20. April: Deutschland gratuliert – nur anders

Der Geist, der nicht verschwand – er wechselte nur die Rhetorik

Es gibt Daten, die hallen wie ein Echo durch die Jahrhunderte. Der 20. April gehört zweifellos dazu. Der Tag, an dem einst Schüler Spalier standen, Kanonen donnerten und Joseph Goebbels seine letzte Glatze auf Hochglanz rieb. Der Tag, an dem der „Führer“ Geburtstag hatte – und das ganze Land, in blindem Gehorsam und orchestrierter Hysterie, ins Kollektivdelirium taumelte. Vor genau 80 Jahren schrieb der Völkische Beobachter auf Seite eins: „Deutschland steht standhaft und treu zum Führer.“ Und heute?

Heute titelt Die Zeit – seriös, liberal, aufgeräumt – zum selben Datum:
„Ja, ich würde für Deutschland sterben“
Und weiter:
„Wir werden den Frieden in unserem Land nur mit Panzern und Soldaten aufrechterhalten können.“

Man reibt sich die Augen. Nicht wegen des historischen Zitats. Sondern weil man sich fragt, ob man im Redaktionsarchiv versehentlich in der Mappe „April 1945“ statt „April 2025“ blättert. Doch nein: Kein Druckfehler, keine Reenactment-Satire. Es ist ernst gemeint. Und genau das macht es so bemerkenswert – oder beunruhigend. Je nach Gusto.

Vom Wehrdienstverweigerer zum Waffenversteher: Die Umpolung der Empathie

Der Autor des Textes, ein einstiger Wehrdienstverweigerer, Migrantensohn mit Wurzeln dort, wo man deutsche Außenpolitik meist in Form von Tornado-Überflügen erlebt hat, berichtet nun davon, wie sehr sich seine Haltung geändert habe. Heute, sagt er, könne er sich vorstellen, für dieses Land zu sterben. Und man fragt sich: Was ist passiert?

Hat der Patriotismus die Kurve genommen, die früheren Pazifisten in Sturmgepäck verpackt und an die Front der Meinungsmache geschickt? Oder ist es einfach die psychologische Pragmatik der Gegenwart, die jede alte Überzeugung in ein neues Rüstungsnarrativ kleidet?

Die Kolumne trägt jenen Ton, der früher in Jugendzeitschriften für Bewerbungstipps empfohlen wurde: selbstreflektiert, verständnisvoll, integrativ. Nur eben mit Sturmhaube. Es ist das freundliche Gesicht des neuen Militarismus. Er lächelt, er inkludiert, er erklärt. Er hat gelernt, dass man heute nicht mehr brüllt – man podcastet.

Von der Rasse zur Nation zur Rendite: Kontinuitäten im Tarnnetz

Früher war es der „arische Volkskörper“, für den man sterben sollte. Heute ist es die „wehrhafte Demokratie“. Die Verpackung hat sich geändert, das Pathos nicht. Auch damals sprach man vom „Verteidigen unserer Art zu leben“. Auch damals war man überzeugt, dass Frieden nur mit Waffen möglich sei – freilich unter anderen Vorzeichen, aber mit gleich glühender Brust.

Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche Sprachbilder erstaunlich gut recycelbar sind. Was 1945 der Endsieg war, ist 2025 die „Resilienz der offenen Gesellschaft“. Was einst als Pflicht gegenüber der Rasse galt, gilt nun als Verantwortung gegenüber den Werten. Die Wörter werden humaner, die Absicht bleibt martialisch.

Der Wandel vom völkischen Opfer-Pathos zur diversitätskompatiblen Kriegsbereitschaft ist nicht Ausdruck eines neuen Bewusstseins, sondern eines raffinierteren Marketings. Der Nationalismus trägt heute Fair-Trade-Kleidung und zitiert Hannah Arendt auf Instagram – aber marschiert wieder.

Warum die Panzer heute Gender-Kurse belegen

Wir leben in einer Zeit, in der Panzer pazifistisch lackiert werden, in der Soldaten „kulturell sensibilisiert“ und „diskriminierungsfrei“ ausgebildet werden – und dann in Kriegsgebiete geschickt, um dort mit empathisch kalibrierter Zieloptik Feinde zu „neutralisieren“. Die Bundeswehr als diverse Angriffsarmee: ein politischer Feuilletontraum.

Wenn man für Deutschland stirbt, dann heute bitte intersektional korrekt, mit Respekt vor Genderidentität und kulturellem Hintergrund. Die Uniform ist nicht mehr feldgrau, sondern offen für Vielfalt. Es gibt Regenbogenaufnäher auf dem Marschgepäck und Awareness-Offiziere auf Auslandseinsätzen. Das Töten wird zivilisiert – nicht gestoppt.

Und die ZEIT? Sie liefert die feuilletonistische Absicherung dafür. Eine rhetorische Umarmung für all jene, die sich früher geschämt hätten, solche Sätze zu denken. Heute dürfen sie sie sagen – sofern sie eingerahmt sind von Selbstkritik, biografischem Gewissen und einem sorgfältig gefalteten Pressetext der Bundeswehr.

Der freiwillige Tod – jetzt auch mit Migrationshintergrund

Früher hieß es: „Für Führer, Volk und Vaterland.“ Heute: „Für Demokratie, Europa und Freiheit.“ Doch immer noch geht es um das gleiche: den Tod fürs Kollektiv. Nur dass heute auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte mitmachen dürfen. Ein Fortschritt?

Oder ist es nicht vielmehr die Einverleibung des einst Anderen in den militärisch-industriellen Komplex? Die Integration als Mobilmachung? Wo einst die Wehrpflicht durch Verweigerung gebrochen wurde, wird heute die neue Bundesrepublik durch Opferbereitschaft affirmiert – von Menschen, denen man noch vor kurzem das Deutschsein absprach.

Diese paradoxe Umarmung – du bist willkommen, weil du bereit bist zu sterben – ist die zynischste Form der Anerkennung. Sie zeugt nicht von Integration, sondern von Instrumentalisierung. Wer bereit ist, sich im Namen des Staates aufzugeben, hat endlich die höchste Stufe der Staatsbürgerschaft erreicht: die Aufopferung.

Zwischen ZEIT und Zynismus: Wie Reden wieder marschieren lernen

Wenn eine seriöse Wochenzeitung zum Geburtstag Hitlers patriotische Kriegsbereitschaftsbekundungen druckt, dann ist das kein Zufall – es ist Zeitgeist. Es ist nicht der Rückfall in alte Muster, sondern deren geschickte Neuverpackung. Es ist nicht die Wiederkehr des Faschismus, sondern seine subtile Evolution.

Die Zivilgesellschaft applaudiert, solange die Sprache stimmt. Und niemand merkt, dass der Ton wieder anschwillt. Nicht brüllend, nicht polternd – aber gleichwohl marschierend. Ein Takt aus Drohnenrotoren und Etatsteigerungen. Ein Gleichschritt aus Meinungsartikeln und Mobilmachung.

Am Ende fragt man sich: Was hätte Herodot dazu gesagt? Vielleicht hätte er gelächelt, müde und alt. Vielleicht hätte er nur seinen einen Satz wiederholt: „Niemand, der bei Verstand ist, zieht den Krieg dem Frieden vor.“
Und dann hätte er Die Zeit gelesen. Und die Zeitung gefaltet. Und sie ins Feuer geworfen.

Herodot Reloaded

2500 Jahre alte Weisheit auf dem Schrottplatz der Gegenwart

Herodot, dieser antike Mann mit Bart, Federkiel und scharfem Blick für die Dummheit seiner Zeitgenossen, hatte keine Satelliten, keine Drohnen, keine Künstliche Intelligenz zur Verfügung – und dennoch formulierte er eine Wahrheit, die der heutigen Welt wie ein rostiger Spiegel entgegengehalten werden sollte: „Niemand, der bei Verstand ist, zieht den Krieg dem Frieden vor. Im Frieden begraben die Söhne ihre Väter, im Krieg die Väter ihre Söhne.“ Man könnte denken, ein solcher Satz sollte als eiserner Wahlspruch über jeder UNO-Sitzung hängen, in Großbuchstaben in die Wandverkleidung aller Verteidigungsministerien eingraviert sein, vielleicht sogar als Pflichtlektüre für jeden Lobbyisten, der in Brüssel zwischen Tapas und Think-Tank-Veranstaltungen über „sicherheitspolitische Resilienzstrategien“ fabuliert.

Aber nein. Stattdessen wird Herodot heute allenfalls in akademischen Fußnoten erwähnt, in Formaten, die kein Entscheidungsträger liest, weil sie keine Tabellen mit Wachstumsprognosen enthalten. Der Satz ist zu wahr, um nützlich zu sein. Zu menschlich für eine Welt, die Effizienz über Ethik stellt, Skalierbarkeit über Solidarität. Herodots Weisheit landet, wie so vieles, auf dem intellektuellen Schrottplatz – dort, wo auch Idealismus, Aufklärung und der Begriff Menschlichkeit verrosten dürfen, während das nächste Radar-Startup gerade seine Series-C-Finanzierung sichert.

Kapitalismus im Tarnanzug: Die neue Ästhetik des Tötens

Die Gegenwart hat dem Krieg ein neues Gesicht gegeben: glatt, digital, investorenfreundlich. Statt Schlamm und Blut gibt es nun saubere Dashboards, präzise Heatmaps, schnurrende Präsentationen mit animierten Infografiken. Krieg ist kein dreckiges Handwerk mehr – er ist eine Wachstumsstrategie. Und das macht ihn endlich sexy fürs Kapital. Der Rüstungssektor, dieser lange Zeit moralisch umstrittene Sektor, hat sich erfolgreich einer Imagekampagne unterzogen: Vom Panzer zum Pixel, vom Flächenbombardement zur Punktlandung via Drohne.

Konzerne wie Hensoldt führen diese neue Ästhetik des Tötens geradezu meisterlich vor. Früher hieß das Ding „Zielerfassungsmodul“, heute ist es „adaptive Sensortechnologie für sicherheitskritische Einsatzszenarien“. Klingt gleich viel humaner. Fast wie ein medizinisches Gerät. Und ist doch nichts anderes als ein verbessertes Mittel zur exakten Identifikation des nächsten Toten – ein Fortschritt, über den man sich an der Börse freut. Und warum auch nicht? Schließlich geht es um Effizienz, um Performance. Und Performance, das weiß jedes Portfolio, ist unabhängig von Ethik.

Das neue Vater-Sohn-Verhältnis: Investieren, Töten, Vererben

Herodot beklagte das Vater-Sohn-Paradox in Kriegszeiten als menschliche Tragödie. Heute ist es Teil des Geschäftsmodells. In der Moderne hat sich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn rationalisiert: Der Vater investiert in den Krieg, der Sohn kämpft ihn. Wenn er überlebt, bekommt er Aktienoptionen. Wenn nicht, bleibt der Ertrag wenigstens steuerlich absetzbar. Die Individualtragödie wurde systemisch integriert.

Während im Frieden Generationen sich gegenseitig Geschichten erzählen, wird im Krieg bloß noch berichtet. In Zahlen. In Quoten. In EBIT. Der Krieg ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die optimierte Fortsetzung wirtschaftlicher Interessen mit anderen Mitteln. Herodot hatte Mitleid. Die heutige Zeit hat nur noch Marktlogik. Sie fragt nicht mehr: Wie viele Söhne sterben? Sondern: Wie viele Sensoren konnten wir pro Toten verkaufen? Und vor allem: Wie lange hält der Konflikt – und können wir daraus ein Abo-Modell machen?

Bildung, Pflege, Sozialarbeit? Sorry, wir brauchen Sensorik

Die gesellschaftliche Prioritätenliste ist heute so klar wie zynisch: Wenn’s knallt, wächst der Kurs. Wenn’s heilt, kostet es nur. Wer in dieser Ordnung noch für Krankenhäuser, Schulen oder Sozialarbeiter plädiert, wirkt wie ein Museumsführer in einem Silicon-Valley-Startup. Süß, aber störend. Zukunft ist heute, was man verkaufen kann. Und verkauft wird vor allem das, was knallt.

Sensorik ist das neue Gold. Nicht Empathie, nicht Bildung, nicht Demokratiepädagogik. Sondern Radarsysteme mit Cloud-Anbindung. Denn in einer Welt, in der wir alles messen und analysieren können – warum nicht auch Leben und Tod als variable Kennzahlen? Der Unterschied zwischen einem Lehrer und einem Zielerfassungssystem? Der Lehrer rettet ein Leben in zehn Jahren. Der Sensor entscheidet in einer Sekunde, ob eines gelöscht wird. Und das ist, man muss es leider so sagen, sehr viel effizienter. Vom Standpunkt der Logistik. Vom Standpunkt der Investoren. Vom Standpunkt der Wahnsinnigen.

Herodot als Meme: Antike Weisheit im Zeitalter des Endsiegs 2.0

Was bleibt also von Herodot in dieser Welt? Ein Meme vielleicht. Eine ironische Fußnote in einem TikTok-Video über „die dümmsten Zitate der Antike“, unterlegt mit Techno. Denn Weisheit ohne Absatzmarkt ist heute nichts weiter als sentimentales Dekor. Wenn Herodot heute leben würde, er würde vermutlich als unbezahlter Consultant in einem Think Tank enden, der gerade versucht, den nächsten hybriden Konflikt als „Wettbewerbsarena geopolitischer Narrative“ zu framen.

Oder vielleicht würde er schweigen. Weil er längst verstanden hätte, dass seine Worte nur noch stören. Dass Wahrheit in einer Welt, die sich dem permanenten Alarmzustand verschrieben hat, nicht gefragt ist. Denn dieser Satz – „Im Krieg begraben die Väter ihre Söhne“ – ruiniert jede PowerPoint-Präsentation. Er lässt sich schwer monetarisieren. Und das ist in unserer Zeit ein Todesurteil.

Epilog: Der Verstand hat längst das Feld geräumt

Niemand, der bei Verstand ist, zieht den Krieg dem Frieden vor. Aber was ist, wenn der Verstand längst abgemeldet ist – ersetzt durch Algorithmen, automatisierte Entscheidungsfindung und eine öffentliche Debatte, die lieber „Zeitenwende!“ schreit, als sie zu hinterfragen? Dann ist Herodot kein Mahner mehr, sondern ein Störgeräusch. Ein Fliegenschiss im Getriebe der Kriegsökonomie. Und seine Söhne? Die werden weiter sterben. Planvoll. Strukturiert. Zielgerichtet. Vielleicht auch klimaneutral.

Und die Väter? Sie kaufen Aktien. Zeichnen Anleihen. Und begraben. Mit gutem Gewissen. Denn der Markt hat gesprochen.

Von der Freiheit, sich verkaufen zu müssen

Es gibt Sätze, die brennen sich ein wie ein Markenstempel ins Fleisch einer Epoche – und „Kapitalismus ist verfassungsfeindlich“ ist einer davon. Er ist kein Slogan, kein Sticker auf einer Bio-Bananenkiste vom alternativen Wochenmarkt, sondern eine Diagnose. Ein Schrei unter intellektueller Kontrolle. Sabine Nuss, diese feine Analystin der kapitalistischen Dialektik, hat mit dieser simplen, radikalen Behauptung etwas ausgesprochen, das selbst in progressiven Zirkeln meist nur gedacht, aber selten formuliert wird – aus Angst, man könnte als romantischer Nostalgiker, gescheiterter Kommunarde oder schlichter Unruhestifter gelten. Dabei ist der Satz keine Provokation. Er ist ein Symptom.

Der Kapitalismus ist nicht „nur“ ein Wirtschaftssystem. Er ist ein totalitärer Stil des Lebens, Denken und Empfindens. Eine metaphysische Ordnung, in der die Freiheit zur Ware und das Ich zur Rechnungseinheit wird. Und wenn unsere Verfassung – das Grundgesetz, dieses hochheilige Dokument der bürgerlichen Nachkriegsträume – etwas anderes will, nämlich Würde, Gleichheit, soziale Sicherheit und ein bisschen Glück für alle: Dann, ja dann, steht der Kapitalismus dieser Verfassung im Weg. Nicht durch Putsch, nicht durch Panzer, sondern durch penibel kalkulierte Mieten, durch befristete Verträge, durch optimierte Lieferketten, die am Menschen vorbei funktionieren.

Würde ist das neue Marketing – Über die Umdeutung des Menschen

Artikel 1 des Grundgesetzes behauptet, die Würde des Menschen sei unantastbar. Der Kapitalismus hingegen hält das für ein interessantes Narrativ – aber eben auch nur für das: ein gut funktionierendes Werbekonzept. Denn in der Realität wird diese Würde täglich angetastet, vermessen, monetarisiert und schließlich ins Reporting überführt. Menschen sind keine Zwecke, sie sind Datenpunkte. Keine Träger von Würde, sondern Träger von Klickzahlen. Der Mensch ist nicht mehr Souverän, sondern target group, user, stakeholder, risk factor. Wer heute etwas gelten will, muss gelten machen, was er kostet – und möglichst wenig davon. Die höchste Form der Würde ist heute die Fähigkeit, sich in ein Gantt-Diagramm eintragen zu lassen, ohne als „Kostenfaktor“ zu stören.

Der Kapitalismus schafft es wie kein anderes System, sich als Naturgesetz zu inszenieren. Er ist nicht nur da – er ist unvermeidlich. Eine Art ökonomische Gravitation, ein Schicksal ohne Alternative. Die Verfassung mag von Schutz und Teilhabe sprechen, der Markt hingegen von Verwertbarkeit. Und am Ende gewinnt der, der höhere Renditen verspricht – nicht der, der moralisch recht hat. Das wäre in einem funktionierenden Rechtsstaat problematisch. In einem ökonomisierten, aber demokratisch maskierten Spätkapitalismus ist es der Normalzustand.

Eigentum vor Freiheit – Die heimliche Verfassung des Marktes

Die Verfassung sagt: Eigentum verpflichtet. Der Kapitalismus sagt: Eigentum befreit. Und damit ist eigentlich alles gesagt. Denn während die Verfassung noch von einem Gemeinwohl träumt, von einer Gesellschaft, die füreinander Verantwortung trägt, redet der Kapitalismus nur von Risikoabwälzung. Die Freiheit, Eigentum zu haben, ist die heilige Kuh des Systems – auch wenn es bedeutet, anderen die elementare Existenz zu verweigern. Wer Wohnungen besitzt, muss nicht wohnen. Wer Nahrungsmittel kontrolliert, muss nicht hungern. Und wer über Medien verfügt, muss keine Wahrheit suchen. Die sogenannte Freiheit des Marktes ist eine asymmetrische Waffe – für die einen ein Jetpack, für die anderen ein Gewicht am Fußgelenk.

Und wenn dann wieder einer dieser reich geschminkten Wirtschaftskommentatoren im Fernsehen behauptet, es sei doch „nur fair“, dass Leistung belohnt werde – dann meint er nicht die Pflegekraft, die nachts um drei noch jemandem die Stirn abtupft. Dann meint er den Investmentbanker, der mit einem Federstrich 800 Jobs „effizient transformiert“. Diese neue Form von Freiheit – die Freiheit, ausbeuten zu dürfen, ohne Scham – steht im Widerspruch zu allem, was man aus der Präambel des Grundgesetzes herauslesen könnte. Aber solange man dabei lächelt und die Umsatzrendite stimmt, stört das niemanden.

Demokratie als Dekoration – Wenn das System auf Konsens pfeift

Kapitalismus braucht keine Diktatur. Er braucht Zustimmung. Oder besser: Desinteresse. Solange das Volk noch Netflix hat, Amazon Prime liefert, der Dispo gedeckelt ist und die Urlaubsreise ins Balearen-Prekariat möglich bleibt, wird nicht gefragt, warum Konzernspenden Gesetze schreiben, warum BlackRock mit am Kabinettstisch sitzt oder warum Hartz-IV-Opfer in Talkshows zu Punchingballs stilisiert werden. Demokratie ist zur Kulisse geworden, zum Beipackzettel eines Produktes, das längst ganz woanders zusammengeschraubt wird.

Die Parteien verwalten diesen Konsens. Sie reden von „sozialer Marktwirtschaft“ wie ein Priester von einem Gott, den er seit Jahren nicht mehr gespürt hat. Die Wahlprogramme klingen wie Quartalsberichte, die Debatten wie Budgetbesprechungen. Wer zu radikal fragt, gilt als Querulant. Wer auf die Idee kommt, das System selbst infrage zu stellen, als Extremist. Und doch ist es das System selbst, das mit der Verfassung auf Kriegsfuß steht. Es lässt Menschen in Armut fallen, obwohl genug für alle da wäre. Es verhindert Teilhabe, obwohl sie versprochen ist. Es schürt Konkurrenz, wo Solidarität gebraucht würde. Wenn das nicht verfassungsfeindlich ist – was dann?

Schluss: Ein System stürzt nicht, es läuft aus

Man sollte den Kapitalismus nicht verteufeln. Man sollte ihn durchschauen. Und dann leise aus dem Fenster werfen. Er wird nicht in einem großen Knall verschwinden, keine Revolution wird ihn von heute auf morgen hinwegfegen. Er stirbt leise, durch Widerspruch in sich selbst. Er wird sich eines Tages totoptimiert haben – zu Tode verwaltet, zu Tode gerechnet, zu Tode versichert. Übrig bleiben dann vielleicht Reste: ein Logo, ein TikTok-Account, eine PR-Agentur, die das letzte Image aufrechterhält.

Bis dahin aber wird er weiter unser Leben gestalten – gegen die Verfassung, aber mit staatlicher Subvention. Vielleicht ist Sabine Nuss’ Satz deshalb so wichtig: Weil er nicht nur beschreibt, was ist, sondern was sein dürfte. Und was nicht mehr sein darf.

Pazifismus ist was für Aktionäre mit schlechtem Gewissen

Pazifismus, diese einst heilige Kuh der Nachkriegszeit, vegetiert heute als lactosefreie PR-Geste auf den Nachhaltigkeitsseiten von Fondsgesellschaften vor sich hin. Wer sich heute noch für den Frieden ausspricht, tut dies meist zwischen zwei ESG-Ratings und einer Börsennotiz zu „grünen Anleihen“. Die Welt hat sich weitergedreht – und der Pazifismus blieb wie ein vergilbter Aufkleber auf der Heckscheibe eines Altgolfs zurück: „Make love, not war“. Klingt süß, ist aber schlecht skalierbar. Denn während die Friedensfreunde noch Petition Nummer 27.834 gegen Rüstungsexporte unterschreiben, werden bei Hensoldt bereits die Produktionskapazitäten hochgefahren – effizient, modular, ESG-konform. Krieg, aber bitte mit Umweltzertifikat.

Der neue Aktionär von Welt ist kein Schlächter mit Zigarre, sondern ein digitaler Humanist mit optimiertem Portfolio. Er liebt die Menschenrechte, solange sie nicht zwischen ihm und seiner Rendite stehen. Hensoldt ist für ihn kein Skandal, sondern eine Gelegenheit: Diversifikation für das Gewissen. Pazifismus ist was für Leute, die sich noch an die Montagsdemos erinnern – oder für die Enkel von Helmut Schmidt, die es sich leisten können, politisch zu träumen. Alle anderen investieren. Der Krieg hat seinen Charme zurückgewonnen – nicht in den Talkshows, sondern an der Börse. Und das ist die wahre Zeitenwende.

Warum wir bald unseren Kindern erklären müssen, dass Sensorik wichtiger ist als Sozialarbeit

Stellen wir uns einen Elternabend im Jahr 2032 vor: Die Frage im Raum lautet nicht mehr, ob man ausreichend Förderlehrer bereitstellen könne, sondern ob das Kind sich bereits mit quantenoptimierten Zielalgorithmen auskennt. Pädagogik? Nett. Aber sie generiert keine Echtzeitdaten. Sozialarbeit? Wichtig, aber leider ohne Dual-Use-Potenzial. Die Zukunft gehört den Sensoren – weil sie nicht widersprechen, nicht streiken, nicht nach Tarifverträgen fragen. Sensoren sind die perfekten Untertanen des digitalen Militarismus. Sie tun, was sie sollen: Messen. Melden. Markieren. Und manchmal: Vernichten.

In einer Gesellschaft, in der alles zur Funktion wird, zählt nur, was sich algorithmisieren lässt. Empathie hat keinen API-Endpunkt. Menschlichkeit lässt sich nicht über Bluetooth synchronisieren. Was also tun mit diesen sperrigen Restberufen, die nichts zur Exportbilanz beitragen? Wegschulen, wegsparen, wegargumentieren. Wer heute ein Kind großzieht, muss ihm erklären, dass nicht mehr die Frage „Wie fühle ich mich?“ zählt, sondern „Wie erkenne ich eine feindliche Wärmequelle auf 3,2 Kilometer Entfernung?“. Und während man früher noch Astronaut oder Tierarzt werden wollte, träumt man heute vom Job als Sensorik-Ingenieur im Dienste des Friedens durch Überlegenheit.

Hightech für den Endsieg: Vom Silicon Valley zum Stahlgewitter

Der Endsieg hat einen neuen Anstrich bekommen. Keine schwarzweiß flackernden Wochenschauen mehr, keine aufgekratzten Durchhalteparolen am Volksempfänger. Heute kommt er in 4K-Auflösung mit Business-Pitch und PowerPoint-Deck. Die Kriegstechnologie hat das Camouflage abgelegt und trägt jetzt das freundliche Blau des Cloud-Providers. Sie wird nicht mehr produziert, sondern entwickelt. Sie ist nicht mehr martialisch, sondern modular. Und so schließt sich der Kreis vom Silicon Valley zum Stahlgewitter: Was als disruptiver Start-up-Traum begann, endet als Smartsystem mit Sprengkopf.

Hensoldt, die deutsche Antwort auf Lockheed und Raytheon, hat das Prinzip verstanden: Wer tötet, muss modern bleiben. Und so fließt das Know-how aus der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, der Medizintechnik in eine neue Zweckform: das smarte Töten. Autonom. Effizient. Fehlerresistent. Die neuen Kriege brauchen keine Schreie mehr – sie brauchen Datenpakete. Und wer diese liefern kann, der gehört zu den Gewinnern. Denn der Endsieg ist heute kein Triumph mehr über eine Ideologie, sondern über die Unberechenbarkeit des Menschen. Der Gegner wird zur Signatur, zum Pixel, zum pulsierenden Punkt auf dem Screen.

Der Soldat ist tot – es lebe der Sensor.

Demokratie oder Dekorationsobjekt?

Es war einmal ein großes Wort, das versprach, die Tyrannei zu beenden, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, das Volk zur Stimme zu machen: Demokratie. Ein wunderschöner Gedanke, glanzvoll wie die Freiheitsstatue im Sonnenuntergang und dabei genauso hohl. Benjamin Franklin, der alte Zausel mit Blitzableiter und scharfem Witz, hat es schon früh auf den Punkt gebracht: Demokratie sei, wenn zwei Wölfe und ein Schaf darüber abstimmen, was es abends zu essen gibt. Man könnte es auch so formulieren: Die Mehrheit entscheidet, was mit der Minderheit geschieht – und nennt es Fortschritt. Heute, im Zeitalter hypermoralisierter Hysterien, wird diese Demokratie wie eine Schaufensterpuppe durch Talkshows gezerrt, kostümiert mit Diversität, Nachhaltigkeit und ganz viel „Wir müssen reden“. Doch niemand redet. Man verkündet. Und wer nicht mitklatscht, wird aus dem Theater geworfen – wegen „fehlender Diskurssensibilität“. Willkommen in der spätbürgerlichen Simulation politischer Teilhabe, wo der Wähler zwar abstimmen darf, aber vorher in einem Meinungs-Bällebad so lange weichgeklopft wird, bis seine Wahl ohnehin irrelevant ist.

Massenmeinung oder Massenwahn? Über das Diktat der Gefühlsethik

Wir leben in einer Ära, in der sich politische Entscheidungen nicht mehr an Fakten, sondern an Befindlichkeiten orientieren. „Ich fühle das anders“ ersetzt „Ich denke das anders“, und wer es wagt, auf empirischer Basis zu argumentieren, bekommt die Fakten als unsensibel um die Ohren geschlagen. Gefühle sind das neue Gold, und jeder ist seine eigene Währung. Die Mehrheit ist dabei nicht mehr die Summe der Vernunft, sondern die Echo-Kammer einer emotionalisierten Medienrealität, in der eine Meinungsäußerung bereits als Angriff gewertet wird, sofern sie nicht vorher mit Wattebäuschen entschärft wurde. Die neue Tugend heißt Mitfühlen – freilich nur mit den Richtigen. Die Falschen, also jene, die aus Versehen noch den Unterschied zwischen „ist“ und „sollte“ kennen, gelten als toxisch, rechts, klimafeindlich oder – der neueste Vorwurf – „epistemisch gewalttätig“. Was früher als kritisches Denken durchging, wird heute als Mikroaggression gelesen. Es ist der alte Wahnsinn in neuem Gewand: Wer gegen das Narrativ argumentiert, wird nicht widerlegt – sondern diagnostiziert.

Wahlen, Wahlkampf und Wahlversprechen – oder: Das Kabarett der Konturlosigkeit

Alle vier Jahre wird die Demokratie ausgeführt wie ein Rentnerhund zum Tag der offenen Tür im Tierheim. Die Parteien werfen mit Worten wie „Zukunft“, „Gerechtigkeit“, „Verantwortung“ um sich, als wären es lose Konfetti aus der Klapperkiste politischer Simulation. Wahlprogramme gleichen längst den Speisekarten eines hippen Bio-Bistros: alles vegan, aber nichts zu essen. Es geht um Bilder, nicht um Begriffe. Wer auf Inhalte hofft, wird enttäuscht – die haben sich hinter Sprechblasen verschanzt, in denen Wörter wie „Transformation“, „Resilienz“ und „Diversität“ ihre Bedeutung längst verloren haben. Es ist ein intellektuelles Feuerwerk aus nassem Zunder. Politiker gleichen mittlerweile Versicherungsvertretern, die einem mit feuchtem Blick das große Ganze erklären – ohne jemals konkret zu werden. Und wehe dem, der fragt, wie man all das bezahlen will. Der wird dann als unsozial bezeichnet. Oder – schlimmer noch – als neoliberaler Technokrat mit einem gefährlich gut funktionierenden Taschenrechner.

Moralismus als Herrschaftsinstrument: Die neue Inquisition trägt Sneakers

Wer heute widerspricht, widersetzt sich nicht einer Idee, sondern einer moralischen Übermacht. Es ist nicht nur falsch, etwas „anderes“ zu denken – es ist böse. Der Diskursraum, früher eine Arena freier Gedanken, ist zum pädagogischen Seminarraum geworden, in dem das richtige Vokabular wichtiger ist als der eigentliche Inhalt. Wörter wie „Normalität“, „Identität“ oder gar „Nation“ sind nicht nur verdächtig, sie sind brandgefährlich – und zwar für die Gefühle derer, die laut genug rufen, sie seien verletzt. Aus Kritik wird Kränkung, aus Kränkung wird Cancel, aus Cancel wird Schweigen. Und das Schaf sitzt wieder am Tisch, nickt zustimmend, während die Wölfe Messer und Gabel zurechtrücken.

Die Ironie: Wer heute Moral predigt, führt keine Ethik – sondern betreibt Machtpolitik mit dem Vorschlaghammer der Empörung. Die Debattenkultur gleicht einem Duell mit Wattepistolen, bei dem jeder Treffer tödlich ist – für den, der getroffen hat. Es ist nicht wichtig, ob etwas gesagt wird, sondern wer es sagt. Haltungsjournalismus ersetzt Analyse, Empörungsalgorithmus ersetzt Nachdenken. Und die Öffentlichkeit, dieses große, vielstimmige Wesen, ist mittlerweile ein Kind mit ADHS, das hysterisch auf jeden Reiz reagiert – aber schon am nächsten Tag nicht mehr weiß, worum es ging.

Der Bürger als Konsument seiner eigenen Irrelevanz

Der heutige Bürger, sofern er nicht längst in Zynismus, Abstinenz oder Alpakazucht geflüchtet ist, wird von der Politik behandelt wie ein mündiger Minderjähriger. Man redet auf ihn ein, nicht mit ihm. Beteiligung ist erlaubt, solange sie vorher in Beteiligungsformate eingebettet wurde, die niemand versteht, aber alle beklatschen. Die neue Partizipation ist eine Chiffre für kontrollierte Mitwirkung. Wie beim Ikea-Regal darf man beim Aufbau helfen – aber nur, wenn man die Anleitung nicht hinterfragt. Und wehe, man äußert Kritik. Dann wird man wahlweise als „populistisch“, „unsolidarisch“ oder „demokratiegefährdend“ diffamiert – denn in einer Welt, in der alles politisch ist, ist jede Abweichung potenziell gefährlich. Die größte Bedrohung für das System ist heute nicht der Extremist – sondern der Zweifler.

Schlusswort mit Zähneknirschen – oder: Wenn die Freiheit freiwillig abgegeben wird

Und so endet unsere kleine Reise durch die satirische Topografie der sogenannten liberalen Demokratie mit einem bitteren Lächeln. Nein, wir leben nicht in einer Diktatur. Das wäre zu einfach. Wir leben in einem Theaterstück, das sich „offene Gesellschaft“ nennt, in dem aber nur noch die Rollen besetzt werden, die dem Stück gefallen. Die anderen dürfen zusehen. Oder draußen bleiben. Demokratie heute heißt: Du darfst alles sagen – solange du damit niemanden triggerst. Du darfst wählen – aber nicht die Falschen. Du darfst denken – aber bitte nichts, was außerhalb des Drehbuchs liegt. Es ist eine schöne Fassade, in der das Volk mitmachen darf. Wie Komparsen in einem Film, dessen Handlung längst von den Produzenten festgelegt wurde.

Und das Schaf? Das Schaf sitzt am Tisch, brav und verständnisvoll. Es nickt, wenn die Wölfe über Nachhaltigkeit sprechen. Es applaudiert, wenn es heißt: „Wir hören alle Stimmen.“ Und es lächelt, als es serviert wird.

Vom Rechtsbruch im Kriegsrat der Zögerlichen

Der deutsche Bundestag, dieser wohlsortierte Debattierclub zwischen moralischer Überkompensation und taktischer Verzagtheit, hat ein neues Kapitel geschrieben im dicken, ledergebundenen Wälzer deutscher Verantwortungsvermeidung: Kapitel 2398, Absatz 7, mit dem Titel „Die Unterlassene Hilfeleistung in Raketenform“. Peter Kiesewetter, einst Offizier, nun Christdemokrat mit aufrechter Stirn und dem Furor eines Staatsanwalts in der Pose des Parlamentariers, formulierte es mit juristisch anmutender Emphase: Die Nichtlieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine sei nichts weniger als ein Verstoß gegen § 323c StGB – unterlassene Hilfeleistung. Ja, Sie haben richtig gelesen: Wer eine Rakete nicht liefert, begeht ein Delikt. Wer Kriegsgerät verweigert, verweigert Menschlichkeit. Eine ethische Raketengleichung, deren Stringenz und juristische Eleganz in etwa dem Satz des Pythagoras auf einem Feldbett gleicht: Wenn zwei Seiten nicht schießen, wird die dritte von den Russen überrollt.

In Kiesewetters Logik, die mit der Präzision eines Taurus durch den nebelverhangenen Moralkanon fliegt, offenbart sich das ganze Elend einer politischen Klasse, die das Zögern zur Doktrin und das Lavieren zur Tugend erhoben hat. Taurus sei nötig, alternativlos, ethisch geboten – kurz: christdemokratisch. Und mit welchem Furor der CDU-Generalstab nun Paragrafen fletscht, da könnte man beinahe glauben, Strauß sei auferstanden, bewaffnet mit der Bibel, dem Grundgesetz und einem Raketenkoffer. Die Bombe als Nächstenliebe, das ist der neue Soundtrack zur Zeitenwende. Kant dreht sich im Grab, aber in NATO-tauglicher Drehzahl.

Die Ethik der Explosiven – Vom moralisch aufgeladenen Sprengkopf

Man könnte meinen, in der deutschen Militärdebatte ginge es noch um Strategie, Sicherheit oder – Gott bewahre – Realpolitik. Doch weit gefehlt: Es geht um Moral. Nicht jene leise, reflektierte, sich selbst hinterfragende Sorte, sondern die plakative Auslageware im Werte-Schaufenster der Berliner Republik. Taurus ist längst kein bloßer Marschflugkörper mehr – er ist zur Projektionsfläche avanciert, zum fliegenden Gewissen Europas. Ein 500 Kilogramm schwerer Sprengkopf als Allegorie auf Mitgefühl. Humanismus mit Zielcomputer, Barmherzigkeit im Bunkerformat. Wer ihn verweigert, verweigert die Menschlichkeit – sagt Kiesewetter, sagt die CDU, sagen inzwischen auch einige Grüne, die in ihrer Wandlung von der Friedensbewegung zur Kriegsbegründung eine beeindruckende politische Flugbahn zurückgelegt haben, ganz ohne Raketentechnologie.

Man stelle sich nur vor: Da sitzt der deutsche Kanzler mit gefurchter Stirn, von Fernsehkameras belagert wie Cäsar vor dem Rubikon, und sagt in staatsmännischem Tonfall, man müsse „verantwortungsvoll prüfen“. Was da geprüft wird, bleibt im Nebel des Kanzleramts verborgen, vielleicht ist es das Drehmoment der öffentlichen Meinung, vielleicht auch nur der Reißverschluss an Pistorius’ Einsatzjacke. In Wahrheit aber ist es die letzte Bastion der deutschen Außenpolitik: die Rhetorik der Verschleppung. Hätte man Taurus früher geliefert, so der implizite Vorwurf, lägen heute weniger Ukrainer unter Trümmern und mehr Russen unter Erde. Es ist die neue Version der alten Frage: Darf man töten, um Leben zu retten? In Deutschland lautet die Antwort traditionell: Nur, wenn ein Arbeitskreis es vorher genehmigt hat.

Sargnägel mit GPS – Warum Präzision keine Skrupel ersetzt

Natürlich, sagen die Befürworter, Taurus ist präzise. Das Wort fällt so häufig in diesen Tagen, man könnte glauben, es handele sich um ein chirurgisches Instrument. Ein Skalpell mit Reichweite. Dabei wird vergessen: Auch ein Skalpell kann töten, wenn es die falsche Hand führt. Und Taurus, dieser vielbeschworene Wunderflügel des Westens, ist eben kein moralisches Subjekt. Er unterscheidet nicht zwischen gerechter Verteidigung und imperialem Gegenschlag, sondern folgt Koordinaten. Und Koordinaten – das weiß jeder, der einmal im GPS-Schatten einer Alpenstraße stand – können irren. Wo also beginnt die Verantwortung? Beim Ziel? Beim Abschuss? Oder bei jenem feinziselierten Satzbau, mit dem man in Talkshows das Wort „Lieferung“ durch „Verantwortungsübernahme“ ersetzt?

In dieser Präzisionsdebatte steckt der ganze Wahnsinn des modernen Krieges: Als ließe sich der Schrecken durch die Genauigkeit seiner Durchführung moralisch entgiften. Man redet von Intelligenz, als säßen im Innern der Rakete Philosophen, die kurz vor dem Einschlag noch über Kant und Clausewitz debattieren. Dabei wäre es ehrlicher zu sagen: Es geht um Wirkung, nicht um Würde. Und so wird der Taurus, einst ein Produkt aus deutscher Ingenieurskunst und britischer Beteiligung, zum postheroischen Sargnagel in einem Konflikt, dessen Ursprünge weit älter sind als der Bundestagsbeschluss von letzter Woche.

Wenn Ministerpräsidenten Völkerrecht jonglieren – Föderalismus als Waffenhändler

Besonders apart wird die Debatte, wenn sich deutsche Ministerpräsidenten zu außenpolitischen Erklärungen berufen fühlen. Man kennt das: Ein Bundesland hat ein Haushaltsloch, der Nahverkehr wankt, die Kitas streiken – aber der Ministerpräsident weiß, was die Ukraine braucht: Taurus. Niemand fragt, was Niedersachsen über Hochgeschwindigkeitsraketen denkt, doch Stephan Weil oder Michael Kretschmer stellen sich trotzdem vors Mikrofon wie einst Churchill – nur halt mit Regionalbahnanschluss. Der Föderalismus, einst Garant demokratischer Vielfalt, ist zum Open-Mic-Abend für geopolitische Laien geworden.

Und während die eigentlichen Entscheider sich in strategischem Schweigen üben, wirft man mit Völkerrechtsfloskeln um sich wie mit Kamellen am Rosenmontag. „Pflicht zur Unterstützung“, „humanitäre Verantwortung“, „Schutz der Freiheit“ – die Begriffe purzeln so zuverlässig wie das nächste Waffenpaket aus Washington. Dass Völkerrecht kein Rüstungsprospekt ist, sondern ein fragiles Netz aus Kodex, Konsens und Kontext, scheint niemanden zu stören. Hauptsache, der moralische Schaum vor dem Mund ist dichter als das Nebelfeld über Donezk.

Im Anfang war das Wort

– und am Ende die Zensur

„Denn sie wissen nicht, was sie tun“ – das hätte man auch als Überschrift über den neuen Koalitionsvertrag setzen können. Doch sie wissen es ganz genau. Wenn CDU/CSU und SPD unisono davon sprechen, man müsse künftig die „bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ unterbinden, dann sollte es einem eiskalt den Rücken hinunterlaufen. Nicht wegen der Worte – die sind weich, wie politischer Beton im Frühstadium –, sondern wegen des Duktus: Bewusst. Falsch. Tatsachen. Behauptungen. Eine gefährliche Mixtur aus Absicht, Moral und Definitionsmacht. Das Böse tarnt sich bekanntlich gern als Notwendigkeit.

Der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein schrieb: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Die neue Koalition setzt nun die Grenze der Sprache dort, wo sie beginnt, sich zu befreien. Das Narrativ soll gezähmt, die Abweichung geächtet, die freie Rede in ein Korsett gezwungener Wahrheitsliebe geschnürt werden. Eine Meinungsfreiheit, die sich staatlich lizensieren lassen muss, ist keine. Sie ist die gepfählte Leiche einer einst freien Gesellschaft – geschminkt, dekoriert und unter Aufsicht.

Inquisition Reloaded – mit WLAN und Pressemitteilung

Es hat etwas geradezu Rührendes, wie man sich auf das „staatsferne“ Wirken beruft. Eine Medienaufsicht, der man den Säbel des Gesetzes in die Hand drückt, soll gleichzeitig „staatsfern“ sein – das ist, als wolle man den Henker als neutralen Vermittler im Streit zwischen Kopf und Guillotine vorstellen.

Man erinnert sich: Am 22. Juni 1633 stand Galileo Galilei vor einem Tribunal. Nicht etwa, weil er ein Ketzer war, sondern weil er der Wahrheit zu sehr vertraute. „Und sie dreht sich doch“, soll er gemurmelt haben – in einem Moment, der mehr Wahrheit enthielt als tausend Lehrpläne. Die Kirche, das absolute Wahrheitsmonopol jener Zeit, konnte es sich nicht leisten, Recht zu behalten. Sie musste Recht haben. Der Unterschied ist fatal.

Heute sind es keine Mönche mehr, sondern Faktenchecker, Think-Tanks, NGOs mit Subventionsanschluss, die uns erklären, was die Welt im Innersten zusammenhält. Der moderne Index verbotener Gedanken ist algorithmisch sortiert, nicht in Pergament gebunden. Aber das Prinzip bleibt: Wer anders denkt, denkt gefährlich – und wer gefährlich denkt, soll zum Schweigen gebracht werden.

Der Tod der Aufklärung in mehreren Akten

Der Traum der Aufklärung – jener große, europäische, unvollendete Traum – bestand darin, dass der Mensch sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen bedient. Kant formulierte es in seiner berühmten Schrift „Was ist Aufklärung?“ mit jener schnörkellosen Klarheit, die dem preußischen Geist innewohnte. Heute müsste man hinzufügen: Der Mensch bediene sich seines Verstandes, sofern er durch keine Community-Richtlinien, Faktenfinder oder Plattformregeln daran gehindert wird.

Der Philosoph Voltaire, der über seinen Federkiel mehr Schlagkraft entfaltete als mancher General über seine Kavallerie, schrieb:
„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“
Heute hingegen würde Voltaire gelöscht, gesperrt, entmonetarisiert – oder in die rechte Ecke gestellt. Sein Verbrechen? Prinzipientreue. Seine Schuld? Der Glaube an das Wort.

Doch Worte sind gefährlich. Und sie sind mächtig. Deshalb hat jede Macht ihre Zensoren. Nur nennt man sie heute anders: Content-Moderator. Ethikrat. Taskforce gegen Desinformation. Ein ganzes Orchester der Umerziehung spielt die Symphonie der Konformität, und wer nicht im Takt marschiert, wird zum Störgeräusch erklärt.

Das Recht auf Irrtum als Hochverrat

Was ist Wahrheit? Diese Frage hallt seit Jahrhunderten durch die Hallen der Philosophie, von Pilatus bis Popper. Die neue Bundesregierung scheint sie gelöst zu haben: Wahrheit ist, was der Gesetzgeber für wahr erklärt – im Zweifel nach Beratung durch ein Gremium staatsnaher NGOs. So wird ein Gedanke nicht mehr durch seine innere Konsistenz, durch Widerspruchsfestigkeit oder Empirie zur Wahrheit, sondern durch institutionelle Deklaration.

Doch der Irrtum – jener alte, wertvolle, ungeschliffene Bruder der Wahrheit – darf nicht mehr sein. Das Experimentelle wird strafbar, das Hypothetische suspekt. Eine Gesellschaft, die das Recht auf Irrtum aufgibt, verliert nicht nur ihren Erkenntnisdrang – sie gibt sich selbst auf. Sie wird zu einem Museum toter Ideen, in dem nur noch kuratierte Gedanken gezeigt werden dürfen.

Die Dialektik der Desinformation: Wer bestimmt das Wahre?

Trofim Lyssenko war kein Wissenschaftler, sondern ein Funktionär mit Laborzugang. Seine Theorien über Vererbung passten zur marxistischen Ideologie – also wurden sie zur Wahrheit erklärt. Der brillante Nikolai Wawilow widersprach – und starb im Gefängnis. Die Wahrheit hatte gesiegt, doch sie hatte kein Gesicht mehr. Nur eine Uniform.

Was unterscheidet die Wahrheit von der Lüge? Oft nur der Zeitpunkt, zu dem sie ausgesprochen wird – und der Kontext, in dem sie erlaubt ist. Die Wahrheit ist eine Diva: launisch, verletzlich, aber unverzichtbar. Wenn man ihr aber befiehlt, sich zu benehmen, wie es der Regierung genehm ist, dann wird sie zur Karikatur ihrer selbst. Dann mutiert sie zur „Wahrheitsindustrie“, zur hochoffiziellen Version der Welt – geprüft, zugelassen, aber steril.

Die digitale Guillotine: Wer nicht passt, wird gelöscht

Der Philosoph Michel Foucault sprach vom „Dispositiv der Macht“ – jenen unsichtbaren Mechanismen, die bestimmen, was gesagt werden darf, gedacht werden kann und geglaubt werden muss. Heute liegt dieses Dispositiv nicht mehr im Staatsarchiv, sondern in den Rechenzentren von Google, Meta & Co. Der Staat hat ausgelagert, was einst seine heiligste Pflicht war: den Schutz der Debatte. Stattdessen: Outsourcing an GONGOs. Government-Organized Non-Government Organizations. Ein sprachlicher Treppenwitz aus der Werkstatt der Postdemokratie.

Was bleibt, ist ein strukturelles Misstrauen gegenüber der Öffentlichkeit – das Gegenteil dessen, was eine Demokratie ausmacht. Vertrauen wäre, der Öffentlichkeit zuzutrauen, sich ihre Meinung selbst zu bilden. Misstrauen bedeutet: Jeder Bürger ein potenzieller Lügner. Jede Aussage ein Verdachtsmoment.

Letzter Akt: Applaus vom Tribunal

Am Ende stehen wir vor einem absurden Theater. Die Regierung ruft: „Vertraut uns, wir schützen eure Freiheit!“ Und während sie spricht, bindet sie ihr Publikum an einen Stuhl, knebelt es mit wohlformulierten Paragrafen und nennt es dann „Demokratiepflege“.

Kafka hätte seine helle Freude daran.
Brecht würde ein Theaterstück schreiben, in dem das Volk am Schluss klatscht, weil man ihm erklärt hat, es sei jetzt freier als je zuvor – obwohl es sich nicht mehr bewegen darf.
Und Orwell? Der würde nur nicken, eine Zigarette anzünden und sagen: „Ich hab’s euch doch gesagt.“

Vom Antifaschismus zum Antiformalismus

Die Straße frei den schwarzen Bataillonen. Antifa marschiert, mit ruhig festem Schritt.

Was einmal als aufrechter Widerstand gegen die barbarische Fratze des Faschismus begann, als moralisch zwingende Notwehr gegen jene, die den Menschen entindividualisieren, das Denken gleichschalten und die Demokratie zerstören wollten – ist heute ein groteskes Schauspiel geworden. Ein Trauerspiel in schwarzem Stoff, in dem selbst die Pose des Aufbegehrens zur Uniform geworden ist. Nein, der Antifaschismus lebt nicht mehr. Was heute auf Plätzen und Plattformen den Faschismus beschwört, ist nicht sein Feind, sondern sein kläglich verzerrtes Echo. Der Schatten, der sich für die Sonne hält.

Die Antifa marschiert – ja, tatsächlich marschiert. Mit Trillerpfeifen, Transparenz und Trommeln. Mit „ruhig festem Schritt“, wie es im Kampflied heißt, das so martialisch daherkommt, dass selbst Leni Riefenstahl diskret die Kamera abwenden würde. Da reckt man die Fäuste gen Himmel, als ob dieser schuld wäre, dass man keine Ironie versteht. Und währenddessen wird „gegen rechts“ gekämpft, notfalls gegen alles, was sich nicht bei der Erhebung gegen das Immergleiche in Reih und Glied stellt.

Die Ästhetik des autoritären Widerstands

Man möge sich die Szene vorstellen: Eine schwarze Kolonne zieht durch das Viertel, Kapuzen über den Köpfen, der Ton ritualisiert, die Haltung identisch. Es ist nicht die Idee des Aufbegehrens, die sich hier zeigt, sondern ihr Stil. Ein gefährlicher Stil, weil er das Denken ersetzt. Die Uniformität der Kleidung symbolisiert die Uniformität der Meinung – und wehe, einer trägt eine andere Jacke. Die „Straße frei den schwarzen Bataillonen“ – das war einst die Parole der SA. Heute ist es eine Realität unter anderen Vorzeichen: dieselbe Farbwahl, dieselbe Choreografie, andere Texte, aber ein vergleichbares Pathos.

Was bleibt, ist ein antifaschistischer Ästhetizismus, der seinen Gegner stilistisch nachahmt, um ihn moralisch zu überbieten. Das ist in etwa so widersprüchlich, als würde man zur Verteidigung der Pressefreiheit die Druckereien anzünden. Aber wer im Besitz der höheren Moral ist, braucht keine Logik. Die Wahrheit ist, was einem gefällt. Alles andere ist „rechts“. Ein Etikett mit der Klebekraft eines mittelgroßen Kaugummis unter dem Turnhallenstuhl der Geschichte.

Demokratie als Feindbild, Faschismus als Folklore

Was die neue Antifa bekämpft, ist nicht mehr der Faschismus – der hat sich längst in mausgraue Archive verzogen, in Gedenktafeln und Schulbücher, von wo aus er nur noch in Sonntagsreden aufersteht. Nein, bekämpft wird heute die Ambivalenz. Das Nicht-Eindeutige. Die Meinungsäußerung, die Fragen stellt, statt Parolen zu brüllen. Jeder Zweifel ist ein Verrat. Wer fragt, ist verdächtig. Wer argumentiert, provoziert. Und wer nicht sofort „solidarisch“ ist, wird denunziert – online, öffentlich, mit jener Mischung aus schaumigem Eifer und moralischer Selbstverliebtheit, die früher vor allem in Sekten verbreitet war.

Und während man das Wort „Demokratie“ wie einen Heiligen Gral vor sich herträgt, wird sie im selben Moment stranguliert. Mit Auftrittsverboten, Redeverboten, Denkverboten. Die Bühne gehört den Guten. Und nur wer sich klar zu den Guten zählt, darf mitreden – oder schweigen, aber bitte korrekt. Die Demokratie wird so lange gegen den Faschismus verteidigt, bis keiner mehr zu widersprechen wagt. Und wenn es am Ende gar keine Opposition mehr gibt – dann, so hofft man wohl, ist endlich Frieden.

Antifaschismus als Jugendbewegung mit Alterserscheinungen

Es ist eine bittere Ironie, dass der Antifaschismus der Gegenwart die Frische einer frühvergreisten Jugendbewegung hat. Man will radikal sein – doch radikal wogegen? Die Kapitalismuskritik verkommt zur Aufkleberlyrik auf MacBook-Hüllen. Der Widerstand gegen die Polizei wird bei Instagram dokumentiert – mit Filter. Und das große „Nie wieder!“ hat sich in ein permanentes „Jetzt sofort!“ verwandelt, bei dem keiner mehr weiß, was genau eigentlich verhindert werden soll.

Jene, die heute gegen den Faschismus aufmarschieren, sind oft längst selbst Teil eines autoritären Milieus geworden: intolerant, aggressiv, unfähig zur Selbstkritik. Wer nicht mitmacht, wird gecancelt. Wer nicht klatscht, wird geschnitten. Wer ironisiert, wird zur Gefahr erklärt. Der Antifaschismus von heute ist ein empfindliches Wesen. Es toleriert alles – außer den Widerspruch.

Was bleibt, ist ein Gefühl – und die Pose

Vielleicht ist das das Tragischste: Dass aus der historischen Notwendigkeit ein ästhetisches Hobby geworden ist. Ein Gefühl der moralischen Überlegenheit, gespeist aus historischen Erzählungen, aber nicht mehr gebunden an historische Verantwortung. Die Antifa ist zur Pantomime des Widerstands geworden. Die Bewegung lebt vom Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen – doch jede Bewegung, die sich selbst nicht mehr fragt, wohin sie sich bewegt, endet dort, wo sie nie hinwollte: im Dogma, in der Pose, im Wahn.

Die Straße frei den schwarzen Bataillonen? Nein, danke.
Frei soll die Straße sein – für alle, die den Mut haben, gerade nicht zu marschieren. Sondern zu stehen. Und zu denken.

Epilog: Gegen den Wahnsinn

Wahnsinn ist nicht, wenn Menschen glauben, sie kämpfen für das Richtige. Wahnsinn ist, wenn sie es so lange glauben, dass sie jedes Korrektiv ausschalten. Wenn sie in jeder anderen Sichtweise bereits das Feindbild erkennen. Wenn sie aufhören, zwischen Idee und Person zu unterscheiden. Und wenn sie sich dabei für die letzte Bastion der Vernunft halten – während um sie herum die Gedanken verkümmern, die Sprache erstickt und der Gegner in Wahrheit längst nur noch ein Schatten an der Wand ist.

Wer den Faschismus bekämpfen will, muss zuerst verstehen, was ihn ausmacht. Und sich dann fragen, ob man selbst noch so weit davon entfernt ist, wie man gerne glaubt.

Ein Satz wie ein Flächenbrand

„Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg mit Russland.“ – Friedrich Merz
(CDU, Vorsitzender, Realitätsverlustspezialist im Außendienst)

Es gibt Sätze, die sind nicht einfach nur falsch, nicht bloß peinlich oder töricht. Es gibt Sätze, die sind wie ein faustgroßer Kieselstein, den ein gelangweilter, machtversessener Mensch auf einen zugefrorenen See wirft – in der Hoffnung, dass das Eis hält, während es längst knackt. Friedrich Merz, das politische Fossil mit BWL-Abschluss und emotionaler Bandbreite zwischen Excel-Tabelle und Champagnerflöte, hat es tatsächlich gesagt: Er habe keine Angst vor einem Atomkrieg mit Russland. Man stelle sich das vor. Nicht „Wir müssen alles tun, um eine Eskalation zu verhindern“, nicht „Frieden ist das Gebot der Stunde“ – nein. Keine Angst. Nada. Nüschte. Geradezu verwegen. Fast schon: heldenhaft, wäre da nicht der kleine Umstand, dass es nicht sein Wohnzimmer ist, das verdampfen würde, sondern das von Millionen anderer Menschen, während Herr Merz im Bunker den Cognac dekantiert.

Dieser Satz ist nicht bloß ein politischer Lapsus – er ist ein intellektuelles Armutszeugnis, ein seelischer Offenbarungseid, ein zivilisatorischer Blackout in Designeranzug. Man muss schon sehr weit vom menschlichen Grundempfinden entkernt sein, um eine nukleare Apokalypse so nonchalant zu enttabuisieren wie ein harmloses Börsentief. Vielleicht verwechselt er auch „Mut“ mit „emotionaler Nekrose“, oder „Realismus“ mit dem Wunsch, endlich wieder auf der Weltbühne mitspielen zu dürfen – als ob das 21. Jahrhundert ein Business-Meeting wäre und Putin bloß ein lästiger Mitbewerber.

Geopolitische Brandstiftung für Anfänger

Dass solche Aussagen nicht in einer Telegram-Gruppe voller Wutbürger fallen, sondern ausgerechnet vom Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, setzt der intellektuellen Insolvenzkrise die Krone auf. Man kann es nicht oft genug betonen: Wer „keine Angst“ vor einem Atomkrieg hat, der hat entweder keine Ahnung, keine Empathie oder keinen Puls. In jedem Fall aber kein Recht, sich als „verantwortungsvoll“ oder gar „staatsmännisch“ zu gerieren. Es ist die Sprache eines Mannes, der Krieg als Option denkt, als Druckmittel, als mögliche Realität. Und wer so spricht, hat den Kompass verloren – moralisch, historisch, menschlich.

Denn dieser Satz ist nicht nur ein politisches Statement – er ist ein Symptom. Ein Symptom einer Zeit, in der das Säbelrasseln wieder salonfähig wird, in der Aufrüstung nicht mehr diskutiert, sondern gefeiert wird, als wäre der Kalte Krieg ein goldenes Zeitalter gewesen. Merz formuliert, was viele nur zu denken wagen, und das macht es nicht besser – im Gegenteil. Es zeigt, wie dünn der Firnis der Vernunft geworden ist, wie bereitwillig man sich wieder in jene ideologischen Gräben zurückzieht, aus denen uns unsere Großeltern einst herausgeblutet haben.

Die moralische Verwahrlosung im Maßanzug

Es ist ein Stil geworden, eine Attitüde: dieses abgebrühte, coole, vermeintlich „harte“ Sprechen über den Tod von Millionen als wären es logistische Szenarien. Man ist „realistisch“, „nicht naiv“, „bereit, Verantwortung zu übernehmen“ – das alles klingt ganz wunderbar, bis man merkt, dass es sich um Euphemismen handelt für: „Wir sind bereit, eure Kinder zu opfern, solange wir auf CNN noch gut aussehen.“

Diese Rhetorik ist nichts anderes als die verbale Version eines Atomkoffers – mit dem kleinen Unterschied, dass der Knopf nicht gedrückt werden muss, um die Zerstörung zu entfesseln. Die Verrohung beginnt mit dem Wort. Die Bombe fällt zuerst in den Satz. Und ein Satz wie dieser – „Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg“ – ist keine Mutprobe, sondern ein geistiger Kurzschluss im Tarnanzug der Entschlossenheit.

Ein bisschen Hiroshima für den Machterhalt

Die groteske Absurdität des Ganzen offenbart sich besonders im Kontrast zur deutschen Geschichte. Deutschland, das Land des „Nie wieder Krieg!“, das sich einst geschworen hatte, aus zwei Weltkriegen wenigstens eine Lehre zu ziehen. Und nun steht da ein Mann in gut gebügeltem Anzug und redet von Atomkrieg, als handele es sich um ein besonders unangenehmes Wetterphänomen. Es ist, als hätte die Bundesrepublik ihre moralischen Sicherungen durchgebrannt und festgestellt: Ach, so schlimm war der kalte Krieg ja auch nicht – da gab’s wenigstens klare Fronten, klare Feindbilder, klare Parolen.

Und vielleicht ist das der tiefere Wahnsinn in all dem: Die Sehnsucht nach der Einfachheit. Nach dem Schwarz und Weiß. Nach Gut und Böse. Nach einem Feind, der so böse ist, dass man sich selbst nicht mehr reflektieren muss. Und wenn der Preis dafür eine nukleare Eskalation ist – na, dann soll es halt so sein. Solange man im eigenen Podcast cool bleibt.

Die Angst der Vernünftigen und die Angstfreiheit der Wahnsinnigen

Man sagt oft: Angst ist kein guter Ratgeber. Das mag stimmen – aber keine Angst zu haben, wenn die gesamte Menschheit am Abgrund taumelt, ist kein Mut. Es ist Wahnsinn mit PR-Beratung. Es ist der zynische Versuch, Entschlossenheit zu simulieren, wo eigentlich Empathie gefragt wäre. Die Angst der Vernünftigen ist das, was uns bewahrt hat – nicht der Leichtsinn der Machtbesessenen.

Denn wenn wir auf jene hören, die „keine Angst“ haben, landen wir genau dort, wo man keine Angst mehr braucht – weil nichts mehr übrig ist, wovor man sich fürchten könnte.

Und zum Schluss: ein letzter Toast auf die Apokalypse

Vielleicht sitzt Friedrich Merz ja wirklich nachts im Ledersessel, nippt an einem Glas Brandy und denkt: „Endlich! Die Geschichte ruft mich!“ Vielleicht hat er sich in einer Art Theaterstück verloren, in dem er der entschlossene Staatsmann ist, der Geschichte schreibt – mit der Feder der Entschlossenheit und der Tinte der Skrupellosigkeit. Vielleicht glaubt er das alles wirklich. Und das ist das Beängstigendste an der ganzen Geschichte.

Denn ein Zyniker, der weiß, dass er zynisch ist, kann sich noch ändern. Ein Träumer in Anzug und Krawatte, der von atomarer Klarheit schwadroniert – der aber glaubt, er tue das Richtige – ist verloren. Und wir mit ihm.

Also: Prost, Herr Merz. Auf Ihre Angstfreiheit. Möge sie Ihnen nützen – wenn schon nicht uns.

Unangenehme Entscheidungen

Wie wir lernten, das Sozialwesen zu lieben und trotzdem zu entwaffnen

„Wenn man mehr für Verteidigung aufwenden müsse, gehe das zwangsläufig auf Kosten anderer Aufgaben.“
Ein Satz wie ein freundlicher Einbruch. Man entschuldigt sich höflich für das Aufbrechen der Tür, beteuert sein Mitgefühl für das eingeschlagene Fenster und verspricht, die geklauten Wertsachen immerhin klimagerecht entsorgt zu haben. CDU-Politiker Thorsten Frei hat es ausgesprochen. Mit einer Mischung aus der kühlen Selbstverständlichkeit eines Bankiers, der dir erklärt, warum dein Konto nun leer ist, und dem jovialen Lächeln eines Zahnarztes, der dich auf die anstehende Wurzelbehandlung vorbereitet – selbstverständlich ohne Betäubung, wegen der Staatsräson.

Es ist also soweit: Die „schwarze Null“ hat sich in Tarnkleidung geworfen, und wo früher noch das Märchen vom Sozialstaat erzählt wurde, marschiert jetzt das neue Narrativ ein – schwer bewaffnet und unbarmherzig durchkalkuliert. Gesundheit, Pflege, Rente – das alles steht nun nicht mehr unter dem Schutzmantel der Demokratie, sondern unter dem Rotstift der sicherheitspolitischen Nüchternheit. Der Staat will investieren, allerdings nicht mehr in seine Bürger, sondern in ihre Bewaffnung. Nicht in Fürsorge, sondern in Frühwarnsysteme.

Das Bekenntnis zur Wehr – oder: Der Mensch als Kollateralschaden

Was hier passiert, ist keine Haushaltsumschichtung. Es ist ein symbolischer Offenbarungseid mit Waffenschein. Die zukünftige schwarz-rote Koalition – man erinnere sich, diese müde Ehe aus Vernunft, Erschöpfung und gegenseitigem Erpressungspotenzial – hat offenbar beschlossen, dass Panzer nützlicher sind als Pflegekräfte. Dass Soldaten auf dem Papier wichtiger erscheinen als Senioren im Heim. Dass der Schutz der Staatsgrenzen edler ist als der Schutz des eigenen Volkes vor Altersarmut.

Und man sagt es nicht etwa zähneknirschend. Nein. Man sagt es mit staatsmännischer Grandezza, mit dem Brustton der Notwendigkeit. Frei nennt es eine „Umschichtung“. Ein schönes Wort, klingt fast nach ergonomischem Kissenbezug oder einer neuen Feng-Shui-Ordnung im Bundeshaushalt. Gemeint ist jedoch: Die Gesellschaft wird zur Zielscheibe fiskalischer Grausamkeit erklärt – für eine militärische Aufrüstung, die so alternativlos daherkommt wie ein kalter Entzug. Und wehe, man stellt die falschen Fragen.

Von der Sozialen Marktwirtschaft zur Marktwirtschaft ohne Sozialem

Wer geglaubt hatte, dass sich nach der Pandemie, nach der Inflation, nach dem Dauerzustand der kollektiven Überforderung vielleicht eine Art Rückbesinnung auf den Menschen einstellen würde, der hat die Rechnung ohne die neue Wertetabelle gemacht. Die aktuelle Regierung, in der konservative Pragmatiker und sozialdemokratische Pragmatiker einander um die Wette vergessen, was einst ihre Werte waren, hat eine neue Formel gefunden:

Rüstung > Rente. Drohne > Demenz. Militärstandort > Krankenhausstandort.

Man muss sich das vorstellen: Während Pflegekräfte ihre Jobs quittieren, weil sie unterbezahlt, überfordert und gesundheitlich am Ende sind, werden Milliarden in Hightechwaffen gesteckt, die – wenn alles gut läuft – nie benutzt werden und – wenn alles schlecht läuft – auch niemanden mehr brauchen, der gepflegt werden müsste. Das ist effizient. Das ist konsequent. Das ist ein politischer Darwinismus mit europäischer Verbrämung.

Das Wort zum Sonntag

Wie wohltuend ehrlich klingt da doch der Satz: „Da werden auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen.“ Ein Satz wie aus der Requisite eines Theaterstücks mit dem Titel „Operation Notstand – Komödie mit tödlichem Ausgang“.
Unangenehme Entscheidungen. Als hätte man sich beim Möbelkauf vergriffen. Als müsste man nun den Hund einschläfern lassen, weil die Couchbezüge nicht mehr zum Teppich passen. Diese entmenschlichte Formulierung, dieses „Sachzwangsprech“, ist das neue Vokabular der Empathieabschaffung.

Man wird sparen. Nicht bei Dienstwagen. Nicht bei Beraterverträgen. Nicht bei EU-Direktiven mit dreifacher Förderlogik. Sondern beim Überlebensnotwendigsten: bei der physischen und psychischen Grundversorgung der Bevölkerung.
Denn was ist ein Mensch, wenn er nicht zur Wirtschaftskraft beiträgt, wenn er nicht verteidigungsrelevant ist, wenn er alt, krank, gebrechlich ist? Ein Kassenposten. Ein Kostenfaktor. Ein Kollateralschaden im geopolitischen Planspiel.

Der Sozialstaat als freiwillige Leistung – wie früher das Sonntagsläuten

Früher, in der Nachkriegszeit, war der Sozialstaat das Versprechen, das aus Trümmern geboren wurde: Nie wieder sollte Not den Menschen seiner Würde berauben. Heute ist dieses Versprechen zum optionalen Feature geworden. Der Sozialstaat ist kein Grundpfeiler mehr, sondern eine Art Budget-Luxus – vorhanden, wenn es gerade passt. Abwesend, wenn Rüstungsexporte winken oder NATO-Vorgaben zwingen.

Ironischerweise verteidigt man jetzt also die westlichen Werte – indem man sie demontiert. Man möchte die Demokratie schützen – durch die Entkernung ihrer sozialen Fundamente. Es ist, als würde man ein Haus gegen Einbrecher sichern, indem man die Bewohner hinauswirft und die Fenster zumauert.

Schlusspunkt: Eine Faust aufs Auge, getarnt als Handschlag

Man darf sich also nicht wundern, wenn der Bürger sich langsam fragt, wer hier eigentlich noch für wen da ist. Ob der Staat noch für den Menschen da ist – oder ob der Mensch nur noch das zu verwaltende Biomaterial eines sicherheitspolitischen Kostenplans darstellt. Wir investieren also in Panzer, aber kürzen bei Prothesen. Wir fördern Raketen, aber sparen bei Rheumamitteln. Wir rüsten uns gegen Bedrohungen von außen – und lassen die Bedrohung von innen, die soziale Spaltung, gewähren.

Das ist nicht nur zynisch. Das ist nicht nur verrückt.
Das ist: der ganz normale Wahnsinn einer Politik, die den Preis für Sicherheit ausgerechnet von jenen eintreiben will, die nichts mehr übrig haben – außer vielleicht dem Glauben, dass es irgendwann wieder um Menschen gehen könnte.

Doch wer diesen Glauben hat, der ist entweder naiv – oder schon lange nicht mehr CDU-Wähler. Vielleicht ist er noch Patient. Oder Rentner. Oder Pflegebedürftiger.
Also: überflüssig im neuen Bundeshaushalt. Und damit perfekt geeignet, um geopolitisch ausgeglichen zu werden.

Wenn Frieden zum Verdachtsfall wird

Es gibt Momente, da blättert man durch ein intellektuelles Leitmedium der Republik und fragt sich: Haben sie das jetzt wirklich geschrieben – oder ist das Satire, die sich für ihre Pointe schämt? Und dann liest man es schwarz auf weiß, in feiner Typografie, auf Papier, das nach Selbstüberzeugung riecht: Der Kampf für den Frieden sei von der Rechten „gekapert“ worden. Gekapert! Als wäre Frieden eine Yacht der Wohlmeinenden, nun entführt von Pegida-Seeräubern in Richtung der Meinungsfalle. Wer heute gegen Krieg ist, läuft Gefahr, als verdächtig zu gelten – nicht moralisch überhöht, sondern politisch kontaminiert. Ein Fall für die Gesinnungshygiene.

Es ist ein erstaunlicher Trick der Diskursverschiebung: Der einst moralisch höchste Wert – Frieden! – wird durch den Schleudergang der Lagerlogik gezogen und kommt heraus wie ein Fähnchen im Wind der Zeitdiagnose. Wer heute zur Mäßigung mahnt, ist plötzlich nicht mehr „links“, sondern „verdächtig rechts“ – eine Schuld durch Nähe, durch Vokabular, durch falsche Demonstrationsteilnahme. Die ZEIT, jenes Organ des gehobenen Bildungsbürgertums mit Hang zum latteartigen Weltverständnis, sieht das nüchtern: Der Frieden ist in falsche Hände geraten. Doch nicht etwa, weil der Krieg zu viele Unterstützer hat – sondern weil der Frieden von den Falschen gefordert wird.

Das neue Links: Kriegsbereit und moralisch unangreifbar

Es ist ein bemerkenswerter Wandel, den wir hier erleben dürfen. Die Linke, einst Barrikade und Mahnerin, ist heute gut gelaunt auf Linie mit Leopard-Panzern, NATO-Partnerschaft und einer moralisch gefestigten Bereitschaft zum Eskalationsmanagement. Wer früher Transparente trug mit „Frieden schaffen ohne Waffen“, trägt heute Statements wie „Waffen für den Frieden“ – ein Slogan, der in seiner kognitiven Selbstauflösung nur noch von „Krieg ist Sicherheit“ getoppt werden könnte. George Orwell könnte sich melden, um Tantiemen zu fordern, wäre er nicht längst unter der Erde – vielleicht auch aus Scham.

Die alte Linke – also jene, die noch zwischen Militär und Diplomatie, zwischen Interesse und Empathie unterscheiden konnte – wird heute behandelt wie ein räudiger Hund, der in der guten Stube der moralischen Upperclass nichts mehr zu suchen hat. Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, ja sogar alte SPD-Ruinen, die sich noch an die Ostpolitik erinnern – sie alle werden mit dem Duft der Irritation versehen, den die neue Mitte nicht erträgt. Frieden? Gerne – aber bitte als langfristige Vision, nicht als störende Forderung im Hier und Jetzt.

Der neue Verdacht: Abweichung vom Konsens

Was heute auffällt: Der Konsens ist kein Debattenprodukt mehr, sondern ein Dogma. Wer ihn nicht mitträgt, wer ihn hinterfragt, steht außerhalb. Früher war es die Rechte, die in Bekenntnissen dachte. Heute sind es die Haltungsmedien. Der SPIEGEL ruft zur Wehrhaftigkeit auf, die ZEIT erinnert an die Tugend des Mutes, und die TAZ… na ja, sie sitzt zwischen den Stühlen und fragt sich, ob der Pazifismus nicht vielleicht doch ein patriarchales Konzept war.

Wenn Demonstranten auf der Straße stehen mit dem Wort „Frieden“ auf dem Plakat, wird nicht gefragt, was sie sagen, sondern wer sie sind. Und wem es nützt. Die Botschaft ist dabei fast sekundär – entscheidend ist die Positionierung. Wenn Rechte gegen den Krieg demonstrieren, dann ist nicht der Krieg das Problem – sondern die Demonstration. Eine dialektische Kapriole, die selbst Hegel aus dem Grab rufen lässt: „Das ist nicht Synthese, das ist Selbstverleugnung mit PR-Budget!“

Die ZEIT als Seismograph des Systemgewissens

Die ZEIT ist nicht einfach nur Zeitung. Sie ist Stimmungslage, Selbstgespräch der Gebildeten, Korrekturblatt für das linksliberale Oberstübchen. Was dort geschrieben steht, ist nicht selten ein Vorabdruck dessen, was übermorgen Regierungslinie wird – oder umgekehrt. Und wenn dort steht, dass die weißen Tauben nach rechts flattern, dann ist das keine zoologische Beobachtung, sondern eine moralische Warnung: Trau keiner Taube, die nicht mit der richtigen Fahne fliegt.

Es ist das alte Problem der Gesinnungsethik, wiedergeboren im Design von Feuilletonseiten: Es zählt nicht das Ergebnis, sondern die Absicht. Und wenn die Absicht, Frieden zu fordern, aus der falschen Ecke kommt, wird das Ergebnis – Frieden – lieber verschoben. Auf bessere Zeiten. Auf bessere Menschen. Auf jene, die ideologisch sauber genug sind, um „Nein zum Krieg“ sagen zu dürfen.

Der Irrsinn der Lager: Wenn Kategorien wichtiger werden als Inhalte

Was ist das eigentlich für eine politische Kultur, in der Begriffe wie Frieden, Diplomatie oder Deeskalation nicht mehr an sich diskutiert werden, sondern anhand ihrer Sprecher verdächtig gemacht werden? Wo das Wer das Was überstrahlt – und die Haltung wichtiger wird als die Wirklichkeit? Der Pazifismus wird heute nicht mehr kritisiert, sondern katalogisiert: Ist das ein linker Pazifist? Ein rechter? Ein russischer? Ein zu früher? Ein zu lauter?

So entsteht eine neue Paranoia der Meinungszuschreibung. Sie wirkt wie eine zivilisierte Hexenjagd mit Fußnoten. Und wer da noch sagt, dass Frieden kein links-rechts-Thema sei, sondern ein Menschheitsthema – der steht plötzlich da wie ein Realitätsverweigerer. Oder, schlimmer noch: wie jemand ohne Haltung. Und das ist heute das wahre Sakrileg.

Fazit: Wer für den Frieden ist, muss heute Beweise liefern

Es ist eine absurde Zeit, in der wir leben. Eine Zeit, in der man sich für den Wunsch nach Frieden rechtfertigen muss. In der die ZEIT meint, den Frieden retten zu müssen – vor den Falschen, nicht vor dem Krieg. In der die weiße Taube auf ihre politische Gesinnung hin befragt wird, bevor man sie fliegen lässt.

Der Wahnsinn ist nicht, dass Rechte den Frieden fordern. Der Wahnsinn ist, dass man sich davon den Frieden nehmen lässt.

Ein Gott, ein Volk, ein Führer

Es gibt Momente in der Geschichte, da steht die Kirche nicht auf, sondern stramm. Der Nationalsozialismus war eine solcher Momente. Während draußen Bücher brannten, schwieg man drinnen zu den Flammen. Während Menschen deportiert wurden, betete man für den Führer. Während der „totalitäre Mensch“ geschaffen wurde, zeigte sich das „Haus Gottes“ erschreckend offen für neue Mieter. Es war eine seltsame Koexistenz: das Kreuz in der einen, der Gruß in der anderen Hand. Zwischen Kanzel und Komplizenschaft lag oft nur ein feierliches Nicken.

Natürlich gab es auch Widerstand. Den aufrechten. Den mutigen. Bonhoeffer, Niemöller, die Bekennende Kirche. Aber sie waren die Ausnahme – nicht die Regel. Die Regel war: Arrangieren. Anpassen. Abnicken. Und am besten noch einen Segen dazu. Die Institutionen, jahrhundertelang geübt in weltlicher Nähe und heiliger Fernsicht, taten das, was sie am besten konnten: überleben.

Schwarzbraune Frömmigkeit – Von der Volksgemeinschaft zur Volkskirche

Die Kirchen im Dritten Reich – ob evangelisch oder katholisch – standen nicht auf der Anklagebank der Macht, sondern saßen oft mit im Zuschauerraum. Die evangelische Kirche? In Teilen begeistert. Die „Deutschen Christen“ etwa wollten Jesus gleich vollständig arisieren – aus dem Jüdischen entfernen, als könne man das Christentum einfach durch ideologische Dialyse reinigen. Ein Kreuz ohne Davidstern. Eine Religion ohne Wurzel. Die Bibel: entschärft. Der Glaube: gleichgeschaltet.

Und die katholische Kirche? Diplomatisch, gewunden, ängstlich – aber zu oft auch zu willig. Das Reichskonkordat von 1933 war kein Triumph der Diplomatie, sondern ein moralischer Offenbarungseid. Der Vatikan erkaufte sich institutionelle Sicherheit – und schwieg. Man wollte seine Sakramente behalten und verlor dabei seine Seele.

Wenn Gewissen zur Beichte wird – und Moral zur Metapher

Man darf nicht vergessen: Die Kirchen verstanden sich als überstaatliche, ja überzeitliche Institutionen. Und genau das war ihre Schwäche. Wer zu sehr auf Ewigkeit schielt, übersieht leicht das Unrecht der Gegenwart. Die Gleichschaltung wurde nicht als moralische Katastrophe erkannt, sondern als göttliche Prüfung gedeutet. Man sah sich als Opfer – selten als Mitläufer, nie als Profiteur. Dabei waren Kirchen auch Orte der Stabilität im Chaos. Orte, an denen Menschen Trost fanden – ja. Aber auch Orte, an denen man sich moralisch entlasten konnte, ohne sich historisch zu verantworten.

Die Predigt wurde zum Spagat zwischen Gewissen und Gefährdung. Man sprach vom Leiden Christi, aber selten vom Leiden der Juden. Man beschwor die Nächstenliebe – und schwieg zum Hass auf die „Volksfeinde“. Wer sich äußerte, riskierte viel. Aber die Mehrheit riskierte: nichts.

Bonhoeffer und die einsame Klarheit

Er war die Ausnahme. Dietrich Bonhoeffer. Theologe. Denker. Widerständler. Hingerichtet im KZ Flossenbürg. Für ihn war Glauben nicht Meditation, sondern Konsequenz. Er sprach nicht nur vom Bösen – er nannte es beim Namen. Sein Gott war nicht der Gott der Anpassung, sondern der Entscheidung.

Was Bonhoeffer dachte, war unbequem. Auch heute noch. Er sagte: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Wie viele haben damals geschrien? Wie viele heute singen – ohne je zu schreien?

Nach 1945 – Von der Beichte zur Beschwichtigung

Und nach dem Krieg? Da wurde viel von Schuld gesprochen – aber noch mehr von Überforderung. Die Kirchen verpassten den Moment, sich radikal zu befragen. Die meisten Pfarrer kehrten zurück auf ihre Kanzeln, als sei nichts geschehen. Viele Bischöfe taten so, als hätten sie das ganze Reich einfach verschlafen – oder falsch verstanden.

Es dauerte Jahrzehnte, bis eine echte Auseinandersetzung begann. Der Begriff der „Mittäterschaft“ wurde sorgfältig umschifft. Man sprach lieber von „Verführbarkeit“, von „Zwängen der Zeit“, von „moralischen Dilemmata“ – als wäre das Dritte Reich ein philosophisches Experiment gewesen und kein beispielloser Zusammenbruch aller ethischen Prinzipien.

Die Moral von der Geschichte: Wenn Gott schweigt, muss der Mensch sprechen

Was bleibt? Die Kirchen haben versagt. Nicht in allem, nicht überall – aber im Ganzen. Sie haben das Evangelium eingetauscht gegen das Evangelium der Angepasstheit. Sie haben auf das Jenseits gehofft – und das Diesseits preisgegeben.

Aber wer glaubt, der darf nicht nur glauben. Er muss handeln. Sonst wird das Kreuz zum Symbol des Wegsehens. Und der Glaube zur Floskel. Die Geschichte der Kirchen im Nationalsozialismus ist keine Anklage, sondern ein Spiegel. Und er zeigt: Wer seine Stimme nicht erhebt, wird Teil des Schweigens. Und Schweigen, wenn es laut genug wird, ist die tödlichste aller Beichten.

Politik als Kriegsspiel mit Stirnrunzeln

Es ist eine seltsame Zeit, in der selbsternannte Strategen in Maßanzügen mit PowerPoint-Präsentationen über Krieg und Frieden verhandeln, als ginge es um die Quartalszahlen eines mittelständischen Maschinenbauers. Und mittendrin steht er, der Mann, der seine ganze politische Renaissance auf einem Glaubwürdigkeitsdefizit aufgebaut hat: Friedrich Merz, genannt „Taurus“, benannt nach der Präzisionsrakete, die wie er selbst vor allem eines ist – laut, teuer und politisch schwer steuerbar.

Während die einen den Frieden suchen, um den Krieg zu beenden, suchen andere den Krieg, um sich im Frieden zu profilieren. In dieser merkwürdigen Dialektik spielt Merz die Rolle des kalten Realisten – oder vielmehr des heißen Dampfplauderers. Er redet von Führung, meint aber Machtdemonstration. Er spricht von Solidarität, zielt aber auf Eskalation. Und während die moralisch aufgeladene Rhetorik der Bellizisten in Talkshows wie Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt verteilt wird – heiß, klebrig und im Übermaß –, sitzt irgendwo ein Mann, der weiß, wie Krieg wirklich funktioniert. Ein Mann, den man heute schon fast als subversiv bezeichnen muss, weil er nüchtern bleibt: General a.D. Harald Kujat.

Wenn ein General die Vernunft verteidigt

Kujat, kein Pazifist, kein Träumer, kein Twitter-Prophet. Ein Mann, dessen Stimme sich nicht überschlägt, weil er weiß, dass im Krieg niemand schreit – außer denen, die sterben. Und dieser Mann sagt, glasklar, logisch und vernunftgeschärft wie eine Klinge: Wenn Deutschland Taurus liefert und zugleich die Planung und Durchführung übernimmt, dann ist das keine Spende, kein Beistand, keine symbolpolitische Fanfare – sondern der offene Eintritt in einen Krieg gegen eine Atommacht. Punkt.

Doch in der politischen Parallelrealität ist solche Klarheit ein Affront. Wer heute so etwas sagt, wird nicht etwa gehört, sondern gecancelt – nicht aus Bosheit, sondern aus Bequemlichkeit. Denn Kujats Wahrheit ist sperrig. Sie passt nicht in die 280 Zeichen der Empörungsindustrie. Sie ist nicht gefällig, nicht kampagnenfähig, nicht mit Glitzersternchen zu versehen. Deshalb müssen andere her – die Lautsprecher, die „Macher“, die politischen Raufbolde mit der moralischen Weste aus Watte. Menschen wie Friedrich Merz, der glaubt, man könne Geopolitik wie Aktien handeln – nur dass der Börsencrash diesmal in Feuer und Asche kommt.

Merz und der Krieg: Der Feldherr im Fernsehstudio

Friedrich Merz hat von Militärstrategie so viel Ahnung wie ein Veganer von Wildschweinjagd. Aber das hindert ihn nicht daran, seine Stimme zur Trompete des gerechten Krieges zu erheben. Er spricht von Führung, als wäre ein Raketenangriff der neue Maßstab deutscher Außenpolitik. Der Taurus, das Symbol seiner Standhaftigkeit, ist in Wahrheit nur das Spiegelbild seiner Hybris – ein Spielzeug des politischen Symbolismus, mit dem man sich die Welt zurechtballert, wenn das Argument versagt.

Merz und seine Mitstreiter argumentieren, Deutschland dürfe nicht zaudern. Aber was sie meinen: Deutschland dürfe nicht denken. Wer zögert, wer abwägt, wer die Konsequenzen kalkuliert, gilt heute als Putinversteher. Der neue Puritanismus duldet keine Grautöne, keine Differenzierung. Es gibt nur noch „mutig“ oder „feige“, „Entschlossenheit“ oder „Verrat“. Dass zwischen diesen Polen die Vernunft liegt – das wird zur Nebensache erklärt.

Ideologie gegen Realität: Der Moment der Verantwortung

Was Kujat formuliert, ist keine Meinung – es ist die Beschreibung eines realpolitischen Zustands. Er sagt, was Sache ist: Wenn Deutschland Kriegsführung übernimmt, dann ist das Kriegsteilnahme. Nicht mehr, nicht weniger. Wer das nicht versteht, sagt Kujat, habe in der Politik nichts verloren. Und man möchte hinzufügen: Wer es versteht und trotzdem dafür plädiert, ist entweder gefährlich oder eiskalt zynisch – oder beides.

Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Es liegt im politischen Theater selbst, das die Bühne des Krieges mit der Kulisse des Fortschritts verwechselt. Der Westen ist so tief in seine moralische Selbstinszenierung verstrickt, dass er den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Größenwahn nicht mehr erkennt. Und so ruft man nach Raketen, weil es sich einfacher anfühlt als Diplomatie. Man will zeigen, dass man auf der richtigen Seite steht – auch wenn man damit die ganze Welt ins falsche Ende der Geschichte stürzt.

Ein Blick in die Geschichte: Die alten Irrtümer in neuem Gewand

Die Idee, durch Eskalation Frieden zu schaffen, ist so alt wie absurd. Schon 1914 waren sich viele sicher, dass ein „begrenzter“ Krieg Ordnung schaffen werde. Die Geschichte hat gelacht – mit 17 Millionen Toten. Auch damals war man überzeugt, dass man handeln müsse, „bevor es zu spät ist“. Und auch damals war das Handeln selbst der Anfang vom Ende. Heute nennt man das „Lernen aus der Geschichte“ – und handelt exakt entgegengesetzt.

Und jetzt? Wieder marschiert man nicht, aber delegiert. Man schickt keine Truppen, aber dafür die Technik – inklusive Bedienungsanleitung aus Berlin. Eine digitale Form der Kriegsteilnahme, moralisch aufbereitet und mit humanitärem Disclaimer versehen. Aber wie viele „nicht vorhandene“ Beteiligungen braucht es, bis die Realität sich nicht mehr tarnen lässt? Wie viele Taurus braucht es, bis die Maske fällt?

Pointe oder Offenbarung: Wer schützt uns vor den Führern?

Kujats Worte sind nicht nur eine Warnung – sie sind ein letzter Notruf der Vernunft. Ein verzweifelter Versuch, das Steuer herumzureißen, bevor die Titanic der deutschen Außenpolitik endgültig auf atomaren Eisbergen zerschellt. Wer sie ignoriert, handelt nicht naiv, sondern verantwortungslos. Es geht nicht um linke oder rechte Ideologie, nicht um Russlandliebe oder Ukrainehass – es geht um das, was man in besseren Zeiten „Staatskunst“ nannte.

Doch was wir stattdessen erleben, ist ein Stück aus dem Tollhaus: Ein Oppositionsführer als Waffenlobbyist, ein General als Mahner in der Wüste, eine Öffentlichkeit, die lauter ist als klug. Und während man Friedrich Merz zujubelt, weil er endlich „klare Kante“ zeigt, übersieht man, dass er sie an den Abgrund zeichnet.

Fazit?

Es ist schwer, eine Pointe zu schreiben, wenn das Thema eigentlich kein Ende hat, sondern einen Zünder. Und so bleibt nur diese kleine, bitterböse Wahrheit:

Wer in Friedenszeiten als Politiker vom Krieg träumt, sollte in Kriegszeiten nicht erwarten, dass ihm noch jemand zuhört.

Die Regierungen – ein gelebter Beweis für den Dunning-Kruger-Effekt

nie der Gegenwart, dass ausgerechnet jene, die das komplexe Räderwerk einer hochvernetzten Welt am wenigsten verstehen, in ihren Cockpits sitzen wie Kleinkinder in einer Raumfähre – mit großen Augen, klebrigen Fingern und einem unbegründeten Selbstvertrauen, das jeder objektiven Betrachtung Hohn spricht. Der Dunning-Kruger-Effekt, jene empirisch nachgewiesene Verzerrung, bei der die inkompetenten Geister ihre eigene Inkompetenz nicht nur verkennen, sondern fälschlich für Exzellenz halten, hat in der politischen Elite seinen sakralen Tempel gefunden. Einzigartig ist lediglich das Ausmaß.

Es regieren Menschen, deren Bildungsweg irgendwo zwischen einem abgebrochenen Soziologiestudium und einem glanzlosen Aufenthalt im Verwaltungsapparat der Mittelmäßigkeit verlief – aber sie sprechen mit der Gravitas römischer Senatoren und dem missionarischen Ernst von Esoterik-Gurus. Minister mit der intellektuellen Spannweite eines Backofens diskutieren über Energiewenden, Digitalisierung und künstliche Intelligenz, als hätten sie selbst Alan Turing geboren. Staatssekretäre halten Reden über Transformation, während sie nicht einmal ihre PowerPoint ohne Hilfe starten können. Und über all dem schwebt der tragikomische Duft völliger Ahnungslosigkeit – parfümiert mit Begriffen wie Resilienz, Transparenz, Partizipation und Nachhaltigkeit, hinter denen sich nicht Kompetenz, sondern Floskelnestwärme verbirgt.

Der Talkshow-Triumph der Ahnungslosen

Wo sich früher vielleicht noch jemand bemühte, wenigstens so zu tun, als hätte er Ahnung, genügt heute die bloße Pose der Betroffenheit. Die Talkshows der Republik sind voll von Gestalten, die einander in wohlklingender Dürftigkeit überbieten, dabei aber ihre Sätze mit so viel Inbrunst beenden, als hätten sie gerade einen philosophischen Meilenstein gelegt – dabei war es nur der zaghafte Versuch, das Wort „Komplexität“ zu umkreisen, ohne sich selbst zu verletzen. Sie diskutieren mit feierlicher Miene, ob man die wirtschaftliche Lage durch „eine neue Haltung“ verbessern könne, als wäre der Bundeshaushalt ein Chakra.

Ein Ministerpräsident sagt, man dürfe in Krisenzeiten „nicht den Menschen aus dem Blick verlieren“ – als wäre das je gelungen. Eine Bundesministerin erklärt, „Transformation sei ein Prozess“ – ja, wirklich? Und der Himmel ist oben? Man fragt sich, ob diese Menschen eine Regierung führen oder bloß ein Improvisationstheater mit öffentlich-rechtlicher Dauerförderung.

Vom Innenleben leerer Köpfe – Wenn Arroganz Wissen ersetzt

Es gehört zu den faszinierenden Paradoxien der Macht, dass nicht selten gerade jene Figuren in höchste Ämter aufsteigen, die mit gesundem Selbstzweifel niemals kandidiert hätten. Wer weiß, was er nicht weiß, bewirbt sich nicht für den Vorsitz eines Landes. Wer hingegen in schlichter Seelenruhe davon überzeugt ist, seine durchschnittliche Meinung sei universal gültig, der strebt nach Ministerien, nach Gremien, nach Gipfeltreffen – und dort angekommen, erteilt er Weisungen, deren intellektuelle Substanz sich bei näherem Hinsehen als Pressspan erweist.

Diese Politiker sind keine Versager, sie sind Helden – im Scheitern. Sie sind unerschütterlich in der Überzeugung, alles im Griff zu haben, während sie mit ihrer Terminologie jonglieren wie mit glühenden Eisen, die sie nicht begreifen, aber für stilistisch elegant halten. Sie bauen Windräder, wo kein Wind weht, schreiben Digitalgesetze auf Faxgeräten und erklären Energiesicherheit zur moralischen Kategorie. Wer sie darauf hinweist, wird verdächtigt, zynisch zu sein – als ob Zynismus nicht die letzte Bastion des Verstandes wäre in einer Landschaft voll Inkompetenz.

Die Bevölkerung als Feigenblatt – Partizipation als Placebo

Natürlich – man hört auf „die Menschen“. Man befragt sie. Man lädt sie in „Dialogformate“. Und wer einmal dabei war, weiß: Das ist kein Dialog, sondern ein pädagogisch durchgestyltes Beruhigungsritual. Die Regierenden setzen Bürgerpanels auf, geben dem Ganzen eine Pseudo-Offenheit und präsentieren dann als Ergebnis exakt das, was vorher schon feststand – allerdings mit einem Smiley-Sticker namens Beteiligung versehen.

In Wahrheit wird das Volk nicht gefragt, sondern beschwichtigt. Man verkauft Politik als kollektive Sinnsuche, während man das Ruder bereits in jene Richtung gerissen hat, die man für ideologisch alternativlos hält. Und wer Kritik äußert, der hat es „nicht verstanden“, ist „rechtsoffen“, „toxisch“, „destruktiv“ oder – besonders perfide – einfach „nicht auf dem Stand der wissenschaftlichen Debatte“. Was diese Debatte genau ist, weiß keiner, am wenigsten jene, die sich auf sie berufen.

Geschichte als Mahnung – und als ignorierte Wiederholung

Es gab Zeiten, da konnte man das Gefühl haben, Regierung sei ein Synonym für Organisation. Heute ist sie eher das Gegenteil. Es ist ein System, das sich aus sich selbst heraus legitimiert, dabei aber zunehmend das Monströse der Beliebigkeit annimmt. Man erinnert sich, wenn man denn will, an historische Episoden, in denen Führung in Unwissenheit mündete – mit katastrophalen Folgen. Doch wer mahnt, gilt als Unruhestifter.

So ist das kollektive Gedächtnis heute ein loses Archiv mit Zugangssperre. Wir kennen die Geschichte – aber wir tun, als wäre sie irrelevant. Man fährt sehenden Auges in die nächste Mauer, in dem man sich gegenseitig bescheinigt, dass Mauern heute inklusiver seien. Und die Warnung wird vom Tisch gewischt mit der Begründung, dass sie nicht „konstruktiv“ sei. Konstruktiv heißt heute: Ja sagen zum Irrsinn, solange er nachhaltig lächelt.

Schlussfolgerung mit doppeltem Boden

Manchmal fragt man sich, ob es wirklich Dummheit ist – oder doch eine hochfunktionale Form des Irrsinns, in der das System genau die hervorbringt, die es braucht: Inkompetente mit Sendungsbewusstsein, Ahnungslosigkeit als Tugend, Überheblichkeit als Kompetenzsimulakrum. Der Dunning-Kruger-Effekt ist kein Unfall – er ist systemimmanent. Die Fähigkeit zur Selbstüberschätzung ist heute Grundvoraussetzung für den politischen Aufstieg. Zweifel ist Schwäche. Denken ist Ballast. Wer fragt, verliert Zeit. Wer antwortet, gewinnt Redezeit.

Und so bleibt uns, dem Fußvolk, nichts als der trockene Trost der Satire – das letzte Territorium, auf dem Wahrheit noch ausgesprochen werden darf, solange sie als Witz daherkommt. Denn in einem System, das vom Wahn regiert wird, ist der Zynismus der letzte Beweis von Verstand.

Feiertage für alle! Aber ohne Bedeutung, bitte.

Christliche Feiertage? Nur noch ein Auslaufmodell mit Glitzerdeko?

Echt jetzt? Weihnachten abschaffen? Ostern „umwidmen“? Christi Himmelfahrt diversifizieren? Wer heute mit halbwegs ironiefreiem Gesichtsausdruck vorschlägt, den deutschen Feiertagskalender an eine zunehmend säkularisierte, diversifizierte, fragmentierte und emotional hyperverfügbare Gesellschaft anzupassen, der sollte sich zunächst fragen, ob er eigentlich weiß, wozu Feiertage ursprünglich einmal gedacht waren – oder ob er sie mittlerweile nur noch als stressige Kalenderhürden zwischen zwei Amazon-Bestellungen betrachtet. In einer Welt, in der man sich ernsthaft fragen muss, ob der Nikolaus bald ein interreligiös zertifizierter Lieferroboter mit Inklusionschip sein muss, um niemanden zu triggern, wirkt der Gedanke, christliche Feiertage seien „nicht mehr zeitgemäß“, wie die klimaneutrale Reinkarnation eines kulturrevolutionären Kamikazeflugs – nur mit Gendersternchen.

Man könnte meinen, die christlichen Feiertage seien eine Art symbolisches Bollwerk gegen die postmoderne Beliebigkeit. Doch statt sie zu verteidigen, wird ihre Existenz nun mit dem Argument der kulturellen Vielfalt infrage gestellt – als wären Weihnachten und Ostern nicht ohnehin schon die letzten großen Rituale, bei denen sogar Konfessionslose ihre Verwandten besuchen, Gänse essen, passive Aggression beim Familienkakao kultivieren und in sich hineinbrummen, dass Oma schon wieder denselben Karpfenwitz erzählt. Es ist grotesk: Gerade jene, die sich für Toleranz, Teilhabe und Vielfalt einsetzen, sind oft die ersten, die fordern, dass gewachsene kulturelle Strukturen weichen sollen – zugunsten eines säkularen Niemandslandes aus „freien Tagen zur individuellen Entfaltung“. Klingt nach Yogaseminar, riecht aber verdächtig nach Sinnentleerung.

Vom säkularen Selbstbetrug und der kalendarischen Cancel Culture.

Wie sähe er denn aus, dieser neue, flexible Feiertagskalender der Zukunft? Jeder bekommt „seinen“ Feiertag, je nach Herkunft, Glauben, emotionalem Ladezustand oder astrologischer Konstellation? Am Montag feiern die Buddhisten das Vesakh, am Dienstag bekommen die Muslime Eid Mubarak-Freizeit, mittwochs dürfen Atheisten kollektiv Netflix schauen, donnerstags wird ein rein hypothetischer Tag des Agnostikers eingeführt („vielleicht gibt’s frei – vielleicht auch nicht“), und freitags wird das Ganze diversitätsgerecht durch einen spirituellen „Feiertag für alle, die sich irgendwie anders fühlen“ abgerundet. Klingt fair. Und ist vollkommen absurd.

Feiertage leben nicht davon, dass sie individuell verhandelbar sind. Sie leben davon, dass sie kollektiv erlebt werden. Dass sie – ob nun aus religiösem Bewusstsein oder kultureller Gewohnheit – eine gemeinsame Unterbrechung im Strom des Alltags markieren. Wer versucht, das in eine Art Buffetmodell umzuwandeln, an dem sich jeder nach Lust und Laune bedient, bekommt am Ende genau das: ein unübersichtliches, matschiges Durcheinander mit zu viel Soße, zu wenig Sinn und garantiert ohne soziale Bindungskraft. Integration, Inklusion und Toleranz sind keine Kalenderoptionen. Sie sind Haltungen. Und wer glaubt, man könne kulturellen Pluralismus erzwingen, indem man alle Unterschiede gleichwertig in ein formalistisch glattes Feiertagskorsett presst, verwechselt Gerechtigkeit mit Gleichmacherei – und kulturelle Vielfalt mit beliebigem Zersplittern.

Tradition als kulturelles Rückgrat – oder lästiges Relikt aus Omas Keller?

Es ist doch bezeichnend: In einem Land, das sich gerne als hochreflektierte Kulturnation verkauft, gelten christliche Feiertage inzwischen als verdächtig. Als wäre das bloße Erwähnen von „Pfingsten“ ein mikroaggressiver Akt gegenüber der globalisierten Moderne. Dabei geht es hier nicht darum, den Katechismus in die Verfassung aufzunehmen oder Messwein als offizielles Regierungsgetränk einzuführen. Es geht um etwas sehr Einfaches: kulturelle Identität durch Wiederholung, durch Symbolik, durch gemeinsam geteilte Zeiten der Stille, des Feierns, des Erinnerns.

Feiertage wie Weihnachten und Ostern haben über Jahrhunderte hinweg genau das geleistet. Sie sind nicht nur religiöse Marker – sie sind emotionale Anker. Sie strukturieren das Jahr, geben Halt, ermöglichen kollektive Pausen. Sie sind anthropologisch betrachtet keine Dogmen, sondern Rituale. Und wer meint, Rituale seien entbehrlich, sollte sich einmal ansehen, wie zerbröselt Gesellschaften ohne gemeinsames Symbolsystem aussehen: wie ein Haufen Puzzlestücke, die alle darauf bestehen, der Mittelteil zu sein – aber keine Ahnung haben, was das Bild zeigt.

Die Statistik-Lüge: Wenn 51,5 Prozent angeblich nicht mehr reichen

Ach ja, die Statistik: Nur noch 51,5 Prozent der Menschen in Deutschland gehören 2023 dem Christentum an. Und schon wird das Christentum zur Minderheitenmeinung erklärt, die im öffentlichen Raum bitte etwas leiser auftreten möge. Man stelle sich dieses Argument auf andere Bereiche übertragen vor: „Nur noch 51,5 Prozent der Bevölkerung sprechen fließend Deutsch – lasst uns konsequenterweise Kant auf Koreanisch lesen.“ Oder: „Nur noch 51,5 Prozent essen Fleisch – also verbieten wir die Bratwurst im Fußballstadion.“ Es ist der logische Fehlschluss einer Gesellschaft, die sich angewöhnt hat, jede Mehrheit sofort zu problematisieren, sobald sie nicht absolut ist.

Die Reduktion auf demografische Zahlen übersieht dabei, dass kulturelle Prägung nicht automatisch mit formeller Mitgliedschaft korreliert. Man kann kein Mitglied einer Kirche sein und trotzdem jedes Weihnachten feiern. Man kann keinen Gottesdienst besuchen und dennoch an Allerheiligen innehalten. Die tieferliegende kulturelle Matrix, auf der dieses Land funktioniert – mit all seinen Gewohnheiten, Feiertagsregeln, Ladenöffnungszeiten, Schulferien – ist durch und durch christlich durchwirkt. Und das zu leugnen, nur weil es statistisch sexy klingt, ist intellektuell ungefähr so redlich wie ein veganes Schnitzel mit Schweineform.

Feiertage als politische Bühne – oder kollektive Erschöpfung?

Natürlich, man kann Feiertage auch als Plattform für gesellschaftlichen Wandel denken. Und sicher – in einer pluralistischen Gesellschaft braucht es Aushandlungsprozesse. Aber dabei sollte man nicht vergessen: Wer jede noch so tiefe kulturelle Verwurzelung mit dem Verweis auf Inklusion in Frage stellt, betreibt keine Integration, sondern Selbstverleugnung. Feiertage sind keine ideologischen Werbetafeln, die man im Fünfjahresrhythmus austauscht. Sie sind, ob man will oder nicht, Teil des kollektiven Gedächtnisses – und dieses Gedächtnis kann man nicht einfach löschen, weil die Gegenwart sich gerade in eine andere Richtung deklariert.

Die Idee, durch flexible Feiertage mehr Freiheit zu schaffen, klingt auf den ersten Blick attraktiv – wie so vieles, was postmodern daherkommt. Aber in Wirklichkeit ist sie eine Einladung zur sozialen Vereinzelung. Denn was bleibt, wenn jeder seinen eigenen Feiertag feiert? Eine Gesellschaft voller Menschen, die sich alleine freuen. Das klingt nicht nach Fortschritt. Das klingt nach Vereinzelung unter dem Deckmantel der Vielfalt.

Die Rückkehr des Kalenders

Vielleicht ist es Zeit für ein neues Denkmodell. Eines, das nicht sofort kapituliert, wenn eine kulturelle Praxis mehr als zwanzig Jahre alt ist. Eines, das den Mut hat, zwischen Tradition und Zwang zu unterscheiden – und nicht jedes kollektive Ritual sofort unter Verdacht stellt. Vielleicht sollten wir endlich wieder lernen, dass es okay ist, Dinge zu bewahren, einfach weil sie sich bewährt haben. Vielleicht ist Weihnachten nicht exklusiv – sondern einladend. Vielleicht ist Ostern kein Dogma – sondern ein Symbol der Hoffnung. Vielleicht ist Christi Himmelfahrt nicht „männlich“ – sondern einfach nur ein freier Donnerstag mit Potential für Grillgut.

Echt jetzt? Feiertage streichen, nur weil sie christlich sind?
Vielleicht wäre es klüger, einfach mal innezuhalten – und sich daran zu erinnern, dass auch eine multireligiöse Gesellschaft irgendwann ein gemeinsames Kalenderblatt braucht. Und sei es nur, um gemeinsam zu merken: Heute ist frei. Und das ist gut so.

Wie schnell aus der ausgestreckten Hand der ausgestreckte Mittelfinger wird

Die ausgestreckte Hand – Illusion einer Verständigung

Es war einmal – so beginnt jede gute Tragödie – eine Demokratie, die davon lebte, dass Menschen miteinander redeten. Nicht einverstanden waren, aber einander zuhörten. Nicht dieselbe Meinung teilten, aber ein gemeinsames Spielfeld anerkannten. In dieser Zeit hatte die ausgestreckte Hand noch Bedeutung: als Geste der Einladung, als Angebot zum Dialog, als Versuch, den Graben nicht zu vertiefen, sondern zu überbrücken.

Doch das war, wie so vieles, bevor die Kommentarspalten begannen, den Ton anzugeben. Bevor das Like zur neuen Währung und die Empörung zur neuen Moral wurde. Bevor jedes Gespräch automatisch verdächtig war, jede Frage als Infragestellung, jede Differenz als Affront galt. Heute bedeutet die ausgestreckte Hand meist nur noch eines: dass sie gleich abgehackt wird. Denn wer sich zu sehr streckt, zeigt sich verletzlich – und wer sich verletzlich zeigt, wird zerlegt.

Verständigung ist zur Pose geworden. Dialog zur rhetorischen Fußnote unter monolithischen Statements. Es geht längst nicht mehr darum, gemeinsam etwas herauszufinden – sondern darum, möglichst effizient recht zu behalten. Und wenn schon nicht recht zu behalten, dann wenigstens das Gegenüber moralisch zu erledigen. Der Diskurs als Arena. Die ausgestreckte Hand als taktische Finte, bevor der Schlag kommt. Willkommen im Zeitalter des reflexhaften Mittelfingers.

Diskurs als Nahkampf – Von Meinungsfreiheit zu Meinungsverteidigung

Die Rhetorik der Gegenwart kennt keine Zwischentöne mehr. Es gibt kein „Ich sehe das anders, aber du hast einen Punkt“ – es gibt nur noch Zustimmung oder Feindschaft. In Talkshows grinst man sich ins Gesicht, während man innerlich das Messer wetzt. In sozialen Netzwerken reicht ein falsches Wort – und das Tribunal tagt. Die Verteidigung: zwecklos. Der Diskurs ist ein Schützengraben, und wer die Hand reicht, zeigt nur, wo er am leichtesten zu treffen ist.

Dabei berufen sich alle auf die Meinungsfreiheit, als sei sie ein Freifahrtschein zum intellektuellen Erbrechen. Doch Meinungsfreiheit heißt nicht, dass jede Meinung gleich klug ist. Oder gar folgenlos. Und schon gar nicht, dass andere sie klaglos ertragen müssen. Aber statt sich auf Inhalte zu konzentrieren, streiten wir über Sprechakte. Statt um Wahrheit geht es um Tonlage. Wer wie was gesagt hat – das ist der neue Stoff, aus dem Skandale gemacht sind.

Und so mutiert der politische Diskurs zur akustischen Geisterbahn: überall Echo, keine Substanz. Die ausgestreckte Hand? Wird gelesen als Zeichen der Schwäche oder als Übergriff. Denn wer sich noch für Verständigung interessiert, ist entweder naiv, oder – schlimmer – ein „beide-Seiten“-Typ. Und die sind, wie jeder weiß, schlimmer als der Gegner selbst.

Die Dialektik der Polarisierung – Wie man eine Gesellschaft im Namen der Gerechtigkeit zersägt

Man beginnt mit edlen Absichten: Man will die Welt gerechter machen. Den Ausgegrenzten eine Stimme geben. Die Strukturen hinterfragen. Alles richtig, alles wichtig. Doch aus dem Wunsch nach Sichtbarkeit wird schnell ein Regelwerk der Rechthaberei. Aus Differenz wird Differenzierung, aus Differenzierung Separatismus, aus Separatismus Identität – und aus Identität ein Dogma. Wer nicht dazugehört, gehört nicht dazu. Punkt.

Der Diskurs wird zum Exerzierplatz moralischer Loyalität. Man ist nicht mehr Mitstreiter, sondern Mitglied. Und wie in jedem Kult, zählt weniger, was gesagt wird – sondern wer es sagt, wie, mit welchen Hashtags, in welchem Outfit. Sprache wird dekonstruiert, bis sie nicht mehr spricht, sondern nur noch signalisiert.

Auf der Gegenseite: das gleiche Spiel, nur in bitter. Auch hier wird der Diskurs zur Schlachtbank, der Zweifel zum Verrat. Wer das Gendersternchen nicht mitsprechen will, wird zum Kulturkämpfer erklärt. Wer es spricht, zum Untergang des Abendlandes. Und zwischen den Fronten: die Demokratie, auf Knien, mit Ohropax.

Die Revolution frisst ihr Kommentarspaltenkind – Vom Aktivismus zur Selbstparodie

Der Aktivismus, geboren aus Not und Wut, hat sich professionalisiert – und dann selbst verdaut. Heute ist er Hashtag, Marke, Identitätskit. Die moralische Leidenschaft wurde durch Postings ersetzt, die Dringlichkeit durch einen Content-Kalender. Ein falscher Tweet aus 2012 genügt, und die einstige Heldin wird zur Ausgestoßenen. Der Purismus des Progressiven duldet keinen Makel, keinen Fehltritt, keinen ironischen Zwischenton.

Widerspruch? Verdächtig. Metaebene? Verrat. Ironie? Elitär. Satire? Nur okay, wenn sie der eigenen Fraktion dient. Aus der Revolution wurde ein Regelwerk. Aus der Bewegung eine Marke. Und aus dem Widerspruch ein Karriereende.

Die ausgestreckte Hand? Abgelehnt – zu wenig Haltung. Zu viel Ambivalenz. Zu wenig Klarheit. Der Aktivismus ist kein Gespräch mehr, sondern ein Briefing. Wer sich nicht sofort zu allem positioniert, hat sich schon verdächtig gemacht. Willkommen in der Welt der moralischen Autobahnkontrollen.

Wer nicht wütend ist, hat nicht zugehört – Die Tyrannei der Betroffenheit

Gefühl ist Wahrheit. Und wer betroffen ist, hat recht. So lautet das ungeschriebene Gesetz der Diskursmoderne. Der Schmerz ersetzt das Argument, die Träne den Beweis. Wer leidet, darf diktieren, was gesagt werden darf. Wer nicht leidet – oder schlimmer: nicht glaubwürdig genug – soll besser schweigen.

Es ist kein Zufall, dass der politische Diskurs zunehmend klingt wie eine Selbsthilfegruppe im Ausnahmezustand. Man bekennt nicht mehr Positionen, sondern Verletzungen. Und wehe, jemand fragt nach Kontext, nach Differenzierung, nach Geschichte – das ist dann schon Gewalt. Rhetorisch, strukturell, vielleicht sogar emotional.

So wird aus dem Diskurs ein Minenfeld, in dem nur noch der lauteste Schmerz zählt. Die ausgestreckte Hand hat in diesem Klima keine Chance – sie ist zu leise, zu langsam, zu rational. Und Rationalität gilt als verdächtig – schließlich kommt sie oft von denen, die „nicht wirklich betroffen“ sind.

Fazit ohne Frieden – Warum der Mittelfinger bleibt, auch wenn keiner mehr hinschaut

Und so bleibt er, dieser Finger. Irgendwo zwischen Trotz, Verzweiflung und Autopilot. Keine Botschaft mehr, kein Widerstand – nur noch ein Zucken. Die ausgestreckte Hand? Zu oft verbrannt. Zu oft ignoriert. Zu oft falsch verstanden. Heute wird sie kaum noch angeboten, und wenn doch, dann misstrauisch beäugt. Ist das noch ein Dialogangebot – oder schon ein Versuch, mich zu vereinnahmen?

Was bleibt, ist ein Diskurs, der sich selbst zerschrien hat. In einer Welt, in der Widerspruch sofortige Feindschaft bedeutet, ist Verständigung eine Zumutung. Der Mittelfinger steht da wie ein Mahnmal für das, was mal möglich war. Und vielleicht – ganz leise, ganz fern – gibt es doch jemanden, der ihn irgendwann wieder einzieht. Der nicht nur Recht haben will, sondern verstehen. Nicht nur reagieren, sondern zuhören.

Bis dahin aber bleibt er stehen. In Tweets, Talkshows, T-Shirts. Und vielleicht, wenn man genau hinsieht, erkennt man darunter doch noch die Schatten einer ausgestreckten Hand. Eingeknickt, eingerostet, aber da. Noch.