Der Rotstift als Waffe der Selbstinszenierung

Politiker lieben Zahlen. Nicht die, die Menschen betreffen, sondern die, die auf Papieren glänzen, auf Balkendiagrammen, in bunten Präsentationen. Und wenn sie sparen müssen – oder besser gesagt, so tun, als müssten sie sparen –, dann greifen sie zum Rotstift wie ein Chirurg zu einem Skalpell, aber ohne jede medizinische Notwendigkeit, nur mit ästhetischem Kalkül. Menschen mit Behinderung? Perfekt. Sie sind still, kaum sichtbar, unpraktisch für die Schlagzeilen – ein ideales Ziel für den Zynismus. Während sie ihre „budgetäre Situation“ predigen, lachen sie hinter vorgehaltener Hand: So billig war noch nie politisches Prestige zu haben.

Die hohe Schule des Sadismus

Die Kürzung von 697 auf 335 Euro ist kein Fehler, keine Notwendigkeit – sie ist sadistische Präzision. Man könnte fast applaudieren: ein Meisterstück der politischen Grausamkeit. Es ist, als hätte man eine Blume am Stamm durchtrennt, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Lust am Experiment. Die Logik dahinter: Wer sich wehren kann, bleibt verschont; wer abhängig ist, wird geopfert. Politiker nehmen dies nicht nur zur Kenntnis, sie genießen es in stiller, kalkulierter Arroganz. „Budgetdefizit“, murmeln sie, als sei das Wort ein unsichtbares Schutzschild gegen Schuldgefühle.

Halbierte Freiheit, volle Verantwortung

Für Menschen mit Behinderung bedeutet die Halbierung: doppelte Abhängigkeit, reduzierte Chancen, ständige Unsicherheit. Für die Politiker bedeutet es: Null Risiko, maximale Eigeninszenierung. Kein Skandal, keine Wählerrevolte, nur ein weiteres Kästchen auf dem Tableau „verantwortungsvolle Verwaltung“. Und während die Betroffenen überlegen, wie sie ihre Fahrten finanzieren, planen die Ministerien schon die Inszenierung für 2027 – wenn der Zuschuss womöglich vollständig gestrichen wird. Dann wird aus „Unterstützung“ eine kafkaeske Farce: Menschen auf Gedeih und Verderb, die nach Mitleid und Spenden betteln müssen, während die politischen Akteure im Fernsehen lächeln, als hätten sie gerade das Land gerettet.

Die Kunst der medialen Heuchelei

Man muss den Politikern fast Respekt zollen für ihre Choreografie: Die Kürzung medial elegant verkaufen, Empörung minimal halten, moralisches Mäntelchen überwerfen. Ein paar Interviews mit Betroffenen, ein „kritischer“ Zeitungsartikel – und schon wirkt alles demokratisch legitimiert. Wer wirklich protestiert, ist in der Logik der Macht irrelevant. So bleibt man unantastbar, während das Leben der Betroffenen zerbröselt. Die Satire schreibt sich hier von selbst: Ein Staat, der stolz auf Inklusion ist, streicht die Mittel für Inklusion. Ein Kunststück der kognitiven Dissonanz.

2027: Die Vollendung der politischen Grausamkeit

Und dann kommt 2027. Kein Zuschuss mehr, keine halben Maßnahmen, keine symbolischen Beträge. Menschen mit Behinderung werden zu Bittstellern degradiert, die auf Spenden oder Almosen angewiesen sind, um überhaupt zur Arbeit zu kommen. Die Politiker? Sie sitzen in klimatisierten Büros, trinken Latte Macchiato, lachen vielleicht über die „Effizienz“ des Systems – völlig immun gegen Moral, Mitgefühl oder öffentliche Kritik. Die Gesellschaft schaut weg, applaudiert vielleicht sogar unbewusst der „Kostenkontrolle“. Die Realität ist ein perfides Theater: maximale Ersparnis, maximale Zynik, minimale Empathie.

Fazit: Die bittere Ironie

Es ist ein Meisterstück der Zynik: Politiker, die sich selbst als moralische Wächter inszenieren, nutzen die Schwächsten für ihr Image, reduzieren Freiheit auf Zahlen und verkaufen Sadismus als Rationalität. Und am Ende bleibt die stille Rechnung: Menschen verlieren Mobilität, Würde und Teilhabe – und die Akteure hinter den Kulissen können sich weiter in der Illusion suhlen, dass sie „verantwortungsvoll“ handeln. 2027 wird nicht nur der Zuschuss verschwinden – die Illusion einer sozialen Verantwortung verschwindet gleich mit.

Willkommen im Totalschaden

Deutschland, die ehemalige Automacht im freien Fall

Es riecht nach kaltem Öl, verbranntem Plastik und Angstschweiß in den heiligen Werkshallen der Republik. Wo einst der stolze Takt der Roboterarme und das satte Klicken der Drehmomentschlüssel den Pulsschlag einer Weltmacht markierten, herrscht heute das leise Sirren von Excel-Tabellen und die frostige Stille der Personalabteilungen. „Transformation“ nennen Politiker und Vorstände dieses Massaker, als handle es sich um eine harmlose Raupenmetamorphose und nicht um ein industrielles Aderlassen, bei dem Hunderttausende Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit tropfen. Deutschland, einst die Lokomotive Europas, gleicht nun einem liegengebliebenen Diesel, der auf offener Strecke den Geist aufgibt – während die Konkurrenz bereits in Highspeed-Zügen an einem vorbeirauscht und dabei freundlich aus dem Fenster winkt.

Der letzte Tanz der Benzinbarone

Die deutsche Autoindustrie war einmal das stolzeste Aushängeschild des Exportweltmeisters, ein schimmernder Mythos aus verchromten Kühlergrillen und perfekt geschlossenen Spaltmaßen. Heute wirkt sie wie ein heruntergekommener Varieté-Künstler, der immer noch seine alten Kunststücke vorführt, während das Publikum längst weitergezogen ist. Jahrzehntelang lebte man im Wahn ewiger Überlegenheit, berauscht vom eigenen Ingenieursfetisch und der Überzeugung, dass die Welt auf ewig nach deutschem Verbrennungsmotor lechzen würde. Jetzt steht man da – ohne Plan, ohne Akku, ohne Software – und muss zusehen, wie die Konkurrenz aus Kalifornien und Shenzhen das Goldgräbergeschäft der Elektromobilität absahnt, während man selbst noch mit der Betriebsanleitung des letzten Diesels ringt.

Die vielbeschworene „Transformation“ ist nichts anderes als ein Totentanz, bei dem die alten Benzinbarone so tun, als seien sie Avantgarde, während sie in Wahrheit nur den eigenen Untergang choreografieren.

Zahlen aus der Hölle

Bosch entlässt nicht 9.000, sondern 22.000 – und wirkt dabei beinahe erleichtert, als hätte man endlich die richtige Dosis Gift gefunden. Goodyear schließt nach 125 Jahren einfach das Werk, als wäre ein Jahrhundert Industriegeschichte nur ein lästiger Posten in der Bilanz. ZF, MAN, Ford – die Namen reihen sich wie Grabsteine auf einem Friedhof, auf dem täglich neue Kreuze eingeschlagen werden. Und jedes Mal, wenn irgendein Wirtschaftsinstitut mit frischer „Studie“ zur Arbeitsplatzvernichtung aufwartet, ist sie bereits so aktuell wie ein Faxgerät. Kaum veröffentlicht, schon überholt – die Realität spielt ein perverses Spiel der ständigen Überbietung: „Ihr dachtet 18.000? Wie niedlich. Hier sind 30.000. Und morgen, wer weiß?“

Es ist, als würde die Industrie selbst Wetten auf die Geschwindigkeit ihres eigenen Aderlasses abschließen – ein makabres Bingo, bei dem die Gewinne in Vorstandsetagen ausgeschüttet werden, während draußen Familien ihre Existenz verlieren.

Betriebsräte im Pyjama der Ohnmacht

IG Metall und Betriebsräte mühen sich redlich, wenigstens so zu tun, als hätten sie noch Einfluss. Man spricht von „Zukunftstarifverträgen“, „Transfergesellschaften“ und „Anpassungsprogrammen“, als könne man mit bürokratischem Nebel die Tatsache verschleiern, dass am Ende schlicht und ergreifend Jobs verschwinden. Sozialpläne sind nichts anderes als weiche Kissen auf dem Weg in den Abgrund – hübsch drapiert, aber tödlich. Die Gewerkschaften verhandeln über Abfindungen, während die Manager längst darüber beraten, welches Werk als Nächstes auf dem Altar der Profitrate geopfert wird.

Elektroträume aus Fernost, Alpträume aus Wolfsburg

Die Elektromobilität, einst als grüner Heilsbringer verkauft, entpuppt sich als bitterer Elektroschock. Batterien? Aus Asien. Software? Aus Kalifornien. Innovation? Aus allen Himmelsrichtungen, nur nicht aus dem Land der Kabelbäume. Deutschland reduziert sich auf die Rolle des Karosseriebauers in einer globalen Wertschöpfungskette, deren Wert längst anderswo entsteht. Während Elon Musk Raketen ins All schickt, streitet man in Wolfsburg darüber, ob die nächste Betriebsversammlung mit belegten Brötchen oder nur noch mit Filterkaffee ausgestattet werden kann.

Die große nationale Selbstlüge

Deutschland liebt es, sich selbst für seine Tugenden zu feiern: Gründlichkeit, Ingenieurskunst, Präzision. Doch all diese Werte sind im Angesicht der neuen Realität so nützlich wie ein Drehmomentschlüssel im App Store. Man wollte die Zukunft mit deutscher Perfektion erobern, hat sich aber stattdessen in endlosen Gremien totgeprüft und das Wichtigste übersehen: dass Geschwindigkeit, Mut und radikale Entscheidungen zählen – und nicht die hundertste Arbeitsgruppe zur „Strategie Elektromobilität 2040“.

Die Manager, die einst mit stolz geschwellter Brust von „globalen Märkten“ schwadronierten, sitzen nun in Talkshows und erklären mit Grabesstimme, dass Werksschließungen „unausweichlich“ seien. Politiker wiederum reden von „Chancen“ und „Innovation“, während sie eigentlich nur Zeit schinden, um nicht als diejenigen in die Geschichtsbücher einzugehen, die das Autoimperium zu Grabe trugen.

Deutschland im Standstreifen der Geschichte

So sitzt die einstige Autonation nun wie ein liegengebliebener Mittelklassewagen auf dem Standstreifen der Weltwirtschaft, Warnblinker an, Motor tot, während die Zukunft vorbeirauscht und im Rückspiegel verschwindet. Die Hände noch krampfhaft am Lenkrad der Vergangenheit, klammert man sich an das, was einmal war: an Dieselgeruch, an Spaltmaße, an Ingenieursstolz. Doch der Tank ist leer, die Batterie schwach, und niemand wird anhalten, um Starthilfe zu geben.

Vielleicht bleibt am Ende nur Galgenhumor. Deutschland, Land der Autofetischisten, wird sich daran gewöhnen müssen, dass der Mythos von Volkswagen, Mercedes und Co. bald nur noch eine Fußnote in den Geschichtsbüchern ist – irgendwo zwischen Kohleausstieg und Faxgerät. Und während die letzten Arbeiter die Lichter in den Werkshallen löschen, darf man sich immerhin trösten: Das Fernlicht der Ironie reicht weiter als jeder Scheinwerfer aus Stuttgart.

Zwischen allen Stühlen, auf allen Pulverfässern

Wer den Nahen Osten betrachtet, braucht entweder ein dickes Fell oder eine gut gefüllte Minibar. Zwischen den Ruinen aus Religion, Kolonialerbe, Großmachtinteressen und politischem Größenwahn kann man sich nicht setzen, ohne dass gleich irgendein Sprengsatz der Empörung hochgeht. Und doch lohnt sich ein literarischer Spaziergang durch dieses Minenfeld – nicht um die Wahrheit zu finden, die gibt es hier sowieso nur als zersplitterten Mosaikboden, sondern um dem absurden Theater die ihm gebührende, satirische Reverenz zu erweisen. Willkommen also im großen Kabinett des Schreckens, wo Realpolitik und religiöse Heilsversprechen gemeinsam um die Wette detonieren.

Die „Al-Aqsa-Flut“ – ein Sturm im Blutmeer

Am 7. Oktober 2023 bricht die Hamas aus ihrem hermetisch abgeriegelten Küstenstreifen aus, als hätte man den Deckel eines Schnellkochtopfs vergessen. Hunderte Kämpfer, paramilitärisch bis folkloristisch bewaffnet, dringen in israelisches Territorium ein. Sie töten, entführen, zerstören – und beweisen damit vor allem eins: Dass man mit ein paar Gleitschirmen, ein paar tausend Raketen und der Bereitschaft zum Massaker zwar keinen Staat gründet, aber sehr wohl die Schlagzeilen der Weltpresse kapert.

Natürlich ist das kein „Krieg“ im klassischen Clausewitz’schen Sinne, sondern ein Terrorstreich mit maximaler Symbolik: „Seht her, wir können eure Hightech-Grenze überwinden, eure Bürger töten, euren Staat blamieren.“ Der militärische Nutzen liegt irgendwo zwischen null und nichts, der propagandistische dafür bei hundert. Die Hamas zeigt, dass sie zwar keinen Staat regieren, aber sehr wohl den Puls des globalen Entsetzens steuern kann. Blut, so lehrt uns dieser Tag, ist die wirksamste Presseabteilung.

Hamas – die Staatssimulation für Fortgeschrittene

Die Hamas ist kein Staat, möchte aber einer sein – und zwar einer mit islamischer Aura und militärischer Attitüde. Sie regiert den Gazastreifen wie eine Mischung aus Sozialamt, Gottesstaat und Untergrundarmee. Sie verteilt Lebensmittel, betreibt Schulen, produziert Raketen in Hinterhofwerkstätten und fordert von ihren Bürgern die patriotische Bereitschaft, notfalls als menschliches Schutzschild in die Geschichte einzugehen.

Ihr politisches Programm ist so klar wie unerreichbar: Kein Israel zwischen Fluss und Meer, dafür ein Palästina in den Grenzen der eigenen Fantasie. Da dieser Traum militärisch unvollziehbar ist, bleibt nur der permanente Beweis seiner Unausrottbarkeit – sprich: Gewalt. Jede Rakete, jeder tote Zivilist, jedes Bild zerstörter Häuser wird zur sakralen Fußnote des Widerstands. Die Hamas lebt davon, dass sie verliert und überlebt; jeder Schlag Israels bestätigt ihr Narrativ, dass Widerstand keine Option, sondern göttliche Pflicht sei.

Israel – der Staat als Naturgesetz

Auf der anderen Seite ein Land, das nicht nur existieren will, sondern in seiner Existenz den letzten Beweis für die historische Lehre „Nie wieder!“ sieht. Israel ist nicht einfach ein Staat, es ist die Antwort auf Auschwitz, die Versicherungspolice des jüdischen Volkes, die militärisch unter keinen Umständen platzt. Jeder Angriff wird daher nicht als Episode, sondern als metaphysische Anfechtung verstanden. Wenn Premier Netanjahu den 7. Oktober als „tödlichsten Tag für Juden seit dem Holocaust“ bezeichnet, ist das keine rhetorische Übertreibung, sondern Staatsraison in Reinform.

Folgerichtig reagiert Israel nicht mit Polizeiarbeit, sondern mit Krieg – und zwar mit der kühlen Präzision einer Hightech-Armee, die in einer Hand die Drohne steuert und in der anderen das Völkerrecht zurechtrückt. Das Ziel heißt „Vernichtung der Hamas“, doch weil diese sich in Tunneln, Krankenhäusern und Wohnblocks verschanzt, wird aus dem Anti-Terror-Krieg ein kollektives Strafgericht. Gazas Zivilbevölkerung dient als unfreiwilliges Beweisstück für die israelische Botschaft: Unsere Sicherheit ist nicht verhandelbar, eure Toten sind Kollaterale der Notwendigkeit.

Die Weltöffentlichkeit – moralischer Jahrmarkt der Eitelkeiten

Während in Gaza Bomben fallen und in Israel die Sirenen heulen, tritt die internationale Gemeinschaft auf wie ein Chor von verunsicherten Hochzeitsgästen, die nicht wissen, auf welcher Seite sie Platz nehmen sollen. Washington schickt Kriegsschiffe und mahnende Tweets („Don’t!“), Europa ringt um Formulierungen zwischen „bedingungsloser Solidarität“ und „humanitärer Besorgnis“, arabische Regime veranstalten symbolische Proteste, während sie hinter verschlossenen Türen weiter mit Israel Geschäfte machen.

Alle reden von Frieden, meinen aber Macht. Für die USA ist Israel der unsinkbare Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer; für Iran ist Hamas der nützliche Stachel im Fleisch des Erzfeinds; für Saudi-Arabien ist der Konflikt ein Preisschild in den Verhandlungen mit Washington. Und für Europa ist es die ewige Gelegenheit, moralische Prinzipien zu proklamieren, während man Waffen exportiert und Gasdeals einfädelt. Niemand ist unschuldig, jeder ist interessiert – ein globaler Basar, auf dem Blut zur Währung geworden ist.

Das Absurde als Dauerzustand

So dreht sich das Karussell weiter: Hamas schießt Raketen, Israel antwortet mit Bombenteppichen, die UNO ruft zu Waffenstillständen auf, die niemand einhält, und die Welt schaut gebannt auf die nächste Eskalation, als wäre es ein besonders zynisches Staffelfinale einer endlosen Serie. Jede Seite sammelt ihre Märtyrer, jede Seite reklamiert das Monopol auf Leid, jede Seite nährt den Mythos, dass nur totale Vernichtung Frieden bringen könne.

Doch der eigentliche Sieger ist längst bekannt: Es ist die Logik der Gewalt selbst. Sie füttert sich aus jeder Bombe, jedem Massaker, jeder Träne – und wächst, bis sie größer ist als jede politische Idee, die sie angeblich rechtfertigt. Gaza bleibt eingemauert, Israel bleibt belagert, und der Rest der Welt bleibt Zuschauer eines Dramas, das längst zum Selbstzweck geworden ist.

Epilog: Zynismus als letzte Moral

Was bleibt, außer Zynismus? Vielleicht die Einsicht, dass in diesem Konflikt niemand „gewinnt“, weil alle längst verloren haben: die Palästinenser ihren Staat, die Israelis ihre Sicherheit, die Welt ihre Glaubwürdigkeit. Der einzige Fortschritt besteht darin, dass die Technik des Tötens immer raffinierter wird und die Rechtfertigungen immer pathetischer.

Vielleicht ist es also tatsächlich der Sarkasmus, der uns vor der Verzweiflung rettet. Denn wer über dieses mörderische Schauspiel nicht wenigstens bitter lachen kann, riskiert, von seiner Grausamkeit zerquetscht zu werden. Und solange das Lachen noch möglich ist, bleibt zumindest ein Rest menschlicher Freiheit – selbst mitten im Donnern der Bomben.

Präambel des Absurden

Manchmal wirkt die internationale Debatte wie ein groteskes Bühnenstück, in dem die Hauptdarsteller so tun, als hätten sie den Text vergessen, während sie sich doch in moralischer Überlegenheit gegenseitig überbrüllen. Die Anklage lautet „Genozid“, das Schlagwort, das jedes Gespräch beendet, bevor es beginnt – ein rhetorisches Endspiel, das nicht auf Aufklärung, sondern auf Entrüstung setzt. Man könnte fast meinen, es handle sich um eine neue olympische Disziplin: Wer kann in kürzester Zeit die größte moralische Empörung unter maximaler Ignoranz juristischer Feinheiten entfachen?

Die seltsame Mathematik der Schuld

Damit der Genozid-Vorwurf gegen Israel überhaupt eine Chance hat, muss ein besonders kreatives Buchhaltungssystem der Moral greifen. Die Ausgangsrechnung lautet:
Alles, was die Hamas tut – Massaker, Entführungen, Raketen auf Kindergärten – ist im Prinzip ein bloßer Nebensatz, eine Fußnote, die man überspringen darf, um schneller zum eigentlichen Hauptsatz zu kommen: „Israel ist schuld.“
Es ist eine bemerkenswerte intellektuelle Akrobatik: Man addiert die Opfer der eigenen Bevölkerung, subtrahiert die Verantwortung derjenigen, die diese Opfer bewusst als menschliche Schutzschilde benutzen, und multipliziert das Ganze mit der medialen Lust am moralischen Skandal. Heraus kommt ein Ergebnis, das jedem Buchhalter die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste – wenn es denn noch Scham gäbe.

Vom Schutzstatus und seiner selbstverschuldeten Erosion

Das humanitäre Völkerrecht ist eigentlich ein ernstes, fast sakrales Konstrukt. Doch wer es ausschließlich als Einbahnstraße interpretiert, macht daraus ein Clownskostüm.
Die Hamas und die von ihr indoktrinierte Mehrheit in Gaza betreiben ein perfides Doppelspiel: Zuerst werden Kriegsverbrechen akribisch inszeniert – Geiselnahmen, gezielte Angriffe auf Zivilisten, das Verschmelzen von militärischen Zielen mit Krankenhäusern und Schulen. Dann, wenn die unvermeidliche Reaktion kommt, präsentiert man die eigenen Opfer als Monstranz, um die Weltöffentlichkeit in den Chor des Anklagegesangs zu treiben.
Nach klassischem Völkerrecht verliert ein Kombattant, der Zivilisten systematisch missbraucht, tatsächlich den Schutz, den er sich so verzweifelt auf die Fahne schreibt. Doch dieser nüchterne juristische Befund hat im hysterischen Theater der Empörung ungefähr so viel Chance, gehört zu werden, wie ein Flötensolo während eines Düsenjetstarts.

Der finale Rettungsschuss der Logik

Hier drängt sich eine Analogie auf, so grob wie erhellend: Ein Geiselnehmer, der sich hinter seinen Opfern verschanzt und dabei die Forderung erhebt, unangreifbar zu sein, darf sich in keinem Rechtsstaat der Welt wundern, wenn die Polizei nicht nur verhandelt, sondern im äußersten Fall schießt.
Das heißt nicht, dass man jubelt, wenn der Schuss fällt – es bedeutet lediglich, dass der Rechtsstaat das Leben der Unschuldigen höher bewertet als das Recht des Mörders, unbehelligt weiterzumachen.
Und doch scheint genau diese simple Logik in weiten Teilen der Weltpolitik als obszön zu gelten. Lieber verurteilt man die Rettung, als den Geiselnehmer zur Rechenschaft zu ziehen.

Das moralische Schlaraffenland der Empörer

Warum aber diese hartnäckige Verweigerung gegenüber Realität und Recht?
Weil es bequemer ist, die Welt in ein Schlaraffenland der moralischen Schwarz-Weiß-Malerei zu verwandeln. Israel wird zum ewigen Täter, Palästinenser zu ewigen Opfern – eine Rollenverteilung, die so alt ist wie politisch nützlich. Wer an dieser Mythologie kratzt, riskiert die Verbannung aus den erhabenen Salons der Empörungskultur.
Es ist die alte Geschichte: Moral als Pose, nicht als Pflicht.

Epilog: Die Tragik der Zyniker

Das Bittere an dieser Farce ist, dass hinter all den spitzen Formulierungen und zynischen Beobachtungen reales Leid steht – Tote, Verstümmelte, Traumatisierte auf beiden Seiten.
Satire kann die Widersprüche bloßlegen, aber sie heilt keine Wunden. Doch vielleicht zwingt sie den einen oder anderen dazu, zumindest für einen Augenblick die wohlfeile Empörungspose zu verlassen und sich mit der unbequemen Realität auseinanderzusetzen: Dass Recht nicht immer angenehm, aber notwendig ist.
Und dass ein Geiselnehmer, wie poetisch seine Forderungen auch klingen mögen, am Ende doch kein Heiliger wird, nur weil er die Kamera liebt.

Die feuchten Augen der Macht

Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, das wir da beobachten dürfen, ein Stück aus dem Theater der Republik, bei dem der Kanzler – eine Figur, die zugleich das Land repräsentiert und sich selbst parodiert – in der Synagoge die große Kunst des staatstragenden Tränenpressens demonstriert. Mit einem Blick, der irgendwo zwischen Beileid, Betroffenheit und „Wer hat den Teleprompter verstellt?“ oszilliert, vergießt er jene sorgsam dosierten Tropfen, die in der Abendpresse zu feierlichen Feuilletonperlen gerinnen. Und wie perfekt getaktet ist doch dieses Ritual: ein Kerzenlicht hier, ein „Nie wieder!“ dort, ein leises Zittern in der Stimme – alles präzise choreographiert, damit auch der letzte Zuschauer auf der Couch versteht, dass Deutschland wieder einmal zu sich selbst gefunden hat.
Doch während drinnen der Kanzler das moralische Ballett tanzt, tropft draußen die Wirklichkeit an den Mauern entlang wie alter Regen: Schmierereien auf den Gehwegen, Beschimpfungen in der U-Bahn, feixende Gesichter, die ihren Hass mit jener Selbstverständlichkeit aussprechen, als hätten sie die Menschenrechte höchstpersönlich auf dem Flohmarkt verhökert. Man könnte fast meinen, die Tränen des Kanzlers seien so flüchtig wie das Papier, auf dem seine Regierungserklärungen gedruckt werden – glänzend im Licht, aber sofort wieder trocken, wenn man sie berührt.

Die große deutsche Staatsräson – ein Wort wie ein Zinnsoldat

„Staatsräson“ – welch schweres, bleiernes Wort, das sich gerne mit der Gravitas vergangener Jahrhunderte schmückt. Man hört es und denkt an Bismarck, an die eiserne Vernunft der Diplomatie, an jene machtpolitischen Schachzüge, die ganze Kontinente in Bewegung setzten. Heute aber, in der Ära der weichgespülten Sonntagsreden, hat sich die Staatsräson in eine Art PR-Schablone verwandelt: Man legt sie über jede beliebige Rede, färbt sie in den Trendfarben der Empörung und verkauft sie als moralische Dauerwährung.
Unsere Staatsräson ist inzwischen wie ein Mehrwegbecher: immer wieder in Gebrauch, egal, ob er gerade passt oder nicht. Mal dient sie als edle Pflicht zur Verteidigung Israels, mal als feierliche Formel für das „Nie wieder“, mal als plakativer Schlagstock gegen die eigene Bevölkerung, wenn diese es wagt, nach Kohlepreisen oder Nahostpolitik zu fragen. Doch im Alltag – dort, wo Antisemitismus nicht in den Glanz der Kameras fällt, sondern in der Dunkelheit der Hinterhöfe gedeiht – da wird aus der großen Staatsräson ein müdes Schulterzucken. „Man kann ja nicht überall sein“, seufzt der Verwaltungsapparat, während er noch die nächste Pressemitteilung über die historische Verantwortung tippt.

Betroffenheit als politische Währung

Betroffenheit ist die letzte unerschöpfliche Ressource der Berliner Republik. Sie kostet nichts, lässt sich beliebig dosieren und hat den unschätzbaren Vorteil, dass sie stets moralisch unanfechtbar daherkommt. Man kann betroffen sein, ohne etwas zu tun; man kann betroffen bleiben, während man untätig bleibt; und man kann Betroffenheit sogar steigern, wenn die Realität lästig wird.
Unser Kanzler beherrscht diese Kunst in einer Weise, die selbst geübte Theaterkritiker bewundern müssten. Ein leichtes Senken des Kopfes hier, ein entschlossenes Nicken dort, das obligatorische „Wir stehen an Ihrer Seite“ – und schon ist der moralische Haushalt saniert. Dabei wäre es ja durchaus möglich, Antisemitismus auf der Straße nicht nur zu beklagen, sondern zu bekämpfen: mit Personal, mit Gesetzen, mit der unangenehmen Bereitschaft, auch unbequeme Tätergruppen klar zu benennen. Doch warum handeln, wenn man stattdessen in der Synagoge ein Tränchen ins Scheinwerferlicht setzen kann, das sich dann auf allen Titelseiten spiegelt?

Die stille Komplizenschaft der Bequemlichkeit

Man könnte es fast für eine bittere Pointe halten, dass ausgerechnet ein Land, das sich so unablässig seiner historischen Verantwortung rühmt, beim alltäglichen Schutz jüdischen Lebens in eine Art höfliche Lethargie verfällt. Es ist die Bequemlichkeit, die sich zwischen den Paragrafen und den Polizeistatistiken einnistet: Man will ja nicht „stigmatisieren“, nicht „spalten“, nicht „pauschalisieren“. Und so wird jeder antisemitische Übergriff zur bürokratischen Fußnote, jeder Angriff zu einem „Einzelfall“, jeder Hetzruf zu einem „Missverständnis“.
Diese stille Komplizenschaft ist vielleicht gefährlicher als jede offene Feindschaft, weil sie das Gift in Watte packt. Sie erlaubt dem Kanzler, weiter von Staatsräson zu sprechen, als wäre es eine naturgegebene Konstante, während die Realität längst eine andere Sprache spricht. Die Tränen in der Synagoge mögen echt sein – aber was nützen sie, wenn sie auf den Straßen verdunsten, auf denen jüdische Kinder lernen müssen, ihre Schulwege zu verschweigen?

Die neue deutsche Souveränität: Moral ohne Konsequenz

Vielleicht ist das alles auch nur der logische Endpunkt einer Gesellschaft, die sich im Spiegel ihrer eigenen Moral verliebt hat. Wir haben gelernt, dass Worte wichtiger sind als Taten, dass Gesten größer sind als Gesetze, dass Betroffenheit politisches Kapital ist. Der Kanzler weint, die Presse applaudiert, das Publikum seufzt – und am nächsten Tag geht alles weiter wie zuvor.
So entsteht jene neue deutsche Souveränität, die man vielleicht am treffendsten so beschreiben könnte: Wir sind Weltmeister im Erinnern, aber Amateure im Handeln. Wir feiern unsere historische Verantwortung wie andere Länder ihre Fußballtitel – laut, pathetisch und immer ein bisschen selbstverliebt. Dass sich die Geschichte nicht von Kerzenlicht beeindrucken lässt, bleibt dabei eine Fußnote, die man besser nicht zu laut liest.

Schlussakkord: Ein Land zwischen Pathos und Paralyse

Und so stehen wir da, ein Land mit glänzenden Reden und trüben Straßen, mit moralischer Rhetorik und schäbiger Praxis. Ein Kanzler, der in der Synagoge Tränen herauspresst, während draußen die Realität ungerührt weiterläuft – das ist nicht nur ein Bild der Gegenwart, sondern vielleicht die treffendste Karikatur unserer Zeit.
Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Oder weinen, wenn es nicht so grotesk wäre. Am Ende bleibt uns nur das satirische Schulterzucken, dieses typisch deutsche „Ja, so sind wir eben“ – und die bittere Erkenntnis, dass Staatsräson hierzulande weniger eine Frage der Verantwortung ist als eine Inszenierung, die man Abend für Abend wiederholen kann.
Und vielleicht, ganz vielleicht, ist genau das die neue deutsche Tragikomödie: ein Land, das gelernt hat, die Vergangenheit zu beweinen, aber nicht die Gegenwart zu verteidigen.

Wenn der Songcontest sich „reinwäscht“

Vorspiel auf offener Bühne

Es gibt Dinge, die klingen so absurd, dass man sie nur mit einer Schale Wiener Melange in der Hand und einem gehörigen Schuss Sarkasmus ertragen kann. Die Vorstellung etwa, Israel aus dem Eurovision Song Contest auszuschließen, während Wien sich gleichzeitig als festlich geschmückte Gastgeberin dieser kulturpolitischen Farce anbiedert, gehört genau in diese Kategorie. Ein ESC ohne Israel ist wie ein Walzer ohne Takt, ein Schnitzel ohne Panier oder eine Sachertorte ohne Aprikosenmarmelade – möglich, aber geschmacklos.

1. Der falsche Ton: Warum ein Ausschluss Israels ein fatales Signal wäre

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Israel aus einem Wettbewerb auszuschließen, der sich selbst mit dem Heiligenschein der Völkerverständigung schmückt, wäre nicht nur ein Treppenwitz der Geschichte, sondern ein zynischer Purzelbaum durch alle Grundwerte, die man in Sonntagsreden so gerne beschwört. Man kann Netanyahus Politik kritisieren, man kann mit Leidenschaft gegen militärische Exzesse protestieren – aber man lädt nicht die Sängerinnen und Sänger aus, als seien sie die diplomatischen Sündenböcke der Nation. Kunst und Politik zu trennen ist schwer, gewiss. Aber wer Künstler*innen für Regierungsentscheidungen abstraft, entlarvt sich als willfähriger Vollstrecker einer perfiden Logik: Kollektivschuld als Showprogramm.

2. Wien, Kulturweltstadt oder Kulissenschieber?

Was bliebe von Wien, wenn es sich vor diesen Karren spannen ließe? Die Stadt, die sich gerne als Opernball der Weltkultur versteht, würde plötzlich zur Marionette eines Polit-Spektakels degradiert. Statt Walzerseligkeit gäbe es moralinsaure Statements; statt Strauß und Schrammelklang dröhnt die dumpfe Basslinie der Gesinnungskontrolle. Wer Wien kennt, weiß: Diese Stadt hat Erfahrung darin, sich feierlich selbst zu inszenieren. Aber diesmal ginge es nicht um Kaffeehaus-Charme, sondern um die schäbige Rolle einer Komparsin, die mit einem frisierten ESC-Logo das Feigenblatt für eine Ausladung liefert, die man nicht beim Namen nennen will.

3. Die heikle Neutralität – Österreich zwischen allen Stühlen

Österreich ist stolz auf seine Neutralität, jenes politisch-moralische Hochseil, auf dem man sich seit 1955 balanciert. Und nun soll Wien – Hauptstadt dieses neutralen Landes – Partei ergreifen, indem es ein Fest ausrichtet, dessen zentrale Botschaft lautet: „Wir schließen Israel aus, aber bitte bleibt fröhlich, Europe!“? Das wäre, als würde man auf dem Stephansplatz einen „Neutralitätsball“ geben, bei dem nur Gäste mit politisch genehmem Tanzpartner zugelassen sind. Wer Neutralität ernst nimmt, kann nicht gleichzeitig Gastgeber eines „judenfreien“ Kulturwettbewerbs sein.

4. Die verworrene Logik der Ausladung

Und wofür das alles? Die Motive sind so nebelhaft wie ein Novembermorgen an der Donau. Geht es um Antisemitismus, dann ist der Ausschluss nicht nur geschmacklos, sondern ein klarer Rückfall in die dunkelsten Kapitel europäischer Geschichte. Geht es um Kritik an Netanyahus Politik, dann ist er schlicht absurd: Man bestraft Künstler für Entscheidungen, auf die sie nicht den geringsten Einfluss haben. Statt politische Statements mit transparenten Mitteln zu setzen – etwa durch Boykott einzelner Länder oder kritische Beiträge – nimmt man Musiker in Geiselhaft. Ein peinliches Schauspiel, das jede Menschenrechtsrede in Eurovision-Herzchenpapier einwickelt.

5. Ein Wettbewerb ohne Israel – ein Fest mit Makel

Man stelle sich vor: ein ESC ohne israelische Künstler, ohne jene Mischung aus Pathos, Pop und orientalischem Funk, die den Wettbewerb seit Jahrzehnten bereichert. Statt verbindender Melodien gäbe es betretenes Schweigen zwischen den Strophen der Selbstgerechtigkeit. Ein solcher ESC wäre kein Fest der Vielfalt, sondern ein Mahnmal der Ausgrenzung, ein musikalisches Mah-Jongg der moralischen Überheblichkeit. Wien hätte es nicht nötig, dieser Scharade Bühne und Publikum zu liefern. Wenn jemand ein derartiges „Festival der Reinheit“ austragen will, dann bitte anderswo – vielleicht in einer Stadt, die sich weniger um die eigene historische Verantwortung schert.

6. Das Wiener Gedächtnis – Eichmanns Schatten tanzt mit

Wer in Wien das Wort „judenrein“ auch nur flüstert, ruft Geister herbei, die man längst gebannt glaubte. Es war hier, in dieser Stadt, wo Adolf Eichmann sein Büro hatte, von dem aus die Logistik des Holocaust organisiert wurde. Es war hier, wo man einst mit bürokratischer Akribie und diabolischer Effizienz daran arbeitete, jüdisches Leben auszulöschen. Wer heute auch nur den Anschein erweckt, an diese Tradition der Ausgrenzung anzuknüpfen, sei es durch einen „reinen“ Songcontest, spielt mit einem historischen Feuer, das niemals wieder entfacht werden darf.

Nachspiel: Keine Bühne für Heuchelei

Wien hat schon einmal erlebt, wie es ist, wenn man Kultur „judenrein“ machen will. Die Folgen sind bekannt, die Narben bleiben. Heute, im 21. Jahrhundert, darf diese Stadt nicht auch noch als Kulisse für ein neu aufgelegtes Spektakel der Exklusion dienen. Ein ESC ohne Israel wäre ein Festival der Schande, ein Festakt der doppelten Moral – und Wien täte gut daran, sich selbst aus diesem absurden Drehbuch zu streichen. Soll doch eine andere Stadt den Vorhang für dieses Trauerspiel heben. Wien jedenfalls sollte den Stecker ziehen, bevor der letzte Takt verklungen ist.

Tugendflotte oder Zirkus auf hoher See?

Regenbogen, Religion und das große Borddrama

Man stelle sich vor: zwanzig Schiffe, hunderte Aktivisten, Greta Thunberg an Bord – Ziel: Gaza. Erwartung: humanitäre Mission, moralischer Triumph. Realität: schwankende Arena der Ideologien, in der Regenbogenflaggen wie Minen explodieren. Wer dachte, Freiheit sei ein verbindendes Ideal, erlebte auf der Freedom Flotilla, dass sie der größte Spaltpilz aller Zeiten sein kann.

Greta auf Abruf: Die Ikone degradiert

Greta Thunberg wird aus dem Vorstand entfernt. Offiziell wegen „Kommunikationsunterschieden“. Übersetzt: Greta darf nicht mehr führen, weil ihre Stimme zu laut ist, wenn es um Regenbogen geht. Sie selbst kommentiert trocken:

„Ich bin nun Organisatorin und Teilnehmerin – mehr nicht.“

Während Greta auf dem Begleitschiff Alma vor sich hin schaukelt, tobt an Deck der eigentliche Sturm: Identitätspolitik gegen Glaubensüberzeugung, Moral gegen Eitelkeit.

Regenbogen als Zankapfel: Übersteigerte Fronten

Khaled Boujemâa tritt zurück – wegen LGBTQ-Teilnehmern. In einem Interview erklärt er theatralisch:

„Ich wusste nicht, dass diese Leute dabei sind. Für mich ist das ein Bruch, ein Skandal!“

Die islamischen Teilnehmer lassen sich in satirisch überspitzter Form wie folgt zitieren:

„Wir sollen nach Gaza segeln, nicht in einem schwimmenden Pride-Festival schwimmen!“
„Wenn wir hier über Pronomen streiten, sinken wir schneller als die Moral dieses Schiffes.“
„Ich respektiere alle, aber ich kann nicht auf einem Regenbogen-Schiff segeln, das unseren Glauben ignoriert. Es fühlt sich an, als würde Noah die Tiere ausschließen, die er nicht mochte.“

Andere Teilnehmer werfen ein:

„Wir wollten helfen, nicht auf einem schwulen Karneval tanzen.“

Die Pointe ist klar: Auf einem Schiff, das Freedom im Namen trägt, sorgt der Regenbogen für unfreiwillige Pirouetten – ein Konfliktfeld, das die gesamte Mission in eine groteske Farce verwandelt.

Journalistin als Kollateralschaden

Francesca Del Vecchio wird als Sündenbock behandelt. Ihr Vergehen: interne Trainingsdetails veröffentlicht. Strafe: Rauswurf, als „gefährlich“ gebrandmarkt. Die moralische Logik an Bord: Wer Transparenz wagt, wird exkommuniziert; wer Ideologie über Wasser hält, darf bleiben. Die Flottille zeigt, dass Aufrichtigkeit manchmal gefährlicher ist als jede militärische Intervention.

Gaza: Mission humanitär – oder Bühne für Selbstdarstellung

Offiziell: Hilfsgüter. Praktisch: Prominenz, Moralmonologe, Regenbogen-Drama. Israelische Marine vermutlich wachsam, Erfolg ungewiss. Doch das interessiert kaum, solange das Schiff als Bühne für interne Eitelkeiten dient.

Epilog: Moral, Religion und der Tanz auf dem Borddeck

Die Freedom Flotilla ist ein schwimmendes Lehrstück in Übertreibung. Ideale kollidieren mit Glaubensüberzeugungen, Moral mit Identitätspolitik, Solidarität mit Selbstdarstellung. Greta verliert das Kommando, Khaled Boujemâa steigt aus, Journalisten werden verjagt, und die Flotte schaukelt weiter – zwischen Regenbogen und religiösem Pathos.

Der Regenbogen, ursprünglich Symbol der Freiheit, wird hier zur Landmine. Religion wird satirisch überhöht zur Kontraposition, Identitätspolitik zur moralischen Geisel. Ergebnis: Eine groteske Tragikomödie auf hoher See, die beweist, dass selbst das edelste Ziel kentern kann, wenn Eitelkeiten, Ideologien und Regenbogenfarben aufeinandertreffen.

Von Hamas lernen heißt siegen lernen

Man kann die westliche Welt kaum noch als rational betrachten. Sie taumelt, taumelt und stolpert in ein Theater, das nur noch aus grotesken Visionen besteht. Emmanuel Macron, der einstige Stratege der europäischen Diplomatie, steht auf der Bühne der UN und hebt die Arme wie ein Priester der Unlogik: „Heute erkennen wir Palästina an!“ Die Kamera zoomt. Jubelbrandung. Er selbst wirkt wie eine Figur in einem kafkaesken Theaterstück – die Lippen bewegen Worte, die niemand versteht, während hinter ihm ein Chor aus diplomatischen Marionetten den Rhythmus klatscht.

Starmer in London wirkt wie ein Schauspieler, der seine Rolle vergessen hat. Er lobt die Anerkennung, betont, dass dies „nicht für Hamas“ sei, doch in seinem Blick liegt die innere Kapitulation. Die Paläste der westlichen Diplomatie erscheinen wie Museen der moralischen Verwirrung, bevölkert von Kuratoren, die applaudieren, während die Welt in Flammen steht. Kanada schließt sich an. Mark Carney winkt von einem Balkon, als würde er einen Karneval begrüßen, während unter ihm Tausende Schreie verhallen – Schreie, die nur noch Kulisse sind, nicht Realität.

Visionen der Hamas: Sieg durch Theater

Die Hamas sitzt in ihren Tunnelbauten und schaut zu. Sie lehnt sich zurück, trinkt Kaffee, während westliche Politiker das Massaker vom 7. Oktober in diplomatische Goldmedaillen verwandeln. Jede Anerkennung ist ein Schlag ins Gesicht der Logik, ein Triumph des Irrsinns. Gewalt zahlt sich aus, Blut bringt Legitimität, Massaker erzeugt Applaus. Sie lernen, dass der Terror nicht bestraft wird, sondern in den Hallen der Macht gefeiert.

In einer visionären Szene – und doch real genug – sitzen die Hamas-Führer auf holografischen Thronen, die aus den Trümmern Gazas geformt sind. Über ihnen projizieren Satellitenbilder westlicher Politiker, die applaudieren. Sie lachen. Sie lachen, weil sie verstehen: Die Welt ist Marionettenoper, und die westlichen Staaten spielen ihre Rolle perfekt. Sie liefern die Bühne, die Anerkennung, die Moral – alles in einer grotesken Choreografie der Selbstverleugnung.

Deutschland und die moralische Umkehr

Deutschland erscheint wie ein Theaterstück in Dauerschleife. Die Täter von einst – diesmal verbal und moralisch gehüllt – führen Regie über Empörung, Mitleid und pseudo-moralische Entrüstung. Kinder aus Gaza als Bühnenbilder, Mitleid als Waffe, Antisemitismus als Maske. Die Täter bleiben Täter, nur getarnt, inszeniert, elegant gebrandmarkt als moralische Instanz.

In einer zynischen Vision sieht man deutsche Politiker in schicken Anzügen, die auf Booten im Mittelmeer posieren, Selfies machen, während sie Botschaften eröffnen, die Phantomstaaten repräsentieren. Sie heben Gläser, lachen über ihre eigene Skrupellosigkeit und nennen es „Diplomatie“. Sie feiern moralische Siege über Opfer, die noch atmen.

Die absurde Logik: Applaus für das Blut

Die westliche Politik hat eine neue mathematische Formel entwickelt: Blut + Terror = diplomatischer Sieg. Die Welt liest Zahlen, nicht Schreie. Die Anerkennung Palästinas ist nicht mehr ein politischer Akt, sondern eine Performance, ein Ritual, eine Theateraufführung der Absurdität. Diplomaten wandeln durch Flure, die nach Parfüm und verbrannten Idealen riechen, und verteilen Orden an die Täter der Gegenwart.

Visionär gesehen, sitzen alle Staatschefs Europas in einer Aula, die wie ein überdimensionales Aquarium gestaltet ist. Unter Wasser schwimmen die Opfer, unsichtbar, während die Politiker applaudieren, Selfies posten und sich in moralischer Erhabenheit sonnen. Die Hamas schaut zu, trinkt Wein, nickt anerkennend – sie haben das Spiel gewonnen, bevor es überhaupt begann.

Von Hamas lernen heißt siegen lernen – Endspiel

Die Lektion der Gegenwart ist klar: Gewalt zahlt sich aus, Terrorismus wird belohnt, moralische Prinzipien sind verhandelbar. Die westliche Diplomatie hat sich selbst zur Marionette gemacht, die Bühne für ein Massaker und seine Anerkennung liefert. In der Vision, die wir gerade erleben, tanzen Politiker, Terroristen und moralische Heuchler auf einem Pulverfass der Geschichte, das jederzeit explodieren kann.

Die westliche Welt applaudiert – und die Welt zittert. Die Hamas triumphiert, nicht nur durch Gewalt, sondern durch das Theater, das die Welt ihr liefert. Jeder Politiker, der glaubt, mit Anerkennung Frieden zu stiften, hat bereits verloren. Wer die Lektion nicht versteht, erkennt nur die groteske Logik: Von Hamas lernen heißt siegen lernen – in einer Welt, die längst aufgehört hat, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.

Wenn Luxus plötzlich „Arbeitsklima“ heißt

Fünfzigtausend Euro für zwei Tage Klausur – das ist kein Tippfehler, kein Zahlendreher, kein satirischer Kunstgriff, sondern die unverschämt nüchterne Realität eines politischen Wochenendes, das so viel gekostet hat wie ein Einfamilienhaus in der Provinz. Während der brave Bürger im Supermarkt die Sonderangebote für Aufschnitt jagt, gönnt sich die Regierung einen Kurzurlaub im Namen der „Arbeitsgespräche“. Man nennt es dann „intensive Beratungen“, was ungefähr so klingt, als hätte man aus purem Staatsnotstand die Büffetgabeln gezückt. Doch die wahre Kunst besteht darin, das Ganze mit einer Mischung aus salbungsvollen Pressemitteilungen und pseudodemokratischer Transparenz zu verbrämen: „Es war notwendig, um wichtige Projekte voranzubringen.“ Übersetzt bedeutet das: Ein Wochenende zwischen Flipcharts, Schokotörtchen und einem Weinangebot, das vermutlich teurer war als die Sozialhilfe für eine Kleinfamilie.

Die Regierung als Selbsthilfegruppe für Spesenritter

Es ist ein offenes Geheimnis, dass in politischen Tagungshotels die eigentlichen Debatten nicht im Konferenzraum stattfinden, sondern an der Dessertstation. Dort, wo sich die Sahnehaube der Macht mit dem Karamell der Selbstzufriedenheit vermählt. Zwischen glutenfreien Petit Fours und regionalem Ziegenkäse wird dann mit hingebungsvollem Ernst über die „Herausforderungen unserer Zeit“ gefachsimpelt. Gemeint ist freilich nicht die explodierende Miete oder die Frage, wie man mit einem Durchschnittseinkommen den Winter übersteht, sondern ob man für das nächste Mal eher ein Vier- oder ein Fünf-Sterne-Hotel buchen sollte. Und während draußen das Volk in Thermojacken seine Gasrechnung studiert, streitet man drinnen über die richtige Farbe für die PowerPoint-Folien.

Die olympische Disziplin des „Eh-wurschtismus“

Diese Bundesregierung – und, Hand aufs Herz, auch ihre Vorgänger – beherrscht eine Tugend, die in keinem Wahlprogramm steht: die hohe Kunst des „eh wurscht“. Was sind schon 50.000 Euro, wenn man jährlich Milliarden bewegt? Ein Tropfen im Steuerozean, ein Furz im Orkan, ein Peanuts-Krümel auf dem Konferenztisch. Genau in dieser Haltung liegt der eigentliche Skandal: die völlige Abstumpfung gegenüber Summen, die für Normalbürger das Ende aller Urlaubsträume bedeuten würden. Während eine Familie überlegt, ob sie sich den Kindergeburtstag im Indoorspielplatz noch leisten kann, zuckt ein Ministerialbeamter bei fünfstelligen Ausgaben für ein Wochenendseminar nur gelangweilt mit den Schultern – und bestellt noch eine Runde Apfelstrudel „fürs Teamgefühl“.

Der Steuerzahler: Dauer-Sponsor im Hamsterrad

Der Bürger, dieser unerschütterliche Finanzesel, darf das Spektakel natürlich bezahlen. Ohne Einladung, ohne Stimmrecht, aber mit einem Dauerauftrag ans Finanzamt. Sein einziger Trost: die trügerische Vorstellung, dass „irgendetwas“ von diesen Treffen ja wohl dem Land zugutekommen müsse. Doch was bleibt am Ende? Ein paar wolkige Absichtserklärungen, die beim nächsten Regierungsstreit ohnehin wieder in der Versenkung verschwinden. Für den Bürger hingegen bleibt die Erkenntnis, dass er nicht nur das Buffet, sondern auch den Weißwein bezahlt hat, mit dem sich die Mächtigen zuprosten, wenn sie sich gegenseitig zur „konstruktiven Zusammenarbeit“ gratulieren.

Politische Nachhaltigkeit à la carte

Die Regierung predigt Sparsamkeit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit, während sie mit Dienstlimousinen anrollt und sich im Öko-Hotel das Bio-Catering vergolden lässt. Man schiebt Quotenfrauen auf Podien und spricht von „solidarischer Gesellschaft“, während man in Wirklichkeit nur solidarisch mit dem eigenen Gaumen ist. Nachhaltig ist hier höchstens die Rechnung, die sich wie ein bleierner Schatten durch den Staatshaushalt frisst – und der moralische Kater, den niemand außer dem Steuerzahler auskurieren muss.

Schluss mit lustig – oder doch nicht?

Man könnte sich empören, demonstrieren, Petitionen starten. Doch die Praxis zeigt: Nach einem kurzen Aufflackern der Wut in den Kommentarspalten versiegt der Protest schneller, als die Regierung den nächsten Klausurtermin ansetzen kann. Und genau darauf baut man in den Ministerien: Empörung als kalkulierte Eintagsfliege. Während wir uns also an den Kopf fassen, planen die Verantwortlichen bereits das nächste „intensive Arbeitswochenende“ – vielleicht diesmal für 60.000 Euro, schließlich sind die Preise ja auch für Politiker gestiegen.

Epilog im Schatten der Quittung

Vielleicht ist das alles gar kein politischer Skandal, sondern ein psychologisches Experiment: Wie viel Verhöhnung verträgt ein Volk, das sich selbst für zu müde hält, um aufzubegehren? Die Antwort liefert jedes neue Tagungshotel, jeder neue Buffetbon, jede neue Rechnung. Und solange wir uns mit ironischem Schnauben begnügen, wird die Regierung weiter die goldene Regel befolgen:

Wenn schon alles wurscht ist, dann wenigstens mit Schokoladenglasur.

Esst nicht bei Juden!

Vorspeise: Empörung als All-you-can-eat-Buffet

Manchmal scheint es, als gäbe es in Deutschland kein größeres Nationalgericht als die Empörung. Kaum steht irgendwo ein Teller Hummus auf einem Berliner Tresen, erhebt sich ein Sturm aus moralischem Wohlgefallen. Mitten im Gaza-Krieg, so raunen die selbsternannten Tugendpatrouillen auf X und in den Kommentarspalten, will ein israelischer Starkoch ein Restaurant eröffnen. Skandal! Ein Affront gegen den Hunger der Welt! Man fragt sich, ob sich dieselben Stimmen je für die Zwangsarbeit in asiatischen Textilfabriken interessieren, während sie im neuen Seidenblouson am Laptop hocken und in empörtem Tremolo ihre Tweets absetzen.

Der Vorwurf lautet: Während Palästinenser hungern, darf ein Israeli kein Pita-Brot verkaufen. Dass Berlin voller syrischer, libanesischer, türkischer Restaurants ist, die selbstverständlich weiter Döner, Falafel und Baklava kredenzen, interessiert nicht. Es geht nicht um Logik, es geht um Haltung. Haltung nämlich, die sich am leichtesten aus der Ferne einnehmen lässt – dort, wo man sich nicht die Finger an tatsächlichen politischen Lösungen verbrennt.

Hauptgang: Die deutsche Sehnsucht nach der reinen Moral

Deutschland liebt seine moralischen Diäten. Nie schmeckt das Essen so gut, wie wenn man sich vorher die Speisekarte der eigenen Gewissensreinheit auswendig vorgesagt hat. Der Jude als Gastronom – welch herrliches Projektionsfeld! Hier lässt sich der postkoloniale Diskurs mit der nie ganz verdauten Schuldgeschichte zu einem neuen, aufregenden Smoothie mixen: ein Schuss Antiimperialismus, ein Spritzer Opferkonkurrenz, dazu ein ordentlicher Löffel Selbstabsolution.

Dass Eyal Shani als Koch vermutlich nichts anderes will, als Auberginen im Ofen zu rösten, ist nebensächlich. Für die moralische Veredelung der Debatte taugt er allemal besser als ein namenloser Gastronom. Wer braucht schon politische Analysen, wenn man ein Gesicht hat, das man mit der immer gleichen Anklage garnieren kann? Das Gericht der öffentlichen Meinung ist schnell zubereitet, billig und reichlich: Es serviert den alten Antisemitismus als „kritisches Bewusstsein“ und nennt das Ganze „Solidarität“.

Zwischengang: Die ZEIT als Küchenchef der Heuchelei

Und hier tritt die ZEIT auf den Plan – jenes ehrwürdige Blatt, das sich selbst gern als Leuchtturm der Aufklärung inszeniert. Kaum war der empörungsaffine Tweet veröffentlicht, der den israelischen Koch in eine moralische Mitschuld am Hunger in Gaza stellte, wurde er auch schon wieder gelöscht. Erst die Schlagzeile, dann der Rückzug – wie ein Restaurant, das verdorbenes Fleisch serviert und nach den ersten Lebensmittelvergiftungen hektisch die Speisekarte austauscht.

Dieses Manöver ist kein Akt von Verantwortungsbewusstsein, sondern ein Paradebeispiel für verantwortungslosen Journalismus: erst die kalkulierte Provokation, dann die feige Flucht vor der eigenen Courage. Wer einen antisemitisch codierten Tweet absetzt, ihn anschließend kommentarlos entfernt und auf stille Vergessenheit hofft, beweist nicht Sensibilität, sondern Zynismus. Man bedient das Ressentiment, um Klicks zu generieren – und zieht sich dann zurück, als hätte man nur versehentlich ein scharfes Gewürz ins Essen gestreut.

Das Ergebnis? Ein medialer Bumerang. Durch das Löschen wird der Text nicht etwa unsichtbar, sondern doppelt wirksam. Der Screenshot ersetzt das Original, und plötzlich ist die Frage nicht mehr: „Warum schreibt ihr so etwas?“, sondern: „Vertuscht ihr Antisemitismus?“ Genau darin liegt die eigentliche Geschmacklosigkeit: Die ZEIT, die sonst lautstark jede Form von Hass anprangert, schafft selbst die Schlagzeile, vor der sie später feierlich warnt.

Dessert: Der bittere Nachgeschmack der Doppelmoral

Die Farce liegt offen zutage. Ein Israeli will ein Restaurant eröffnen – und plötzlich wird er zum geopolitischen Akteur, dessen Pita für den Hunger in Gaza verantwortlich gemacht wird. Man stelle sich vor, wir würden denselben Maßstab anlegen, wenn ein syrischer Koch in Berlin ein Lokal eröffnet, während in Idlib Bomben fallen. Oder ein russischer Bäcker während des Krieges in der Ukraine. Aber dort fehlt der uralte Resonanzboden, der Antisemitismus heißt.

Die Pointe ist so alt wie abgenutzt: Ausgerechnet in Deutschland, wo man sich gern als Musterland der Vergangenheitsbewältigung präsentiert, ist der jüdische Wirt wieder Projektionsfläche für globale Krisen. Es ist die Neuauflage eines uralten Rezepts: Man nehme die reale Not anderer, rühre eine Prise israelischer Schuld hinein und serviere das Ganze als moralisch einwandfreies Entrée. Dass Antisemitismus dabei nicht nur durch die Hintertür, sondern durch die breite Flügeltür hereinspaziert, wird mit einem freundlichen Nicken ignoriert – bis er sich, wie bei der ZEIT, plötzlich ungebeten auf der Startseite wiederfindet.V

Verdauungsschluss: Ein Appell ans Geschmacksempfinden

Was also tun? Ganz einfach: Geht essen. Überwindet den Reflex, den Koch für den Krieg verantwortlich zu machen. Erkennt den Unterschied zwischen einer Regierung und einem Gastronomen, zwischen einem Staat und einem Menschen, der Auberginen liebt. Boykott ist keine Moral, sondern Faulheit, getarnt als Prinzip.

Und Medien, die sich als moralische Instanz verstehen, sollten lernen, dass Antisemitismus nicht weniger giftig wird, wenn man ihn nachträglich löscht. Verantwortlicher Journalismus heißt, solche Texte gar nicht erst zu veröffentlichen – und nicht, den Dreck nach dem Dessert hastig unter den Teppich zu kehren.

Wer in Berlin Eyal Shanis Restaurant meidet, weil irgendwo Bomben fallen, isst nicht politisch, sondern heuchlerisch. Die Pointe dieser Farce liegt nicht auf dem Teller, sondern im Spiegel. Und der zeigt: Wir alle sind hungrig – nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach der süßen, billigen Sättigung, die nur moralische Überheblichkeit verschaffen kann.

Also: Esst bei Juden. Esst bei Arabern. Esst bei wem ihr wollt. Aber vor allem – esst eure eigenen Vorurteile auf, bevor ihr euch anmaßt, anderen das Brot aus der Hand zu schlagen.

Jüdische Künstler gerne, aber bitte keine Lebenden

Man könnte fast glauben, wir hätten es hier mit einem neuen Genre der europäischen Festivalpolitik zu tun: ein Genre, das sich irgendwo zwischen kafkaesker Bürokratie, absurdem Theater und der wohlmeinenden Moralfalle bewegt, die sich geradewegs in die Hosentasche unserer aufgeklärten Gesellschaft geschlichen hat. Denn was sonst sollte man von der plötzlichen Absage eines hochkarätigen Orchesters erwarten, wenn der Grund darin besteht, dass der Dirigent, dieser lebendige, atmende Jude namens Lahav Shani, ein paar Tonleitern zu oft in Tel Aviv geübt hat? Das Flanders Festival Gent hat hier, im Geiste postmoderner Tugend, eine neue, bislang ungekannte Form des kulturellen Antisemitismus erfunden: jenen, der nicht auf Hakenkreuze und Verbote setzt, sondern auf subtile, ironische Distanzierung – „Jüdische Künstler ja, aber bitte keine Lebenden“.

Hier wird auf beeindruckende Weise demonstriert, dass moralische Überlegenheit keine Frage des Denkvermögens ist, sondern der Fähigkeit, Widersprüche zu produzieren, die so tief sind, dass sie in jedem gut gefüllten Festivalprospekt glänzen. Einerseits liebt man die Werke jüdischer Künstler – Mendelssohn, Mahler, Bernstein –, solange sie in der Vergangenheit liegen, gerne auch auf Vinyl, idealerweise tot, denn Tote sind loyal, kompromisslos und machen keine unangebrachten Statements zu aktuellen politischen Konflikten. Lebendige Juden hingegen, so scheint es, sind höchst verdächtig: Sie könnten womöglich, gottbewahre, eine Meinung haben, die den eigenen Tugendkodex irritiert.

Virtuose Moral, frei Haus geliefert

Man könnte sagen, dass dies ein Triumph der virtuosen Moral ist, jener Fähigkeit, komplexe ethische Ansprüche zu erheben, ohne den geringsten Hauch von Verantwortung für deren Konsequenzen zu übernehmen. Lahav Shani, Jahrgang 1989, Dirigent von Weltklasse, ist also nun zum Inbegriff des moralischen Problems geworden, und weil er zufällig in Tel Aviv geboren wurde. Wäre er in Prag geboren, in Paris oder in Peking, hätte niemand Notiz von ihm genommen – der wahre Feind ist offenbar nicht die Politik, sondern die Existenz selbst: jüdisch, lebendig, virtuos.

Hier öffnet sich das große Kabinett der Heuchelei: Man fordert Klarheit über eine „Haltung gegenüber dem genozidalen Regime“, eine Formulierung, die so großspurig, so geschmackvoll polemisch ist, dass sie als literarisches Zitat durchaus Bestand haben könnte. Dabei vergisst man nur ein kleines Detail: Man kann nicht gleichzeitig fordern, dass Künstler moralische Verantwortung übernehmen, und sie gleichzeitig nach Herkunft und Geburt sortieren. Das ist, als würde man von einem Apfelbaum verlangen, dass er nur Äpfel ohne Kerne liefert, während man gleichzeitig die Blätter kritisiert.

Die Ironie der Boykottkultur

Und so sind wir in einer Welt angekommen, in der Boykott nicht mehr als politisches Instrument, sondern als Lifestyle-Accessoire fungiert. Auf Biennalen, in Hollywood, auf Festivals – überall wird das Urteil gefällt, dass bestimmte Künstler nicht eingeladen werden, weil sie die falsche nationale Herkunft haben oder die falsche Meinung haben könnten. Hunderte Schauspieler fordern den Boykott israelischer Filminstitutionen, als handele es sich um eine Modekampagne gegen schicke Schuhe, während man selbst den neuesten moralischen Egotrip auf Instagram postet. Man könnte fast Mitleid mit diesen moralisch Aufgeladenen haben, wenn ihre Ironie nicht so absolut tödlich wäre: Sie boykottieren nicht nur Musik, sie boykottieren die Realität, die Vielfalt, ja im Grunde genommen das Leben selbst.

Ein Toast auf die Toten

Vielleicht ist die Lösung dieses Dilemmas so einfach wie makaber: Wir müssen einfach nur warten, bis alle genialen jüdischen Künstler tot sind. Dann können wir sie bedenkenlos bewundern, in Konzerthäusern feiern, auf Poster drucken und ihre Werke analysieren – ganz ohne die peinliche Unbequemlichkeit, dass sie vielleicht eine politische Meinung vertreten, die uns stört. Tote Juden sind loyal. Tote Juden sind konfliktfrei. Tote Juden passen in jede moralische Schublade. Und solange wir das akzeptieren, kann das Festival seine ethische Reinheit bewahren, während die Philharmoniker verzweifelt versuchen, eine Einladung zu bekommen, die immer wieder verweigert wird – nicht wegen ihres Könnens, sondern wegen der Geburt eines Dirigenten.

Epilog der Absurdität

So stehen wir nun also da, zwischen Kant und Kafka, zwischen Moral und Absurdität, applaudieren der Kunst der Toten und ignorieren die Realität der Lebenden. Die Botschaft ist klar, die Ironie schneidend, und der Humor, wenn man ihn als solchen erkennen mag, bitter-süß: In einer Welt, die ständig vorgibt, für Gerechtigkeit zu kämpfen, wird die größte Ungerechtigkeit manchmal von jenen begangen, die am lautesten moralisch empört sind. Jüdische Künstler – ja, aber bitte nur, wenn sie nicht sprechen, nicht spielen, nicht leben.

Die Kugel und das Echo

Es ist eine alte, traurige Binsenweisheit, dass eine Kugel immer mehr trifft als nur Fleisch und Knochen. Sie durchbohrt Gespräche, Freundschaften, Meinungen, sie zerfetzt das feine Gewebe öffentlicher Debatte, bis nicht mehr der Schuss, sondern das widerhallende Raunen den eigentlichen Schaden anrichtet. Als also ein gewisser Charlie Rick – ein Name wie aus einer Karikatur gezogen, halb Cartoon-Cowboy, halb Nachbar von nebenan – sich den Luxus leistete, mit anderen Meinungen zu diskutieren, und dafür den finalen Preis in Form eines bleiernen Projektils entrichtete, stellte sich sogleich jene Frage, die in Zeiten der moralischen Hochkonjunktur immer wie von selbst auf den Tisch springt: Wer vergiftet eigentlich mehr? Der Mann, der redet, oder die Meute, die nach seinem Tod Beifall klatscht? Der Provokateur, der austeilt, oder die Tugendbataillone, die sich am blutigen Ende laben wie an einem besonders würzigen Aperitif?

Natürlich ist diese Frage nicht neu. Neu ist nur, dass sie in den sozialen Arenen, die wir einst „Netzwerke“ nannten, heute mit der Eleganz einer Kneipenschlägerei diskutiert wird. Charlie Rick mag tot sein, aber sein digitales Nachleben lebt von Retweets, wüsten Memes und dieser eigentümlichen Mischung aus moralischer Entrüstung und hämischer Freude, die man früher nur von mittelalterlichen Marktplätzen kannte, wenn man wieder einmal jemanden öffentlich an den Pranger band, um sich anschließend über die Rohheit der Menge zu beklagen.

Der Märtyrer wider Willen

Charlie Rick – oder wie man ihn in den algorithmischen Katakomben auch nennen mag – war kein Heiliger, kein klassischer „Guter“. Er war, nach allem was man hört, ein notorischer Diskutant, ein Störenfried, ein Freund der steilen These. Jemand, der sich die selten gewordene Freiheit nahm, nicht jedem moralischen Wetterbericht zu folgen. Einer, der auch dann noch widersprach, wenn sich die Mehrheit längst mit der Bequemlichkeit des Konsenses eingerollt hatte. Kurz: ein Mensch, und damit in unserer Epoche der hyperventilierenden Empfindlichkeiten schon fast ein Anachronismus.

Das Paradoxe an solchen Figuren ist, dass sie erst durch ihr gewaltsames Ende in jene strahlende Sphäre gelangen, in der sie zum Symbol werden können. Vorher sind sie lästig, danach sind sie wahlweise Helden oder Hassobjekte – manchmal beides zugleich. Die Kugel, die Charlie Rick traf, war deshalb weniger eine Tatwaffe als ein Brandbeschleuniger. Sie verwandelte einen Diskutanten in einen Märtyrer wider Willen und eröffnete den moralischen Jahrmarkt, auf dem sich nun alle tummeln: die Trauernden, die Hasser, die Trittbrettfahrer, die Zyniker.

Die fröhliche Empörungsgesellschaft

Besonders pikant ist das Schauspiel der freudigen Reaktionen. Kaum war die Nachricht von Ricks Tod publik, da rauschten die Kanäle über mit jener galligen Mischung aus Schadenfreude und moralischer Selbstvergewisserung, die unsere Gegenwart so unverwechselbar macht. Man klatscht, aber man klatscht natürlich „aus Prinzip“. Man spuckt auf das Grab, doch man versieht den Post mit einem Zwinkersmiley, damit niemand behaupten kann, man sei herzlos. Die neue Grausamkeit tarnt sich als Satire, der Zynismus als notwendige Konsequenz.

Ist das noch freie Meinungsäußerung oder bereits eine Art seelischer Leichenschändung? Wer in diesen digitalen Fegefeuern unterwegs ist, merkt schnell, wie dünn die Trennlinie verläuft. Die gleiche Gesellschaft, die jeden Fauxpas mit moralischem Furor geißelt, gönnt sich plötzlich einen kollektiven Amoklauf der Gefühle, sobald der Gegner am Boden liegt. Man ruft nach „Anstand“ und „Respekt“ – aber nur solange, bis die richtige Leiche geliefert wird. Dann knallen die Sektkorken der Schadenfreude.

Wer vergiftet wen?

Und hier kehrt die Ausgangsfrage wie ein Bumerang zurück: Wer spaltet mehr – derjenige, der streitbar war, oder die Menge, die auf seinen Tod reagiert?             
Charlie Rick hat gestritten, provoziert, polarisiert – gewiss. Aber er hat immerhin gesprochen. Worte, so ungeschliffen sie auch sein mögen, lassen sich entkräften, diskutieren, ignorieren. Eine Kugel hingegen ist das Ende aller Debatte. Und die hämischen Jubelrufe danach sind nichts anderes als geistige Folgeschüsse, die noch lange hallen, nachdem der Körper bereits kalt ist.

Vielleicht liegt die größere Vergiftung nicht im Streit, sondern in der selbstgerechten Euphorie, mit der man glaubt, das Problem „ein für alle Mal“ gelöst zu haben. Wer den Tod eines Gegners feiert, erklärt nicht nur dessen Argumente für null und nichtig, sondern entwertet auch die eigene Moral. Das Gift, das hier verteilt wird, sickert langsam in den Boden der Gesellschaft – und irgendwann wächst daraus nur noch Misstrauen, Zynismus und das wohlig-faule Gefühl, dass Gewalt eben doch eine Form von „Antwort“ sein kann.

Epilog: Ein Toast auf den Zweifel

Vielleicht ist die einzig ehrliche Haltung in diesem ganzen Trauerspiel die des zweifelnden Beobachters. Jener Figur, die nicht in den Chor der moralischen Sieger einstimmt, sondern sich die unbequeme Frage stellt, warum wir überhaupt so süchtig nach den Dramen der anderen geworden sind. Vielleicht ist der wahre Skandal nicht, dass ein Mann wegen seiner Worte starb, sondern dass wir im Tod anderer immer nur den Anlass für unser eigenes moralisches Entertainment sehen.

Charlie Rick ist tot. Seine Gegner klatschen, seine Anhänger trauern, die Welt scrollt weiter. Und irgendwo dazwischen, in dieser giftigen Melange aus Hass und Heiterkeit, sitzt der Zweifel und nippt an einem Glas abgestandener Vernunft. Vielleicht sollten wir ihm zuprosten – nicht aus Freude, sondern aus der leisen Hoffnung, dass er uns noch ein Weilchen erhalten bleibt.

Macrons Ballett der Verzweiflung

Frankreich: Der 10. September war eine vielversprechende Generalprobe

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sich hartnäckig für die Reinkarnation von Jupiter hält, stolperte am 10. September über eine altbekannte französische Spezialität: den Volkszorn. Der Mann, der glaubt, Politik sei eine Mischung aus PowerPoint-Folien und Investmentbanker-Sprech, musste mit ansehen, wie Hunderttausende Franzosen die Straßen füllten – nicht, um seine „Reformen“ zu beklatschen, sondern um ihm symbolisch den Mittelfinger zu zeigen.

Es war die Stunde, in der Macron einmal mehr bewies, dass er zwar glänzend darin ist, milliardenschwere Steuererleichterungen für Reiche durchzuprügeln, aber hoffnungslos überfordert, sobald ein paar Schüler:innen beschließen, ihre Schule mit einer Mülltonne zu blockieren. Ein Jupiter, der vor Teenagern und Müllsäcken zurückweicht – die griechischen Götter würden vor Lachen von ihren Wolken fallen.

80.000 Polizisten gegen eine Nation – eine Reality-Show der Peinlichkeit

Innenminister Bruno Retailleau, der sich offenbar sein Weltbild in einem feuchten Keller voller Überwachungskameras zusammenbastelt, ließ 80.000 Polizisten, Gendarmen, Drohnen und sogar Panzerfahrzeuge auffahren. 80.000! Eine Zahl, bei der man denkt, Frankreich habe sich auf eine Invasion von Marsmenschen vorbereitet – nicht auf Streikposten vor einem Amazon-Lager.

Die Szene hatte die Ästhetik einer Reality-Show, nur dass die Kandidaten keine Influencer waren, sondern uniformierte Ordnungshüter, die verzweifelt versuchten, Jugendliche am Verteilen von Flugblättern zu hindern. Währenddessen roch Paris nach Tränengas wie nach einem schlecht belüfteten Schnellimbiss. Am Ende stand die Polizei da wie eine Clownstruppe, die zwar das Zirkuszelt anzündet, aber vergisst, dass die Manege draußen weitergeht.

Streikposten als nationale Folklore

Und so wurden die Streikposten unfreiwillig zur eigentlichen Pointe. Die Regierung wollte sie zerschlagen – und verlieh ihnen dadurch erst recht mythischen Glanz. Airbus in Toulouse, Raffinerien in Le Havre, Energieposten in ganz Frankreich: jede dieser Stationen war weniger ein Ort der Arbeitsniederlegung als vielmehr eine Pilgerstätte für den heiligen Geist der Revolte.

Man stelle sich vor: Macron sitzt im Élysée-Palast, nippt an einem überteuerten Espresso, und draußen blockieren ein paar Eisenbahner:innen mit Warnwesten die Schnellstraße – und gewinnen dadurch mehr moralische Autorität als zehn Regierungserklärungen im Parlament. Es ist, als würde ein paar Schaufeln Sand den ganzen Getriebeapparat des neoliberalen Hochglanz-Frankreichs lahmlegen.

Frankreich als das Land, das sich weigert, brav zu sein

Während in Deutschland Streiks mittlerweile nach dem Prinzip „bitte nicht zu laut, wir wollen niemanden aufregen“ ablaufen und man sich in den USA nur fragt, wie viele Milliarden Dollar Schaden ein Streiktag wohl den Aktionären zufügt, kultiviert Frankreich weiterhin die noble Kunst des kollektiven Ärgers. Frankreich ist nicht einfach ein Land, es ist ein permanenter Wutanfall mit Baguette.

Und Macron, der sich selbst gern als Manager einer modernen Nation inszeniert, sitzt dabei auf dem Schleudersitz eines Landes, das von seinen Bürger:innen lieber lahmgelegt wird, als dass es sich von oben herab diktieren lässt. Kurz: Frankreich lässt sich nicht „modernisieren“. Frankreich modernisiert lieber seine Barrikaden.

Der 18. September – Endspiel oder nur die Ouvertüre?

Was also bringt der 18. September? Vielleicht das, wovor Macron am meisten Angst hat: dass die Bevölkerung begreift, wie viel Macht sie eigentlich hat, wenn sie einfach aufhört, mitzuspielen. Dann könnte aus dem Generalstreik schnell mehr werden als eine Randnotiz im Kalender – dann könnte er zur Abrechnung mit einem Präsidenten werden, der längst in seiner eigenen Hybris ertrinkt.

Am Ende ist die Pointe einfach: Macron wollte Jupiter sein, und jetzt steht er da wie ein leicht überforderter Animateur im Club Med, der vergeblich versucht, die Tanzfläche zu füllen. Das französische Volk aber tanzt längst – nur eben nicht nach seiner Pfeife.

Zwei Apostel im Wirtschaftsnebel

Wenn der deutsche Geist sich anschickt, seine eigenen Totengräber mit Orden auszuzeichnen, dann tauchen aus den Nebeln der Talkshows stets dieselben Silhouetten auf: Marcel Fratscher und Patrick Graichen. Zwei Namen wie zwei klingende Münzen – dieselbe Währung, nur unterschiedliche Prägung. Der eine flötet in den Kathedralen der Ökonomie von sozialer Gerechtigkeit und Investitionslust, als ließe sich die Welt durch Konjunkturprogramme in einen Kindergarten aus Wattebäuschen verwandeln; der andere zimmert als Energiewender der Nation an jenem windschiefen Experimentierbau, der sich Stromnetz nennt, während draußen die letzte Grundlast verglimmt. Sie lächeln milde, dozieren wohltemperiert, sprechen von „Transformation“ und „Resilienz“, Begriffe, die so geschmeidig klingen, dass man beinahe vergisst, dass hinter ihnen nichts anderes steckt als die frohe Botschaft des permanenten Mangels – freilich „nachhaltig“ verpackt. Zwei Männer, zwei Institute, ein Ziel: den deutschen Untergang als Masterplan zu verkaufen, so seriös, dass selbst der Bundesadler auf dem Reichstag die Schwingen hängen lässt.

Das große Boomer-Paradox

Doch wer hat sie hervorgebracht, diese neuen Hohepriester der grün schimmernden Schrumpfungsreligion? Hier betritt eine Generation die Bühne, die man lange für den Triumph des Pragmatismus hielt: die Boomer. Jene geburtenstarken Jahrgänge, die nach dem Krieg den Schutt beiseiteräumten, dann aber mit geradezu gieriger Lust jedes neue Sofa des Wirtschaftswunders ausprobierten. Es waren sie, die die Wiedervereinigung nicht nur bejubelten, sondern auch bezahlten – mit Steuern, Solidaritätszuschlägen und einer Geduld, die man heute fast für stoisch halten könnte, wäre sie nicht so bequem gewesen. Denn während sie brav Überstunden schoben, um den Osten zu sanieren, wuchsen in den Hörsälen der Republik jene Geisteskinder heran, die nun in Talkshows als „Experten“ auftreten und mit der Autorität eines selbstgezogenen Bonsais den Wald der deutschen Vernunft stutzen. Fratscher und Graichen verdanken ihre akademischen Meriten genau jenen Steuergroschen, die die Boomer in treuherziger Staatsfrömmigkeit ablieferten – in der Annahme, sie finanzierten damit die Zukunft, nicht ihre eigene Demontage.

Von der Butterseite zur Brötchenkruste

Es liegt eine ironische Poesie darin, dass ausgerechnet jene Generation, die sich stets auf der Butterseite des Lebens wähnte, nun in der mageren Gegenwart das Brötchen ohne Belag serviert bekommt. Die Boomer wollten Fortschritt, aber bitte mit Eigenheim und drei Urlaubsreisen im Jahr; sie wollten Gerechtigkeit, aber ohne radikale Experimente; sie wünschten sich kluge Köpfe in den Universitäten, die dereinst das Land lenken, aber bloß nicht in die eigene Rente hineinpfuschen. Nun sehen sie zu, wie ihre gelehrten Ziehkinder den Kapitalismus als Klimasünde denunzieren und die Grundlastkraftwerke in museale Ausstellungsstücke verwandeln. Das ist der tragikomische Kern der Boomertragödie: Sie zahlten den Preis für eine Zukunft, die ihnen nun erklärt, dass ihre Vergangenheit ein Fehler war.

Talkshow-Feuerwerke und die Kunst des gepflegten Untergangs

Dass Fratscher und Graichen ihre Thesen in sonntäglichen Fernsehpanoramen ausbreiten, gehört zum Ritual der Gegenwart. Fratscher, stets sanft wie ein öffentlich-rechtlicher Wetterbericht, beschwört den Staat als allheilendes Dauerinfusionsgerät, während Graichen mit dem stoischen Lächeln eines Thermodynamikers erklärt, dass es zwar „Herausforderungen“ gebe, aber keine Alternative zum grünen Holzweg. Der Untergang, so die leise Botschaft, soll uns nicht erschrecken, sondern erziehen. Deutschland wird nicht fallen – es wird „transformiert“, was ungefähr so beruhigend klingt, wie wenn der Zahnarzt vor dem Bohren von einer „kurzen Maßnahme“ spricht.

Der Schlussakkord: Eine Generation erntet, was sie säte

Und so stehen wir nun da, mitten in einer Republik, die sich selbst für moralisch überlegen hält, während sie wirtschaftlich den Rückwärtsgang einlegt. Die Boomer, die einst mit Fleiß und Steuerkraft den Grundstein für Fratschers Studien und Graichens Energieträume legten, sitzen heute in Eigenheimen, die demnächst von Wärmepumpen bevormundet werden, und wundern sich über Strompreise, die sie selbst mitfinanziert haben. Vielleicht ist das die eigentliche Pointe dieser deutschen Tragikomödie: dass der Untergang nicht von äußeren Feinden kommt, sondern aus den Hörsälen und Thinktanks, die wir selbst so großzügig alimentierten. Fratscher und Graichen sind nicht die Ursache, sondern das Symptom. Die Boomer aber – ach, ihr guten Menschen mit euren Sparbüchern und eurer Pflichtmoral – ihr habt die Rechnung längst bezahlt, noch bevor ihr die Quittung lesen konntet.

Sender Gleiwitz getroffen?

Ein nächtlicher Zwischenfall, der keiner sein darf

Es war wieder eine dieser Nächte, in denen der Himmel über Osteuropa nicht von Sternen, sondern von fliegenden Baumarktartikeln aus iranischer Fertigung erhellt wird. Shahed-Drohnen – die IKEA-Regale der modernen Kriegsführung, nur ohne Aufbauanleitung und Rückgaberecht – durchpflügten den polnischen Luftraum. Neunzehn Mal, so ließ man uns wissen, sei die unsichtbare Grenze durchbohrt worden. Neunzehn Mal also dieser kleine, scharfe Stich ins nationale Selbstbewusstsein, begleitet von der gebetsmühlenhaften Versicherung, dass „alle Verfahren ordnungsgemäß funktioniert haben“. Ein Satz, so steril wie die Verpackung von OP-Besteck, aber ebenso wenig dazu geeignet, den Blutdruck einer Nation zu senken, die ihre geografische Position seit Jahrhunderten als ein zwischen Amboss und Hammer gelegtes Brettchen erfährt.

Natürlich, nichts sei geschehen, außer eben dass etwas geschah. Keine Toten, kein brennendes Warschau, kein Donnerschlag der Katastrophe. Nur das Gespenst des Krieges, das seit Februar 2022 mit viel zu realem Atem durch die Flure weht, nun auch über die Weichsel hinweg. Und während die Luftsirenen heulen, beruhigen uns Ministerpräsident, Staatspräsident und Verteidigungsminister im Chor wie eine schlecht geprobte Kirchenkapelle: „Alles in Ordnung, keine Panik, die Verfahren, die Verfahren!“ – als ob die Verfahren, diese wundersamen Automaten des Staates, kugelsicher seien, raketenfest und mit moralischer Autorität ausgestattet.

Historische Déjà-vus und andere Démonstrationen

„Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg stand Polen so nahe an einem offenen Konflikt“, ließ der Premier verlauten. Welch eine Bemerkung! Man möchte den Stenographen bitten, hier die ironische Fußnote einzutragen: Siehe 1939, siehe Gleiwitz. Denn was ist Geschichte anderes als eine Revue von Wiederholungen in immer neuen Kostümen? Gleiwitz war ein fingiertes Radiogeknatter, ein PR-Stunt im Maßanzug der Wehrmacht, um das „Zurückschießen“ zu begründen. Heute, im Zeitalter der Drohnen, ist das Theater nicht weniger durchschaubar, nur eben technisiert. Damals ging man mit Leichen in polnischen Uniformen auf Sendung, heute reicht eine surrende Blechkiste aus Fernost, um die diplomatische Pulsuhr in den roten Bereich zu treiben.

Dass Tusk, der Pragmatiker aus Brüssel, den Vergleich zum Krieg der Kriege wagt, ist einerseits ein rhetorischer Taschenspielertrick, andererseits auch ein Symptom jener kollektiven Angst, die sich durch das Land frisst wie Holzwürmer durch das Parkett der Nationalgeschichte. Der „September-Schock“ sitzt tief im polnischen Gedächtnis. Man muss kein Freud sein, um zu erkennen, wie jede Grenzverletzung sofort zur Neuauflage einer nationalen Trauma-Serie wird: Staffel 1939, Staffel 1944, Staffel 1981. Und nun, willkommen zu Staffel 2024, präsentiert von Shahed und gesponsert von Gazprom.

Verfahren, Formeln, Versprechen – oder: Die Illusion der Kontrolle

Doch bleiben wir einen Moment bei diesem köstlich bürokratischen Satz: „Alle Verfahren haben ordnungsgemäß funktioniert.“ Es ist die Art von Beruhigung, die nur in Amtsstuben erfunden werden kann, wo der Krieg stets als Formular erscheint, nie als Granatsplitter. Man stellt sich vor, wie die Beamten mit Lineal und Stempel bewaffnet an der Grenze stehen: „Drohne, bitte hier den Antrag auf Luftraumverletzung einreichen. Dreifach ausgefüllt, mit Durchschrift für die NATO.“ Und während draußen Metall regnet, sitzt drinnen ein Jurist und nickt zufrieden: alles nach Vorschrift, alles im Verfahren, alles in bester Ordnung.

Doch das Volk, diese notorisch unvernünftige Größe, hört das anders. Für den Bürger, der die Sirene hört, heißt „Verfahren“ nicht, dass er ruhig schlafen darf. Für ihn bedeutet es: Irgendwo in einem fensterlosen Keller sitzt jemand und hakt Kästchen ab, während über seinem Haus etwas summt, das explodieren könnte. Die Bürokratie als Sicherheitskonzept – es ist, als würde man im brennenden Theater auf die Einhaltung der Brandschutzordnung verweisen, statt den Notausgang aufzusperren.

Zwischen NATO-Schirm und historischer Nacktheit

Natürlich, der große Trost heißt NATO. Artikel 5, das magische Schutzschild, der vermeintliche Stahlhelm, unter dem Polen sich kauert wie ein Kind unter der Bettdecke. Doch die Frage bleibt: Wird dieser Artikel wirklich so fest stehen, wenn eine Drohne tatsächlich trifft, wenn es nicht nur um Luftraumverletzung, sondern um Rauch und Schutt geht? Oder wird man sich dann in Washington, Berlin und Paris auf die semantischen Feinheiten zurückziehen: War es ein Angriff? Ein technisches Versehen? Ein plausible deniability-Manöver, wie es die Russen so gern in Serie produzieren?

Die bittere Wahrheit: Polen ist zwar NATO-Mitglied, aber es bleibt, geografisch betrachtet, das immergleiche Vorzimmer des Ostens, das Pufferland, das seit Jahrhunderten von fremden Armeen als Durchgangszimmer benutzt wird. Die Drohnen fliegen nicht nur durch die Luft, sie fliegen durch das kollektive Gedächtnis – und erinnern daran, dass kein Bündnis die nackte Angst vor dem Déjà-vu vertreiben kann.

Epilog mit Augenzwinkern

Man könnte sich fast wünschen, es bliebe bei diesen Drohnenüberflügen, bei den Verfahren, die funktionieren, bei den Kanzleien, die Listen führen. Denn die Alternative hieße, dass die Geschichte wieder in Farbe und Blut auf die Bühne tritt – und wir alle wissen, wie schlecht sie in den Hauptrollen besetzt ist. Vielleicht ist die größte Pointe, dass wir den Ausdruck „Sender Gleiwitz“ inzwischen nur noch aus Geschichtsbüchern kennen, während sich die Gegenwart ihre eigenen Inszenierungen sucht: nicht mehr ein fingiertes Radiostudio, sondern eine surrende Drohne über der Weichsel.

Die Ironie des Ganzen? Vielleicht wird man in dreißig Jahren Schülern erklären müssen, dass 2024 die Welt an der Grenze zu Polen stand und es fast wieder so weit gewesen wäre – und man wird, wie immer, hinzufügend sagen: „Aber die Verfahren, Kinder, die Verfahren! Die haben ordnungsgemäß funktioniert.“

24 Jahre nach 9/11

… und was neben den Twin Towers von den USA noch so in Schutt und Asche gelegt wurde

Vierundzwanzig Jahre sind vergangen, seit die Bilder des brennenden World Trade Centers um den Globus flimmerten und in die kollektive Retina gebrannt wurden. Ein Ereignis, das sich in die Menschheitsgeschichte einfügte wie ein rostiger Nagel ins Herz einer Holzpuppe: hässlich, schmerzhaft, aber schwer wieder herauszuziehen, weil zu viele Fäden daran hängen. Heute, fast ein Vierteljahrhundert später, bleibt nicht nur die Erinnerung an zwei Türme aus Glas und Stahl, sondern auch an die große Abrissbirne, die die USA danach über den Rest der Welt schwangen. Denn während New York trauerte, entdeckte Washington seine Leidenschaft fürs globale Renovieren – allerdings weniger mit Bauhelm und Zollstock, sondern eher mit Napalm, Drohnen und der moralischen Brechstange.

Der „War on Terror“ – oder wie man mit Benzin Feuer löscht

Die Selbstinszenierung war spektakulär: Der „Krieg gegen den Terror“ wurde ausgerufen, als sei er ein neues Netflix-Format, nur mit höheren Einschaltquoten und schlechterem Drehbuch. Afghanistan durfte die Pilotfolge spielen – ein Land, das ohnehin seit Jahrzehnten im Dauerchaos lag, wurde endgültig zum Testlabor für Demokratie-Export per Luftschlag. Bald darauf folgte das Spin-off im Irak: ein Abenteuer, das offiziell von Massenvernichtungswaffen handelte, in Wirklichkeit aber nur von Massenvernichtung.

Die Liste der Folgen liest sich wie die Staffeln einer endlosen Serie, die niemand mehr wirklich sehen will, die aber trotzdem Jahr für Jahr verlängert wird: Drohnenkriege im Jemen, Libyen als CIA-gestütztes Improvisationstheater, Syrien als epischer Dauercliffhanger. Jedes Mal hieß es: „Diesmal machen wir es besser.“ Und jedes Mal verwandelte sich ein Land mehr in eine postapokalyptische Landschaft, in der George W. Bush als unfreiwilliger Setdesigner und Barack Obama als unfreiwilliger Intendant fungierten.

Demokratieexport – mit der Verpackung „Made in USA“ und ohne Bedienungsanleitung

Die USA verkauften ihre Feldzüge stets als großzügiges Geschenk: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte – alles hübsch glänzend verpackt. Nur dass beim Auspacken meist herauskam, dass die Batterie fehlte, die Gebrauchsanweisung unlesbar war und das Produkt innerhalb weniger Tage kaputtging. Die exportierte Demokratie funktionierte in Bagdad so zuverlässig wie ein Toaster im Swimmingpool, und in Kabul stellte sich heraus, dass die frisch installierte Regierung eher die Stabilität einer Ikea-Kommode nach feuchtfröhlichem Aufbauabend besaß.

Die Ironie: Während man in Washington die Freiheitsstatue polierte, verbrannte man an anderen Orten die Freiheitsideale im Wüstensand. So wurden die USA zum paradoxen Schreiner: Sie bauten „nationale Strukturen“ – und rissen sie im gleichen Atemzug wieder ein.

Homeland Security – Sicherheit durch Dauerparanoia

Doch nicht nur ferne Länder wurden in Schutt und Asche gelegt. Auch das eigene Land wurde radikal umgebaut – oder besser: umüberwacht. Unter dem Deckmantel der Sicherheit verwandelten sich die Vereinigten Staaten in ein gigantisches Panoptikum. Jeder Bürger wurde potenziell zum Terroristen, jede E-Mail zum staatsgefährdenden Pamphlet, jedes Telefonat zur Beichte an die NSA.

Der Patriot Act war das legislative Äquivalent zu einem Presslufthammer im Porzellanladen der Grundrechte. Er zertrümmerte nicht nur Privatsphäre und Bürgerfreiheit, sondern schuf eine Kultur des Dauerverdachts: Ein Nachbar mit arabischem Nachnamen war plötzlich verdächtiger als ein Hedgefonds-Manager mit Milliardenverlusten. „Freedom isn’t free“, hieß es – was in der Praxis bedeutete, dass Freiheit abgeschafft werden musste, um sie zu schützen.

Die verbrannte Glaubwürdigkeit

Man könnte meinen, dass das Schlimmste die materiellen Verwüstungen waren: zerbombte Städte, ruinierte Infrastrukturen, Millionen Tote und Flüchtlinge. Doch mindestens ebenso gründlich legten die USA ihre eigene moralische Autorität in Schutt und Asche. Aus dem Land, das einst die Freiheitsglocke läutete, wurde eine Macht, die mit waterboarding feierte und Guantánamo als Ferienlager für den Rechtsstaat betrieb.

Die Welt lernte: Menschenrechte sind dehnbar, solange sie nicht auf amerikanischem Boden verletzt werden. Und Völkerrecht ist vor allem dann verbindlich, wenn es die anderen betrifft. So entstand ein Zynismus, der bis heute in internationalen Beziehungen wirkt: Warum sollte man den Mahnungen Washingtons glauben, wenn sie selbst die Regeln wie Servietten behandeln, die man nach dem Essen zerknüllt und in die Ecke wirft?

Fazit: Der große amerikanische Abrissunternehmer

Vierundzwanzig Jahre nach 9/11 bleibt das Bild eines Landes, das nicht nur zwei Türme verlor, sondern auch den moralischen Boden, auf dem es stand. Die USA verstanden sich als Architekten einer neuen Weltordnung, entpuppten sich aber als Abrissunternehmer, die ganze Regionen in Schutt legten und dabei ihr eigenes Fundament gleich mit.

Heute stehen wir vor dem Trümmerfeld einer Epoche, die im Namen der Sicherheit geführt wurde, aber vor allem Unsicherheit schuf. Vor den rauchenden Ruinen von Kabul, Bagdad und Aleppo kann man nur noch zynisch lächeln: Vielleicht war der „War on Terror“ weniger ein Krieg gegen den Terror als vielmehr eine Bewerbung des Terrors zum Dauergast in unseren Gesellschaften.

Das ironische Ende dieser Tragikomödie: Während die USA auf den Rest der Welt einprügelten, fraßen sie sich selbst von innen auf – ein Imperium, das seine Türme verlor und nun langsam, Stein für Stein, seine Glaubwürdigkeit gleich mit.