Zwischen Sauerteig und Symbolökonomie

… über Preis, Arbeit und Selbstinszenierung

Ein halbes Kilo Bio-Roggenbrot aus einer hippen Bäckerei im Alsergrund kostet 8,40 Euro. Das klingt nach einer schlichten, alltäglichen Preisangabe, fast wie ein Wetterbericht für konsumierende Städterinnen: trocken, informativ, ohne Sturm. Doch beim näheren Hinschauen offenbart sich eine kleine Tragödie, die den ganzen Charme des urbanen Bio-Lifestyles in ein groteskes Licht taucht. 8,40 Euro für ein halbes Kilo Brot – und nein, hier handelt es sich nicht um ein besonders edles Einhornbrot, das mit Goldstaub veredelt ist, sondern schlicht um Roggen, Bio, regional, handwerklich gefertigt, wie es sich gehört. Der Preis mag moralisch gerechtfertigt erscheinen, ethisch korrekt, ökologisch verantwortbar, doch ökonomisch? Hier beginnt die erste Schieflage: Wir zahlen freiwillig für das Image einer Backstube, nicht für das Brot selbst. Ein sozialer Vertrag zwischen Konsument und urbaner Fiktion – und wir alle tun so, als sei das in Ordnung.

Die Verkäuferin und der Mythos des fairen Lohnes

„Die Verkäuferin, die es einpackt, verdient in der Stunde genau so viel, hat sie gesagt…“ – dieser kleine Nebensatz ist wie ein Stich ins Herz der heilen Konsumwelt. Acht Euro vierzig pro halbem Kilo, und diejenige, die tagtäglich das Brot über die Theke reicht, bekommt davon das gleiche: Acht Euro vierzig. Moment mal. Nein, nicht acht Euro vierzig pro Stunde, sondern eine ironische Gleichsetzung, die das Wesen der kapitalistischen Logik offenlegt: die Arbeit wird entwertet, das Produkt hyperaufgewertet. Der Verkäuferin wird die Würde der Leistung abgesprochen, während wir, Konsumenten, uns in der Illusion wähnen, wir täten Gutes. Hier offenbart sich die bitterste Pointe: das Brot ist teurer als der Stundenlohn, den wir derjenigen zahlen, die es ausliefert. Wir haben den Fetisch des Konsums perfektioniert: Es zählt nur der Preis auf dem Preisschild, nicht das Leben dahinter. Ein grotesker Triumph der Symbolökonomie über die materielle Realität.

Die ästhetische Inszenierung des Preises

Man könnte einwenden, dass der Preis allein nichts über die gesellschaftliche Gerechtigkeit aussagt. Stimmt. Aber genau hier liegt der Clou: Die Bäckerei inszeniert nicht nur Brot, sondern auch seinen Preis als kulturelles Artefakt. Die Lage im Alsergrund, die rustikale Holztheke, der Duft von Sauerteig, der hippe Jutebeutel der Kundschaft – alles gehört zum Gesamtkunstwerk. Der Preis ist nicht einfach ein Wert, er ist ein Statement: „Ich kaufe nicht Brot, ich kaufe Identität.“ Hier wird das Biobrot zur Währung sozialer Distinktion, während der materielle Wert des Produkts in einer seltsamen Hyperrealität verschwindet. Baudrillard hätte applaudiert.

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Ironie, Zynismus und die Pointe der absurden Ökonomie

Und während wir das Brot bewundern, das Schicksal der Verkäuferin erahnen und die preistreibende Magie der Hipster-Bäckerei bestaunen, bleibt nur die bitter-süße Ironie: Wir zahlen für eine Ideologie, nicht für Nahrung. Die Verkäuferin bleibt im Schatten des Konsums, die Rohstoffe werden glorifiziert, der Sauerteig glorios, die Ethik romantisiert, und die Realität – ach, die Realität bleibt trocken, wie der Kern eines altbackenen Roggenbrotes. Es ist ein Triumph des Scheins über das Sein, eine triumphale Polemik gegen alles, was wir für „modern“ halten, und zugleich eine sanft ironische Einladung, uns selbst nicht zu ernst zu nehmen. Wir lachen über das System, das wir selbst perfektioniert haben, während wir mit unserer Jutetasche triumphierend aus der Bäckerei treten, 8,40 Euro leichter und um eine existenzielle Einsicht reicher.

Fazit: Brot, Geld und die Tragikomödie des Alltäglichen

In diesem einen Satz steckt eine ganze Welt des Missverhältnisses, eine Miniversion des absurden Kapitalismus. Ein halbes Kilo Brot, 8,40 Euro, ein Stundenlohn, der ironisch ins Preisschild gespiegelt wird – das alles erzählt die Geschichte von einer Gesellschaft, die sich in selbstironischer Hipster-Asthetik sonnt, während sie gleichzeitig ihre eigenen ökonomischen Logikfallen ignoriert. Wer das Brot betrachtet, sieht nicht nur Nahrung, sondern ein soziales Drama in Miniatur, eine Tragikomödie des Alltäglichen, eine Satire, die sich in unser Bewusstsein schleicht wie der Duft von frischgebackenem Sauerteig: unwiderstehlich, berauschend und ein klein wenig bitter.

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