Im Ernstfall lieber Netflix

Der Patriotismus der Sofadecke: Zwischen moralischer Erhabenheit und Lieferando-Rationalismus

Eine Umfrage also. Schon wieder eine Umfrage. 60 Prozent der Deutschen würden ihr Land nicht verteidigen, hieß es jüngst im RND. Die Reaktion darauf war wie immer: ein kurz entflammtes Medienecho, ein paar warnende Leitartikel, etwas Politiker-Betrübtheit in Talkshows – dann wieder Stille, wie nach einem Furz im Konzertsaal. Dabei ist diese Zahl nicht irgendein Data-Schnipsel aus dem sozialstatistischen Maschinenraum des demoskopischen Zeitgeists. Sie ist eine Monstrosität. Eine demografische Bankrotterklärung. Ein Spiegelbild kollektiver Abwendung, verpackt in höfliche Prozentzeichen.

Wären die Deutschen ein Märchenvolk – was sie ja insgeheim noch immer gern wären, solange der Prinz Bio-vegan ist und das Schloss energetisch saniert – dann wäre diese Zahl das fluchbeladene Orakel aus dem dunklen Wald. 60 Prozent – das ist nicht bloß Resignation. Es ist das Resultat jahrzehntelanger Dauertherapie, Selbstrelativierung, Schuldmantra, gepaart mit dem beruhigenden Summen der Spülmaschine und der Amazon-Prime-App. Im Ernstfall, so scheint es, verteidigt der moderne Deutsche lieber sein WLAN-Passwort als seinen Wohnort.

Von der Wehrpflicht zum Wehrwillen – eine Implosion in Zeitlupe

Es war einmal ein Land, in dem „Dienst an der Waffe“ noch nicht gleichbedeutend war mit „rechtsradikal“, „toxisch maskulin“ oder – Gott bewahre – „zu früh aufstehen“. Doch das ist lange her. Was nach dem Kalten Krieg als Fortschritt gefeiert wurde – die Demilitarisierung der Mentalitäten – hat sich längst als eine Art sittlicher Selbstkastration erwiesen. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, nicht diskutiert. Militär wurde zum Exotikum – irgendwo zwischen Ironie und Ignoranz. Die Bundeswehr? Irgendwas mit Hubschraubern, die nicht fliegen, und Uniformen, die auch Genderfragen beantworten sollen. Bravo.

Der Bürger indes wurde zum Konsumenten seiner Republik: anspruchsvoll, gut informiert, moralisch hochgerüstet – aber bitte ohne Risiko. Das Land soll leisten: Klima retten, Gleichheit fördern, Diversität feiern. Aber wehe, jemand fragt, ob man es im Notfall auch verteidigen würde. Verteidigen? Mit den Händen? Mit Schweiß? Mit Gewalt?

Gewalt ist schließlich böse. Lieber diskutiert man über Mikroaggressionen als über Munitionsreserven. Und so geht das große Mißverständnis weiter: dass Frieden ein Zustand sei, der sich durch gute Laune und korrektes Gendern dauerhaft sichern lasse.

Moralweltmeister im Luftschutzbunker: Die neue Kriegsführung ist kognitiv

Doch bevor wir die 60 Prozent endgültig auf den Scheiterhaufen der Feigheit werfen, sollten wir uns eines klarmachen: Diese Absage an die Verteidigung hat ihre eigene Rationalität. Der moderne Deutsche ist kein Deserteur – er ist ein Post-Militarist. Er glaubt, er sei über Krieg erhaben. Dass sich das Land durch moralische Überlegenheit schützt – durch das feine Gespür für globale Ungerechtigkeiten, durch vegane Wochenmärkte, durch ein fehlerfreies Benennen aller marginalisierten Gruppen. Warum also kämpfen, wenn man diskutieren kann?

Der Feind, so glaubt man, wird sich durch Scham überwinden lassen. Man wird ihm die historische Verantwortung erklären, ihn mit Correctness bombardieren, ihn in Workshops zwingen. Und wenn das nicht hilft: Sanktionen! Embargos! Notfalls eine scharf formulierte Petition! Dass der Feind möglicherweise nicht auf dem gleichen Ethik-Seminar war – das wird als kulturelles Defizit gewertet, nicht als Bedrohung.

Die Generation Zieht-Nicht-Los: Von Avocados, Ambivalenz und Ausreden

Es ist nicht nur die älter werdende Bevölkerung, die sich auf ihre Eigenheime zurückzieht wie eine Schnecke ins mobile Tiny House. Es ist vor allem die Generation der Digitalisierten, die in den Zahlen der Umfrage am deutlichsten Nein sagt. Die „Generation Z“ ist eben keine „Generation Zieht-Los“. Sie ist fluide, adaptiv, pazifistisch – und voller Angst, dass eine Uniform den Algorithmus sprengen könnte.

Ihre Vorstellung von „Kampf“ beschränkt sich auf Twitter-Diskussionen, wo 280 Zeichen reichen, um Weltpolitik zu verurteilen. Ihre Vorstellung von Mut? Coming Out, Gender-Statement, Flugverzicht. Alles respektabel. Nur: Wenn der Panzer vor der Tür steht, hilft keine Triggerwarnung. Und spätestens dann stellt sich die Frage, ob man ein Land nicht auch mal körperlich verteidigen muss – oder ob man die Aufgabe lieber an Polen outsourct.

Die Komfortzone als Vaterland – und warum das nicht reicht

Wofür würde man also kämpfen? Für das Grundgesetz? Für das Recht, in Jogginghose zum Bäcker zu gehen? Für die Freiheit, sich an allem zu stören? Der Patriotismus der Deutschen ist ein zärtlich umsorgter Schatten: kaum greifbar, stets moralisch legitimiert, aber im Ernstfall unbrauchbar. Wer heute sagt, dass er sein Land liebt, muss sich rechtfertigen – und wehe, er tut es zu leidenschaftlich.

Und so lieben wir dieses Land am liebsten indirekt: über seinen Nahverkehr (wenn er denn fährt), seine Bürokratie (wenn sie denn reagiert), seine Demokratie (wenn sie denn nicht polarisiert). Aber wehe, dieses Land fordert etwas zurück. Dann wird aus der „wehrhaften Demokratie“ ganz schnell eine „wehrlose Demokratie mit Handyvertrag“.

Fazit oder: Wenn das Vaterland ruft – und keiner geht ran

Vielleicht ist die Umfrage kein Skandal, sondern nur ehrlich. Vielleicht wissen 60 Prozent einfach sehr genau, was auf dem Spiel steht – und dass sie es nicht mehr retten können. Oder nicht retten wollen. Vielleicht haben sie längst beschlossen, dass man seine Heimat auch im Exil lieben kann, mit deutschem Brot in Portugal und GEZ-freier Sonne.

Doch eines bleibt: Wer nicht bereit ist, für sein Land zu kämpfen, darf sich nicht wundern, wenn es eines Tages nicht mehr da ist – oder nicht mehr seins ist. Heimat ist eben kein Netflix-Abo, das man kündigt, wenn’s unangenehm wird. Sie ist auch kein Konzept, das man endlos dekonstruieren kann, ohne dass es irgendwann zusammenbricht.

Am Ende bleibt eine unbequeme Wahrheit: Frieden ohne Bereitschaft zur Verteidigung ist nichts als Glück im Ausnahmezustand. Und Glück – wie wir wissen – ist flüchtig. Besonders in Europa. Besonders heute.

Kurz & Thiel, statt Kurz & Gut

Vom Ballhausplatz ins Silicon Valley – eine Karriere wie aus dem Lehrbuch „Machiavelli für Anfänger“

Es war einmal ein junger Mann mit einem Scheitel, der so scharf gezogen war wie seine rhetorischen Kanten. Er sprach in Halbsätzen, regierte in Dreiviertelwahrheiten und lächelte wie jemand, der den Unterschied zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung schon als Kind nicht nur begriffen, sondern strategisch verinnerlicht hatte. Dieser Mann hieß Sebastian Kurz. Nun ist er fort. Verschwunden wie ein Politprojekt nach der ersten Hausdurchsuchung, aufgetaucht – oh Ironie! – im Silicon Valley, dieser postpolitischen Parallelwelt, in der Libertäre und Datenkapitalisten eine Weltordnung träumen, die selbst Ayn Rand rot werden ließe. Kurz arbeitet jetzt für Peter Thiel, den Silicon-Sith-Lord der libertären Tech-Oligarchie. Die Titulierung: „Global Strategist“. Das klingt ein bisschen wie „Weltverschwörer mit Business-Class-Meilen“ – und passt also perfekt.

Der Ex-Kanzler als Exil-Mentor: Vom Sesselkreis der Ministerratssitzung zur Schwafelrunde im Ideeninkubator

Dass Kurz nicht Kanzler blieb, war ein Akt der politischen Thermodynamik. Ein Körper, der sich so schnell erhitzt wie seine Umfragewerte, kühlt umso schneller ab, wenn das System beginnt, sich selbst zu befragen. Sein Rücktritt – pardon, „Rückzug zur Vermeidung von Schaden“ – war so staatsmännisch wie ein Exit aus einem schlecht laufenden Start-up. Nur dass dieses Start-up ein Land war. Österreich, um genau zu sein. Nun also Amerika, Land der unbegrenzten Opportunitäten, wo politische Restposten in Think Tanks recycelt werden, wo Altkanzler zu Jungstrategen mutieren dürfen. Dass Peter Thiel ihn aufgenommen hat, ist weniger ein Ritterschlag als eine Form von politischer Adoption – der Zögling der FPÖ-kompatiblen Mitte darf nun für den Antidemokraten mit PayPal-Vergangenheit und Trump-Folien arbeiten. Kurz, der sich stets als moderner Mitte-Messias inszenierte, tritt nun seine metaphysische Endstufe an: den Aufstieg zum globalisierten Steigbügelhalter des digitalen Feudalismus.

Strategie für die Welt, Herkunft aus dem Trachtenjanker: Ein ethnopolitisches Missverständnis

Es ist schon eine bittere Ironie, dass ein Mann, dessen politische Karriere aus Sätzen bestand wie „Die Balkanroute ist geschlossen“, nun die Türen zu einem amerikanischen Think-Money-Tank geöffnet bekommt, in dem die Welt als Marktsegment betrachtet wird. Peter Thiel glaubt bekanntlich nicht an Demokratie, sondern an Effizienz, Kontrolle, und den kreativen Zynismus des Marktes. Und wer, wenn nicht Kurz, wäre dafür prädestiniert, diesem Weltbild eine menschliche Maske zu verpassen? Er, der Meister der Pseudo-Normalität, der Reduktion des Komplexen auf das Talkshowtaugliche, kann nun sein Talent – das Einlullen durch Formulieren von Irrelevanz – auf globalem Niveau entfalten. Vielleicht wird er sogar eine PowerPoint-Präsentation zur Abschaffung der Allgemeinwahlrechte aufsetzen, in Arial, mit österreichischem Akzent. Natürlich nicht als Empfehlung, sondern „als Diskussionsbeitrag“. Kurz weiß, wie man Dinge sagt, ohne sie gesagt zu haben. Und Peter Thiel weiß, wie man das bezahlt.

Ein Populist als Postdemokrat – Die digitale Wiedergeburt eines europäischen Demagogen

In einem merkwürdig anachronistischen Zug wirkt Kurz in Thiels Welt wie ein Artefakt – ein Populist aus einer analogen Ära, der nun seine zweite Karriere im digitalen Hochkapitalismus beginnt. Doch vielleicht ist genau das seine Stärke: Er hat gelernt, wie man Massen verführt, ohne sie zu verstehen, wie man Vertrauen gewinnt, ohne Glaubwürdigkeit, und wie man Wahlen gewinnt, ohne Verantwortung zu übernehmen. Das sind genau jene Fähigkeiten, die im Silicon Valley heute gefragt sind. Der Mensch als Plattform, die Meinung als Monetarisierungsstrategie, der Staat als lästiges Relikt. Dass Thiel sich Kurz hält wie andere sich eine seltene Uhrensammlung anschaffen, spricht Bände. Kurz ist nun das rhetorische Sammlerstück eines Milliardärs, der glaubt, dass Nationen nur solange relevant sind, wie man ihnen Kryptowährungen verkaufen kann. Was also macht Kurz in dieser neuen Rolle? Vermutlich das, was er immer gemacht hat: viel sagen, wenig tun – aber stets mit strategischer Haltung.

Apotheose eines Scharlatans: Wenn die Realität sich endgültig der Satire ergibt

Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Oder weinen, wenn es nicht so unfreiwillig komisch wäre. Sebastian Kurz, dieser porzellanene Polit-Buddha mit dem Hang zur autoritären Ästhetik, hat sich nun als globaler Stratege neu erfunden – in einem Umfeld, das seine politische Geisteshaltung auf Steroiden betreibt. Wo er einst Demokratie mimte, darf er nun Postdemokratie betreiben. Wo er einst Volkstribun der Mitte war, ist er nun Flüsterer der Machtelite. Dass ein ehemaliger Kanzler eines EU-Landes sich nun zum Denkgehilfen eines Mannes degradiert, der offen mit dem Ende des Westens kokettiert, zeigt nicht nur die innere Leere von Kurz’ politischem Projekt – es zeigt auch, wie bereitwillig sich Opportunismus als Weltanschauung verkleiden lässt.


Epilog: Kurz gesagt – das Ende einer Illusion, der Anfang einer globalen Pose

Was bleibt von Sebastian Kurz? Ein Instagram-Archiv voller bedeutungsloser Staatsbesuche? Ein innenpolitischer Trümmerhaufen mit moralischen Totalschäden? Vielleicht. Doch vor allem bleibt er als Figur. Als Symbol einer politischen Ära, in der Professionalität die Wahrheit ersetzt hat, Inszenierung die Überzeugung und strategisches Schweigen das Handeln. Dass ausgerechnet Peter Thiel ihn nun „Global Strategist“ nennt, ist eine dieser Pointen, die man sich als Satiriker nicht besser hätte ausdenken können. Und vielleicht, nur vielleicht, ist das die eigentliche Pointe: Dass wir alle längst in einer Welt leben, in der sich politische Realität anfühlt wie eine besonders gelungene Parodie. Kurz und Thiel – das ist nicht nur ein Wortspiel. Das ist ein Zeitgeist-Symptom mit Jobtitel.

Humanitäre Logistik als Geisel

oder: Wenn die Erpressung das neue Gesprächsangebot ist

Es war einmal ein kleiner Finger – sagen wir, ein humanitärer Korridor –, der der Weltgemeinschaft gereicht wurde. Nicht aus Großmut, sondern aus dem moralischen Reflex heraus, der alle wohlmeinenden Demokratien seit Jahrzehnten plagt: der unstillbare Drang, sich auch dort verantwortlich zu fühlen, wo man weder Kontrolle noch Konzept hat. Und siehe da, kaum war der kleine Finger ausgestreckt, griff bereits die ganze Hand zu. Mit festem Griff, entschlossenem Blick und einem Forderungskatalog, wie man ihn sonst nur von schwäbischen Vereinsvorständen oder autokratischen Machthabern kennt. Die Hamas – jene tragisch-absurde Mischung aus politischer Bewegung, militärischem Arm und PR-Katastrophe auf zwei Beinen – hat nun erklärt, sie werde erst wieder verhandeln, wenn mindestens 250 Hilfstransporter täglich in den Gazastreifen rollen. Täglich. Als wäre humanitäre Hilfe ein Pizza-Abo. Als wäre die humanitäre Katastrophe nicht Resultat der eigenen Tunnelsystem-Architektur und Raketenspielchen, sondern ein externer meteorologischer Zwischenfall, für den man dringend UN-Schirme braucht.

Das perfide ist: Der moralische Reflex der westlichen Welt – insbesondere Europas, das bekanntlich lieber spendet als spricht, lieber mahnt als handelt – reagiert prompt. Denn wie sagt man so schön in Brüssel: „Wir dürfen nicht die Zivilbevölkerung bestrafen.“ Was in der Theorie stimmt, in der Praxis jedoch bedeutet, dass man mit größter logistischer Sorgfalt die Infrastruktur beliefert, über die sich eine Terrororganisation erst erneuert, dann verschanzt und schließlich erneut verhandelt – von einer Position aus, die ihr überhaupt erst durch diese Hilfe ermöglicht wurde. Willkommen im moralischen Bermuda-Dreieck der Nahostpolitik.

Der Westen zwischen Mitleidsethik und Realitätsflucht – Ein Balanceakt auf der Rasierklinge der Naivität

Es ist das alte Dilemma des Westens, besonders des europäischen, besonders des deutschen: Der Versuch, gleichzeitig moralisch integer und historisch unschuldig zu erscheinen. Das führt unweigerlich dazu, dass man Verhandlungen mit Organisationen führt, deren Charta mehr antisemitische Passagen enthält als ein Telegram-Kanal im dritten Schnapsstadium. Aber Hauptsache, es wird wieder gesprochen. Hauptsache, man hat irgendwas „eingefädelt“. Dass man dabei längst nicht mehr zwischen Täter, Zivilbevölkerung und rhetorischer Nebelgranate unterscheidet, ist nebensächlich – wichtig ist das Gefühl, etwas getan zu haben. Europa ist heute ein Kontinent der Gefühle: Das Handeln ist diffus, das Ergebnis ungewiss, aber das gute Gefühl – das ist sicher. Die Hamas weiß das. Und spielt auf dieser Klaviatur wie ein betrunkenes, aber effektives Krokodil: laut, ungehobelt, aber überraschend zielgenau.

Denn wie sieht das denn aus, wenn 250 LKWs pro Tag gefordert werden? Es sieht aus wie eine humanitäre Maximalforderung, aber in Wahrheit ist es eine strategische Positionierung. Man nennt das auf dem Basar Ankertechnik: Fordere das Unmögliche, um später das Unverschämte als Kompromiss zu verkaufen. Dass Europa dabei erneut das tut, was es am besten kann – nämlich nachgeben, während es so tut, als verhandelte es – ist tragischer Bestandteil eines Spiels, dessen Regeln man längst nicht mehr kennt, geschweige denn beeinflusst.

Das Kanzleramt als Erfüllungsgehilfe unfreiwilliger Außenpolitik

Die Nachricht, dass diese Forderungen über Vermittler kolportiert wurden – an wen genau, bleibt natürlich so wolkig wie eine Sommerrede im Bundestag –, lässt dennoch aufhorchen. Denn in einer idealen Welt wäre das Kanzleramt nicht Anlaufstelle für Gruppen, die Raketen auf Zivilisten schießen und sich dann über die zerstörte Wasserversorgung beschweren. In einer idealen Welt wäre das Kanzleramt der Ort, an dem man rote Linien zieht, nicht rote Teppiche ausrollt. Aber in Deutschland ist die Außenpolitik bekanntlich der Teil der Regierung, der am liebsten vom Innenministerium ignoriert wird und vom Wirtschaftsministerium ausgehebelt – da bleibt nur noch der moralische Fluchtpunkt: Humanität. Der letzte Joker in einem Spiel, in dem alle Karten längst markiert sind.

Statt einer klaren Haltung gibt es nun wieder diplomatische Dialektik im Dreivierteltakt: Ja, man wolle helfen – aber ohne sich instrumentalisieren zu lassen. Ja, man sehe das Leid der Bevölkerung – aber auch das Existenzrecht Israels. Ja, man setze sich für Frieden ein – aber wisse, dass es Partner braucht, mit denen Frieden möglich ist. Und während man sich rhetorisch im Konjunktiv windet, rollt der nächste Konvoi – ach was: die nächsten zweihundertfünfzig – durch die südlichen Grenzübergänge, flankiert von der Hoffnung, dass irgendwo am Horizont die Vernunft auftaucht wie ein UN-Blauhelm auf Heimaturlaub.

Das humanitäre Dilemma: Wenn Mitgefühl zur Munition wird

Die tragische Pointe in all dem ist, dass die Bevölkerung im Gazastreifen tatsächlich leidet – in einem Ausmaß, das sich in westlichen Komfortzonen nicht einmal andeutungsweise nachfühlen lässt. Aber das Leiden dieser Menschen ist längst selbst Teil der politischen Waffe geworden. Je schlimmer es ihnen geht, desto größer der Druck auf Israel. Je mehr Not, desto mehr moralische Erpressungspotenzial gegenüber den hilfsbereiten Demokratien. Der Gazastreifen ist längst nicht mehr nur ein Ort – er ist eine mediale Projektionsfläche, ein globales Traumaspektakel, ein Dauerbrenner in der feuilletonistischen Empörungsliturgie. Und die Hamas? Sie hat verstanden, dass sie keine militärischen Schlachten gewinnen muss. Sie muss nur die richtigen Bilder erzeugen. Und möglichst viele davon.

In dieser Hinsicht ist die Forderung nach 250 Hilfstransportern pro Tag keine moralische Bitte – sie ist eine PR-Strategie. Denn wer „Hilfsgüter“ fordert, stellt sich rhetorisch auf die Seite des Humanismus, auch wenn der eigentliche Zweck darin besteht, die eigene Kontrolle über das Gebiet aufrechtzuerhalten. Und der Westen? Er schluckt diesen Widerspruch wie eine Aspirin gegen den Weltschmerz, zufrieden mit der Illusion, dass Geben stets Gutes bedeutet. Eine gefährliche Gleichung in einer Welt, in der auch die Hilfe längst Teil der Kriegsführung geworden ist.


Fazit: Die Kapitulation der Prinzipien im Tarnnetz des Helfersyndroms

Was bleibt also? Ein bitteres Bild: Eine Terrororganisation, die mit Hilfeforderungen taktische Ziele verfolgt. Eine Bevölkerung, die zwischen den Fronten leidet. Und eine europäische Öffentlichkeit, die sich moralisch überlegen fühlt, während sie mit jeder Lieferung die Bedingungen verschärft, unter denen überhaupt noch verhandelt wird. Man kann das als Tragödie sehen. Oder als Farce. Wahrscheinlich ist es beides zugleich – und genau das macht es so unausweichlich.

Denn der kleine Finger wurde längst gegeben. Die ganze Hand wurde genommen. Und jetzt – verlangt man den Arm, die Schulter, den Oberkörper gleich mit. Und Europa? Es zuckt noch nicht einmal.

Das sanierte Schloss und die stinkenden Schulklos

oder: Von denen da oben und was sie uns unten lassen – die neue Arroganz der politischen Oberschicht

„Sollen Sie doch Kuchen essen“. Was früher das Brot war, ist heute das Klo. Und wer sich einmal mit der Frage beschäftigt hat, wie es um den Zustand der deutschen Demokratie steht, der braucht nicht in komplexe Gremienprotokolle oder Grundgesetzkommentare zu schauen – ein Blick auf die Berliner Schultoiletten reicht. Dort, wo das Volk in seiner frühesten Form lernt, was es bedeutet, zur Gemeinschaft zu gehören – also in Schulen –, beginnt nun die stille Rache der politischen Nichtzuständigkeit: Die Klos werden seltener geputzt. Das ist keine Metapher. Es ist buchstäblich.

Während im Berliner Stadtteil Lichtenberg der Verwaltung offenbar nichts Besseres einfällt, als an Hygiene, kindlicher Mobilität und öffentlichem Grün zu sparen, wird nicht weit entfernt mit schwerem Gerät ein präsidialer Palast errichtet, der mehr kostet als alle Schulkloreinigungen zusammen der nächsten Jahrzente. Und damit wären wir mitten im Herzen der neuen höfischen Politik: Die repräsentative Demokratie hat ihr Herz für den Barock wiederentdeckt – nicht im Geiste, sondern im Gebäudemanagement.

200 Millionen für ein Ersatz-Schloss, 16 Millionen Euro jährlich Miete – für einen Mann, der politisch exakt nichts zu sagen hat, dafür aber sehr schön sagt, dass er nichts sagt. Steinmeier, der wandelnde Entschuldigungsbrief der Bundesrepublik, wird mit seidener Umsicht in sein temporäres Versailles umziehen, während in Lichtenberg Grundschüler sich künftig gut überlegen müssen, ob sie die Schultoilette wirklich jetzt benutzen wollen oder lieber bis nachmittags warten. Wer weiß, wann sie das letzte Mal gewischt wurde.

Die Obenregierung – Politik als Palastbetrieb

Die politischen Eliten dieses Landes haben die Demokratie nicht abgeschafft – sie haben sie nur stilistisch rekonstruiert wie ein Feudalstaat mit WLAN. Die neuen Barone heißen nicht mehr Fugger oder Hohenzollern, sondern haben Doppelnamen, Redenschreiber und mediengerechte Pausen zwischen Sätzen. Ihre Residenzen sind keine Burgen mehr, sondern Verwaltungsneubauten mit polierter Symbolik: Es geht nicht darum, was man tut, sondern wie teuer es dabei aussieht.

Der Bundespräsident hat keine Macht, aber Stil. Das reicht heute aus, um sich ein Gebäude errichten zu lassen, in dem während des Bauprozesses bereits klar ist, dass es danach an andere Ministerien weitergereicht wird – denn leer soll es nicht stehen, das wäre Verschwendung. Im Gegensatz zu Schulkindern, die morgens im Bus sitzen, um in eine Turnhalle zu fahren, in der sie dann nicht schwimmen können, weil das Geld für Transport gestrichen wurde. Dort darf verschwendet werden: Lebenszeit, Lernchancen, Vertrauen.

Es ist, als hätte man sich kollektiv entschlossen, den Begriff „politische Entkopplung“ nicht mehr als Analyse, sondern als Regierungsform zu begreifen. Es regiert, wer es sich leisten kann. Und wer es sich leisten kann, kann auch vergessen, wie es ist, wenn das eigene Kind auf ein Klo geht, das müffelt wie das politische Klima im Bundestag nach einer Nachtsitzung.

Vom Volk zur Kulisse – Bürgerlichkeit als Bühnenbild

Der Bürger, früher Subjekt der Politik, ist längst zum Dekor geworden: geduldet, solange er leise ist, brauchbar, solange er Steuern zahlt, und vollkommen irrelevant, sobald es um Prioritäten geht. Die neue Form der Staatskunst besteht darin, öffentliche Mittel nicht mehr dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden, sondern wo sie gesehen werden. Repräsentation statt Funktion – Hochglanzbroschüre statt Putzplan.

Was in Berlin geschieht, ist kein Einzelfall, sondern eine Blaupause. Man könnte meinen, die politische Klasse dieses Landes habe sich entschlossen, das Land selbst wie eine heruntergewirtschaftete Theaterkulisse zu behandeln: Vorne das glänzende Entrée, hinten bröckelt die Wand. Alles ist Fassade. Und wer sich über Schulklos beschwert, hat einfach das große Ganze nicht verstanden – oder, schlimmer noch, kein Referat im Kanzleramt.

Was kümmert den Palast, ob der Platz vor der Schule vermüllt ist? Was kümmert die Staatslimousine, ob der Schulbus nicht mehr fährt? Solange es genug Fototermine gibt, bei denen man Kindern demonstrativ die Hand schüttelt, während diese überlegen, ob sie lieber ins Gebüsch gehen sollen – weil es dort wenigstens regnet und es riecht nicht so streng wie auf der Toilette.

„Sollen sie doch Kuchen essen“ – Die neoliberale Bastardisierung der höfischen Verachtung

Marie-Antoinettes berühmter Satz – ob er nun historisch korrekt ist oder nicht – wird heute nicht mehr ausgesprochen. Er wird budgetiert. Man sagt nicht mehr offen: „Das Volk soll doch Kuchen essen.“ Man streicht einfach das Brot aus dem Haushalt und serviert sich selbst Kaviar auf der Einweihungsparty des Ersatz-Bundespräsidialamts.

Die Eliten dieses Landes – und wir reden hier nicht von sinistren Verschwörungen, sondern von sehr realen, sehr bürokratischen, sehr selbstzufriedenen Entscheidungscliquen – haben eine Sprache entwickelt, die es ihnen erlaubt, das Elend ihrer Politik in wohlklingende Floskeln zu verpacken. „Priorisierung von Ressourcen“ heißt das dann, oder „strukturelle Konsolidierung“. Gemeint ist: Wir sparen bei euch, damit wir bei uns nicht auf Stil verzichten müssen.

Denn wie sähe das denn aus, wenn der Bundespräsident Staatsgäste in einem Container begrüßte? Wo kämen wir denn hin, wenn Ministerien improvisieren müssten wie Lehrerinnen, die selbst Klopapier mitbringen? Nein, das wäre unwürdig – für sie. Für uns? Gewöhnt euch dran.

Postdemokratie mit Zierleisten – Wenn Repräsentation alles ist

Man könnte nun fordern, das alles müsse anders werden. Aber das hieße, als würde man die höfische Kultur auffordern, doch bitte etwas bürgerlicher zu werden. Als würde man Ludwig XIV. nahelegen, die Steuerlast auf die Bauern zu senken, weil die Toiletten in den Dörfern so schlecht riechen. Die Antwort wäre dieselbe wie heute: höfliches Lächeln, feierliche Reden – und weiter geht’s mit dem Marmorieren der Empfangshalle.

Inzwischen sind die Spielplätze der Republik nicht mehr Orte des kindlichen Frohsinns, sondern Sinnbilder der Sparpolitik. Instandhaltung? Kürzung. Betreuung? Zu teuer. Dafür ist die nächste Pressekonferenz über „Frühe Bildung als Staatsaufgabe“ schon angesetzt. Mit Häppchen, versteht sich.

Was bleibt, ist die stille Resignation der Mehrheit. Die leise Hoffnung, dass wenigstens einer im System bemerkt, wie grotesk das alles ist. Doch die, die es bemerken, können nichts ändern. Und die, die etwas ändern könnten, bemerken nichts – oder profitieren zu sehr davon, dass es bleibt, wie es ist.

Epilog: Der Preis des Glanzes

Europa, Deutschland, Berlin – sie alle rutschen langsam aber sicher in eine Demokratie der Dekoration. Eine Demokratie, die lieber Paläste saniert als Schulklos putzt. Die lieber Werte beschwört, als Bedingungen verbessert. Die lieber symbolisch agiert, als real.

Vielleicht wird in hundert Jahren jemand auf dieses Kapitel unserer Geschichte zurückblicken und sich fragen, wie es so weit kommen konnte. Die Antwort wird irgendwo zwischen einer vergilbten Haushaltsnotiz über Reinigungsintervalle und einem Hochglanzprospekt des Bundespräsidialamts liegen.

Und vielleicht wird ein Kind, das heute in Lichtenberg mit zugehaltener Nase auf ein verdrecktes Klo geht, irgendwann sagen:

„Sollen sie doch regieren – wir waschen uns die Hände davon.“

Wahrheit nach Bildlage: Die Magersucht der Moral

Wenn Bilder lügen, aber Gefühle gewinnen

Es gibt Bilder, die die Welt verändern – zumindest für einen Tweet lang. Bilder, die so erschütternd sind, dass sie jede Kausalität wegblasen wie ein Föhn einen Staubkorn: Ein Kind mit eingefallenen Wangen, aufgerissenen Augen, Haut wie Papier. Kein Kontext, keine Diagnose, kein Ursprung. Nur der Blick – direkt ins Gewissen einer westlichen Öffentlichkeit, die gelernt hat, sich schuldig zu fühlen, noch bevor sie überhaupt verstanden hat, worum es geht.

Und so kam es, dass Osama al-Raqab – fünf Jahre alt, palästinensisch, schwerkrank – zum tragischen Posterboy einer medialen Moralkampagne wurde, die mit Fakten ungefähr so viel anfangen kann wie ein Influencer mit Differenzialrechnung. Die italienische Zeitung Il Fatto Quotidiano setzte Osamas Bild auf die Titelseite, rahmte es mit Pathos, druckte den Holocaust als Subtext dazu, und zündete damit ein moralisches Inferno. „Ist das ein Kind?“ fragte man – rhetorisch natürlich – und meinte damit: „Schaut hin, ihr Schweine, ihr steht auf der falschen Seite der Geschichte.“

Was man nicht erwähnte: Osama leidet an Mukoviszidose. Keine Bombe, keine Blockade, keine kalorienfeindliche israelische Hungerpolitik, sondern schlicht eine genetische Krankheit, die – in Ermangelung medizinischer Versorgung – zu genau den Symptomen führt, die auf dem Foto zu sehen sind. Der Skandal also: kein Hungertod, sondern die vorsätzliche Verwechslung einer Krankheit mit einem Kriegsverbrechen.

Der Skandal hat kein Interesse an der Wahrheit – nur an der Wirkung

Wenn der Journalismus zur Priesterschaft wird, ist das Faktum nur noch störender Ketzerlärm. In der neuen Liturgie des Leids gilt allein das Bild, nicht seine Herkunft. Es geht nicht um das, was passiert ist, sondern darum, wie es aussieht, wohin es passt und wem es nützt. Wahrheit ist in dieser Dramaturgie nur dann willkommen, wenn sie dem Narrativ dient. Ansonsten gilt: Fakten stören, Zweifel zerschellen am moralischen Beton.

Und dann kam – wie immer – die Realität. Die Realität, dieses fiese kleine Biest mit seinen Nebensätzen und Komplikationen: Osama lebt. Er wurde längst evakuiert. Von Israel – dem angeblich alles blockierenden Besatzungsteufel – in Kooperation mit Italien, das, man glaubt es kaum, offenbar nicht nur Slogans, sondern auch Flugzeuge hat. Über 700 Palästinenser wurden so in Sicherheit gebracht. Nicht durch internationale Empörung, sondern durch stille Diplomatie und reale Infrastruktur.

Aber das passte dann irgendwie nicht mehr auf die Titelseite.

David gegen das Narrativ – der Journalist als Nestbeschmutzer

Der zweite Fall, ebenfalls ein Kind, ebenfalls skelettiert, ebenfalls totgeschwiegen, wenn es unbequem wird. Mohammed Zakariya al-Matouq, 18 Monate alt, wurde mit dem ikonografischen Eifer eines säkularisierten Kreuzritters zum Symbol des Hungers in Gaza erhoben – von „Der Zeit“, von Twitter, von der moralisierenden Masse. Nur ein Problem: Das Foto war veraltet. Die Information: längst überholt. Das Kind? Kein Beweis für eine „flächendeckende Hungersnot“, sondern für den selektiven Einsatz von Bildern zur emotionalen Manipulation.

Und dann war da noch David Collier. Ein Journalist, Brite und Israeli, was ihn doppelt disqualifiziert im Wettbewerb um westliche Mitgefühlskompetenz. Er machte das, was Journalisten früher mal taten: recherchieren, überprüfen, widersprechen. Und wurde prompt zum Paria erklärt. Denn in der neuen Moralökonomie gilt: Wer Propaganda enttarnt, ist selbst ein Propagandist. Wer das Narrativ stört, stört die Ordnung. Und wer sich weigert zu weinen, hat keinen Platz mehr in der Debatte.

Die letzte Schlacht: Moral gegen Aufklärung

Es ist eine Ironie der Zeit, dass sich gerade jene, die sich als moralische Avantgarde inszenieren, der Aufklärung verweigern. Dass jene, die sich mit Primo Levi schmücken, seine Warnung ignorieren: dass Entmenschlichung nicht nur durch Gewalt, sondern auch durch Verklärung geschieht. Denn was ist es anderes, als eine Form moralischer Instrumentalisierung, wenn das Bild eines kranken Kindes mit einem Holocaust-Vergleich aufgeladen wird – nicht um das Kind zu schützen, sondern um einen politischen Gegner zu dämonisieren?

„Ist das ein Kind?“ Ja. Aber nicht dein Symbol. Nicht dein Hebel für Schuldzuweisung. Nicht dein moralischer Kurzschluss. Es ist ein Kind mit einer Krankheit, in einem Kriegsgebiet, in einer Welt, die komplizierter ist als ein Instagram-Post.

Der wahre Skandal ist nicht, dass Osama unterernährt ist. Der Skandal ist, dass sein Leid benutzt wird – nicht um zu helfen, sondern um zu hetzen.

Schlussakkord einer verlogenen Rührungsgesellschaft

Der Journalismus ist nicht tot. Er wurde übernommen – von PR-Abteilungen, Twitter-Mobs und moralischen Hysterikern mit Presseausweis. Die Bilder, die heute um die Welt gehen, sind oft keine Fenster zur Wirklichkeit mehr, sondern Projektionsflächen kollektiver Affekte. Man will sich empören, also findet man ein Bild. Man will Schuld verteilen, also erfindet man eine Geschichte dazu. Die Realität wird dabei nicht geleugnet – das wäre zu plump. Sie wird selektiert, dekoriert, choreografiert.

So stirbt der Journalismus nicht durch Zensur, sondern durch Selbstaufgabe. Die Redaktion als moralischer Kampfraum, der Fakten nur duldet, wenn sie nicht stören. Die Öffentlichkeit als Bühne für eine Empörung, die keine Aufklärung will – sondern nur Feindbilder, die gut fotografierbar sind.

Vielleicht ist es Zeit, sich daran zu erinnern, was Journalismus einmal war: ein Dienst an der Wahrheit, nicht an der Erregung. Vielleicht ist es Zeit, wieder zu fragen: Was ist wirklich passiert? Und vielleicht ist es an der Zeit, aufzuhören, kranke Kinder zu heiligen Bildern zu machen – und stattdessen über ihre Krankheiten, ihre Flucht, ihre Medizin zu sprechen.

Aber das verkauft sich halt nicht so gut.

Erdogan & Mazyek – Muslimbrüder im Ungeist

Die Rhetorik der Raserei – Wenn Pathos zur Waffe wird

Es war einmal ein Politiker, der wusste, wie man Mikrofone benutzt. Seine Stimme bebte, seine Hände zitterten vor heiliger Empörung, und seine Worte schlugen ein wie das Urteil eines zornigen Gottes. Recep Tayyip Erdogan, Berufspopulist mit Nebenfach Neo-Osmanismus, hat es wieder getan: Israel sei ein Terrorstaat, und die Bilder aus Gaza seien „viel schlimmer, brutaler und unmenschlicher“ als jene aus den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Nicht nur sprachlich ein nuklearer Erstschlag – sondern auch moralisch das Äquivalent eines moralischen Selbstmords mit Ankündigung.

Solche Sätze sind nicht mehr bloß ahistorisch. Sie sind absichtsvoll zynisch. Sie sind die politische Version von Brandstiftung mit religiösem Anstrich und demagogischer Schminke. Erdogan geht es nicht um Gaza, nicht um Palästina, nicht um das Leiden – es geht um das Ritual: die Inszenierung des starken Mannes, der, in wütender Pose verharrend, seine Stimme erhebt gegen ein „Feindbild“, das wie eine Voodoo-Puppe herhalten muss für alles, was nicht kontrollierbar ist. Israel ist in diesem Theaterstück nicht Gegner, sondern Projektionsfläche für ein tiefsitzendes antiwestliches Ressentiment, verpackt in den Mantel eines humanitären Alarms, dessen Falten jedoch nach Machtgier riechen und nach geopolitischer Berechnung stinken.

Wenn Antisemitismus den Umweg über den Humanismus nimmt

Der Trick ist so alt wie infam: Man behauptet, „nur Kritik an der israelischen Regierung“ zu üben – und gleitet dabei doch mit chirurgischer Präzision in jene toxischen Sümpfe ab, die der postkoloniale Diskurs so bereitwillig flutet. Erdogan moralisiert nicht – er instrumentalisiert. Und er ist nicht allein. Denn dort, wo der Präsident rhetorisch Napalm wirft, folgt oft die verbale Aufräumbrigade von Funktionären, Aktivisten und auch deutschen Repräsentanten muslimischer Organisationen. Wie etwa Aiman Mazyek, der ZDF-taugliche Ex-Frontmann des Zentralrats der Muslime in Deutschland, der bei jeder Gelegenheit betont, dass Antisemitismus „gar keinen Platz im Islam“ habe – nur um dann mit dem nächsten Atemzug Israels Existenzrecht auf moralische Ratenzahlung zu stellen, um nachzuschieben: „„Was wir in Gaza erleben, ist der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte.“, und die Beweise für „erdrückend.“ Hält.

Es ist ein Tanz der Doppeldeutigkeit: Mit dem einen Bein im liberalen Diskurs der deutschen Öffentlichkeit, mit dem anderen in der geistigen Lobby der Ummah. Eine Fußspitze im Talkshow-Sessel, die andere in der ideologischen Moschee. So gelingt das Kunststück, gleichzeitig „gegen jeden Antisemitismus“ zu sein – und doch aus jeder Pore antiisraelischen Groll dampfen zu lassen. Mazyek ist das freundliche Gesicht jener Szene, in der Erdogan der zornige Prophet ist – zwei Gesichter einer Erregung, die sich im Spiegel des Ungeists zur Identität stilisiert.

Die Shoah als rhetorischer Rohstoff

Dass Erdogan die Shoah – das Menschheitsverbrechen der industriell geplanten Auslöschung von Millionen Juden – als Vergleichsgröße für aktuelle Konflikte missbraucht, ist mehr als pietätlos. Es ist kalkulierte Obszönität. Er nimmt das unaussprechliche Grauen und benutzt es als Bühnenlicht für seine eigene politische Pose. Das ist keine verbale Entgleisung. Das ist eine Strategie. Denn je größer die Provokation, desto lauter das Echo. Je drastischer der Vergleich, desto größer die erregte Gemeinschaft, die sich um ihn schart wie um ein Lagerfeuer der moralischen Selbstbestätigung.

Doch wer Auschwitz zur rhetorischen Währung entwertet, beleidigt nicht nur die Toten – er entmündigt auch die Lebenden. Er raubt der Geschichte ihren Ernst und ersetzt ihn durch Pathos, das sich selbst genügt. Es ist die Pornografie der Empörung: visuell überreizt, moralisch schamlos, historisch billig. Und wie bei jeder Pornografie geht es auch hier nicht um echte Nähe, sondern um projizierte Machtfantasien.

Der deutsche Reflex – Ducken, Deuten, Differenzieren

Natürlich: In Deutschland zuckt bei solchen Aussagen der mediale Nerv. Politiker äußern „Unverständnis“, Leitartikel mahnen zur „historischen Sensibilität“, und irgendjemand bei den Grünen schreibt auf X, dass man „alle Seiten sehen müsse“. Es ist der berühmte Tanz um die Ambivalenz, der in Deutschland längst zum Teil des außenpolitischen Vokabulars geworden ist. Man will ja nicht zu hart gegen Erdogan vorgehen – man braucht ihn ja noch für die nächste Flüchtlingswelle, den NATO-Gipfel, das nächste diplomatische Feigenblatt.

Und auch Mazyek wird nicht konfrontiert, sondern konsultiert. Als Vermittler, als Stimme, als Experte. Dass sein Zentralrat kaum Gläubige, aber viele Kontakte zur islamischen Welt hat, spielt keine Rolle. Hauptsache, der Ton ist freundlich, der Bart ordentlich gestutzt und die Empörung wohlartikuliert. Die deutsche Öffentlichkeit will keine Klarheit – sie will Gespräch. Und Gesprächspartner. Und Gesprächsatmosphäre. Und Gesprächskreise.

Währenddessen wird im Gazastreifen gestorben. Und in Tel Aviv gezählt, ob die Sirenen schneller heulen als die Raketen fliegen.

Humanismus als Deckmantel des Ressentiments

Es ist eine besonders perfide Form des Missbrauchs, wenn der Humanismus selbst zur Maske wird. Wer sich auf das „Leid der Palästinenser“ beruft, aber zugleich Israels Existenz dämonisiert, betreibt keine Solidarität – sondern Rhetorikmanagement im Dienste des Hasses. Erdogan ist kein humanitärer Aktivist, sondern ein Autokrat mit Expansionsfantasien. Und Mazyek ist kein Friedensstifter, sondern ein geschickter Navigator durch die Untiefen eines deutschen Diskurses, der lieber Appeasement betreibt, als sich dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen.

Doch Antizionismus ist längst der akzeptierte Cousin des Antisemitismus geworden – eingeladen auf jedes linksliberale Fest, geschmückt mit den Farben des Regenbogens, doch unter dem Mantel stets das alte Gift. Der Jude als Kolonialist, der Zionismus als Apartheid, die israelische Demokratie als „Judenstaat“ – das sind nicht mehr nur Chiffren, sondern Teil einer politisch salonfähigen Hetze, die sich hinter Betroffenheit verbirgt wie ein Messer hinter einer Serviette.

Schlussgedanke: Der Ungeist als Bruder

Erdogan und Mazyek sind nicht nur Brüder im Glauben – sie sind auch Brüder im Ungeist. Der eine wütend, der andere wohlmeinend. Der eine mit Panzern, der andere mit Pressemitteilungen. Aber beide vereint im Misstrauen gegenüber dem Westen, gegenüber Israel, gegenüber einer Moderne, die sie rhetorisch umarmen, aber innerlich ablehnen. Es ist der Versuch, auf den Trümmern der Aufklärung ein neues, identitäres Haus zu bauen – aus religiösem Stolz, politischem Kalkül und moralischer Verdrehung.

Europa – vor allem Deutschland – täte gut daran, diesen Brüdern nicht zuzuhören, sondern sie zu entlarven. Nicht zu debattieren, sondern zu benennen. Nicht zu differenzieren, sondern zu entscheiden. Denn wer Auschwitz relativiert, verliert jedes moralische Recht, über Menschlichkeit zu sprechen. Und wer Israel delegitimiert, kann nicht gleichzeitig vom Frieden reden.

Der Ungeist hat viele Namen. Zwei davon heißen Erdogan und Mazyek. Es wird Zeit, sie auch so zu nennen.

Aiman Mazyeks Stolperstein der Schande

Ich habe bei der Staatsanwaltschaft Wien Strafanzeige (Sendungs-ID: 1926496Z48) gegen den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Herrn Aiman Mazyek, eingebracht. Anlass war ein am 31. Juli 2025 veröffentlichter Facebook-Post, in dem Mazyek ein digitales Bild im Stil der Stolperstein-Gedenkinitiative präsentierte – beschriftet mit „GAZA – Genozid 2025“ (falsch geschrieben „Genocidi“). Die Kombination von Wortwahl und Bildsprache werte ich als schwerwiegende Verharmlosung des Holocaust.

„Was wir in Gaza erleben, ist der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte.
Die Beweise sind erdrückend.“

Diese von Herrn Mazyek öffentlich getätigte Aussage steht im Zentrum der Anzeige. Ich sehe darin eine Relativierung des Holocausts und eine Missachtung der historischen Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen. Durch die Gleichsetzung aktueller politischer Konflikte mit dem systematischen Massenmord an europäischen Jüdinnen und Juden wird das Gedenken in inakzeptabler Weise instrumentalisiert.

Missbrauch der Stolperstein-Symbolik als Angriff auf die Erinnerungskultur

Die bewusste Nachahmung der Stolperstein-Ästhetik – einem international etablierten Mahnmal für Holocaustopfer – in Verbindung mit einem aktuellen politischen Narrativ wirft nicht nur rechtliche, sondern auch ethische Fragen auf. Ich rege daher zusätzlich eine Prüfung auf Verhetzung (§ 283 StGB) und Verächtlichmachung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) an. Die visuelle Symbolik ist geeignet, antisemitische Emotionen zu schüren und die öffentliche Ordnung zu stören.

Forderung nach rascher Aufklärung und Sicherstellung digitaler Inhalte

Ich fordere die unverzügliche Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie Sicherungsmaßnahmen bezüglich der veröffentlichten Inhalte. Zudem soll geprüft werden, ob auch medienrechtliche Bestimmungen verletzt wurden. Die Anzeige versteht sich als Verteidigung der Würde der Holocaustopfer und als klares Signal gegen jede Form der Geschichtsverzerrung und Pietätlosigkeit.


https://x.com/GruberLavin/status/1951721083804983578
https://www.facebook.com/photo?fbid=24685215964397535&set=pcb.24685217771064021

Aiman Mazyek – Wenn Schamlosigkeit zur Strategie wird

Das infame Bild und die perverse Umkehrung der Geschichte

Es gibt Momente, in denen Sprache versagt. In denen Worte zu klein, zu schwach, zu zivilisiert sind, um der Niedertracht zu begegnen, die sich da in ihrer ganzen Geschmacklosigkeit auf dem Bildschirm entfaltet. Ein digitaler „Stolperstein“ mit der Aufschrift „GAZA“ – als wäre das millionenfach industriell ermordete jüdische Leben nichts weiter als ein beliebig austauschbares Symbol, bereit, in jede gerade populäre Empörung gegossen zu werden. Daneben die grotesk verstümmelte Vokabel „Genocdi“ – eine AI-Grafik, offenbar von einer KI zusammengekleistert, der man moralisches Empfinden niemals beigebracht hat. Kein Wunder: Der Mensch, der sie veröffentlichte, scheint es selbst auch nicht mehr zu besitzen.

Und als wäre dieses abscheuliche Bild nicht bereits eine Verhöhnung der Erinnerungskultur – als wäre es nicht schon ein einziger Affront gegen die Würde der Holocaust-Opfer und ihrer Nachfahren –, da folgt der eigentliche Skandal erst im Text. Dort nämlich heißt es, das Geschehen in Gaza sei „der höchstdokumentierte Völkermord der Menschheitsgeschichte“. Man reibt sich die Augen. Man liest es noch einmal. Aber ja: Da steht es. Schwarz auf Weiß. Unfassbar – und doch real.

Was soll das sein? Ein Missgriff? Ein Versehen? Nein. Es ist ein Statement. Eine Entscheidung. Eine kalkulierte Entgleisung, die alles in den Schatten stellt, was an Relativierungen, an Holocaust-Verharmlosungen, an geschichtsrevisionistischem Zynismus in den letzten Jahren durch die Öffentlichkeit geisterte.

Diese Formulierung ist nicht nur falsch. Sie ist eine Verhöhnung.

Falsch – weil die Definition von „Völkermord“ ein präziser, völkerrechtlich scharf umrissener Begriff ist, der nicht nach medialer Präsenz, sondern nach Absicht und Durchführung bewertet wird. Verhöhnung – weil sie die industriell betriebene Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden – und vieler anderer Opfergruppen – relativiert, indem sie sie auf eine mediale Quantität reduziert: „höchstdokumentiert“. Was kommt als Nächstes? Der „beliebteste Holocaust“? Die „Top 10 der effizientesten Genozide“?

Das ist nicht bloß geschmacklos. Das ist widerwärtig.

Mit einem Federstrich wird hier der Holocaust in eine Art Vergleichswährung umgewandelt – als könne man das singuläre Grauen von Auschwitz und Treblinka mit einem aktuellen Kriegsgeschehen verrechnen, das in seiner Komplexität, Tragik und politischen Verantwortung nicht in ein simples Täter-Opfer-Schema passt. Und es ist kein Zufall, dass solche Umdeutungen gerade aus den Reihen jener kommen, die sich gern selbst als Sprachrohr der Entrechteten stilisieren, aber offenbar bereit sind, jeden moralischen Kompass über Bord zu werfen, wenn es der eigenen ideologischen Inszenierung dient.

Wer so redet, hat nicht nur jedes Maß verloren – er hat jede Scham abgelegt.

Die Formel vom „höchstdokumentierten Völkermord“ ist ein infamer Angriff auf die historische Wahrheit. Sie ist nichts anderes als ein rhetorischer Brandanschlag auf die Grundfesten unserer Erinnerungskultur. Wer sie gebraucht, stellt sich außerhalb jedes zivilisatorischen Konsenses. Es ist der sprachliche Amoklauf eines Milieus, das sich nicht mehr um Wahrheit, nicht mehr um Differenzierung, nicht einmal mehr um menschliche Würde schert – sondern einzig um die maximale moralische Erpressungskraft des eigenen Opfernarrativs.

Wenn die Shoah zu einem Referenzrahmen wird, den man je nach Bedarf heranzerrt, um tagespolitische Wut zu veredeln, dann ist jede Grenze überschritten. Dann reden wir nicht mehr über Kunstfreiheit oder Meinungsäußerung. Dann reden wir über Missbrauch. Über historischen Missbrauch. Über instrumentalisierte Totenruhe. Über eine unfassbare Perversion des Gedenkens.

Und die Frage, die bleibt, ist nicht: Wie konnte das passieren? Sondern: Warum sind nicht viel mehr Stimmen sofort aufgestanden, um diesem Wahnsinn Einhalt zu gebieten?

Die Vermessung des Ungeheuerlichen – eine juristische, politische und medienethische Analyse

Was hier geschieht, ist nicht bloß eine moralische Grenzüberschreitung – es ist ein tektonisches Beben auf gleich drei Ebenen der öffentlichen Ordnung: der rechtlichen, der politischen und der medienethischen. Und jede dieser Sphären versagt hier, wenn sie nicht mit der gebotenen Klarheit reagiert. Das Schweigen in weiten Teilen des politischen und medialen Mainstreams ist nicht Ausdruck von Differenziertheit – es ist eine Bankrotterklärung.

1. Juristisch: Die rote Linie der Volksverhetzung und der Holocaust-Relativierung

Der § 130 des deutschen Strafgesetzbuches, bekannt als das Gesetz zur Volksverhetzung, ist glasklar: Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die NS-Verbrechen verharmlost, leugnet oder relativiert, macht sich strafbar. Dabei geht es nicht nur um Holocaust-Leugnung im klassischen Sinne. Auch die öffentliche Relativierung durch Gleichsetzung mit anderen Ereignissen – insbesondere solchen, die weder in Art noch in Ausmaß vergleichbar sind – kann strafrechtlich relevant sein.

Die Formulierung vom „höchstdokumentierten Völkermord der Menschheitsgeschichte“ steht gefährlich nah an dieser Schwelle – wenn sie sie nicht gar überschreitet. Denn sie stellt, bewusst oder fahrlässig, eine hierarchische Verschiebung in der historischen Wertung von Genoziden her. Die Shoah, bisher historisch und rechtlich als singulär anerkannt, wird damit in ein Ranking gezwängt – das „meistgefilmte“, das „aktuellste“, das „sichtbarste“ Massaker soll nun höher gewichtet werden als der industriell organisierte Vernichtungsprozess der Nationalsozialisten.

Solche Aussagen sind nicht mehr nur ein Tabubruch, sie sind ein potenzieller Tatbestand. Die Strafverfolgung wäre nicht etwa ein Akt politischer Willkür, sondern eine notwendige Verteidigung der historischen Wahrheit als Rechtsgut.

2. Politisch: Wer so redet, will nicht deeskalieren – er will spalten

Politisch gesehen offenbart der Vorgang einen tiefen Riss in der Integrität des demokratischen Diskurses. Wer in der Position eines offiziellen Repräsentanten – hier: der Vorsitzende eines Zentralrats – mit einer solchen Terminologie hantiert, tut das nicht aus rhetorischem Leichtsinn. Es ist ein kalkulierter Schritt, mit dem Ziel, die politische Erzählung zu verschieben.

Es geht nicht mehr darum, differenziert auf humanitäre Katastrophen hinzuweisen oder legitime Kritik an israelischer Militärpolitik zu äußern – was selbstverständlich möglich und nötig bleibt. Nein, hier wird versucht, durch Umdeutung historischer Wahrheit eine neue politische Hierarchie der Opfer zu errichten, in der das jüdische Leid von gestern dem politischen Nutzen von heute geopfert wird.

Und das kommt zur Unzeit. In einem Land, in dem der Antisemitismus nicht nur aus den rechten Ecken kriecht, sondern zunehmend in linken, migrantischen und pseudo-humanistischen Milieus salonfähig wird, wirkt diese Art von Sprache wie ein Brandbeschleuniger. Sie liefert jenen Kräften argumentative Munition, die unter dem Deckmantel der Israelkritik seit Jahren auf die Relativierung des Holocaust hinarbeiten.

Politisches Handeln bleibt aus. Warum?

Die Reaktion der Parteienlandschaft? Ein gespenstisches Raunen. Hier ein distanziertes Statement, dort eine vage Formulierung über „unglückliche Symbolik“. Niemand nennt die Dinge beim Namen. Dabei wäre es dringend geboten, aus staatlicher Verantwortung heraus zu intervenieren. Nicht mit Zensur, sondern mit politischer Klarheit: Wer die Erinnerungskultur missbraucht, hat in den Räumen institutioneller Repräsentation nichts zu suchen.

3. Medienethisch: Wenn das „Empörungskapital“ zum Geschäftsmodell wird

Auch die Medien tragen eine Mitverantwortung an dieser Entwicklung. In einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsökonomie die öffentliche Debatte dominiert, wird moralische Drastik zur Währung – und Fakten zur Nebensache. Die geschmacklose Stolperstein-Grafik wurde innerhalb kürzester Zeit in den sozialen Netzwerken tausendfach geteilt, kommentiert, skandalisiert. Und wie so oft: Nicht der Inhalt zählt, sondern der Effekt.

Journalistische Redaktionen stehen unter Druck – wirtschaftlich, aber auch moralisch. Doch der Reflex, selbst bei solchen Grenzüberschreitungen lediglich einen Tweet zu zitieren, anstatt ihn einzuordnen, ist ein Armutszeugnis. Wo bleibt der kontextualisierende Journalismus? Wo sind die Einordnungen, die erklären, warum bestimmte Begriffe historisch untragbar sind? Warum man „Völkermord“ nicht als semantisches Spielzeug benutzen darf?

Medienethik bedeutet Verantwortung.

Verantwortung dafür, dass die Reichweite eines Beitrags nicht zum Selbstzweck wird. Dass das Publikum nicht allein gelassen wird mit Bildern und Begriffen, die ohne Einordnung gefährlich missverstanden oder gar begrüßt werden können. Dass man nicht, aus falsch verstandener „Balance“, jede Geschmacklosigkeit als „legitimen Beitrag zur Debatte“ duldet. Denn das ist keine Debatte. Das ist ein Missbrauch des Diskurses als Bühne der Selbstinszenierung.

Fazit: Keine Grauzone, kein Dazwischen – nur ein klares Davor und Danach

Was wir hier erleben, ist keine Nuance, kein Fehltritt, kein „missglückter Versuch“ politischer Symbolik. Es ist eine Zäsur. Wer den Holocaust relativiert – durch Bilder, durch Sprache, durch Gleichsetzung –, verlässt den Boden des Sagbaren, Denkbaren, Vertretbaren. Wer dies tut, darf keine Repräsentationsmacht mehr beanspruchen, keine moralische Autorität, keine gesellschaftliche Legitimität.

Das Problem ist nicht nur das Bild. Es ist die Haltung dahinter. Und wenn eine Gesellschaft dazu schweigt, dann zeigt sie nicht Reife – sondern Schwäche.

Und mit Schwäche beginnt der Zerfall.

Die Früchte des 7. Oktober

Wenn das Böse sich bedankt

Es gibt Momente, in denen Geschichte plötzlich die Maske fallen lässt. Kein rhetorisches Gesäusel mehr, keine diplomatisch gebügelte Floskel. Kein „beide Seiten“ oder „wir verurteilen in aller Schärfe“, sondern brutale Klartext-Poesie eines Mannes, der Blut an den Händen trägt und triumphierend grinst wie ein Kind, das beim Schummeln erwischt wurde – und dafür noch belohnt wird. Ghazi Hamad, Hamas-Sprecher, Mordideologe und jetzt auch Finanzmagnat mit angeblich vier Milliarden Dollar auf der hohen Kante, ließ kürzlich verlauten, dass die internationale Anerkennung Palästinas „eine der Früchte des 7. Oktober“ sei.

Der 7. Oktober – das ist nicht einfach ein Datum. Das ist ein blutroter Meilenstein im moralischen Niedergang einer Weltordnung, die vorgibt, humanistisch zu sein, aber nur dann Prinzipien kennt, wenn sie sich nicht in den Weg stellen. Ein Massaker mit Babies in Brand gesteckt, Frauen geschändet, Alte massakriert – und nun also diplomatische Bonbons aus Paris, London und Berlin. Was für eine groteske Symmetrie. Man kann es sich nicht ausdenken, man muss es ertragen.

Europäische Rückgrate – aus Porzellan, in China produziert

Emmanuel Macron, dieser PR-gerechte Universalist mit Napoleon-Komplex im postkolonialen Dauerkonflikt; Keir Starmer, der es nicht wagt, einen Schatten zu werfen, aus Angst, er könnte als „rechts“ gelten; Friedrich Merz, der sich in rhetorischer Zickzackakrobatik längst selbst überholt hat. Und dazu der gesamte technokratische Stab aus Brüssel, der mehr Energie in Gender-Guidelines für EU-Fördermittel steckt als in moralische Grundsatzfragen. All diese Figuren haben Ghazi Hamads Aussage nicht widerlegt, sondern bestätigt.

Was auch immer der Westen mal war – Bastion der Aufklärung, moralischer Kompass, vielleicht sogar gelegentlich ein Hoffnungsschimmer – ist er heute nicht mehr. Er ist ein Komitee ohne Kompass, eine Talkshow ohne Inhalt. Der Dschihad tanzt auf den Trümmern europäischer Prinzipien, und Europas Außenminister nicken höflich im Takt. Eine palästinensische Staatlichkeit – nicht nach einem Frieden, nicht nach einem Konsens, sondern als Preis für ein Pogrom. Man überreicht dem Brandstifter nicht nur die Medaille, sondern auch das Streichholz fürs nächste Mal.

Die Dialektik des Westens: Appeasement als Fortschritt verkauft

Die kognitive Dissonanz ist der neue Soundtrack der westlichen Diplomatie. Es ist der Glaube, dass man Gewalt deeskaliert, indem man ihr nachgibt. Dass man Frieden stiftet, indem man diejenigen aufwertet, die Krieg als heilige Pflicht sehen. Dass man mit Islamisten verhandeln könne wie mit Gewerkschaften – als ginge es um Lohnerhöhungen und nicht um die metaphysische Auslöschung des Andersdenkenden.

Was wir hier erleben, ist nicht bloß Feigheit. Es ist ein Systemversagen, gespeist aus postkolonialem Schuldkomplex, Relativismus und der seltsamen, irgendwie rührenden Überzeugung, dass alle Konflikte lösbar seien, wenn man nur genug Wohlwollen zeigt. Leider hat niemand den westlichen Außenministern gesagt, dass ihre Gesprächspartner keine Skandinavier sind. Ghazi Hamad diskutiert nicht. Er diktiert.

Gut gemeint, schlecht gemacht – oder: Das Paradies der Dilettanten

Die Naivität ist keine Ausrede mehr. Nicht nach Syrien. Nicht nach Libyen. Nicht nach Afghanistan. Nicht nach dem Iran-Deal, bei dem die Ayatollahs vor Lachen kaum in ihre Turbane atmen konnten. Und ganz sicher nicht nach dem 7. Oktober. Die politischen Eliten des Westens sind nicht bloß überfordert – sie sind Mittäter aus Inkompetenz. Ihre Symbolpolitik, ihre Hashtag-Diplomatie, ihre moralische Pose – sie hat reale Konsequenzen. Sie befördert jene, die sie eigentlich bekämpfen müsste.

Das Tragische ist: Der Preis für diese Hybris zahlen nicht Macron oder Merz. Der Preis wird in Ashkelon und Sderot gezahlt, in Gaza von den Geiseln, die Hamas noch immer hält, und auch in Europa, in den jüdischen Gemeinden, die ihre Schulen unter Polizeischutz führen müssen – während der „Free Palestine“-Mob ungestört marschieren darf. Der Westen hat seine Schutzbefohlenen verraten, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen.

Die Früchte des Zynismus

Wenn also Ghazi Hamad zufrieden lächelt, dann nicht, weil er eine PR-Kampagne gewonnen hätte. Sondern weil er verstanden hat, dass er die Regeln neu schreiben darf – mit westlicher Tinte. Was der Westen heute als „Geste des Friedens“ verkauft, wird morgen als „Erfolg des Widerstands“ gefeiert. Und übermorgen? Übermorgen steht Europa erneut fassungslos vor einem Terroranschlag, verfasst eine Schweigeminute und reicht dann einem weiteren Schlächter die Hand.

Diese Früchte, Herr Hamad, mögen süß schmecken für Sie. Doch für die Welt, die sich selbst einmal als frei bezeichnete, sind sie bitterer als jedes Urteil der Geschichte.

Die Rückkehr der Gesinnungsprüferin

oder: Wie ich lernte, die Stasi zu lieben

Es war einmal ein Land, in dem man sich bei den Falschen nicht zu laut räuspern durfte. Dieses Land hieß DDR, was nicht, wie viele heute glauben, für „Die Demokratie rockt“ stand, sondern für „Denunziation, Diktatur, Repression“. Damals, als es noch für eine Aktentasche voll Akten ein Schulterklopfen gab, schrieb eine gewissenhafte Frau unter dem Tarnnamen „Marion“ fleißig Berichte über Menschen, die dachten, sie seien ihre Freunde. Heute, ein paar Regime und Erinnerungen später, ist Marion auferstanden – nicht in Gestalt einer Mahnerin für das, was war, sondern als Tugendwächterin dessen, was sein darf.

Maja Wiens, Jahrgang 1952, gebürtige DDR-Bürgerin, gelernte Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit, ist heute das, was man in geförderten Broschüren „zivilgesellschaftliches Engagement“ nennt. Einst führte sie Protokoll über das subversive Verhalten ihrer Umwelt – zum Beispiel unbewilligte Lektüre westlicher Zeitschriften, falsche Freunde oder fragwürdige Liedtexte. Heute führt sie Protestzüge gegen Faschismus und Rassismus an – mit akkurat dekliniertem Plakat und einem unerschütterlichen Blick, der sagt: „Ich weiß, was du letzten Sommer gewählt hast.“


Wer einmal denunziert hat, dem glaubt man nicht

Früher war es der Klassenfeind, heute ist es der politische Feind, der ins Visier gerät. Man könnte fast meinen, es handle sich um eine durchgängige Karriere im selben Berufszweig – nur dass der Dienstherr gewechselt hat und der Etat heute vom Familienministerium stammt, statt vom Ministerium für Staatssicherheit. Was sich nicht geändert hat: der Furor, mit dem die Abweichler vom rechten Weg identifiziert und angeprangert werden.

Natürlich könnte man sagen: Menschen ändern sich. Reue ist möglich, Läuterung auch. Doch davon spricht Maja Wiens nicht. Sie gibt sich nicht als geläuterte Täterin, sondern als moralische Instanz – die letzte Verteidigungslinie gegen die Finsternis, gegen alles, was nicht in ihren antifaschistisch-korrekt kalibrierten Kompass passt. Dass ihre eigene Vergangenheit dabei nicht stört, sondern offenbar qualifiziert, lässt tief blicken – vor allem in die Mechanik heutiger Erinnerungskultur.


Die Reinwaschung der Vergangenheit: Jetzt mit Bio-Siegel

Denn die Geschichte von Maja Wiens ist auch die Geschichte einer beunruhigenden Amnesie. Eine Gesellschaft, die sich als antifaschistisch definiert, scheint bereit, so ziemlich jede Biografie zu verzeihen – solange das Narrativ stimmt. Das heißt: Wer heute gegen rechts ist, kann kaum zu Unrecht je gegen links gewesen sein. Die DDR? Ein Betriebsunfall. Die Stasi? Ein Missverständnis. Die IM-Akte? Ein dunkles Kapitel, aber das Buch hat doch ein gutes Ende. Happy End mit Förderantrag.

Es verwundert da kaum, dass Wiens 2024 den Aachener Friedenspreis bekam – ein Preis, der schon öfter mehr für Gesinnung als für Gewissen verliehen wurde. Der Thüringer Demokratiepreis folgte, als wäre er auf ihre Biografie maßgeschneidert: vom Spitzel zur Demokratin in nur vier Jahrzehnten – ganz ohne öffentliche Entschuldigung, aber mit medienwirksamem Einsatz gegen die AfD. Wer braucht schon Läuterung, wenn man Haltung hat?


Wenn Moral zur Währung wird

Maja Wiens ist nicht die Ausnahme. Sie ist das Symptom. Ein Paradebeispiel für eine Zeit, in der Moral nicht mehr aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld erwächst, sondern aus dem richtigen Feindbild. Wer gegen rechts ist, ist automatisch gut. Und wer gut ist, bekommt Preis, Presse und Projektmittel. Dass die gleichen Methoden zur Anwendung kommen – Beobachtung, Denunziation, soziale Ächtung – ist kein Widerspruch, sondern fast schon ein ironischer Zirkel der Geschichte.

Es braucht keine Stasi mehr, wenn die Zivilgesellschaft bereitwillig ihre Rolle übernimmt. Heute schreibt man keine Akten mehr, man schreibt Tweets. Früher landete man in der Personalakte, heute auf einer Watchlist antifaschistischer Blogs. Die Methoden ändern sich, das Prinzip bleibt: Wer anders denkt, muss beobachtet werden. Wer anders spricht, ist verdächtig. Und wer fragt, warum eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin zur demokratischen Lichtgestalt stilisiert wird, ist ohnehin schon ein Fall für die nächste Zoom-Sitzung der „Omas gegen Rechts“.


Fazit: Die Revolution frisst ihre Kinder – und spuckt sie wieder aus, wenn sie nützlich sind

Man könnte über Maja Wiens lachen, wäre ihre Geschichte nicht so exemplarisch für einen gefährlichen Trend. Statt aus der Geschichte zu lernen, inszeniert man die Vergangenheit als modulares Legoset, in dem man sich die passenden Bausteine heraussucht. Der Rest wird als „nicht hilfreich“ in die Lade mit den Altpapieren gelegt – oder in die Rubrik „rechte Narrative“, wenn jemand wagt, sie zu thematisieren.

Wiens ist nicht die letzte ihrer Art. Sie ist ein Prototyp. Eine Figur, die in ihrer Mischung aus moralischem Eifer, historischer Unschärfe und öffentlicher Förderung zeigt, wie dünn der Lack demokratischer Selbstvergewisserung geworden ist. Und wie bereitwillig wir jene zu Heiligen erklären, die einst bereit waren, andere zu opfern – für die richtige Sache, versteht sich.

Denn in einem Land, das sich so sehr für seine Vergangenheit schämt, dass es sich ständig neue Heldinnen erfindet, ist selbst eine alte IM wie „Marion“ noch zu gebrauchen – solange sie im Dienst der richtigen Gesinnung steht. Und damit schließt sich der Kreis: Der antifaschistische Schutzwall ist zurück. Nur dass er heute nicht aus Beton besteht, sondern aus PR, Preisverleihungen – und einer gehörigen Portion Vergessen.

Am Rande des Weltgewissens: Der vergessene Völkermord an den Jesiden

Die Chronik des Desinteresses

Der 3. August ist kein Feiertag. Er ist kein Tag, an dem man mit Picknickdecke und Kartoffelsalat ins Freie zieht. Kein Tag, an dem Supermärkte Blumenaktionen fahren oder mediale Countdown-Uhren auf Null ticken. Der 3. August ist ein Tag, an dem sich – weitgehend unbemerkt vom globalisierten Dauerfeuer der Empörungsschleifen – ein Datum jährt, das nach Hall schreit und Echo sucht, jedoch nur im Geröll der Nachrichtenflut verschüttet wird: der Beginn des Völkermords an den Jesiden durch den sogenannten Islamischen Staat im Jahr 2014.

Elf Jahre ist es her, dass Männer enthauptet, Frauen versklavt, Kinder verschleppt wurden. Nicht irgendwo in einem abstrakten Raum des Schreckens, sondern im nordirakischen Sindschar-Gebirge, einem Ort, der seither ein Synonym geworden ist für das Versagen der Menschheit, wenn es darauf ankommt. 2.700 Frauen und Kinder gelten weiterhin als vermisst – eine Zahl, die längst zu einer Fußnote der Weltpolitik verkommen ist, eine Ziffer in einem UN-Bericht, die zwischen „Klimakrise“ und „Künstlicher Intelligenz“ auf Seite 37 versickert.

Die Verhältnismäßigkeit der Aufmerksamkeit – oder: Warum Britney Spears’ Instagram mehr Schlagzeilen macht als die jesidischen Überlebenden

Was darf Aufmerksamkeit kosten? Was ist ein Menschenleben wert, wenn es nicht photogen, viral oder geopolitisch nützlich ist? In einer Welt, in der das Mitleid binnen 24 Stunden auf TikTok tanzen muss, um Relevanz zu behalten, haben die Jesiden verloren. Nicht nur ihre Angehörigen, ihre Dörfer, ihre Unversehrtheit. Sondern auch das unsichtbare Siegel dessen, was man „zivilisatorisches Minimum“ nennen könnte. Denn wer nicht sichtbar ist, dem wird nicht geholfen. Und wer nicht schreit, dem wird nicht zugehört. Die Jesiden haben geschrien. Doch unsere Ohren waren voller anderer Geräusche: Likes, Aktienkurse, Wahlkampfrhetorik, Influencerdramen.

Der Täter ist verschwunden, das Verbrechen bleibt

Der IS mag territorial besiegt sein, die Kalaschnikows verstummt, die schwarzen Fahnen eingerollt. Doch wie jeder gut gebaute Alptraum wirkt auch dieser nach. Die Strukturen der Gewalt, die Traumata, das Netz aus Angst und Stigma – sie sind geblieben. Wie ein Ölfleck im kollektiven Bewusstsein, das sich nicht entschließen kann, ob es überhaupt betroffen sein will. Der Täter hat sich entmaterialisiert, transformiert in Schatten, Zellen, Parolen. Die Tat jedoch lebt weiter in jedem jesidischen Kind, das seine Mutter sucht, in jeder Frau, die zu „Beute“ erklärt wurde – ein Wort, das nicht aus dem Mittelalter stammt, sondern aus der Rechtsprechung des Kalifats von gestern.

Moral als saisonales Angebot: Der westliche Blick und seine Halbwertszeit

Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, das sich wiederholt, in immer neuen Variationen: Der Westen entdeckt eine Katastrophe, ist erschüttert, sendet Delegationen, organisiert Gedenkveranstaltungen mit exakt austarierter Betroffenheitsmimik, legt Kränze mit strategisch fotografierbaren Schleifen nieder – und wendet sich dann wichtigeren Dingen zu. Wahlumfragen. Haushaltspolitik. Der neuesten Netflix-Serie. Die Moral ist verfügbar, aber leider nicht vorrätig. Oder nur noch in Restbeständen.

Was dabei übersehen wird: Die Jesiden brauchen keine Lippenbekenntnisse. Sie brauchen Gerechtigkeit. Reparationen. Sichtbarkeit. Eine internationale Gerichtsbarkeit, die den Begriff Völkermord nicht inflationär gebraucht, sondern endlich justiziabel macht. Die Möglichkeit, sich als Subjekt zu begreifen, nicht nur als Objekt humanitärer Folklore.

Zynismus ist der letzte Schutzmantel der Wahrheit

Ja, man darf zynisch sein. Man muss es sogar, wenn man den Irrsinn dieser Welt nicht nur aushalten, sondern benennen will. Wenn ein Krieg mehr Sendezeit bekommt, weil er geografisch näher an einem Gasanschluss liegt, als einer, der ethnisch motivierten Genozid betreibt, dann ist Zynismus die einzig logische Reaktion. Wenn eine befreite jesidische Frau nach elf Jahren der Versklavung zwar als „breaking news“ kurz aufflackert, aber nicht einmal einen ministeriellen Akt der Würdigung erfährt, dann ist Ironie kein Stilmittel mehr, sondern Selbstschutz vor der Ohnmacht.

Kein Vergessen ist nicht genug

„Kein Vergessen!“ ruft es aus den wenigen Stimmen, die sich heute noch mit dem Schicksal der Jesiden befassen. Aber es reicht nicht, sich zu erinnern, wenn das Erinnern keine Konsequenz hat. Erinnern muss wehtun. Es muss handeln wollen. Es muss die eigene Bequemlichkeit stören. Sonst ist es sentimentaler Stillstand. Die Jesiden brauchen nicht unser Mitleid, sondern unsere Verantwortung. Sie sind kein Mahnmal – sie sind Menschen. Lebendig, verletzlich, voller Geschichten, die weitererzählt werden müssen – nicht als Tragödien, sondern als Zeugnisse eines Widerstandes gegen das Vergessen, gegen das Schweigen, gegen die Gleichgültigkeit.

Epilog: Ein Gebirge voller Stimmen

Das Sindschar-Gebirge schweigt nicht. Es ist voller Stimmen, auch wenn sie nur flüstern. In jeder verscharrten Leiche, in jeder überlebenden Frau, in jedem Kind, das mit zwei Namen lebt – dem gegebenen und dem gestohlenen. Wer hinhört, wird sie hören. Und wer sie hört, kann nicht mehr schweigen.

Gesinnung statt Spannung – Wie der „Tatort“ zur sonntäglichen Umerziehung mutierte

Prolog im Meinungskorsett: Wenn das Böse immer eine Glatze trägt

Es war einmal, an einem Sonntagabend, zwischen dem dritten Rotwein und dem letzten Stück Tiefkühlpizza, als das deutsche Fernsehvolk sich einig war: Jetzt ist aber endlich Tatort-Zeit! Ein bisschen Morden, ein bisschen Ermitteln, ein bisschen latent miefige Vorabendmelancholie – das Ritual, das selbst Atheisten eine Ahnung vom sonntäglichen Gottesdienst vermittelte. Doch mittlerweile flimmert kein Krimi mehr über die Bildschirme. Stattdessen läuft ein staatlich abgesegneter Erziehungsfilm mit Krimiverkleidung – irgendwo zwischen Sendung mit der Maus für Erwachsene und einem schlecht getarnten Propagandastreifen der postmodernen Tugendwächter. Willkommen in der neuen Sonntagsschule der ARD, wo der Täter stets das Falsche wählt – und zwar ideologisch.

Die neue Dramaturgie: Täter rechts, Opfer divers

Wer heutzutage einen „Tatort“ einschaltet, darf sich auf verlässliche Drehbuchkonventionen freuen, so sicher wie das Amen in der Kirche der Haltung: Der Täter ist – Überraschung! – männlich, weiß, mittelalt, Unternehmer oder alternativ wahlweise AfD-Wähler, Burschenschaftler oder Vater dreier Kinder mit einem zu festen Handschlag. Das Opfer hingegen hat einen Migrationshintergrund, lebt vegan, ist queer oder zumindest marginalisiert genug, um mit moralischem VIP-Status ausgestattet zu sein. Willkommen im Moral-Mikado: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Fakten, Motive, logische Zusammenhänge? Nebensache. Was zählt, ist die Gesinnung – am besten im moralischen Streichelzoo zur Primetime.

Die Requisite ist entsprechend angepasst: Die Villa des Kapitalisten tropft vor kaltem Chic und ideologischem Schimmel, während die Unterkunft des Geflüchteten zwar baufällig, aber mit warmer Menschlichkeit durchflutet ist. Die Kommissare nicken verständnisvoll, wenn Opfergruppen sprechen, und blicken angewidert, wenn der rechtschaffene Mittelständler versucht, seine Sicht zu schildern. Wer das „falsche“ Weltbild vertritt, hat im Drehbuch sowieso keine Chance auf Menschlichkeit. Differenzierung ist halt ein Privileg der Guten.

Florian Hager und die Demokratiestiftung per Drehbuch

ARD-Intendant Florian Hager, ansonsten vor allem bekannt durch seine photogen-ernste Stirnfalte und das Talent, pädagogische Floskeln in Statements zu pressen wie ein Kantinenkoch das Sojaschnitzel, sieht den Tatort als „demokratiestiftendes Format“. Eine Aussage, so vollendet kafkaesk, dass man unweigerlich an die Zeit denkt, als öffentlich-rechtliche Sender noch Sendungen machten – und nicht Bekenntnisse.

Was genau gestiftet werden soll, bleibt allerdings offen. Demokratie? Oder eher ein Meinungsbiotop, in dem nur gedeiht, was im Diversity-Kosmos als fruchtbar gilt? Die Pluralität der Perspektiven weicht einer ideologischen Einfalt: Wer vom Skript der Weltoffenheit abweicht, landet im Plot als Täter. Wer kritisch fragt, ist verdächtig. Wer ironisiert, wird gecancelt – oder wenigstens aus dem Abspann gestrichen. Kritisches Denken wird durch korrektes Fühlen ersetzt, und wer denkt, das sei eine Karikatur, sollte dringend den letzten Tatort mit dem Gender-Kommissar-Duo in Transsolidarität anschauen.

Krimi als Klischeekulisse: Die Helden der neuen Zeit

Der klassische Kommissar – zynisch, ein bisschen versoffen, aber mit Instinkt – wurde längst beurlaubt. Er wurde ersetzt durch sensitiv kodierte Persönlichkeitsbausteine mit pädagogischem Sendungsbewusstsein. Der neue Ermittler spricht in Empowerment-Slogans, trägt feministische Buttons und zitiert lieber Judith Butler als den Obduktionsbericht. Die Verhöre ähneln Therapiesitzungen, die Täteranalysen klingen wie Instagram-Captions: „Toxische Männlichkeit führte zur Tat. Kapitalismus als strukturelle Gewalt. Weißsein als Mitverantwortung.“ Einmal Gendersternchen – mit allem, bitte!

Die Diversität im Tatort hat mittlerweile die narrative Integrität überrollt wie ein Lastenrad den Wochenmarkt. Was ursprünglich Vielfalt bedeutete – nämlich unterschiedliche Perspektiven, auch unbequeme –, wurde zu einem uniformen Wohlfühldiktat umgedeutet. Es darf alles sein, solange es sich im Safe Space der richtigen Haltung bewegt. Der Migrant mit krimineller Energie? Undenkbar. Der Antifa-Aktivist mit Gewaltproblem? Unmöglich. Der Unternehmer mit Herz? Nicht im Drehbuch vorgesehen. Willkommen in der Welt des fiktionalen Gesinnungskollektivs, in dem Widerspruch die größte Bedrohung darstellt.

Satire oder Realität? Man weiß es nicht mehr

Dass dieser Text satirisch ist, sei ausdrücklich betont. Obwohl – ist er das wirklich? In einem Medienklima, in dem der Witz vom Irrsinn kaum mehr zu unterscheiden ist, wird jede Polemik zur erschütternden Zustandsbeschreibung. Wenn der Tatort als „demokratiestiftend“ gilt, dann war die „Feuerzangenbowle“ wohl ein Experiment zur Bildungsgleichheit. Wenn jeder Bösewicht ein Unternehmer ist, dann liegt die einzige Spannung darin, ob es diesmal der Immobilienhai oder der Metzgereibesitzer mit Facebook-Konto war. Und wenn ausgerechnet ein Krimi keine Ambivalenz mehr zulässt, sondern sich in moralischer Eindeutigkeit suhlt wie ein Politiker im Eigenlob – dann ist das Tragik, keine Satire.

Epilog: Die Moral von der Geschicht? Einschalten lohnt sich nicht

Wer heute noch Tatort schaut, ist entweder Soziologe, Masochist oder Fan von frontalpädagogischen Erzählungen im Polizeiuniformformat. Spannung? Fehlanzeige. Stattdessen gibt es pädagogischen Stuhlkreis mit Mordfallbeilage. Das Ende ist längst klar: Der Täter ist der Falsche, das Opfer ist der Richtige, und wir Zuschauer sind die Umerzogenen.

Aber vielleicht liegt die Zukunft des deutschen Fernsehens genau darin: Unterhaltung durch Unterweisung, Spannung durch Signalwirkung. Statt „Wer war’s?“ heißt es bald: „Wer denkt falsch?“ Und die letzte Pointe wird nicht mehr im Abspann stehen, sondern im Schulbuch – als Beispiel für demokratiestiftendes Fernsehen.

Oder, um es mit einem alten Tatort-Kommissar zu sagen: „Ich habe da so ein Gefühl – und das gefällt mir gar nicht.“


Ende – oder: Bleiben Sie kritisch. Irgendjemand muss es ja sein.

Der Nebel des Relativismus oder: Wie man auf beiden Augen blind wird

Klarheit & Verantwortung in der Nahostpolitik sind Gebot der Stunde!

Es ist eine der tragischsten Grotesken der Gegenwart: Während Raketen auf israelische Städte niedergehen, während Kinder sich in Bunkern verschanzen und Terrororganisationen in Liveübertragung ihre Charta der Vernichtung skandieren, falten europäische Intellektuelle ihre Hände – nicht zum Gebet, sondern zur Haltungsübung. Alles sei „kompliziert“, „historisch belastet“, „von kolonialen Strukturen durchwirkt“. Und so verwandelt sich das reale Schlachtfeld des Nahen Ostens in einen moralphilosophischen Sandkasten westlicher Diskursakrobatik. Das Existenzrecht Israels? Aber bitte im Konjunktiv. Die Hamas? Ein Produkt sozioökonomischer Frustration. Der Antisemitismus auf Europas Straßen? Ein „Hilfeschrei“ migrantischer Subjektivitäten. Die Täter-Opfer-Umkehr wird so geschickt zelebriert, dass Orwell sich in seinem Grab umdrehen müsste – mit anerkennendem Nicken.

Das Recht auf Selbstverteidigung – aber bitte nur mit Wattebäuschchen

Die Logik ist bestechend in ihrer Perversion: Israel darf sich verteidigen – aber nur, wenn es niemandem wehtut. Keine zivilen Opfer, keine Kollateralschäden, keine moralischen Grauzonen. Dass die Gegenseite sich hinter Babys, Krankenhäusern und Moscheen versteckt, wird dabei geflissentlich ignoriert. Die Choreographie ist immer gleich: Die Hamas feuert Raketen, Israel reagiert, die Presse titelt „Gewalt im Nahen Osten“. Und dann folgt das große moralische Fingerspitzengefühl: „Verhältnismäßigkeit“. Ein Wort, das in seiner Anwendung auf Israel so häufig bemüht wird, dass man meinen könnte, es sei ausschließlich für diesen Zweck erfunden worden. Die Frage, wie ein demokratischer Staat sich gegen Terror wehren soll, ohne als Aggressor zu gelten, bleibt unbeantwortet. Oder schlimmer: bewusst unbeantwortbar.

Von der Staatsräson zur Staatsvermeidung

Die deutsche Staatsräson sei die Sicherheit Israels, so hört man. Ein schöner Satz, den man gerne auf Gedenkveranstaltungen oder Regierungserklärungen rezitiert, vorzugsweise mit leicht belegter Stimme und ernster Miene. Doch jenseits des Protokolls sieht es düster aus: Während Synagogen bewacht werden müssen, wird der Antisemitismus auf Schulhöfen, Unicampi und Demos unter dem Schutzmantel der Meinungsfreiheit geduldet – solange er sich in den richtigen Farben kleidet und die richtigen Parolen brüllt. Der Unterschied zwischen „Kritik“ und „Hass“ ist dann nur noch semantisch, und die „Sorge um die Palästinenser“ dient als moralischer Feigenblattvorhang für blanken Judenhass. Wenn Staatsräson bedeutet, an Gedenktagen Kränze zu legen, aber am nächsten Tag UN-Resolutionen durchzuwinken, die Israel delegitimieren, dann ist sie nur noch eine rhetorische Zierde – wie das Kreuz im Sitzungssaal eines religionskritischen Ethikrats.

Luftpost aus Absurdistan – Wenn der Himmel über Tel Aviv dröhnt

Wenn über Tel Aviv das metallene Dröhnen schwerer Triebwerke ertönt, ist es für viele Israelis längst keine eindeutige Bedrohung mehr, sondern ein Multiple-Choice-Quiz: A) Hamas-Raketen. B) Iranische Drohnen. C) Die deutsche Bundesluftwaffe auf einem weiteren humanitären Experimentierflug. Letzteres ist der Albtraum mit Gütesiegel – Päckchenweise „Zivilhilfe“, die über Umwege, Tunnel und befreundete Autokratien am Ende genau dort landet, wo Sprengstoff beigemischt wird. Die Ironie: Dieselben Länder, die Israel diplomatisch zum Maßhalten ermahnen, ermöglichen strukturell die Aufrechterhaltung des Terrors, den sie dann mit betroffener Stirn verurteilen. Es ist das geopolitische Äquivalent zum Feuerlegen mit dem einen Arm und Feuerlöschen mit dem anderen – nur, dass Letzterer stets leer bleibt.

Resolutionstheater der Absurdität – Die UN als moralisches Improvisationskollektiv

Willkommen im Weltsicherheitsrat, jener moralischen Puppenbühne mit realem Einfluss. Hier wird täglich auf hohem Niveau Empörung simuliert, während die schlimmsten Diktaturen der Welt als Richter über Israel auftreten dürfen. Der jährliche Wettbewerb „Wer formuliert die schönste anti-israelische Resolution?“ ist längst Tradition. Dass währenddessen syrische Fassbomben, iranische Hinrichtungen und chinesische Uigurenlager weitgehend ohne UN-Kommentare auskommen, ist kein Zufall, sondern System. Denn Israel, das ist ein Land, das man kritisieren kann, ohne politische Kosten zu fürchten – ein ideales Feindbild für moralische Schaumschlägerei. Und das alles unter der blauen Flagge der Menschenrechte. Die Farce ist so vollständig, dass man sich fragt, wann Kafka als Ghostwriter in Erscheinung tritt.

Campus der Doppelmoral – Akademischer Antizionismus als Fortschrittsreligion

Die Universität, so hieß es einmal, sei der Ort, an dem Denken frei sei. Heute ist sie vor allem der Ort, an dem Denken vorab auf Wokeness-Tauglichkeit geprüft wird. Der akademische Antizionismus ist dabei kein Nebensatz mehr, sondern Teil des Curriculums. Wer sich gegen Israel ausspricht, darf auf Podien, Preise und Professuren hoffen. Wer sich für Israel äußert, wird zur problematischen Figur erklärt – bestenfalls als naiv, schlimmstenfalls als Komplize der Unterdrückung. Die neue Religionsgemeinschaft heißt „Dekoloniale Theorie“ – mit Heiligtümern, Märtyrern und dogmatischer Rechthaberei. Ihre Priesterschaft nennt sich „kritische Wissenschaft“, ihr Bannstrahl trifft alle, die Juden nicht nur als Opfer, sondern auch als Subjekte mit einem legitimen Nationalstaat begreifen. Es ist nicht intellektuelle Neugier, die hier regiert, sondern ideologischer Eifer – durchdrungen vom Wunsch, die Geschichte umzuschreiben, notfalls auf Kosten der Realität.

Feuilletonistische Pirouetten – Wenn Redakteure rückwärts denken

„Differenziert“, „abgewogen“, „nachdenklich“ – so beschreibt sich der deutsche Feuilleton gerne selbst, während er die Klarheit meidet wie der Teufel das Weihwasser. Wenn Juden in Deutschland wieder Polizeischutz brauchen, liest man nicht etwa: „Wie konnte das passieren?“, sondern: „Muss Israel seine Politik überdenken?“ Wenn ein Massaker in Israel geschieht, folgt der Reflexartikel: „Wie stark hat die Besatzung daran Anteil?“ Und wenn die Hamas mordet, dann ist der Schuldige schnell gefunden – nämlich Israel, das „mit seiner Politik die Spirale der Gewalt befeuert“. Es ist ein Tanz auf Zehenspitzen – rückwärts, mit verbundenen Augen und gespielter Entrüstung. Haltung wird simuliert, während man sich krümmt. Moral wird angedeutet, nie aber behauptet. Und Israel? Das bleibt die ewige Projektionsfläche für das deutsche Bedürfnis, Schuld zu delegieren, ohne sie abzugeben.

Das Kreuz mit der Schuld – Kulturelle Selbstverleugnung als neuer Exorzismus

Was früher Buße hieß, nennt sich heute postkoloniale Kritik. Doch die rituelle Selbstkasteiung westlicher Gesellschaften hat eine neue Stufe erreicht: die kulturelle Selbstverleugnung als Tugend. Wer heute einen klaren Satz über die Verteidigung demokratischer Werte sagt, sieht sich schnell dem Verdacht des „Eurozentrismus“ ausgesetzt. Solidarität mit Israel? Koloniale Arroganz. Verteidigung westlicher Rechtsprinzipien? Imperialistische Erbsünde. Der neue Kult des Schuldgefühls verlangt nicht nur Demut – er verlangt Selbstauflösung. Und nichts eignet sich besser als Sühneopfer als Israel: ein jüdischer Staat, gegründet auf westlich-demokratischen Prinzipien, bewaffnet, selbstbewusst – also gleich doppelt verdächtig.

Der Clou: Man nennt es „Reflexion“, meint aber Selbstverachtung. Und so verbeugt sich Europa mit wachsender Inbrunst vor jenen, die es verachten, während es jene belehrt, die es verteidigen. Israel steht dann nicht als Verbündeter da, sondern als Störenfried – eine peinliche Erinnerung daran, dass man selbst einmal für Aufklärung, Freiheit und Wehrhaftigkeit stand. Heute reicht ein gepostetes Gedicht von Mahmoud Darwish, um sich auf der richtigen Seite zu wähnen – und gleichzeitig die eigene Geschichte in den Papierkorb zu werfen.

Schluss mit dem Selbstbetrug

Es wird Zeit, die Begriffe wieder zu ordnen. Terror ist Terror. Selbstverteidigung ist kein Verbrechen. Und Israel ist kein koloniales Konstrukt, sondern ein existenzielles Bollwerk gegen einen fanatisierten Nihilismus. Wer das nicht erkennt, hat entweder zu viel Adorno zitiert oder zu wenig Realität gesehen. Klarheit ist kein aggressiver Akt, sondern eine moralische Notwendigkeit. Verantwortung bedeutet, nicht neutral zu sein zwischen Demokratie und Barbarei – denn wer in der Mitte zwischen Anstand und Fanatismus steht, steht immer auf der falschen Seite.


Denn Solidarität ist kein Bauchgefühl. Sie ist eine Entscheidung. Und sie sollte, verdammt nochmal, nicht so schwerfallen.

Im Theater der Absurden: Zwei Männer, ein Ultimatum, null Verstand

Wenn zwei alte Männer mit der Welt Schach spielen, aber keiner weiß, wo das Brett steht

Man stelle sich die Szene vor: Zwei Männer – beide mit Alterserscheinungen, die entweder vom Whiskey, vom Machtmissbrauch oder von zu viel Bildschirmzeit stammen – führen eine Diskussion, die jeden diplomatischen Beobachter das Zittern lehrt, jedoch nicht vor Ehrfurcht, sondern vor Verzweiflung. Der eine heißt Trump, bekannt als der Erfinder des „alternativen Fakts“, und hält nun in seiner zweiten Amtszeit Hof auf einer Plattform, die klingt wie ein überambitioniertes Wellness-Start-up („Truth Social“) – der andere heißt Medwedew, ein Mann, der einst als Präsident Russlands galt, heute aber mehr wie ein Telegram-Bot auf Koks agiert. Beide werfen mit Worten um sich, als seien es Wasserballons auf einem Kindergartenfest – nur dass die Ballons mit Plutonium gefüllt sind.

Trump, der sich offenbar für den Chuck Norris der Geopolitik hält, kündigt per social media die Verlegung zweier Atom-U-Boote in „geeignete Regionen“ an. Die Orte bleiben vage, weil Vagheit bei Trump zur Methode gehört – Unklarheit ist sein Schwert, Dunst sein Schild. Das erinnert nicht zufällig an Fernsehformate der 90er: Showdown ohne Drehbuch, dafür mit viel Nebelmaschine. Dass die Welt dabei als Bühne herhalten muss, ist nur folgerichtig – immerhin ist sie ja ohnehin schon Kulisse geworden in einem Theater, das längst keine Handlungen mehr kennt, nur noch Attitüden.

Die Rückkehr der Apokalypse als Politikstil – Retro ist das neue Real

Was aber wirklich bemerkenswert ist, ist nicht die atomare Andeutung an sich – das ist im 21. Jahrhundert leider schon fast ein Stilmittel. Es ist der Tonfall: ein kindischer, provokativer, pubertär-kriegerischer Sound, der sich um jeden historischen Ernst foutiert. Trump, der Mann, der Twitter durch den rhetorischen Fleischwolf gedreht hat, gibt sich „überrascht“, dass mit Putin zwar gute Gespräche möglich waren, aber trotzdem Bomben fliegen. Diese Mischung aus gespielter Naivität und tatsächlicher Realitätsverweigerung ist mehr als gefährlich – sie ist symptomatisch für eine Weltordnung, die ihre Fäden verloren hat, aber weiterhin so tut, als liefe alles nach Drehbuch.

Und Medwedew? Der grummelige Ersatz-Stalin mit Telegram-Zugang, dessen Drohungen mittlerweile fast schon literarisch wirken – jedenfalls in ihrer manischen Wiederholung. Dass er Trump als „Opa“ bezeichnet, ist fast poetisch. Ein gealterter Halbgott beleidigt einen anderen, als säße man in einer antiken Tragödie, nur ohne Chor, dafür mit Social Media. Beide umgeben sich mit Pathos, das den Eindruck erwecken soll, es ginge noch um Prinzipien. Tatsächlich geht es nur noch um Egos. Und um Klicks. Und um die Möglichkeit, sich als letzte virile Instanz in einer entmannten Welt zu präsentieren – mit nuklearem Subtext, versteht sich.

Die Rolle Europas: Der Kontinent als Fußnote

Und Europa? Nun, Europa sitzt wie immer am Katzentisch der Geschichte, löffelt kalte Suppe und murmelt etwas von „regelbasierter Ordnung“, während sich am anderen Ende des Saals zwei testosterongetriebene Atompäpste mit Ultimaten bewerfen. Brüssel veröffentlicht eine „scharfe Stellungnahme“, Berlin telefoniert mit sich selbst, und Paris gibt sich verschnupft über mangelnden Respekt gegenüber französischer Diplomatie – kurz: Business as usual. Das große Projekt der europäischen Friedensordnung wirkt in solchen Momenten wie ein gut gemeinter Aquarellkurs inmitten eines Flammenmeers.

Die U-Boote? Europa hat keine. Jedenfalls keine, die man erwähnen möchte. Was bleibt, ist Empörung in PDF-Form, eine Gipfelkonferenz mit schlechtem Kaffee und die vage Hoffnung, dass sich die Großen doch bitte wieder benehmen mögen. Doch das Problem ist: Die Großen haben sich nie benommen. Und Europa war nie groß. Es war immer nur der moralische Erzähler einer Geschichte, die andere schreiben – mit Blut, Stahl und dem Wort „Sicherheit“ im Munde.

Atomare Schatten in börsennotierten Zeiten

Währenddessen zittern die Märkte. Natürlich. Börsenkurse, diese sensiblen Seismografen globaler Grobheit, reagieren auf Trumps U-Boot-Show mit dem klassischen Abwärtsschnupfen. Der DAX taumelt, Analysten dreschen semantisches Stroh, und das goldene Kalb Kapital bekommt mal wieder ein bisschen Fieber. Die Eskalation ist also angekommen, wo sie hingehört: im Depot. Und wie immer ist es diese Mischung aus geopolitischem Horror und monetärer Nervosität, die unsere Gegenwart so einzigartig schizophren macht: Ein Satz auf Truth Social lässt Milliarden verschwinden, ein U-Boot in Bewegung ersetzt einen Friedensplan. Willkommen im Zeitalter der Simulation.

Das eigentliche Drama ist jedoch, dass niemand mehr glaubt, dass jemand glaubt. Alle Akteure agieren wie Figuren in einem aufgeblähten Rollenspiel, in dem jeder weiß, dass der Endgegner nur ein Algorithmus ist. Die Drohung wird zur Inszenierung, das Ultimatum zum Clickbait. Und der Atomkrieg? Vielleicht nur ein besonders gut getimter Marketing-Gag.

Schlussstück ohne Pointe: Wir spielen Krieg – aber keiner weiß mehr, wie man Frieden macht

Was bleibt also, außer ein resigniertes Schulterzucken mit intellektuellem Überbau? Die Vorstellung, dass ein einziger alter Mann auf einer Social-Media-Plattform darüber entscheidet, wie nah zwei Atom-U-Boote an Russland heranschleichen, ist grotesk – und gleichzeitig völlig logisch. In einer Welt, in der die politische Rationalität durch ein Gemisch aus Showgeschäft, Altersstarrsinn und nuklearer Nostalgie ersetzt wurde, ist alles möglich. Und nichts mehr wahrscheinlich.

Vielleicht ist das die neue Konstante: Dass wir nicht mehr wissen, ob wir uns in einem Weltkrieg befinden oder nur in einer besonders absurden Episode spätkapitalistischer Realitätssatire. Die Grenzen verschwimmen, die Sprache implodiert, die Logik kapituliert. Und mittendrin steht Europa, milde verwirrt, leicht enttäuscht und – wie immer – ohne Plan, aber mit vielen Prinzipien. Irgendwo in der Ferne ein U-Boot. Und ein Tweet. Und eine Frage: Wann genau wurde das alles eigentlich normal?

Wissenschaft oder Weihrauch?

Die Popper’sche Zumutung – über Falsifikation, modische Wahrheiten und akademischen Ablasshandel

Es war einmal ein Denker namens Karl Popper, der mit britisch-wienerischer Gründlichkeit die Wissenschaft in eine Zwangsjacke aus Logik und Skepsis steckte. Für ihn war eine These nur dann wissenschaftlich, wenn sie falsifizierbar war – also widerlegbar im Prinzip, prüfbar in der Praxis, und dem kalten Schwert der Realität ausgesetzt wie ein Fisch auf dem Trockenen. Kein Dogma, keine letzte Wahrheit, keine sakrosankte Theorie durfte vor der Möglichkeit ihrer Widerlegung sicher sein. Wissenschaft, so Popper, sei ein Wettlauf gegen das eigene Irrtumspotenzial – ein disziplinierter Narzissmus, der sich am liebsten selbst widerlegt, um zu wachsen.

Wie unhöflich! Wie antisozial! Wie neurotisch!

Denn diese Zumutung, dass Wissenschaft mehr mit methodischer Bescheidenheit als mit moralischer Gewissheit zu tun hat, widerspricht allem, was der moderne Mensch von der Wissenschaft erwartet: Erlösung, Orientierung, Identität. Was bei Popper ein gefährlicher Vorschlag zur intellektuellen Demut war, ist heute für viele nur noch ein staubiges Fußnotenskelett aus der Epoche der alten, weißen Männer mit Brillen. Denn längst hat sich ein anderer Geist durch die akademischen Tempel geschlichen – einer, der keine Thesen mehr überprüft, sondern Weltbilder zementiert. Willkommen in der Ära der Modewissenschaft.

Das postmoderne Dogma – Wenn die These nicht falsifizierbar sein darf, weil sonst der Seminarraum implodiert

Es ist ein feiner, fast unhörbarer Wechsel, der da stattfand: Statt Thesen aufzustellen, die man widerlegen kann, werden heute Narrative gebaut, die man nicht in Frage stellen darf. Aus prüfbarer Hypothese wurde dekonstruktiver Mythos, aus experimenteller Neugier ein identitärer Kult. Der Diskurs hat die Evidenz abgelöst. Es zählt nicht mehr, ob etwas stimmt, sondern ob es „problematisiert“ werden kann. Wer fragt, ob eine Theorie überprüfbar ist, wird verdächtigt, „epistemische Gewalt“ auszuüben.

Ein besonders glänzendes Beispiel dieses Wandels: die Genderwissenschaft, dieses polyphonetische Labyrinth aus Text, Text über Text und Text über die Texte über Text. Dort wird nicht geforscht, sondern gedeutet – mit einer Inbrunst, die mittelalterliche Theologen neidisch gemacht hätte. Die Realität – Biologie, Statistik, Beobachtung – ist nicht die Basis, sondern das zu überwindende Hindernis. Wer fragt, ob Geschlecht auch biologische Komponenten habe, wird mit dem intellektuellen Holzhammer der Dekonstruktion erschlagen: „Was ist schon Biologie außer ein kulturelles Konstrukt, das sich als Natur ausgibt?“ Eine These, so immun gegen Falsifikation, dass selbst der Papst erröten würde.

Doch Popper würde wohl trocken antworten: „Wenn nichts widerlegt werden kann, dann ist es auch keine Wissenschaft. Sondern Glaube. Oder Ideologie. Oder Theater mit Fußnoten.“

Alte Geister in neuen Kutten – Die Renaissance der Ideologie mit akademischem Anstrich

Nun wäre das alles nur amüsant, wenn es nicht historische Vorläufer gäbe, die deutlich machten, wie gefährlich diese Art der Wissenschaftssimulation werden kann. Denn auch andere Systeme hatten ihre Modewissenschaften – nur nannten sie sie nicht so höflich. Im Dritten Reich blühte die sogenannte „Rassenforschung“: ein Gemisch aus biologistischer Scharlatanerie, pseudostatistischer Arroganz und ideologisch vorgegebener Zielstruktur. Dort wurde nicht geforscht, sondern bewiesen – beweisen sollte man, dass es Unterschiede gäbe, hierarchisch, erblich, unüberwindbar. Und siehe da: Die Ergebnisse passten stets zur Ideologie. Falsifizieren? Das war Judenkram.

In der DDR trug dieselbe Haltung ein anderes Kostüm: Der „wissenschaftliche Sozialismus“ – allein der Begriff ein Oxymoron in drei Akten. Dort wurde nicht überprüft, ob eine Theorie funktioniert, sondern die Realität wurde geprüft, ob sie sich dem Marxismus-Leninismus unterwirft. Wer Zweifel anmeldete, war kein Skeptiker, sondern „Klassenfeind“. Wer empirisch dachte, galt als Konterrevolutionär. Auch hier: Wissenschaft war kein Werkzeug zur Erkenntnis, sondern ein Service zur Legitimierung des Systems.

Man sollte meinen, Europa hätte daraus gelernt. Doch was ist der Unterschied zwischen der Behauptung, „die Rasse bestimmt den Geist“, und der Behauptung, „das Geschlecht bestimmt die Wahrheitsperspektive“ – wenn beide immun gegen Kritik, aber übervoll mit moralischem Pathos vorgetragen werden?

Die neue Unantastbarkeit – Kritik als Sakrileg

Wir leben in einer Zeit, in der jede Kritik an bestimmten akademischen Feldern als politischer Affront gilt. Nicht das Argument zählt, sondern die Position des Kritikers im soziokulturellen Koordinatensystem. Ist er alt? Weiß? Männlich? Dann kann es sich nur um Reaktion handeln. Die These selbst wird nicht mehr an der Realität gemessen, sondern an der Biografie des Sprechers. Ein Rückfall in prämoderne Erkenntnistheorie: Nicht was gesagt wird, sondern wer es sagt, entscheidet über die Wahrheit.

Damit hat sich die Wissenschaft endgültig von Popper verabschiedet. Nicht durch einen offenen Putsch, sondern durch intellektuelle Ermüdung. Warum soll man sich anstrengenden Überprüfungen aussetzen, wenn man auch in wohlfeilen Panels über „Diskurse“, „Narrative“ und „hegemoniale Strukturen“ parlieren kann – ganz ohne Risiko? Die neue Modewissenschaft ist eine Art akademischer Wellness: beruhigend, bestätigend, bequem. Die These ist, was mir nützt. Falsifizieren? Nur meine Kritiker.

Die Wissenschaft als Dienstleister des Zeitgeists

Es bleibt das bittere Fazit: Was heute oft als Wissenschaft verkauft wird, ist häufig nur eine gutgekleidete Form der Weltanschauung. Sie will nicht zweifeln, sondern bestätigen. Nicht prüfen, sondern predigen. Die Labore wurden durch Seminarräume ersetzt, das Mikroskop durch das Schlagwort, der Beweis durch das Betroffenheitszeugnis. Statt sich der Wirklichkeit auszusetzen, konstruiert man sie um – bis sie endlich passt.

Und wer widerspricht? Der wird gelöscht, gecancelt, exmatrikuliert oder wenigstens bei der nächsten Drittmittelvergabe übersehen. Die Falsifikation hat in der modernen Akademie keinen Platz mehr – nicht, weil sie widerlegt wurde, sondern weil sie unbequem ist. Sie stört beim Rechtbehalten.

Nachsatz: Der Popper-Test für unsere Zeit

Vielleicht sollte man ein kleines Experiment wagen – im Sinne Poppers. Man nehme eine These, etwa: „Geschlechterrollen sind rein soziale Konstrukte, völlig unabhängig von biologischen Grundlagen.“ Dann frage man: Was müsste passieren, damit diese These als falsch gilt? Wenn die Antwort lautet: „Nichts. Jede Gegenmeinung ist Ausdruck des Patriarchats“ – dann ist die These kein wissenschaftliches Statement, sondern ein Glaubensartikel.

Und das ist völlig in Ordnung – solange man es als solchen deklariert. Doch wehe dem, der sich Wissenschaft nennt, aber sich der Prüfung verweigert. Denn der hat nicht nur Popper verraten. Sondern die Idee von Aufklärung selbst.

Wenn die größte Enzyklopädie der Welt zum Propagandawerkzeug wird

Die neue Weltordnung der Fußnoten

Man stelle sich vor: Eine Enzyklopädie – also ein Bollwerk des Wissens, eine Kathedrale der Aufklärung, ein digitaler Parnass der Fakten – wird infiltriert. Nicht etwa durch Heuschrecken, sondern durch Hyperlinks. Nicht mit Bomben, sondern mit Formulierungen, die so neutral klingen wie „umstritten“, „teilweise belegt“ oder „aus palästinensischer Perspektive verständlich“. Willkommen in der Matrix des Wissens, deren Rückgrat ein kollektiver Konsens ist, ausgehandelt von anonymen Nutzerkonten mit Kosenamen wie „FalastinFreedomFighter92“ oder „ZioNopes1973“.

Die Anti-Defamation League, selbst nicht gerade zimperlich in der Wortwahl, hat jüngst einen Bericht veröffentlicht, der einen Skandal beschreibt, der – wäre er ein Film – irgendwo zwischen „Mr. Robot“ und einer Doku über al-Qaida landen würde. Mindestens 30 Autoren (eine geradezu biblische Zahl, wie man sagen möchte) haben Wikipedia gezielt als Propagandafläche benutzt. Die Rede ist von einer „Koordination“, die mehr Disziplin aufweist als ein nordkoreanisches Ballettensemble. Ihr Ziel: Israel raus, Hamas rein – nicht geografisch, sondern semantisch.

Wenn der Tunnel zum „Widerstandsbauwerk“ wird

Da werden Terroranschläge zu politischen Unmutsbekundungen umdekliniert, Hamas-Raketen zu „emotionalen Hilferufen“ stilisiert und Massaker zu „Vorfällen mit unklarer Faktenlage“ relativiert. Die Enzyklopädie als semantisches Minenfeld. Man könnte meinen, ein paar hyperideologisierte Aktivisten hätten sich die Tastaturen blutig getippt, doch was sich hier abzeichnet, ist weit mehr: ein organisiertes, langfristiges Desinformationsprogramm unter dem Deckmantel der Neutralität.

Der Bericht nennt es „systematische Eingriffe“. Ein Euphemismus, der glatt auch von der Hamas-PR-Abteilung stammen könnte. In Wahrheit: eine digitale Intifada. Die zynische Ironie dabei? Die Täter berufen sich auf die Grundsätze der Wikipedia selbst – Neutralität, Konsens, belegbare Quellen – um genau diese Prinzipien zu unterwandern. Ein semantischer Coup d’État.

Der große Quellenverschiebebahnhof

Es ist das Paradoxon der Moderne: Je mehr Quellen man verlinkt, desto glaubwürdiger erscheint der Unsinn. Da werden tote Links recycelt wie Plastik in Jakarta, Studien aus ideologischen Echokammern als wissenschaftliche Kronzeugen angeführt, und Aussagen von Hamas-Sympathisanten werden unter dem Label „palästinensische Zivilgesellschaft“ verkauft. Es ist das perfekte Verbrechen: unsichtbar, unblutig, unbemerkt.

Doch was macht das mit einer Plattform, die sich als Hüterin der kollektiven Wahrheit versteht? Es zerstört nicht nur Vertrauen – es installiert neue Wahrheiten. Wer heute „Zionismus“ googelt, trifft auf eine Definition, die klingt, als hätte Edward Said sie persönlich ins Etherpad getippt. Nicht mehr Befreiungsideologie, sondern Kolonialprojekt. Ein Narrativwechsel, orchestriert von Tastatur-Taliban mit VPN-Zugang.

Die Demokratie der Editierbarkeit – Fluch und Fassade

Wikipedia, so heißt es, ist die demokratischste aller Wissensplattformen. Jeder darf mitreden. Jeder darf mitgestalten. Doch was geschieht, wenn diese Offenheit zur Einfallspforte für ideologische Trojaner wird? Wenn das Prinzip der Editierbarkeit von jenen instrumentalisiert wird, die sich einen feuchten Dreck um Objektivität scheren?

Die ADL nennt das „Canvassing“. Klingt wie ein harmloser Nachmittagsworkshop, ist aber in Wahrheit digitale Guerillakriegsführung. Da werden Stimmen mobilisiert, Mehrheiten simuliert, Abstimmungen verzerrt. Das Ganze über externe Kommunikationskanäle, damit der schöne Schein der Wikipedia-internen Konsensfindung gewahrt bleibt. Orwell hätte seine helle Freude an dieser neuen Dialektik: Krieg ist Frieden, Terror ist Widerstand, Hamas ist karitativ.

Neutralität als Feigenblatt der Manipulation

Wikipedia selbst wiegelt ab – wie stets, wenn’s brenzlig wird. Man verweist auf Richtlinien, Moderatoren, die heilige Dreifaltigkeit aus „Diskussionsseiten“, „Requests for Comment“ und dem Wächterrat der Administratoren. Doch was nützen Regeln, wenn sie von jenen gebrochen werden, die sie gleichzeitig zitieren? Die Perversion besteht nicht im Regelbruch – sie besteht im Regelgebrauch zur Unterwanderung. Neutralität wird hier zur Waffe.

Was ist Wahrheit, wenn sie im Konsens ausgehandelt wird? Was ist Objektivität, wenn ihre Aushandlung von den Lautesten dominiert wird? Wikipedia ist längst kein Abbild der Wirklichkeit mehr – es ist ein Schachbrett, auf dem Meinungen zu Fakten werden, wenn nur genügend Bauern im Spiel sind.

Satire trifft Realität: Die neue digitale Zensur

Der bittere Witz an der Sache ist, dass wir es längst gewohnt sind, Desinformation in dunklen Ecken des Netzes zu vermuten – auf Telegram-Kanälen, in TikTok-Videos oder auf Webseiten, die aussehen wie aus der Zeit von Windows 95. Doch dass die große heilige Wikipedia, diese Leuchtturmseite der westlichen Aufklärung, nun selbst zur Gummizelle für Faktenverrenkungen geworden ist, das hat eine Qualität, die jedes Meme zum Weinen bringt.

Denn mit jedem Klick, mit jeder Google-Suche, mit jedem Sprachmodell, das seine Daten aus der Wikipedia schöpft, wird dieses verzerrte Wissen weiterverbreitet. Der Skandal ist nicht nur die Manipulation – der Skandal ist ihre Unsichtbarkeit.

Und was nun? Eine Ethikkommission für Fußnoten?

Die ADL fordert Expertenpanels, Super-Editoren, politische Task Forces. Ein bisschen Bürokratie gegen die semantische Flut. Man will das Wissen sichern, mit Siegeln, Stempeln und Stellenbeschreibungen. Doch wer entscheidet, wer „Experte“ ist? Wer bewacht die Wächter? Und wann wird aus dem Schutz vor Desinformation eine neue Form von Zensur?

Vielleicht ist das größte Problem nicht die Unterwanderung, sondern unsere Naivität. Der Glaube, dass etwas „objektiv“ sei, nur weil es in der Wikipedia steht. Dass Konsens gleich Wahrheit sei. Vielleicht ist es Zeit, der Enzyklopädie die Unschuld zu nehmen – und uns selbst die Illusion.

Fazit: Die Wahrheit braucht keine Hyperlinks – nur Rückgrat

Was bleibt? Eine bittere Erkenntnis und eine bittere Pointe: Wikipedia war nie der heilige Gral der Wahrheit. Es ist ein Spiegel – und wie jeder Spiegel kann er auch ein Zerrbild sein. Die Wahrheit stirbt nicht an der Lüge, sondern an ihrer schleichenden Umschreibung. Fußnote für Fußnote. Eintrag für Eintrag. Und wenn wir nicht aufpassen, dann ist die nächste Enzyklopädie, die wir lesen, von einer KI geschrieben – mit Daten aus einem System, das längst kein Wissen mehr liefert, sondern Narrative.

Und dann stehen wir da, wissend, aber ohne Wahrheit. Und fragen uns: Wer hat’s geschrieben? Und schlimmer noch – warum wir es geglaubt haben.

Ende der Durchsage. Willkommen im Informationskrieg. Mögen die besten Editoren gewinnen.