Der Geist, der nicht verschwand – er wechselte nur die Rhetorik
Es gibt Daten, die hallen wie ein Echo durch die Jahrhunderte. Der 20. April gehört zweifellos dazu. Der Tag, an dem einst Schüler Spalier standen, Kanonen donnerten und Joseph Goebbels seine letzte Glatze auf Hochglanz rieb. Der Tag, an dem der „Führer“ Geburtstag hatte – und das ganze Land, in blindem Gehorsam und orchestrierter Hysterie, ins Kollektivdelirium taumelte. Vor genau 80 Jahren schrieb der Völkische Beobachter auf Seite eins: „Deutschland steht standhaft und treu zum Führer.“ Und heute?
Heute titelt Die Zeit – seriös, liberal, aufgeräumt – zum selben Datum:
„Ja, ich würde für Deutschland sterben“
Und weiter:
„Wir werden den Frieden in unserem Land nur mit Panzern und Soldaten aufrechterhalten können.“
Man reibt sich die Augen. Nicht wegen des historischen Zitats. Sondern weil man sich fragt, ob man im Redaktionsarchiv versehentlich in der Mappe „April 1945“ statt „April 2025“ blättert. Doch nein: Kein Druckfehler, keine Reenactment-Satire. Es ist ernst gemeint. Und genau das macht es so bemerkenswert – oder beunruhigend. Je nach Gusto.
Vom Wehrdienstverweigerer zum Waffenversteher: Die Umpolung der Empathie
Der Autor des Textes, ein einstiger Wehrdienstverweigerer, Migrantensohn mit Wurzeln dort, wo man deutsche Außenpolitik meist in Form von Tornado-Überflügen erlebt hat, berichtet nun davon, wie sehr sich seine Haltung geändert habe. Heute, sagt er, könne er sich vorstellen, für dieses Land zu sterben. Und man fragt sich: Was ist passiert?
Hat der Patriotismus die Kurve genommen, die früheren Pazifisten in Sturmgepäck verpackt und an die Front der Meinungsmache geschickt? Oder ist es einfach die psychologische Pragmatik der Gegenwart, die jede alte Überzeugung in ein neues Rüstungsnarrativ kleidet?
Die Kolumne trägt jenen Ton, der früher in Jugendzeitschriften für Bewerbungstipps empfohlen wurde: selbstreflektiert, verständnisvoll, integrativ. Nur eben mit Sturmhaube. Es ist das freundliche Gesicht des neuen Militarismus. Er lächelt, er inkludiert, er erklärt. Er hat gelernt, dass man heute nicht mehr brüllt – man podcastet.
Von der Rasse zur Nation zur Rendite: Kontinuitäten im Tarnnetz
Früher war es der „arische Volkskörper“, für den man sterben sollte. Heute ist es die „wehrhafte Demokratie“. Die Verpackung hat sich geändert, das Pathos nicht. Auch damals sprach man vom „Verteidigen unserer Art zu leben“. Auch damals war man überzeugt, dass Frieden nur mit Waffen möglich sei – freilich unter anderen Vorzeichen, aber mit gleich glühender Brust.
Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche Sprachbilder erstaunlich gut recycelbar sind. Was 1945 der Endsieg war, ist 2025 die „Resilienz der offenen Gesellschaft“. Was einst als Pflicht gegenüber der Rasse galt, gilt nun als Verantwortung gegenüber den Werten. Die Wörter werden humaner, die Absicht bleibt martialisch.
Der Wandel vom völkischen Opfer-Pathos zur diversitätskompatiblen Kriegsbereitschaft ist nicht Ausdruck eines neuen Bewusstseins, sondern eines raffinierteren Marketings. Der Nationalismus trägt heute Fair-Trade-Kleidung und zitiert Hannah Arendt auf Instagram – aber marschiert wieder.
Warum die Panzer heute Gender-Kurse belegen
Wir leben in einer Zeit, in der Panzer pazifistisch lackiert werden, in der Soldaten „kulturell sensibilisiert“ und „diskriminierungsfrei“ ausgebildet werden – und dann in Kriegsgebiete geschickt, um dort mit empathisch kalibrierter Zieloptik Feinde zu „neutralisieren“. Die Bundeswehr als diverse Angriffsarmee: ein politischer Feuilletontraum.
Wenn man für Deutschland stirbt, dann heute bitte intersektional korrekt, mit Respekt vor Genderidentität und kulturellem Hintergrund. Die Uniform ist nicht mehr feldgrau, sondern offen für Vielfalt. Es gibt Regenbogenaufnäher auf dem Marschgepäck und Awareness-Offiziere auf Auslandseinsätzen. Das Töten wird zivilisiert – nicht gestoppt.
Und die ZEIT? Sie liefert die feuilletonistische Absicherung dafür. Eine rhetorische Umarmung für all jene, die sich früher geschämt hätten, solche Sätze zu denken. Heute dürfen sie sie sagen – sofern sie eingerahmt sind von Selbstkritik, biografischem Gewissen und einem sorgfältig gefalteten Pressetext der Bundeswehr.
Der freiwillige Tod – jetzt auch mit Migrationshintergrund
Früher hieß es: „Für Führer, Volk und Vaterland.“ Heute: „Für Demokratie, Europa und Freiheit.“ Doch immer noch geht es um das gleiche: den Tod fürs Kollektiv. Nur dass heute auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte mitmachen dürfen. Ein Fortschritt?
Oder ist es nicht vielmehr die Einverleibung des einst Anderen in den militärisch-industriellen Komplex? Die Integration als Mobilmachung? Wo einst die Wehrpflicht durch Verweigerung gebrochen wurde, wird heute die neue Bundesrepublik durch Opferbereitschaft affirmiert – von Menschen, denen man noch vor kurzem das Deutschsein absprach.
Diese paradoxe Umarmung – du bist willkommen, weil du bereit bist zu sterben – ist die zynischste Form der Anerkennung. Sie zeugt nicht von Integration, sondern von Instrumentalisierung. Wer bereit ist, sich im Namen des Staates aufzugeben, hat endlich die höchste Stufe der Staatsbürgerschaft erreicht: die Aufopferung.
Zwischen ZEIT und Zynismus: Wie Reden wieder marschieren lernen
Wenn eine seriöse Wochenzeitung zum Geburtstag Hitlers patriotische Kriegsbereitschaftsbekundungen druckt, dann ist das kein Zufall – es ist Zeitgeist. Es ist nicht der Rückfall in alte Muster, sondern deren geschickte Neuverpackung. Es ist nicht die Wiederkehr des Faschismus, sondern seine subtile Evolution.
Die Zivilgesellschaft applaudiert, solange die Sprache stimmt. Und niemand merkt, dass der Ton wieder anschwillt. Nicht brüllend, nicht polternd – aber gleichwohl marschierend. Ein Takt aus Drohnenrotoren und Etatsteigerungen. Ein Gleichschritt aus Meinungsartikeln und Mobilmachung.
Am Ende fragt man sich: Was hätte Herodot dazu gesagt? Vielleicht hätte er gelächelt, müde und alt. Vielleicht hätte er nur seinen einen Satz wiederholt: „Niemand, der bei Verstand ist, zieht den Krieg dem Frieden vor.“
Und dann hätte er Die Zeit gelesen. Und die Zeitung gefaltet. Und sie ins Feuer geworfen.