Wenn Luxus plötzlich „Arbeitsklima“ heißt

Fünfzigtausend Euro für zwei Tage Klausur – das ist kein Tippfehler, kein Zahlendreher, kein satirischer Kunstgriff, sondern die unverschämt nüchterne Realität eines politischen Wochenendes, das so viel gekostet hat wie ein Einfamilienhaus in der Provinz. Während der brave Bürger im Supermarkt die Sonderangebote für Aufschnitt jagt, gönnt sich die Regierung einen Kurzurlaub im Namen der „Arbeitsgespräche“. Man nennt es dann „intensive Beratungen“, was ungefähr so klingt, als hätte man aus purem Staatsnotstand die Büffetgabeln gezückt. Doch die wahre Kunst besteht darin, das Ganze mit einer Mischung aus salbungsvollen Pressemitteilungen und pseudodemokratischer Transparenz zu verbrämen: „Es war notwendig, um wichtige Projekte voranzubringen.“ Übersetzt bedeutet das: Ein Wochenende zwischen Flipcharts, Schokotörtchen und einem Weinangebot, das vermutlich teurer war als die Sozialhilfe für eine Kleinfamilie.

Die Regierung als Selbsthilfegruppe für Spesenritter

Es ist ein offenes Geheimnis, dass in politischen Tagungshotels die eigentlichen Debatten nicht im Konferenzraum stattfinden, sondern an der Dessertstation. Dort, wo sich die Sahnehaube der Macht mit dem Karamell der Selbstzufriedenheit vermählt. Zwischen glutenfreien Petit Fours und regionalem Ziegenkäse wird dann mit hingebungsvollem Ernst über die „Herausforderungen unserer Zeit“ gefachsimpelt. Gemeint ist freilich nicht die explodierende Miete oder die Frage, wie man mit einem Durchschnittseinkommen den Winter übersteht, sondern ob man für das nächste Mal eher ein Vier- oder ein Fünf-Sterne-Hotel buchen sollte. Und während draußen das Volk in Thermojacken seine Gasrechnung studiert, streitet man drinnen über die richtige Farbe für die PowerPoint-Folien.

Die olympische Disziplin des „Eh-wurschtismus“

Diese Bundesregierung – und, Hand aufs Herz, auch ihre Vorgänger – beherrscht eine Tugend, die in keinem Wahlprogramm steht: die hohe Kunst des „eh wurscht“. Was sind schon 50.000 Euro, wenn man jährlich Milliarden bewegt? Ein Tropfen im Steuerozean, ein Furz im Orkan, ein Peanuts-Krümel auf dem Konferenztisch. Genau in dieser Haltung liegt der eigentliche Skandal: die völlige Abstumpfung gegenüber Summen, die für Normalbürger das Ende aller Urlaubsträume bedeuten würden. Während eine Familie überlegt, ob sie sich den Kindergeburtstag im Indoorspielplatz noch leisten kann, zuckt ein Ministerialbeamter bei fünfstelligen Ausgaben für ein Wochenendseminar nur gelangweilt mit den Schultern – und bestellt noch eine Runde Apfelstrudel „fürs Teamgefühl“.

Der Steuerzahler: Dauer-Sponsor im Hamsterrad

Der Bürger, dieser unerschütterliche Finanzesel, darf das Spektakel natürlich bezahlen. Ohne Einladung, ohne Stimmrecht, aber mit einem Dauerauftrag ans Finanzamt. Sein einziger Trost: die trügerische Vorstellung, dass „irgendetwas“ von diesen Treffen ja wohl dem Land zugutekommen müsse. Doch was bleibt am Ende? Ein paar wolkige Absichtserklärungen, die beim nächsten Regierungsstreit ohnehin wieder in der Versenkung verschwinden. Für den Bürger hingegen bleibt die Erkenntnis, dass er nicht nur das Buffet, sondern auch den Weißwein bezahlt hat, mit dem sich die Mächtigen zuprosten, wenn sie sich gegenseitig zur „konstruktiven Zusammenarbeit“ gratulieren.

Politische Nachhaltigkeit à la carte

Die Regierung predigt Sparsamkeit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit, während sie mit Dienstlimousinen anrollt und sich im Öko-Hotel das Bio-Catering vergolden lässt. Man schiebt Quotenfrauen auf Podien und spricht von „solidarischer Gesellschaft“, während man in Wirklichkeit nur solidarisch mit dem eigenen Gaumen ist. Nachhaltig ist hier höchstens die Rechnung, die sich wie ein bleierner Schatten durch den Staatshaushalt frisst – und der moralische Kater, den niemand außer dem Steuerzahler auskurieren muss.

Schluss mit lustig – oder doch nicht?

Man könnte sich empören, demonstrieren, Petitionen starten. Doch die Praxis zeigt: Nach einem kurzen Aufflackern der Wut in den Kommentarspalten versiegt der Protest schneller, als die Regierung den nächsten Klausurtermin ansetzen kann. Und genau darauf baut man in den Ministerien: Empörung als kalkulierte Eintagsfliege. Während wir uns also an den Kopf fassen, planen die Verantwortlichen bereits das nächste „intensive Arbeitswochenende“ – vielleicht diesmal für 60.000 Euro, schließlich sind die Preise ja auch für Politiker gestiegen.

Epilog im Schatten der Quittung

Vielleicht ist das alles gar kein politischer Skandal, sondern ein psychologisches Experiment: Wie viel Verhöhnung verträgt ein Volk, das sich selbst für zu müde hält, um aufzubegehren? Die Antwort liefert jedes neue Tagungshotel, jeder neue Buffetbon, jede neue Rechnung. Und solange wir uns mit ironischem Schnauben begnügen, wird die Regierung weiter die goldene Regel befolgen:

Wenn schon alles wurscht ist, dann wenigstens mit Schokoladenglasur.

Esst nicht bei Juden!

Vorspeise: Empörung als All-you-can-eat-Buffet

Manchmal scheint es, als gäbe es in Deutschland kein größeres Nationalgericht als die Empörung. Kaum steht irgendwo ein Teller Hummus auf einem Berliner Tresen, erhebt sich ein Sturm aus moralischem Wohlgefallen. Mitten im Gaza-Krieg, so raunen die selbsternannten Tugendpatrouillen auf X und in den Kommentarspalten, will ein israelischer Starkoch ein Restaurant eröffnen. Skandal! Ein Affront gegen den Hunger der Welt! Man fragt sich, ob sich dieselben Stimmen je für die Zwangsarbeit in asiatischen Textilfabriken interessieren, während sie im neuen Seidenblouson am Laptop hocken und in empörtem Tremolo ihre Tweets absetzen.

Der Vorwurf lautet: Während Palästinenser hungern, darf ein Israeli kein Pita-Brot verkaufen. Dass Berlin voller syrischer, libanesischer, türkischer Restaurants ist, die selbstverständlich weiter Döner, Falafel und Baklava kredenzen, interessiert nicht. Es geht nicht um Logik, es geht um Haltung. Haltung nämlich, die sich am leichtesten aus der Ferne einnehmen lässt – dort, wo man sich nicht die Finger an tatsächlichen politischen Lösungen verbrennt.

Hauptgang: Die deutsche Sehnsucht nach der reinen Moral

Deutschland liebt seine moralischen Diäten. Nie schmeckt das Essen so gut, wie wenn man sich vorher die Speisekarte der eigenen Gewissensreinheit auswendig vorgesagt hat. Der Jude als Gastronom – welch herrliches Projektionsfeld! Hier lässt sich der postkoloniale Diskurs mit der nie ganz verdauten Schuldgeschichte zu einem neuen, aufregenden Smoothie mixen: ein Schuss Antiimperialismus, ein Spritzer Opferkonkurrenz, dazu ein ordentlicher Löffel Selbstabsolution.

Dass Eyal Shani als Koch vermutlich nichts anderes will, als Auberginen im Ofen zu rösten, ist nebensächlich. Für die moralische Veredelung der Debatte taugt er allemal besser als ein namenloser Gastronom. Wer braucht schon politische Analysen, wenn man ein Gesicht hat, das man mit der immer gleichen Anklage garnieren kann? Das Gericht der öffentlichen Meinung ist schnell zubereitet, billig und reichlich: Es serviert den alten Antisemitismus als „kritisches Bewusstsein“ und nennt das Ganze „Solidarität“.

Zwischengang: Die ZEIT als Küchenchef der Heuchelei

Und hier tritt die ZEIT auf den Plan – jenes ehrwürdige Blatt, das sich selbst gern als Leuchtturm der Aufklärung inszeniert. Kaum war der empörungsaffine Tweet veröffentlicht, der den israelischen Koch in eine moralische Mitschuld am Hunger in Gaza stellte, wurde er auch schon wieder gelöscht. Erst die Schlagzeile, dann der Rückzug – wie ein Restaurant, das verdorbenes Fleisch serviert und nach den ersten Lebensmittelvergiftungen hektisch die Speisekarte austauscht.

Dieses Manöver ist kein Akt von Verantwortungsbewusstsein, sondern ein Paradebeispiel für verantwortungslosen Journalismus: erst die kalkulierte Provokation, dann die feige Flucht vor der eigenen Courage. Wer einen antisemitisch codierten Tweet absetzt, ihn anschließend kommentarlos entfernt und auf stille Vergessenheit hofft, beweist nicht Sensibilität, sondern Zynismus. Man bedient das Ressentiment, um Klicks zu generieren – und zieht sich dann zurück, als hätte man nur versehentlich ein scharfes Gewürz ins Essen gestreut.

Das Ergebnis? Ein medialer Bumerang. Durch das Löschen wird der Text nicht etwa unsichtbar, sondern doppelt wirksam. Der Screenshot ersetzt das Original, und plötzlich ist die Frage nicht mehr: „Warum schreibt ihr so etwas?“, sondern: „Vertuscht ihr Antisemitismus?“ Genau darin liegt die eigentliche Geschmacklosigkeit: Die ZEIT, die sonst lautstark jede Form von Hass anprangert, schafft selbst die Schlagzeile, vor der sie später feierlich warnt.

Dessert: Der bittere Nachgeschmack der Doppelmoral

Die Farce liegt offen zutage. Ein Israeli will ein Restaurant eröffnen – und plötzlich wird er zum geopolitischen Akteur, dessen Pita für den Hunger in Gaza verantwortlich gemacht wird. Man stelle sich vor, wir würden denselben Maßstab anlegen, wenn ein syrischer Koch in Berlin ein Lokal eröffnet, während in Idlib Bomben fallen. Oder ein russischer Bäcker während des Krieges in der Ukraine. Aber dort fehlt der uralte Resonanzboden, der Antisemitismus heißt.

Die Pointe ist so alt wie abgenutzt: Ausgerechnet in Deutschland, wo man sich gern als Musterland der Vergangenheitsbewältigung präsentiert, ist der jüdische Wirt wieder Projektionsfläche für globale Krisen. Es ist die Neuauflage eines uralten Rezepts: Man nehme die reale Not anderer, rühre eine Prise israelischer Schuld hinein und serviere das Ganze als moralisch einwandfreies Entrée. Dass Antisemitismus dabei nicht nur durch die Hintertür, sondern durch die breite Flügeltür hereinspaziert, wird mit einem freundlichen Nicken ignoriert – bis er sich, wie bei der ZEIT, plötzlich ungebeten auf der Startseite wiederfindet.V

Verdauungsschluss: Ein Appell ans Geschmacksempfinden

Was also tun? Ganz einfach: Geht essen. Überwindet den Reflex, den Koch für den Krieg verantwortlich zu machen. Erkennt den Unterschied zwischen einer Regierung und einem Gastronomen, zwischen einem Staat und einem Menschen, der Auberginen liebt. Boykott ist keine Moral, sondern Faulheit, getarnt als Prinzip.

Und Medien, die sich als moralische Instanz verstehen, sollten lernen, dass Antisemitismus nicht weniger giftig wird, wenn man ihn nachträglich löscht. Verantwortlicher Journalismus heißt, solche Texte gar nicht erst zu veröffentlichen – und nicht, den Dreck nach dem Dessert hastig unter den Teppich zu kehren.

Wer in Berlin Eyal Shanis Restaurant meidet, weil irgendwo Bomben fallen, isst nicht politisch, sondern heuchlerisch. Die Pointe dieser Farce liegt nicht auf dem Teller, sondern im Spiegel. Und der zeigt: Wir alle sind hungrig – nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach der süßen, billigen Sättigung, die nur moralische Überheblichkeit verschaffen kann.

Also: Esst bei Juden. Esst bei Arabern. Esst bei wem ihr wollt. Aber vor allem – esst eure eigenen Vorurteile auf, bevor ihr euch anmaßt, anderen das Brot aus der Hand zu schlagen.

Jüdische Künstler gerne, aber bitte keine Lebenden

Man könnte fast glauben, wir hätten es hier mit einem neuen Genre der europäischen Festivalpolitik zu tun: ein Genre, das sich irgendwo zwischen kafkaesker Bürokratie, absurdem Theater und der wohlmeinenden Moralfalle bewegt, die sich geradewegs in die Hosentasche unserer aufgeklärten Gesellschaft geschlichen hat. Denn was sonst sollte man von der plötzlichen Absage eines hochkarätigen Orchesters erwarten, wenn der Grund darin besteht, dass der Dirigent, dieser lebendige, atmende Jude namens Lahav Shani, ein paar Tonleitern zu oft in Tel Aviv geübt hat? Das Flanders Festival Gent hat hier, im Geiste postmoderner Tugend, eine neue, bislang ungekannte Form des kulturellen Antisemitismus erfunden: jenen, der nicht auf Hakenkreuze und Verbote setzt, sondern auf subtile, ironische Distanzierung – „Jüdische Künstler ja, aber bitte keine Lebenden“.

Hier wird auf beeindruckende Weise demonstriert, dass moralische Überlegenheit keine Frage des Denkvermögens ist, sondern der Fähigkeit, Widersprüche zu produzieren, die so tief sind, dass sie in jedem gut gefüllten Festivalprospekt glänzen. Einerseits liebt man die Werke jüdischer Künstler – Mendelssohn, Mahler, Bernstein –, solange sie in der Vergangenheit liegen, gerne auch auf Vinyl, idealerweise tot, denn Tote sind loyal, kompromisslos und machen keine unangebrachten Statements zu aktuellen politischen Konflikten. Lebendige Juden hingegen, so scheint es, sind höchst verdächtig: Sie könnten womöglich, gottbewahre, eine Meinung haben, die den eigenen Tugendkodex irritiert.

Virtuose Moral, frei Haus geliefert

Man könnte sagen, dass dies ein Triumph der virtuosen Moral ist, jener Fähigkeit, komplexe ethische Ansprüche zu erheben, ohne den geringsten Hauch von Verantwortung für deren Konsequenzen zu übernehmen. Lahav Shani, Jahrgang 1989, Dirigent von Weltklasse, ist also nun zum Inbegriff des moralischen Problems geworden, und weil er zufällig in Tel Aviv geboren wurde. Wäre er in Prag geboren, in Paris oder in Peking, hätte niemand Notiz von ihm genommen – der wahre Feind ist offenbar nicht die Politik, sondern die Existenz selbst: jüdisch, lebendig, virtuos.

Hier öffnet sich das große Kabinett der Heuchelei: Man fordert Klarheit über eine „Haltung gegenüber dem genozidalen Regime“, eine Formulierung, die so großspurig, so geschmackvoll polemisch ist, dass sie als literarisches Zitat durchaus Bestand haben könnte. Dabei vergisst man nur ein kleines Detail: Man kann nicht gleichzeitig fordern, dass Künstler moralische Verantwortung übernehmen, und sie gleichzeitig nach Herkunft und Geburt sortieren. Das ist, als würde man von einem Apfelbaum verlangen, dass er nur Äpfel ohne Kerne liefert, während man gleichzeitig die Blätter kritisiert.

Die Ironie der Boykottkultur

Und so sind wir in einer Welt angekommen, in der Boykott nicht mehr als politisches Instrument, sondern als Lifestyle-Accessoire fungiert. Auf Biennalen, in Hollywood, auf Festivals – überall wird das Urteil gefällt, dass bestimmte Künstler nicht eingeladen werden, weil sie die falsche nationale Herkunft haben oder die falsche Meinung haben könnten. Hunderte Schauspieler fordern den Boykott israelischer Filminstitutionen, als handele es sich um eine Modekampagne gegen schicke Schuhe, während man selbst den neuesten moralischen Egotrip auf Instagram postet. Man könnte fast Mitleid mit diesen moralisch Aufgeladenen haben, wenn ihre Ironie nicht so absolut tödlich wäre: Sie boykottieren nicht nur Musik, sie boykottieren die Realität, die Vielfalt, ja im Grunde genommen das Leben selbst.

Ein Toast auf die Toten

Vielleicht ist die Lösung dieses Dilemmas so einfach wie makaber: Wir müssen einfach nur warten, bis alle genialen jüdischen Künstler tot sind. Dann können wir sie bedenkenlos bewundern, in Konzerthäusern feiern, auf Poster drucken und ihre Werke analysieren – ganz ohne die peinliche Unbequemlichkeit, dass sie vielleicht eine politische Meinung vertreten, die uns stört. Tote Juden sind loyal. Tote Juden sind konfliktfrei. Tote Juden passen in jede moralische Schublade. Und solange wir das akzeptieren, kann das Festival seine ethische Reinheit bewahren, während die Philharmoniker verzweifelt versuchen, eine Einladung zu bekommen, die immer wieder verweigert wird – nicht wegen ihres Könnens, sondern wegen der Geburt eines Dirigenten.

Epilog der Absurdität

So stehen wir nun also da, zwischen Kant und Kafka, zwischen Moral und Absurdität, applaudieren der Kunst der Toten und ignorieren die Realität der Lebenden. Die Botschaft ist klar, die Ironie schneidend, und der Humor, wenn man ihn als solchen erkennen mag, bitter-süß: In einer Welt, die ständig vorgibt, für Gerechtigkeit zu kämpfen, wird die größte Ungerechtigkeit manchmal von jenen begangen, die am lautesten moralisch empört sind. Jüdische Künstler – ja, aber bitte nur, wenn sie nicht sprechen, nicht spielen, nicht leben.

Die Kugel und das Echo

Es ist eine alte, traurige Binsenweisheit, dass eine Kugel immer mehr trifft als nur Fleisch und Knochen. Sie durchbohrt Gespräche, Freundschaften, Meinungen, sie zerfetzt das feine Gewebe öffentlicher Debatte, bis nicht mehr der Schuss, sondern das widerhallende Raunen den eigentlichen Schaden anrichtet. Als also ein gewisser Charlie Rick – ein Name wie aus einer Karikatur gezogen, halb Cartoon-Cowboy, halb Nachbar von nebenan – sich den Luxus leistete, mit anderen Meinungen zu diskutieren, und dafür den finalen Preis in Form eines bleiernen Projektils entrichtete, stellte sich sogleich jene Frage, die in Zeiten der moralischen Hochkonjunktur immer wie von selbst auf den Tisch springt: Wer vergiftet eigentlich mehr? Der Mann, der redet, oder die Meute, die nach seinem Tod Beifall klatscht? Der Provokateur, der austeilt, oder die Tugendbataillone, die sich am blutigen Ende laben wie an einem besonders würzigen Aperitif?

Natürlich ist diese Frage nicht neu. Neu ist nur, dass sie in den sozialen Arenen, die wir einst „Netzwerke“ nannten, heute mit der Eleganz einer Kneipenschlägerei diskutiert wird. Charlie Rick mag tot sein, aber sein digitales Nachleben lebt von Retweets, wüsten Memes und dieser eigentümlichen Mischung aus moralischer Entrüstung und hämischer Freude, die man früher nur von mittelalterlichen Marktplätzen kannte, wenn man wieder einmal jemanden öffentlich an den Pranger band, um sich anschließend über die Rohheit der Menge zu beklagen.

Der Märtyrer wider Willen

Charlie Rick – oder wie man ihn in den algorithmischen Katakomben auch nennen mag – war kein Heiliger, kein klassischer „Guter“. Er war, nach allem was man hört, ein notorischer Diskutant, ein Störenfried, ein Freund der steilen These. Jemand, der sich die selten gewordene Freiheit nahm, nicht jedem moralischen Wetterbericht zu folgen. Einer, der auch dann noch widersprach, wenn sich die Mehrheit längst mit der Bequemlichkeit des Konsenses eingerollt hatte. Kurz: ein Mensch, und damit in unserer Epoche der hyperventilierenden Empfindlichkeiten schon fast ein Anachronismus.

Das Paradoxe an solchen Figuren ist, dass sie erst durch ihr gewaltsames Ende in jene strahlende Sphäre gelangen, in der sie zum Symbol werden können. Vorher sind sie lästig, danach sind sie wahlweise Helden oder Hassobjekte – manchmal beides zugleich. Die Kugel, die Charlie Rick traf, war deshalb weniger eine Tatwaffe als ein Brandbeschleuniger. Sie verwandelte einen Diskutanten in einen Märtyrer wider Willen und eröffnete den moralischen Jahrmarkt, auf dem sich nun alle tummeln: die Trauernden, die Hasser, die Trittbrettfahrer, die Zyniker.

Die fröhliche Empörungsgesellschaft

Besonders pikant ist das Schauspiel der freudigen Reaktionen. Kaum war die Nachricht von Ricks Tod publik, da rauschten die Kanäle über mit jener galligen Mischung aus Schadenfreude und moralischer Selbstvergewisserung, die unsere Gegenwart so unverwechselbar macht. Man klatscht, aber man klatscht natürlich „aus Prinzip“. Man spuckt auf das Grab, doch man versieht den Post mit einem Zwinkersmiley, damit niemand behaupten kann, man sei herzlos. Die neue Grausamkeit tarnt sich als Satire, der Zynismus als notwendige Konsequenz.

Ist das noch freie Meinungsäußerung oder bereits eine Art seelischer Leichenschändung? Wer in diesen digitalen Fegefeuern unterwegs ist, merkt schnell, wie dünn die Trennlinie verläuft. Die gleiche Gesellschaft, die jeden Fauxpas mit moralischem Furor geißelt, gönnt sich plötzlich einen kollektiven Amoklauf der Gefühle, sobald der Gegner am Boden liegt. Man ruft nach „Anstand“ und „Respekt“ – aber nur solange, bis die richtige Leiche geliefert wird. Dann knallen die Sektkorken der Schadenfreude.

Wer vergiftet wen?

Und hier kehrt die Ausgangsfrage wie ein Bumerang zurück: Wer spaltet mehr – derjenige, der streitbar war, oder die Menge, die auf seinen Tod reagiert?             
Charlie Rick hat gestritten, provoziert, polarisiert – gewiss. Aber er hat immerhin gesprochen. Worte, so ungeschliffen sie auch sein mögen, lassen sich entkräften, diskutieren, ignorieren. Eine Kugel hingegen ist das Ende aller Debatte. Und die hämischen Jubelrufe danach sind nichts anderes als geistige Folgeschüsse, die noch lange hallen, nachdem der Körper bereits kalt ist.

Vielleicht liegt die größere Vergiftung nicht im Streit, sondern in der selbstgerechten Euphorie, mit der man glaubt, das Problem „ein für alle Mal“ gelöst zu haben. Wer den Tod eines Gegners feiert, erklärt nicht nur dessen Argumente für null und nichtig, sondern entwertet auch die eigene Moral. Das Gift, das hier verteilt wird, sickert langsam in den Boden der Gesellschaft – und irgendwann wächst daraus nur noch Misstrauen, Zynismus und das wohlig-faule Gefühl, dass Gewalt eben doch eine Form von „Antwort“ sein kann.

Epilog: Ein Toast auf den Zweifel

Vielleicht ist die einzig ehrliche Haltung in diesem ganzen Trauerspiel die des zweifelnden Beobachters. Jener Figur, die nicht in den Chor der moralischen Sieger einstimmt, sondern sich die unbequeme Frage stellt, warum wir überhaupt so süchtig nach den Dramen der anderen geworden sind. Vielleicht ist der wahre Skandal nicht, dass ein Mann wegen seiner Worte starb, sondern dass wir im Tod anderer immer nur den Anlass für unser eigenes moralisches Entertainment sehen.

Charlie Rick ist tot. Seine Gegner klatschen, seine Anhänger trauern, die Welt scrollt weiter. Und irgendwo dazwischen, in dieser giftigen Melange aus Hass und Heiterkeit, sitzt der Zweifel und nippt an einem Glas abgestandener Vernunft. Vielleicht sollten wir ihm zuprosten – nicht aus Freude, sondern aus der leisen Hoffnung, dass er uns noch ein Weilchen erhalten bleibt.

Macrons Ballett der Verzweiflung

Frankreich: Der 10. September war eine vielversprechende Generalprobe

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sich hartnäckig für die Reinkarnation von Jupiter hält, stolperte am 10. September über eine altbekannte französische Spezialität: den Volkszorn. Der Mann, der glaubt, Politik sei eine Mischung aus PowerPoint-Folien und Investmentbanker-Sprech, musste mit ansehen, wie Hunderttausende Franzosen die Straßen füllten – nicht, um seine „Reformen“ zu beklatschen, sondern um ihm symbolisch den Mittelfinger zu zeigen.

Es war die Stunde, in der Macron einmal mehr bewies, dass er zwar glänzend darin ist, milliardenschwere Steuererleichterungen für Reiche durchzuprügeln, aber hoffnungslos überfordert, sobald ein paar Schüler:innen beschließen, ihre Schule mit einer Mülltonne zu blockieren. Ein Jupiter, der vor Teenagern und Müllsäcken zurückweicht – die griechischen Götter würden vor Lachen von ihren Wolken fallen.

80.000 Polizisten gegen eine Nation – eine Reality-Show der Peinlichkeit

Innenminister Bruno Retailleau, der sich offenbar sein Weltbild in einem feuchten Keller voller Überwachungskameras zusammenbastelt, ließ 80.000 Polizisten, Gendarmen, Drohnen und sogar Panzerfahrzeuge auffahren. 80.000! Eine Zahl, bei der man denkt, Frankreich habe sich auf eine Invasion von Marsmenschen vorbereitet – nicht auf Streikposten vor einem Amazon-Lager.

Die Szene hatte die Ästhetik einer Reality-Show, nur dass die Kandidaten keine Influencer waren, sondern uniformierte Ordnungshüter, die verzweifelt versuchten, Jugendliche am Verteilen von Flugblättern zu hindern. Währenddessen roch Paris nach Tränengas wie nach einem schlecht belüfteten Schnellimbiss. Am Ende stand die Polizei da wie eine Clownstruppe, die zwar das Zirkuszelt anzündet, aber vergisst, dass die Manege draußen weitergeht.

Streikposten als nationale Folklore

Und so wurden die Streikposten unfreiwillig zur eigentlichen Pointe. Die Regierung wollte sie zerschlagen – und verlieh ihnen dadurch erst recht mythischen Glanz. Airbus in Toulouse, Raffinerien in Le Havre, Energieposten in ganz Frankreich: jede dieser Stationen war weniger ein Ort der Arbeitsniederlegung als vielmehr eine Pilgerstätte für den heiligen Geist der Revolte.

Man stelle sich vor: Macron sitzt im Élysée-Palast, nippt an einem überteuerten Espresso, und draußen blockieren ein paar Eisenbahner:innen mit Warnwesten die Schnellstraße – und gewinnen dadurch mehr moralische Autorität als zehn Regierungserklärungen im Parlament. Es ist, als würde ein paar Schaufeln Sand den ganzen Getriebeapparat des neoliberalen Hochglanz-Frankreichs lahmlegen.

Frankreich als das Land, das sich weigert, brav zu sein

Während in Deutschland Streiks mittlerweile nach dem Prinzip „bitte nicht zu laut, wir wollen niemanden aufregen“ ablaufen und man sich in den USA nur fragt, wie viele Milliarden Dollar Schaden ein Streiktag wohl den Aktionären zufügt, kultiviert Frankreich weiterhin die noble Kunst des kollektiven Ärgers. Frankreich ist nicht einfach ein Land, es ist ein permanenter Wutanfall mit Baguette.

Und Macron, der sich selbst gern als Manager einer modernen Nation inszeniert, sitzt dabei auf dem Schleudersitz eines Landes, das von seinen Bürger:innen lieber lahmgelegt wird, als dass es sich von oben herab diktieren lässt. Kurz: Frankreich lässt sich nicht „modernisieren“. Frankreich modernisiert lieber seine Barrikaden.

Der 18. September – Endspiel oder nur die Ouvertüre?

Was also bringt der 18. September? Vielleicht das, wovor Macron am meisten Angst hat: dass die Bevölkerung begreift, wie viel Macht sie eigentlich hat, wenn sie einfach aufhört, mitzuspielen. Dann könnte aus dem Generalstreik schnell mehr werden als eine Randnotiz im Kalender – dann könnte er zur Abrechnung mit einem Präsidenten werden, der längst in seiner eigenen Hybris ertrinkt.

Am Ende ist die Pointe einfach: Macron wollte Jupiter sein, und jetzt steht er da wie ein leicht überforderter Animateur im Club Med, der vergeblich versucht, die Tanzfläche zu füllen. Das französische Volk aber tanzt längst – nur eben nicht nach seiner Pfeife.

Zwei Apostel im Wirtschaftsnebel

Wenn der deutsche Geist sich anschickt, seine eigenen Totengräber mit Orden auszuzeichnen, dann tauchen aus den Nebeln der Talkshows stets dieselben Silhouetten auf: Marcel Fratscher und Patrick Graichen. Zwei Namen wie zwei klingende Münzen – dieselbe Währung, nur unterschiedliche Prägung. Der eine flötet in den Kathedralen der Ökonomie von sozialer Gerechtigkeit und Investitionslust, als ließe sich die Welt durch Konjunkturprogramme in einen Kindergarten aus Wattebäuschen verwandeln; der andere zimmert als Energiewender der Nation an jenem windschiefen Experimentierbau, der sich Stromnetz nennt, während draußen die letzte Grundlast verglimmt. Sie lächeln milde, dozieren wohltemperiert, sprechen von „Transformation“ und „Resilienz“, Begriffe, die so geschmeidig klingen, dass man beinahe vergisst, dass hinter ihnen nichts anderes steckt als die frohe Botschaft des permanenten Mangels – freilich „nachhaltig“ verpackt. Zwei Männer, zwei Institute, ein Ziel: den deutschen Untergang als Masterplan zu verkaufen, so seriös, dass selbst der Bundesadler auf dem Reichstag die Schwingen hängen lässt.

Das große Boomer-Paradox

Doch wer hat sie hervorgebracht, diese neuen Hohepriester der grün schimmernden Schrumpfungsreligion? Hier betritt eine Generation die Bühne, die man lange für den Triumph des Pragmatismus hielt: die Boomer. Jene geburtenstarken Jahrgänge, die nach dem Krieg den Schutt beiseiteräumten, dann aber mit geradezu gieriger Lust jedes neue Sofa des Wirtschaftswunders ausprobierten. Es waren sie, die die Wiedervereinigung nicht nur bejubelten, sondern auch bezahlten – mit Steuern, Solidaritätszuschlägen und einer Geduld, die man heute fast für stoisch halten könnte, wäre sie nicht so bequem gewesen. Denn während sie brav Überstunden schoben, um den Osten zu sanieren, wuchsen in den Hörsälen der Republik jene Geisteskinder heran, die nun in Talkshows als „Experten“ auftreten und mit der Autorität eines selbstgezogenen Bonsais den Wald der deutschen Vernunft stutzen. Fratscher und Graichen verdanken ihre akademischen Meriten genau jenen Steuergroschen, die die Boomer in treuherziger Staatsfrömmigkeit ablieferten – in der Annahme, sie finanzierten damit die Zukunft, nicht ihre eigene Demontage.

Von der Butterseite zur Brötchenkruste

Es liegt eine ironische Poesie darin, dass ausgerechnet jene Generation, die sich stets auf der Butterseite des Lebens wähnte, nun in der mageren Gegenwart das Brötchen ohne Belag serviert bekommt. Die Boomer wollten Fortschritt, aber bitte mit Eigenheim und drei Urlaubsreisen im Jahr; sie wollten Gerechtigkeit, aber ohne radikale Experimente; sie wünschten sich kluge Köpfe in den Universitäten, die dereinst das Land lenken, aber bloß nicht in die eigene Rente hineinpfuschen. Nun sehen sie zu, wie ihre gelehrten Ziehkinder den Kapitalismus als Klimasünde denunzieren und die Grundlastkraftwerke in museale Ausstellungsstücke verwandeln. Das ist der tragikomische Kern der Boomertragödie: Sie zahlten den Preis für eine Zukunft, die ihnen nun erklärt, dass ihre Vergangenheit ein Fehler war.

Talkshow-Feuerwerke und die Kunst des gepflegten Untergangs

Dass Fratscher und Graichen ihre Thesen in sonntäglichen Fernsehpanoramen ausbreiten, gehört zum Ritual der Gegenwart. Fratscher, stets sanft wie ein öffentlich-rechtlicher Wetterbericht, beschwört den Staat als allheilendes Dauerinfusionsgerät, während Graichen mit dem stoischen Lächeln eines Thermodynamikers erklärt, dass es zwar „Herausforderungen“ gebe, aber keine Alternative zum grünen Holzweg. Der Untergang, so die leise Botschaft, soll uns nicht erschrecken, sondern erziehen. Deutschland wird nicht fallen – es wird „transformiert“, was ungefähr so beruhigend klingt, wie wenn der Zahnarzt vor dem Bohren von einer „kurzen Maßnahme“ spricht.

Der Schlussakkord: Eine Generation erntet, was sie säte

Und so stehen wir nun da, mitten in einer Republik, die sich selbst für moralisch überlegen hält, während sie wirtschaftlich den Rückwärtsgang einlegt. Die Boomer, die einst mit Fleiß und Steuerkraft den Grundstein für Fratschers Studien und Graichens Energieträume legten, sitzen heute in Eigenheimen, die demnächst von Wärmepumpen bevormundet werden, und wundern sich über Strompreise, die sie selbst mitfinanziert haben. Vielleicht ist das die eigentliche Pointe dieser deutschen Tragikomödie: dass der Untergang nicht von äußeren Feinden kommt, sondern aus den Hörsälen und Thinktanks, die wir selbst so großzügig alimentierten. Fratscher und Graichen sind nicht die Ursache, sondern das Symptom. Die Boomer aber – ach, ihr guten Menschen mit euren Sparbüchern und eurer Pflichtmoral – ihr habt die Rechnung längst bezahlt, noch bevor ihr die Quittung lesen konntet.

Sender Gleiwitz getroffen?

Ein nächtlicher Zwischenfall, der keiner sein darf

Es war wieder eine dieser Nächte, in denen der Himmel über Osteuropa nicht von Sternen, sondern von fliegenden Baumarktartikeln aus iranischer Fertigung erhellt wird. Shahed-Drohnen – die IKEA-Regale der modernen Kriegsführung, nur ohne Aufbauanleitung und Rückgaberecht – durchpflügten den polnischen Luftraum. Neunzehn Mal, so ließ man uns wissen, sei die unsichtbare Grenze durchbohrt worden. Neunzehn Mal also dieser kleine, scharfe Stich ins nationale Selbstbewusstsein, begleitet von der gebetsmühlenhaften Versicherung, dass „alle Verfahren ordnungsgemäß funktioniert haben“. Ein Satz, so steril wie die Verpackung von OP-Besteck, aber ebenso wenig dazu geeignet, den Blutdruck einer Nation zu senken, die ihre geografische Position seit Jahrhunderten als ein zwischen Amboss und Hammer gelegtes Brettchen erfährt.

Natürlich, nichts sei geschehen, außer eben dass etwas geschah. Keine Toten, kein brennendes Warschau, kein Donnerschlag der Katastrophe. Nur das Gespenst des Krieges, das seit Februar 2022 mit viel zu realem Atem durch die Flure weht, nun auch über die Weichsel hinweg. Und während die Luftsirenen heulen, beruhigen uns Ministerpräsident, Staatspräsident und Verteidigungsminister im Chor wie eine schlecht geprobte Kirchenkapelle: „Alles in Ordnung, keine Panik, die Verfahren, die Verfahren!“ – als ob die Verfahren, diese wundersamen Automaten des Staates, kugelsicher seien, raketenfest und mit moralischer Autorität ausgestattet.

Historische Déjà-vus und andere Démonstrationen

„Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg stand Polen so nahe an einem offenen Konflikt“, ließ der Premier verlauten. Welch eine Bemerkung! Man möchte den Stenographen bitten, hier die ironische Fußnote einzutragen: Siehe 1939, siehe Gleiwitz. Denn was ist Geschichte anderes als eine Revue von Wiederholungen in immer neuen Kostümen? Gleiwitz war ein fingiertes Radiogeknatter, ein PR-Stunt im Maßanzug der Wehrmacht, um das „Zurückschießen“ zu begründen. Heute, im Zeitalter der Drohnen, ist das Theater nicht weniger durchschaubar, nur eben technisiert. Damals ging man mit Leichen in polnischen Uniformen auf Sendung, heute reicht eine surrende Blechkiste aus Fernost, um die diplomatische Pulsuhr in den roten Bereich zu treiben.

Dass Tusk, der Pragmatiker aus Brüssel, den Vergleich zum Krieg der Kriege wagt, ist einerseits ein rhetorischer Taschenspielertrick, andererseits auch ein Symptom jener kollektiven Angst, die sich durch das Land frisst wie Holzwürmer durch das Parkett der Nationalgeschichte. Der „September-Schock“ sitzt tief im polnischen Gedächtnis. Man muss kein Freud sein, um zu erkennen, wie jede Grenzverletzung sofort zur Neuauflage einer nationalen Trauma-Serie wird: Staffel 1939, Staffel 1944, Staffel 1981. Und nun, willkommen zu Staffel 2024, präsentiert von Shahed und gesponsert von Gazprom.

Verfahren, Formeln, Versprechen – oder: Die Illusion der Kontrolle

Doch bleiben wir einen Moment bei diesem köstlich bürokratischen Satz: „Alle Verfahren haben ordnungsgemäß funktioniert.“ Es ist die Art von Beruhigung, die nur in Amtsstuben erfunden werden kann, wo der Krieg stets als Formular erscheint, nie als Granatsplitter. Man stellt sich vor, wie die Beamten mit Lineal und Stempel bewaffnet an der Grenze stehen: „Drohne, bitte hier den Antrag auf Luftraumverletzung einreichen. Dreifach ausgefüllt, mit Durchschrift für die NATO.“ Und während draußen Metall regnet, sitzt drinnen ein Jurist und nickt zufrieden: alles nach Vorschrift, alles im Verfahren, alles in bester Ordnung.

Doch das Volk, diese notorisch unvernünftige Größe, hört das anders. Für den Bürger, der die Sirene hört, heißt „Verfahren“ nicht, dass er ruhig schlafen darf. Für ihn bedeutet es: Irgendwo in einem fensterlosen Keller sitzt jemand und hakt Kästchen ab, während über seinem Haus etwas summt, das explodieren könnte. Die Bürokratie als Sicherheitskonzept – es ist, als würde man im brennenden Theater auf die Einhaltung der Brandschutzordnung verweisen, statt den Notausgang aufzusperren.

Zwischen NATO-Schirm und historischer Nacktheit

Natürlich, der große Trost heißt NATO. Artikel 5, das magische Schutzschild, der vermeintliche Stahlhelm, unter dem Polen sich kauert wie ein Kind unter der Bettdecke. Doch die Frage bleibt: Wird dieser Artikel wirklich so fest stehen, wenn eine Drohne tatsächlich trifft, wenn es nicht nur um Luftraumverletzung, sondern um Rauch und Schutt geht? Oder wird man sich dann in Washington, Berlin und Paris auf die semantischen Feinheiten zurückziehen: War es ein Angriff? Ein technisches Versehen? Ein plausible deniability-Manöver, wie es die Russen so gern in Serie produzieren?

Die bittere Wahrheit: Polen ist zwar NATO-Mitglied, aber es bleibt, geografisch betrachtet, das immergleiche Vorzimmer des Ostens, das Pufferland, das seit Jahrhunderten von fremden Armeen als Durchgangszimmer benutzt wird. Die Drohnen fliegen nicht nur durch die Luft, sie fliegen durch das kollektive Gedächtnis – und erinnern daran, dass kein Bündnis die nackte Angst vor dem Déjà-vu vertreiben kann.

Epilog mit Augenzwinkern

Man könnte sich fast wünschen, es bliebe bei diesen Drohnenüberflügen, bei den Verfahren, die funktionieren, bei den Kanzleien, die Listen führen. Denn die Alternative hieße, dass die Geschichte wieder in Farbe und Blut auf die Bühne tritt – und wir alle wissen, wie schlecht sie in den Hauptrollen besetzt ist. Vielleicht ist die größte Pointe, dass wir den Ausdruck „Sender Gleiwitz“ inzwischen nur noch aus Geschichtsbüchern kennen, während sich die Gegenwart ihre eigenen Inszenierungen sucht: nicht mehr ein fingiertes Radiostudio, sondern eine surrende Drohne über der Weichsel.

Die Ironie des Ganzen? Vielleicht wird man in dreißig Jahren Schülern erklären müssen, dass 2024 die Welt an der Grenze zu Polen stand und es fast wieder so weit gewesen wäre – und man wird, wie immer, hinzufügend sagen: „Aber die Verfahren, Kinder, die Verfahren! Die haben ordnungsgemäß funktioniert.“

24 Jahre nach 9/11

… und was neben den Twin Towers von den USA noch so in Schutt und Asche gelegt wurde

Vierundzwanzig Jahre sind vergangen, seit die Bilder des brennenden World Trade Centers um den Globus flimmerten und in die kollektive Retina gebrannt wurden. Ein Ereignis, das sich in die Menschheitsgeschichte einfügte wie ein rostiger Nagel ins Herz einer Holzpuppe: hässlich, schmerzhaft, aber schwer wieder herauszuziehen, weil zu viele Fäden daran hängen. Heute, fast ein Vierteljahrhundert später, bleibt nicht nur die Erinnerung an zwei Türme aus Glas und Stahl, sondern auch an die große Abrissbirne, die die USA danach über den Rest der Welt schwangen. Denn während New York trauerte, entdeckte Washington seine Leidenschaft fürs globale Renovieren – allerdings weniger mit Bauhelm und Zollstock, sondern eher mit Napalm, Drohnen und der moralischen Brechstange.

Der „War on Terror“ – oder wie man mit Benzin Feuer löscht

Die Selbstinszenierung war spektakulär: Der „Krieg gegen den Terror“ wurde ausgerufen, als sei er ein neues Netflix-Format, nur mit höheren Einschaltquoten und schlechterem Drehbuch. Afghanistan durfte die Pilotfolge spielen – ein Land, das ohnehin seit Jahrzehnten im Dauerchaos lag, wurde endgültig zum Testlabor für Demokratie-Export per Luftschlag. Bald darauf folgte das Spin-off im Irak: ein Abenteuer, das offiziell von Massenvernichtungswaffen handelte, in Wirklichkeit aber nur von Massenvernichtung.

Die Liste der Folgen liest sich wie die Staffeln einer endlosen Serie, die niemand mehr wirklich sehen will, die aber trotzdem Jahr für Jahr verlängert wird: Drohnenkriege im Jemen, Libyen als CIA-gestütztes Improvisationstheater, Syrien als epischer Dauercliffhanger. Jedes Mal hieß es: „Diesmal machen wir es besser.“ Und jedes Mal verwandelte sich ein Land mehr in eine postapokalyptische Landschaft, in der George W. Bush als unfreiwilliger Setdesigner und Barack Obama als unfreiwilliger Intendant fungierten.

Demokratieexport – mit der Verpackung „Made in USA“ und ohne Bedienungsanleitung

Die USA verkauften ihre Feldzüge stets als großzügiges Geschenk: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte – alles hübsch glänzend verpackt. Nur dass beim Auspacken meist herauskam, dass die Batterie fehlte, die Gebrauchsanweisung unlesbar war und das Produkt innerhalb weniger Tage kaputtging. Die exportierte Demokratie funktionierte in Bagdad so zuverlässig wie ein Toaster im Swimmingpool, und in Kabul stellte sich heraus, dass die frisch installierte Regierung eher die Stabilität einer Ikea-Kommode nach feuchtfröhlichem Aufbauabend besaß.

Die Ironie: Während man in Washington die Freiheitsstatue polierte, verbrannte man an anderen Orten die Freiheitsideale im Wüstensand. So wurden die USA zum paradoxen Schreiner: Sie bauten „nationale Strukturen“ – und rissen sie im gleichen Atemzug wieder ein.

Homeland Security – Sicherheit durch Dauerparanoia

Doch nicht nur ferne Länder wurden in Schutt und Asche gelegt. Auch das eigene Land wurde radikal umgebaut – oder besser: umüberwacht. Unter dem Deckmantel der Sicherheit verwandelten sich die Vereinigten Staaten in ein gigantisches Panoptikum. Jeder Bürger wurde potenziell zum Terroristen, jede E-Mail zum staatsgefährdenden Pamphlet, jedes Telefonat zur Beichte an die NSA.

Der Patriot Act war das legislative Äquivalent zu einem Presslufthammer im Porzellanladen der Grundrechte. Er zertrümmerte nicht nur Privatsphäre und Bürgerfreiheit, sondern schuf eine Kultur des Dauerverdachts: Ein Nachbar mit arabischem Nachnamen war plötzlich verdächtiger als ein Hedgefonds-Manager mit Milliardenverlusten. „Freedom isn’t free“, hieß es – was in der Praxis bedeutete, dass Freiheit abgeschafft werden musste, um sie zu schützen.

Die verbrannte Glaubwürdigkeit

Man könnte meinen, dass das Schlimmste die materiellen Verwüstungen waren: zerbombte Städte, ruinierte Infrastrukturen, Millionen Tote und Flüchtlinge. Doch mindestens ebenso gründlich legten die USA ihre eigene moralische Autorität in Schutt und Asche. Aus dem Land, das einst die Freiheitsglocke läutete, wurde eine Macht, die mit waterboarding feierte und Guantánamo als Ferienlager für den Rechtsstaat betrieb.

Die Welt lernte: Menschenrechte sind dehnbar, solange sie nicht auf amerikanischem Boden verletzt werden. Und Völkerrecht ist vor allem dann verbindlich, wenn es die anderen betrifft. So entstand ein Zynismus, der bis heute in internationalen Beziehungen wirkt: Warum sollte man den Mahnungen Washingtons glauben, wenn sie selbst die Regeln wie Servietten behandeln, die man nach dem Essen zerknüllt und in die Ecke wirft?

Fazit: Der große amerikanische Abrissunternehmer

Vierundzwanzig Jahre nach 9/11 bleibt das Bild eines Landes, das nicht nur zwei Türme verlor, sondern auch den moralischen Boden, auf dem es stand. Die USA verstanden sich als Architekten einer neuen Weltordnung, entpuppten sich aber als Abrissunternehmer, die ganze Regionen in Schutt legten und dabei ihr eigenes Fundament gleich mit.

Heute stehen wir vor dem Trümmerfeld einer Epoche, die im Namen der Sicherheit geführt wurde, aber vor allem Unsicherheit schuf. Vor den rauchenden Ruinen von Kabul, Bagdad und Aleppo kann man nur noch zynisch lächeln: Vielleicht war der „War on Terror“ weniger ein Krieg gegen den Terror als vielmehr eine Bewerbung des Terrors zum Dauergast in unseren Gesellschaften.

Das ironische Ende dieser Tragikomödie: Während die USA auf den Rest der Welt einprügelten, fraßen sie sich selbst von innen auf – ein Imperium, das seine Türme verlor und nun langsam, Stein für Stein, seine Glaubwürdigkeit gleich mit.

USA in Abbottabad – OK, Israel in Khatar Pfui?

Die Moral als Gummiband der Weltpolitik

Es gehört zu den anthropologischen Konstanten der Menschheit, dass wir die moralische Messlatte gern so flexibel halten wie ein alter Hosengummi, der nach dem dritten Waschen seine Spannkraft verloren hat: Für Freunde dehnt man ihn, für Feinde zieht man ihn zusammen, und im Notfall hängt man ihn sich als patriotische Schlinge um den Hals. Als die USA im Mai 2011 in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad – eine Art westasiatischer Biedermeier-Idylle mit Kasernencharme – den lang gesuchten Terrorfürsten Osama bin Laden aus seinem Villenversteck zerrten (oder besser: erschossen und im Meer versenkten, als wäre er ein übergroßer Goldfisch), applaudierte die westliche Öffentlichkeit frenetisch. „Gerechtigkeit!“ schallte es durch die Abendnachrichten, und niemand störte sich daran, dass es sich hierbei um einen ziemlich robusten Eingriff in die territoriale Integrität Pakistans handelte. Völkerrecht? Ein lästiger Paragraf, der in den Schubladen der Geschichte irgendwo zwischen „unverbindlichen Absichtserklärungen“ und „UNO-Resolutionen zur kulturellen Zusammenarbeit“ Staub ansetzt.

Israel auf Abwegen – oder: der moralische Bumerang

Drehen wir die Kamera nun einige Jahre weiter, diesmal gen Westen: Israel, so lautet der Vorwurf, nimmt sich im benachbarten Ausland Rechte heraus, die man in den USA stets mit staatsmännischem Schulterzucken toleriert – und plötzlich klatschen dieselben moralisch empörten Hände gegen die eigene Stirn. „Das geht nicht!“ „Das verstößt gegen jedes Rechtsempfinden!“ „Ein Affront gegen die internationale Ordnung!“ Ein Affront also, jawohl. Nur: Gegen welche Ordnung genau? Etwa gegen dieselbe, die in Abbottabad den US-Seals als dekoratives Bühnenbild diente? Oder gegen jene Ordnung, die immer dann als unantastbar beschworen wird, wenn sie uns gerade in die politische Agenda passt – und genauso schnell im Papierkorb verschwindet, wenn sie uns im Weg steht?

Vom Unterschied zwischen „präemptiv“ und „präpotent“

Der politische Diskurs liebt semantische Kosmetik: „Präemptiver Schlag“ klingt wie ein chirurgischer Eingriff, elegant, sauber, fast schon medizinisch notwendig. Wenn aber Israel eine ähnliche Operation im Ausland wagt, wird daraus in den Augen vieler Kritiker kein präemptiver, sondern ein präpotenter Akt. Die USA dürfen chirurgisch operieren – Israel soll gefälligst warten, bis der Tumor metastasiert. Man könnte fast meinen, die internationale Diplomatie sei ein Theaterstück mit wechselnden Hauptdarstellern, in dem die Rollen des „Helden“ und des „Schurken“ nach tagesaktueller Laune neu verteilt werden.

Völkerrecht als Buffet – jeder nimmt, was schmeckt

Das Völkerrecht ist wie ein Buffet im All-you-can-eat-Restaurant der Weltpolitik. Washington greift beherzt zu, nimmt sich ein paar Scheiben Souveränität, garniert mit einem Spritzer „Selbstverteidigung“ und rundet das Ganze mit einer Portion „globale Sicherheit“ ab. Europa probiert vorsichtig von der Menschenrechtsplatte, legt aber alles wieder zurück, sobald die Sauce zu scharf ist. Und Israel? Nun, Israel soll gefälligst an der Salattheke verharren und nicht wagen, auch nur ein Krümelchen aus der warmen Theke der Realpolitik zu stibitzen. Denn sonst, ja sonst, wird die moralische Gastro-Polizei gerufen: die internationale Empörungsgemeinschaft mit Sitz in den Feuilletons.

Die bequeme Empörung – ein globaler Volkssport

Es ist ein auffälliges Muster: Man empört sich vorzugsweise dort, wo die Empörung billig zu haben ist. Über Israel zu schimpfen, kostet politisch fast nichts – es gibt zwar Protestnoten und hitzige Talkshows, aber keine Drohung, dass demnächst Trägerflotten im Mittelmeer kreuzen. Über die USA zu schimpfen hingegen? Das ist riskant: Da könnten Sanktionen, Handelsbarrieren oder im schlimmsten Fall der Verlust der begehrten Einladung ins Weiße Haus drohen. Also schweigt man lieber und schiebt die Doppelmoral mit einem gequälten Lächeln unter den diplomatischen Teppich.

Schluss – oder: Der Tanz auf der Doppelmoral

Am Ende bleibt die Frage, ob es wirklich ein moralisches Problem ist, wenn Israel in Khatar agiert – oder ob es nur ein ästhetisches Problem ist: Es gefällt uns nicht, weil es uns erinnert, dass auch „die Guten“ die gleichen schmutzigen Tricks anwenden wie die Großen. Dass also die angebliche Ausnahme – die Operation in Abbottabad – eben keine Ausnahme war, sondern längst zur Regel gehört. Die Empörung über Israel ist daher nicht so sehr eine Empörung über die Tat selbst, sondern über das Spiegelbild, das sie uns vorhält: Ein Spiegel, der zeigt, dass unsere moralische Konsistenz so fest ist wie Wackelpudding.

Und so bleibt die alte Binsenweisheit bestehen: Was für Washington ein notwendiger chirurgischer Eingriff ist, ist für Jerusalem ein barbarischer Affront. Und wer darüber die Stirn runzelt, sollte sich fragen, ob er wirklich über die Tat empört ist – oder nur darüber, dass diesmal die falschen Hände im moralischen Gummiband gezogen haben.

Kauft nicht bei Juden 2025

Die Wiederkehr der Parolen im Maßanzug der Diplomatie am Vorabend von 9/11

„Europa kämpft“ – mit diesen erhabenen Worten hat Ursula von der Leyen ihre jüngste Rede zur Lage der Union eröffnet. Es klingt nach Pathos, nach einer kontinentweiten Schlacht um Freiheit, Menschenrechte, Werte, kurz: nach der üblichen Predigt aus dem sakralisierten Baukasten europäischer Sonntagsreden. Doch was steckt diesmal dahinter? Kein Klimapaket, kein Lieferkettengesetz, kein Gender-Manifest. Nein: Es ist der wohlklingende Euphemismus für die Ankündigung, dass man Zahlungen an Israel stoppt. Dass man, um es auf die simpelste Formel zu bringen, das alte „Kauft nicht bei Juden!“ nicht mehr auf der brüllenden Straße grölt, sondern mit seidenweichen PowerPoint-Folien im Brüsseler Konferenzsaal präsentiert.

Wie elegant, wie wohlerzogen, wie unendlich perfide! Die europäischen Kommissare, die sich sonst bei jeder Gelegenheit mit Kerzen in der Hand vor Holocaust-Mahnmälern drapieren, zeigen, dass man Geschichte nicht vergisst, sondern sie kreativ weiterschreibt. Nur eben zeitgemäß: Keine Schaufensterscheiben werden eingeschlagen, keine SA-Stiefel marschieren durch die Straßen – heute reicht es, Forschungsprogramme zu kappen, Budgets einzufrieren und im Tonfall der moralischen Empörung zu verkünden, dass man auf der richtigen Seite der Geschichte steht. Europa 2025: Der Antisemitismus trägt Armani und hat ein Digitalministerium.

Die chirurgische Präzision der europäischen Doppelmoral

Während man Israel mit dem erhobenen Zeigefinger belehrt, erinnert man sich plötzlich: War da nicht mal etwas? Ach ja, der 11. September, zwei Türme, Rauch, Asche. Ein „Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts“, der dazu diente, den ersten und einzigen NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 auszurufen. Nicht etwa, weil die USA kurz vor der Auflösung standen – das Imperium war weit davon entfernt. Aber es war die perfekte Gelegenheit, um im Namen von Freiheit und Demokratie ganze Staaten in Schutt und Asche zu legen. Afghanistan, Irak, Libyen: Allesamt Paradebeispiele für westliche „Stabilisierungspolitik“, deren Erfolg sich in Millionen Toten, zerbombten Städten und einer Flüchtlingskrise bemisst, die Europa bis heute verdaut wie eine schlechte Muschel im Hochsommer.

Doch damals war keine Rede von „Zahlungsstopp“ oder „Suspendierung der Partnerschaft“. Im Gegenteil: Milliardenprogramme, Koalitionen der Willigen (aufgewärmt 2025 gegen Rußland), Solidaritätsadressen – die Druckerpresse der NATO lief heiß. Wenn Washington rief, sprangen die Europäer. Und wenn Israel ruft? Nun ja, da muss man erstmal „prüfen“, da braucht man einen „Mechanismus“, da wird differenziert, diskutiert, deklamiert – bis am Ende wieder herauskommt, was immer herauskommt: Israel ist das Problem, Europa ist die Moral.

Moralische Hygiene im Wellness-Spa der Politik

Die EU liebt es, sich als moralische Instanz aufzuspielen. Sie sieht sich als die letzte Bastion humanistischer Werte, als Apothekerin einer globalen Ethik, die streng portioniert in homöopathischen Dosen verabreicht wird – je nachdem, welcher Patient gerade auf der Couch liegt. Russland? Sanktionen, Isolation, Empörung. China? Kritische Dialoge, aber bitte nicht zu kritisch, man will ja weiter Handys bauen lassen. Israel? Nun, da kommt die große europäische Leidenschaft zum Vorschein: das Projektive Schuldmanagement.

Man kann dem jüdischen Staat alles anlasten – und zugleich so tun, als sei man der einzige Verteidiger der Menschenrechte. Praktisch: Man reinigt die eigene historische Schuld mit der Seife der Gegenwartspolitik. Und während man Israel an den Pranger stellt, vergisst man geflissentlich die eigenen Leichen im Keller. Millionen Tote durch westliche Kriege? Kollateralschäden. Flüchtlingslager im Mittelmeer? Tragische Einzelfälle. Israelische Forschungsprojekte im Bereich Biomedizin? Untragbar!

Der schiefe Spiegel der Geschichte

Der Zynismus wird besonders greifbar, wenn man bedenkt, dass all dies am Vorabend des 11. September verkündet wurde – jenes Datums, das wie ein Fanal in der kollektiven Erinnerung glüht. Man hätte fast meinen können, es sei Absicht: Als wollte man der Welt beweisen, dass man es in Brüssel endlich geschafft hat, die eigene Vergangenheit und die eigene Gegenwart in einem Akt von grotesker Ironie zu vereinen. Während man der Opfer von damals gedenkt, bereitet man den nächsten symbolischen Angriff vor – diesmal nicht mit Flugzeugen, sondern mit Paragraphen.

„Nie wieder!“, rief man einst, und es klang wie ein Schwur. Heute heißt es: „Nie wieder ohne Ausnahmeklausel!“ Die Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins, sie variiert, moduliert, findet neue Ausdrucksformen. Sie marschiert nicht, sie tagt. Sie schreit nicht, sie flüstert in Kommissionsdeutsch. Sie prügelt nicht, sie sperrt Fördergelder. Und genau das ist die bittere, satirische Pointe: Man kann Antisemitismus so modernisieren, dass er aussieht wie verantwortungsvolle Politik.

Fazit: Die Kunst des bequemen Widerstands

Europa 2025 – wir sind aufgeklärt, wir sind zivilisiert, wir sind moralisch hypermodern. Aber wenn es darauf ankommt, fallen wir zurück in die Muster, die wir zu überwinden glaubten. „Kauft nicht bei Juden“ hieß es damals; „Kooperiert nicht mit Israel“ heißt es heute. Dazwischen liegen 90 Jahre, ein Weltkrieg, sechs Millionen Tote – und doch kaum ein Lernprozess.

Vielleicht ist genau das die Tragik: Dass Satire kaum noch nötig ist, weil die Realität längst satirischer ist, als es jede Feder, jede Bühne, jede Polemik jemals sein könnte. Europa, dieser alte Kontinent, ringt nicht mit seiner Moral – er inszeniert sie. Und während er Israel auf die Anklagebank setzt, spielt er den Richter über sich selbst. Urteil: schuldig. Strafe: Symbolpolitik. Applaus im Plenum.

Eine Islamisierung findet nicht statt. Doch!

Europa schläft. Nicht das gesunde Schlafen, bei dem man Kraft tankt für den nächsten Tag, nein: das dumpfe, sedierte Hinwegdämmern über den eigenen Werteverlust. Ein Schlaf, der sich anfühlt wie Watte im Kopf und Baumwolle um die Augen. Der Wecker klingelt, aber die Nation dreht sich noch einmal um, zieht die Bettdecke der „religiösen Toleranz“ über den Kopf und murmelt im Halbschlaf: „Ach, es wird schon nicht so schlimm sein.“ Doch während wir uns im Bett der Liberalität suhlen, stapfen andere längst durch die Tür und montieren im Flur die ersten Trennwände – Männer links, Frauen rechts.

Rassismus nein, Sexismus ja – das neue Mantra

Man stelle sich die Szene vor: An einer Universität, dem Hort der aufgeklärten Elite, sitzen Frauen in einer Ecke, Männer in der anderen. Kein Professor wagt ein Wort, kein Studierendenrat ruft nach Gleichberechtigung, keine Regenbogenflagge flattert protestierend im Wind. Stattdessen hört man das monotone Mantra unserer Gegenwart: „Rassismus nein, Sexismus ja.“ Denn wehe, jemand würde den moralischen Stempel „Rassist“ riskieren, nur weil er darauf hinweist, dass Frauen hier wie Vieh sortiert werden. Die Angst, in der Twitter- oder TikTok-Inquisition als „rechts“ gebrandmarkt zu werden, lähmt mehr als jedes autoritäre Regime. So feiert die Geschlechterapartheid fröhliche Urständ – nur eben diesmal nicht am Hindukusch, sondern im Hörsaal.

Der Kanzler spricht – und sagt nichts

Kanzler Merz, ein Mann, der sich gern konservativ gibt, sprach jüngst in heroischem Ton. Doch was sagte er? Dass unsere Hochschulen Orte der „Offenheit, Liberalität, Toleranz, auch religiösen Toleranz“ sein müssten. Man hätte fast meinen können, er habe die Pressemitteilung der „Initiative Islamischer Hörsaal“ einfach abgelesen. Offenheit? Ja, aber bitte nicht so offen, dass Frauen als eigenständige Wesen durch die Tür gehen. Liberalität? Natürlich, solange sie sich in die Logik religiöser Vorschriften einschnüren lässt. Toleranz? Aber sicher – vor allem gegenüber den Intoleranten. Der Elefant im Raum, die Gleichberechtigung, wird geflissentlich übersehen. Merz redet von Werten, aber wie so oft sind es die falschen, die er verteidigt.

Fastenbrechen als Staatsräson

Es ist längst Alltag geworden: Kantinen bieten Halal-Essen an, das öffentliche Fastenbrechen wird mit städtischen Geldern organisiert, Politiker posieren mit Datteln in der Hand und milde lächelndem Gesicht. Niemand wagt zu fragen, warum religiöse Speisegesetze zur allgemeinen Richtschnur gemacht werden. Denn Juden essen seit Jahrtausenden koscher – privat, leise, diskret. Aber wehe, man deutet an, dass sich auch Muslime in dieser Republik an die Privatsphäre gewöhnen könnten. Dann bricht ein Sturm los, der stärker weht als jeder Wüstenwind. Wir haben gelernt, dass Ramadan wichtiger ist als Lehrpläne. Holocaust? Evolutionsgeschichte? Lieber nicht, könnte irgendjemanden verstören. Aber ein staatlich gesponsertes Zuckerfest – das ist gelebte Integration.

Der legale Totalitarismus

Die Islamisten sind clever. Sie schießen keine Raketen, sie werfen keine Bomben. Sie schleichen. Sie predigen Legalität, kleiden den Machtanspruch in den Mantel der Demokratie. Wer will schon gegen freie Meinungsäußerung argumentieren, wenn sie von Leuten kommt, die im Namen der Religion das Gegenteil fordern? So wird langsam, aber stetig die Gesellschaft verschoben. Nicht der laute Terror sprengt unser Fundament, sondern der stille, legale Islamismus, der sich in die Lehrpläne, die Talkshows, die Kommunalparlamente schleicht. Er kommt nicht mit Dynamit, sondern mit Anwälten.

Die Linke, die Grünen und das Stockholm-Syndrom

Seit Jahrzehnten kuscheln sich Teile der Linken an die Islamisten wie ein Kaninchen an die Schlange. Gemeinsam vereint in der Kritik am Westen, im Kampf gegen den „Imperialismus“. Was scheren da Frauenrechte? Was interessieren die Homosexuellen? Nebenwidersprüche, sagen sie. Und so finden sich Feministinnen Schulter an Schulter mit denjenigen, die Frauen verschleiern, einsperren, entmündigen. Eine groteske Szene, die Kafka sich nicht schöner hätte ausdenken können: Linke Studenten protestieren gegen Sexismus im Sprachgebrauch, während sie gleichzeitig mit Inbrunst die Geschlechtertrennung im Hörsaal verteidigen. Willkommen im absurden Theater.

Das Kopftuch – die Flagge des politischen Islam

Es ist kein religiöses Gebot, sondern ein politisches Symbol. Eine Fahne, die nicht auf dem Marktplatz flattert, sondern direkt auf den Köpfen der Mädchen. Wer das Tuch trägt, signalisiert Zugehörigkeit zu einer Bewegung, die Religion als Waffe benutzt. Und dennoch klatscht das Bildungsbürgertum Beifall: „Selbstbestimmung!“ schreien sie, während Kinder in Schulhöfen lernen, dass ihre Haare sündig sind. Es ist, als hätte man im Jahr 1933 Hakenkreuzbinden mit dem Etikett „individuelle Modefreiheit“ versehen.

Von Teheran bis Berlin: Der lange Marsch

Der Siegeszug begann 1979 mit Khomeinis Gottesstaat. Seitdem rollt die Welle – über Afghanistan, über Bosnien, über Tschetschenien, hinein in die Metropolen des Westens. Mitgebracht von Geldkoffern aus den Petro-Diktaturen und getragen von westlicher Naivität. Wir sind so damit beschäftigt, uns nicht schuldig zu fühlen, dass wir gar nicht merken, wie wir uns längst schuldig machen: an den Frauen, die hierzulande in Parallelgesellschaften eingesperrt sind, an den Kindern, die im Namen der Religion indoktriniert werden, und an uns selbst, die wir unsere Werte verraten.

Hoffnung oder letzte Illusion?

Und nun also: eine Konferenz. 50 Expertinnen und Experten, die „das Ende des politischen Islam“ einläuten sollen. Ein Aktionsplan, Bund und Länder, große Worte. Man möchte jubeln, doch der Zyniker in uns lacht bitter. Seit Jahrzehnten tagt man, konferiert man, schreibt Papiere. Und währenddessen wächst das Netzwerk, festigt sich die Infrastruktur, und jede junge Generation lernt ein Stück weniger, wofür ihr Land eigentlich einmal stand. Vielleicht ist es nicht zu spät. Vielleicht. Aber nur, wenn wir den Mut finden, das Offensichtliche zu sagen: Dass Toleranz nicht grenzenlos sein darf. Dass Gleichberechtigung kein verhandelbarer Wert ist. Und dass eine Gesellschaft, die Angst hat, „Rassist“ genannt zu werden, am Ende etwas viel Schlimmeres wird: ein Komplize.

Schlusswort eines bösen Traums

Eurpa träumt noch. Aber es ist kein schöner Traum. Es ist ein Albtraum, in dem wir die Fundamente der Aufklärung selbst zerlegen, während wir lächeln und „Willkommen“ sagen. Die Frage, ob wir aufwachen, entscheidet sich nicht an der Zahl der Flüchtlinge, sondern daran, ob wir den Mut haben, unsere Werte zu verteidigen – kompromisslos, unerschrocken, auch gegen jene, die im Namen der Religion das Gegenteil wollen. Wacht Europa endlich auf? Oder schlafen wir weiter – bis uns jemand weckt, der unsere Freiheit längst abgeschafft hat?

Oligarch vs. Philanthrop

Von der nackten Gier zur moralischen Verkleidung

Reichtum hat immer schon den Geruch von verbranntem Holz und kaltem Metall getragen. Die einen sehen darin die glühenden Kohlen des Fortschritts, die anderen die stinkenden Überreste der Ausbeutung. Doch das eigentliche Mysterium ist nicht das Geld selbst – es ist die Namensgebung, die Taufe, die moralische Tünche. Im Osten nennt man die Geldmagnaten Oligarchen, ein Wort so spröde und unappetitlich wie ein Stück kalten Kaviars, das im Finstern serviert wird. Im Westen dagegen trägt dasselbe Geschöpf einen Frack, nennt sich Philanthrop und verteilt Wohltaten wie Weihrauch in einer Kathedrale. Und plötzlich wirkt die nackte Gier wie Nächstenliebe, die Bereicherung wie Fortschritt, die Machtakkumulation wie Verantwortung. Es ist die alte Kunst der Kosmetik: Dieselbe Fratze wird mit zwei verschiedenen Masken versehen, und der Zuschauer applaudiert brav, je nachdem, welches Etikett der Konferenzveranstalter an die Einladung geheftet hat.

Die Oligarchen des Ostens: Räuber oder Realisten?

Man nehme Roman Abramowitsch, den Mann mit mehr Yachten als Geduld für Steuern. In London galt er als glamouröser Fußballmäzen, in Moskau als Prototyp des Oligarchen, der die Reste der Sowjetindustrie wie ein Kinderschokoladen-Ei zerlegte: außen bröckelig, innen eine Überraschung. Oder Oleg Deripaska, der Alu-König, dessen Geschäfte stets so glänzten, dass man sich fragte, ob es Aluminium oder doch nur die Schmiermittel der Macht waren. Im Osten gilt diese Spezies als suspekt: zu schnell reich, zu eng verbandelt mit Politik, zu unverschämt im Auftreten. Man spricht von Raub, von Privatisierungsorgien, von mafiösen Strukturen. Doch wenn man genau hinsieht, erkennt man: Es ist die gleiche ökonomische Dynamik, die im Westen als „unternehmerischer Mut“ gefeiert wird. Nur dass man dort Champagner trinkt, während man hier Wodka kippt.

Die Philanthropen des Westens: Wohltäter oder Waschbären?

Betrachten wir das Gegenstück: Bill Gates. Ein Mann, der einst als Monopolist der Computerwelt die halbe Softwarebranche in die Knie zwang, um später mit einer Stiftung Milliarden in Impfprogramme zu pumpen. Oder Mark Zuckerberg, der unsere Privatsphäre in winzigen Portionen verkaufte und im Gegenzug Bildungsinitiativen finanzierte, die ihm die Schlagzeilen reinwaschen sollten. George Soros, geliebt und gehasst zugleich, verteilt Milliarden an Universitäten und NGOs, während er von Nationalisten als Strippenzieher einer Weltverschwörung gebrandmarkt wird. Das Muster ist klar: Der Westen liebt es, wenn seine Milliardäre ihre Imagepflege in Form von Stiftungen betreiben. „Philanthropie“ klingt nach Wohltat, nach altruistischer Erleuchtung, ist aber oft nichts weiter als eine besonders elegante Form der Steuervermeidung, der Machterhaltung und der Narrativsteuerung. Der Unterschied zum Oligarchen? Ein sorgfältig kuratierter Instagram-Account, eine gut geschriebene PR-Note und ein Saal voller applaudierender Journalisten.

Stiftungen als moralische Waschmaschinen

Die westlichen Stiftungen sind die schönsten Waschsalons der Gegenwart. Man wirft zweifelhafte Milliarden hinein, und heraus kommt strahlend weiße Reputation. Die Rockefeller Foundation hat sich in den USA unsterblich gemacht, während der Name Rockefeller einst Synonym für skrupellose Monopolbildung war. Die Carnegie-Stiftung baute Bibliotheken, nachdem Andrew Carnegie Streiks mit Polizeigewalt niederschlagen ließ. Heute gilt er als Wohltäter – nicht, weil er gütiger wurde, sondern weil seine Stiftung die Erinnerung umgeschrieben hat. Das Prinzip ist simpel: Der Oligarch im Westen braucht keinen Kreml, er braucht einen Vorstand, eine PR-Agentur und eine Einladung zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort spricht er nicht über seine Machenschaften, sondern über „Sustainability“ und „Empowerment“, Begriffe, die so glatt sind, dass man darauf Schlittschuh laufen könnte.

Medien, Moral und der tanzende Doppelstandard

Die Rolle der Medien darf man nicht unterschätzen. Der Oligarch im Osten wird in Artikeln stets mit dem Adjektiv „umstritten“ bedacht, egal ob er eine Schule baut oder einen Zoo finanziert. Der Philanthrop im Westen hingegen wird in glossy Magazinen abgebildet, wie er Kindern die Hand schüttelt, mit Überschriften wie „Der Mann, der die Welt rettet“. Kritik? Höchstens in Fußnoten, und selbst die sind so milde formuliert, dass sie wie Werbung wirken. Der Unterschied ist also nicht moralisch, sondern semantisch: Wer die Presse auf seiner Seite hat, darf seine Millionen als Heilmittel inszenieren; wer sie gegen sich hat, bleibt für immer der dubiose Räuber. Ironischerweise sind beide identisch in Handlung und Motivation – nur der eine hat einen besseren Pressesprecher.

Das moralische Fazit, das niemand hören will

Was also unterscheidet den Oligarchen vom Philanthropen? Nichts, außer der Sprache. Beide akkumulieren Macht, beide sichern ihre Position, beide nutzen ihre Ressourcen, um Einfluss auf Politik, Kultur und Gesellschaft zu nehmen. Der eine wird gehasst, der andere geliebt, und das Einzige, was dazwischensteht, ist eine Stiftungserklärung, eine PR-Kampagne oder eine Fotostrecke in der „New York Times“. Die Wahrheit ist: Der Oligarch im Osten könnte jederzeit zum Philanthropen des Westens werden, wenn er nur die richtige Imageagentur anheuern würde. Und der Philanthrop des Westens könnte jederzeit als Oligarch gelten, wenn er seinen Wohnsitz nach Minsk verlegte. Es ist eine globale Farce, ein Kostümwechsel, eine Maskerade. Und wir Zuschauer sitzen da, nicken, klatschen oder empören uns – ohne zu merken, dass wir nur Statisten sind in einem Stück, das seit Jahrhunderten gespielt wird: die Verwandlung von nackter Gier in moralischen Glanz.

Töten auf Basis von Metadaten

Macht und das Drama der Berechenbarkeit

Stellen Sie sich einen Raum vor, irgendwo zwischen Washington, Wiesbaden und Palo Alto, in dem die Luft nach Klimaanlage, Kabelsalat und moralischer Gleichgültigkeit riecht. Hier sitzt Michael Hayden, ein Mann, dessen Hände nie selbst Blut vergossen haben, dessen Geist aber die globalen Datenströme so orchestriert hat, dass andere für ihn töteten, und dessen Satz „Wir töten auf der Basis von Metadaten“ heute in Seminarräumen und Meme-Kreisen gleichermaßen zitiert wird – als erschreckende Warnung, als makabre Pointe und als Sinnbild für die Hybris einer Ära, in der der Mensch glaubt, dass Algorithmen moralische Entscheidungen ersetzen können. Hayden ist die Inkarnation einer Technik, die rational, effizient und gnadenlos ist, eine Personifikation des kalten Blicks, der über Dashboards und Datenbanken wandert, während der Rest der Welt noch mit Herzschlag und Gewissen hantiert. Er wirkt fast lächelnd, wenn er die Worte spricht, als sei es ein Witz über eine Welt, die er längst kontrolliert, deren moralische Dimensionen er jedoch als Nebeneffekt verwirft. Ironischerweise erinnert uns dieser Satz daran, dass Macht heute sichtbar, Entscheidungen scheinbar rational und Verantwortung optional geworden ist – eine kafkaeske Logik, in der Zahlen die neuen Richter sind.

Palantir: Das Interaktive Orakel des Überwachungszeitalters

Und dann ist da Palantir, die Software, die wie ein schillerndes Orakel am Tisch der Macht sitzt, jede Eingabe, jeden Klick und jeden Datensatz zu interpretieren weiß. Palantir verwandelt fragmentierte Informationen in vernetzte Geschichten, filtert Personen nach Gefährdungspotential, schlägt vor, handelt und visualisiert – alles auf eine Art, die beruhigend wirkt, bis man erkennt, dass die Beruhigung nur Illusion ist. Die Software ist die Perfektionierung der Vision von Horst Herold, jenem „Computerfetischisten“ aus den 1970ern, der sich vorstellte, dass Polizeiarbeit durch Zahlen rationalisiert und Menschen auf Datenpunkte reduziert werden könnten. Palantir macht aus dieser Vision eine interaktive Realität: Verdächtige werden markiert, Risikoprofile erstellt, Handlungsempfehlungen geliefert – und das alles, bevor die Frage nach Ethik oder Verantwortung gestellt wird. Die Ironie liegt darin, dass der Benutzer glaubt, das System zu bedienen, während er in Wirklichkeit ein willfähriger Teil eines riesigen, algorithmischen Organismus ist, der das Leben derer bestimmt, die in den Daten erscheinen. Palantir ist kein Werkzeug, sondern ein Spiegel unserer eigenen Besessenheit von Kontrolle, und je mehr wir glauben, dass wir die Welt steuern, desto mehr steuern uns die Daten – gnadenlos, unpersönlich und, in der Komik der modernen Tragödie, unvermeidlich.

Herold und die genealogische Linie der Datenfetischisten

Horst Herold, BKA-Chef, Visionär, Computerliebhaber, dessen Aktenberge und Bürokratie-Obsessionen schon in den 70ern wie ein Vorläufer der digitalen Allmacht wirkten, träumte von einer Polizei, die den Menschen durch Daten erfasst, bevor er handelt. Wer damals dachte, dies sei ein bloßer technokratischer Fetisch, erkennt heute: Palantir ist die Vollendung dieser Vision. Die Brücke zwischen Wiesbaden und Palo Alto ist keine Frage der Technik, sondern der menschlichen Psyche: Macht liebt Übersicht, Kontrolle erzeugt Lust, und moralische Verantwortung schrumpft proportional zum Datenfluss. Herold, Hayden und Palantir stehen auf einer imaginären genealogischen Linie, die zeigt, dass technologische Perfektion und ethische Distanz einander bedingen: Jeder Versuch, Menschenleben algorithmisch vorherzusagen, ist zugleich ein Versuch, Verantwortung zu verlagern – vom Menschen zur Maschine, vom Gewissen zur Zahl, vom Urteil zur Wahrscheinlichkeit.

Die groteske Komik der algorithmischen Selbstüberschätzung

Die Situation wird grotesk, wenn man die menschliche Psyche betrachtet. Hayden spricht über Tod, als handle es sich um eine Kalkulation; Herold sah Menschen als Datensätze; Palantir visualisiert diese Datensätze in Dashboards, die auf Effizienz programmiert sind. Und wir, die Benutzer, sitzen davor und glauben, wir hätten die Kontrolle. Die Komik liegt im unauflösbaren Paradox: Wir erschaffen Systeme, die alles wissen sollen, und fühlen uns mächtig, während wir tatsächlich nur Figuren in einem Algorithmus sind, der uns ebenso lenkt wie die Daten, die wir analysieren. Es ist eine Satire der Moderne: Menschen, die Macht über Leben und Tod beanspruchen, delegieren die moralische Last an Programme, und die Programme tun nichts anderes als das, wozu sie programmiert wurden – tödlich effizient und gnadenlos logisch. Wer hier nicht lacht, dem bleibt nur das Schaudern.

Moralische Implosion: Wenn Effizienz ethische Dimensionen ersetzt

Töten auf Basis von Metadaten ist nicht einfach eine Phrase; es ist die Quintessenz eines Zeitalters, das Effizienz über Ethik setzt. Hayden, Palantir, Herold – sie alle stehen für das Phänomen, dass der Mensch glaubt, Moral ließe sich durch Daten ersetzen, dass Entscheidung berechenbar, dass Verantwortung delegierbar sei. Doch in dieser Annahme liegt die Tragikomik: Alles ist messbar, alles ist sichtbar, alles ist rational – und dennoch bleibt das Leben unberechenbar, unübersichtlich, und ironischerweise unmoralisch, egal wie perfekt die Algorithmen. Die Datenbanken und Dashboards schaffen Ordnung, während sie gleichzeitig das Chaos der moralischen Realität nur verschleiern. Die Tragik wird zur Komik, die Komik zur bitteren Erkenntnis: Wir sind selbst die Marionetten unserer Maschinen, die wir geschaffen haben, um uns zu schützen, zu rationalisieren und, ja, im schlimmsten Fall zu töten.

Fazit: Die Satire des digitalen Absolutismus

Und so endet das epische Drama, ohne dass ein Vorhang fällt, ohne dass moralische Auflösung erreicht wird. Hayden hat gesprochen, Herold hat geträumt, Palantir hat implementiert, und wir haben zugesehen – oder besser gesagt, wir sind Teil eines Systems geworden, das uns selbst übersteigt. Die Ironie ist bitter: Macht ist sichtbar, Kontrolle scheint rational, und Verantwortung ist optional – während die Opfer, unsichtbar und anonym, nur noch in Metadaten existieren. Es ist die größte Satire der Gegenwart: Menschen erschaffen Maschinen, um das Leben zu steuern, und verlieren dabei ihr eigenes moralisches Maß. Die Tragik dieser Komödie besteht darin, dass wir lachen, während wir gleichzeitig erschrecken, dass wir in dieser Welt nicht die Protagonisten sind, sondern bloße Variablen in einem globalen Algorithmus, dessen letzte Entscheidung niemand kontrolliert – außer vielleicht denjenigen, die den Mut besitzen, zuzugeben, dass Macht in Zahlen formbar, Moral aber unverfügbar ist.

Die Spitze fegen

Ein Manifest des augenzwinkernden Aufstands

Es gibt ein Gesetz, das weder Philosophen noch Soziologen je formalisiert haben, und doch leuchtet es jedem, der die elitäre Treppenarchitektur unserer Gesellschaft nur einmal aus der Distanz betrachtet, wie ein helles Neonlicht: „Ne Treppe fegt man von oben.“ Die Spitze, diese gläserne und polierte Bastion der Selbstverliebtheit, ist nicht nur der Ort der Macht, sie ist zugleich der Ort der Verantwortung – und der blinden Komik. Wer je einen Vorstand, einen Senator oder einen hochdotierten „Thought Leader“ beobachtet hat, der weiß: Die Spitze fegt nicht, sie posiert. Sie poliert sich selbst, als sei jedes Haar perfekt, jede Idee glänzend und jede Arroganz ästhetisch wertvoll. In dieser Inszenierung liegt der Witz, der Zorn und die unvergleichliche Kraft des Widerstands: Man muss nicht auf Augenhöhe kämpfen, man muss nur die Mechanik der Überheblichkeit verstehen und sie mit spitzer Satire, messerscharfem Humor und dem unfehlbaren Besen der Wahrheit von oben herab kehren.

Die Eliten: Ein Zoo der Selbstverliebten

Die Eliten, diese hochgezüchtete Spezies menschlicher Überhöhung, verdienen es, mit allen Mitteln der literarischen Anklage betrachtet zu werden. Sie leben in einem Paralleluniversum, das nach den Gesetzen der Logik, des Anstands und oft sogar der Schwerkraft selbst nicht existiert – ein elitäres Disneyland, in dem jede Regel, die für uns gilt, eine höfliche Empfehlung für sie ist. Sie versammeln sich in Konferenzen, Thinktanks und glänzenden Büros, um über die Zukunft der Gesellschaft zu reden, während sie gleichzeitig jede praktische Umsetzung ihrer eigenen Ratschläge delegieren oder schlicht ignorieren. Hier wird der Zynismus zur analytischen Notwendigkeit: Wer glaubt, sie könnten durch Argumente, Aufklärung oder gar rationale Vernunft bewegt werden, hat die Natur dieser Kreaturen nicht verstanden. Sie sind nicht fehlbar, sie sind lediglich menschlich – in der peinlichsten, komischsten, absurdesten Form ihrer eigenen Überhöhung.

Humor als Waffe, Zynismus als Schild

Wer sich dieser Realität stellt, erkennt schnell: Lachen ist die einzige Waffe, die effektiver als jeder Protest ist. Ein ironisches Kommentar, ein sarkastischer Tweet, eine pointierte Kolumne – sie entlarven die Überheblichkeit der Spitze besser als jede Demonstration oder jede Petition. Und der Zynismus dient dabei als Schild: Er bewahrt vor der Verzweiflung, die unweigerlich folgt, wenn man realisiert, dass die „Herrscher“ der Treppe gar nicht wissen, wie man kehrt – oder schlimmer: dass sie glauben, die Treppe sei schon längst sauber. Der Widerstand wird damit zu einer Kunstform, zu einem Spiel, das Eleganz und Schadenfreude zugleich verlangt. Es ist der Tanz auf der Treppe, der den Untertanen Macht gibt, weil sie erkennen, dass die Spitze selbst ohne Unterstützung nicht existieren kann.

Die Strategie des Besens von oben

Die Weisheit, dass man die Treppe von oben fegt, ist ebenso brutal wie genial. Wer von unten kehrt, arbeitet gegen Gravitation, Machtstrukturen und jahrzehntelang gepflegte Arroganz. Wer von oben kehrt, nutzt diese Gravitation, diese Machtstrukturen, als Verbündete – ironischerweise oft gegen ihre ursprünglichen Eigentümer. Ein gut platzierter Schlag des metaphorischen Besens reicht aus, um Staub aufzuwirbeln, Hierarchien sichtbar zu machen und die Selbstsicherheit der Eliten in lächerliche Pose zu verwandeln. Der Akt des Kehrens wird so zum politischen Akt, zur moralischen Provokation, zur komischen Revolution in einem: Ein Akt, der zeigt, dass die Spitze nicht nur Schauplatz der Macht, sondern auch des möglichen Scheiterns ist – besonders, wenn man das Publikum auf die komische Absurdität ihrer eigenen Position aufmerksam macht.

Eliten entlarven: Die Freude der Erkenntnis

Es gibt kaum etwas befriedigenderes, als die Eliten in ihrem eigenen Spiegel der Absurdität zu betrachten: den CEO, der Nachhaltigkeit predigt, während er auf Privatjets angewiesen ist; den Philosophen, der Ethik lehrt, während er Steuertricks perfektioniert; den Politiker, der Gleichheit verspricht, während er in elitären Clubs abhängt. Jede Inkonsistenz, jede Hybris, jede selbstgerechte Pose ist ein Einladung zum Lachen, zur Ironie und zum zynischen Kommentar. Wer diese Mechanik versteht, erkennt, dass die Spitze selbst die Quelle ihres Untergangs sein kann – wenn man nur weiß, wie man den Besen richtig ansetzt.

Das augenzwinkernde Manifest

Am Ende ist der Widerstand gegen die Eliten kein Faustkampf, sondern eine Performance: ein augenzwinkernder, zynischer, intellektuell genussvoller Akt. Ne Treppe fegt man von oben – das ist kein Spruch, das ist eine Philosophie, ein Plan, ein Manifest der radikalen, aber eleganten Effizienz. Wir müssen nicht schreien, wir müssen nicht stürmen, wir müssen nur sehen, verstehen, lachen – und fegen. Jede Stufe, jeder Schritt, jeder glitzernde Messingtürgriff der elitären Welt kann mit einem Besen der Vernunft, des Spottes und des Humors gesäubert werden. So wird die Treppe nicht nur sauber, sondern sichtbar, die Eliten entblößt, und wir gewinnen die höchste Form der Freiheit: die Freiheit des Lächelns über die Absurdität ihrer eigenen Welt.

Die Medien und die Kunst des Krieges

 – oder: Lernen wir wirklich?

Man könnte fast meinen, deutsche Leitmedien betreiben einen subtilen Langzeitversuch in Psychologie und Patriotismus: Erst lehrt der Spiegel 2006 die Deutschen, dass Töten eine Fähigkeit sei, die man lernen müsse – als handle es sich um eine Art neuer Rechenunterricht – und knapp zwei Dekaden später fragt der Stern seine Leserschaft, ob sie denn für Deutschland kämpfen würden. Wobei der feinsinnige, moralisch aufgeladene Unterton der Fragestellung schon verrät, dass die Redaktion wohl kaum an der Front um Mitgefühl für das Leben interessiert ist. Die korrekte Frage wäre nicht „Kämpfen Sie?“, sondern „Fallen Sie?“ – und genau diese Differenz entblößt das wahre Substrat der medialen Rhetorik: Es geht nie um Heldentum oder Bürgersinn, sondern um die Normalisierung der Bereitschaft zum Opfer, möglichst elegant in die Gesellschaft eingebettet, mit der Selbstverständlichkeit eines Sonntagsbratens serviert. Ironischer Zufall? Wohl kaum. Wer die Kontinuitäten deutscher Mediengeschichte mit der Geduld eines Historikers, aber dem Zynismus eines Satirikers betrachtet, erkennt Muster, die auf einen scharfsinnigen, wenngleich morbiden Fortsetzungsroman hinauslaufen.

Schatten der Gründer – eine Lektion in historischer Ambivalenz

Der Zufall verliert seine Unschuld, wenn man auf die Biografien der Gründerväter blickt. Henri Nannen, der spätere Gründer des Stern, war während der NS-Zeit Teil des berüchtigten „Unternehmens Südstern“, einer SS-Einheit, die auf Befehl Hitlers Feindpropaganda gegen die heranrückenden Amerikaner herstellte. Diese Art „journalistischer Ausbildung“ kann man getrost als Einstieg in die feine Schule der instrumentellen Moral bezeichnen: Hier lernt man, dass Worte nicht informieren, sondern manipulieren – und dass Propaganda als patriotischer Akt verpackt werden kann. Dass Nannen später die Hitler-Tagebücher abdruckte, wirkt beinahe wie eine Pointe, die man sich im Hof der Geschichte erzählt: Der gleiche Mann, der einst zur ideologischen Kriegsmaschinerie gehörte, kuratiert nun die makabren Erinnerungen des Regimes, und die Leserschaft applaudiert oder ignoriert mit der gleichen stoischen Gelassenheit, mit der sie heute Fragen nach Kampfbereitschaft beantwortet.

Rudolf Augstein, der Gründer des Spiegel, war Offizier an der Ostfront – ein Detail, das mancher Biografie-Glosse mehr Spannung verleiht als jedem Kriegsroman. Auch hier: Der Mann, der Jahrzehnte später den investigativen Journalismus wie eine moralische Waffe führte, sammelte praktische Erfahrung in der tödlichen Kunst des Krieges. Die Kontinuität zwischen Fronterfahrung und redaktioneller Machtausübung ist bemerkenswert. Sie wirft Fragen auf, die selbst die naivsten Medienkritiker erröten lassen: Ist es Zufall, dass aus ehemaligen Frontsoldaten Meinungsführer werden, die nun über die Pflichten ihrer Leserschaft gegenüber der Nation dozieren? Oder handelt es sich vielmehr um ein subtil inszeniertes Ritual, bei dem historische Gewalttätigkeit in intellektuelle Autorität transformiert wird?

Die Frage nach dem Kämpfen – ein rhetorisches Manöver

Wenn der Stern nun fragt: „Würden Sie für Deutschland kämpfen?“, dann geschieht dies nicht ohne poetische, zynische Absicht. Medien, die selbst aus Kämpfern hervorgegangen sind, wissen um die Macht der Suggestion. Die Frage operiert auf mehreren Ebenen: Sie prüft Loyalität, erzeugt moralische Spannung, und sie formt zugleich die Vorstellung von Pflicht und Heldentum in der Bevölkerung. Dass die Formulierung „fallen für Deutschland“ viel präziser, aber auch unbequem wäre, zeigt die Absicht hinter der Glätte: Man soll kämpfen, aber man soll nicht sterben – oder besser: Man soll den Tod anderer akzeptieren, während man selbst bequem am Kaffeetisch sitzt. Das ist eine Perfidie der Sprache, die nur jene vollständig verstehen, die den langen Atem der Mediengeschichte kennen und erkennen, wie leicht historische Biografien, Propaganda und moralische Appelle ineinanderfließen.

Zynismus als Linse der Analyse

Betrachtet man das alles mit zynischem Humor, erkennt man ein wiederkehrendes Motiv: Medien fungieren nicht nur als Vermittler von Informationen, sondern als Architekten psychologischer Bereitschaft. Sie lehren Töten, ohne die Hand zu schmutzig zu machen, sie fordern Kampfbereitschaft, ohne selbst Fronten zu betreten. Die Gründergeneration liefert eine makabre Legitimation: Wer selbst die Kriegserfahrung kennt, darf anderen moralische Pflichten auferlegen – oder besser gesagt, darf sie dazu erziehen, zu kämpfen und zu fallen, während die Gründer längst auf den sicheren Tribünen der Geschichte sitzen. Satire muss hier unweigerlich lachen: Es ist der zynische Charme der Kontinuität, dass genau jene Medien, deren Gründer Teil der Kriegsmaschinerie waren, heute das Ideal des patriotischen Opfers unter dem Deckmantel von Journalismus propagieren.

Fazit: Die unsichtbare Treppe der moralischen Autorität

Es bleibt die bittere Erkenntnis: Die Medien bilden seit Generationen eine Treppe, auf der historische Erfahrung, moralische Autorität und rhetorische Macht wie eine unsichtbare Struktur ineinandergreifen. Von Nannen über Augstein bis zu den heutigen Redaktionen ist die Kontinuität der Idee bemerkenswert: Man darf und muss lehren, was man selbst einst erlebt hat, sei es der Krieg, die Propaganda oder die subtilen Mechanismen der Macht. Der Leser sitzt unten, zwischen Fragezeichen und moralischen Imperativen, und versteht vielleicht erst beim dritten Blick, dass die Treppe nicht zufällig gebaut ist: Sie führt von der persönlichen Erfahrung der Gründer direkt in die Köpfe einer Nation, und wer oben steht, wischt den Staub der Geschichte so, dass er niemandem schadet – außer der kollektiven Selbsttäuschung. Ironie, Zynismus und Satire sind die einzigen Besen, mit denen man diese Treppe sichtbar fegen kann.