Wenn die Sonne lacht und der Wind applaudiert

Revolution der Sonne oder Märchenstunde der Windräder?

„Wind und Sonne könnten Öl und Gas in den kommenden 25 Jahren komplett verdrängen.“ So frohlockt Herr Tim Meyer, der deutsche Energieexperte mit dem Optimismus eines Zehnjährigen, der gerade sein erstes Einhorn gesehen hat. Die Worte klingen wie ein Werbeslogan für eine neue Disney-Produktion: „Energie ohne Ende – powered by Regenbogen!“ Doch wer sich ein wenig mit den nüchternen Realitäten der Elektrizitätsversorgung beschäftigt hat, kann nicht anders, als an der Stirn zu reiben. Dunkelflaute? Grundlast? Schwarzstartfähigkeit? All diese Begriffe, die wie verbotene Runen in der heiligen Hallen der „Erneuerbare-Alles-ist-Möglich“-Propheten klingen, scheinen in Meyers visionärer Utopie schlichtweg nicht existieren. Offenbar reicht es, die Sonne anzubeten und dem Wind ein paar motivierende Tweets zu schicken, dann löst sich jedes Energieproblem in Wohlgefallen auf.

Man könnte fast meinen, wir stünden mitten in einer industriellen Revolution, nur dass diese Revolution offenbar komplett auf Wunschdenken basiert. Historisch gesehen haben Revolutionen ihre Energie eher in Maschinen und Dampfmaschinen gesteckt – heute soll sie plötzlich aus Solarpaneelen kommen, die zwischen Sonnenbrand und Regenguss pendeln. Und während wir noch darüber nachdenken, wie man ein Stromnetz stabil hält, das auf dem Launenhaftesten aller Energieträger basiert, suggeriert Herr Meyer, dass Monsterbatterien schon bald wie Manna vom Himmel fallen werden. Dass diese Batterien nicht nur gigantische Mengen Lithium, Kobalt und Seltene-Erden-Magie benötigen, sondern auch eine Logistik, die selbst ein Schweizer Uhrwerk alt aussehen lässt, wird elegant ausgeblendet.

Der Tanz auf der Dünnen Leitung

Es ist faszinierend, wie unser kollektiver Glaube an die „Energiewende“ inzwischen einem religiösen Dogma gleicht. E-Autos werden fahren, KI wird rechnen, Wärmepumpen werden heizen – und dabei wird irgendwie genug Strom übrig bleiben, um die Grundlast zu decken. Dass die Realität weniger romantisch ist, stört den Enthusiasten kaum: Wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint und die Batterien leer sind, wird das Netz schon improvisieren. Schwarzstart? Ach, wir improvisieren lieber mit Spotify-Playlisten für die Stromausfall-Partys. Degroth, der Name eines mystischen Messias der Energiewirtschaft, wird uns schon retten.

Es gibt eine charmante Naivität in diesem Denken, die fast bewundernswert ist: Warum sich mit langweiligen physikalischen Gesetzmäßigkeiten aufhalten, wenn man einfach Hoffnung verkaufen kann? Die Industrie freut sich, die Politik applaudiert, und der Bürger staunt, während die wahren Ingenieure in stiller Verzweiflung die Stirn runzeln. In dieser Welt ist die Dunkelflaute ein Schreckgespenst aus alten Lehrbüchern, Grundlast eine lästige Fußnote, und Speichertechnologien das Äquivalent von Hogwarts-Zauberei.

Ironie als letzte Energiequelle

Vielleicht ist es gar nicht so falsch, diesen Enthusiasmus mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Denn wer sich vorstellt, dass wir in 25 Jahren wirklich ohne Öl und Gas auskommen, während wir gleichzeitig den Energiehunger von Millionen E-Autos, Milliarden KI-Operationen und unzähligen Smart-Home-Geräten decken müssen, könnte durchaus ins Grübeln kommen. Oder in ein ironisches Lachen ausbrechen. Die Hoffnung auf eine totale Solar- und Windrevolution ist nicht per se falsch, aber sie sollte nicht die einzige Leitlinie für unsere Energiepolitik sein. Sonst enden wir in einer Welt, in der wir im Sommer überquellende Solarpaneele haben und im Winter Kerzenlicht-Partys veranstalten – romantisch, aber nur bedingt praktikabel.

Und so bleibt uns die stille Bewunderung für die Visionäre, die glauben, dass der Strom einfach aus der Luft kommt – mit dem Wissen, dass die Realität, wie immer, unbeirrbar ihren eigenen Takt schlägt. Zwischen Polemik, Zynismus und Augenzwinkern dürfen wir uns vielleicht noch an der Hoffnung festhalten, dass Menschheit und Stromnetz eines Tages zusammen tanzen – hoffentlich nicht auf dünner Leitung.

Demokratie – diese alte Tante

Es war einmal ein Staatswesen, das sich stolz „Demokratie“ nannte. Eine behäbige, aber liebenswürdige alte Tante, die einst, in den Tagen ihrer Jugend, den Bürgern versprach, dass ihre Stimmen den Lauf der Welt bestimmen würden. Sie war umgeben von Institutionen, die wie Kinder unterschiedlicher Väter wirkten: das Parlament (volkstümlich, manchmal etwas ungezogen), die Regierung (geschäftig, gern am Telefon) und – im Hintergrund, damals noch in diskreter Zurückhaltung – die Gerichte und die Wissenschaft. Doch wie in jeder alternden Familie haben sich die Rollen verschoben: Heute tritt die Tante nur noch selten auf, spricht, wenn überhaupt, in vorbereiteten Phrasen, und während sie nach Atem ringt, haben ihre einst stillen Kinder das Regiment übernommen. Die Frage, die sich aufdrängt, lautet: Wozu noch Parlamente, wenn Gerichte und „die Wissenschaft“ längst das Programm schreiben und die Pointen verteilen?

Die Robe als Gesetzgeber

Beginnen wir mit dem ersten neuen Machtzentrum: der Gerichtsbarkeit. Früher waren Richter so etwas wie Schiedsrichter in einem Spiel, dessen Regeln das Parlament aufgestellt hatte. Heute wirken sie eher wie Drehbuchautoren, die mitten in der Vorstellung den Plot umschreiben. Das jüngste Lieblingsgenre heißt „Migration“. Die Legislative mag Gesetze erlassen – doch das ist nur das Rohmaterial, das im Gerichtssaal zu einem völlig neuen Werk geformt wird.

Das Muster ist bekannt: Die Regierung will Grenzen setzen (ein altmodischer Reflex, vermutlich aus der Zeit, als Landkarten noch dicke schwarze Linien trugen), doch die Robe hebt die Hand und sagt: „Das widerspricht höheren Prinzipien.“ Diese Prinzipien sind oft so elastisch formuliert, dass man aus ihnen sowohl die Notwendigkeit einer restriktiven Politik als auch das Gegenteil ableiten könnte – man entscheidet sich natürlich für das Gegenteil. Das ist keine Willkür, das ist „Rechtsfortbildung“.

Und so werden aus Absichtserklärungen „unveräußerliche Rechte“, aus temporären Maßnahmen „verfassungswidrige Zumutungen“ und aus jeder Debatte im Parlament ein Staffellauf, bei dem der Stab in der ersten Kurve an den Richter übergeben wird. Das Volk schaut derweil von der Tribüne und fragt sich, warum es eigentlich Steuern für Abgeordnete zahlt, deren Gesetze eine Halbwertszeit kürzer als die eines Social-Media-Trends haben.

Die Laborkittel-Monarchie

Das zweite Machtzentrum trägt keine Robe, sondern einen weißen Kittel. „Die Wissenschaft“ – oder genauer: das, was man in der Öffentlichkeit dafür hält – hat es geschafft, sich als überparteiliche Instanz zu inszenieren, die jenseits aller politischen Auseinandersetzung thront. Wer ihr widerspricht, steht unter dem Verdacht der Häresie. Ihr gegenwärtiges Hauptthema ist der „Klimawandel“.

Früher galt: Wissenschaft liefert Daten, Politik entscheidet. Heute gilt: Wissenschaft liefert Entscheidungen, Politik liefert Rechtfertigungen. Der Abgeordnete, der einst in einer hitzigen Debatte argumentierte, ist nun zu einer Art Pressesprecher der Naturgesetze geworden. Er darf ankündigen, was „die Wissenschaft“ beschlossen hat, und vielleicht noch den Zeitpunkt der Pressekonferenz bestimmen – mehr nicht.

Besonders delikat ist, dass „die Wissenschaft“ in der realen Welt nicht das monolithische Wesen ist, als das sie präsentiert wird. Sie ist ein brodelnder Diskurs, in dem Hypothesen, Annahmen und Interpretationen aufeinanderprallen. Doch in der politischen Nutzung wird daraus eine einzige Stimme – zufällig immer jene, die zur Agenda passt. Man könnte sagen: Wir erleben eine Theokratie, nur dass die Priester Laborbrillen tragen und das Hohe Lied der Peer-Review-Studie singen.

Die Exekutive als Erfüllungsgehilfe

Zwischen diesen beiden neuen Souveränen – Robe und Kittel – steht die Exekutive, die Regierung, und schaut wie ein älterer Bruder zu, dem man den Führerschein abgenommen hat. Ihre Aufgabe besteht zunehmend darin, Verordnungen zu formulieren, die schon vor der Verkündung von Gutachten, Gerichtsurteilen und wissenschaftlichen Konsenspapieren vorgeprägt sind.

Minister werden zu Kurieren degradiert: Sie liefern die Post aus, die andere verfasst haben. Manchmal dürfen sie noch den Umschlag wählen, aber niemals den Inhalt des Schreibens ändern. Die Spielräume schrumpfen auf kosmetische Maßnahmen, während die grundlegenden Weichen längst an anderen Orten gestellt werden. Wer jetzt noch vom „Primat der Politik“ spricht, gleicht einem Schauspieler, der mitten in einer Aufführung „Improvisation!“ ruft, während ihm der Souffleur jeden Satz ins Ohr flüstert.

Das Parlament als Folkloregruppe

Und das Parlament? Es ist zum Theater geworden – allerdings nicht zu einem, in dem das Publikum vor Spannung den Atem anhält. Eher gleicht es einer Folkloregruppe, die historische Bräuche pflegt: hitzige Debatten, lange Reden, Abstimmungen. Doch jeder weiß, dass die eigentlichen Entscheidungen längst anderswo gefallen sind. Die Abgeordneten spielen Demokratie wie man Mittelalter-Märkte spielt: mit authentischen Kostümen, aber ohne echte Pestgefahr.

Das Tragische ist, dass viele Bürger noch immer glauben, hier geschehe die Politik. Sie empören sich über Reden, klatschen bei Zwischenrufen, schreiben empörte Mails an ihre Abgeordneten – und merken nicht, dass diese längst Statisten in einem Stück sind, dessen Drehbuch in anderen Häusern geschrieben wurde. Die wahre Macht hat sich leise und fast unbemerkt verlagert, nicht durch einen Putsch, sondern durch eine schleichende Kompetenzverschiebung, die mit den besten Absichten begann.

Der Bürger als Zaungast

Am Ende bleibt der Bürger übrig – jener Souverän, in dessen Namen all das geschieht. Einst durfte er sich einbilden, durch Wahlen die Richtung zu bestimmen. Heute erinnert er an den Mann, der auf einer historischen Eisenbahnstrecke sitzt und denkt, er steuere den Zug, während in Wirklichkeit ein autonomes System längst Kurs und Geschwindigkeit festgelegt hat. Er darf gelegentlich noch am Hebel ziehen, doch der Hebel ist nur noch Attrappe.

Diese Entmachtung geschieht nicht mit Gewalt, sondern mit einer Mischung aus technokratischer Überzeugungskraft und moralischem Imperativ. Wer fragt, ob vielleicht doch das Parlament entscheiden sollte, gilt schnell als Feind von „Rechtsstaat“ oder „Wissenschaft“. Die Demokratie stirbt nicht in einem Putsch, sie geht in Rente – mit einem feierlichen Applaus und einer Laudatio von denen, die ihre Aufgaben übernommen haben.

Ironie als letzte Bürgerpflicht

Vielleicht ist das alles unvermeidlich. Vielleicht war es naiv zu glauben, dass Parlamente im Zeitalter globaler Krisen, hochkomplexer Wissenschaft und internationaler Rechtsordnungen noch wirklich frei entscheiden könnten. Vielleicht ist die Demokratie einfach ein Nostalgieprojekt – wie Schallplatten, Dampfloks oder handgeschriebene Briefe.

Doch solange die alte Tante noch lebt, könnten wir ihr wenigstens ein würdiges Dasein sichern: Sie muss nicht jeden Tag hart arbeiten, aber sie sollte nicht ganz entmündigt werden. Und wenn wir schon zusehen müssen, wie Robe und Kittel die Bühne übernehmen, sollten wir es mit einem Augenzwinkern tun. Denn wer den Humor verliert, verliert endgültig – und dann bleibt uns nur noch die stille Bewunderung für ein perfekt funktionierendes, völlig demokratieunabhängiges Uhrwerk.

Ist das Demokratie, oder kann das weg?

Demokratie, nur in der EU-Deluxe-Ausführung – ohne Demokratie

Es gibt demokratische Systeme, in denen das Volk entscheidet.
Es gibt oligarchische Systeme, in denen eine kleine Elite entscheidet.
Und es gibt die Europäische Union, in der eine winzige Elite entscheidet, aber nur, nachdem sie das Volk vorher mit einer geradezu rührenden Auswahl an pseudodemokratischen Beschäftigungstherapien unterhalten hat.

Man könnte sagen, die EU sei eine Demokratie, so wie ein Fisch ein Baum ist: Sie hat ungefähr dieselbe Beziehung zum Konzept, teilt aber weder die Eigenschaften noch den Lebensraum. Wenn Churchill sagte, Demokratie sei die schlechteste Regierungsform, ausgenommen alle anderen, so würde er bei der EU vermutlich anmerken: „Das ist nicht die schlechteste Regierungsform – das ist ein IKEA-Baukasten, bei dem man nie alle Schrauben findet, die Anleitung auf Maltesisch ist und der Schrank am Ende wie eine Zeitmaschine aussieht, aber nicht funktioniert.“

Der Zaubertrick mit den Institutionen – und das Kaninchen ist tot

Das Europäische Parlament ist der glamouröse Magier auf der Bühne. Es winkt, lächelt, verbeugt sich, und das Publikum denkt: „Ah, das sind die, die uns vertreten.“ Hinter dem Vorhang jedoch zieht die Kommission die Fäden – ein Gremium, das man weder direkt wählt noch wirklich kontrolliert.

Und genau hier liegt die Magie: Die EU hat es geschafft, ein System zu schaffen, in dem man wählen darf, aber nicht wählen kann, was zählt. Das Parlament darf sprechen – manchmal sogar laut –, aber die Partitur liegt woanders, bei den Kommissaren. Diese wiederum wurden entsandt von nationalen Regierungen, die im Zweifel lieber ihre parteipolitischen Restposten nach Brüssel verschicken, damit diese dort unter Aufsicht und sicherer Verwahrung keinen Schaden mehr daheim anrichten.

Bürokratie als göttliche Offenbarung

Die EU liebt Regeln. Nicht so wie ein Richter Gesetze liebt – sondern so wie ein Pyromane Zündhölzer liebt: exzessiv, mit ungesunder Leidenschaft und ohne Rücksicht auf Kollateralschäden.
Jedes Problem wird in einer Brüsseler Kloake aus Komitologie, Subsidiarität und Binnenmarktlogik ertränkt, bis es – wenn überhaupt – als 1.200-seitiges Dokument wieder auftaucht, das in allen 24 Amtssprachen gleich unverständlich ist.

Beispiel gefällig? Die „Bananenkrümmungsverordnung“. Ja, die ist mittlerweile abgeschafft. Aber allein die Tatsache, dass sie existierte, sagt alles. Es ist die poetische Vollendung eines Apparates, der glaubt, die Natur selbst müsse sich gefälligst an die Zolltarifnummer halten.

Die Wahlfarce im Schaufenster

Alle paar Jahre: Wahl zum Europäischen Parlament. Die Plakate versprechen „Mehr Europa“ oder „Ein anderes Europa“ – was in der Praxis meist „Genau das gleiche Europa, nur mit neuem Logo“ bedeutet. Die Wahlbeteiligung dümpelt vor sich hin, und selbst jene, die wählen gehen, wissen, dass sie im Grunde darüber abstimmen, wer in Brüssel die besten Kantinenplätze bekommt.

Dem Bürger wird eine Rolle zugestanden, die an das kleine Kind bei der Hochzeit erinnert, das die Ringe bringt: Man darf feierlich durchs Mittelgang marschieren – aber die Ehe wird danach trotzdem ohne einen beschlossen.

Kann das weg?

Ob das noch Demokratie ist? Ja, im selben Sinne, wie ein Tiefkühl-Fertiglasagneprodukt noch italienische Küche ist: technisch gesehen ja, kulturell gesehen eine Beleidigung.
Ob es wegkann? Man könnte, klar. Aber man müsste auch bereit sein, alle Konsequenzen zu tragen – und zwar die, die man sich nicht auf EU-Gegner-Plakaten ausmalt, sondern jene, bei denen plötzlich der innereuropäische Güterverkehr so flexibel ist wie ein britischer Zollbeamter nach dem Brexit.

Die EU ist wie ein verhaltensauffälliger, aber unersetzbarer Hund: Sie frisst Ihre Möbel an, bellt nachts grundlos, legt Ihnen tote Mäuse vor die Tür – aber Sie behalten ihn, weil die Alternative darin bestünde, allein im Haus zu sitzen und zuzusehen, wie Einbrecher kommen.

Bis dahin bleibt die EU, was sie ist: eine feierlich lächelnde Bürokratiemaschine, die Demokratie spielt wie ein mittelmäßiger Schauspieler Shakespeare – mit großem Gestus, holprigem Text und der unerschütterlichen Überzeugung, dass niemand es wagen wird, den Saal vor der Pause zu verlassen.

Bürgerkrieg im Westen

Das große Schweigen des Feuilletons

Es gehört zu den sonderbareren Eigenheiten unserer Zeit, dass ausgerechnet jene Berufsgruppe, die seit Jahrzehnten unermüdlich das drohende Ende der Welt herbeischreibt – vorzugsweise durch die Klimakatastrophe, notfalls aber auch durch pandemische Heimsuchung oder den schleichenden Verfall der Rechtschreibung – nun bei einer handfesten Untergangsprognose verstummt. David Betz, Kriegsforscher mit britischem Akzent und akademischem Stallgeruch, hat die Stirn, nicht von Erderwärmung, sondern von Bürgerkrieg zu sprechen. Ein echter, schmutziger Bürgerkrieg, mit Granaten, Schusswechseln und der kleinen, aber feinen Chance, dass der Nachbar plötzlich in Tarnhose und mit Kalaschnikow auf der Einfahrt steht.

Doch statt in die Tasten zu greifen und den literarischen Kriegsdienst anzutreten, sitzt das deutsche Feuilleton in seinen gut geheizten Redaktionsstuben und nippt am dritten Flat White. Man könnte meinen, eine fatale „Themenmüdigkeit“ sei ausgebrochen, oder schlimmer: der stille Konsens, dass Betz’ Analyse so unangenehm wahr sein könnte, dass man sie besser im Giftschrank der unbesprochenen Bücher belässt. Die Angst, durch bloßes Aussprechen den Ereignissen eine Art performative Realität zu verleihen, ist in Deutschland so alt wie die Sorge, dass eine kritische Anmerkung zu Migrationspolitik automatisch zum Verlust der Restlaufzeit der eigenen Karriere führt.

Vom molekularen zum makroskopischen Bürgerkrieg

Hans Magnus Enzensberger, der 1993 noch ungescheut von „molekularem Bürgerkrieg“ sprach, war zu seiner Zeit der intellektuelle Flammenwerfer im wohlgeordneten Garten des bundesdeutschen Diskurses. Seine Warnungen vor dezentraler Gewalt wurden teils als hellsichtig, teils als kulturpessimistische Miesepetrigkeit abgetan. Heute wirken sie wie ein laues Aperitifgespräch gegenüber der satten Hauptmahlzeit, die Betz uns serviert. Wo Enzensberger noch von improvisierten Schlagwaffen träumte, hantieren die Akteure des Jahres 2025 längst mit Sturmgewehren, Sprengstoff und strategischer Logistik, die an Miniaturausgaben echter Kriegsparteien erinnert.

Der „molekulare“ Charakter hat einer geordneten Arbeitsteilung Platz gemacht: Banden, Milizen, religiöse Zellen – alle arbeiten Hand in Hand an der systematischen Zerlegung des Gemeinwesens. Es ist eine Art neoliberaler Bürgerkrieg: dezentral organisiert, divers besetzt, mit flachen Hierarchien und beeindruckender unternehmerischer Initiative. Dass dabei das Staatsmonopol auf Gewalt nicht etwa stürzt, sondern in manchen Gegenden gar nicht mehr auffindbar ist, wirkt weniger wie eine Revolution, sondern wie das Ergebnis einer jahrelangen strategischen Auslagerungspolitik.

Soziales Kapital: Das neue Kryptogeld

Betz spricht vom Verlust „sozialen Kapitals“, als sei es ein Sparkonto, das irgendwann einfach leergeräumt wurde, während die Gesellschaft noch gemütlich auf der Couch döste. Dieses Kapital – Vertrauen, Zusammenhalt, kulturelle Kontinuität – ist im Westen inzwischen so rar wie ein ehrlicher Wahlkampf. Stattdessen wuchert eine Hyperdiversität, die nicht in bunten Werbekampagnen endet, sondern in ethnischen Parallelgesellschaften, deren Einigkeit darin besteht, sich nicht einig zu sein.

Man könnte sagen: Integration wurde zur Netflix-Serie – viel versprochen, am Ende aber mit offenem Ende abgesetzt. Der demokratische Prozess wirkt für viele Bürger wie ein Gesellschaftsspiel, bei dem die Regeln ständig geändert werden, während der Gastgeber ihnen erklärt, das sei alles alternativlos. Das Ergebnis ist nicht einfach Politikverdrossenheit, sondern ein stiller, tiefer Entzug von Loyalität gegenüber einer Ordnung, die nicht mehr als „unsere“ wahrgenommen wird.

Frankreich und Großbritannien: Probefeld des Zerfalls

Betz sieht in Frankreich und Großbritannien die Spitzenreiter auf dem Weg ins Chaos – und man muss zugeben, die beiden liefern beständiges Anschauungsmaterial. Frankreich, wo die Muslimbruderschaft inzwischen nicht nur in Moscheen, sondern auch in Ministerien Fuß gefasst haben soll, probt regelmäßig den Aufstand mit militärischem Gerät. Die Republik taumelt zwischen republikanischem Pathos und innerstädtischen Belagerungszuständen, während Generäle offene Briefe schreiben, als sei die Armee bereits eine Exilregierung.

Großbritannien hingegen hat sich für ein anderes Modell entschieden: den moralischen Selbstmord aus Angst vor falscher Gesinnung. Die „Grooming Gangs“-Skandale offenbaren einen Staat, der bereit war, Kinder systematisch zu opfern, um nicht des Rassismus verdächtigt zu werden. Die moralische Kapitulation vor ethnischen Machtgruppen wirkt dabei nicht wie ein Unfall, sondern wie ein bewusst eingegangenes Schutzgeldverhältnis – nur dass hier nicht der kleine Ladenbesitzer zahlt, sondern die nationale Würde.

Der Normalcy Bias: Das mentale Morphium

Der vielleicht bitterste Teil von Betz’ Diagnose ist sein Hinweis auf den „Normalcy Bias“. Diese geistige Zwangsjacke hindert selbst kluge Menschen daran, sich eine Zukunft vorzustellen, die nicht einfach eine linear fortgesetzte Gegenwart ist. Es ist, als säßen wir alle in einem Zug, dessen Lokführer bereits längst aus dem Fenster gesprungen ist, und hielten es für wahrscheinlich, dass die Gleise sich schon irgendwie selbst verlegen werden.

In Deutschland wird diese kognitive Selbsthypnose gern mit moralischer Überlegenheit garniert. Man kann sich eher das Ende der Menschheit durch Klimawandel vorstellen als das Ende der liberalen Demokratie – schon weil letzteres bedeuten würde, die eigene politische Immunität gegen Irrtum infrage zu stellen. Die Pointe an Betz’ Analyse ist daher ebenso simpel wie schmerzhaft: Das Ende der Geschichte, das uns seit 1989 wie ein Wellnessversprechen verkauft wurde, hat nicht stattgefunden. Im Gegenteil – die Geschichte ist zurück. Und sie hat keine Lust mehr, nett zu sein.

Ein halbes Milliärdchen für den Frieden

Deutschland hat mal wieder das getan, was Deutschland in internationalen Krisen so gerne tut: es hat einen Scheck ausgestellt. Oder besser gesagt, eine Absichtserklärung, die irgendwo zwischen symbolischer Großzügigkeit und haushalterischem Mikado liegt – bloß nicht zu viel bewegen, damit nichts umfällt. 500 Millionen US-Dollar, das klingt nach einer Zahl, die sowohl imposant als auch beruhigend diffus wirkt. Für den Steuerzahler sind es nur ein paar Nullen auf einem Papier, für die Politik ein Argument, beim nächsten Gipfeltreffen das eigene Gewissen in einem schicken Koffer zu präsentieren. Die Ukraine darf sich freuen, und der Bundesbürger darf in Talkshows nickend murmeln, „wir tun ja, was wir können“, bevor er wieder über das Tempolimit diskutiert.

Der große NATO-Weihnachtsmann

Der neue Mechanismus, den NATO und USA so feierlich initiiert haben, erinnert in seiner Funktionsweise verdächtig an einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann – nur dass der Weihnachtsmann diesmal eine Uniform trägt, streng nach Dienstvorschrift lächelt und statt Mandeln und Orangen präzisionsgelenkte Munition verteilt. Deutschland spielt in diesem Szenario den Onkel, der beim Familienfest stets den Geldumschlag überreicht, weil er weder die Lust noch die Geduld hat, sich mit der tatsächlichen Wunschliste auseinanderzusetzen. „Hier, macht was draus“, sagt Berlin, und meint damit: „Wir wollen helfen, aber bitte ohne Rückfragen, ob es wirklich reicht.“ Dass der Geldumschlag ausgerechnet aus der Haushaltskasse stammt, in der eigentlich auch Mittel für Schulen, Brücken und kaputte Zugtoiletten liegen, wird im Beipackzettel nicht erwähnt.

Haushaltskunst in Zeiten des Krieges

Natürlich ist so ein halbes Milliärdchen keine Kleinigkeit – zumindest nicht für die Bürger, die zwischen Heizungsgesetz und Supermarktquittung jeden Cent umdrehen. Aber in den Buchhaltungsabteilungen der Ministerien ist diese Summe ungefähr so greifbar wie der Begriff „effektive Klimaneutralität“. Man verschiebt ein paar Posten, streicht hier ein Projekt, dehnt dort den Verteidigungsetat, und schon ist das Geld magisch „gefunden“. Dass man im Gegenzug vielleicht wieder die Sanierung eines maroden Schulgebäudes auf 2032 verschiebt, ist kein Problem – die Kinder können ja schon mal lernen, sich an provisorische Zustände zu gewöhnen. Schließlich will man sie auf das wahre Leben vorbereiten, in dem Kräne und Bauzäune längst zum Stadtbild gehören wie Wahlplakate und Baustellenampeln.

Die deutsche Rüstungsethik

Der Deutsche hat ja ein gespaltenes Verhältnis zu Waffen. Einerseits möchte man sie am liebsten komplett abschaffen, andererseits stellt man sie mit höchster Präzision und Exportfreude her. Und so verpackt man Panzer, Raketen und Munition in diplomatische Watte: es ist keine „Aufrüstung“, es ist „Unterstützung“, keine „Kriegspartei“, sondern „verlässlicher Partner“. Wer sich daran stört, dem wird gern der moralische Zeigefinger entgegengestreckt, garniert mit der Andeutung, man stünde sonst auf der falschen Seite der Geschichte. Dass die eigenen Streitkräfte unterdessen darüber klagen, nicht mal genug funktionierende Helme für die Grundausbildung zu haben, ist nur ein ironischer Fußnotenwitz, den man bei Regierungspressekonferenzen elegant überhört.

Der Preis des Gewissens

500 Millionen Dollar sind nicht die Lösung. Sie sind ein Ablasshandel für das gute Gefühl, nicht völlig untätig zu sein. Sie sind das diplomatische Pendant zum Blumenstrauß, den man schickt, weil man nicht zur Beerdigung kommen konnte. Deutschland kauft sich damit Zeit, Ansehen und eine Position am Verhandlungstisch – falls es jemals zu einem solchen kommt. Und wenn nicht, kann man zumindest später sagen: „Wir haben doch unseren Beitrag geleistet.“ Die Frage, ob dieser Beitrag die gewünschte Wirkung hatte, wird wie so oft in den stilleren Kapiteln der Geschichtsbücher abgelegt. Innenpolitisch dagegen wird man in den kommenden Haushaltsdebatten die Rechnung in Form weiterer „Sparmaßnahmen“ wiederfinden – vorzugsweise bei Themen, die zwar dringend wären, aber keine internationalen Schlagzeilen bringen: Wohnungsbau, Krankenhäuser, öffentlicher Nahverkehr. Denn geopolitische Solidarität ist schön, aber eben auch deutlich medienwirksamer als ein neuer Fahrstuhl im Kreiskrankenhaus.

Schlusswort

Vielleicht ist das größte Geheimnis dieser ganzen Militärhilfe nicht, wie viel Geld fließt, sondern wie geschickt wir es schaffen, den Anschein zu erwecken, dass Geld allein ein Bollwerk gegen Raketen sein könnte. Deutschland liefert keine Wunderwaffen, sondern vor allem Symbolpolitik – hübsch verpackt, international verträglich, innenpolitisch gerade noch vermittelbar. Man könnte fast meinen, wir hätten gelernt, dass das Spiel um Macht und Moral weniger ein Schachspiel als eine Art höfliches Monopoly ist: Man kauft sich Felder, hofft, dass man nicht auf den falschen Platz kommt, und am Ende zählt nur, wer noch ein bisschen Spielgeld in der Hand hält. Der Rest sind Baustellen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – die wir schon seit Jahrzehnten tapfer ignorieren, weil sie nun mal keinen NATO-Sondergipfel wert sind.

Der letzte Satz vor der Apokalypse

Es gibt eine ganz bestimmte, fast schon poetische Ironie in Ustinovs Satz: „Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt explodiert, wird die Stimme eines Experten sein, der sagt: Das ist technisch unmöglich!“

Man könnte fast meinen, es sei eine Prophezeiung, die sich in den Protokollen der Menschheit bereits eingraviert hat. Schließlich ist das Vertrauen in die Experten unserer Zeit eine Art säkulare Religion geworden – und Experten sind ihre Hohepriester, ihre Orakel, ihre Sprachrohre des vermeintlich Unfehlbaren. Doch wie es bei Orakeln üblich ist, klingen ihre Verkündigungen oft im Nachhinein wie schlechte Satire. So auch hier: Die Welt brennt, der Himmel leuchtet in einem unschönen Orange, aber keine Sorge, liebe Zuhörer – laut Fachmeinung ist das gar nicht möglich. Vielleicht ist es auch genau das: die letzte Form von Service, bevor der große Knall kommt – ein beruhigender Irrtum.

Der Kult der Unfehlbarkeit

Die Figur des Experten ist im 21. Jahrhundert zu einer Art heiliger Kuh geworden, die man nicht schlachten darf – selbst wenn sie mitten im Wohnzimmer liegt und den Teppich ruiniert. Politiker zitieren sie, Medien schmücken sich mit ihnen, und das Volk folgt ihnen, weil: „Der muss es ja wissen!“

Doch der Experte ist nicht etwa der allwissende Halbgott, sondern oft nur ein Mensch mit einer sehr, sehr spezifischen Nische – so spezifisch, dass er in 90 % aller Fälle nichts zu sagen hat und in den restlichen 10 % falsch liegt. Das Problem: Er sagt es trotzdem.

Man stelle sich vor, Archimedes wäre zu einem brennenden Wald gerufen worden, hätte kurz in die Flammen geblickt, den Kopf geschüttelt und verkündet: „Nach meinen Berechnungen existiert Feuer nicht.“ Genau so wirken manche fachlichen Stellungnahmen, wenn die Realität sich erdreistet, außerhalb der Modellparameter zu handeln.

Apokalypse im Konferenzraum

Es ist erstaunlich, wie viele Weltuntergänge bereits in Sitzungen begonnen haben. Nicht in den dampfenden Fabrikhallen oder im Schatten geheimer Militäranlagen – nein, im Konferenzraum, mit Kaffee aus einer viel zu teuren Maschine und PowerPoint-Präsentationen, die aussehen, als wären sie von gelangweilten Praktikanten erstellt.

Da sitzen sie dann, die Experten, und analysieren mit einer Mischung aus Selbstsicherheit und müdem Desinteresse, warum das Szenario, das gerade live passiert, laut Modell unmöglich ist. Meist geschieht das mit der gleichen Tonlage, mit der ein Meteorologe einen Sonnentag ankündigt, während draußen ein Tornado die Autos stapelt. Die Ironie ist nicht, dass sie sich irren – das tun wir alle. Die Ironie ist, dass sie sich irren und gleichzeitig überzeugt sind, dass sie es nicht tun.

Die Chronik der Fehleinschätzungen

Historisch gesehen hat der Satz „Das ist technisch unmöglich“ schon eine beachtliche Karriere hingelegt.

  • „Fliegende Maschinen? Physikalisch nicht umsetzbar“, sagten Experten, bevor die Gebrüder Wright starteten.
  • „Computer im Haushalt? Wozu?“, fragten Ingenieure noch in den 70ern.
  • „Das Internet wird sich nicht durchsetzen“, erklärte ein Digitalberater 1995 und verschwand vermutlich kurz darauf im Orkus der eigenen Prognosen.

Diese Liste ist nicht nur lang, sie ist unendlich – und jede neue Fehleinschätzung reiht sich ein wie ein weiteres Puzzlestück in das große Kunstwerk menschlicher Überzeugungskraft. Es ist, als ob der Satz „Das ist unmöglich“ die Einladung der Geschichte wäre, es sofort möglich zu machen.

Zynismus als Notwehr

Es bleibt also nur der Zynismus, nicht als bloßes Lästern, sondern als geistige Überlebensstrategie. Denn wenn die letzte Stimme, die wir hören, tatsächlich diese des Experten ist, der den Untergang für ausgeschlossen erklärt, dann wollen wir wenigstens innerlich vorbereitet sein.

Vielleicht wird es in diesem finalen Moment auch kein panischer Schrei sein, sondern ein höflich formuliertes Gutachten: „Nach gegenwärtigem Kenntnisstand kann ein spontanes Auseinanderbrechen des Planeten nicht eintreten.“ Sekunden später hören wir ein Geräusch, das stark an das Zerbrechen einer Kaffeetasse erinnert – nur in deutlich größerem Maßstab.

Epilog: Die ultimative Ironie

Am Ende könnte man Ustinovs Satz auch als eine Art Trost verstehen. Wenn die Welt schon untergeht, dann wenigstens in einer perfekt absurden Pointe. Kein Chaos, keine unverständlichen Schreie, kein sinnloser Heldenmut – nur die gelassene Stimme des Irrtums, die uns versichert, dass das, was gerade geschieht, nicht geschehen kann.

Und vielleicht, ganz vielleicht, ist das die letzte Form von Humor, die uns bleibt: Lächeln, während der Abgrund näher kommt, wissend, dass wir wenigstens mit Stil untergehen.

Ewig grüßt das Gipfeltreffen: Wenn Geschichte nur das Kostüm, nicht den Plot wechselt

Yalta – die hohe Kunst des Weltzerschneidens bei Kaffee und Zigarren

Es gibt historische Momente, die in den Geschichtsbüchern wie sorgfältig eingelegte Schmetterlinge wirken: unbeweglich, farbenprächtig, aber tot – und der Februar 1945 in Jalta gehört zu diesen museal konservierten Augenblicken, in denen Männer mit viel Macht und noch mehr Selbstgewissheit den Globus wie einen überreifen Pfirsich in saftige Segmente zerschnitten. Roosevelt, gezeichnet vom Krieg, in einem Rollstuhl, der ebenso symbolisch wie physisch seine Beweglichkeit einschränkte; Stalin, in seiner uniformierten Beharrlichkeit, der eine Mischung aus misstrauischer Gelassenheit und unterdrückter Siegeslust ausstrahlte; und Churchill, der alte Fuchs mit Zigarre, der auf Fotos stets so dreinschaut, als habe er bereits drei Kapitel eines besonders gemeinen Memorandums im Kopf.

Hier wurde nicht nur der „Frieden“ nach dem Zweiten Weltkrieg geplant – nein, hier wurden gleich die Grundlagen für den nächsten, den Kalten, gelegt. Denn die Aufteilung Europas in Einflusssphären war weniger ein Akt der Versöhnung als vielmehr ein sorgfältig austariertes Wettrüsten der künftigen Narrative: der Westen mit seiner moralischen Selbstüberhöhung, der Osten mit seiner revolutionären Rhetorik, und in der Mitte ein Europa, das man schon damals eher als Spielbrett denn als politisches Subjekt behandelte.

Der Kalte Krieg – ein gefrorener Vulkan mit sehr heißem Herzen

Man könnte meinen, die nachfolgenden vier Jahrzehnte wären ein einziger, endloser Opernakt gewesen, in dem zwei Supermächte in ständiger Erwartung der Arie des Weltuntergangs verharrten. Raketenbasen wurden gebaut, Panzer produziert, Spionagesatelliten ins All geschossen – und all das unter dem Deckmantel einer ideologischen Mission, die so pathetisch wie hohl war: Freiheit gegen Kommunismus, Demokratie gegen Diktatur, Kapital gegen Planwirtschaft.

In Wahrheit war der Kalte Krieg weniger ein Ringen der Systeme als vielmehr ein Wettbewerb der Eitelkeiten, ein gigantisches Schachspiel, dessen Figuren aus real existierenden Armeen bestanden. Das Schöne (oder Zynische) daran: Die Hauptakteure trafen sich hin und wieder zu freundlichen Fototerminen, um den Eindruck zu erwecken, sie könnten den Stecker ziehen, wenn ihnen danach wäre – wohlwissend, dass ihr politisches Überleben zu Hause vom Gegenteil lebte: dem Schüren der Angst.

1987 – Reagan und Gorbatschow: Theateraufführung mit Abrüstungsdekor

Der INF-Vertrag von 1987, unterzeichnet in Washington, war ein seltener Moment, in dem zwei Männer, die ideologisch auf verschiedenen Planeten lebten, gemeinsam eine Handlung vollzogen, die nach gesundem Menschenverstand roch. Reagan, der ehemalige Schauspieler, verstand die Macht der Inszenierung: große Gesten, scharf geschnittene Sätze und ein Lächeln, das zwischen Hollywood und Oval Office oszillierte. Gorbatschow, mit seinem markanten Mal auf der Stirn, wirkte wie der erste sowjetische Staatschef, der begriffen hatte, dass Panzer zwar gut für Paraden, aber schlecht für Supermarktschlangen sind.

Und so unterzeichneten sie das Abkommen, das Mittelstreckenraketen verbannte, während im Hintergrund Generäle und Geheimdienste fieberhaft neue Szenarien entwarfen, um das entstandene Sicherheitsvakuum mit anderen Bedrohungen zu füllen. Denn Abrüstung ist im militärisch-industriellen Komplex das, was ein Diätplan im Schokoladenwerk ist: theoretisch sinnvoll, praktisch ruinös.

2025 – Alaska: Trump und Putin auf der Bühne der historischen Absurdität

Stellen wir uns also diese Szene vor: Donald Trump, der als politischer Stilbruch auf zwei Beinen die feine Kunst der diplomatischen Rhetorik durch den sprachlichen Holzhammer ersetzt, und Wladimir Putin, dessen Mimik zwischen freundlichem Pokerface und latentem „Ich könnte dich jederzeit in Sibirien verschwinden lassen“-Blick pendelt. Ort: Alaska – ein symbolischer wie klimatisch frostiger Treffpunkt, bei dem man nicht weiß, ob die Temperatur oder die Gesprächsatmosphäre schneller unter den Gefrierpunkt fällt.

Das Drehbuch dieser Konferenz könnte man kaum zynischer erfinden: Ein Präsident, der in Großbuchstaben denkt, trifft auf einen Ex-KGB-Offizier, der in Schachzügen rechnet. Man diskutiert über Frieden, während in mehreren Zeitzonen gleichzeitig Stellvertreterkriege laufen, über Handel, während Sanktionen im Hintergrund wie Schlaglöcher im globalen Wirtschaftspflaster klaffen, und über Kooperation, während jeder Teilnehmer im Stillen den Abgang des anderen plant.

Und wenn am Ende die Kameras blitzen, die Hände geschüttelt und die Erklärungen verlesen werden, weiß man wie seit Jalta: Entscheidungen werden nicht hier, sondern in den Schattenräumen danach gefällt. Der Rest ist Kulisse – und das Publikum darf zwischen Gelächter und Gänsehaut wählen.

Epilog – die ewige Wiederholung mit neuen Kostümen

Geschichte, so sagt man, wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Im Fall der großen US-russischen Gipfeltreffen wirkt der Reim allerdings wie ein Gedicht, das von einem gelangweilten Bürokraten auf der Rückseite eines Waffenvertrags hingekritzelt wurde. Ob Jalta 1945, Washington 1987 oder hypothetisch Alaska 2025 – der Plot bleibt gleich: Zwei Männer mit zu viel Macht, umgeben von zu vielen Beratern, sitzen an einem Tisch, auf dem Weltkarten liegen, und reden von Frieden, während irgendwo jemand die nächste Eskalationsstufe vorbereitet.

Die Moral? Wenn zwei Elefanten tanzen, leidet das Gras. Und die Weltpolitik – nun ja – ist ein Tanzparkett, das erstaunlich oft neu gewachst wird, damit die gleichen Schritte von den gleichen Tänzern in neuen Schuhen wiederholt werden können.

Was man über den Gipfel in Alaska wissen sollte

Die heiligen Maximen der pragmatischen Heuchelei

Es ist ja immer wieder rührend, wie die moralische Empörung in bestimmten politischen Milieus auflodert, sobald der Name „Trump“ fällt – als ob die Vereinigten Staaten bis 2016 ein in sich reines, von Engelsflügeln getragenes Gemeinwesen gewesen wären, das unbefleckt von Machthunger, Ressourceninteressen und geopolitischen Spielchen durch die Welt wandelte. Wer glaubt, der orangefarbene Mann aus Queens habe persönlich die außenpolitische DNA Amerikas mutiert, der sollte dringend ein Geschichtsbuch lesen – und zwar eins, in dem Henry Kissinger vorkommt, dieser Zyniker im Dreiteiler, der die Weltpolitik wie eine Schachpartie spielte, bei der man notfalls auch mal das Brett anzündet, wenn der Gegner zu gut zieht.

Kissingers nüchterne Erkenntnis – „Amerika hat keine Freunde oder Feinde, sondern nur Interessen“ – ist kein schmutziges Geheimnis, sondern die Grundmelodie der US-Außenpolitik seit mindestens 1945. Sie wird in den Schulen nicht gelehrt, aber sie wird von jeder Administration geübt, egal ob der Präsident Harvard-Absolvent oder Immobilienhändler ist.

Von Kissingers bis Brzezińskis: Die Unheilige Allianz von Realpolitik und Kalkül

Brzeziński, ein Mann, der das geopolitische Schachbrett nicht nur sah, sondern es in 3D und mit Laserpointer visualisierte, sprach sinngemäß aus, was in Washington seit jeher als Ketzerei gilt, wenn man es zu laut sagt: Ein geeintes, kooperierendes Deutschland und Russland wäre ein Albtraum für Amerika. Nicht, weil Washington plötzlich Angst vor Friedenskonferenzen oder fairen Handelsbeziehungen bekäme – nein, weil ein solches Bündnis die „politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Eurasiens“ sichern könnte. Und wer Unabhängigkeit hat, der braucht keine Schutzmacht mehr. Schutzmächte ohne Schutzbedürftige sind wie Versicherungen ohne Angstkampagnen – sie werden überflüssig.

Und so setzt sich diese Logik fort: George Friedman, Chefstratege mit der sanften Eloquenz eines Mannes, der Karten von Pipeline-Trassen über den Kamin hängt, formulierte es noch klarer: „Die Aufrechterhaltung eines starken Keils zwischen Deutschland und Russland ist für die Vereinigten Staaten von überwältigendem Interesse„. Ohne diesen Keil könnte der europäische Kontinent womöglich beginnen, in eigenen Kategorien zu denken. Eine geopolitische Sünde, die in Washington ungefähr den gleichen Schrecken auslöst wie ein sozialistischer Bürgermeister in Texas.

Der Trump-Faktor: Rüpel oder Offenbarungseid?

Trump hat diese Prinzipien nicht erfunden – er hat sie nur auf die subtilste Weise entzaubert, nämlich indem er die Subtilität wegließ. Während seine Vorgänger höflich auf internationalen Konferenzen lächelten, bevor sie Sanktionen verhängten oder Drohnen losschickten, wischte er mit einer Art „Was-guckst-du-so?“-Attitüde das diplomatische Make-up vom Gesicht der US-Außenpolitik.

Man muss es ihm lassen: Nie zuvor war amerikanischer Pragmatismus so entblößt, so schamlos, so Instagram-tauglich. Die alte Regel, dass man einem Verbündeten immer erst sagt, wie sehr man ihn schätzt, bevor man ihm in die Tasche greift, hielt er für Zeitverschwendung. Stattdessen bekam die Weltpolitik einen Reality-Show-Charakter: Die Allianzen waren Staffeln, die Deals Episoden, und das Publikum durfte raten, wer in der nächsten Folge abserviert wird.

Der ewige Keil: Eine Erfolgsgeschichte

Man könnte meinen, nach dem Kalten Krieg wäre diese alte „Teile und herrsche“-Formel obsolet geworden. Aber nein – sie wurde perfektioniert.
Deutschland und Russland?
Gasleitungen, die „Frieden durch Handel“ versprachen, wurden plötzlich zu „Bedrohungen für die nationale Sicherheit der USA“. Wer hätte gedacht, dass Moleküle aus Sibirien in deutschen Heizungen eine größere Gefahr darstellen als alle internationalen Terrornetzwerke zusammen?

Die amerikanische Politik hier ist ein Kunstwerk in Selbstreferentialität:

  • Erst wird betont, wie gefährlich russischer Einfluss ist.
  • Dann wird gewarnt, dass europäische Energieabhängigkeit fatal wäre.
  • Schließlich verkauft man teures US-Fracking-Gas – als Akt der Freiheit.

Man möchte fast applaudieren: Diese Mischung aus Marktwirtschaft, Moralpredigt und Sicherheitsdoktrin ist so elegant, dass man vergisst, wie alt sie ist.

Fazit: Trumps „Sünde“ war Ehrlichkeit

Wenn man all das zusammennimmt, sieht man: Wer Trump für den Ursprung allen außenpolitischen Übels hält, hat entweder nie von Kissinger gehört oder verwechselt Rhetorik mit Realität.
Trumps Vorgänger spielten Schach mit Samthandschuhen, er spielte Poker mit gezinkten Karten – und grinste dabei in die Kamera. Dass er dabei die lange, traditionsreiche Linie US-amerikanischer Interessenspolitik bloßlegte, war keine Abweichung, sondern ein öffentlicher Dienst.

Vielleicht sollten wir, statt ihn als Ausreißer zu brandmarken, dankbar sein: Er war der erste Präsident seit Langem, der den Katalog der Maximen nicht im Schrank ließ, sondern ins Schaufenster stellte – inklusive Preisschild.

Das Zeitalter der fünf großen Lügen

Die Kunst der Erinnerung in Zeiten der Amnesie

Historiker sind Lügner mit Fußnoten.
Das klingt böse, ist aber nur der Versuch, ehrlich zu sein – was in unserer Epoche schon als subversiver Akt gilt. Wenn man dereinst auf die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts zurückblickt, wird man feststellen, dass wir es nicht etwa an technischen Möglichkeiten, wissenschaftlichem Fortschritt oder Daten mangeln ließen – sondern an Mut, sie zu benutzen. Stattdessen gaben wir uns einer Art ideologisch gepflegtem Gruppentheater hin, in dem alle dieselben fünf Mythen nachsprachen, während draußen, im zugigen Wind der Wirklichkeit, die Kulissen schon lange schwankten.

Andere Epochen hatten ihre Etiketten: Biedermeier, Gründerzeit, Wirtschaftswunder. Wir hingegen werden uns wohl damit abfinden müssen, dass spätere Generationen unsere Ära das „Zeitalter der fünf großen Lügen“ nennen werden – oder, je nach Schulbuchversion, die „Phase der moralisch notwendigen Wahrheiten“. Denn was die eine Generation Lüge nennt, nennt die andere schlicht Haltung.

Lüge 1: Das Klima – Wenn der Weltuntergang sich verspätet

Seit Jahrzehnten war es das Lieblingshobby ganzer Politikergenerationen, den Weltuntergang nicht nur zu prophezeien, sondern ihm auch jährlich eine neue Deadline zu setzen. Immer so in etwa zehn bis zwölf Jahre entfernt – weit genug, um nicht sofort geprüft zu werden, nah genug, um Panik zu erzeugen. Die Bilder: Eisbären, die angeblich ertrinken, obwohl sie nachweislich ausgezeichnete Schwimmer sind. Der Kölner Dom, der bis zum Jahr 2020 unter Wasser stehen sollte, wobei der Rhein offenbar schneller steigt als der Meeresspiegel.

Doch als sich die Wirklichkeit nicht fügte, erfand man den rhetorischen Rettungsring: aus „Global Warming“ wurde „Climate Change“. Das ist so herrlich unpräzise, dass selbst ein kühler Sommer als Beweis für die Erwärmung dienen kann. Dass man damit auch die meteorologischen Launen der letzten 4,5 Milliarden Jahre unter den Verdacht menschengemachter Verschwörung stellen könnte, war nur ein kleiner Nebeneffekt.

Lüge 2: Fukushima – Die Apokalypse, die nicht stattfand

2011 also: Tsunami, 18.000 Tote, Trümmerlandschaften. Ein Desaster biblischen Ausmaßes – und doch nicht dramatisch genug für jene, die stets den atomaren Teufel an die Wand malen wollen. Also wurden kurzerhand sämtliche Toten auf das Konto des Kernkraftwerks gebucht, als hätte ein explodierender Reaktor in Godzilla-Manier durch die Küstenstädte gefegt.

Dass offizielle UN-Gremien schon bald feststellten, dass nur eine einzige Person am Reaktorunfall selbst starb, hinderte die Nachrichtenlandschaft nicht im Geringsten daran, weiter den Mythos von den „18.000 Strahlenopfern“ zu kultivieren. Schließlich lebt eine gute Katastrophe nicht von Zahlen, sondern von der Wiederholung.

Lüge 3: Die sonnenwarme Illusion von Gratisenergie

„Eine Kugel Eis pro Monat“ – das war der Preis, der uns für die Energiewende versprochen wurde. Hätten sie gleich gesagt „Goldene Kugel, handgeschnitzt von Fabergé“, wäre man der Wahrheit näher gewesen. Tatsächlich stieg der Strompreis in Höhen, die selbst Astronauten für leicht übertrieben hielten.

Die Landschaft ist heute gespickt mit gigantischen Windrädern, die aussehen, als hätten intergalaktische Zivilisationen ihre Mixerblätter zum Trocknen aufgestellt. Photovoltaikfelder erstrecken sich wie spiegelnde Schuppenpanzer über Äcker, auf denen früher Weizen wuchs. Die Versprechen von damals wirken im Rückblick wie Werbeslogans für eine Diät, bei der man angeblich „alles essen kann“ – und am Ende isst man nur noch das eigene Erspartes.

Lüge 4: Die „Pandemie der Ungeimpften“ – und der verschlossene Diskurs

Es ist das klassische Rezept: Man erkläre eine Gruppe von Menschen zur Ursache allen Übels, versieht sie mit einem knackigen Schlagwort – „Ungeimpfte“ – und rechtfertigt damit jede Form von Ausgrenzung. Dass die wissenschaftliche Basis dieser Behauptung bald in sich zusammenfiel wie ein billiger Pavillon im Herbststurm, war kein Grund, die Erzählung zurückzunehmen.

Heute weiß man: Die politischen Entscheidungen dieser Zeit hatten so viel mit medizinischer Objektivität zu tun wie Horoskope mit Astrophysik. Kritiker wurden nicht nur ignoriert, sondern systematisch vernichtet – beruflich, gesellschaftlich, medial. Man wollte keinen Diskurs, man wollte Gehorsam. Und man bekam ihn – wenn auch um den Preis einer bleibenden Erosion des Vertrauens in staatliche Autorität.

Lüge 5: Die Migration als Universallösung

Einwanderung, so versprach man uns, werde nicht nur den Fachkräftemangel beheben, sondern auch das Rentensystem retten, kulturelle Vielfalt bringen und alles irgendwie bunter machen. Was man vergaß zu erwähnen: dass ein funktionierendes Integrationsmodell nicht aus dem bloßen Überschreiten einer Grenze besteht.

Historische Beispiele wie die US-Immigration im späten 19. Jahrhundert zeigen: Wer sich einer neuen Gesellschaft anschließt, muss nicht nur Rechte genießen, sondern auch Pflichten übernehmen. Wer aber aus einer Einwanderungspolitik ein Sozialprogramm macht, das keine Anstrengung erfordert, darf sich nicht wundern, wenn die Anziehungskraft weniger bei zukünftigen Nobelpreisträgern liegt als bei solchen, die schlicht einen Ort suchen, an dem der Kühlschrank voll ist.


Epilog: Wieviele Finger?

In Orwells 1984 lernt Winston, dass die Wahrheit nicht zählt, wenn die Partei eine andere Version vorgibt. „Wie viele Finger siehst du?“ – „Vier.“ – „Falsch. Fünf.“
Heute funktioniert das eleganter: Der Fernseher sagt dir, es seien 38 Grad, während du im Pullover frierst. Du sagst „38 Grad“, nicht, weil du es glaubst, sondern weil du weißt, dass es bequemer ist. Die Wahrheit hat gegen die Annehmlichkeiten der Lüge keine Chance – solange die Lüge warmhält.

Der Imperativ der kognitiven Zumutung

Denk mal darüber nach!“ – vier Wörter, zwei Verben, eine Aufforderung und ein Ausrufezeichen, das wie eine verbale Keule auf die weichgewordenen Gehirnwindungen der Gegenwart niedergeht. In früheren Zeiten – als Menschen noch Dinge wie „Geduld“ oder „Zusammenhang“ kannten – war dieser Satz ein freundlicher Hinweis, vielleicht gar ein Türöffner ins Reich der Erkenntnis. Heute hingegen ist er die rhetorische Entsprechung einer Wasserfolter. Nicht, weil der Gedanke an sich so qualvoll wäre, sondern weil er überhaupt Gedankenarbeit erfordert. Und Gedankenarbeit ist in einer Welt, die lieber ihre Aufmerksamkeit in Sekundenportionen zwischen Katzenvideos und moralisch aufgeladene Empörungs-Memes zerhäckselt, ungefähr so willkommen wie ein veganer Ernährungsberater auf einer Grillparty.

Der Satz ist eine Zumutung. Nicht, weil er böse gemeint ist, sondern weil er das Ungeheuerliche fordert: langsame, bewusste, nicht sofort algorithmisch validierte Beschäftigung mit einem Sachverhalt. Er sagt nicht: „Fühl mal sofort was dazu!“ oder „Teile es umgehend, ohne die Quelle zu prüfen!“, sondern verlangt den steinzeitlich anmutenden Prozess des Nachdenkens. Das klingt im Jahr 2025 fast so aus der Zeit gefallen wie eine höfliche politische Debatte ohne gegenseitige Diagnose psychischer Störungen.

Gedankenarbeit als unpopuläre Sportart

Nachdenken ist im Zeitalter des Hyperinputs ungefähr so populär wie Curling ohne Besen. Es braucht Zeit, Raum und Stille – alles Dinge, die in einer Welt, in der schon das Warten auf einen Ladebalken als unzumutbare Lebenszeitverschwendung gilt, als verdächtig gelten. Wer heute ernsthaft über etwas reflektiert, gilt schnell als „verkopft“, „zu kompliziert“ oder im schlimmsten Fall „elitär“. Die Norm ist die Reaktionsreflexkette: Reiz → Meinung → digitale Exekution derselben.

„Denk mal darüber nach!“ ist hier der Spielverderber, der mit verschränkten Armen vor der Spaßmaschine steht und sagt: „Sorry, Leute, erst Hirn einschalten.“ Er ist der verstaubte Lateinlehrer im grellbunten TikTok-Klassenzimmer, der noch glaubt, es gäbe so etwas wie den Zusammenhang eines Arguments. Er ist das Sandkorn im präzise geölten Getriebe der Aufmerksamkeitsspirale, die uns rund um die Uhr durch Likes, Pushnachrichten und algorithmisch kuratierte Empörung peitscht.

Vom Denken als körperfeindlicher Tätigkeit

Es ist ja nicht so, dass Menschen nicht denken könnten. Sie wollen nur nicht. Denken ist unbequem. Es rüttelt an der Behaglichkeit der fest betonierten Gewissheiten. Wer denkt, riskiert Widerspruch – nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst. Selbstkritik ist in der Gegenwart jedoch ungefähr so willkommen wie eine Steuerprüfung am Heiligabend. Viel lieber lässt man sich im Wattebad der Bestätigung treiben: ein warmer Strom von Schlagworten, Memes und Halbsätzen, der das Gefühl vermittelt, schon alles zu wissen, ohne je etwas prüfen zu müssen.

„Denk mal darüber nach!“ hingegen ist die intellektuelle Version eines kalten Eimers Wasser ins Gesicht. Er stört. Er friert die Komfortzone ein. Er zwingt dazu, auch mal das eigene Lager mit dem Blick des Gegners zu betrachten – eine Tätigkeit, die in manchen Kreisen mittlerweile als Hochverrat gilt.

Das Missverständnis mit der „eigenen Meinung“

Einer der größten Mythen der Gegenwart ist die Vorstellung, jeder habe „ein Recht auf seine eigene Meinung“. Theoretisch stimmt das. Praktisch bedeutet es oft: „Ich habe ein Recht auf meine spontane, uninformierte Gefühlsregung, und wehe, du willst, dass ich sie überprüfe.“ Der Satz „Denk mal darüber nach!“ kratzt genau an diesem Mythos. Er impliziert, dass Meinung und Denken zwei verschiedene Dinge sein könnten – eine Unverschämtheit sondergleichen!

Meinung ohne Nachdenken ist wie ein Hamburger ohne Fleisch – nur dass man den fleischlosen Burger immerhin bewusst bestellt. Die ungeprüfte Meinung hingegen wird wie Fastfood aus der Fritteuse der Timeline serviert, dampfend vor Empörung, fettig vor moralischer Überlegenheit. Nachdenken würde bedeuten, das Gericht zu sezieren, Zutaten zu analysieren und vielleicht festzustellen, dass die halbe Portion aus rhetorischem Plastik besteht. Aber wer will schon so weit gehen?

Der Untergang des inneren Dialogs

Früher führten Menschen innere Dialoge. Heute führen sie eher Kommentarspalten-Scharmützel – im eigenen Kopf, aber mit denselben Regeln: maximal 280 Zeichen, und bitte so pointiert, dass es im Fall eines Leaks noch als bissiger Tweet taugt. „Denk mal darüber nach!“ setzt hingegen eine veraltete Technik voraus: das gedankliche Austarieren von Vor- und Nachteilen, Hypothesen und Gegenargumenten. Das kostet Zeit, die man auch damit verbringen könnte, noch einen weiteren „Deepfake Enthüllt“-Clip zu konsumieren.

Und so stirbt der innere Dialog, und mit ihm das, was früher als Urteilsbildung bekannt war. Übrig bleibt die Reaktionsblase – und in ihr wirkt der Satz „Denk mal darüber nach!“ wie ein seltener, vom Aussterben bedrohter Vogel, der sich aus Versehen in eine Großstadt verirrt hat: bestaunt, belächelt, fotografiert – aber garantiert nicht gefüttert.

Schlussakkord: Der Satz als Relikt

Vielleicht wird dieser Satz irgendwann in Museen ausgestellt, zwischen einer Schreibmaschine und einem Faxgerät: „Denk mal darüber nach!“ – Audioaufnahme, 2025. Daneben eine erklärende Tafel: „So forderte man in prädigitalen Zeiten die bewusste Auseinandersetzung mit Sachverhalten ein.“ Besucher drücken auf den Knopf, hören die Worte, zucken irritiert mit den Schultern und scrollen weiter.

Bis dahin bleibt er ein trotziges Relikt. Ein Satz, der in vier Wörtern mehr Zivilisationsarbeit steckt als in den meisten Kommentarspalten eines ganzen Jahres. Und wer ihn ausspricht, sollte sich darauf gefasst machen, in eine Pause voller betretenem Schweigen zu sprechen – denn Nachdenken ist heute die letzte große Provokation.

Die hohe Kunst des Sitzplatz-Offerierens: Ein längst vergessenes Ritual

Früher, so scheint es, war alles einfacher: Da betrat eine ältere Dame den Bus, und man sprang vom Sitz auf, als ginge es um die Rettung der Titanic. Ein reflektorischer Akt, der so selbstverständlich war wie das morgendliche Brötchenholen. Ein Zücken der sittlichen Flagge, ein leises Signal „Ich bin anständig!“, vor allem aber ein Beleg von Respekt – oder zumindest der resignierten Anerkennung, dass man mit jugendlicher Kraft (und nicht nur mit eingebildeter) gesegnet sei. Doch halt, wir schreiben das Jahr 2025, und mit ihm kommen neue Wahrheiten und eine neue, noch unerhörte Expertenschar, die uns ganz „modern“ belehren will, was es bedeutet, den lieben Alten tatsächlich zu helfen. Oder eben nicht.

Experten raten: Keinen Sitzplatz anbieten! Die Revolution der Rücksichtslosigkeit?

Man stelle sich das vor: Sir Muir Gray, seines Zeichens Oxford-Professor und Sprecher des Gesundheitsamtes, hat entschieden, dass der edle Akt des Sitzplatzofferierens quasi ein Relikt der Altmodigkeit ist. Die Devise lautet: Lassen wir die Greise stehen! Jawohl, stehen soll das neue Sitzen sein – quasi ein Fitnessprogramm mit Umsonst-Bonus. Der „Sitzplatzexperte“ fordert, dass die Alten nicht nur im Bus, sondern auch im Leben aktiv bleiben, am besten ohne „Lifts und Fahrstühle“ – steil bergauf, Treppensteigen bis zum Horizont, als ob sie mit jeder Stufe der Zeit ein Schnippchen schlagen könnten. Die nüchterne Logik dahinter: Der Körper der Alten profitiere von dieser Art „sanfter Zwangsexercise“; also ein Hoch auf die soziale Kaltblütigkeit, die sich im Mantel der Fürsorge tarnt!

Bussitzplatz-Experte: Ein Beruf mit höchsten ethischen und physischen Anforderungen

Nun könnte man sich fragen: Wie wird man eigentlich zum Bussitzplatz-Experten? Wer setzt die Kriterien, wer erteilt das Diplom? Schließlich ist es ein delikates Balance-Akt zwischen gesellschaftlicher Rücksichtnahme und gesundheitsförderlicher „Härte“. Ist es ein angeborenes Talent, das in jungen Jahren durch das tägliche Pendeln mit überfüllten Verkehrsmitteln kultiviert wird? Oder gibt es geheime Seminare, in denen man lernt, in Sekundenbruchteilen zu entscheiden: Stehen lassen oder Sitz anbieten? Wie viel Mimik und Gestik sind erlaubt? Muss man dabei die innere Zerreißprobe überstehen, wenn der eigene Sitzplatz doch so verlockend ist?

Vielleicht gibt es ja einen geheimen Orden der Bussitzplatz-Experten, die mit strengem Blick über das stehende Volk wachen, wissend, dass wahre Expertise nicht im bloßen Aufstehen besteht, sondern im eleganten Verweigern. Der Profi erkennt in Sekunden, wer tatsächlich „fit genug“ ist, den Stehplatz zu ertragen – und wer nicht. Er schätzt das Alter, die Haltung, die Körpersprache, den Atemgeruch, sogar die Schuhsohlenabnutzung – all das sind unsichtbare, aber untrügliche Signale. Ein Bussitzplatz-Experte ist somit ein moralischer Feingeist, ein Athlet der sozialen Intelligenz und ein Meister der Situationskomik.

Der Balanceakt zwischen Höflichkeit und Fitness-Wahnsinn

Die neue Doktrin der Gesundheitsexperten stößt natürlich auf Widerstand: Wie soll ein Mensch, der auf sein schon schweres Knie aufpassen muss, plötzlich wie ein Hochleistungssportler den Bus nur noch stehend bewältigen? Ist das nicht der Weg zu einem zynischen Zeitalter, in dem Empathie zugunsten von „praktischer Gesundheitsvorsorge“ geopfert wird? Andererseits – und hier kommt der bitterböse Humor ins Spiel – vielleicht ist es ja genau das, was wir brauchen: Eine Gesellschaft, die sich von übertriebener Zartbesaitetheit verabschiedet und die Alten endlich dazu zwingt, ihre innere Standfestigkeit unter Beweis zu stellen. Ein letztes Training für den großen Showdown mit der Schwerkraft.

Doch halt! Darf man nicht trotz aller Gesundheitsempfehlungen sagen, dass manchmal auch eine kleine Geste der Höflichkeit – ein einfaches Aufstehen, ein Verschieben der Tasche – ein Ausdruck von Menschlichkeit bleibt, der sich nicht allein in Fitnessparametern messen lässt? Oder sind wir schon so weit, dass der Bussitzplatz zum Symbol eines kalten Fitness-Kults geworden ist, in dem menschliche Wärme auf der Strecke bleibt?

Fazit: Wie zum Teufel wird man Bussitzplatz-Experte?

Man wird Bussitzplatz-Experte durch jahrelange Übung im urbanen Dschungel, durch tägliche Grenzerfahrungen an der Schnittstelle zwischen Höflichkeit und Zynismus, und durch die begleitende Lektüre von Professorenmeinungen, die das Stehen zum Fitnessprogramm erklären. Man lernt, die Balance zu halten zwischen Empathie und knallhartem Gesundheitsdogma, zwischen Tradition und Fortschritt. Und vor allem lernt man eines: Dass der Bus nicht nur ein Verkehrsmittel ist, sondern eine Bühne, auf der sich die großen Fragen unserer Zeit abspielen – nämlich: Wie viel Rücksicht können wir uns leisten, ohne uns selbst zu verlieren?

Und bis dahin: Halten Sie sich gut fest, stehen Sie auf – oder eben auch nicht. Denn wer weiß schon, was der nächste Experte rät?

Wie man in endlosen Schleifen des blame games die Realität elegant ausspart

Der rhetorische Tanz auf dem Drahtseil der Verantwortung

Man nehme eine rhetorische Wendung, füge eine Prise moralische Entrüstung hinzu und garniere das Ganze mit einer großzügigen Portion politischer Verantwortungsdiffusion. Voilà: das Rezept für einen politischen Satz, der zugleich wie ein Feuerwerkskörper am Nachthimmel funkelt und dennoch nach kurzer Zeit in Nichts verpufft. So etwa klingt es, wenn Siemtje Möller, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, in aller Öffentlichkeit verlauten lässt: „Man muss weiterhin Druck auf die Israelische Regierung ausüben, damit die Geiseln frei kommen.“ Ein Satz, der sich so schön anfühlt, als hätte man damit alles gesagt – und dabei nichts geklärt.

Denn, so trivial es klingen mag, hier vermischen sich zwei ganz grundsätzliche Ebenen von Verantwortung und Handlungsmacht in einem kaum zu durchdringenden Nebel aus politischem Kalkül und sprachlicher Ausweichmanöver. Israelische Regierung – verantwortlich für Geiselnahme? Nein, natürlich nicht. Hamas, eine terroristische Organisation, die mittels Entführung und Gewalt operiert, trägt diese Verantwortung. Und hier beginnt der Tanz auf dem Drahtseil.

Der Druck, der keiner ist – Verantwortung auf Abwegen

Die Botschaft der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden liest sich wie ein Meisterstück politischer Ambivalenz: „Druck auf Israel“, während das Problem bei Hamas liegt. Wer also soll diesen Druck ausüben? Die Antwort bleibt – ironischerweise – in der Schwebe. Man könnte fast meinen, es handle sich um eine raffinierte Übung im Verschieben der Verantwortung, um es nicht mit der unangenehmen Frage zu tun zu bekommen: Wer zwingt die Hamas, Geiseln freizulassen?

Denn klar ist: Druck auf Israel, ein souveräner Staat, der sich verteidigt und zugleich ums Überleben kämpft, kann niemals die unmittelbare Lösung des Problems sein, wenn die Täter woanders sitzen. Das ist ungefähr so, als würde man einer jungen Frau, die Opfer eines Überfalls wurde, raten, doch bitte auf die Straße zu gehen und sich nicht zu wehren – mit dem Ziel, die Kriminalitätsrate zu senken. Absurder geht’s kaum, doch politische Statements sind eben keine Strafrechtsvorlesungen.

Moralische Gleichsetzung oder: Die Kunst, zwei ungleiche Gegner in einen Topf zu werfen

Manchmal scheint es, als ob das politische Establishment einer gespenstischen Versuchung erliegt: Die moralische Gleichsetzung von Täter und Opfer, von Staat und Terrororganisation, von Aggressor und Verteidiger. Es ist die moderne Variante des „Man hat ja auch auf der anderen Seite Schuld“ – ein argumentatives Minenfeld, das zwar in der Theorie elegant klingt, in der Praxis aber Menschenleben aufs Spiel setzt und Verantwortung verwischt wie Farbe auf nassem Papier.

Die Hamas entführt Geiseln, setzt Zivilisten als menschliche Schutzschilde ein, verhöhnt internationales Recht und jegliche Form von Menschlichkeit. Israel, in seiner paradoxalen Rolle, versucht nicht nur zu reagieren, sondern auch den Spagat zwischen legitimer Selbstverteidigung und der Einhaltung eigener ethischer Standards zu meistern. Ein schwerer Tanz, der leider durch gut gemeinte, aber fehlgeleitete politische Appelle an die falschen Adressaten zusätzlich erschwert wird.

Druck ausüben? Aber auf wen eigentlich?

Das große Manko der Aussage liegt im Verschweigen des Offensichtlichen: Wer hat die Mittel, den Druck auf die Hamas auszuüben? Welche Hebel werden eingesetzt, um diese Terrororganisation zur Aufgabe zu bewegen? Die Weltöffentlichkeit? Internationale Organisationen? Nachbarn? Und vor allem: Wie? Denn anders als ein souveräner Staat, der durch politische, wirtschaftliche und militärische Macht agiert, operiert eine Organisation wie Hamas im Schatten, im Guerillakampf und im Zerrbild zwischen Befreiungskampf und Terror.

Das Dilemma wird sichtbar, wenn man erkennt, dass der „Druck auf Israel“ nicht nur unangebracht, sondern kontraproduktiv ist. Er schwächt den einzigen legitimen Partner im Konflikt und lässt die eigentlichen Täter unangetastet. Gleichzeitig wird so die friedliche Lösung immer mehr in die Ferne gerückt – was man als Zuschauer, Betroffener oder schlicht als Menschenfreund mit ein wenig bitterem Zynismus nur beklagen kann.

Schlussgedanken: Der politische Zynismus als stille Waffe

Der Satz von Siemtje Möller steht exemplarisch für eine viel größere Krankheit in der politischen Kommunikation: die Bereitschaft, Verantwortung zu verschleiern, Klarheit zu vermeiden und auf rhetorische Nebelkerzen zu setzen, die letztlich keine Probleme lösen, sondern sie nur kaschieren. Es ist eine Haltung, die sich zwischen gutem Willen und politischem Opportunismus bewegt – mit dramatischen Konsequenzen für alle Beteiligten.

Der Wunsch nach der Freilassung der Geiseln ist ohne Zweifel edel und menschlich. Doch er sollte begleitet sein von einer unmissverständlichen Forderung an die Täter – die Hamas –, ihre Verbrechen einzustellen. Nur so wird aus dem rhetorischen Spiel ein echter Schritt in Richtung Frieden. Bis dahin aber bleibt der Druck auf den Falschen – und die Geiseln bleiben Gefangene eines Sprachspiels, das an Klarheit und Konsequenz schmerzlich spart.

Und das, liebe Leser, ist der zynische Witz an der ganzen Geschichte: Während wir auf die falschen Regierungen drücken, sitzen die Geiseln weiter in der Falle. Die Politik applaudiert sich selbst – und die Welt schaut zu.

Der Nebel lichtet sich – und darunter liegt Kent

Man stelle sich das Vereinigte Königreich wie eine große, alternde Teekanne vor, bei der der Deckel schief sitzt und aus der es seit Jahrzehnten in wechselnden Geschmacksrichtungen dampft: mal nach Labour, mal nach Tories, und gelegentlich nach jenem bitter-herben Gebräu, das man nur in Pubs trinkt, wenn der Barkeeper sagt: “Es ist der letzte Tropfen, wollen Sie wirklich?” – Und siehe da: In dieser Teekanne schwimmt jetzt ein neuer Teebeutel namens Reform UK. Der sortiert sich nicht in die Reihen der feinen Earl-Grey-Trinker ein, sondern verkündet, man habe die einzig wahre Mischung – kräftig, englisch, und bitte ohne diese kontinentalen Aromazusätze, die „Brüssel“ heimlich ins Wasser kippt.

Dass diese Partei, von Kritikern als rechte Rumpelkammer und von Unterstützern als letzte Bastion gesunden Menschenverstands bezeichnet, womöglich bei der nächsten Unterhauswahl den Deckel der britischen Politik mit einem lauten „Klack“ zuschnappen könnte, macht Kent derzeit zum politischen Schaufenster. Oder, um im Bild zu bleiben: Maidstone ist der erste Löffel, mit dem man testet, ob der Tee schon stark genug ist.

Maidstone – das politische Versuchslabor mit Pub-Gemütlichkeit

Maidstone, diese ehrwürdige Marktstadt in Kent, war bislang der Ort, an dem man eher die Qualität lokaler Cider diskutierte als den Kurs der Nation. Jetzt aber hat sich die Gemeinde in eine Bühne verwandelt, auf der die Reform-Partei ihre politische Generalprobe aufführt. Gemeindepräsidentin – nennen wir sie die Dirigentin des neuen Kent’schen Marsches – will weit mehr als nur Migration senken und Geld sparen. Geld sparen, das klingt in Großbritannien ja ohnehin wie ein schlechter Witz, wenn man bedenkt, dass seit Thatcher jede Regierung mit dem Haushalt umging wie ein Hobbykoch, der das Rezept nur halb gelesen hat.

Nein, in Maidstone geht es ums Ganze: Reformieren, zurückdrehen, neu ausrichten, und zwar mit einer Mischung aus dem Pathos der „Wir holen uns unser Land zurück“-Kampagne und der nüchternen Verwaltungsrealität, dass man immer noch Schlaglöcher stopfen und Müll abholen muss. Die Politik hier trägt also eine Doppelfrisur: nach außen hin strenger Helm, innen drunter die praktische Dauerwelle.

Die große britische Reform-Fantasie

Es gibt da diese merkwürdige britische Tradition, neue politische Kräfte wie besonders exotische Teesorten zu behandeln: Man kauft eine Packung, probiert einen Becher, findet das Aroma interessant – und hat sie dann zwei Jahre später ganz hinten im Schrank vergessen. Reform UK aber träumt davon, die Sorte zu werden, die man nie mehr aus dem Haus lässt. Kent ist dabei die Probierküche, und Maidstone der erste Tisch, an dem das Menü serviert wird.

Die Präsidentin der Gemeinde betont, es gehe nicht nur um Zuwanderung, sondern auch um „Sicherheit“, „Effizienz“ und – mein persönlicher Favorit – „Selbstbestimmung der Kommunen“. Wer länger in Großbritannien lebt, weiß, dass dieser letzte Begriff ungefähr so konkret ist wie „Wetterbesserung demnächst“. Selbstbestimmung klingt immer gut, besonders wenn man damit meint, dass man in London nicht mehr anrufen muss, um zu fragen, ob man den Gehweg neu pflastern darf.

Der feine Zynismus des britischen Lokalpatriotismus

Kent versteht sich traditionell als das Tor Englands – oder, je nach Laune, als Schutzwall gegen das, was von drüben kommt. Historisch war das mal die normannische Flotte, mal der kontinentale Handel, und heute sind es eben Boote mit Migranten auf dem Ärmelkanal. Maidstone ist geografisch zwar ein Stück weg vom Meer, aber politisch liegt es direkt an der Brandung der nationalen Debatte.

Das bringt eine gewisse Pose mit sich: Man ist nicht einfach nur Gemeindepräsident oder Stadtrat – man ist Verteidiger der wahren englischen Lebensart, eine Mischung aus Fish & Chips am Freitagabend, mäßiger Begeisterung für kontinentale Ideen und dem unerschütterlichen Glauben, dass alles besser wird, wenn man es einfach wieder „wie früher“ macht. Wann „früher“ genau war, kann keiner so recht sagen, aber das macht nichts – Nostalgie ist ja bekanntlich am schönsten, wenn sie unscharf ist.

Fazit: Mehr Drama, weniger Teewasser

Ob die Reform-Partei nun das Unterhaus stürmt oder bloß wie so viele andere Protestbewegungen in der britischen Politikgeschichte nach zwei Runden Applaus wieder von der Bühne geht – Maidstone bleibt als Beispiel interessant. Denn hier testet man gerade, ob eine Mischung aus Lokalpatriotismus, Migrationsthema, Sparfetisch und einer Prise „Wir gegen die da oben“ im Alltag wirklich funktioniert oder ob sie nur auf Wahlplakaten glänzt.

Und so bleibt Kent, wie so oft in der Geschichte, ein Vorposten: mal der erste Ort, an dem Invasoren landeten, mal der erste, der ihnen den Rücken kehrte. Vielleicht wird Maidstone also eines Tages in den Geschichtsbüchern stehen – nicht, weil es das Land verändert hat, sondern weil es den Mut hatte, es zu versuchen.

Bis dahin kocht der politische Teekessel weiter. Und irgendjemand wird am Ende sagen: „Das schmeckt gar nicht schlecht – solange man nicht weiß, was drin ist.“

Merz zieht den Stecker – und die Hamas drückt auf „Gefällt mir“

Man muss schon sehr fest in der Gummizelle deutscher Innenpolitik angeschnallt sein, um diesen Schritt für eine „Geste“ zu halten. Friedrich Merz, der Mann, der sonst gern den „Law and Order“-Cowboy gibt, legt die Waffe nieder – ausgerechnet in dem Moment, in dem sie gebraucht würde. Nicht im Kugelhagel der Geschichte, sondern in der geschmeidigen Stille eines Berliner Büros. Ohne Absprache mit der CSU, ohne Konsultation der Fraktion – dafür mit dem moralischen Selbstbewusstsein eines Instagram-Influencers, der gerade beschlossen hat, vegan zu leben.

Diese Entscheidung ist keine „Balance zwischen Humanität und Sicherheit“. Sie ist ein Freifahrtschein. Ein feuchter Traum für jeden Hamas-Pressesprecher. Ein symbolischer Kuchen, frisch gebacken in Berlin, mit einer Glasur aus Appeasement und Rosinen der Realitätsverweigerung.

Die Kanzleramt-Lyrik: Wenn Politik zur Poetry-Slam-Veranstaltung verkommt

Das offizielle Papier aus dem Kanzleramt enthält diesen einen Satz, der so schamlos ehrlich ist, dass er aus Versehen die Wahrheit trifft:

Diese Eskalation trägt auch zur Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte in Deutschland und Europa bei …“

Ach was! Wer hätte gedacht, dass man durch jahrelanges Wegsehen, halbseidene Integrationsromantik und die vollständige Immunisierung von importierten Hass-Ideologien irgendwann genau dort landet: in einer Republik, in der Solingen, München und Mannheim nicht nur Städte sind, sondern auch Etappen der schleichenden Kapitulation.

Wir wissen, wie die Mechanik funktioniert: Ein paar TikTok-Clips aus Gaza – schön gefiltert, mit Pathosmusik unterlegt – und schon marschiert in irgendeiner deutschen Innenstadt die Empörungsbrigade los. Es ist wie Teleshopping für Ideologen: „Bestellen Sie jetzt! Zwei Minuten Hass zum Preis von einem! Lieferung frei Haus.“

Straße macht Politik – und die Politik macht den Diener

Was Merz getan hat, ist nichts anderes als der politische Knicks vor dem Mob. Und ja, Mob – denn das, was in Berlin, Hamburg oder Essen unter „pro-palästinensischem Protest“ läuft, ist in Wahrheit ein offener Marktplatz für Antisemitismus, Islamismus und linken Hobby-Revolutionstourismus. Dort wird nicht für Frieden demonstriert, dort wird für die Abschaffung Israels und die Verbeugung des Westens geprobt.

Bis gestern war klar: Wer mit der Hamas sympathisiert, ist politisch verbrannt. Heute hingegen: staatlich geadelter Verhandlungspartner. Herzlichen Glückwunsch, der Rechtsstaat hat soeben den Pakt der Schwäche unterzeichnet.

Vom „Nie wieder“ zur End-of-Season-Rabattaktion

Einst war „Nie wieder“ eine historische Verpflichtung. Heute ist es ein ausgeleiertes Markenlogo, das im Ausverkauf liegt, zwischen den Restposten der moralischen Außenpolitik. Die neue Devise lautet: „Nie wieder – es sei denn, es gibt Ärger auf der Straße.“

Die Ironie ist so bitter, dass man sie nicht mehr mit Rotwein herunterspülen kann: Wir tauschen Auschwitz gegen Gaza, die Erinnerung an die Shoah gegen den Import fremder Opfermythen, und wir lassen uns von genau den Gruppen diktieren, die im Kern nichts anderes wollen, als den demokratischen Laden hier zu schließen und das Licht auszumachen.

Kein Schlussstrich – sondern der Anfang

Die Hamas und ihre deutschen Claqueure haben Blut geleckt. Nicht metaphorisch, sondern politisch: Sie wissen jetzt, dass der Druck funktioniert. Dass Drohungen, Massendemonstrationen, offene Judenfeindlichkeit und der Dauerbeschuss mit „Solidaritätsparolen“ zu Ergebnissen führen. Merz hat es ihnen schwarz auf weiß gegeben: Terror lohnt sich.

Und das Tragische daran: In den Archiven der Zukunft wird dieses Embargo nicht als „mutiger Schritt“ stehen, sondern als jener Moment, in dem die Bundesrepublik zum ersten Mal vor importierter Gewaltpolitik in die Knie ging. Das Foto dazu wird kein Staatsakt sein – sondern ein Selfie, aufgenommen auf einer pro-Hamas-Demo in Berlin, mit Hashtag: #WeDidIt.

Das hier ist nicht nur eine Fehlentscheidung.

Es ist eine historische Bankrotterklärung – und zwar unterschrieben im Namen der ganzen Republik.

Fachkräftemangel – Homemade

„Homemade“ klingt ja eigentlich nach etwas Gemütlichem, nach Marmelade von Oma oder nach selbstgestrickten Wollsocken. In Deutschland jedoch bedeutet „hausgemacht“ oft: Man hat das Problem eigenhändig so lange ignoriert, verdrängt und schöngefärbt, bis es eine Größe erreicht hat, bei der nur noch eine Taskforce aus fünf Arbeitskreisen, drei Unterausschüssen und einem pdf-Formular in DIN A-4 helfen könnte – theoretisch.

Das große Verschwinden der Kompetenz

Deutschland, Land der Dichter, Denker und des gepflegten DIN-A4-Formulars, steht vor einer jener absurden Situationen, die nur in den Statistiken und den dazugehörigen Talkshow-Runden logisch erscheinen: Jedes Jahr packen rund 210.000 junge Menschen mit deutschem Pass im Alter zwischen 20 und 40 ihre sieben Sachen und verabschieden sich mit einer Mischung aus Erleichterung, Wehmut und leiser Häme von der alten Heimat. Sie tun dies nicht, weil sie sich in Andalusien einen Platz in der Sonne sichern wollen (obwohl auch das mitunter vorkommt), sondern weil sie in Kanada plötzlich als „Top Talent“ gelten, in Australien als „Highly Skilled Worker“ und in Norwegen einfach als Mensch, der etwas kann.

Drei Viertel dieser Auswanderer haben einen Hochschulabschluss, den sie sich in Deutschland mühsam mit Bologna-konformer Prüfungslogistik und modulverliebten Dozenten erarbeitet haben. Der Rest sind hochqualifizierte Handwerker, die in Neuseeland für ihr Schreinerhandwerk gefeiert werden, während sie hierzulande darüber diskutieren mussten, ob man nicht auch drei Jahre Berufserfahrung in Excel-Kalkulationen als „handwerkliche Tätigkeit“ anerkennen könne.

Man könnte das alles für eine Art freiwilliges Elite-Exil halten, ein intellektuelles Walhalla, das im Ausland stattfindet. Tatsächlich ist es aber eher eine stille Abstimmung mit den Füßen – gegen Behördenwege, gegen Lohnabzüge, gegen die absurde Mischung aus Fachkräftemangel und Fachkräfteverhinderungskultur.

Aber keine Sorge – die Migration wird’s schon richten

Und während wir den selbstgebackenen Fachkräftemangel in den Ofen der demografischen Entwicklung schieben, blättert die Politik gelassen im Rezeptbuch: „Migration, das wird’s schon richten.“ Ein Satz, der so wohlig klingt wie ein Märchenanfang, aber ungefähr so präzise ist wie die Wegbeschreibung eines Navigationsgeräts, das mit einer dreifachen Ironieschleife programmiert wurde.

Die Idee dahinter: Was an Know-how, Fleiß und Innovationskraft das Land verlässt, kann durch Import aus aller Welt ersetzt werden. Und in der Theorie stimmt das sogar – so wie in der Theorie auch Einhörner existieren, die Steuererklärungen fristgerecht abgeben. Nur: Migration ist kein magischer Schalter, den man umlegt, und plötzlich stehen Millionen perfekt integrierter Fachkräfte vor den Werkstoren der Mittelständler, mit blendendem Deutsch, anerkannten Abschlüssen und der brennenden Lust, einen Beruf zu ergreifen, den hier schon keiner mehr machen will.

Die Realität ist komplizierter, aber das ist für die Schlagzeile „Migration löst Fachkräftemangel“ ungefähr so relevant wie ein Wetterbericht für die Venus. Da stehen nämlich auf der einen Seite Menschen, die durchaus etwas können, aber auf der anderen Seite ein Behördenapparat, der in seiner Effizienz selbst Kafka zu viel gewesen wäre. Die formalen Hürden sind so liebevoll konstruiert, dass man fast meinen könnte, sie seien Teil einer staatlichen Escape-Room-Challenge.

Das große Missverständnis von Angebot und Nachfrage

Der Witz an der ganzen Sache: Der deutsche Fachkräftemangel ist weniger ein Mangel an Menschen, sondern ein Mangel an Attraktivität. Man könnte fast meinen, das Land leide unter einer beruflichen Bindungsstörung. Junge Menschen mit Fähigkeiten und Ambitionen finden sich hier oft in Jobs wieder, in denen man nicht etwa für Können, sondern für Durchhaltevermögen belohnt wird – und zwar beim Ertragen von Bürokratie, Projektbesprechungen und dem flächendeckenden Einsatz von Faxgeräten.

Gleichzeitig gilt jede Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen oder einem Abbau sinnloser Vorschriften als „Wunschkonzert“. Man müsse eben auch mal nehmen, was da ist, heißt es dann – nur eben nicht aufseiten der Arbeitgeber. Da wird nicht selten lieber eine Stelle monatelang unbesetzt gelassen, als einem Bewerber mit „nur“ 85 % Passgenauigkeit auf das Anforderungsprofil eine Chance zu geben.

Homemade – die nationale Eigenproduktion

So kommt es, dass wir unseren Fachkräftemangel praktisch selbst herstellen – in einer Art nationalem Slow-Food-Verfahren, bei dem man sorgfältig darauf achtet, dass nur die Besten das Land verlassen und die Bürokratie weiterhin blüht. Das ist nicht einmal böser Wille; es ist die stille Macht der Gewohnheit. Wenn man jahrzehntelang gelernt hat, dass Veränderungen unbequem sind, dann ist es leichter, den Status quo in eine „Herausforderung“ umzudeklarieren und ein paar Programme aufzusetzen, die ihn elegant verwalten.

Die Absurdität erreicht ihren Höhepunkt, wenn dieselben Politiker, die noch vor fünf Jahren jede Form der Zuwanderung mit skeptischem Blick betrachteten, heute auf dem internationalen Fachkräftemarkt auftreten wie Heizdeckenverkäufer: „Kommen Sie nach Deutschland, hier gibt’s Arbeit, Kultur, soziale Sicherheit – und wenn Sie ganz viel Glück haben, sogar einen Termin bei der Ausländerbehörde innerhalb der nächsten 14 Monate.“

Fazit mit Augenzwinkern

Es wäre unfair, den ganzen Prozess als reines Scheitern zu bezeichnen. Immerhin schaffen wir es, gleichzeitig einen Fachkräftemangel zu beklagen, talentierte Leute zu verlieren und deren Abwanderung durch strukturelle Hürden noch zu beschleunigen. Das muss man erst einmal hinkriegen. Man könnte fast stolz darauf sein – wenn es nicht so schmerzhaft wäre.

Der Fachkräftemangel ist in Deutschland kein Schicksal, sondern eine hausgemachte Spezialität: langsam gegart, fein gewürzt mit Bürokratie, gewendet in politischer Kurzsichtigkeit und serviert auf einem Bett aus wohlmeinenden, aber wirkungslosen Strategien. Guten Appetit.

Die Last des Friedens in Zeiten des Krieges

Golda Meir, Israels vierte Ministerpräsidentin und eine der bekanntesten politischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, war eine Frau, deren Leben von tiefen Widersprüchen geprägt war: unerschütterliche Entschlossenheit und tiefe Menschlichkeit, scharfer politischer Realismus und der sehnsüchtige Wunsch nach Frieden. Ihre Worte, die oft sowohl Hoffnung als auch Schmerz tragen, spiegeln die ganze Tragik des Nahostkonflikts wider.

Eines ihrer bekanntesten Zitate lautet:

„Man kann nicht mit jemandem über Frieden verhandeln, der gekommen ist, um einen zu töten.“

Dieser Satz ist kein Ausdruck von Hass, sondern eine nüchterne Feststellung aus der Erfahrung einer Frau, die wiederholt miterlebt hatte, wie Angriffskriege und Terrorakte das Überleben ihres Volkes bedrohten. Für Meir war Frieden kein romantisches Ideal, sondern ein Ziel, das nur auf einem Fundament gegenseitiger Anerkennung und Sicherheit entstehen konnte. Ohne die elementare Bereitschaft des Gegenübers, das Leben des anderen zu achten, waren alle Friedensgespräche für sie leer.

Noch eindringlicher wird ihr Denken in einem anderen Zitat:

„Wir können den Arabern verzeihen, dass sie unsere Kinder getötet haben. Wir können ihnen nicht verzeihen, dass sie uns zwingen, ihre Kinder zu töten. Wir werden erst dann Frieden mit den Arabern haben, wenn sie ihre Kinder mehr lieben, als sie uns hassen.“

Hier spricht nicht nur die Politikerin, sondern auch die Mutter und Großmutter. Es ist ein Bekenntnis zu einem universellen Schmerz: dem Wissen, dass im Krieg nicht nur die eigenen Kinder in Gefahr sind, sondern auch die Kinder derer, die man als Feinde betrachtet. Golda Meir erkannte, dass Gewalt auf beiden Seiten Wunden hinterlässt, die Generationen prägen.

Ihre Worte sind nicht als einfache Schuldzuweisung zu verstehen, sondern als tragische Anklage gegen den Kreislauf von Hass und Vergeltung, in dem die Liebe zu den eigenen Kindern manchmal überlagert wird von der Erziehung zum Feindbild. Sie wusste, dass echter Frieden nur dann möglich ist, wenn dieser Kreislauf durchbrochen wird – wenn das Leben des eigenen Kindes wichtiger wird als die Vernichtung des anderen.

Golda Meirs Leben war geprägt von der Spannung zwischen Verteidigung und Versöhnung. Als Premierministerin musste sie Entscheidungen treffen, die Leben kosteten – und sie tat dies mit der Schwere einer Frau, die um den Preis jeder Unterschrift wusste. Ihre Empathie zeigte sich nicht in politischen Zugeständnissen um jeden Preis, sondern in dem unerschütterlichen Bekenntnis, dass Frieden nur auf gegenseitigem Respekt, Sicherheit und dem Willen zur Koexistenz beruhen kann.

Diese beiden Zitate bleiben bis heute Mahnung und Herausforderung zugleich: Frieden ist kein Dokument, das man unterzeichnet – er ist eine Entscheidung, die in den Herzen beider Seiten reifen muss. Und er beginnt dort, wo die Liebe zu den eigenen Kindern stärker ist als der Hass auf die anderen.