmbrettern, Stempeln und sorgfältig ausgefüllten Formularen. Es war eine Fabrik der Zahlen, in der Menschen nur noch „Stückgut“ hießen. Und mittendrin eine Frau, die den größten bürokratischen Affront wagte: Sie meldete sich freiwillig. Freiwilligkeit, dieses Wort, das sonst nach Sportverein oder Blutspende klingt, wurde hier zur subversiven Geste. Sie unterlief die Logik des Systems nicht mit einer Bombe, nicht mit einem Flugblatt, sondern mit der radikalsten Form menschlicher Zuwendung: einem schlichten Akt des Beistands. Und man stelle sich die Gesichter der uniformierten Automaten vor, wie sie auf ihre Listen schauten und den Stift kurz zögerten: „Wie bitte, Sie wollen da mit?“ Die Maschine stockte – nicht, weil sie zerstört war, sondern weil sie für einen Moment mit Menschlichkeit gefüttert wurde, einem Stoff, den sie schlicht nicht verarbeiten konnte.

Die Mär vom großen Heldentum

Helden, so belehrt uns die Geschichtsschreibung, sind ja normalerweise jene, die etwas verändern. Die „Tat“ muss zählbar sein, im besten Fall eine Wende herbeiführen. Ottla Kafka hat niemanden gerettet. Kein einziger SS-Mann stürzte vom Blitz des Gewissens getroffen tot zu Boden, kein Transport entgleiste, kein KZ-Kommandant begann zu weinen und ließ die Kinder frei. Nein, sie wusste genau: Das Ende bleibt gleich. Und genau darin liegt das Ungeheuerliche – dass man im Wissen um die Wirklosigkeit dennoch handelt. Wir, die wir uns schon beim Überqueren einer roten Ampel für Revolutionäre halten, sollten an dieser Stelle einen Moment die Luft anhalten. Denn hier beginnt das Heldentum nicht bei der Wirkung, sondern beim Willen. Ein Heldentum ohne Happy End, ohne Pathos, ohne Hollywood-Soundtrack. Kurz gesagt: eines, das sich überhaupt nicht für die gängigen Narrationen eignet. Und gerade deshalb wird es nicht groß inszeniert, sondern – wie so vieles bei den Kafkas – eher leise hingenommen.

Erinnerungskultur mit Beipackzettel

Natürlich, man könnte nun rufen: „So etwas muss man viel stärker würdigen!“ Und sofort würde ein Ausschuss gebildet, der eine Gedenktafel in Auftrag gibt. Auf der Tafel stünde dann: „Hier starb Ottla Kafka, sie begleitete Kinder.“ Und daneben würde man QR-Codes für Schulklassen anbringen. Ein feierlicher Redner würde die moralische Botschaft in Sonntagsanzugtonlage vortragen, während die Kinder verstohlen aufs Handy schauen. Und schon wäre alles wieder eingehegt, musealisiert, abgehakt. Erinnerungskultur funktioniert nämlich wie ein Beruhigungsmittel: Wir nehmen sie ein, wir fühlen uns gut, und wir schlafen danach besser. Die eigentliche Zumutung – dass da jemand freiwillig in den Tod ging, nur um ein paar Fremdenkindern die Hand zu halten – bleibt im Hals stecken wie ein Kloß, den man weder schlucken noch ausspucken kann.

Die Kafkaeske Pointe

Und natürlich, wie könnte es anders sein, trägt sie den Namen Kafka. Der Bruder schrieb über die erstickende Bürokratie, die Menschen verschlingt, über Türen, die nie aufgehen, und Prozesse, die nie enden. Sie selbst schrieb kein Buch – sie war eines. Ihr letzter Akt: ein Gegenkapitel zu all der kalten Logik, die den Menschen in Zahlen zerlegte. Und wenn Franz Kafka in seiner Prosa den Menschen in einem undurchdringlichen Labyrinth verlor, so zeigte seine Schwester, dass man selbst im allerdunkelsten Labyrinth noch entscheiden kann, wie man geht. Nicht der Ausgang zählt, sondern die Haltung. Eine stille Heldin, die nichts sagt – und damit mehr spricht als alle, die heute mit erhobenem Zeigefinger von Moral und Mut schwadronieren.

Die große Herausforderung, die eigentlich gar keine ist

Wenn Banales zur Offenbarung wird

Man stelle sich vor: Ein erwachsener Mensch erklärt feierlich, seine größte Herausforderung sei es, nicht gegen die Wand zu laufen, wenn er durch eine Tür gehen möchte. In etwa so klingt Murat Kaymanns ernster Befund: „Wir Muslime müssen herausfinden, wie wir mit Menschen umgehen wollen, die nicht so glauben wie wir.“ Ach was. Die Frage ist nicht, wie man mit Andersgläubigen umgeht, sondern warum das überhaupt eine Frage sein soll.

Christen oder Juden kämen im 21. Jahrhundert kaum auf die Idee, ein „interreligiöses Symposium“ zu veranstalten, um zu klären, wie man Atheisten, Veganer oder Pastafaris erträgt. Die Antwort liegt auf der Hand: Gar nicht. Man erträgt sie nicht – man bemerkt sie schlicht nicht. Religion ist Privatsache. Ende der Debatte.

Vom Nichts eine Tragödie machen

Wenn man schon keine echten Probleme lösen will, schafft man sich eben künstliche. Was Klimawandel? Was soziale Ungleichheit? Was Bildungskatastrophe? Nein, die wahre Nagelprobe der muslimischen Seele liegt darin, nicht in dauerhafter Schnappatmung zu verfallen, sobald jemand nebenan „Frohe Weihnachten“ ruft oder ein schwules Paar Händchen haltend durch die Fußgängerzone spaziert.

Und dann die schwerfällige Rhetorik: „Wir müssen eine Antwort finden.“ – Als ginge es darum, einen metaphysischen Rubikon zu überqueren. Dabei liegt die Antwort schon seit Jahrhunderten bereit, in aller Schlichtheit: „Ist mir egal.“ Fertig. Ende. Weitergehen.

Heroisierung des Normalen

Aber genau das ist das Problem: Man macht aus dem Normalsten der Welt ein heroisches Projekt. „Wir müssen lernen, Andersgläubige nicht abzuwerten.“ – Entschuldigung, aber das ist kein Meilenstein, das ist Kindergartenpädagogik. Man stelle sich vor, ein Erwachsener feiert sich dafür, dass er gelernt hat, nicht mehr auf den Teppich zu pinkeln. Man könnte ihm gratulieren – oder man könnte fragen, warum das je eine Frage war.

Der polemische Witz daran ist: Indem man diese Selbstverständlichkeiten zu „Herausforderungen“ erklärt, inszeniert man sich als moralische Heldengestalt. „Seht her, wie schwer es ist, niemanden zu hassen, und seht her, wie tapfer wir uns dieser Aufgabe stellen!“ – Bravo, Applaus, Goldmedaille im 100-Meter-Lauf der Zivilisation, an der Startlinie von allen anderen längst hinter sich gelassen.

Opferpose deluxe

Natürlich, unterschwellig läuft dabei immer die altbekannte Opferpose: „Die Gesellschaft verlangt von uns Unmenschliches – nämlich, nett zu sein.“ Man hört die unausgesprochene Klage: „Wie sollen wir bloß in einer Welt zurechtkommen, in der Frauen nicht schweigen und Schwule nicht verschwinden?“
Das klingt, als würde ein notorischer Brandstifter jammern: „Die größte Herausforderung für mich ist, kein Streichholz anzuzünden, wenn ich ein Haus sehe.“ – Ja, schwierig. Unzumutbar fast.

Die groteske Asymmetrie

Denn stellen wir uns das einmal umgekehrt vor: Juden oder Christen würden öffentlich debattieren, wie sie mit Muslimen umgehen wollen. Und zwar nicht im Sinne von „friedlich zusammenleben“, sondern im Tonfall: „Das ist unsere größte Herausforderung, und ohne eine Lösung wird unsere Religion hier nichts Positives beizutragen haben.“ – Man stelle sich die Empörung vor. Zeitungsseiten voller Skandal-Schlagzeilen.
Aber wenn ein Muslim genau diesen paternalistischen Duktus über Andersgläubige benutzt, gilt das als differenziertes Nachdenken.

Der eigentliche Skandal

Die Wahrheit ist bitter: Solange diese „Frage“ überhaupt gestellt wird, ist das Problem nicht gelöst, sondern immanent. Wer ernsthaft darüber nachdenkt, ob er den Nachbarn, der kein Kopftuch trägt, wie einen Menschen behandeln soll, hat sich schon disqualifiziert.

Und noch bitterer: Wer diese Überlegung als nobel und diskussionswürdig verkauft, zeigt damit vor allem, dass er nicht die westlichen Werte in Frage stellt, sondern die eigene Fähigkeit, die simpelsten Regeln menschlichen Anstands zu internalisieren.

Die Offenbarung des Banalen

Die Pointe: Alles, was gefordert ist, hat mit Religion nichts zu tun. Respektiere Gesetze. Respektiere Frauen. Respektiere Homosexuelle. Respektiere Juden. Fertig. Wer das nicht als Grundlage des Menschseins begreift, braucht kein theologisches Symposium, sondern Nachhilfeunterricht in Grundschulethik.

Und so bleibt der Eindruck: Hier wird das Einmaleins des Anstands als hochkomplexe Algebra verkauft – damit man sich selbst weiterhin für einen Mathematiker halten darf, obwohl man nicht einmal die Finger richtig zählen kann.

Das Fairness-Abkommen: Ein Stück kölsche Folklore

Von der Kunst, Probleme in den Giftschrank zu sperren

Knapp drei Wochen vor der Kommunalwahl – jenem alle fünf Jahre wiederkehrenden demokratischen Hochamt, bei dem das Volk so tun darf, als habe es etwas zu melden – haben sich die großen und mittelgroßen Parteien in Köln zu einem Pakt der politisch-korrekten Ritterlichkeit verschworen. CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke und Volt unterzeichneten ein „Fairness-Abkommen“. Allein der Begriff klingt, als habe man ihn in der Abteilung für Kindergartenpädagogik und Yogaseminar-Rhetorik entworfen. Im Kern lautet die Abmachung: Wir sprechen nicht über Migration. Punkt. Schluss. Vorhang.

Das ist ungefähr so, als würde man in Venedig vor einer Wahl beschließen: „Bitte, über Wasser reden wir nicht, das könnte den Gondolieri auf komische Ideen bringen.“ Oder als ob man in Köln den Karneval abschaffen, aber das Wort „Kamelle“ für Wahlkampfzwecke sperren würde.

Köln, die schönste Müllhalde am Rhein

Man darf es ja kaum laut sagen, ohne gleich der Schwarzmalerei verdächtigt zu werden: Köln ist dreckig. Nicht im liebevoll-lokalen Sinne von „schmuddelig“, sondern im wortwörtlichen: klebrige Bahnhöfe, stinkende Unterführungen, vermüllte Plätze. Wer abends über den Neumarkt geht, erlebt ein Potpourri aus Drogenelend, Aggression und Müllbergen. Der Dom, einst stolzes Weltkulturerbe, steht wie ein verschandelter Mahner inmitten dieses urbanen Chaos – ein gotisches Denkmal, das zu den Tauben spricht, weil sonst keiner mehr zuhören will.

Und wer trägt die Verantwortung? Eine grün-schwarze Stadtregierung, die in ihrer bizarren Harmonie so tut, als sei Köln ein „Leuchtturm der Vielfalt“, während sie längst zum Moloch verkommen ist. Der rheinische Pragmatismus, einst Garant dafür, dass man wenigstens über das Schlimmste noch lachen konnte, ist erdrückt unter einem Teppich aus Phrasen, Programmen und Projektgruppen.

Migration als Elefant im kölschen Wohnzimmer

Es ist eine Binsenweisheit: Migration ist kein abstraktes Thema, sondern Realität im Alltag der Städte. Köln ist dafür Paradebeispiel. Wer morgens mit der KVB fährt, sieht die gescheiterte Integrationspolitik im Nahverkehrsformat: Aggression, Sprachlosigkeit, Ausweglosigkeit. Natürlich gibt es auch gelungene Geschichten, gelungene Biografien, lebendige Kulturvielfalt. Aber die Probleme sind real – Kriminalität, Parallelgesellschaften, ein völlig überlastetes Sozialsystem.

Und nun haben sich die Parteien feierlich dazu verpflichtet, darüber zu schweigen. Als hätte man sich kollektiv entschlossen, die Realität mit Tesafilm zuzukleben. Doch das Absurde ist: Schweigen bedeutet nicht, dass das Problem verschwindet – es bedeutet, dass man das Feld dem einzigen politischen Akteur überlässt, der gierig darauf wartet, es auszuschlachten: der AfD. Eine strategische Meisterleistung! Man könnte auch beschließen, in einem brennenden Haus einfach nicht über Feuer zu sprechen – schließlich soll das die Feuerwehr nicht instrumentalisieren.

Die Dialektik der Dummheit

Man fragt sich: Wie dumm kann man eigentlich sein? Ist das noch Naivität oder schon Hochmut? Wer ernsthaft glaubt, man könne die AfD schwächen, indem man ihr das Monopol auf ein zentrales Thema überlässt, hat den Mechanismus politischer Kommunikation nicht verstanden. Politik funktioniert nicht nach dem Prinzip „Das verschweigen wir mal, dann verschwindet es“. Politik funktioniert nach der alten Regel: Wer schweigt, verliert.

Das Fairness-Abkommen ist also nichts anderes als eine Einladung: „Liebe AfD, bitte übernehmen Sie die Deutungshoheit. Wir setzen uns derweil in einen Kreis, halten Händchen und singen kölsche Lieder.“ Satire? Nein. Realität. Und sie ist grotesker, als es jeder Kabarettist zu schreiben wagt.

Kölsche Pointe mit bitterem Beigeschmack

Natürlich kann man sich über all das amüsieren. Köln ist ja schließlich die Stadt, in der das Lachen Teil der DNA ist. Aber das Gelächter bleibt einem im Hals stecken, wenn man sich klar macht, dass die etablierten Parteien ihre größte Schwäche demonstrieren: die Unfähigkeit, Probleme beim Namen zu nennen. Wer Probleme ausklammert, macht sie nicht kleiner – er macht sie größer. Wer den Elefanten im Raum ignoriert, wird irgendwann von ihm zertrampelt.

Das Fairness-Abkommen ist damit weniger ein Zeichen von Fairness als ein Ausweis von Feigheit. Es ist nicht die noble Geste einer zivilisierten Demokratie, sondern das feige Wegducken vor einer Realität, die längst alle betrifft. Köln hätte etwas Besseres verdient – und bekommt wieder einmal nur den faulen Kompromiss, hübsch verpackt in moralischer Rhetorik.

Für alle, die immer noch glauben, es sei ein Religionskonflikt

Man muss sich vorstellen, dass all jene, die heute in den gläsernen, klimatisierten Salons der westlichen Metropolen, wo das Licht gedämpft und der Latte Macchiato stets perfekt geschäumt serviert wird, mit einer Mischung aus moralischer Entrüstung, postkommunistischer Nostalgie und einem Anflug von literarischem Pathos den Palästinismus verteidigen, als sei er das höchste Gebot der Gegenwart, in Wahrheit als ahnungslose Statisten in einem Stück mitspielen, dessen Drehbuch vor über siebzig Jahren, unter dem beharrlichen Summen von Schreibmaschinen, dem Rascheln von Akten und dem kühlen Blick von Stalin, in muffigen Büros des Kreml, in den ehrwürdigen Hallen der Stasi und in den militärischen Kaderschulen Ostberlins verfasst wurde, ein Stück, dessen Regie längst von längst verstorbenen Ideologen geführt wird, deren Schatten über den Köpfen der Darsteller liegt, während diese glauben, sie improvisierten, und so wirken alle Appelle, alle moralischen Gesten, als Tanz auf den Knochen der politischen Realität, ein Tanz, der so präzise einstudiert ist, dass man fast vergisst, dass der Applaus digitalisiert, die Rollen vertauscht und die Fäden unsichtbar sind, doch die Wirkung subtil, beinahe hypnotisch und unaufhaltsam bleibt.

Stalin: Architekt des propagandistischen Schattenspiels

Wenn wir uns in die verschlungenen Archive begeben, die brüchigen Akten studieren, die zarten Notizen entziffern, mit denen Stalin einst seine geopolitische Schachpartie orchestrierte, erkennen wir, dass hier nicht bloße Opportunität am Werk war, sondern eine Form hochentwickelter strategischer Kunst, eine Kampagne, die Palästinismus als Werkzeug der globalen Subversion nutzte, lange bevor der Begriff westliche Medien erreichte; ein Ballett aus Waffenlieferungen, geheimdienstlicher Schulung und ideologischer Rhetorik, das dazu bestimmt war, den Westen zu zermürben, Israel zu destabilisieren und gleichzeitig die eigene Distanz zu wahren – ein Schattenspiel, in dem Terrorismus, politische Manipulation und moralische Rhetorik die Bühne füllten, und jeder Akteur, vom Kader Arafats bis zum ostdeutschen Instruktor, Teil einer Choreografie war, deren Komplexität und Grausamkeit so brillant wie erschreckend war.

Yasser Arafat: Ingenieur des Mythos, Architekt der Illusion

Yasser Arafat, vom kollektiven Gedächtnis der Palästinenser zur Ikone stilisiert, war in Wahrheit der Ingenieur eines Mythos, eine lebendige Allegorie, die tagsüber Maschinen studierte und nachts Netze aus Studentengruppen, politischen Allianzen und ideologischen Überzeugungen spann, die Suez-Krise 1956 als Sprungbrett nutzend, Nasser, Marxismus und Islamismus zu einer Persona kombinierend, die perfekt dafür geeignet war, jahrzehntelange geopolitische Strategien zu tragen, als hätte man einen literarischen Charakter physisch materialisiert, der Terrorismus, politische Inszenierung und moralische Rhetorik in einem vereinte, während die westliche Welt ihn für einen Propheten hielt, ohne zu begreifen, dass er in Wahrheit der Meister der performativen Illusion war, ein Produkt und gleichzeitig Instrument einer jahrzehntelang gepflegten geopolitischen Choreografie, in der jeder Schritt präzise berechnet und doch scheinbar spontan wirkte.

Kaderschulen des Ostblocks: Lehrwerkstätten der Subversion

Ab 1957 öffneten Prag, Moskau und Ostberlin ihre militärischen Kaderschulen für die palästinensischen Kader, nicht bloß um Sprengstoff, Entführungen und Anschläge zu lehren, sondern um sie gleichzeitig in der subtilen Kunst marxistischer Rhetorik, ideologischer Mythologisierung und politischer Performance zu schulen, sodass jeder Kämpfer nicht nur ein Terrorist, sondern ein rhetorischer Akrobat wurde, fähig, die narrative Bühne der westlichen Medien zu betreten, die Realität zu verzerren, Geschichte zu instrumentalisieren und zugleich die alte sowjetische Ideologie lebendig zu halten, als wäre sie ein kostbares, zerbrechliches Kunstwerk, dessen Schönheit und Gefahr in jedem Schritt mitschwingt. Die arabischen Staaten hielten sich zurück, die Sowjets agierten aus dem Schatten, und die Palästinenser wurden zugleich Opfer, Werkzeug und Projektionsfläche – ein Ensemble, dessen Handlungen von der Regie längst Verstorbener gelenkt, von den Akteuren jedoch als spontanes Schauspiel erlebt wurden, und das bis heute seine Nachwirkungen entfaltet, denn wer heute euphorisch von „Widerstand“ spricht, wiederholt die Worte eines längst verstaubten Drehbuchs.

Postkommunistische Allegorien: Solidarität als Performativ

Nach dem Fall der Mauer wandelten sich die ehemaligen SED-Eliten zu kultivierten Pro-Palästina-Dekorateuren, die in intellektuellen Salons über Solidarität, Gerechtigkeit und moralische Pflicht dozieren, während sie historische Realitäten ausblenden, wie unangenehme Fußnoten in einem Werk, das sie selbst inszenieren. Die Opfer werden zu Projektionen der eigenen Imagination, die Geschichte zur Staffage für postkommunistische Nostalgie, auf der Ideologien in Jogginghosen, mit Latte Macchiato und Instagram-Account zu neuem Glanz erwachen. Jede differenzierte Analyse wird ausgeblendet, jede Kritik umgedeutet, jede historische Wahrheit zur Nebenfigur – so entsteht eine Welt, in der Moral Theater ist, Ideologie Kostümierung und Solidarität Performance, deren Hauptzweck die Selbstinszenierung ist.

Das groteske Theater der Selbstgerechtigkeit

Und so entfaltet sich das groteske Theater der Selbstgerechtigkeit, in dem die Rollen vertauscht, die Statisten ahnungslos, die Dialoge auswendig gelernt, der Applaus digitalisiert ist; in dem diejenigen, die einst gegen Unterdrückung kämpften, nun moralische Avantgarde spielen, während reale Akteure der Geschichte nur Nebenfiguren bleiben, deren Stimmen übertönt werden von rhetorischen Monologen derer, die glauben, dass Solidarität ohne Wissen ebenso wirksam ist wie Solidarität mit Erfahrung. Die Ironie ist unverkennbar: Das heutige Theater ist eine epische Inszenierung postkommunistischer Nostalgie, die alten Marxismus wiederbelebt, nicht als Theorie, sondern als moralische Performance, ein Schauspiel, das so grotesk, so elegant, so tragisch ist, dass man lachen, weinen und sich selbst in der Rolle des Zuschauers zugleich erkennen muss.

Schlussakkord: Moralisches Theater in Jogginghosen

Und so endet diese Reise durch Ideologie, Propaganda und historische Amnesie nicht mit Paukenschlag, sondern mit einem leisen, satirischen Zwinkern, das über den Köpfen der Darsteller schwebt; wer heute den Palästinismus verteidigt, steht in Wahrheit auf den Schultern eines Ostblocks, wandert durch die Guerillaklassen Arafats, hält Vorträge über Unterdrückung und Solidarität, während die eigentlichen Dramen längst im Schatten verschwunden sind, und doch bleibt das stille, epische Vergnügen, zu wissen, dass die alte Inszenierung weiterlebt, dass Ideologien nicht sterben, nur weil Mauern fallen, und dass Moral, in Jogginghosen, mit Latte Macchiato und digitalem Applaus, weiterhin die Bühne beherrscht, stets neu, stets grotesk, stets brillant – ein unendliches Theater, dessen Vorhang niemals endgültig fällt.

Die Parole als kollektives Placebo

„Wir schaffen das“ – 10 Jahre später

„Wir schaffen das“ – welch rhetorische Explosion von Selbstüberschätzung, verpackt in drei unschuldige Worte, die sich seit 2015 wie eine unauslöschliche Tätowierung ins kollektive Bewusstsein der Nation eingebrannt haben. Wer damals glaubte, dass damit realistische Politik betrieben werden könne, sollte spätestens beim zweiten Wohnungsnotfall, beim dritten überforderten Jugendamt oder beim zehnten Integrationsskandal erkennen: Worte schaffen keine Realität, sie schaffen nur Illusionen. Und dennoch, oder gerade deshalb, applaudierten wir alle – Politiker, Medien, Bürger – als handele es sich um den Auftakt einer heroischen Oper, deren Finale wir, so hofften wir, nicht erleben müssten.

Die Parole war von Anfang an ein Placebo, ein moralischer Hustensaft für eine Gesellschaft, die sich weder auf die Komplexität der Migration noch auf die Tragik der bürokratischen Realität vorbereitete. Merkel sprach nicht zu uns, sie sprach über uns – und die Nation nickte, weil die Stimme einer Mutterfigur zu hören, deren moralischer Imperativ die Ratio überdeckte, irgendwie beruhigend wirkte. Zehn Jahre später wird deutlich: „Wir schaffen das“ war nie ein Plan, es war die performative Geste eines politischen Systems, das sich selbst in moralischem Glanz sonnte, während die Realität unbeirrbar ihr eigenes Drama inszenierte.

Die totale Willkommenskultur: Ein politisches Theaterstück

Denn die Frage, die niemand laut stellte, war ja nicht, ob wir schaffen können, sondern ob wir wirklich alles schaffen wollen. Die totale Willkommenskultur – war sie ein Ideal, ein politisches Experiment oder schlicht die Flucht vor nüchterner Realität? „Wir schaffen das“ bedeutete moralische Erhöhung über praktische Umsetzbarkeit. Zehn Jahre später sehen wir, dass „schaffen“ alles und nichts bedeuten kann: Wohnungen schaffen wir nicht, aber Debatten. Bildung schaffen wir nicht, aber Bürokratie. Integration? Ein ewiges Labyrinth aus Formularen, Anträgen, Förderprogrammen, die mehr Orientierungslosigkeit stiften als Klarheit.

Die Ironie ist beinahe grotesk: Wir haben „alles geschafft“, nur eben nicht das, was wir eigentlich schaffen wollten. Wir schaffen Konflikte, wir schaffen Diskurse, wir schaffen Politiker, die heroisch scheitern, wir schaffen Medien, die sich selbst als moralisches Gewissen inszenieren – und am Ende schaffen wir nur, dass jeder Beteiligte sich in einem kollektiven Selbstlob suhlt, während die Realität unbeirrt weitermarschiert.

Bürokratie als Königsdisziplin der Komik

Hier erreicht das Drama seinen Höhepunkt: die Bürokratie, jene mechanische Hydra der deutschen Verwaltung, deren Endlosformulare und absurden Zuständigkeitsketten selbst Kafka blass aussehen lassen würden. Zehn Jahre lang haben wir zugesehen, wie Menschen, die eigentlich nur einen Integrationskurs oder eine Wohnung brauchen, durch Labyrinthe geschickt wurden, die als satirische Meisterwerke einer dysfunktionalen Gesellschaft durchgehen könnten. Die Bürokratie hat nicht nur die Parole „Wir schaffen das“ ad absurdum geführt, sie hat sie gleich mit Hochdruck ironisiert.

Politiker standen daneben, sprachen von Erfolgen und „Fortschritten“, während die Realität ihre eigene Komödie schrieb. Jede Pressekonferenz, jeder Artikel, jede Talkshow wurde zum Theaterstück, in dem moralische Geste die Handlung ersetzte, und die Gesellschaft applaudierte – geblendet von rhetorischem Glanz, während die Welt um sie herum in chaotischer Unordnung versank.

Medien, Moral und die Illusion der Kontrolle

Und hier kommen die Medien ins Spiel: jene omnipräsenten Spiegel einer Gesellschaft, die glaubt, alles beobachten, analysieren und einordnen zu können. Zehn Jahre lang wurden Geschichten von Integration, von Heldentum der Ehrenamtlichen, von bürokratischem Versagen zu einem endlosen Strom von Headlines, die sich selbst als moralisches Urteil inszenierten. Alarmismus und Applaus wechselten sich ab wie schlechte Komiknummern. Objektivität? Eine Fußnote. Analyse? Überbewertet. Die Wahrheit? Sie schwimmt irgendwo zwischen Tweet und Kommentarspalte, während der Leser applaudiert, weil er moralisch beteiligt zu sein glaubt.

Die Medien haben die Parole „Wir schaffen das“ nicht nur begleitet, sie haben sie extrapoliert, zugespitzt, zu einem moralischen Imperativ stilisiert, der die gesellschaftliche Realität überlagerte. Zehn Jahre später erkennen wir: Die mediale Inszenierung hat das Chaos nicht gemildert, sie hat es glorifiziert.

Die Gesellschaft: Ein kollektives Augenzwinkern

Und die Gesellschaft selbst? Ein erstaunliches Schauspiel aus Ignoranz, Selbstüberschätzung und selektiver Wahrnehmung. Wir haben applaudiert, wir haben protestiert, wir haben uns empört – alles gleichzeitig. Wir wollten moralisch korrekt sein, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Wir wollten die totale Willkommenskultur, solange sie bequem war. Zehn Jahre später zeigt sich: Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, die Moral über Realität stellt, Geste über Substanz, Hoffnung über Planbarkeit.

Jeder „Erfolg“ der letzten Dekade – sei es in Integration, Bildung oder Wohnungsbau – ist begleitet von unzähligen Fehlschlägen, von absurden bürokratischen Hürden, von medialen Übertreibungen, die aus kleinen Errungenschaften Heldenepen machen. Alles scheint groß, alles scheint heroisch – und alles bleibt letztlich unvollständig.

Epilog: Heroische Illusionen und groteske Realität

Zehn Jahre später steht „Wir schaffen das“ da wie ein Denkmal der Ambivalenz, ein Prosagedicht auf die menschliche Tendenz, moralische Größe über praktische Fähigkeit zu setzen. Wir haben „geschafft“ – aber nur auf eine Art, die niemand wollte: Chaos, Konflikte, mediatisierte Komödien, bürokratische Labyrinthe.

Die Parole bleibt ein leuchtendes Beispiel für politischen Optimismus in seiner reinen, absurden Form, ein monumentales Zeugnis moralischer Selbstüberschätzung, das augenzwinkernd, polemisch und bitter zugleich ist. Wer auf die letzten zehn Jahre zurückblickt, erkennt: In jedem großen Scheitern steckt ein Stück heroische Illusion. Und „Wir schaffen das“ ist die Komödie und Tragödie unserer Zeit, die moralische Geste als Theater, Realität als unerbittlicher Regisseur.

Die Kufiya als politisches Accessoire

… auf deutschen Schultern

Es ist ein Phänomen, das die unendlichen Weiten der urbanen Hipsterzonen ebenso heimsucht wie die schummrigen Ecken der alternativen Szene: die Kufiya, jenes schwarz-weiße oder rot-weße Schachbrettmuster, das in den Straßen Ramallahs, Amman und Beirut als alltägliches Kleidungsstück tragend von Identität, Widerstand und Geschichte zeugt, findet plötzlich seinen Weg auf deutsche Schultern. Genauer gesagt: auf die Schultern der deutschen Antifa, jener Subkultur, die sich gern in moralischer Unfehlbarkeit sonnt, während sie ironisch den nächsten veganen Döner verspeist. Hier trifft politische Symbolik auf modische Geste, Ideologie auf Instagram-Filter, Widerstand auf die unbarmherzige Logik der Ästhetik. Die Kufiya, vormals ein unprätentiöses palästinensisches Accessoire, wird in der Berliner Neustadt, im Leipziger Connewitz oder im Münchener Gärtnerplatzviertel zur Flagge des kulturellen Goodwills, zum hippen Talisman des globalen Protests – zumindest bis zur nächsten Coffee-to-go-Latte.

Der Akt der Aneignung: heroisch oder heroisch-komisch?

Hier beginnt das eigentliche Kabinettstück der kulturellen Ironie: Die Antifa-Träger der Kufiya glauben, dass durch das bloße Umhängen des Tuchs – möglichst lässig über die Schulter, niemals zu eng, um die eigene Coolness nicht zu kompromittieren – eine Art solidarischer Brückenschlag entsteht. Solidarität durch Textil, sozusagen. Dass die historische, politische und geopolitische Dimension dieser arabischen Ikone dabei im besten Fall zur dekorativen Folie eines Selfies verkommt, wird entweder übersehen oder in den Schatten des kollektiven Aktivismus gezwungen. Es ist, als würde man eine rote Fahne bei Karneval tragen: „Seht her, ich bin politisch!“, ruft das Tuch, während die Krawatte des Büroangestellten oder das Hoodie-Logo der Techfirma als stillschweigender Zeuge des modischen Missverständnisses fungieren. Heroisch? Naja. Heroisch-komisch? Mit Sicherheit.

Ironie als Währung: Die kapitalistische Unterwanderung des Widerstands

Denn man darf die Ironie nicht vergessen. Sie ist das Schmiermittel, das die Kufiya vom politischen Symbol zur urbanen Waffe der Selbstinszenierung transformiert. Wer die Kufiya trägt, signalisiert: „Ich weiß, was Sache ist. Ich bin global informiert. Ich bin moralisch überlegen.“ Gleichzeitig ignoriert man die Tatsache, dass der globale Markt die Kufiya längst als Massenware adaptiert hat, billig produziert in Bangladesch oder China, verkauft in Berliner Boutiquen neben Batik-Shirts und veganen Lippenstiften. Ironie wird hier zur Währung, die Aneignung zur performativen Geste, und der Widerstand zur ästhetischen Strategie. Man möchte lachen, man möchte weinen, man möchte die ganze Szene fotografisch dokumentieren und auf Instagram posten – um der Ironie den verdienten Applaus zu spenden.

Die paradoxale Ethik der Schuldlosigkeit

Doch das Ganze wäre zu einfach, wäre es nicht auch zutiefst paradox. Die Antifa, die sich der gerechten Sache verschreibt, moralisch unantastbar, kulturell hyperkritisch, findet sich plötzlich in einem Dilemma wieder: Trägt man die Kufiya aus Solidarität, oder aus modischem Kalkül? Ist man dadurch Unterstützer der palästinensischen Sache, oder lediglich ein hipper Tourist im eigenen Land? Jede Bewegung, die sich in der Schuldlosigkeit suhlt, steht hier vor einer ethischen Kippe. Und natürlich – wie es sich für deutsche Gründlichkeit gehört – wird dieses moralische Problem in langen, analytischen Facebook-Threads ausgehandelt, bis die Diskussion genauso zerrieben ist wie das Baumwollgewebe der echten Kufiyas in den Souks von Ramallah.

Schlussakkord: Ein Tuch, viele Perspektiven

Am Ende bleibt die Kufiya ein Tuch – und doch so viel mehr: ein Symbol, ein Modeaccessoire, ein Projektionsfeld für urbanen Aktivismus und moralische Selbstvergewisserung. Sie hängt da, leicht zerknittert, über der Schulter eines Berliner Aktivisten, und trägt dabei die ganze Last der Weltgeschichte, der globalen Ungerechtigkeit und der ironischen Selbstinszenierung auf einmal. Ob die Träger nun wütend werden, wenn man ihnen die Aneignung vorwirft, oder ob sie sich ins stille Kichern retten, ist egal. Denn das Tuch selbst bleibt unbeeindruckt. Es ist nur Baumwolle, bedruckt mit einem Muster, das Geschichten erzählt, die manche lesen, andere nur tragen – und wieder andere in satirischer Bewunderung beobachten, während sie ein Glas Fair-Trade-Latte halten.

Die Bekleidungs-Paradoxie

Europas urbane Ironie

Wenn man heutzutage durch die Boulevards von Paris schlendert, die Alleen Berlins entlangspaziert oder die Pflastersteine Roms unter den Füßen knirschen hört, könnte man beinahe geneigt sein, in die trügerische Illusion einer europäischen Toleranz zu verfallen. Frauen in den unterschiedlichsten Formen der Verhüllung – vom dezent geschwungenen Schal über den wogenden Hidschab bis hin zur totalen Umhüllung des Niqabs – bewegen sich ungestört durch diese Metropolen. Man könnte fast meinen, die Städte seien Oasen der Freiheit, wo Stoffe und Silhouetten bloß ästhetische Optionen sind, die keiner Erklärung bedürfen. Doch dann fällt der Blick auf den Mann mit Kippa, das winzige Zeichen auf dem Kopf, und man erkennt sofort die Dissonanz: dieselben Straßen, dieselben Bürgersteige, dieselbe urbane Idylle – und plötzlich verwandelt sich die Freiheit in ein Minenfeld. Wer Kippa trägt, navigiert nicht nur durch den Verkehr, sondern durch Jahrhunderte antisemitischer Vorurteile, die sich modern gekleidet, aber altbekannt präsentieren.

Hier zeigt sich ein urbanes Paradoxon von geradezu grotesker Schärfe: Die eine religiöse Identität wird toleriert, die andere zur Gefahr stilisiert. Es ist, als hätte Europa einen Wettbewerb der Toleranz ausgerufen: Wer kann den größten Stoffhaufen auf dem Kopf ertragen, ohne nervös zu werden? Offensichtlich gewinnen die verhüllten Frauen haushoch, während die Kippa-Träger wie offene Ziele auf den Straßen der Aufklärung und Humanität stehen.

Von Schleiern, Stoffen und selektiver Sicherheit

Die Ironie liegt in der Differenzierung: Ein Niqab ist sichtbar, unneutral, aggressiv – und entfacht Gespräche über Integration, Multikulturalismus und politische Korrektheit. Die Kippa hingegen, winzig, minimalistisch, nicht einmal annähernd bedrohlich, löst eine Reaktionskette aus, die von argwöhnischem Blick über verbale Attacke bis hin zur realen körperlichen Gefahr reicht. Ein Symbol der Vergangenheit, das im 21. Jahrhundert eine Bedrohung sein soll – ironisch, bitter, fast schon kafkaesk.

Die europäische Gesellschaft hat hier eine sehr selektive Wahrnehmung kultiviert: Alles, was verhüllt ist, ist harmlos, alles, was sichtbar jüdisch ist, potentiell gefährlich. Das ist keine gesellschaftliche Kuriosität mehr, das ist ein psychologisches Lehrstück in Vorurteilen: eine Art urbanes Experiment, bei dem man beobachten kann, wie Rationalität und Ideologie, humanistische Selbstinszenierung und latent aggressive Ressentiments in realen Straßenbildern kollidieren.

Ein Minenfeld der Sichtbarkeit

Wenn man also die Metropolen Europas durchquert, ist die Kippa kein bloßes Kleidungsstück, sie ist eine Landkarte der Angst, ein Messinstrument der Intoleranz. Jeder Blick, jede Geste, jedes Flüstern wird zum Teil des urbanen Widerstands gegen das sichtbare Jüdischsein. Es ist, als würde die Stadt selbst eine stille, aber deutliche Botschaft senden: „Sei vorsichtig, wo du sichtbar bist. Dein Symbol ist gefährlich, dein Sein ist markiert.“

Und währenddessen? Die verhüllte Frau bewegt sich wie eine Königin der städtischen Straßen: ungestört, unantastbar, begleitet von der moralischen Selbstzufriedenheit der liberalen Öffentlichkeit, die sich gerne in Debatten über Vielfalt und Inklusion sonnt. Die Ironie ist beinahe zu dick, um sie zu verdauen: Wir klatschen Applaus für Stoffe, die unseren Augen gefallen, und schreien innerlich, wenn jemand ein religiöses Zeichen trägt, das uns irritiert.

Spiegel der europäischen Seele

Dieses Paradoxon ist ein Spiegelbild unserer selbst, ein urbanes Phänomen, das mehr über die europäische Psyche verrät als jede Statistik: Wir sind aufgeklärt, ja, wir lieben das Bild der liberalen Gesellschaft – solange sie bequem und ungefährlich bleibt. Der Schleier ist ungefährlich, die Kippa ist provokativ. Freiheit ist selektiv, Sichtbarkeit ist riskant, Religion ist ein Faktor der Gefahr, aber nur unter bestimmten Bedingungen.

Die europäischen Hauptstädte verwandeln sich so in Bühnen, auf denen die alten Dramen der Intoleranz erneut aufgeführt werden, diesmal unter der Maske der Moderne. Die Satire liegt in der absurden Diskrepanz: Eine Religion wird toleriert, die andere kriminalisiert; ein Kleidungsstück wird akzeptiert, das andere kann tödlich sein. Und wir lachen, während wir gleichzeitig zusammenzucken. Ein Lachen mit einem Augenzwinkern, das die Zähne zusammenbeißt vor bitterem Unbehagen.

Fazit ohne Hoffnung?

Wenn man also diese Städte durchstreift, ist die Botschaft klar und unmissverständlich: Europa ist nicht der Hort der absoluten Freiheit, als der es sich gern verkauft. Es ist ein Labor selektiver Toleranz, ein Spielplatz der Ironie, ein Zirkus, in dem Stoffe applaudiert werden und Symbole bedroht werden. Es lehrt uns, dass die Freiheit, die wir feiern, immer an Bedingungen geknüpft ist – und dass die sichtbare jüdische Identität immer noch ein Risiko darstellt.

Die Pointe ist scharf, bitter und zugleich humorvoll: In den Straßen Europas kann man sich verstecken, verhüllen, anonym bleiben – und dafür Respekt ernten. Oder man steht sichtbar für eine Identität – und riskiert Leib und Leben. Und während wir diese Erkenntnis verschlucken, bleibt uns nur das bittersüße Lachen, das den Zynismus der Realität nicht verdecken, aber wenigstens erträglich machen kann.

Die dressierte Nation

Schritt 1: Volk ist Vokabel – Vokabel ist Verbrechen

Zuerst nehmen Sie ein Kollektiv, das seit Jahrhunderten glaubt, ein „Volk“ zu sein. Machen Sie ihm klar, dass schon die Verwendung dieses Wortes ungefähr so schlimm ist, als würde man seine Oma im Treppenhaus anzünden. „Volk“ ist nicht einfach eine Gemeinschaft, sondern der Vorhof zur Hölle, der Inbegriff alles Reaktionären, der kleine braune Schimmelpilz, der aus jedem Butterbrot wächst, wenn man es zu lange im Kühlschrank vergisst.

Also wird man umerzogen: Von nun an ist man nicht mehr Deutscher, Afrikaner oder Araber, sondern – bitte im Chor! – „Mensch“. Ein Wesen ohne Eigenschaften, wie ein Sofakissen mit Steuernummer. Wer noch von „Volk“ spricht, outet sich damit als wandelnder Brandanschlag auf die Demokratie. Manchmal wünscht man sich, die Behörden würden gleich Warnschilder an Stirnen verteilen: „Achtung! Hält sich für ein Volk!“

Schritt 2: Menschheitsfamilie, diese wunderbare Zwangsverwandtschaft

Wenn das Volk erfolgreich dekonstruiert ist, wird das neue Zauberwort installiert: Wir alle gehören zu einer „Menschheitsfamilie“. Klingt warm, kuschelig und nach sonntäglichem Kartoffelgratin – bis einem einfällt, wie Familien tatsächlich sind. Familien sind Orte des passiv-aggressiven Kleinkriegs, wo sich Cousins über Erbschaften zerfleischen, Tanten über Impfungen brüllen und Schwiegermütter über Heizkosten lamentieren. Genau so soll also die Welt funktionieren: Eine globale WG, in der acht Milliarden Menschen mit einer Küche und einem Klo auskommen müssen.

Natürlich herrscht Gleichheit! Der sudanesische Viehhirte, der isländische Fischereiminister und der Berliner Start-up-Hipster sitzen angeblich am selben Tisch. Nur dass einer nichts zu essen hat, der andere Kaviar, und der dritte diskutiert, ob Quinoa glutenfrei ist. Aber hey: Familie!

Schritt 3: Marschieren fürs Land, das es nicht geben darf

Und dann, nach all den Seminaren über die Abscheulichkeit des Nationalen, dem stundenlangen Zähneknirschen über Grenzen, Flaggen und Hymnen, kommt der große Geniestreich: die Wehrpflicht.

Plötzlich braucht das nicht existierende Volk eine sehr reale Armee. Plötzlich muss man sich in Tarnanzug werfen und „das Vaterland“ verteidigen – dieses mythische Gespenst, das man gestern noch als Nazi-Kobold entlarvt hat. Es ist, als würde man Vegetarier in einen Metzgerkurs zwingen, mit der Begründung, irgendwer müsse ja die Buletten braten, wenn der Feind kommt.

Natürlich darf man nicht sagen, man verteidige „Deutschland“ – das wäre zu volksnah. Also verteidigt man „unsere Werte“. Das klingt zwar nach Ikea-Katalog („Werte: ab 19,99, mit fünf Jahren Garantie“), ist aber praktisch unbrauchbar, wenn man im Schützengraben sitzt. Kein Soldat schreit „Für die Wertegemeinschaft!“, wenn die Granate einschlägt. Es sei denn, er hat sich in einer Volkshochschule für absurdes Theater verlaufen.

Finale: Die Groteske als Regierungsform

Kann man sich das ausdenken? Nein! Jeder Kabarettist, der so etwas aufschriebe, würde in die Wüste gejagt mit dem Vorwurf: „Das ist doch viel zu übertrieben, das glaubt Ihnen keiner!“ Aber die Wirklichkeit ist eben das größte Satirebüro der Menschheitsgeschichte.

Man entreißt den Menschen ihr Volk, verkauft ihnen eine globale Zwangsfamilie mit der Behaglichkeit eines feuchten Kellers – und dann steckt man sie in Uniform, um ein Vaterland zu schützen, das man ihnen vorher ausgetrieben hat wie einen Dämon. Das ist nicht Politik, das ist dadaistische Oper, aufgeführt von Ministerien, die nie merken, dass das Publikum längst vor Lachen auf dem Boden liegt.

Die Pointe? Es gibt keine. Die Pointe ist, dass es keine Pointe braucht. Die Realität hat längst für sich selbst gesorgt.

Die deutsche Batterie Fata Morgana

Die große elektrische Abenddämmerung

Es ist Nacht in Deutschland. Kein Wind kräuselt die Windräder, keine Sonne kitzelt die Solarpaneele. Nur die leise summenden Kühlschränke, die schnarchenden Wärmepumpen und die halbdösenden Netflix-Server halten das Land am Laufen. 50 Gigawatt Leistung will das Land – ein Hunger, der nie schläft, nicht einmal wenn alle in ihren Passivhäusern unter der Biomatratze schlummern.

Natürlich, Wasserkraft und Biomasse spielen brav ihre Rolle, liefern zehn Gigawatt, wie die stets verlässlichen Statisten im Theaterstück der Energiewende. Doch die restlichen vierzig Gigawatt? Die müssen irgendwoher kommen. Und so erhebt sich der Traum der Nation: Batterien. Riesige, glänzende, stromgefüllte Keksdosen, die man nur aufzuschrauben braucht, um das Land zu erleuchten.

480 Gigawattstunden für eine einzige Nacht. Eine Zahl, so gewaltig, dass sie sich wie ein metaphysischer Flaschengeist gebärdet – ein Energiemonster, das man sich im stillen Kämmerlein der Ministerien herbeiwünscht, aber das in der Realität schlicht nicht in den Lieferwagen passt.

Der Preis der Illusion

120 Milliarden Euro – allein für die Batterien, die Deutschland eine einzige windstille Nacht überbrücken sollen. 120 Milliarden, das ist ungefähr das, was der Staat jedes Jahr für Bildung, Forschung und „sonstige Lappalien“ ausgibt. Ein Betrag, den man auch gut in Autobahnen ohne Tempolimit, in neue Talkshows oder in die Rettung des Berliner Flughafens stecken könnte. Aber nein, er soll in Blei, Lithium und Kobalt gebunden werden, in eine Art nationale Energiesparbüchse, die nach wenigen Jahren wieder im Recycling landet – wenn es denn Recycling gäbe.

Und wehe, es dauert keine Nacht, sondern zehn Tage. Eine Dunkelflaute! Ein apokalyptisches Szenario, das unsere Politiker gerne wie ein Gespenst an die Wand malen, um gleichzeitig zu versichern, dass man schon irgendetwas erfinden werde. Zehn Tage? 2,4 Billionen Euro. Man muss schon sehr viel Märchensteuer kassieren, um diesen Betrag schönzureden.

Schwergewichtige Träumereien

Die Batterien für eine einzige Nacht wiegen 2,4 Millionen Tonnen. Das entspricht etwa 24.000 vollbeladenen Güterzügen oder einem sehr schlecht gelaunten Elefanten pro Einwohner. All das, nur um im Januar die Wärmepumpen brummen zu lassen und die Ladestationen für die Teslas nicht kaltzustellen.

Und das Beste: Batterien sind keine Kraftwerke. Sie erzeugen nichts, sie speichern nur. Ein gigantisches Tupperdosen-Syndrom: Erstmal muss man die Dose füllen, bevor man sie wieder leeren kann. Nur woher kommt der Strom, der dort hineingepresst werden soll? Von Wind und Sonne, die sich gerade rar machen? Oder doch wieder aus der guten alten Braunkohle, die im Hintergrund noch immer ihre schwarze Zunge hebt?

Deutsche Ingenieursromantik – der Traum vom Perpetuum Mobile

Ach, die Deutschen und ihre Technik! Nichts lieben sie mehr, als die Vorstellung, mit einem Schaltplan die Weltordnung auf links zu drehen. Der „deutsche Ingenieur“ ist eine mythische Figur, irgendwo zwischen Goethe und Gott, der mit Zirkel und Rechenschieber Wunder vollbringt. Wir haben die Glühbirne nicht erfunden, aber dafür den Dieselmotor perfektioniert – und gleich mit einer eleganten Software zur Schummelabgasprüfung versehen. Wir haben Autos gebaut, die angeblich „Freude am Fahren“ bereiten, und jetzt bauen wir Batterien, die Freude am Scheitern garantieren.

In dieser Ingenieursromantik liegt der Glaube verborgen, dass sich Naturgesetze durch kluges Tüfteln überlisten lassen. Dunkelflaute? Kein Problem, wir entwerfen einfach eine „smarte Lösung“. Eine Nacht ohne Wind und Sonne? Ach was, wir „optimieren“ das Netz. Physik wird in Deutschland nicht mehr als harte Realität begriffen, sondern als Störfaktor, der mit genügend Bürokratie, Subventionen und Normen schon weichgeklopft werden kann.

So träumt der deutsche Ingenieur von einem gigantischen Speicherpark, einem technoiden Märchenschloss aus Lithium und Kobalt, das die Nacht zum Tage macht. Und wenn’s nicht funktioniert? Dann lag es nicht an der Idee, sondern an der „mangelnden Akzeptanz der Bevölkerung“. Ingenieursromantik ist eben wie eine Eheberatung: Schuld sind immer die anderen.

Die Halbwertszeit der Hoffnung

Batterien sind empfindliche Wesen. Sie altern, sie verfallen, sie verlangen Pflege und Ersatz. Alle paar Jahre muss man die gesamte kostspielige Armada von Millionen Tonnen Material erneuern. Man stelle sich die deutsche Logistik vor: Container über Container, beladen mit Lithium-Zellen, gefertigt unter chinesischem Kohlefeuer, verschifft über Weltmeere, nur um am Ende mit deutschen Idealistenfantasien gefüllt zu werden.

Es ist, als wolle man einen Marathon laufen und sich dabei ausschließlich von Zuckerwatte ernähren. Süß, bunt, verspielt – und vollkommen ungeeignet, den Körper am Laufen zu halten.

Der moralische Hochmut der Energiewende – Deutschlands neue Religion

Deutschland hat die Religion der Zukunft gefunden: die Energiewende. Wo früher Heilige verehrt wurden, stehen nun Windräder wie gotische Kathedralen in der Landschaft, ihre Flügel kreisen im Takt des Glaubens. Solarpaneele glitzern wie Reliquien, und die Batterie gilt als Hostie einer klimaneutralen Zukunft.

In dieser neuen Kirche gilt eine zentrale Botschaft: Wir sind die Guten. Deutschland, das moralische Weltgewissen, wird es richten – koste es, was es wolle. Während andere Länder pragmatisch auf Kernkraft, Gas oder schlicht ökonomische Vernunft setzen, hält Deutschland seine moralische Fahne hoch und erklärt der Welt: „Seht her, wir schaffen das, auch wenn wir uns dabei ruinieren.“

Die Hybris dieser Haltung ist unübersehbar. Deutschland, das Land mit einem Anteil von zwei Prozent an den weltweiten CO₂-Emissionen, glaubt ernsthaft, die gesamte Erde rette sich, wenn man im Sauerland noch ein paar Windräder dazustellen und in Bayern jede Kuhweide mit Photovoltaik zupflastert. Es ist, als würde man im sinkenden Schiff verzweifelt das eigene Kabinenfenster schließen – und sich dafür als Retter der Titanic feiern.

Der moralische Hochmut kennt keine Grenzen: Wer an der Energiewende zweifelt, ist ein Ketzer, ein Klimaleugner, ein Häretiker der neuen Ökotheologie. Die Diskussion ist nicht technisch, nicht ökonomisch, nicht rational – sie ist sakral. Und genau deshalb darf sie auch Milliarden kosten, Ressourcen verschlingen und Illusionen nähren: Denn Glauben hat in Deutschland schon immer mehr gegolten als Vernunft.

Das Märchen von der Batteriereserve

Batterien sind gut für Sekunden. Vielleicht Minuten. Mit Glück für ein paar Stunden. Aber Nächte? Wochen? Monate? Das ist, als würde man ein Planschbecken als Löschteich für den Amazonasbrand deklarieren.

Die große Naivität, die in Deutschland herrscht, ist die Überzeugung, dass man technische und physikalische Realitäten durch Willensbekundungen und Bundesratsbeschlüsse außer Kraft setzen könne. Der deutsche Glaube an die Machbarkeit ist religiös geworden: ein Katechismus der Erneuerbaren, mit Windrad-Kapellen, Solarmodul-Messgewändern und Batterie-Heiligenbildern.

Und China lacht

Denn während Deutschland träumt, lacht China. Dort produziert man die Batterien – nicht mit Wind- und Sonnenstrom, sondern mit der schwarzen, dichten Energie der Kohlekraftwerke. Jede Kilowattstunde Batteriekapazität ist ein kleiner Kohlegeist, der beim Export gleich mitgeliefert wird. Deutschland bekommt die Batterie, China den wirtschaftlichen Vorteil, und das Weltklima den Ruß.

Es ist die große Pointe: Während man hierzulande glaubt, man rette die Welt mit batteriebetriebenen Energiestrategien, verlagert man schlicht die Emissionen auf einen anderen Kontinent. Eine Art moralischer Ablasshandel in Lithium-Form.

Schluss mit der Selbsttäuschung

Die Wahrheit ist banal und brutal: Batterien sind keine Lösung für Dunkelflauten. Sie sind ein Werkzeug für die Sekunden und Minuten, nicht für Nächte und Wochen. Wer anderes behauptet, verwechselt physikalische Realitäten mit politischem Wunschdenken.

Deutschland lebt im Traum einer Batterie-Fata Morgana. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Man kann die Physik nicht überlisten. Auch nicht mit Koalitionsverträgen, Bundestagsreden oder den ständigen Sonntagsreden über die „Zukunftsfähigkeit“ der Nation.

Was bleibt? Ein Land, das glaubt, sich durch Elektroalchemie unabhängig zu machen – und dabei Gefahr läuft, sich selbst in die energetische Sackgasse zu manövrieren.

Epilog: Die letzte Kilowattstunde

Am Ende bleibt die deutsche Energiewende ein paradoxes Schauspiel: ein Land, das die Physik mit Moral ersetzt, die Ökonomie mit Glaubensbekenntnissen und die Realität mit Excel-Träumereien. Batterien als Rettung für Dunkelflauten – das ist ungefähr so realistisch wie ein veganes Schnitzel, das die Kuh ersetzt, oder eine Gendersternchen-Debatte, die den Fachkräftemangel löst.

Deutschland blickt in die Dunkelheit, glaubt, sie mit Akkus füllen zu können – und merkt nicht, dass es längst dabei ist, Kerzen anzuzünden.