So viele Mistkerle

Wie Frankreichs alte Linke sich in eine neue Sackgasse manövriert

Man sagt ja gern, die Geschichte wiederhole sich – mal als Tragödie, mal als Farce, gelegentlich auch als kafkaesker Verwaltungsvorgang mit dreifacher Durchschrift und Stempel «Dringend». Frankreich, dieses Land, das seit gut 250 Jahren an der Idee feilt, man könne Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unter einen Hut bringen, erlebt eine neue Variation dieses uralten Refrains. Und diesmal, so scheint es, ist es eine tragikomische Operette, in der die Sänger die falsche Partitur studiert haben und das Orchester trotzig beschliesst, gleichzeitig Wagner, Debussy und die Titelmelodie von Mission Impossible zu spielen.

Denn plötzlich, inmitten des Rauschens der grossen politischen Selbstversicherungen, ist da dieser hässliche, alte Bekannte, der sich in französische Debatten zurückschleicht wie ein ungebetener Gast mit schlechtem Atem: der Antisemitismus. Und zwar nicht die blasse, konspirativ flackernde Version der Kellerphilosophen, sondern die breite, selbstbewusste, lautstark marschierende Form, die in Frankreichs Strassen wieder erschreckend salonfähig wird.

Während viele entsetzt die Hände ringen, zeigen zwei prominente Autoren – der frühere Charlie Hebdo-Chefredaktor Philippe Val und der Philosoph Michel Onfray – auf ein politisches Lager, das sich traditionell als moralischer Hochsitz verstand: die Linke, genauer gesagt der Teil, der heute unter dem Etikett «islamo-gauchisme» firmiert und unter der Fuchtel von Jean-Luc Mélenchon stolz behauptet, er sei die letzte Bastion der Unterdrückten.

Die neue Linke, die alte Blindheit

Man muss Mélenchon eines lassen: Er hat eine bemerkenswerte Begabung, sich stets in Richtung des lautesten Applauses zu drehen – solange der Applaus nicht aus bürgerlicher Mitte, jüdischen Gemeinden oder sozialdemokratischen Reihen kommt. Seine Partei La France insoumise präsentiert sich gern als rebellische Samaritertruppe, die gegen Imperien, Kapital, Patriarchat und alles kämpft, was unmodern, ungerecht oder unpraktisch erklärt werden kann.

Doch sobald es um Antisemitismus geht, erhebt sich in diesem Lager jene alte, unkaputtbare Verwechslung: die Idee, dass jede Gruppe, die sich als Opfer präsentiert, automatisch moralisch unfehlbar sei. Diese gedankenlose Hierarchie des Leidens – nach dem Motto: Wer als Unterdrückter gilt, darf jede Abscheulichkeit sagen, ohne dass man ihm deswegen die Schärpe der progressiven Unschuld abnimmt – ist der psychologische Kern ihres Problems.

Es ist ein wenig, als würde man einem Vegetarier zugestehen, dass er zwar keine Tiere isst, aber gern Katzen anzündet – weil er ja «eigentlich» zu den Guten gehört. Und so landet die extreme Linke in der grotesken Situation, mit islamistischen Hardlinern und Antisemiten zu kollaborieren, solange diese sich mit genügend dramatischer Stimme als Opfer westlicher Strukturen inszenieren.

Islamogauchismus – das Kind, das niemand erziehen wollte

Val und Onfray sind alles andere als höfliche Chirurgen. Sie operieren nicht mit feinen Instrumenten, sondern mit dem rhetorischen Flammenwerfer. Doch ihr Argument ist so unangenehm wie schwer zu widerlegen:

Der zeitgenössische französische Antisemitismus kommt nicht nur – und nicht einmal hauptsächlich – aus den bekannten rechtsextremen Abgründen, sondern aus der Fusion von radikalem Islamismus und postkolonial aufgeladenem Linksdiskurs.

Onfray beschreibt das Phänomen als eine Art moralische Verfahrensverirrung, bei der progressive Intellektuelle mit verzücktem Idealismus gegen alles Westliche wettern – und dabei blind werden für die autoritären, frauenfeindlichen, homophoben und nun einmal antisemitischen Ideologien, die sie in Schutz nehmen.

Val wiederum, selbst gezeichnet von dem, was der islamistische Terror seinen Kollegen bei Charlie Hebdo angetan hat, verweist darauf, wie grotesk die Linke sich selbst verrät: ausgerechnet jene politische Tradition, die einst gegen religiösen Fanatismus kämpfte, klatscht heute jenen Beifall, die im Namen einer vermeintlich antirassistischen Moral den Judenhass wieder salonfähig machen.

Das Pariser Theater des Absurden

Wer die französische Linke verstehen will, muss begreifen, dass sie Empörung für eine heilige Disziplin hält. Empörung ist ihre tägliche Gymnastik, ihr ideologisches Stretching, ihr Sonntagsspaziergang. Doch diese Empörung ist selektiv – wie ein Raucher, der sich über Autoabgase beschwert.

Wenn ein jüdisches Schulkind in einem Vorort bedroht wird – Stille.

Wenn Judenfeindlichkeit aus dem islamistischen Milieu kommt – Abwiegeln.

Wenn hingegen eine israelische Regierung etwas tut, das man kritisieren kann – und man kann eine Menge kritisieren –, dann rollt sofort der ganze moralische Tross heran, mit Fanfaren, Transparenten und vielen wohlfeilen Parolen.

Der Antisemitismus wird dabei selten als solcher benannt. Stattdessen wird er camoufliert, wie ein schlecht überspieltes Schmuggelpaket, versehen mit Etiketten wie «Systemkritik», «Anti-Imperialismus» oder «Solidarität mit den Unterdrückten». Es ist jene semantische Nebelmaschine, die Val und Onfray so vehement attackieren: die intellektuelle Feigheit, die sich hinter Betroffenheitslyrik versteckt.

Ein Land am Rand einer moralischen Nebelwand

Frankreich ist müde geworden, sagen viele. Müde der ewigen Debatten, müde der ständigen Krisen, müde jener moralischen Verrenkungen, die nötig sind, um gleichzeitig universalistisch und partikularistisch sein zu wollen. Und doch, so zynisch das klingt: Frankreich ist nie müder, als wenn es gerade besonders wach sein müsste.

Heute müsste es hinschauen:

auf die Explosion antisemitischer Übergriffe,

auf die schwindende Sicherheit jüdischer Gemeinden,

auf die groteske Verzahnung zwischen progressiven Wortführern und fundamentalistischen Milieus.

Doch stattdessen diskutiert man darüber, ob der Begriff Islamogauchisme vielleicht beleidigend sei für die sensiblen Seelen der politischen Avantgarde. Man führt ein akademisches Minenfeld über Gender, Klassenkampf und Identitätspolitik, während im Hintergrund Menschen davonlaufen, weil ihr Nachbar sie plötzlich für einen kolonialistischen Agenten des Weltzionismus hält.

Schluss: Die Mistkerle sind nicht unsichtbar – man will nur nicht genau hinsehen

Und wer zu lange wegschaut, wird irgendwann Teil des Problems

Die Wahrheit ist bitter wie ein schlecht gezapfter Pastis: Der Antisemitismus in Frankreich steigt dramatisch – und zwar genau dort, wo man ihn am wenigsten zugeben will.

Val und Onfray provozieren, überzeichnen, polemisieren – gewiss. Aber sie tun es aus einer intellektuellen Verantwortung heraus, die der heutigen Linken zu entgleiten droht. Nicht weil sie konservativ wären, nicht weil sie reaktionär geworden wären, sondern weil sie einsehen: Wer im Namen des Guten das Böse ignoriert, ist nicht progressiv, sondern verantwortungslos.

Und vielleicht liegt darin die letzte Pointe dieses tragikomischen Dramas:

Die Linke wollte immer die Welt verändern.

Heute schafft sie es nur noch, sich selbst zu karikieren.

Wer jedoch Mistkerle nicht Mistkerle nennt, darf sich nicht wundern, wenn plötzlich so viele davon herumlaufen.

Big Sister Ursula

Man muss Ursula von der Leyen fast bewundern. Nicht für die elegante Kontrolle über Haushaltszahlen, Impfstoffverträge oder Transparenz – das wäre ja zu gewöhnlich –, sondern für ihr makelloses politisches Fingerspitzengefühl, immer genau dort nachzulegen, wo Europas Demokratie ein klein wenig zu entspannt wirkt. Während die Bürger gemütlich in ihre Smartphones tippen, als sei die digitale Welt ein gutmütiges Tamagotchi, schiebt Ursula, große Schwester im Brüsseler Wohnzimmer, leise und doch unerbittlich die Möbel um. Denn Sicherheit braucht Platz, und Privatsphäre nimmt bekanntlich viel zu viel davon ein. Da überrascht es nicht, dass plötzlich eine ganze Architektur aus Überwachungsgerüsten emporragt: Chat-Scans, Altersüberprüfung, Client-Side-Scanning – so viele hochmoderne Sorglosigkeitsversprechen, dass man sich fragt, warum Europa nicht schon längst ein paradiesischer Ort der Unschuld ist. Vermutlich weil der Bürger, dieses störrische Wesen, immer noch so lästig selbstbestimmt sein will. Sehr unzeitgemäß.

Der neue Hofstaat in Brüssel: Wo die Privatsphäre höflich den Raum verlässt

Man stelle sich den EU-Rat vor wie eine Art modernisierten Absolutismus: ein höfischer Tanz, bei dem jede Nation ihre Zustimmung mit der Grazie eines gut geölten Automaten serviert. Österreich hebt die Hand, nicht weil es muss, sondern weil es irgendwie dazugehört. Die höfische Etikette ist streng: Wer gegen Überwachung votiert, steht schnell als Exot da, als jemand, der noch an eigenständiges Denken glaubt – und das kann im 21. Jahrhundert niemand ernsthaft wollen. Also nickt man in Wien fröhlich mit, während man gleichzeitig beteuert, völlig gegen Überwachungsmaßnahmen zu sein, was ungefähr so glaubwürdig wirkt, wie wenn ein Dieb schwört, er sei nur zufällig mit dem Brecheisen im Schlafzimmer fremder Leute eingeschlafen.

Was dabei erstaunlich unterhaltsam ist: Alle reden von freiwilligen Scans. Freiwillig! Ein Wort, das in Brüssel bedeutet: Ihr dürft es freiwillig tun, aber wehe, ihr tut es nicht, dann fragen wir in drei Jahren noch einmal und machen es zur Pflicht. Frei wie ein Vogel, der entscheiden darf, ob er in den Käfig fliegt – oder hineingeschoben wird. Ein Meisterwerk politischer Semantik, subtil wie ein Presslufthammer.

Big Brother is watching you? Pah. Big Sister liest vorher schon mit.

Der Witz an der Sache: Während Orwell 1984 schrieb, wusste er nicht, wie niedlich Big Brother einmal aussehen würde – oder dass Big Sister Ursula den Kaffee serviert, während sie uns in einer Art fürsorglicher Paranoia alles aus dem Smartphone puhlt, was irgendwie nach Unsauberkeit riecht. Der große Bruder war ein martialischer Autokrat. Die große Schwester ist eine Art digitaler Hygienebeauftragter: Sie desinfiziert private Nachrichten präventiv, bevor sie überhaupt verschlüsselt sind. Client-Side-Scanning nennt sich das. Ein bisschen wie wenn die Polizei dein Auto durchsucht, bevor du überhaupt losfährst, und dir dann sehr freundlich dafür dankt, dass du deine Grundrechte zur Verfügung stellst. Bürgernähe à la Bruxelles.

Natürlich alles nur, damit keine abgründigen Verbrechen geschehen – und wer könnte schon etwas dagegen haben? Das ist der geniale, fast schon poetische Dreh: Der Bürger wird eingeladen, sein Misstrauen gegenüber flächendeckender Überwachung einzustellen, weil alles unter dem Banner des Kinderschutzes geschieht. Ein mächtiges moralisches Schutzschild, das jede kritische Frage automatisch in den Verdacht der Unmenschlichkeit versetzt. Ein psychologisches Kunststück – und die EU beherrscht es virtuos.

Altersverifikation: Die neue Eintrittskarte ins digitale Leben

Wie gemütlich doch die Zukunft wird: Man will nur kurz seine Nachrichten checken, und schon hält der Algorithmus höflich die Hand auf: „Ausweis, bitte.“ Ein Gesichtsscan hier, ein Bankdatenabgleich da – und schon ist man bereit für die freie Meinungsäußerung 2.0. Das digitale Ich wird dadurch so eindeutig wie die Steuer-ID, die wir ohnehin alle im Schlaf aufsagen können. Wer bisher dachte, das Internet sei ein Ort voller kreativer Identitäten, voller Pseudonyme, Avatare und künstlicher Charaktere, wird feststellen, dass die EU-Regulatorik diesen Wildwuchs sehr unästhetisch findet. Ordnung muss sein. Und Ordnung beginnt dort, wo niemand mehr anonym ist.

Die Ironie ist herrlich: Gerade jene Generation, die sich ohnehin nicht davor scheut, ihre halbe Existenz auf Instagram zu dokumentieren, wird nun durch technische Zwangsverifikationen endgültig in die nackte Wahrheit gezerrt. Teenager, die sich seit jeher erfinderische Ausreden ausdenken, um Elternkontrollen zu umgehen, werden sich künftig mit biometrischer Perfektion authentifizieren müssen, bevor sie jemandem ein Meme schicken. Wie praktisch, dass die Geräte alles speichern. Was könnte da schiefgehen?

Der gläserne Bürger: Von der Transparenz zur Transzendenz

Die EU nennt es Risikominimierung, Datenschützer nennen es Albtraum. Und irgendwo zwischen diesen Polen steht der Bürger, der inzwischen gelernt hat, dass „vorübergehend“ in Brüssel eine zeitliche Kategorie ist, die ungefähr so verlässlich ist wie die Haltbarkeit von Quark im Sonnenschein. Die zunächst befristete Sonderregelung wird deshalb – welch Zufall – dauerhaft. Damit freiwillige Scans auch weiterhin freiwillig bleiben können, ohne je wirklich aus der Welt zu verschwinden. Ein eleganter Schritt, der jeden Skeptiker beruhigen soll: Die EU würde nie und nimmer eine freiheitliche Grundordnung unterlaufen. Sie würde sie höchstens modernisieren – und modern heißt im europäischen Verwaltungsdeutsch: effizient durchleuchten.

Dass der Bürger in diesem Prozess zum Datenspender wird, ist lediglich die systemische Zusatzfunktion. Denn Daten sind das neue Öl, und wer wäre die EU, wenn sie nicht zumindest probieren würde, ihr eigenes digitales Bohrloch in unser Kommunikationsverhalten zu setzen? Ein Schatz, so sagt man, wartet unter der Erde. Und ein noch größerer in unseren Smartphones.

Die Demokratie im Fitnessstudio der Überwachung

Skeptiker behaupten ja gerne, Überwachung führe zur Erosion demokratischer Strukturen. Brüssel hingegen sieht das sportlicher: Demokratie muss flexibel bleiben, elastisch, belastbar. Ein wenig Überwachungsstretching schadet da nicht. Wenn man Journalisten, Anwälten oder Ärzten zuhört, klingt das allerdings weniger nach Fitnessstudio und mehr nach einer schleichenden systemischen Muskelzerrung. Pressefreiheit, Berufsgeheimnis, Whistleblower-Schutz – alles hübsche Accessoires einer alten Ordnung, die jetzt für die neue Ära der Sicherheit auf Figur gebracht werden müssen.

Wie beruhigend, dass ein eigens errichtetes EU-Zentrum bis 2030 mehr als hundert Millionen Euro verschlingen wird, um all die Meldungen aus den Messengern zu sortieren. Das klingt fast wie ein Jobprogramm für Datenarchäologen, die in den Sedimentschichten unserer digitalen Intimitäten nach verwertbaren Fragmenten graben. Jede Gesellschaft braucht schließlich ihre Priesterschaft – und warum nicht eine, die sich in der digitalen Beichte auskennt?

Wenn Konzerne anfangen zu drohen, wird’s spaßig

Signal, Threema und andere Messenger-Unternehmen erklärten bereits, sie würden sich eher aus der EU zurückziehen, als ihre Verschlüsselung auszuhebeln. Das hat fast etwas Romantisches: ein zartrosa Hauch digitaler Rebellion. Schwer bewaffnete Datenschützer in Kapuzenpullovern, die sich weigern, die Kryptografie zu verraten. Und die EU steht daneben und fragt sich verwirrt, warum private Firmen plötzlich moralische Rückgrate entwickeln. Man war aus Brüssel gewohnt, dass die Wirtschaft niederkniet, wenn nur ausreichend Formularwesen versprochen wird.

Dass das jetzt anders ist, könnte man als Warnsignal verstehen. Oder – wie Ursula es vermutlich formulieren würde – als Anlass, die Regulierung noch ein klein wenig besser zu machen. Schließlich darf kein Anbieter glauben, er könne sich der wohlmeinenden Umarmung europäischer Gesetzgebung entziehen. Freiheit ist schließlich dort am schönsten, wo sie geregelt ist.

Der politische Widerstand: Ein Chor seltsamer Einigkeit

In einer beeindruckenden Wendung zeigt sich, dass sowohl rechte als auch linke Opposition mit der EU plötzlich einer Meinung sind – ein historisches Ereignis, das ungefähr so häufig vorkommt wie ein defizitfreier EU-Haushalt. Die FPÖ sieht die Grundrechte in Trümmern, die Grünen wittern Rechtsbruch und Überwachungsdammbruch. Wenn politische Gegner sich so leidenschaftlich einig sind, sollte das eigentlich Alarm auslösen. Doch in Brüssel interpretiert man solche Einigkeit traditionell als Bestätigung, dass der Kompromiss ausgewogen ist. Schließlich sind beide Seiten unzufrieden – die reine demokratische Harmonie!

Der Bürger allerdings, diesem Konflikt ausgesetzt, fühlt sich wie ein Kind in einer Scheidung: Beide streiten, beide schreien, und er weiß nicht, ob er nun von der EU oder den Nationalstaaten erzogen – pardon: überwacht – wird.

Finale: Ein Monster entsteht – und alle hoffen, es sei vegan

Am Ende bleibt das Versprechen, dass alles nur zum Schutz der Kinder geschieht. Ein völlig valides Anliegen, das tragischerweise als moralischer Rammbock missbraucht wird, um eine Überwachungsarchitektur aufzubauen, die selbst ein autoritärer Staat nur mit leuchtenden Augen betrachten könnte. Brüssel baut ein Monster, so sagen Kritiker – aber eines, das hoffentlich harmlos bleibt, weil es freiwillig gefüttert wird. Man könnte sich fast entspannt zurücklehnen, wäre da nicht das dumpfe Gefühl, dass Monster selten bei der Diät bleiben, die man ihnen anfangs verordnet.

Europa will sicherer werden, sagen die Architekten des neuen Überwachungskontinents. Und vielleicht werden wir es sogar. Aber sicherer wovor? Vor Verbrechen – oder vor Freiheit?
Ein feiner Unterschied, den Big Sister Ursula vermutlich in einem ihrer vielen Ordner abgeheftet hat. Zwischen „Sicherheit“ und „Privatsphäre“, alphabetisch sortiert, liegt nur ein Blatt Papier. Und die Schere steht schon bereit.

Friedensangst – Die neue Panik der Prosperität

Es gibt Wörter, die sich heimlich in die Sprache schleichen, wie Katzen durch eine angelehnte Terrassentür: ungebeten, aber sofort Herr im Haus. „Friedensangst“ ist eines dieser Wörter. Ein hübsches Neologismus-Früchtchen, das gleichzeitig duftet und stinkt – süßlich in seiner Hoffnung, modrig in seiner Bedeutung. Man möchte es fast streicheln, dieses paradox aufpoppende Sprachwesen, bis man merkt, dass es mit leicht fettigen Fingern vom Parkett gekommen ist, aus einer jener Börsenhöhlen, in denen die Luft aus Angst, Kaffee und Krawattenstaub besteht. Ein Wort wie ein nachlässig verklebtes Pflaster: Man schaut hin, obwohl man es lieber lassen würde.

Wenn der Frieden zur Störung wird

Es sind sonderbare Zeiten, wie sie sonst nur Historiker erfinden, wenn sie mit ihren Studierenden Eindruck schinden wollen: Zeiten, in denen die Kanonen nicht mehr das Zittern verursachen – sondern ihr Verstummen. Es ist, als hätten wir kollektiv vergessen, dass Normalität eigentlich der Ausgangszustand der Welt sein sollte und nicht die Ausnahme. Dass Ruhe nicht verdächtig ist und Frieden keine geopolitische Unregelmäßigkeit, die auf ökonomische Gefahren hindeutet. Doch genau das scheint die Börsenlogik unserer Gegenwart zu fordern: Sie verlangt Unruhe wie andere Leute glutenfreie Snacks. Ein bisschen Knall, ein bisschen Knallgas, und schon fühlen sich die Kurse wohl. Das Schlachtfeld als Wärmflasche. Der Waffenstillstand als Kälteeinbruch.

Da steht also Rheinmetall, dieser neue Liebling der Investoren, plötzlich im Gegenwind – nicht, weil die Geschäfte schlecht laufen, sondern weil die Welt womöglich ein klein wenig weniger brennt. Die Aussicht auf Waffenruhe drückt die Kurse. Ein US-Friedensplan reicht aus, um ein milliardenschweres Beben auszulösen. Anleger kratzen sich nervös am Krawattenknoten und fragen sich: „Was, wenn die da draußen ernst machen mit der Deeskalation?“ Es ist beinahe rührend – wie ein Junkie, der erschrickt, weil jemand ihm versehentlich eine Woche Urlaub schenkt.

Das Börsenmonster erwacht: Ein Gefühl wie ein Börsen-Crash im Pyjama

So entsteht unser neues Lieblingsungeheuer: Friedensangst. Ein Begriff, der klingt, als sei er von einem hyperventilierenden Statistiker erfunden worden, der zu lange auf tickenden Charts gestarrt hat. Die Märkte reagieren inzwischen auf Frieden wie Vampire auf Vitamin D. Ein zaghafter Waffenstillstand – und schon schmilzt die Performance dahin, leise zischend, wie Butter auf einer heißen Rüstung.

Es ist die Antithese dessen, was in der Schule noch gelehrt wurde: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Heute müsste man hinzufügen: „… denn sonst bricht der DAX ein.“ Fortschritt bedeutet offenbar, dass moralische Paradoxien inzwischen als Kapitalmarktindikatoren herhalten. Eine Emotionslandschaft, die eher an eine neurotische Komödie erinnert als an globale Ökonomie.

Anlegerlogik: Das große Zucken der Zivilisation

Früher fragte man in finsteren Momenten: „Was, wenn sie schießen?“ Heute flüstert man nervös: „Was, wenn sie damit aufhören?“ Eine Frage, die den gesamten intellektuellen Spagat offenbart, den wir auf diesem wackeligen Zeitstrahl der Moderne vollführen. Wir haben uns so sehr an Dauerkrise gewöhnt, dass ihr Ausbleiben wie eine existenzielle Unannehmlichkeit wirkt.

Vielleicht ist die Friedensangst also nicht nur ein Wort, sondern ein Symptom. Ein leises Nagen an der globalen Psyche, die zu lange auf ständiges Donnergrollen konditioniert wurde. Die Börsen zittern beim Klang der Stille. Investoren bekommen Panikattacken, wenn irgendwo ein Verhandlungstisch aufgebaut wird. Und während die Analysten hektisch ihre Excel-Modelle massieren, versucht der Rest der Welt, sich daran zu erinnern, wie eigentlich Alltag ohne Alarmstufe Rot aussieht.

Und nun?

Vielleicht sollten wir Friedensangst nicht nur belächeln – obwohl sie geradezu darum bettelt –, sondern als unfreiwilligen Spiegel unserer Zeit betrachten. Ein groteskes Kaleidoskop der Prioritäten, das zeigt, wie tief die Märkte in die Seelenlandschaft eingewandert sind. Und vielleicht, nur vielleicht, ist dieses neue Wort ein Anfang: Ein schief grinsendes, zynisch funkelndes Signal dafür, dass wir dringend neu sortieren müssen, was wirklich als Katastrophe zu gelten hat.

Denn wenn der Frieden Angst macht und der Krieg Sicherheit verspricht, ist es nicht die Börse, die falsch tickt. Es ist die Welt. Oder besser: das, was wir aus ihr gemacht haben.

Die EU am Wochenmarkt

Es gibt Momente in der europäischen Politik, da weiß man nicht, ob man applaudieren, lachen oder panisch den letzten Rest an Menschenwürde aus dem brennenden Haus der geopolitischen Selbstüberschätzung retten soll. Die jüngste Verkündigung der EU-Kommission, Europa solle künftig „gemeinsam Rohstoffe einkaufen“, gehört zweifellos zu jenen exquisiten Episoden des politischen Theaters, in denen Idealismus und Realitätsferne eng miteinander tanzen – so eng, dass man sich fragt, wer von beiden wem auf die Füße tritt. Denn während die Kommission feierlich ihre geballte Einkaufskraft beschwört – man darf sich das gern als gigantischen Wocheneinkauf mit 27 Einkaufszetteln vorstellen – schwingt gleichzeitig ein kaum verhülltes „Isch ’abe auch eine Drohung“ im Raum, gerichtet an jene Länder, die es wagen könnten, Europa nicht prioritär zu beliefern. Es ist der klassische EU-Moment: moralisch erhaben auftreten, ökonomisch entschlossen wirken – und dabei unfreiwillig Komik erzeugen.

Der Kontinent als Schnäppchenjäger

Ein Kontinent, der gemeinsam Rohstoffe einkauft – die bloße Vorstellung hat etwas rührend Hausmütterliches. Man sieht förmlich die EU-Kommissarinnen und -Kommissare mit Trolley und Jutebeutel über den globalen Wochenmarkt schlendern, hier ein seltenes Metall beäugend, dort ein Gasvorkommen kritisch prüfend, und zwischendurch empört nachfragend, ob dieses Lithium denn nun wirklich nachhaltig sei oder bloß nachhaltig im Werbeprospekt. Der Gedanke dahinter ist einfach: Wenn 27 Staaten zusammen auftreten, dann haben sie eine stärkere Verhandlungsposition. Und zweifellos stimmt das – zumindest in jener theoretischen Welt, in der alle 27 dieselben Interessen, dieselbe Geduld und dieselbe Vorstellung von Preis und Priorität haben. In der wirklichen Welt allerdings wird der gemeinsame Einkauf schnell zum geopolitischen Gruppentherapieexperiment, bei dem jeder Mitgliedstaat zwar gern Solidarität predigt, aber im entscheidenden Moment doch wieder fragt: „Und was genau bringt mir das?“

Immerhin lässt sich die EU dabei nicht lumpen. Denn wer könnte der Versuchung widerstehen, der Welt mit wohlig schwingender moralischer Überlegenheit zu erklären, dass Europa – dieses große, friedliebende, überall beliebte Europa – künftig seine Einkaufsliste diktieren will wie eine etwas zu selbstbewusste Kundin in einem Bioladen, die verlangt, dass der Kassierer weiß, was sie „sonst immer nimmt“.

Wenn die sanfte Drohung mit dem Zeigefinger winkt

Doch hinter der freundlich-technokratischen Formulierung, man wolle „mit geballter Einkaufskraft Lieferengpässe verhindern“, steckt ein Subtext, der sich nur mit einer fein abgeschmeckten Portion Zynismus voll entfaltet. Denn die Kommission erklärt implizit: „Wenn ihr nicht anständig liefert, werden wir … ja, was eigentlich? Sehr enttäuscht sein? Den Handelspartner streng anschauen? Oder – Gott bewahre – womöglich den diplomatischen Zeigefinger heben?“

Die Andeutung einer Drohung wirkt dabei wie jene sanfte pädagogische Warnung, mit der Eltern ihrem Kind nahelegen, dass es jetzt aber wirklich gleich ins Bett müsse, sonst passiere … ja, sonst passiere etwas, das man nie konkret ausbuchstabiert. Die EU erklärt also entschlossen, aber nicht zu detailliert, dass andere Länder gefälligst ihre Rohstoffe herausrücken sollen. Dass diese Länder sich denken könnten: „Europa, du produzierst selbst kaum was davon, kritisierst unsere Politik täglich – und jetzt möchtest du bitte bevorzugt beliefert werden?“ … darüber schweigt man höflich.

Doch man muss fair sein: Die Weltlage ist ernst genug. Wenn China den Export bestimmter Metalle einschränkt und die USA sich wieder einmal in protektionistische Selbstfindungsseminare begeben, dann bleibt Europa nur, irgendeine Art „strategischer Autonomie“ zu improvisieren. Und wenn man keine Minen hat, dann, nun ja, kauft man eben gemeinsam ein – und hofft, dass Moral, Kaufkraft und charmantes Lächeln ausreichen, um afrikanische, südamerikanische oder asiatische Rohstoffnationen zu überzeugen, sich den europäischen Bedürfnissen zu beugen.

Die große europäische Selbstbehauptungsoper

In Wahrheit ist die Ankündigung der EU-Kommission ein weiterer Akt in jenem langatmigen, doch stets dramatisch inszenierten Versuch, Europa als geopolitischen Akteur darzustellen, der mit den Supermächten mithalten kann. Man könnte meinen, der Kontinent stehe auf einer Theaterbühne mit USA und China, während diese beiden sich mit Laserkanonen duellieren – und Europa versucht, mit einer besonders eindrucksvollen PowerPoint-Präsentation Eindruck zu schinden.

Die Idee der gemeinsamen Rohstoffbeschaffung erinnert an jene legendären Momente der EU-Historie, in denen man glaubte, durch institutionelle Eleganz geopolitische Härte ersetzen zu können. Doch der globale Rohstoffmarkt ist kein Debattierclub, und auch kein Seminar für wertebasierte Außenpolitik, sondern ein knallhartes, oft schmutziges Geschäft, in dem Macht, Zugang und Infrastruktur zählen. Da hilft es wenig, wenn die EU ihre „strategischen Bedürfnisse“ in wohlklingenden Papieren formuliert. Ein Bergbaukonzern in Indonesien oder Chile mag höflich nicken – und trotzdem verkaufen, an wen er will.

Die Schönheit der Ironie liegt jedoch in der Tatsache, dass die EU politisch stets dorthin strebt, wo sie am wenigsten glaubwürdig ist. Ein kontinentales Einkaufszentrum? Großartig. Eine geopolitische Speerspitze? Nun ja. Ein Ressourcenimperium? Höchstens im PowerPoint-Format. Doch zumindest beweist Europa einmal mehr seinen unbeirrbaren Optimismus: Wenn schon nicht pragmatisch, dann wenigstens feierlich.

Die moralische Großmacht mit Einkaufswagen

Es wäre unfair, den europäischen Ansatz ausschließlich zu belächeln. Ein gemeinsamer Einkauf kann tatsächlich helfen, die Preise zu stabilisieren, Abhängigkeiten zu verringern und die Verhandlungsmacht zu erhöhen. Doch Europa wäre nicht Europa, wenn es nicht gleichzeitig glauben würde, dass man mit moralischem Anspruch geopolitische Physik überlisten könnte. Die EU sieht sich gern als Hort der Werte, der Transparenz, der fairen Partnerschaften. Doch der Rohstoffmarkt ist ein Tummelplatz jener Realität, die sich für Werte nur interessiert, wenn sie sich in Dollar, Yuan oder zumindest Kupferdraht umrechnen lassen.

So entsteht jene köstliche Diskrepanz, die dieses gesamte Projekt zur Satire macht: Ein Kontinent, der weder die Rohstoffe besitzt noch deren Abbau forcieren will und gleichzeitig gegenüber der Welt die moralische Messlatte hält, möchte nun „mit geballter Einkaufskraft“ auftreten – vermutlich mit demselben Ausdruck auf dem Gesicht, mit dem man einem überforderten Einzelhändler erklärt, das Haltbarkeitsdatum des Sojajoghurts entspreche nicht den EU-Anforderungen.

Und dennoch: Die EU meint es ernst. Sie will keine Bittstellerin mehr sein. Keine politische Vegetarierin in einer Welt der geopolitischen Fleischfresser. Keine moralische Kommentatorin, die am Rand steht, während andere handeln. Nein, Europa möchte endlich etwas tun, das nach Macht aussieht – selbst wenn es am Ende nur ein ziemlich großer, ziemlich komplizierter Einkauf wird.

Schlusswort eines wohlmeinenden Zynikers

Vielleicht ist das der wahre Kern des Ganzen: Europa versucht, die eigene Ohnmacht mit kollektiver Organisation zu übertönen. Und das ist – im besten Sinne – zutiefst menschlich. Denn wer kennt es nicht: Wenn man keine echte Kontrolle hat, beginnt man eben Listen zu schreiben, Einkaufsgruppen zu gründen und sich gegenseitig in der Illusion zu bestärken, dass gemeinsames Auftreten Stärke bedeutet.

Vielleicht funktioniert es. Vielleicht wird Europa tatsächlich unabhängiger. Vielleicht werden die Lieferketten stabiler. Oder vielleicht wird die Kommission in ein paar Jahren erklären, dass die Welt leider nicht angemessen kooperiert habe und man nun eine „gemeinsame strategische Reflexion“ anstrebe.

Aber bis es so weit ist, bleibt uns zumindest ein gewisses Maß an Unterhaltung: Ein Kontinent im kollektiven Einkaufsrausch, moralisch aufgeladen, politisch ambitioniert – und herrlich unfreiwillig komisch. Ein Europa, das versucht, mit einem Einkaufswagen die Weltpolitik neu zu ordnen. Ein Bild, das so absurd ist, dass es fast schon wieder poetisch wirkt.

Unser Sportminister Babler gibt sich die Kugel

Es gibt Momente in der politischen Sphäre, in denen man als Beobachter nicht weiß, ob man sich nun die Augen reiben, laut auflachen oder einfach seufzend kapitulieren soll. Jene Szene, in der Sportminister Vizekanzler Andreas Babler beim „Vienna is lit!“-Flipperturnier auftauchte, gehörte zweifellos in diese Kategorie der multipel ambivalenten Regungen. Ein Minister, der sich „die Kugel gibt“ – metaphorisch selbstverständlich, man ist ja humanistisch gebildet – und dabei lässig zwischen zwei Tilt-Warnungen über den gesellschaftlichen Zusammenhalt fabuliert, ist ein kulturpolitischer Moment, den man im Geschichtsbuch später vermutlich unter „symptomatische Randnotiz eines überbeschleunigten Jahrzehnts“ finden wird. Doch was wie eine ironische Fußnote beginnt, entfaltet sich in Wahrheit als seltenes Panorama unserer Zeit: Der Retro-Flipper als politisch-emotionaler Kraftort, die nostalgische Kugel als Modell moderner Politik – unberechenbar, bunt blinkend, laut scheppernd und immer kurz davor, in den Abgrund zu rauschen.

Der Minister als Kugel, der Flipper als Gesellschaft

Dass das Flipperturnier eine „Community“ beherbergte, die „diese Kultur lebt und weiterträgt“, wie der Minister ernsthaft verkündete, ist einer jener Sätze, die man sofort in einer Fußgängerzone als Straßenperformance aufführen könnte: Der Nostalgieenthusiast, der beleidige Kulturpessimist und der verwirrte Passant würden gleichermaßen stehen bleiben. Diese „Kultur“ – das rhythmische Klackern der Kontaktpunkte, ein 80er-Jahre-Maschinenbrummen, das nach ölverschmiertem Heldenmut riecht – wird in diesem Moment zu einem Quasi-Kulturdenkmal erhoben. Und während Babler versucht, sich selbst zwischen Bumpern und Blinklichtern zu positionieren, merkt man, wie sehr dieser Wettbewerb seine eigene ministerielle Psyche spiegelt. Wer Flipper spielt, weiß: Die Kontrolle ist immer nur Illusion. Man kann noch so entschlossen die metallene Kugel in Bewegung setzen, am Ende entscheidet ein chaotisches Set aus Schwerkraft, Mechanik und unberechenbarem Glück. Genau so fühlt sich politische Verantwortung dieser Tage an – nur dass im Gegensatz zum Flipper niemand am Ende „Replay“ drückt.

Man könnte sogar argumentieren, dass Babler in diesem Setting sein bislang ehrlichstes öffentliches Statement abgegeben hat, ohne ein einziges Wort zu sagen: Durch die schiere Anwesenheit an einem Gerät, das schillerndes Spektakel und durchschaubare Sinnlosigkeit in perfekter Synthese verbindet. Eine Kugel wird abgeschossen, kämpft sich durch labyrinthische Herausforderungen, prallt an glitzernden Oberflächen ab, entkommt knapp mehreren Katastrophen und landet – früher oder später – doch wieder unten im Loch. Wenn das nicht die Metapher für österreichische Innenpolitik ist, dann weiß ich auch nicht.

Wenn Nostalgie zur Staatsräson erklärt wird

Dass der Minister öffentlich verkündete, wie „großartig“ das sei, „wie stark der Flipper-Trend zurück ist“, wäre in einer Welt, die sich mit Klimakrisen, geopolitischen Friktionen und einer erstaunlich kreativen Inflation herumplagt, eigentlich eine Satire in sich. Doch vielleicht ist es ja genau die Pointe unserer Epoche: Der Rückzug in harmlose Retro-Trostwelten. Während draußen ein globales Durcheinander tobt, flüchtet man sich in das vertraute Klackern der 1980er. Alte Geräte, die früher im verrauchten Beisl standen, werden nun zu Leuchttürmen kultureller Relevanz erhoben. Der politische Souverän, der einst über Arbeitsmarkt, Migration oder soziale Gerechtigkeit parlierte, erklärt nun mit heiligem Ernst die Rückkehr der Flipperkultur zur gesellschaftlichen Aufgabe. Man wähnt sich in einem dystopischen Roman über eine Welt, die endgültig beschlossen hat, dass die großen Erzählungen viel zu kompliziert sind – also ersetzt man sie durch nostalgische Miniaturdramen aus Stahl und Plastik.

Natürlich könnte man zynisch behaupten, es handle sich hier um eine ideale politische Strategie: Beim Flipper kann man wenigstens noch behaupten, man habe den Kugelverlauf ansatzweise beeinflusst. In der echten Welt hingegen hat jeder Versuch der Einflussnahme die charmante Tendenz, von unvorhersehbaren Ereignissen pulverisiert zu werden. Vielleicht ist das die bittere Wahrheit: Manchmal ist der Flipperraum schlicht ein besserer Ort als der Ministerratssaal.

Ein Dank, der wie eine Prophezeiung klingt

Und dann steht er da, der Vizekanzler, flankiert von blinkenden Geräten, und jemand ruft ihm zu: „Danke für Ihren gesellschaftlichen Einsatz in diesen gesellschaftlich herausfordernden Zeiten!“ Ein Satz so repetitiv, dass man ihn am liebsten als Dauerschleife auf einem dieser digitalen Scoreboards einstellen möchte. Es ist die Art von politischem Dank, die gleichzeitig klingt wie eine Lobeshymne, eine Entschuldigung und eine Warnung. Man spürt förmlich, wie die Worte ins Leere driften, wie sie zwischen zwei Bumpern hängen bleiben, bevor sie leise abgleiten: Wir danken ihnen, weil wir sonst nicht wüssten, wofür wir ihnen eigentlich danken sollen. Wir danken ihnen, weil man hofft, dass der Dank selbst schon die schwierigen Zeiten entschärfen möge. Wir danken ihnen, weil es in Österreich eine jahrhundertealte Tradition ist, Funktionsträgern rituell Dankbarkeit entgegenzuschleudern – unabhängig davon, ob sie nun tatsächlich etwas getan haben oder nicht.

Doch im glitzernden Halbdunkel des Flipperraums hat dieser Satz etwas Ergreifendes. Vielleicht, weil er so absurd ist. Vielleicht, weil er so ernst gemeint klingt. Vielleicht, weil man versteht, dass zwischen den Kuchler Gassen und dem Kanzleramt letztlich alle dasselbe wollen: Dass die Kugel ein bisschen länger oben bleibt, bevor sie wieder unweigerlich verloren geht.

Epilog: Die Kugel rollt weiter

So verlässt der Sportminister schließlich das Turnier, wahrscheinlich halb euphorisiert, halb überfordert, aber um eine neue Erfahrung reicher. Und irgendwo in diesem absurden Bild – ein Minister, der die Kugel abfeuert und dabei Gesellschaftspolitik beschwört – liegt tatsächlich ein Kern Wahrheit: Vielleicht ist unsere Zeit nur noch durch Satire zu ertragen. Vielleicht sind Flipperautomaten die letzten Orte, an denen wir den Zufall als Freund akzeptieren. Vielleicht zeigt uns dieses Bild, worum es politisch längst geht: Nicht um perfekte Kontrolle, sondern darum, sich mit Stil durch Chaos zu manövrieren.

Und so bleibt uns am Ende nur ein Fazit: Wenn schon die Welt eine Maschine voller Bumper, Multiballs und blinkender Ablenkungen ist – dann sollten wir wenigstens die Fähigkeit kultivieren, darüber zu lachen. Oder, wie es der Minister getan hat: Uns hin und wieder einfach die Kugel geben.

Wir haben’s hinter uns

Postmigrantische Gesellschaft

In einer Ära, in der wir uns sprachlich offenbar nur noch rückwärts fortbewegen können, ist es kaum verwunderlich, dass sich die Vorsilbe post- als semantischer Zuchtmeister über die wackligen Konstruktionen öffentlicher Debatten erhebt. Kaum hat man sich an die Postmoderne gewöhnt, da sie schon in die Jahre kommt; kaum hat man die Postkolonialität korrekt buchstabiert, da wird sie in akademischen Mittelschichtrunden zu einem intellektuellen Haustier degradiert, das die Teilnehmer*innen bei Bedarf in den Schoß nehmen, um sich daran zu wärmen. Und nun also „postmigrantisch“, das neue Etikett, frisch gedruckt mit der Begeisterung eines sozialwissenschaftlichen Paketboten, der mal wieder vergessen hat, was eigentlich im Karton war.
Der Mensch von heute soll sich angeblich im postmigrantischen Zeitalter befinden, doch wer sich die Mühe macht, einen Blick in das gesellschaftliche Treppenhaus zu werfen, hört die Stimmen derjenigen, die diese Treppe überhaupt erst betreten wollten: Es knarzt, es ächzt, und manchmal bricht eine Stufe weg, wie ein pessimistischer Kommentar im Feuilleton. Postmigrantisch – als wäre Migration bereits erledigt, sauber archiviert, abgeheftet, und die Realität nickt höflich, obwohl sie nicht eingeladen war. Die Vorsilbe, die einst den Fortschritt signalisieren sollte, entlarvt sich selbst als Verlegenheitsgeste einer Gesellschaft, die ihre eigenen Begriffe nur noch ex post versteht.

Das Versprechen der Vorsilbe

Die Ironie besteht darin, dass dieses post- stets den Anspruch erhebt, etwas Überwundenes zu markieren, obwohl es ja gerade auf etwas verweist, das hartnäckiger ist als die Optimismusfloskeln politischer Sonntagsreden. Die Postmoderne war nie richtig modern, die Postkolonialität nie sauber entkolonialisiert, und nun behauptet das „postmigrantische“ Zeitalter standhaft, man hätte das Thema gesellschaftlich durchgespielt wie ein Strategiespiel auf leichtem Schwierigkeitsgrad.
In Wirklichkeit jedoch thront dieses post- wie eine schlecht gelaunte Grammatikgouvernante über einem Alltag, der sich um die Etiketten wenig schert. Menschen migrieren weiterhin, manche freiwillig, viele unfreiwillig, und selbst jene, die schon seit Generationen hier sind, gelten mancherorts – je nach Hautfarbe, Name oder Akzent – weiterhin als provisorische Gäste im eigenen Land. Wer hier also etwas „postuliert“, postuliert vor allem sich selbst, dekoriert mit einem Begriff, der eher ein intellektuelles Schulterklopfen für Eingeweihte ist als eine Diagnose gesellschaftlicher Realität.

Der Etikettendruck als Ersatzhandlung

In einem bemerkenswerten Akt kollektiver Selbstüberschätzung glaubt man heutzutage, eine Gesellschaft ließe sich durch sprachliche Präfixe wie Möbelkataloge ordnen. Postmigrantisch – das klingt nach Fortschritt, nach einem Zustand, in dem alles Unangenehme längst überwunden wurde, ein Versuch, Komplexität mit der Präzision einer Büroklammer zu bändigen.
Doch der Etikettendruck dient letztlich als Ersatzhandlung: Man kann sich mit einem Wort schmücken, anstatt sich mit den darin enthaltenen Realitäten auseinanderzusetzen. So entsteht eine intellektuelle Selbstberuhigungspraxis, die zwar semantisch kunstvoll erscheint, aber praktisch ebenso leer ist wie die Motivationssprüche in Großraumbüros. Man druckt, deklariert, versieht mit Präfixen – und hofft, dass die Welt dem Beispiel folgt. Sie folgt nicht. Sie hat Besseres zu tun.

Die Polemik der Selbsttäuschung

Es wäre falsch zu behaupten, der Begriff sei völlig nutzlos. In akademischen Dialogen entfaltet er eine gewisse Eleganz, er schwingt mit jenem leichten Hauch des Fortschritts, den man gern im Seminarraum inhalieren möchte. Doch sobald man damit versucht, die Realität zu sortieren, verwandelt er sich in einen sprachlichen Taschenspielertrick: Man behauptet eine nachmigrantische Phase, während man gleichzeitig den Menschen, die angeblich „post“ sind, im Alltag immer wieder signalisiert, dass sie es nicht sind.
Hier offenbart sich die wahre Polemik: Nicht die Gesellschaft ist postmigrantisch, sondern die Geduld derjenigen, die das immer wieder hören müssen. Die Zynik liegt nicht im Begriff selbst, sondern in seinem Gebrauch, in der unbewussten Arroganz einer Gesellschaft, die Probleme für gelöst erklärt, sobald sie einen akademisch ausreichend klingenden Namen haben.

Ein augenzwinkerndes Resümee

Vielleicht sollten wir, statt ständig neue Prefixe zu erfinden, einmal innehalten und fragen, wozu wir diese Begriffe überhaupt benötigen. Sie geben uns das wohlige Gefühl, auf einem intellektuellen Hochplateau zu stehen, während wir in Wahrheit über einen semantischen Abgrund balancieren.
„Postmigrantisch“ ist im besten Fall eine Hoffnung, im schlechtesten eine Selbsttäuschung. Eine Gesellschaft, die glaubt, Migration ließe sich durch ein post- rückstandslos wegdefinieren, verhält sich wie jemand, der den Wecker früher stellt, um zu glauben, er habe mehr geschlafen.
Doch vielleicht liegt im Begriff wenigstens ein kleines Fünkchen Humor: In seinem unbeabsichtigten Geständnis, dass wir uns selbst oft nicht mehr ernst nehmen können. Und vielleicht liegt in diesem Lächeln die eigentliche Chance. Denn eine Gesellschaft, die über ihre eigenen Etiketten lachen kann, ist zumindest ein Stück weit auf dem Weg – vielleicht nicht post-irgendwas, aber immerhin: angekommen in der Realität.

Österreichs Winterschlaf

Schiefergas: Der Schatz, den wir nie wollten

Man stelle sich vor: Unter den sanften Hügeln des niederösterreichischen Weinviertels lagert ein Schatz, größer als so mancher Finanzplan der Republik, mächtiger als die Sommerhitze in Poysdorf, gefährlicher nur für die Faulheit der politischen Entscheidungsträger. Fast drei Jahrzehnte könnte dieses Schiefergas Österreich nahezu autark mit Energie versorgen – und dennoch starren wir mit zitternden Fingern auf die Heizkörper, während die EU-Gaspreise in schwindelerregende Höhen klettern. Es ist die Ironie par excellence: Ein Land, das so stolz auf seine Weine und seine „grüne Seele“ ist, könnte seine Bürger nun frierend durch den Winter schicken – und das alles, weil jemand vor zehn Jahren beschlossen hat, lieber auf dem moralischen Pedestal der Ökologie zu reiten, anstatt pragmatisch zu handeln.

Die Montanuniversität Leoben hatte damals bereits die Lösung parat: Wasser, Stärke, Sand – nichts, was die Umwelt ernsthaft bedroht – und das Gas fließt aus dem Gestein wie Wein aus einem frisch entkorkten Fass. Aber nein, die Bürgerinitiativen „Risiko Gas“ und „Schiefes Gas“ standen wie eine Horde mittelalterlicher Drachenritter vor dem Schatz und brüllten „Halt! Nicht mit uns!“ Landesrat Karl Wilfing, zufälligerweise langjähriger Bürgermeister von Poysdorf und zufälligerweise ein Mann, dessen politisches Karma sich wohl auf das Wohl seiner Gemeinde konzentrierte, nickte zustimmend. Das Resultat: Die OMV gab 2013 auf, die Gasgewinnung wurde eingestellt – und die Winterheizungen der Österreicher warten seither auf ein Wunder, das nie kam.

Fracking mit Zitronensaft? Österreichs alternative Realität

Natürlich, es geht hier nicht um eine simple Ölkatastrophe oder die traditionelle Fracking-Paranoia, die man gerne mit schaurigen Bildern von vergiftetem Trinkwasser und glühenden Kühen illustriert. Die Methode der Leobener Wissenschaftler war sauber, fast schon liebevoll zur Natur, ein Hightech-Ballett der Chemie, das Gas aus der Tiefe lockte, ohne sie zu zerstören. Man könnte fast meinen, die Wissenschaft habe die Politik überlistet, nur um dann selbst vor einer Wand aus bürokratischer Ignoranz zu stehen. Stattdessen importiert die EU heute Flüssiggas aus aller Welt, geliefert von  Tankschiffe voll von Schweröl, das die Atmosphäre wie einen undurchsichtigen Schleier überzieht. USA, Katar, Nigeria, Russland – wir begrüßen euch alle mit offenen Häfen und roten Rechnungen.

Wenn man es nüchtern betrachtet, wäre die Rechnung simpel: Hätte man die OMV arbeiten lassen, wäre Österreich seit 2020 unabhängig von russischem Gas gewesen. Seit 2020! Stattdessen fahren wir nun panisch in die Tankstellen der Welt, während die politischen Entscheidungsträger fröhlich diskutieren, ob ein Windrad vielleicht doch zu laut ist. Die Kluft zwischen rationaler Notwendigkeit und politischem Handeln könnte man kaum satirischer inszenieren – und genau das passiert, wenn man die Verantwortung mit einem Lächeln auf das nächste Jahrzehnt verschiebt.

Der Winter der zögerlichen Herzen

Jetzt stehen wir also da, zitternd vor Heizkörpern, während der Winter kommt. Es ist ein Winter der Absurditäten, der politischen Theaterkunst und der Verzögerungskunst. Österreich könnte seine Gasversorgung aus dem eigenen Boden sichern, aber nein – lieber lassen wir uns von fremden Staaten die Energiekosten diktieren, unterzeichnen Vertragswerke, die uns in endlosen Zahlungsstrudeln halten, und warten darauf, dass der nächste Sommer vielleicht die politische Courage zurückbringt. Die österreichische Energiepolitik ist ein Drama in drei Akten: Verleugnung, Verweigerung, Verzweiflung.

Und während wir frierend im Kerzenschein sitzen, könnte man beinahe den Humor in der Tragödie erkennen: Österreich, das Land der Präzision, der Ingenieure, der Forscher, lässt sich von Bürgerinitiativen, alten politischen Ambitionen und einem Übermaß an moralischer Empfindlichkeit in eine Lage manövrieren, die einem kafkaesken Wintermärchen würdig wäre. Vielleicht lachen wir später darüber, wenn wir nicht mehr zittern. Oder wir zittern weiter, während wir darüber lachen – eine wirklich heimische Mischung aus Schauer, Satire und Schiefergas, das wir nie hatten.

Vom ewigen Wahn der Russland-Besessenheit

Es gibt historische Konstanten, die sich so zuverlässig durch die Jahrhunderte ziehen wie das Unvermögen politischer Eliten, Landkarten korrekt zu interpretieren. Unter diesen Konstanten ragt eine besonders spektakuläre hervor: die Wahnidee, man könne Russland – dieses geographische Mammut, diese klimatische Trotzburg, dieses historische Sediment aus Völkern, Tragödien und Schneestürmen – mit militärischen Mitteln bezwingen. Napoleon, Kaiser Wilhelm und Hitler haben diese fixe Idee nicht nur kultiviert, sie haben sie regelrecht romantisiert, als gäbe es irgendwo im sibirischen Frost einen geheimen Level, dessen Abschluss man mit Ruhm, Ehre und einer lebenslangen Mitgliedschaft im Pantheon der Weltbeherrscher belohnt würde.
Dass am Ende statt Ruhm vor allem matschige Rückzugswege, erfrierende Truppen und chronische Realitätsverweigerung standen, wäre eine eher harmlose Pointe – wären da nicht die Millionen Toten, die aus dieser kollektiven Paranoia hervorgegangen sind. Es ist geradezu erschütternd-poetisch, wie dieselbe Geschichte immer wieder neu erzählt wird: erst der Größenwahn, dann der Winter, dann das Grauen. Ein Reigen destruktiver Selbstüberschätzung, choreografiert von Männern, die glaubten, historische Sondereditionen ihrer eigenen Person zu sein, während sie in Wahrheit nur den alten Fehlern eine neue Uniform überstreiften.

Die groteske Faszination des Größenwahns

Denn was treibt Menschen, die ohnehin schon bis obenhin mit Macht gefüttert sind, dazu, sich ein Territorium auszusuchen, das weder willig, noch warm, noch wirtschaftlich einladend ist, und es mit Inbrunst zur Arena ihrer Selbstverwirklichung zu erklären? War es der Glaube an eine „Mission“? Ein heroischer Drang? Oder schlicht der alte Irrtum, dass sich Landnahme genauso leicht ausbreiten lässt wie politisch aufblasbare Egos?
Napoleon marschierte mit jener eleganten Arroganz los, mit der man sonst nur Pasteten serviert und Hofdamen anlächelt. Wilhelm II. hingegen kombinierte seinen strategischen Eifer mit einer Schelmenhaftigkeit, die beinahe liebenswert wäre – hätte sie nicht den halben Kontinent ins Verderben gestoßen. Hitler schließlich, berauscht von rassistischer Mythenproduktion und kriegsfantastischen Visionen, glaubte, der russische Boden werde unter seiner Stiefelspitze gefügig wie ein dressierter Hund. Doch Russland ist kein Hund. Russland ist ein Bär, der im Winter schläft und im Sommer beißt, und wer ihn wecken will, sollte wenigstens Handschuhe tragen, keine Ideologien.

Die Rechenfehler der Selbstherrlichkeit

Alle drei waren vereint in einer einzigen grandiosen Fehleinschätzung: Sie verwechselten Landmasse mit Schwäche, Klima mit Kulisse, und einen vielschichtigen Staat mit einer Art Herausforderungeniveau für militärische Selbstdarsteller. Es ist verblüffend, wie konsequent sie ignorierten, dass Russland historisch immer am stärksten war, wenn es am verwundbarsten wirkte. Die Größe, die Kälte, die Unwegsamkeit—sie sind keine Hindernisse, sondern strategische Mitspieler.
Doch wie das so ist mit Männern, die von sich selbst beeindruckt sind: Die Realität hat gegen die eigene Legende kaum eine Chance. Also marschierten sie los, mit glänzenden Stiefeln, polierten Ambitionen und einer Naivität, die man fast rührend nennen könnte, wäre sie nicht tödlich gewesen. Und dann, als die Truppen erfroren, die Versorgung zusammenbrach, die Offiziere verzweifelten und die Karten nicht mehr weiterhelfen konnten, blieb nichts zurück außer Stille, Schnee und das Echo der eigenen Selbstüberschätzung.

Die ewige Wiederkehr der Torheit

Und nun stehen wir in der Gegenwart, beobachten neue Konflikte, neue politische Muskelspiele, neue „strategische Überlegungen“ und fragen uns, ob die Menschheit irgendwo zwischen den Seiten der Geschichte einen wesentlichen Absatz übersehen hat. Man möchte meinen, dass die monumentalen Niederlagen der Vergangenheit als eindringliche Warnung dienen, doch offenbar hat das Gedächtnis der politischen Klasse die Haltbarkeit von Joghurt außerhalb des Kühlschranks.
Es ist erschreckend, wie wenig aus der Geschichte gelernt wurde – oder wie gern man sie selektiv betrachtet, als wäre sie ein Buffet, bei dem man sich nur die moralisch angenehmsten Häppchen aussucht. Und so bleibt die wiederkehrende Versuchung bestehen, Konflikte nicht zu entschärfen, sondern zu entfachen, nicht zu verhandeln, sondern zu eskalieren. Die Namen ändern sich, die Muster kaum. Und hinter jedem neuen Schritt ins Verderben lauert die alte Erkenntnis: Nichts ist gefährlicher als Menschen, die glauben, ihr persönlicher Wille habe die Kraft, geostrategische Realitäten umzuschreiben.

Kriegstreiber gehören ins Irrenhaus – ein satirischer Stoßseufzer

Wenn man also mit einem Anflug von zynischem Humor bilanziert, drängt sich die Feststellung auf, dass jene, die aus Machtgier, Hybris oder paranoiden Fantasien Kriege anzetteln, weniger politische Visionäre als vielmehr tragikomische Figuren sind. Figuren, die in jeder besser geführten Gesellschaft nicht an den Schalthebeln der Macht, sondern in sicherer Obhut psychologischer Fachkräfte landen würden.
Natürlich ist dies kein juristischer Vorschlag, keine realpolitische Forderung, sondern eine satirische Verdichtung dessen, was die Geschichte uns mit erschütternder Konsequenz zeigt: Kriegstreiberei ist kein Zeichen von Stärke, sondern von geistiger Verwahrlosung. Wer glaubt, Kriege lösten Probleme, gehört eher auf die Couch als an die Macht. Wer Menschenleben kalkuliert wie Schachfiguren, offenbart weniger strategisches Genie als eine moralische Deformation, die man nur noch mit Spott ertragen kann.
Und wenn wir—mit einem Augenzwinkern, versteht sich – rufen: „Kriegstreiber gehören ins Irrenhaus!“, dann ist das nicht die Forderung nach Internierung, sondern der müde, schwarze Humor einer Menschheit, die langsam begreift, dass der Wahnsinn nicht in denen liegt, die unter Kriegen leiden, sondern in denen, die sie beginnen.

Ein letzter Blick in die frostige Weite

Vielleicht ist es an der Zeit, die alten Muster endlich zu durchbrechen, bevor die Menschheit sich erneut in einen gigantischen geopolitischen Schneesturm verläuft. Vielleicht sollten wir akzeptieren, dass Größe nicht in Territorialfantasien liegt, sondern im Verzicht auf sie. Und vielleicht, nur vielleicht, wäre die Welt ein wenig vernünftiger, wenn wir nicht mehr jenen lauschten, die mit Sturm in der Stimme und Leere im Kopf auftreten.
Bis dahin bleibt uns nur der Trost der Satire, die bittere Wahrheit in scharfe Formulierungen zu gießen und zu hoffen, dass das Lachen über die Absurdität des Krieges irgendwann lauter ist als das Dröhnen der Waffen.

Der Flüchtlingsstatus, der nicht sterben wollte

Es gibt Tage, an denen man den Verdacht hegt, dass die Weltgeschichte von einem übernächtigten Büroangestellten geführt wird, der seine Akten im Halbdunkel eines Kellergeschosses sortiert, während er aus einem halbverstopften Thermobecher kalten Kaffee trinkt. Man hört förmlich, wie der Großarchivar des Universums durch vergilbte Register blättert und mit dem gelangweilten Seufzen eines Beamten nach Feierabend feststellt: „Ach herrje, diese Vertriebenen aus Schlesien, Ostpreußen, Sudetenland – die tun wir mal in den Ordner Erledigt. Die kriegen keinen Sonderstatus, die müssen sich irgendwie selbst regenerieren.“ Und dann, mit einer Mischung aus kosmischem Fatalismus und bürokratischer Kreativität, nimmt der Archivar eine andere Akte, klopft den Staub ab, betrachtet den Inhalt und entscheidet: „Hier machen wir mal eine Ausnahme. Eine einzige. Für immer. Ohne Ablaufdatum. Weil – warum nicht?“

Hier beginnt die Groteske.

In einer Welt, in der nichts Bestand hat – weder Ehen, noch Ideologien, schon gar nicht Druckerpatronen – existiert ein Status, der sturer ist als ein antiker Felsblock und langlebiger als das Durchschnittspolitiker-Versprechen vor der Wahl. Die deutschen Vertriebenen wurden nach 1945 behandelt wie Menschen, denen man einen Stempel aufdrückt und dann höflich bittet, doch bitte möglichst rasch im gesellschaftlichen Maschinenraum zu verschwinden, damit niemand länger darüber nachdenken muss. Integration nicht als humanes Ideal, sondern als eine Art absurdes Leistungspaket: Willkommen, bitte auspacken, neu anfangen, Klappe zu, Thema abgehakt.

Doch an anderer Stelle der Welt entschied die internationale Bürokratie – offenbar im Zustand einer metaphysischen Übermüdung –, dass ein Flüchtlingsstatus nicht etwa eine persönliche Katastrophe sei, sondern ein vererbbares Artefakt, ein genealogischer Ritus, ein bürokratischer Familienschmuck, der wie ein historisches Monstrum durch Generationen geistert. Nicht aus Bösartigkeit, sondern aus jener eigentümlichen Mischung aus Moral, Diplomatie, politischer Starre und weltweiter Überforderung, die aussieht, als habe Kafka persönlich den Leitfaden formuliert und dann in die Hände der UNO gelegt.

Wie man ein Problem konserviert wie eingelegte Artischocken

Stellt euch einen Konferenzraum vor, in dem die internationale Gemeinschaft sitzt wie eine Herde übermüdeter Intellektueller, die sich in ihre eigenen Formulierungen verstricken. Man diskutiert, ringt, würgt sprachliche Strukturen hervor, die derart umständlich sind, dass sie nur entstehen können, wenn 20 Staaten sich gegenseitig höflich nicht widersprechen wollen. Und in diesem Moment der globalen Sprachverwurstelung entsteht eine Sonderregelung, die so einzigartig ist, dass sie eigentlich mit einem „Bitte nicht nachmachen“-Warnhinweis versehen werden müsste.

Die historischen deutschen Vertriebenen? Eingegliedert, statistisch erfasst, abgeheftet wie alte Meldekarten.
Die Palästinenser? Ein politisches Kontinuum, das langlebiger ist als manche Staatsform, das vom Völkerrecht wie ein kostbares, aber unhandliches Relikt unter Glas gehalten wird – nicht gelöst, sondern konserviert. Nicht vergessen, aber auch nicht befriedet. Ein Paradigma des Hängenlassens, das gleichermaßen Empathie, Tragik und politisches Versagen offenbart.

Die Komödie der internationalen Prinzipien

Man möchte fast lachen, wenn man nicht wüsste, wie wenig komisch das alles in der Realität ist: Die Welt erfindet für eine Gruppe eine Regelung, die in keinem anderen Fall jemals angewendet wurde und vermutlich nie wieder angewendet werden wird. Wie ein Theaterstück, in dem alle Beteiligten zwar wissen, dass der Vorhang längst hätte fallen sollen, aber der Inspizient schläft und niemand sich traut, die Szene zu beenden.

Die Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten wurden nach wenigen Jahren als „integriert“ deklariert – ein Wort, das in seiner nüchternen Brutalität eine ganze Epoche zusammenfasst. Die palästinensische Flüchtlingsfrage hingegen wurde ins Regal der dauerhaften globalen Probleme gestellt, gleich neben „Nahostkonflikt“, „Nordirland (alt)“, „Klimawandel“ und „Steuerreform“.

Und die Bürokratie? Sie schaut mit dem unbewegten Gesichtsausdruck einer Sphinx zu und sagt: „Tja. So ist das jetzt.“

Schlussbild eines absurden Welttheaters

Am Ende bleibt eine Erkenntnis, die so bitter wie ironisch ist: Die Menschheit behandelt ihre Katastrophen nicht nach Prinzipien, sondern nach historischen Zufällen, politischem Druck, internationalen Empfindlichkeiten und der konzilianten Ineffizienz riesiger Institutionen, die Probleme länger konservieren als Gurkengläser im Vorratsschrank einer schwäbischen Großmutter.

Dass die einen ihren Flüchtlingsstatus nicht weitergeben konnten, während andere ihn bis heute vererben – das ist kein moralisches Urteil über Menschen, sondern ein absurdes Monument der Weltpolitik, eine Skulptur aus Ambivalenz, Widerspruch und Weltüberforderung. Eine Tragödie mit komischen Einsprengseln. Ein groteskes Erbstück unserer kollektiven Unfähigkeit, Konflikte zu lösen, statt sie für kommende Generationen einzulagern wie besonders schwierige Winterreifen.

Die Ästhetik der Transparenz

Politiker im Sponsorengewand

Man stelle sich die Szene vor: Der Bundestag, sonst ein Hort feiner Rhetorik, endloser Debatten und der kunstvollen Demonstration von Kompetenz, verwandelt sich über Nacht in eine Art sportliche Arena. Nicht die Macht, nicht die Ideale, nicht das angebliche Streben nach Gemeinwohl stehen im Vordergrund – sondern die glänzenden Logos auf der Brust des Abgeordneten. Volkswagen neben der Lippe des Finanzministers, Bayer druckfrisch auf der Krawatte der Landwirtschaftsbeauftragten, die berühmte „Red Bull“-Farbpalette, die unverkennbar auf der Rückseite des SPD-Vorsitzenden leuchtet. Plötzlich ist alles viel einfacher zu verstehen: Wer gesponsert wird, für den spricht die Stimme des Geldes. Keine diffusen Andeutungen über „wirtschaftliche Vernunft“ mehr, keine abstrakten Begriffe wie „soziale Gerechtigkeit“, sondern nackte, klare Symbolik. Die politische Debatte würde so schrill und doch so erhellend sein wie ein Bundesliga-Spiel: rot für die Gegner, blau für die Verbündeten, grün für jene, die vermutlich auf den Lobbyisten-Parkplätzen parken.

Sponsoren als moralische Kompassnadel

Man könnte einwenden, dass die Politik so banalisiert würde, dass man nur noch auf die Logos starren müsse. Aber genau darin liegt die sublime Genialität des Gedankens: Die Gesellschaft wird zum Kommentar, die moralische Korruption zu einer Modefrage. Ein Politiker, der Nike trägt, kann gar nicht anders, als sich für Dynamik und Sieg zu entscheiden. Ein anderer, der Aldi auf der Brust trägt, ist automatisch ein Experte für Preisstrategie und Rabattpolitik. Die Bürger müssten nicht mehr auf wackelige Versprechen achten – sie würden den Sponsor lesen, wie ein aufklappbares Menü in einem Fast-Food-Restaurant. Jeder Wahlkampf wird damit zur kommerziellen Kunstinstallation, jeder Gesetzesentwurf zum Produktplacement. Schließlich ist es doch einfacher, die Politik zu verstehen, wenn man weiß, dass der Mann, der über unsere Steuern entscheidet, sich offensichtlich für Biermarken interessiert, die er später in seinem Kabinett diskutiert.

Die Tragik der fehlenden Logos

Natürlich gibt es Risiken. Politiker könnten, wie Fußballer auf dem Spielfeld, von Sponsoren gelenkt werden. Man stelle sich die Katastrophe vor: Ein Abgeordneter, der auf einmal aufhört, CDU zu tragen, weil er plötzlich auf Tesla umschwenkt. Skandale, Intrigen, Parteiaustritte – das volle politische Drama, nur diesmal in glitzernder Polyester-Uniform. Aber auch hier liegt die Chance: Endlich könnte man die Tragik und Komplexität der Demokratie mit einem einzigen Blick erfassen. Wer sein Geld von wem bekommt, der sagt automatisch alles über seine politischen Prioritäten aus. Die Transparenz würde triumphieren – und jeder wüsste, dass die Debatte um ökologische Nachhaltigkeit bei einem Bierbrauer eher spärlich ausfallen würde.

Humor als letzte Rettung

Und doch, bei aller Polemik, sollte man den Augenzwinkereffekt nicht vergessen. Politiker in Sponsorendressen sind nicht nur ein Lehrstück in Ironie, sondern eine Einladung, die Absurditäten des politischen Systems zu betrachten. Schließlich geht es nicht darum, das System endgültig zu zerstören, sondern es auf eine Art zu sezieren, die so offensichtlich ist, dass man fast lachen muss. Der Wähler, der sich plötzlich an den Logos orientiert, wird zum Beobachter eines Spiels, das grotesk, humorvoll und erschreckend zugleich ist. Und in diesem Spiel gilt die alte Regel: Wer lacht, versteht. Wer versteht, wählt vielleicht klüger – oder zumindest unterhaltsamer.

Epilog der Aufklärung

Am Ende bleibt die Frage: Warum sind Politiker eigentlich die einzigen, die immer noch glauben, dass Ideale ohne Logo funktionieren? Vielleicht, weil wir noch nicht mutig genug sind, die Welt in ihren wahren Farben zu sehen. Vielleicht, weil wir die Tragikomödie lieben, die Demokratie nun einmal ist. Aber eines ist sicher: Würden sie Sponsorendressen tragen, könnte niemand mehr behaupten, Politik sei schwer verständlich. Die Wahrheit, wie in der Werbung, läge offen vor uns, grell und unmissverständlich – und wir könnten endlich wieder lachen, während wir staunend die Logos zählen, die über das Schicksal unserer Nation entscheiden.

Die russische Rakete am Rio Grande

Zwischen Alarmismus und Realpolitik

Man stelle sich, nur für einen kurzen, fiebrigen Moment, vor, die Russische Föderation würde ein paar ihrer herrlich bedrohlich glänzenden Interkontinentalraketen auf amerikanischem Boden, sagen wir in den endlosen, sonnengereizten Weiten der texanisch-mexikanischen Grenzregion, stationieren. Schon der bloße Gedanke lässt das Herz eines durchschnittlichen Washingtoner Sicherheitsstrategen schneller schlagen und seine Feder zittern. Natürlich würden die Politiker – in der perfekten Mischung aus Panik und Kalkül – sofort Alarm schlagen, während die Medien mit einer Mischung aus apokalyptischem Grauen und satirischer Überhöhung berichten würden, dass die Freiheit selbst nun unter Beschuss steht. Man kann sich förmlich vorstellen, wie CNN in einer endlosen Schleife über „Putins neueste Provokation“ berichtet, während Fox News die Gefahr in epischen, patriotisch aufgeladenen Bildern dramatisiert, die selbst Hollywood neidisch machen würden. Die rhetorische Salve wäre schon abgeschossen, noch bevor die erste russische Rakete überhaupt gezündet wurde.

Die politische Reaktion Washingtons würde wahrscheinlich ein buntes Potpourri aus alten Ritualen der Machtdemonstration sein: Man könnte Truppen verlegen, Sanktionen ausrufen, das Telefonkabel nach Moskau heißlaufen lassen, Drohungen formulieren, die diplomatisch wie im Kindergarten klingen – „Wenn ihr nur eine Rakete auf unser Territorium richtet, werden wir sofort handeln!“, und gleichzeitig würde man in sicherheitsstrategischen Backrooms mit einem Repertoire an Szenarien jonglieren, das selbst den schlimmsten Hollywood-Schreibern als Plot für eine Mega-Serie zu absurd wäre. Es ist das klassische Schauspiel der Übertreibung: Man fürchtet das Undenkbare, weil man nicht begreifen kann, dass die Realität häufig eine wesentlich pragmatischere, weniger theatralische Wendung nehmen würde.

Spiegelung im globalen Maßstab: Lektionen aus dem Südpazifik

Wenn man nun einen Schritt zurücktritt, fällt einem die nicht ganz unähnliche Situation der Salomonen ein. 2022 warnten die USA diese Inselstaaten vor einem Sicherheitsabkommen mit China, da dort eine militärische Expansion vermutet wurde. Die implizite Botschaft ist klar: „Wir kontrollieren die Weltkarte, und wer auf unserer Landkarte einen Schritt tut, wird sofort getadelt.“ Die Parallele zu unserem hypothetischen Raketen-Szenario ist unübersehbar. Es geht nicht um unmittelbare militärische Notwendigkeit, sondern um symbolische Machtprojektion. Russland an der Grenze der USA – das wäre nicht nur ein strategischer Albtraum, sondern vor allem ein narrativeres Spektakel, das die amerikanische Vorstellung von geographischer Immunität und technologischem Überlegenheitsgefühl in Frage stellen würde.

Man kann sich das populistische Echo vorstellen: Talkshows, in denen Experten mit ernsten Gesichtern die Temperaturkurve von Atomraketen erklären, während Cartoon-artige Grafiken russischer Soldaten am Tex-Mex-Grenzzaun aufleuchten. Gleichzeitig würde die politische Elite rhetorisch in die Luft jagen, was an absurden Superlativen nur noch schwer zu übertreffen wäre. Der Populismus würde tanzen, die Diplomatie taumeln und die strategische Rationalität, ohnehin schon ein scheues Reh, würde sich irgendwo in einem unsichtbaren Wald verstecken.

Humor, Zynismus und die menschliche Hybris

Und hier liegt das wahre Vergnügen in der Vorstellung: die amerikanische Hybris trifft auf russische Provokation, während die Realität vermutlich nur einen halben Tritt auf das Schienbein der diplomatischen Protokolle bedeuten würde. Man kann sich vorstellen, wie Politiker auf beiden Seiten mit stoischer Miene kleine Machtdemonstrationen abhalten, während die Raketen, diese in Metall und Sprengstoff gegossenen Symbole der Angst, stoisch und ungerührt auf ihren Start warten. Alles Theater, alles Inszenierung, alles potentielle Schlagzeilenmaterial. Der Mensch neigt zur Überdramatisierung, und kein Land tut dies mit größerer Virtuosität als die USA, wenn es um territoriale Bedrohung geht, selbst wenn diese nur hypothetisch existiert.

Fazit: Die Macht der Vorstellung

Letztlich zeigt die Vorstellung von russischen Raketen am Rio Grande etwas über die politischen Reflexe moderner Supermächte: Sie reagieren nicht nur auf das, was ist, sondern vor allem auf das, was sie sich vorstellen könnten. Diese mentale Expansion, die Hybris, das theaterhafte Schauspiel – all dies ist eine wertvolle Linse, um das Verhalten auf der globalen Bühne zu verstehen. Die Salomonen, der Südpazifik, der hypothetische texanisch-russische Konflikt – sie alle erzählen dieselbe Geschichte: Macht wird performativ, Angst wird kommerzialisiert, und die Weltpolitik bleibt ein endloses, manchmal zynisch-komisches Theater, das von uns allen, bewusst oder unbewusst, täglich besucht wird.

Die symbiotische Liaison der deutschen Industrie

Es ist eine wahre Freude, den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius dabei zu beobachten, wie er mit der unerschütterlichen Eleganz eines Beamten im Hochsommer die altehrwürdige Trennung zwischen Rüstungs- und ziviler Industrie in Stücke zerschlägt. Man könnte fast glauben, hier stehe ein moderner Prometheus, der nicht das Feuer, sondern gleich die gesamte industrielle Ethik aus den Fugen hebt. Die Vorstellung, dass ein Land, dessen industrielle Landschaft traditionell in penibel voneinander getrennten Kanälen operiert, nun plötzlich in einer Art militärisch-industriellen Ehegemeinschaft zusammenfinden soll, ist gleichermaßen faszinierend wie beängstigend. Pistorius’ Argumentation ist dabei so subtil wie ein Panzer in der Innenstadt: Warum sollten wir uns die Mühe machen, zivile Produkte von tödlichen Wundermaschinen zu trennen, wenn man doch alles auf einem Fließband zusammenschustern kann? Schließlich, so verkündet er, sei die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ein Ziel, das jede zarte Rücksicht auf wirtschaftliche Moral übertrumpft.

Produktionseuphorie in Zeiten geopolitischer Dramaturgie

Die Logik, die Pistorius verfolgt, erinnert an den Sturm der Moderne auf die mittelalterliche Burg der Bürokratie: Wenn die Bedrohung – in diesem Fall Russland – schneller kommt, als man die passende Schraube zur Hand hat, dann muss die Rüstungsindustrie eben lernen, auch zivile Fertigungsstraßen in Rekordzeit in Panzer- oder Drohnenmanufakturen umzuwandeln. Die Vorstellung, dass Politik und Industrie in einem heiligen Pakt die Verteidigungsfähigkeit synchronisieren, wirkt wie ein Theaterstück, in dem Regisseur und Schauspieler sich gegenseitig versichern müssen, dass sie schon rechtzeitig aufeinander reagieren werden, während das Publikum, sprich die Bevölkerung, den Applaus verweigert. Pistorius fordert die Erhöhung der Produktionskapazitäten, und man spürt beinahe den Schweiß der Ingenieure, die nun ihre Kaffeemaschinen beiseite schieben müssen, um an der nächsten Generation von Panzergetrieben zu werkeln.

Die politische Choreographie des „Wir-halten-uns-an-Vereinbarungen“-Tanzes

Besonders charmant ist Pistorius’ insistierender Hinweis, dass die Politik ja ihren Teil der Verabredung einzuhalten habe. Es ist, als hätte er die parlamentarische Mechanik auf das Niveau eines feierlichen Händeschüttelns reduziert: „Ihr liefert die Budgets, wir liefern die Waffen, und alle tun so, als sei die Welt in Ordnung.“ Man erkennt darin eine subtile Form von politischem Zynismus, gepaart mit der stoischen Gelassenheit eines Mannes, der weiß, dass Worte wie „Verabredung“ und „Verpflichtung“ in Deutschland traditionell eher flexible Interpretationsspielräume genießen. Währenddessen kann man sich bildhaft vorstellen, wie in den Produktionshallen eine Mischung aus Ingenieurskunst, improvisierter Kreativität und mildem Verzweiflungsdrama herrscht, um den Anforderungen einer plötzlichen militärischen Dringlichkeit gerecht zu werden.

Die Illusion der unaufhaltsamen Effizienz

Abschließend könnte man sagen, dass Pistorius’ Vision die romantische Vorstellung einer perfekt orchestrierten militärisch-industriellen Symbiose beschwört, die so effizient ist, dass selbst die bürokratischen Winde der Hauptstadt sich harmonisch um die Fertigungsstraßen legen. Die Realität, versteht sich, wird vermutlich eine Mischung aus Improvisation, Überstunden und gelegentlichen Pannen sein, aber das tut der literarischen Schönheit seines Vortrags keinen Abbruch. Die satirische Pointe liegt in der Erkenntnis, dass man in Deutschland nun anscheinend glaubt, die Verteidigungsfähigkeit ließe sich durch einen simplen Schulterschluss zwischen Panzerwerkstatt und Kaffeetassenfabrik steigern, während die Bevölkerung draußen staunend die Hände über dem Kopf zusammenschlägt.

Wenn man es genau betrachtet, ist Pistorius’ Ansatz ein Spiegelbild unserer Zeit: schnelles Handeln, pragmatische Moral, elegante bürokratische Ignoranz – und eine gehörige Portion Humor, den man entweder sieht oder verzweifelt überhört.

Die Unsichtbaren der Geschichtsbücher

Massenexodus nach 1948

Man könnte meinen, die Welt habe ein bemerkenswert selektives Gedächtnis, das sich darin manifestiert, dass Millionen von Menschen, die gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, einfach so aus dem kollektiven Bewusstsein verschwinden – vorausgesetzt, sie tragen keine palästinensischen Fahnen oder lassen sich politisch instrumentalisieren. Über eine Million Juden flohen seit 1948 aus den arabischen Staaten und ab 1979 auch aus dem Iran, doch in den öffentlichen Debatten zum Nahen und Mittleren Osten tauchen sie nur dann auf, wenn es opportun erscheint. Die Pogrome in Oujda und Jérada 1948 oder der Farhud in Bagdad sind heute Anekdoten, die man höchstens in Fußnoten von Spezialhistorikern findet, während die Tatsache, dass Ende der 1930er-Jahre zwischen 25 und 30 Prozent der Bevölkerung Bagdads jüdisch waren – ein Anteil, der mit Warschau oder New York konkurrierte –, in den Schulbüchern Europas nicht mehr vorkommt. Ähnlich verschwindet die halbe Million Juden Nordafrikas vor 1948 wie Sand in der Wüste.

Der Exodus dieser Juden war umfassend, total und – man muss es wohl sagen – in der dramatischen Einfachheit seines Unrechts erstaunlich: Während die 700.000 Araber, die im Zuge der Staatsgründung Israels flohen, vor allem in Angst vor Krieg handelten, war die Flucht der Juden aus den arabischen Staaten weitgehend frei von unmittelbaren Kampfhandlungen. Es war kein Krieg, der sie trieb, sondern der Hass ihrer Nachbarn, gesetzlich legitimiert, moralisch gerechtfertigt oder schlicht opportunistisch praktiziert. Heute leben in den arabischen Ländern, aus denen einst Hunderttausende Juden stammten, nur noch Reste der einst blühenden Gemeinden: 2.000 von 250.000 in Marokko, 1.500 von 100.000 in Tunesien, weniger als 20 in Ägypten oder Irak – ein Bevölkerungssterben, das nicht durch Krieg, sondern durch Verachtung, Entrechtung und Vertreibung verursacht wurde.

Traditionen der Verachtung: Juden als Schutzbefohlene

Die Geschichte dieser Juden ist die Geschichte einer tolerierten Demütigung. Wer sich Illusionen über das Leben von Juden in islamischen Gesellschaften macht, sollte die Dhimma nicht romantisieren: Sie war kein Schutz, sondern ein Status der Unterwerfung, ein „toleriertes Leiden“. Von den Ritualmordbeschuldigungen im Osmanischen Reich bis hin zu blutigen Ausschreitungen in Tetuan, Bagdad oder Safed – die Gewalt gegen Juden in islamischen Gesellschaften war historisch verankert, wenn auch kontextualisiert durch religiöse Doktrinen und soziale Ordnungen. Die Radikalisierung des Antisemitismus im arabischen Raum des 20. Jahrhunderts – unterstützt durch nationalsozialistische Propaganda und ausgelöst durch die politische Selbstbehauptung von Juden – zeigt, dass Antisemitismus nicht erst nach 1948 entstand: Er war ein traditionsverankerter, ideologisch aufgeladener Reflex, der nur auf den passenden Funken wartete.

Intellektuelle wie Hassan al-Banna, Sayyid Qutb oder Malek Bennabi fanden im Hass auf Juden und Moderne eine willkommene Projektionsfläche: „Dies ist das Jahrhundert der Frau, des Juden und des Dollars.“ Es klingt fast schon wie ein antikes Meme, nur dass es Leben zerstörte. Der Antisemitismus in der arabischen Welt war kein Resultat des Zionismus; der Zionismus fungierte nur als Brennstoff für einen bereits vorhandenen Brand. Die „Schutzbefohlenen“ erhoben sich in Form des Staates Israel – und die arabische Welt reagierte nicht etwa differenziert, sondern kollektiv feindselig.

Israel: Auffanglager und Integrationslabor

Israel selbst stand 1948 vor der absurden Aufgabe, einem Exodus von historischer Dimension zu begegnen. Die Aufnahme von 260.000 Flüchtlingen aus arabischen Ländern und später Hunderttausenden weiteren Juden war kein einfaches logisches Unterfangen, sondern ein logistisch-politisches Mammutprojekt, das zwischen restriktiven Einwanderungsquoten und spektakulären Luftbrücken pendelte. Die Operation Fliegender Teppich oder die Aktionen Ezra und Nehemiah klingen wie Mythen der Moderne: Luftbrücken aus dem Jemen, über 120.000 Juden aus dem Irak – eine Mischung aus Wunderwerk und bürokratischer Zwangsläufigkeit.

Die Integration der Mizrahim in Israel verlief nicht ohne Reibung. Die europäischen Ashkenasim betrachteten ihre neuen Brüder aus dem arabischen Raum nicht selten mit demselben skeptischen Blick, den man heutzutage Historikern entgegenbringt, die über den Farhud schreiben. Zeltlager, Ma’aborot, Entwicklungsstädte – die arabisch-jüdischen Flüchtlinge wurden integriert, aber nicht ohne sozialen Druck, Bildungsdefizite und die ständige Erinnerung an verlorenes Eigentum: geschätzte 300 Milliarden Dollar an Werten, Konfiszierung von Hunderttausenden Quadratkilometern Land, als ob das Schicksal selbst beschließen wollte, dass Ungerechtigkeit multipliziert wird.

Unsichtbare Flüchtlinge, sichtbare Politik

Es ist fast grotesk, dass während über 170 UN-Resolutionen das Schicksal palästinensischer Flüchtlinge thematisiert wurde, niemand über die jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern sprach. Israel praktizierte stillschweigend einen Bevölkerungsaustausch: Man half den Juden, man erwartete von den Arabern, dass sie sich um die arabischen Flüchtlinge kümmerten. Kein Rückkehrrecht, keine internationalen Debatten, nur stille Integration und das subtile politische Verschwinden einer ganzen Bevölkerungsgruppe aus dem kollektiven Gedächtnis der Weltöffentlichkeit.

Ein Funken Hoffnung: Historische Reflexion und Versöhnung

Doch Geschichte ist kein statisches Monument. Die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien, die offiziellen Beziehungen zu den Emiraten, Bahrain, Oman, Marokko und Sudan zeigen, dass Aussöhnung möglich ist. Dass dabei eine leise Renaissance jüdischen Lebens in Bahrein und die Abschwächung antisemitischer Propaganda in Saudi-Arabien stattfinden, mag klein wirken – aber jeder Schritt beginnt mit der Anerkennung von Geschichte. Die Reflexion über Diskriminierung, Verfolgung und Flucht der Juden aus den arabischen Ländern könnte zu einem realistischeren Verständnis des Zionismus führen und einen Beitrag zu zukünftiger Friedensarbeit im Nahen Osten leisten.

Denn am Ende ist die Geschichte dieser unsichtbaren Flüchtlinge eine Geschichte von Resilienz, Überleben und Integration – und vielleicht, nur vielleicht, auch ein Lehrstück darüber, wie selektive Erinnerung die Weltpolitik formt, während Millionen von Schicksalen still unter dem Teppich der Geschichte verschwinden.

Die moderne RAF 2.0

Man muss Gabriele von Lutzau zuhören, wenn sie spricht. Nicht, weil ihre Worte sanftmütig oder vorsichtig wären, sondern genau weil sie es nicht sind. Diese Frau kennt das Grauen der Gewalt aus nächster Nähe, und ihre Warnungen tragen ein Gewicht, das selbst die lautesten Debatten um Cancel Culture und Identitätspolitik nicht einmal annähernd erreichen. Die ehemalige Lufthansa-Stewardess, die 1977 als „Engel von Mogadischu“ weltberühmt wurde, als sie während der Entführung der „Landshut“ kühlen Kopf bewahrte, blickt heute auf eine Republik, die scheinbar die Erinnerung an jene Schrecken verschwinden lassen möchte – oder, schlimmer noch, sie als historischen Ballast betrachtet, der ideologisch umgedeutet werden darf. Von Lutzau spricht von der „RAF 2.0“, und ja, man muss ihr zuhören, auch wenn man sich dabei unweigerlich im Spiegel eines paradoxen und zutiefst absurden politischen Spiels erkennt: Der Staat, so warnt sie, finanziert die neue Generation linker Radikalisierung als NGO. Stellen Sie sich dieses Bild ruhig einmal vor: Steuergelder fließen in Projekte, die in mildem Licht den Idealismus feiern, in Wahrheit aber Strukturen fördern, die irgendwann – in irgendeiner Form – die gleiche Gewaltbereitschaft kultivieren könnten, die einst Menschen wie von Lutzau selbst in Lebensgefahr brachte.

Die poetische Ironie staatlicher Förderung

Man könnte sich kaum eine zynischere Ironie vorstellen: Ein Staat, der einst verzweifelt versuchte, den Terror der RAF zu zähmen, spendet heute Millionenbeträge an NGOs, die genau die narrative Substanz von damals wiederbeleben, nur diesmal in zivilgesellschaftlicher Verpackung. Die Worte „Demokratie leben“ klingen gut, manch einer mag beim Gedanken an bunte Workshops, partizipative Projekte und Sensibilisierungskurse ein wohliges Gefühl von Verantwortung spüren. Doch wenn man zwischen den Zeilen liest, erkennt man das perfide Paradoxon: Wer linksextreme Strömungen über politische Stiftungen und Förderprogramme finanziert, der sät möglicherweise die Saat einer neuen Generation von Radikalen. Ein Staat, der einst Opfer von RAF-Aktionen zu beklagen hatte, wird nun zum indirekten Sponsor einer Bewegung, die genau dieses historische Trauma theoretisch wiederholen könnte – und das, während die öffentliche Debatte das alles lächelnd als progressiven Aktivismus abtut.

Die Romantisierung des Extremismus

Von Lutzau kritisiert nicht nur den finanziellen Aspekt. Sie kritisiert die kulturelle Dimension, die schleichende Romantisierung linker Gewalt. Junge Menschen erleben heute die Geschichten von RAF und Co. durch Filter der Verklärung: Heldenmut wird zu moralischer Berechtigung, Ideologie zu politischem Spielraum. Marc Felix Serrao erinnerte an Alfred Herrhausen, ermordet vor 36 Jahren, und stellte nüchtern fest, dass die Gefahr linker Gewalt nicht kleiner, sondern nur anders sichtbar ist. Von Lutzau setzt nach: Die „RAF 2.0“ ist nicht nur ein Phantom, sie formiert sich tatsächlich, ausgebildet in den sicheren Gefilden staatlicher Förderung, ausgestattet mit der Legitimation, die ihnen die Symbole der Demokratie selbst verleihen. Man kann es zynisch nennen – und das sollte man auch – aber es ist Realität: Wer Geld gibt, gibt Macht. Und manchmal gibt man sie ausgerechnet denen, deren Macht man am meisten fürchtet.

Die Dialektik des staatlich unterstützten Extremismus

Es ist diese dialektische Wendung, die den heutigen Diskurs so absurd macht. Auf der einen Seite stehen Politiker, die von Aufklärung, Toleranz und gesellschaftlichem Zusammenhalt schwadronieren. Auf der anderen Seite fließen Steuergelder in Projekte, die auf subtile Weise eine ideologische Neuauflage der Strukturen unterstützen, die einst ganze Nationen in Angst versetzten. Man könnte sich fast darüber amüsieren, wäre es nicht so tragisch. Von Lutzau spricht aus Erfahrung: Sie hat gesehen, wie Ideologie zu Gewalt wird, wie Gruppen sich radikalisieren, wie der Staat hilflos oder blind danebensteht. Heute aber ist das Scheitern systematisch, verschleiert in Bürokratie, gespickt mit Förderanträgen, Projektberichten und PR-Kampagnen. Der Humor dieser Situation ist schwarz, bitter, fast schon Shakespeare’sch: Wir applaudieren der Zivilgesellschaft, während wir den Tiger im Käfig füttern, ohne zu bemerken, dass die Stäbe dünner werden.

Fazit: Augen öffnen, bevor der Albtraum Realität wird

Es ist nicht Sensationslust, die von Lutzau antreibt. Es ist die nüchterne, unangenehme Wahrheit, dass Radikalisierung nicht nur in dunklen Hinterhöfen gedeiht, sondern auch in hellen Konferenzräumen, unter dem Label „Förderung von Demokratie“. Die „RAF 2.0“ mag ein dramatischer Ausdruck sein, und doch beschreibt er genau das, was passiert, wenn staatliche Mittel in Hände geraten, die sie zur Wiederholung alter Muster nutzen könnten. Wer heute den Scherz nicht erkennt, wird morgen Zeuge der Tragödie sein – und dann wird kein „Engel von Mogadischu“ zur Stelle sein, um zu retten, was verloren gegangen ist. Satire, Polemik, Zynismus – all das wird von Lutzau bewusst eingesetzt. Sie zwingt uns, die Augen zu öffnen, das Lächeln zu ersticken und den Ernst der Lage zu erkennen. In dieser bitteren Wahrheit liegt ein Appell: Beobachten, hinterfragen, handeln – bevor die Geschichte sich erneut in einem makabren Spiegel wiederholt.

Schellhorns großer Wurf?

Es gehört zu den zuverlässigsten Ritualen der Republik, dass sich in regelmäßigen Abständen ein Regierungsmitglied zum obersten Entfesselungskünstler erklärt. Einst waren es Deregulierungs-Zaren, später „Taskforces zur Taskforce-Verschlankung“, nun also ein Staatssekretär, der sich im rosa Scheinwerferlicht als Bürokratie-Terminatorsurfbrett der Nation inszeniert: Sepp Schellhorn, der Mann, der uns seit neun Monaten verspricht, den österreichischen Amtsschimmel nicht nur zu zähmen, sondern ihn unter Pastellfarbigkeit mit veganer Mähne und Instagram-Filter neu zu frisieren. Und jetzt, da die Erwartungshaltung nach neun Monaten Schwangerschaftsmetaphorik ohnehin hoch ist, sickern die ersten Details durch – und es stellt sich heraus, dass das „große Reformbaby“ vielleicht eher ein Schlüsselanhänger ist.
Ein besonders bürokratiearmes, gewiss – aber trotzdem ein Schlüsselanhänger.

Die große Befreiung: Ein Pickerl, das länger lebt

Wir wollen ehrlich sein: Es gibt, außer dem Steuerbescheid und der Stauprognose, kaum ein Formular, das die österreichische Psyche so zuverlässig triggert wie das Pickerl. Einmal im Jahr dieser Moment der mechanikerischen Beichte: „Haben Sie etwas bemerkt? Rost? Geräusche? Irgendwas Komisches?“ Und dann die zitternde Frage: „Kostet’s sehr?“ Dass nun also dieses Trauma – Trommelwirbel – nur noch alle zwei Jahre stattfindet, wird zweifellos manchem Autolenker innerlich die Fensterheber automatisch öffnen.
Doch als Monument einer neunmonatigen Entbürokratisierungs-Odyssee wirkt die Maßnahme ungefähr so episch wie ein veganer Leberkäse: gut gemeint, vielleicht sogar praktisch – aber in seiner Symbolik eher ein trockener Huster als ein Paukenschlag.

Man fühlt sich an jene historischen Momente erinnert, in denen große Männer große Worte sprachen: „Ich habe einen Traum“, „Wir schaffen das“, „Yes, we can“. Und nun gesellt sich dazu: „Das Pickerl soll länger gelten.“
Es ist nicht ausgeschlossen, dass künftige Geschichtsbücher dafür ein eigenes Kapitel reservieren, vielleicht zwischen „Einführung der Parkscheibe“ und „Öffnung der Billa-Kassen am Samstag um 18:58“.

Doch das eigentliche Wunder ist etwas anderes: Dass ein EU-Standard, der ohnehin umgesetzt werden muss, nun als ureigenes Meisterstück der österreichischen Erneuerung verkauft wird. Subtil ist anders, aber immerhin bleibt der Vorgang didaktisch wertvoll: Man lernt, dass Bürokratieabbau auch darin bestehen kann, lang bestehende Pflichten einfach etwas seltener einzufordern.
Es ist, als würde man sagen: „Wir streichen die Steuer nicht – Sie müssen sie nur später zahlen.“
Revolutionär!

Zwischen pinken Hintergründen und politischen Reality-Shows

Natürlich wäre das alles halb so bemerkenswert, gäbe es nicht diese für österreichische Politik fast schon beunruhigend professionelle Instagram-Ästhetik. Schellhorn, flankiert von Beate Meinl-Reisinger, im rosa Studiohintergrund, mit dem Slogan: „Das Letzte, was die Bürokratie sieht, bevor sie abgebaut wird.“
Man weiß nicht, was die Bürokratie tatsächlich sieht, doch man ahnt, was die Bevölkerung sieht: eine Art Polit-Influencer-Crossover, eine Mischung aus Wahlkampf, Lifestyle-Blog und dem Werbefolder eines besonders ambitionierten Coworking-Spaces.

Denn während die Regierung traditionell in grau-blauem Aktenmappenton kommuniziert, hat Schellhorn ein eigenes Ökosystem geschaffen: Pastellfarben, motivationales Framing, eine Ästhetik, die suggeriert, dass Deregulierung am besten mit einem Iced Latte in der Hand und Lo-Fi-Beats im Hintergrund funktioniert. Und vielleicht ist das modern – aber das Publikum reagiert zunehmend wie Eltern, denen ihr Teenager zum zehnten Mal erklärt, dass er jetzt wirklich Influencer wird und diesmal die Reichweite sicher kommt.

Die Kommentare unter den Posts sprechen Bände:
„blabla blabla“ steht da.
„Sepp, was machst du?“ fragt ein anderer.
Und selten hat ein Kommentar die politische Lage so präzise zusammengefasst wie dieser schlichte, fast existenzialistische Satz. Er ist nicht nur Frage, sondern Diagnose. Er ist politischer Zen.

Die große Deregulierungsoffensive: Ein Menü aus Kleinmut und Kleinkrams?

Abseits des Pickerls wirkt das, was bisher durchgesickert ist, wie die Speisekarte eines Bistros, das sich „Fusion Cuisine“ nennt, aber eigentlich nur die Suppe diesmal ohne Croutons serviert:
Ein bisschen Abfallwirtschaftsgesetz vereinfachen.
Ein paar Dokumentationspflichten streichen.
Und die 24-Stunden-Öffnung von Selbstbedienungsläden erlauben – was zugegeben ganz praktisch ist, wenn man um drei Uhr morgens unbedingt Käsekrainer oder Zahnpasta braucht und gleichzeitig zu stolz ist, einen Automaten als Automaten zu akzeptieren.

Aber man fragt sich unweigerlich: Wo ist sie denn, die große Befreiung? Wo ist der Schlagabtausch mit der mythischen Überbürokratisierung, der epische Kampf mit Formularverordnungen, Normenkontrollstrukturen und dem unsterblichen „Bitte in zweifacher Ausfertigung“?
Was bleibt, ist eine Liste, die in ihrer Unauffälligkeit an jene Diäten erinnert, bei denen man nicht mehr „Diät“ sagen darf und daher von „Lifestyle-Optimierung“ spricht.

Es ist nicht unmöglich, dass noch etwas Großes kommt. Etwas Unerwartetes. Etwas, das die Republik erzittern lässt. Doch bislang wirkt das Paket eher wie die politische Variante eines IKEA-Regals: Man weiß, es wird nicht schlecht sein – aber man weiß ebenso, dass niemand dafür eine Gedenktafel errichtet.

Die Inszenierung frisst die Substanz – oder ist die Substanz die Inszenierung?

Vielleicht ist das der Kern: Wir leben in einer Ära, in der Politik sich von der Notwendigkeit verabschiedet hat, besonders tief zu sein. Sie muss nur besonders sichtbar sein. Und Schellhorn ist sichtbar, rosa-hintergründig sichtbar, so sichtbar, dass man sich fragt, ob das Licht irgendwann blendet.

Vielleicht ist das neue Regierungsmodell tatsächlich die Verbindung von Verwaltungsreform und Social-Media-Storytelling. Vielleicht lässt sich Bürokratie nur besiegen, wenn man sie zuerst auf Instagram vorführt. Vielleicht ist der pinke Hintergrund die wahre Reform, ein symbolischer Anstrich der Amtsstuben, die uns signalisieren sollen:
„Schaut, wir meinen es ernst. Oder zumindest bunt.“

Doch man spürt bereits, dass der Moment der Wahrheit naht, am Mittwoch nach dem Ministerrat. Dann fällt die Bühne, das Ringlicht geht aus, und das Maßnahmenpaket muss allein im Neonlicht des Verwaltungsapparats bestehen.
Und dort, wo es keine Filter gibt, wo es kein „#goodvibesonly“ gibt, wo nur Paragrafen und Verwaltungsprotokolle existieren, zeigt sich, ob es sich um einen großen Wurf handelt – oder um einen besonders elegant inszenierten Stolperer.

Bis dahin bleibt die Frage, die sich durch die Kommentarspalten zieht wie ein Leitmotiv österreichischer Reformgeschichte:
„Sepp, was machst du?“
Und noch wichtiger:
Wird es diesmal wirklich mehr sein als ein Pickerl mit etwas längerer Haltbarkeit?

Es geht um die Wurst

Manchmal fragt man sich, ob die politische Klasse – jener schwer definierbare Organismus, der sich irgendwo zwischen Parteizentrale, Pressesaal und dem übrig gebliebenen Rest an öffentlichem Vertrauen windet – inzwischen endgültig beschlossen hat, all ihre Energie auf jene Themen zu konzentrieren, die niemand verlangt, aber alle bekommen. So auch der Würstel-Test der Arbeiterkammer, ein Ereignis, das sich in die Annalen jener politischen Skurrilitäten einreihen darf, bei denen man nicht weiß, ob man lachen, weinen oder einfach nur sehr hungrig werden soll.
Während Europa zittert, die Preise explodieren, die Klimamodelle röcheln und der gesellschaftliche Diskurs irgendwo zwischen “Krise” und “Katastrophe” feststeckt, verbreitet die Arbeiterkammer die frohe Kunde: Wir wissen jetzt alles über 11 Bratwürste. Hygiene! Geschmack! Preis! Die großen Drei der demokratischen Grundversorgung!
Und man wagt kaum zu fragen: Ist das jetzt Satire – oder schon wieder Realität?

Die hohe Kunst der Prioritätensetzung

Warum man nichts löst, aber alles prüft

Natürlich könnte man einwenden, dass Konsumentenschutz wichtig ist. Dass Transparenz zählt. Dass es gut ist zu wissen, welche Bratwurst hygienischer ist als manche politische Entscheidung. Aber die Frage bleibt: Muss es wirklich ein Würstel-Test sein, in Zeiten wie diesen?
Inflation über 4%! Ein Wert, der sonst nur bei spirituellen Heilerinnen oder bei Fantasiebilanzen maroder Fußballvereine gut ankommt. Energiekosten jenseits von Sinn, Verstand und sämtlicher Haushaltsbudgets. Gewinne der Konzerne? Natürlich stabil. Stabil wie die Alpen. Stabil wie jene Unternehmenssprecher, die jedes Jahr neuen Rekordprofit mit dem gleichen Satz einleiten: “Wir befinden uns in herausfordernden Zeiten.”
Und während die Bürger
innen darüber nachdenken, ob sie künftig mit Kerzenlicht kochen sollen, macht sich die Arbeiterkammer daran, die Bratwurst ihrer geheimen inneren Wahrheit zuzuführen.

Die Wurst als politisches Gesamtkunstwerk

Wenn das Brät zum Brennpunkt wird

Denn tatsächlich ist der Würstel-Test weit mehr als eine Analyse gegarter Tierprodukte: Er ist Symbolpolitik in ihrer reinsten Form. Er sagt uns: Wir können die großen Probleme nicht lösen – aber wir können sie hervorragend ablenken.
Was ist eine Bratwurst anderes als der kleinste gemeinsame Nenner einer Gesellschaft, die sich auf nichts einigen kann außer darauf, dass etwas Essbares billig, fettig und halbwegs warm sein soll? Vielleicht ist es sogar genial: Während Bürger*innen merken, wie teuer der Alltag geworden ist, präsentiert man ihnen: “Seht her! Wir prüfen für euch, damit ihr wenigstens bei der Wurst wisst, wo’s langgeht!”
In einer Welt, die von Krisen wackelt wie ein schlecht gegrilltes Käsekrainer, wird die Bratwurst zum Fels in der Brandung. Manche Nationen haben Hochkultur, andere haben Ölreserven, wir haben einen Würstel-Test.

Krieg in Europa? Möglich!

Aber bitte nicht die Grillzeit verderben

Man muss sich den Mut vorstellen, den es braucht, während geopolitische Eskalationsspiralen sich drehen wie ein Döner-Spieß, mit ernster Miene vor die Presse zu treten und zu sagen:
“Wir haben hier die Ergebnisse unseres Bratwurst-Checks.”
Ein Satz, der durch seine pure Existenz beweist, dass der zivilisatorische Überbau offenbar unkaputtbar ist. Dass selbst angesichts globaler Risiken jemand sagt: “Jetzt erst recht! Die Bürger sollen die bestinformierten Bratwurstkäufer des Kontinents sein!”
Es hat etwas Tröstliches.
Etwas Tragisches.
Etwas sehr Österreichisches.

Geschenkt!

Der finale Biss ins Absurde

Vielleicht ist es am Ende schlicht ein weiterer jener Momente, in denen man erkennt, dass alles gleichzeitig passiert: das Bedeutende, das Bedrohliche, das Banale und das völlig Überraschende. Während die Probleme der Welt in monumentaler Größe über uns kreisen, wie eine schlecht gelaunte Gewitterfront, werden an anderer Stelle Würste seziert, bewertet und statistisch sortiert.
Geschenkt!
Wir haben gelernt, dass Dokumente, Verträge und politische Vorhaben oft ungenießbar sind. Da ist es fast wohltuend, wenn wenigstens die Wurst nicht metaphorisch gemeint ist.
Und so bleibt uns, wie so oft: ein Schulterzucken, ein Augenrollen, ein leises Lachen. Und ein merkwürdig beruhigendes Gefühl, dass in einer Welt, die zunehmend unüberschaubar wird, wenigstens eines klar bleibt:
Irgendwer prüft für uns die Bratwurst.

Ob wir wollen oder nicht.