
… hilft nur noch das Verbieten – Die SPD auf der Suche nach sich selbst (und einem Gegner, den man nicht schlagen muss)
Der demokratische Notausgang – oder: Wenn die Opposition zu groß wird, muss sie halt weg
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, einst Gralshüterin des demokratischen Sozialstaats, Retterin der Arbeiterklasse, Erfinderin des Rentenpunkts und Geburtshelferin des Kaffeekränzchens im Ortsverein, hat ein neues Lieblingsspielzeug entdeckt: das Parteiverbotsverfahren. Mit einem Pathos, das an eine Theateraufführung in der Endprobenphase erinnert, ruft sie: „Wehret den Anfängen!“, während sie längst nicht mehr gegen Anfänge, sondern gegen Wahlergebnisse ankämpft. Die AfD ist stark? Die AfD ist gefährlich? Die AfD ist… demokratisch gewählt? Umso schlimmer! Wenn der Pöbel falsch wählt, muss die Elite halt einschreiten. Denn was wäre eine Demokratie anderes als ein System, in dem nur die richtigen Parteien zugelassen sind?
Natürlich – man gibt sich dabei staatsmännisch. Man spricht von „wehrhafter Demokratie“, von „Verfassungsfeinden“, von der „Verantwortung gegenüber der Geschichte“. Doch in Wahrheit klingt es eher wie das politische Äquivalent zum verärgerten Kind auf dem Spielplatz: „Wenn du nicht nach meinen Regeln spielst, dann spielst du gar nicht mehr mit!“ Ein demokratischer Souverän, der sich durch die Existenz einer Oppositionspartei bedroht fühlt, hat vielleicht weniger ein Problem mit der Partei – als mit dem eigenen Selbstverständnis.
Verbotene Früchte schmecken besser – oder: Wie man der AfD das Gütesiegel ausstellt, das sie nie hätte bekommen dürfen
Doch halt – bevor wir uns allzu sehr in Empörung suhlen, lohnt ein kurzer Blick auf die Geschichte ähnlicher Unternehmungen. Man erinnere sich an die NPD, deren Verbotsverfahren krachend scheiterten – nicht etwa, weil man sie für harmlos hielt, sondern weil sich der Staat selbst in die Tasche gelogen hatte, indem er die halbe Parteistruktur mit V-Leuten infiltrierte, bis niemand mehr wusste, ob dort noch echte Nazis saßen oder nur bezahlte Schauspieler mit Hang zu alten Marschliedern. Und nun also die AfD – eine Partei, deren gefährliche Ideen leider nicht im stillen Kämmerlein brüten, sondern im Scheinwerferlicht der Wahllokale gewählt werden. Ein missglücktes Verbotsverfahren würde ihr nicht schaden, sondern nützen: Es würde ihr das lang ersehnte juristische „Unbedenklichkeitszeugnis“ verleihen – ausgestellt von jenen, die sie eigentlich bekämpfen wollten.
Der PR-Effekt wäre gewaltig: „Sie haben es versucht – und sie durften bleiben!“ Die AfD könnte sich in ihrer Lieblingsrolle suhlen: als Märtyrerin des Systems, als Opfer der Altparteien, als letzte Bastion der Meinungsfreiheit gegen die Gleichschaltung der Gesinnungspolizei. Die SPD wiederum stünde da wie ein angezählter Boxer, der zum Tiefschlag greift – nicht, weil er gewinnen will, sondern weil er keine andere Idee mehr hat. Und das Volk? Das lacht nicht. Es wählt.
Die Demokratie als Einbahnstraße – oder: Doppelmoral für Fortgeschrittene
Man stelle sich vor – rein hypothetisch natürlich –, Viktor Orbán würde ankündigen, die größte Oppositionspartei Ungarns verbieten zu wollen, weil sie „verfassungsfeindlich“ sei. Der Aufschrei in deutschen Redaktionsstuben wäre ohrenbetäubend. Der SPIEGEL brächte eine Titelgeschichte mit brennenden Wahlurnen, die taz schriebe von der „Zerschlagung der Opposition“ und Annalena Baerbock würde in einem Interview mit CNN erklären, wie wichtig freie Wahlen und Meinungsvielfalt für eine funktionierende Demokratie seien. Doch in Deutschland? Da läuft der gleiche Film – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Und plötzlich ist der Eingriff in den politischen Wettbewerb ein Akt demokratischer Selbstverteidigung. Wie bequem, wenn Moral und Opportunismus Hand in Hand spazieren gehen!
Die gleiche SPD, die sich weltweit für demokratische Standards einsetzt, die in Thailand das Verbot oppositioneller Bewegungen beklagt und in Polen jeden Angriff auf die Justiz anprangert, hat offenbar ein bemerkenswert selektives Verhältnis zur eigenen Prinzipientreue. Denn sobald die eigene Wählergunst schwindet wie der letzte Schnee im März, werden Prinzipien zu Variablen und Demokratie zu einer Rechenaufgabe: Wahl + falsche Partei = Verbot. Wer braucht denn noch mühsame Überzeugungsarbeit, politische Visionen oder charismatische Figuren, wenn man auch einfach den politischen Wettbewerb auf dem Verwaltungsweg abwickeln kann?
Der Tod der politischen Fantasie – oder: Wenn das Programm nur noch aus Empörung besteht
Was man an dieser Diskussion vor allem merkt: Der SPD fehlt nicht nur das Geld, die Vision und der Nachwuchs – ihr fehlt auch die Fantasie. Es ist, als hätte man sich jahrelang an der Idee abgearbeitet, irgendwie „gegen rechts“ zu sein – ohne je zu definieren, wofür man eigentlich selbst steht. Die Programmatik der Partei, sofern sie überhaupt noch existiert, liest sich wie ein mittelguter Koalitionsvertrag zwischen Gewissensbissen und Verzweiflung. Man verspricht soziale Gerechtigkeit, hat aber Hartz IV erfunden. Man will Klimaschutz, trägt aber Kohlekraft mit. Man spricht von Frieden und liefert Waffen. Wenn das der politische Kompass ist, ist es kein Wunder, dass sich die Wähler lieber verirren, als ihm zu folgen.
Und so entsteht ein gefährlicher Teufelskreis: Die Menschen laufen zur AfD, weil sie den etablierten Parteien nicht mehr trauen – und die etablierten Parteien versuchen, die AfD zu verbieten, weil sie den Menschen nicht mehr trauen. Das Misstrauen ist gegenseitig. Und das Vertrauen? Das bleibt auf der Strecke. Was bleibt, ist ein schiefer Dialog auf beiden Seiten des Grabens – und ein Wahlvolk, das sich zunehmend zwischen zwei Übeln entscheiden muss. Die SPD bietet dabei leider nur das kleinere Übel – und will nun das größere Übel per Gesetz aus dem Weg räumen. Ein kläglicher Versuch, die Realität zu überlisten.
Demokratie ist, wenn trotzdem gewählt wird – und nicht, wenn keiner mehr zur Wahl steht
Natürlich, man kann den Aufstieg der AfD kritisch sehen. Man muss sogar. Doch der Weg, ihn zu stoppen, führt nicht über das Verbot, sondern über das bessere Angebot. Wer Menschen überzeugen will, muss mit Ideen kommen, nicht mit Paragrafen. Wer den demokratischen Wettbewerb verteidigen will, darf ihn nicht verbieten, sobald er verliert. Und wer sich über autoritäre Tendenzen in anderen Ländern beklagt, sollte nicht selbst mit den Werkzeugen arbeiten, die er bei anderen geißelt.
Die SPD steht vor einer historischen Entscheidung: Will sie zurückfinden zu einer Partei, die für etwas steht – oder sich endgültig in einen Verwaltungsapparat verwandeln, der Demokratie als Risiko betrachtet? Die Angst vor der AfD ist verständlich. Aber Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Und schon gar kein guter Demokrat.
Epilog: Das letzte Mittel ist oft das falsche
Am Ende bleibt die bittere Erkenntnis: Wer in einer Demokratie nur noch durch das Verbot des Gegners bestehen kann, hat sie eigentlich schon verloren. Und wer glaubt, die politische Realität per Gerichtsurteil verändern zu können, sollte sich nicht über Politikverdrossenheit wundern. Demokratie ist nicht der Sieg der Guten über die Schlechten – sondern der Wettstreit der Argumente. Wer ihn nicht mehr führen kann, sollte schweigen. Oder, ganz revolutionär: ein besseres Programm schreiben.
Zwischenfazit: Demokratie kann unbequem sein. Aber sie bleibt die beste Idee, die wir je hatten – solange wir sie nicht selbst verbieten.