Es ist eine wunderbare Ironie unserer Epoche, dass der Frieden von denen am lautesten beschworen wird, die sich bis an die Zähne bewaffnen. Die Schreihälse der Hochmoral, jene, die sich einst in universitären Seminarräumen als letzte Pazifisten der Nachkriegsgesellschaft gerierten, sind nun die Ersten, die den Klingelbeutel der Wehrhaftigkeit schwingen, während sie an den Fahnenmasten der Wertegemeinschaft Wimpel mit der Aufschrift Frieden schaffen mit noch mehr Waffen hissen. Es ist dies ein Paradox von geradezu klassischer Schönheit: Je mehr Raketen gen Osten starren, desto inniger scheint der Wunsch nach Harmonie.
Der Feind, der keiner war, aber immer einer sein muss
Natürlich ist der Feind immer der andere – ein mühsam herbeihalluziniertes Monstrum, das irgendwo zwischen Kremlmauern und Panzertürmen haust. Dass dieser Feind, den man in der Glut der eigenen Ideologie backt, in den letzten Jahrzehnten mehrmals seine Fratze wandelte – von östlichem Klassenfeind zur postsowjetischen Geschäftsgelegenheit, um wieder zurück zu mutieren zur existenziellen Bedrohung –, ist dabei nur ein marginaler Schönheitsfehler. Schließlich geht es in der Geopolitik nicht um Konsistenz, sondern um Inszenierung. Der Krieg ist eine Bühne, auf der die Bösewichte je nach Dramaturgie ausgetauscht werden – nur der Regisseur bleibt derselbe.
Die neuen Friedenskrieger
So marschiert nun ein ganzes Heer von Friedenskriegern in den Kommentarsektionen der Leitmedien, bewaffnet mit moralischer Überlegenheit und dem Duktus der Unumstößlichkeit. Wer Bedenken äußert, wer sich vielleicht gar an die eigene Überzeugung erinnert, dass Aufrüstung selten zu Abrüstung geführt hat, wird mit den stumpfen Lanzen der Twitter-Legionäre aufgespießt. Es ist eine schöne neue Welt, in der Waffenlieferungen zur ultimativen Form der Menschenliebe erklärt werden – ein Neusprech, gegen das Orwells Dystopie wie ein netter Vorschlag für eine Verwaltungsreform anmutet.
Ein zärtlicher Menschenfreund
Und wer sind die Profiteure dieses neuen Pazifismus? Die Rüstungsindustrie, die seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit das schmierige Antlitz des Bösen trug, erfährt eine wundersame Rehabilitierung. Rheinmetall, Lockheed Martin und Konsorten dürfen sich nun als Partner der humanitären Weltordnung präsentieren – die Karikatur des Heuschrecken-Kapitalismus verwandelt sich in den Schutzengel der Freiheit. Die Hände, die Bomben basteln, schütteln nun ungeniert die Hände derer, die einst Transparente mit Make Love, not War durch die Straßen trugen.
Der Frieden muss kriegstüchtig sein
„Der Frieden muss kriegstüchtig sein“, heißt es neuerdings in der salbungsvollen Rhetorik der Kanzleramtslyriker. Welch ein Satz! Eine wahre Orchidee der politischen Sprache, in ihrer grotesken Selbstwidersprüchlichkeit von fast schon aphoristischer Brillanz. Man fragt sich unweigerlich, ob in den Ministerien mittlerweile Lehrstühle für Dialektik eingerichtet wurden – oder ob es einfach der kreative Endpunkt einer saturierten Elite ist, die ihre Moral wie Haute Couture trägt: elegant, teuer und vollkommen unpraktisch.
Das Ende der Vernunft
Die öffentliche Debatte hat längst die Grenzen der Vernunft verlassen und sich in das neblige Niemandsland moralischer Selbsterhöhung verabschiedet. Argumente zählen nicht mehr, Skepsis gilt als Ketzerei, Zweifel ist Verrat. Wer auf Entspannungspolitik verweist, muss sich als naiver Träumer oder schlimmer noch, als fünfte Kolonne des Feindes beschimpfen lassen. Der Diskurs ist keine Auseinandersetzung mehr, sondern ein Tribunal, in dem nur noch Schuldige gesucht werden – und der Freispruch ohnehin nie vorgesehen ist.
Der Countdown läuft
Währenddessen ticken die Uhren der Waffenlieferungen. Milliardenpakete werden geschnürt, als handele es sich um wohltätige Spenden für Bedürftige. Die Aufrüstung hat längst ihre eigene Dynamik entfaltet, ein Perpetuum Mobile der Angst, das sich selbst mit immer neuen Bedrohungsszenarien am Laufen hält. Es scheint, als habe die Menschheit in ihrer Hybris vergessen, dass sich jene, die mit dem Säbel rasseln, oft genug selbst an der Klinge schneiden.
Applaus für die Kanonen
Am Ende bleibt die bitterste Pointe: Der totale Frieden verlangt die totale Aufrüstung – und je mehr Waffen gen Himmel ragen, desto friedlicher soll die Welt werden. Der Sarkasmus der Geschichte besteht darin, dass die Stimmen der Vernunft heute leiser sind als die Rüstungsaufträge. Doch vielleicht ist das ja der eigentliche Sinn der ganzen Farce: die triumphale Rückkehr des Wahnsinns, getarnt als Akt der Humanität. Denn was wäre die Zivilisation anderes als eine Tragödie, die sich selbst als Komödie missversteht?