Der Diskurs als Wrack – Wenn der Hammer zur Zunge wird

Lina E., die Hammerbande und die Kunst des Zuschlagens

Es brechen die morschen Knochen, wenn der Hammer das Argument ersetzt. Und während sich mancher noch fragt, wo genau links aufhört und Gewalt beginnt, haben Lina E. und ihre Hammerbande längst die Schwelle überschritten – selbstverständlich mit Haltung. Wer früher Flugblätter verteilte, wirft heute Pflastersteine, und wer früher diskutierte, reicht heute beim Kulturamt ein Konzept ein: „Performative Deeskalation durch gezielte Eskalation im urbanen Raum“ – oder kurz: Zuschlagen mit Haltung. Dafür gab’s kürzlich den Kunstpreis. Für eine Schlägerin.

Von der Tugend zur Tugendterrorzelle – Eine Evolutionsgeschichte in schwarz vermummt

Es war einmal eine Bewegung. Geboren im Widerstand, genährt von der Hoffnung, dem Faschismus nie wieder die Straße zu überlassen. Damals, als Antifa noch etwas mit Haltung zu tun hatte und nicht mit hashtags, Black Block-Choreografien und Debattenverweigerung. Heute wirkt selbst der wutverzerrte Straßenkampf von 1984 wie ein nostalgisches Schattenspiel verglichen mit dem performativen Furor einer Lina E., die mit dem Pressesprecherblick den Vorschlaghammer schwingt – und dabei stets korrekt gendert.

Der Diskurs als Domina – Wer Argumente liebt, wird geprügelt

Argumente sind von gestern. Sie sind unsexy. Sie sind verdächtig. Denn wo das moralisch aufgeladene Bauchgefühl regiert, wird das Nachfragen zur Mikroaggression. Der neue Diskurs ist kein Gespräch mehr, sondern ein Casting für die nächste Ausladung. Und wer im falschen Moment fragt, ob das wirklich so gemeint war, steht schneller auf der digitalen Abschussliste als Lina E. ihren Hammer heben kann. Ihre Schlagkraft ist inzwischen kulturell kodifiziert – zwischen „Zivilcourage“ und „Handlungsdruck“.

Kampf gegen rechts – oder gegen alles, was nicht mitprügelt?

Früher stand man gegen den autoritären Staat. Heute steht man gegen alles, was auch nur nach differenzierter Meinung riecht. Wer fragt, wird verdächtig. Wer argumentiert, ist ein potenzieller Kollaborateur. Und wer die Ideologie nicht vollständig mitsingt, darf gerne als Faschist zweitverwertet werden. Die neue Antifa ist kein Schild mehr – sie ist ein Spiegel: Sie kämpft nicht gegen das Böse, sondern gegen die Abweichung. Und das mit zunehmend autoritären Mitteln. Wer Lina E. kritisiert, braucht Polizeischutz – oder besser noch: eine Therapiegruppe.

Ironie? Kann weg. Ernst ist das neue Schwarz

Humor war mal Widerstand. Heute ist er Verbrechen. Die einzige erlaubte Satire ist jene, die man vorher schriftlich einreicht und mit Triggerwarnung versieht. Lina E. lacht nicht. Ihre Bewegung auch nicht. Gelacht wird nur über die „Boomer“, die glauben, man könne Diskussionen gewinnen. Der neue Humor ist korrekt, sanitär, akademisch zertifiziert – und in seinen besten Momenten so spitz wie ein abgerundeter Gummiknüppel.

Der Feind in der Fratze des Verbündeten

So bleibt uns ein Trümmerhaufen aus moralischem Furor, sprachlicher Exorzistik und aktivistischer Selbstbefriedigung. Die Fahne weht – aber nicht mehr im Wind der Freiheit, sondern im klebrigen Dunstkreis selbstgerechter Empörung. Lina E. wird eingeladen, ihre Tat zu erklären – als Kunstperformance. Die Hammerbande bekommt Applaus von Intellektuellen, die einst noch für Menschenrechte stritten. Und der Diskurs? Der liegt zerschlagen am Boden. Ein Splitter davon steckt vielleicht noch in deinem Tweet.

Die große Gleichzeitigkeit des Verschweigens und Verkündens

Es war einmal ein Stromausfall. Kein romantisches Kerzenlicht bei Rotwein im baskischen Hirtendorf, sondern ein kompletter Zusammenbruch des Stromnetzes auf der Iberischen Halbinsel – jener sonnendurchfluteten Insel der Glückseligen, die weder Insel noch selig ist, aber dafür zuverlässig mit heißer Luft versorgt wird, auch wenn die Ventilatoren ausfallen. Schuld, so munkelten einige Elektriker mit Restverstand, war das flatterhafte Wesen erneuerbarer Energien – diese meteorologischen Diven, die sich weigern, zuverlässig zu liefern, wenn der Mensch sie braucht, und dafür Überfluss speien, wenn keiner ihn will. Doch so etwas darf man nicht sagen. Nicht einmal denken. Denn plötzlich herrscht Dunkelheit – nicht nur auf der iberischen Steckdose, sondern vor allem in der medialen Großhirnrinde unserer Republik.

Wer sucht, der findet nichts. Kaum Schlagzeilen. Keine Brennpunkte. Kein investigativer Nervenzusammenbruch mit Kamerateam in der Trafostation. Keine sorgenvollen Talkrunden mit Habeck und Heizstrahler. Und wenn doch, dann allenfalls im verschämten Kleingedruckten der Digitalhölle – hinter der Cookie-Wall, wo das gemeine Nachrichten-Nagetier eh nicht mehr schürft. Es war ein „Nicht-Ereignis“, das sich durch das Fehlen seiner eigenen Darstellung ins kollektive Bewusstsein derer eingebrannt hat, die gelernt haben, zwischen den Schlagzeilen zu lesen. Es war, mit Verlaub, eine Informationsverweigerung von epochalem Ausmaß – ein Schelmenstreich der Verdeckung, orchestriert vom Orchester der Scheinaufklärung.

„Gesichert rechtsextrem“ – und medienwirksam versiegelt

Vom Mainstream-Megaphon zur moralischen Maschinenpistole

Ganz anders dagegen die AFD, dieses mediale Perpetuum Mobile der Empörung, das – ob steigend oder fallend in den Umfragen – stets den Stoff für Schlagzeilen liefert. „Gesichert rechtsextrem“ titelt es nun allerorten – eine Etikettierung, so offiziell wie ein TÜV-Stempel, so präzise wie ein deutsches Formularwesen und so erquicklich für das sendungsbewusste Herz wie ein doppelter Espresso für den Chefredakteur, der endlich wieder eine Story hat, bei der er nicht differenzieren muss.

Hier sind alle Kanäle voll aufgedreht: Talkshows überschlagen sich in moralischem Orgelspiel, Presseschaffende erklären mit bebender Stimme die Notwendigkeit, „klare Kante zu zeigen“ (ein Slogan, der klingt, als hätte man ihn aus einem Friseursalon für maskuline Selbstfindung entführt), und der öffentlich-rechtliche Rundfunk jongliert zwischen Bildungsauftrag und Gesinnungsdressur. Die AFD – ob man sie mag oder nicht – ist der Clickgarant, das Feindbild mit eingebauter Selbstvergewisserung: Solange es die gibt, ist man selbst noch auf der richtigen Seite. Ein mediales Reinwaschungsritual in Echtzeit.

Die doppelte Wahrheit der vierten Gewalt

Was berichtet wird – und was nicht – erzählt mehr als der Inhalt selbst

Und so steht sie da, die deutsche Medienszene, diese einst stolze Bastion der Aufklärung, mit schiefem Helm und blankem Schwert, bereit, die Wahrheit zu verteidigen – solange sie in das ideologisch genehmigte Raster passt. Es ist eine merkwürdige Dialektik, diese Gleichzeitigkeit des Überberichtens und des Unterlassens, des Hochkochens und des Versickerns, des lärmenden Schweigens und des dröhnenden Murmelns. Eine Dialektik, die nicht auf Aufklärung zielt, sondern auf Einrahmung. Was wichtig ist, bestimmen nicht mehr Ereignisse, sondern Haltungen. Und Haltung ist, was die Redaktion draus macht.

Die „Nicht-Berichterstattung“ über den iberischen Blackout – verursacht durch die sprunghafte Natur jener Energien, die wir mit staatsnaher Inbrunst als unsere Zukunft feiern – zeigt, wie sehr Berichterstattung zur Kuratierung geworden ist: Die Realität wird nicht mehr erklärt, sondern vorsortiert, etikettiert, auf Instagram-Format zusammengedampft oder im Archiv versenkt. Währenddessen wird die politische Rechte – und sei sie noch so demokratisch gewählt – mit dem semantischen Flammenwerfer bearbeitet. Beides folgt demselben Prinzip: Aufmerksamkeit ist kein Spiegel der Relevanz, sondern ein Werkzeug der Steuerung.

Fazit: Der journalistische Offenbarungseid im Spiegel der selektiven Aufklärung

Wie man mit der Wahrheit Schach spielt – und dabei immer Weiß zieht

Was sagen diese beiden Beispiele – die verschämte Auslassung dort, die lärmende Fixierung da – über den Zustand unserer Medien aus? Sie zeigen, dass der Journalismus in großen Teilen nicht mehr Beobachter ist, sondern Mitspieler. Ein Schiedsrichter mit Lieblingsmannschaft, ein Kommentator mit Parteibuch, ein Chirurg mit Missionsauftrag. Der noble Auftrag der Presse – Macht zu kontrollieren, Licht ins Dunkel zu bringen, Orientierung zu geben – ist auf seltsame Weise mutiert: Zur moralischen Redaktion mit Narrativbindung. Zur Haltungsfabrik.

Wer nun sagt, das sei überzogen, der möge sich fragen: Warum herrscht Funkstille beim Blackout, und Dauerfeuer bei der AFD? Warum ist ein Stromnetz weniger berichtenswert als ein Verfassungsschutzurteil? Warum wird der eine Skandal versendet wie ein Werbespot – und der andere verschluckt wie ein unliebsames Furzgeräusch in der Tagesschau?

Die Antwort ist ebenso banal wie beunruhigend: Weil nicht Wahrheit zählt, sondern Narrativkohärenz. Der gute Journalismus stirbt nicht am Fake, sondern am Frame.

Prolog zur Demokratie

Wenn der Feind ruft, ruft man zurück?

Es gibt ein uraltes Missverständnis zwischen Demokratie und ihren Feinden, das ungefähr so alt ist wie die Idee der offenen Gesellschaft selbst: dass man den einen Feind nur dann besiegen könne, wenn man ihn wie einen Feind behandelt. Die Demokratie aber ist kein Boxer. Sie schlägt nicht zuerst. Sie hält sich zurück, sie ringt mit sich selbst, sie hält Monologe über Verhältnismäßigkeit, während der andere längst in der Ecke steht und mit einer Fackel wedelt. Und gerade das macht sie stark. Oder – je nach Lage – unfassbar naiv.

Und doch geschieht derzeit etwas von bemerkenswerter Abgründigkeit: Die stärkste Oppositionspartei der Bundesrepublik – „AfD“, drei Buchstaben wie ein Leuchtraketenversagen auf der politischen Autobahn – ist vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft worden. Das allein ist bereits ein Wort, das sich gewaschen hat. Doch nun sprechen kluge Leute mit ernster Miene vom Verbotsverfahren – und man möchte fast glauben, die Demokratie selbst wolle sich endlich von ihrer unartigen Tochter emanzipieren, indem sie sie einfach enterbt. Dass das nach hinten losgehen könnte, ist dabei keine ferne Möglichkeit, sondern eine ziemlich sichere Bank.

Die große Gefahr: Wenn Demokratie auf Selbstverteidigung macht

Man stelle sich vor: Die Demokratie, die mit sich wirbt, dass bei ihr jede Meinung zählt, bis auf die, die die Meinungsfreiheit infrage stellt, macht Ernst. Sie nimmt die Axt in die Hand und fällt den Baum, der am lautesten nach Wind gerufen hat. Die AfD, so heißt es, müsse weg – sie sei toxisch, gefährlich, eine Gefahr für die Ordnung, die Mäßigung, das Abendland (diesmal das echte, nicht das aus Höckes Fieberträumen). Und wie immer, wenn etwas „weg“ muss, kommt das Staatsrecht ins Spiel wie ein zerzauster Oberlehrer, der seine Paragraphen auf den Tisch knallt und mit schwerem Herzen nickt: Ja, es geht. Irgendwie. Vielleicht. Unter Bedingungen.

Doch genau darin liegt das eigentliche Gift: Nicht, dass man sie nicht verbieten könnte – sondern dass man glaubt, man müsse. Ein Verbotsverfahren ist kein chirurgischer Eingriff, sondern ein medienwirksamer Hochofen der öffentlichen Meinungsbildung. Wer darin verbrannt wird, wird zum Märtyrer. Und Märtyrer wählen sich in Deutschland erschreckend gut.

Die Mär vom rechtsfreien Raum, oder: Wer Erdogan sagt, darf nicht AfD verbieten

Es ist ein lustiges Spiel, das viele derzeit treiben: Auf der einen Seite die moralisch Aufrechten, die bei jedem zweiten Artikel „Wehret den Anfängen“ in Fraktur drucken würden, wenn man sie ließe, auf der anderen Seite jene, die finden, das mit dem Rechtsstaat sei irgendwie optional, solange es gegen die Richtigen geht. Zwischen diesen Fronten sitzt ein recht schlauer, aber zunehmend verunsicherter Souverän – das Volk – und fragt sich, ob man das alles noch glauben soll.

Denn wehe dem, der sich über die Demokratie erhebt, indem er sie für ihre Widersprüche kritisiert. Wer heute einwendet, dass man doch nicht mit Geheimakten und Verfassungsschutz-Stempeln Opposition neutralisieren dürfe, steht schneller im Verdacht, „Querfront“ zu tanzen, als er „In dubio pro reo“ sagen kann. Und wehe dem, der jetzt noch wagt, Erdogans Demokratieverständnis zu kritisieren – schließlich agiert dieser doch genauso: Er erklärt unliebsame Gegner zu Extremisten und lässt den Sicherheitsapparat den Rest erledigen.

Der Unterschied? Erdogan macht daraus wenigstens kein Geheimnis.

Der Staat als Erzieher – und andere politische Albträume

Ein Verbot der AfD mag im juristischen Sinne gerechtfertigt sein. Es mag verfassungstechnisch sogar elegant durchargumentiert werden können – die Ironie einer Demokratie, die sich durch das Verbot von Demokratiefeinden schützt, hat schließlich ihre eigene juristische Schönheit. Aber politisch? Psychologisch? Gesellschaftlich?

Man stelle sich das Szenario vor: Die AfD wird verboten. Ihre Funktionäre erscheinen bei „Welt TV“ als Märtyrer im Exil, ihre Wähler radikalisieren sich im Telegram-Dunkel, und plötzlich ist die „bürgerliche Mitte“ nichts weiter als ein verschwindender Streifen Asphalt zwischen zwei Abgründen. Der demokratische Staat, einst zuversichtlich und selbstironisch, steht dann da wie ein autoritärer Pädagoge, der seinem pubertierenden Kind die Tür zuschlägt und ruft: „Solange du unter meinem Dach wohnst…!“

Fazit ohne Frieden: Demokratie muss aushalten, was sie hervorbringt

Es gibt keinen edleren Weg zur Selbstzerstörung als den, das Böse mit Mitteln des Guten zu bekämpfen – und dabei selbst unkenntlich zu werden. Die AfD mag rechtsextrem sein. Sie mag giftig sein. Sie mag die Demokratie verhöhnen, sabotieren, missbrauchen. Aber sie ist da. Sie wurde gewählt. Sie ist nicht vom Himmel gefallen, sondern aus Urnen gestiegen, in denen enttäuschte Hoffnungen liegen wie alte Wahlversprechen.

Ein Verbot ist keine Lösung. Es ist ein Symptom. Und wie bei jeder schweren Krankheit wird der Organismus nicht gesünder, wenn man nur das Fieberthermometer zerschlägt. Wer glaubt, man könne den Rechten die Bühne nehmen, indem man ihnen das Theater schließt, hat das Stück nicht verstanden.

Epilog mit Augenzwinkern: Oder, wie ich lernte, den Verfassungsschutz zu lieben

Vielleicht, nur vielleicht, müsste man sich einmal die Frage stellen, was passiert, wenn wir der Demokratie wirklich alles zutrauen – auch den Umgang mit ihren Widersachern. Vielleicht braucht es keine Verbote, keine Geheimakten, keine juristischen Nebelkerzen. Vielleicht reicht es schon, sie reden zu lassen. Laut, schrill, peinlich, schmerzhaft. Die Demokratie kann das ab. Wenn nicht – hat sie es nicht besser verdient.

Und während irgendwo jemand mit ernster Miene ein Gutachten in den Schredder schiebt, lacht der Bürger – oder lacht nicht mehr. Denn was heute als Rettung erscheint, ist morgen schon ein Präzedenzfall. Und wer heute schweigt, wenn andere verboten werden, sollte morgen nicht jammern, wenn er selbst aus dem Saal geführt wird.

Dienende Dominanz …

… oder wie man mit gesenktem Haupt die Welt regiert

In einer Zeit, in der Worte wieder wichtiger sind als Taten – weil letztere, seien wir ehrlich, ohnehin meist zu spät, zu teuer und zu symbolisch daherkommen –, erhebt sich aus dem Nebel der Berliner Republik ein philosophischer Leuchtturm der postheroischen Moderne: Robert Habeck, der große Philosoph, Wirtschaftsminister, Vizekanzler, Grüner mit Pastellbindung. Der Mann, der aussieht, als würde er lieber Gedichte über Windkraft schreiben als Terminkonflikte mit dem Kanzlerstab klären, spricht. Und wie er spricht! Mit Bedacht, mit Duktus, mit einem Unterton, der zwischen Kant und Kafka oszilliert – oder jedenfalls oszillieren möchte.

Zwischen Hegemonialverzicht und Haltungsakrobatik

„Wenn Deutschland Verantwortung übernimmt, dann muss es dienend führen“, philosophiert er, der Robert, und schiebt sogleich nach, dass Leadership nicht mit Pathos und Stolz gleichzusetzen sei. Man muss das zweimal lesen, einmal mit der Brille der politischen Rhetorik, dann mit der Lupe der logischen Konsistenz – und beide Male bleibt man ratlos zurück, wie ein Philosoph in der Aldi-Kassenschlange.

Was ist das, dienende Führung? Ein oxymoronaler Taschenspielertrick? Eine moralpädagogische Volte, mit der man den fauligen Duft geopolitischer Realität mit dem Bio-Raumspray der wertebasierten Außenpolitik zu übertünchen sucht? Dienend führen – das klingt nach einem Sado-Maso-Ratgeber für Nationalstaaten, in dem Deutschland gleichzeitig Domina und Dienerin gibt. „Ich befehle, weil ich mich unterwerfe“, flüstert das exportüberschwere Land mit devoter Ernsthaftigkeit Richtung Washington.

Vom Zuhören im Ansagemodus

Es folgt die nächste semantische Premierenlesung: Deutschland als „zuhörendes Ansagen“. Schon grammatikalisch wirkt dieser Terminus wie der Versuch, einen Kreis quadratisch zu schlichten. Was genau tut Deutschland da? Ist das eine Meditation? Eine akustisch vermittelte Erleuchtung? Oder einfach ein besonders bemühtes Rebranding von „wir machen halt doch, was alle anderen tun, aber mit schlechtem Gewissen“?

„Zuhörend Ansagen“ ist ein sprachlicher Drahtseilakt zwischen IKEA-Bauanleitung und postkolonialem Schuldbewusstsein. Man möchte rufen: Ja, Robert, sag es uns! Aber bitte so, dass man es auch versteht – oder wenigstens daran verzweifeln kann wie an einem mittleren Hegel-Absatz.

Führungsverzicht als Führungsstil

Natürlich ist die Ablehnung von Pathos und Stolz eine Tugend – zumindest dann, wenn man sich gerade anschickt, die energetische Selbstaufgabe Deutschlands als Akt ethischer Erhabenheit zu inszenieren. Habeck, der Ludwig Wittgenstein der Wärmepumpenpolitik, will führen, ohne zu führen, wollen, ohne zu wollen, und überzeugen, ohne zu überreden. Er ist ein Sokrates der Strompreise, ein Zen-Meister des Industriestandorts, dessen Antworten nicht zum Denken anregen, sondern zum Googeln zwingen.

Was uns dieser Ansatz lehrt, ist nicht weniger als die Neuerfindung der Weltordnung im Modus der therapeutischen Selbsthilfegruppe. Deutschland spricht jetzt in Ich-Botschaften. Deutschland fühlt. Deutschland versteht. Und wenn nicht, dann mindestens: Deutschland meint es gut.

Apokalypse mit Attitüde

In dieser Weltsicht ist Führung nicht mehr das strategisch durchdeklinierte Kalkül von Interessen, sondern ein atmosphärisches Yoga zwischen Schuldmanagement und moralischem Höhenflug. „Führen ohne Stolz“ – das klingt wie Autofahren ohne Motor oder Grillen ohne Feuer. Aber der Robert schafft das. Denn er führt nicht das Land, sondern seine eigene Vorstellung davon, wie es sein sollte, wenn alle so wären wie er: gebildet, sprachverliebt, schuldig an allem und doch immer im Recht.

Und während China führt, Amerika dominiert und Russland kriegerisch walzt, bastelt Deutschland an einem neuen Typus des Machthabers: Der dienende Philosoph mit DAX-Faible und Veggie-Day-Vergangenheit. Die Welt soll das sehen, bewundern – und vor allem: imitieren.

Schlussakkord im moralischen Moll

Man könnte nun schlussfolgern, dass Habeck mit seinem „zuhörenden Ansagen“ eine neue Ära der Selbstrelativierung einläutet. Eine Ära, in der nicht mehr das Machbare zählt, sondern das Denkbare – und sei es noch so widersprüchlich. Denn was ist schon Realität gegen ein gutes Narrativ?

So sitzt er also da, unser Wirtschaftsphilosoph, zwischen den Aggregatzuständen von Wollen und Sollen, spricht in Gleichnissen und Paradoxien, als wolle er beweisen, dass man auch mit philosophischer Dialektik eine Volkswirtschaft steuern kann. Und vielleicht – vielleicht – gelingt ihm ja genau das: Dass am Ende alle nicht mehr wissen, was eigentlich gesagt wurde, aber das Gefühl haben, es sei wichtig gewesen.

Denn wie sagte schon der große Denker Habeck: Verantwortung heißt, den Widerspruch zu umarmen. Vielleicht ist es genau dieser Widerspruch, in dem Deutschland nun lebt: zwischen Dienerschaft und Dominanz, zwischen Ethik und Erdgas, zwischen Pathosverweigerung und Pathosersatz.

Was bleibt? Ein mildes Lächeln. Und der Wunsch, dass wenigstens jemand zuhört, wenn wir ansagen.

Sag zum Abschied leise „rechtsextrem“

Demokratie als Risikoabschöpfungsmodell

Der demokratische Rechtsstaat ist ein zartes Pflänzchen. Er braucht Pflege, Fürsorge, Wachsamkeit – und im Zweifelsfall ein bisschen autoritäres Mikromanagement. Jedenfalls scheint das die neue sicherheitspolitische Gartenlehre aus Berlin zu sein, wie jüngst wieder mit einem in seiner diskreten Schamhaftigkeit fast rührenden Schritt der Innenministerin demonstriert wurde. Ein Gutachten, wohlgemerkt „nur für den Dienstgebrauch“, stuft die stärkste Oppositionspartei als „gesichert rechtsextrem“ ein. Nicht etwa möglicherweise oder wahrscheinlich, sondern „gesichert“ – als hätte man in einem Geheimlabor endlich den ideologischen Erreger unter dem Mikroskop isoliert. Bravo, Nancy. So diskret, so schnörkellos, so grundrechtlich minimalinvasiv.

Man kann es auch als eine Art von chirurgischem Demokratieverständnis bezeichnen: Ein kleiner, präziser Schnitt am Parteienpluralismus, möglichst ohne Öffentlichkeit, ohne Widerspruch, ohne Verfahren – und dann ab in den verfassungsrechtlichen Abfallcontainer. Es ist die perfide Eleganz der Macht, die sich darin offenbart: Während das Verfahren noch schläft, marschiert das Urteil schon durch die Nachrichtenagenturen. Das nennt man dann wohl Demokratieschutz durch Vorverurteilung. Wer fragt, ob das mit Demokratie noch irgendetwas zu tun hat, steht schneller im „rechten Eck“, als man „Verfassungsschutz“ sagen kann – dieser politpoetische Begriff, der immer weniger mit Schutz und immer mehr mit Verfassung zu tun hat.

Faeserland ist abgebrannt: Wenn die Ministerin das Denken übernimmt

Was ist eigentlich das Ziel dieser stillen Exkommunikation? Wähler erziehen? Der Diskurs säubern? Die Demokratie immunisieren, wie man es mit einem Prebunking-Virus tun würde, wie Ursula von der Leyen es so schön vorschlug? Der Slogan „Vorbeugen ist besser als heilen“ klingt verdächtig nach einem Desinfektionsmittel für politische Meinungsvielfalt. Das Denken wird zur infektiösen Krankheit erklärt, und das politische Heilmittel heißt: möglichst frühzeitig verdächtige Gedanken isolieren – samt ihrer Träger. Wer einmal auf der Liste steht, kommt schwer wieder runter. Man könnte fast meinen, man hätte den autoritären Reflex nicht bekämpft, sondern lediglich neu etikettiert.

Es ist ein Fortschritt in der Verwaltung des Sagbaren, dass der Diskurs nicht mehr über Debatten geregelt wird, sondern über Gutachten. Demokratie wird nicht mehr gelebt, sondern bewertet. Und zwar von Behörden, die in ihrer Loyalität zur Ministerin einen so stabilen Kontakt haben wie der Verfassungsschutz zur politischen Zweckmäßigkeit. Früher schrieben Philosophen über den Souverän, heute schreibt der Inlandsgeheimdienst darüber, wer überhaupt in seiner Nähe stehen darf.

Die 60-Prozent-Republik: Applaus für Abwesenheit

Liebe Wahlberechtigte, 60 Prozent Wahlbeteiligung – das ist das neue „Wir haben geliefert“. 40 Prozent Abwesenheit sind nicht etwa ein Zeichen politischer Entfremdung, sondern eine Form demokratischer Schrumpfungspflege. Man versteht sich mit dem Rückzug. Wer nicht wählt, überlässt das Feld freiwillig jenen, die es besetzen dürfen – und sei es mit dem Segen einer ministeriellen Totalvermutung. Doch wer sich dann noch beklagt, hat laut offizieller Lesart kein Recht zur Klage. So einfach ist Demokratie heute: Wer nicht mitmacht, wird gezählt, aber nicht gehört. Und wer mitmacht, aber falsch wählt, wird pathologisiert.

Die Demokratie lebt. Aber wie ein Koma-Patient, der durch Infusionen aus EU-Geldern, Verwaltungsakten und Talkshow-Applaus künstlich beatmet wird. Und währenddessen sprechen ihre Pfleger von „wehrhafter Demokratie“ – was so klingt wie „sanfte Strangulierung im Namen der Rechtsstaatlichkeit“. Die Gewaltenteilung winkt freundlich aus dem Off, während die Exekutive das Urteil spricht, bevor irgendein Gericht es lesen darf.

Vom Rechtsstaat zur Meinungsdesinfektion: Hygienemaßnahmen für das Wahlvolk

Informationsmanipulation, so sagt Frau von der Leyen, sei wie ein Virus. Und tatsächlich, der Vergleich hinkt nicht – er kriecht, speichelt, krampft. Wer infiziert ist, muss behandelt werden, wer noch gesund ist, wird geimpft – mit Prebunking. Ein Begriff so steril und bürokratisch, dass selbst Orwell ihn abgelehnt hätte. Das Prebunking ist gewissermaßen der Zensur-Vorläufer, die Prophylaxe gegen das Denken, bevor es beginnt. Man impft das Volk gegen Informationen, die nicht mit dem gewünschten Narrativ harmonieren – wie eine Firewall gegen Meinungsabweichung.

Es ist die Aufklärung in ihrer inversen Phase: Nicht der mündige Bürger, sondern der präventiv überwachte Verdachtsfall. Und wer sich dieser „Immunisierung“ widersetzt, der ist dann eben – ja, genau – ein Symptom. Ein Symptom der Krankheit, gegen die sich der demokratische Körper wehren muss. Ein Keim. Ein Träger. Ein Nichtdenker. Ein Feind.

Was bleibt? Das Mantra vom Schutz – und das Grinsen der Geschichte

Was bleibt, ist die vollendete Umdeutung. Die Demokratie schützt sich nicht mehr durch Diskurs, durch Toleranz, durch Stärke. Sie schützt sich durch Listen, Akten, Bewertungen und das sprachlich weichgebettete Ausschalten der Opposition. Eine Demokratie, die meint, nur noch durch Exkommunikation überleben zu können, hat ihre immunologische Selbstsicherheit längst verloren. Und das macht sie anfällig. Nicht für Rechtsextremismus. Sondern für sich selbst.

Denn irgendwann, in einer stillen Nacht, wird ein zukünftiger Historiker auf diese Zeit blicken – und er wird schmunzeln. Nicht aus Zynismus, sondern aus historischer Wiedererkennung. Er wird sagen: „Damals glaubten sie, sie könnten die Demokratie retten, indem sie sie abschafften. In kleinen Stücken. Gutachtenweise. Und sie nannten es: Fortschritt.“

Liebe Wahlberechtigte,

Ein Hoch auf die Abwesenden

Wer auch immer mit dem Ausgang der gestrigen Wahlen unzufrieden ist – sei es aus Enttäuschung über die triumphierende Mittelmäßigkeit, die bedauerliche Wiederwahl der Untragbaren oder das erdrutschartige Aufkeimen der politischen Exoten – möge sich bitte, in stiller Demut, die goldene Zahl auf der Stirn brennen: 60 Prozent. Sechzig. Hundert. Und davon nur ein dürftiger, schamroter Anteil, der sich überhaupt die Mühe gemacht hat, in seinen besten Sonntagsschuhen zur Wahlurne zu stolpern, wahlweise mit Müsliresten im Bart oder dem hämischen Grinsen des moralischen Übermenschen. Der Rest – die fulminanten vierzig Prozent – hat sich derweil auf seine höchste Bürgerpflicht berufen: das heroische Nichtstun.

In einem Akt bewundernswerter Konsequenz haben diese modernen Diogenesse, diese stoischen Verweigerer, das Licht der Demokratie verschmäht und sind lieber in ihren metaphorischen Fässern geblieben – vielleicht auf der Couch, vielleicht am Grill, vielleicht auf Bali. Wer könnte es ihnen verübeln? Schließlich war der Himmel schön, die Netflix-Serien neu, die Politiker alt und die Wahlprogramme so erregend wie eine feuchte Papiertüte. Da mag der politisch Bewusste noch so laut lamentieren, der Empörte noch so geifernd auf den Tisch schlagen: Ein leeres Wahllokal ist eben auch ein Statement. Nur eines, das nicht im Parlament sitzt, sondern zu Hause Chips krümelt.

Der Triumph der Demokratie oder: Wie man mit wenig Begeisterung viel Mist anrichtet

Und so marschieren sie nun, die Auserwählten der wenigen: Kandidaten, deren Wahl mehr dem Zufall eines falsch eingelegten Kreuzchens als bewusster politischer Entscheidung geschuldet ist. Mandatsträger, die stolz die Stimmen von gerade einmal einem Drittel der Bevölkerung hinter sich wissen – was, auf die ganze Nation gerechnet, ungefähr der Treuequote einer mittelmäßigen Fernsehserie auf einem dritten Programm entspricht. Wahrlich, ein Fanal der Volksnähe!

Aber wir sollten nicht zu streng urteilen. Demokratie, diese betagte Diva mit ihren knarrenden Knochen und der Tendenz zum Würdelosen, lebt schließlich von der Beteiligung derer, die sich beteiligen. Wer zu Hause bleibt, stimmt auch ab – nur eben schweigend. Vielleicht aus Überdruss, vielleicht aus Trotz, vielleicht aus der noblen Überzeugung, dass man einem sinkenden Schiff wenigstens nicht noch mehr Ballast aufbinden sollte.

Die heilige Pflicht zur Verdrossenheit

Oh, Ihr wackeren Wähler! Ihr tapferen Zehn-Prozent-Parteienwähler, Ihr listenschreibenden Hobbydiktatoren, Ihr notorischen Kreuzchenverteiler! Habt Ihr nicht längst erkannt, dass Eure Stimmen lediglich zu einer weiteren Koalition der grauen Kompromisse führen werden? Dass Ihr, im besten Fall, die Wahl zwischen einem langsam und einem schnell arbeitenden Bagger hattet, die beide das Fundament dieser bröckelnden Republik untergraben?

Und trotzdem habt Ihr gewählt, trotzig, verbissen, vielleicht sogar ein wenig ironisch. Ihr habt Kandidaten unterstützt, deren Hauptqualifikation darin besteht, bei TikTok weniger peinlich zu wirken als ihre Konkurrenten. Ihr habt Programme abgesegnet, die entweder so konkret waren wie Horoskope oder so allgemein wie die Wettervorhersage für den März 2073. Chapeau!

Wenn Politik zur Unterhaltung wird und Unterhaltung zur Politik

Was aber wäre eine Wahl ohne ihre grandiose Bühnenshow? Die Sieger posieren wie Castingshowgewinner, die Verlierer klammern sich an Ausreden wie an Rettungsringe: „Man müsse die Ergebnisse differenziert betrachten“, nuschelt der Abgewählte in die Mikrofone, während ihm die Schweißperlen den Mut aus dem Gesicht waschen. „Wir haben unser Ziel erreicht“, tönt der Spitzenkandidat der Splitterpartei, deren Ziel vermutlich darin bestand, wenigstens von ihrer eigenen Großmutter gewählt zu werden.

Die Medien, treue Kettenhunde des Spektakels, sabbern derweil in den Talkshows vor Erregung. Experten schieben Diagramme über den Bildschirm wie ein Wahrsager seine Tarotkarten. Wahlanalysen werden serviert wie ranzige Häppchen: man isst sie aus Höflichkeit und fühlt sich danach schlecht.

Eine Ode an die Farce

Am Ende bleibt nur ein Fazit, so bitter wie die letzte Praline im Adventskalender: Wer nicht wählt, darf nicht klagen. Und wer wählt, hat allen Grund dazu.

In einer Zeit, in der Politik zur lauwarmen Seifenoper verkommen ist, in der Prinzipien schneller geopfert werden als schlechte Reime bei einem Rap-Battle, ist jede Wahl ein Akt tapferer Absurdität. Vielleicht sollten wir sie feiern wie eine absurde Tradition – wie das Eierlaufen zu Ostern oder das Bleigießen zu Silvester. Mit einem Augenzwinkern, einem Schuss Zynismus und der festen Überzeugung, dass wenigstens der Versuch zählt.

Denn, liebe Wahlberechtigte, eines ist sicher: Nichts verteidigt die Würde einer Nation besser als eine Wahlbeteiligung, die sich irgendwo zwischen „halb interessiert“ und „völlig resigniert“ einpendelt. In diesem Sinne: Prost! Auf die nächste Farce!

Prebunking – Die neue Seuchenhygiene der Gedanken

Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Kampf gegen das Falsche, das Unreine, das ideologisch Ansteckende endlich den letzten logischen Schritt machte: Wir betrachten Gedanken jetzt als Viren. Nicht länger sind sie bloße Meinungen, Irrtümer oder – Gott bewahre – legitime Abweichungen, sondern infektiöse Partikel, die unser soziales Immunsystem bedrohen. Ursula von der Leyen, jene Grande Dame des semi-autoritären Wellness-Europäismus, hat das Prinzip in einer Handbewegung zwischen Bussi-Bussi und Brüsseler Rednerpult auf den Punkt gebracht: Prebunking sei das neue Gebot der Stunde. Vorbeugen sei besser als heilen. Gedanken prophylaktisch zu impfen besser, als sie später unter Schweiß, Tränen und YouTube-Kommentaren mühsam aus den Köpfen zu operieren.

Man muss diesen intellektuellen Quantensprung bewundern. Was einst unter mühsamer demokratischer Auseinandersetzung, unter langweiliger Aufklärung, unter dem anstrengenden Dulden von Unsinn und Irrtum lief, wird nun endlich elegant umgangen. Nicht mehr diskutieren, nicht mehr argumentieren, sondern präventiv impfen – mit den korrekten Informationen natürlich, den geprüften Wahrheiten, den TÜV-zertifizierten Meinungsmodulen. Wie wohltuend einfach könnte die Welt sein, wenn die richtige Meinung schon in der Schulmilch enthalten wäre. Ein bisschen wie Tetanus-Schutz, nur eben gegen Gedankensplitter.

Die Immunität der Massen oder: Bitte bleiben Sie auf den markierten Denkwegen

„Als Gesellschaft müssen wir Immunität aufbauen“, lautet der neue Imperativ. Wie charmant sich diese Worte in die große Erzählung der Gegenwart einfügen: Gesellschaft nicht mehr als Ort des Streits, der wilden Meinungsblüten und des unvorhersehbaren Diskurses, sondern als steriles Biotop, in dem nur noch autorisierte Narrative keimen dürfen. Immunität klingt freundlich, gesundheitsbewusst, nach etwas, das gute Bürger freiwillig anstreben sollten, wie ein Abo im Fitnessstudio oder eine Zahnreinigung. Dabei ist es nichts anderes als das freundliche Gesicht der geistigen Quarantäne.

Die Vision dahinter ist glasklar: Ein Volk von Denkgeimpften, die bereits bei leisestem Zweifel allergische Reaktionen entwickeln. Die Maske der Skepsis über dem Mund-Nasen-Komplex der Eigenständigkeit. Jeder Gedanke, der nicht auf Linie liegt, wird von den körpereigenen Argumentationszellen sofort attackiert, neutralisiert, ausgespült. Prebunking verspricht nichts weniger als die endgültige Befreiung vom Risiko der eigenen Urteilskraft. Eine Revolution der Reinheit – diesmal nicht im Blut, sondern im Bewusstsein.

Der gläserne Geist oder: Wie wir lernten, die Spritze zu lieben

Natürlich, so die Verheißung, wird das alles sanft geschehen. Niemand wird gezwungen. Niemand wird „zensiert“ im alten, groben Sinne. Nein, das Prebunking kommt als freundlicher Hinweis, als freundschaftlicher Nudge, als pädagogisches Augenzwinkern daher. Wer möchte nicht informiert sein? Wer will nicht geschützt sein vor den dunklen Mächten der Desinformation, diesen neuen mittelalterlichen Hexen, die aus den finsteren Ecken des Internets kriechen?

Die paradoxe Pointe des Ganzen besteht darin, dass die angebliche Immunisierung selbst ein perfides Infektionsmodell darstellt. Wer präventiv geimpft wird, hat keine natürliche Resistenz mehr – sondern eine künstlich erzeugte. Eine, die von den Impfstoffherstellern abhängt, von den Informationsministerien, von denjenigen, die definieren dürfen, was „wahr“ und was „falsch“ ist. Mit Prebunking wird die Wahrheit zur verabreichten Dosis. Ein Gedankentherapeutikum, das regelmäßig erneuert werden muss, um die Herde brav in die richtige Richtung grasen zu lassen.

Es ist der Traum jeder Verwaltung: Bürger, die ihre intellektuelle Hygiene eigenständig aufrechterhalten. Die brav den nächsten Booster der offiziellen Narrative abholen, sich einmal pro Quartal auf den neuesten Stand der genehmigten Realitätswahrnehmung bringen lassen. So wie der saisonale Grippeimpfstoff auf neue Virenstämme angepasst wird, wird auch die Informationsimpfung an neue „Bedrohungslagen“ justiert: Heute Klimawandel, morgen Energiepolitik, übermorgen Fragen der biologischen Geschlechteridentität. Die Medizin wird stets frisch sein. Nur die Patienten bleiben dieselben.

Fazit: Prebunk or die

Prebunking ist nicht einfach nur ein neues Modewort im semantischen Hamsterrad der Bürokratien. Es ist ein ideologischer Offenbarungseid: das Eingeständnis, dass man an die Kraft freier Debatten längst nicht mehr glaubt. Dass man überzeugt ist, nur noch mit pädagogischer Übergriffigkeit und präventiver Meinungsimpfung eine Gesellschaft aufrechterhalten zu können, die sonst sofort ins Wahnhafte abdriften würde. Dass der mündige Bürger, dieses alteuropäische Ideal, endgültig abgehakt wurde – ersetzt durch den gutgläubigen Konsumenten geprüfter Narrative.

Man kann das lustig finden, ironisch, bitter – oder man kann sich impfen lassen. Gegen Zweifel, gegen Nachfragen, gegen den Gedanken, dass Wahrheit vielleicht doch etwas Chaotisches, etwas Anstrengendes, etwas Unverfügbares sein könnte. Prebunk or die. Das ist die neue Losung. Wer will schon ein ideologischer Superspreader sein?

Willkommen im digitalen Reich: Vom Faschismus ohne Uniform

Man sagte einst, der Faschismus werde, wenn er wiederkehrt, nicht sagen: „Ich bin der Faschismus“, sondern: „Ich bin die Freiheit.“ Heute sagt er: Ich bin die App. Und tatsächlich, der neue Faschismus marschiert nicht mehr in Stiefeln – er scrollt, er streamt, er ist durchoptimiert und permanent verfügbar. Keine Fackelmärsche, sondern Followerschaften; keine Bücherverbrennung, sondern Algorithmus-gesteuerte Unsichtbarmachung. Der neue Faschismus hat keinen Schnauzbart mehr – er trägt Turtleneck und spricht in TED-Talks. Er verspricht nicht mehr Blut und Boden, sondern Autonomie und Bitcoin. Und doch ist es dieselbe alte Melodie: Kontrolle, Ausschluss, Überwachung. Nur die Instrumente haben sich verändert.

Was wir beobachten, ist die stille Evolution eines alten Traums in neuer Form: Der autoritäre Staat wird nicht mehr mit Polizei aufgebaut, sondern mit Plattformen. Wer den Zugang zu Information kontrolliert, muss keine Panzer auffahren. Wer die Narrative kontrolliert, braucht keine Konzentrationslager mehr – es reicht ein „Content Policy Update“. Der neue Faschismus braucht keine Gewalt, weil er einvernehmliche Unterwerfung produziert. Er ist kuschelig, personalisiert und liefert über Nacht.

Die Allianz der Silicon-Stiefel – oder: Libertäre Träume vom totalitären Paradies

In einer Welt, in der Google weiß, wo du schläfst, und Amazon, was du träumst, wird Demokratie zur historischen Kuriosität. Der Staat – das war einmal der Ort gemeinsamer Aushandlung. Heute ist er bestenfalls ein lästiges Pop-up-Fenster im Interface der Tech-Milliardäre. Was die neuen Oligarchen wollen, ist nicht weniger Staat – sie wollen ihren Staat. Einen privaten, renditeoptimierten Parallelstaat, in dem keine lästige Verfassung und keine pesky Menschenrechte stören. Das große Vorbild: Ayn Rand, die Säulenheilige des egomanischen Nihilismus. Ihre Philosophie: Wer reich ist, hat recht. Wer schwach ist, stört.

Balaji Srinivasan, High Priest dieser Bewegung, will gleich ganz Schluss machen mit dem traditionellen Staatskonzept. Weg mit Steuern, weg mit Regulierung, her mit der Token-Demokratie! In der neuen Welt herrschen nicht mehr Repräsentanten, sondern Smart Contracts. Keine Menschenrechte, sondern Nutzungsbedingungen. Keine Bürger, sondern User. Wer sich’s leisten kann, lebt in „Network States“ mit digitaler Zugangskontrolle – gated communities auf Servern. Der Rest bleibt draußen – also: offline.

Próspera oder: Der Traum vom neofeudalen Techno-Paradies

Wer denkt, das sei alles Dystopie für Netflix-Drehbuchschreiber, sollte nach Honduras schauen. Dort steht „Próspera“ – ein neoliberaler Albtraum in Beton gegossen. Private Bildung, private Polizei, private Gerichtsbarkeit. Eine Parallelwelt, gebaut wie ein Silicon-Valley-Start-up: disruptiv, exklusiv, steueroptimiert. Kein Gemeinwohl, kein Mitspracherecht, keine gewählte Repräsentanz. Es ist das erste Experiment des neuen digitalen Feudalismus – und es funktioniert erschreckend gut. Die Bevölkerung? Statistisches Rauschen. Die Investoren? Euphorisch. Wer zahlt, bestimmt. Wer nicht zahlt, verschwindet aus dem Sichtfeld der Drohne.

Und Próspera ist kein Einzelfall. Es ist das Pilotprojekt einer umfassenderen Idee: der Rückabwicklung aller zivilisatorischen Errungenschaften unter dem Etikett der „Freiheit“. Nur eben nicht Freiheit für alle – sondern für diejenigen, die sie sich leisten können. Das ist kein Rückfall ins Mittelalter. Das ist dessen algorithmisch perfektionierte Neuauflage.

Trump Reloaded: Der Deep State als App-Update

Währenddessen bastelt die Trump-Bewegung in den USA bereits an der autoritären Verwaltungsversion 2.0. Zehntausende Beamte sollen ersetzt werden – nicht durch neue, qualifizierte Kräfte, sondern durch Gefolgsleute. Das nennt man dann „loyalitätsbasiertes Personalwesen“. Die Justiz wird zur Exekutive verlängert, Wissenschaft zur Meinung, Medien zur „Feindmacht“. Die Axt an die Demokratie ist längst angesetzt – aber sie ist mit Samt bezogen und in pastellfarbenen Corporate-Designs gehalten.

Der Rechtsstaat, dieser mühselige Apparat der Ausbalancierung und Kontrolle, gilt den neuen Herren der Welt als Altlast. Zu langsam, zu komplex, zu menschlich. Warum lange diskutieren, wenn ein Algorithmus in Sekunden urteilen kann? Warum Wahlen, wenn Likes effizientere Zustimmung generieren? Warum Parlamente, wenn man via Blockchain abstimmen kann – natürlich nur, wenn man genug Token hat.

Cyberfaschismus – der autoritäre Virus mit Benutzeroberfläche

Was also ist dieser Cyberfaschismus? Er ist kein Angriff von außen. Er kommt nicht mit Propaganda und Parolen. Er kommt mit Convenience. Mit Bequemlichkeit. Mit Effizienzversprechen. Er gibt uns das Gefühl, selbstbestimmt zu handeln, während er uns unsichtbar lenkt. Er ist der Faschismus, den wir uns selbst bestellt haben – mit Prime-Versand. Und das Erschreckende: Er fühlt sich gut an. Personalisiert. Intuitiv. User-centric.

Er kommt nicht, um zu töten. Er kommt, um zu analysieren. Und dann zu selektieren. Er baut keine Lager – er erstellt Listen. Er nutzt keine Folter – er nutzt Daten. Er schickt keine Agenten – er schickt Push-Benachrichtigungen. Und er braucht keine Partei mehr – denn die Plattform ist Partei genug.

Die letzte Firewall: Denken

Was bleibt? Vielleicht nur dies: ein aufrechter Gedanke. Ein Rest Verstand. Die Weigerung, alles Fortschritt zu nennen, was sich verkaufen lässt. Die Einsicht, dass Demokratie nicht automatisch überlebt, sondern gepflegt werden muss – wie ein altersschwacher Hund, der immer wieder davonlaufen will. Vielleicht muss man sich wieder daran erinnern, dass Freiheit nicht die Abwesenheit von Staat ist, sondern die Anwesenheit von Verantwortung. Dass Technik kein Ersatz für Moral ist. Und dass die Kontrolle über Information nichts anderes ist als die Macht über die Wirklichkeit.

Cyberfaschismus ist kein Schreckgespenst. Er ist Realität. Er ist die Sanftheit des Totalitären, der sich nicht mehr durch Gewalt, sondern durch Zustimmung legitimiert. Er fragt nicht „Darf ich herrschen?“ – er fragt: „Möchtest du den neuen Nutzungsbedingungen zustimmen?“

Und wir klicken: Ja. Wie immer.

Like mich, wenn du dich traust

Vietnam, du hast es besser – dort weiß man wenigstens noch, wie Zensur funktioniert

Vietnam. Ein Land, das viele in Europa bestenfalls mit Pho-Suppe, Motorrädern und Kriegsfilmen aus der VHS-Zeit verbinden. Doch hinter Palmen und Patrouillen verbirgt sich ein Regime, das Zensur nicht versteckt, sondern stolz wie ein Parteibuch vor sich herträgt. In Vietnam braucht es keinen Algorithmus, um abweichende Meinungen zu unterdrücken – dort reicht die Polizei. Wer sich dort im Internet kritisch äußert, braucht keine Trollarmee zu fürchten, sondern eine Zelle. Ohne WLAN. Dafür mit staatlicher Fürsorge in Form von Prozess, Urteil und Haftstrafe.

Menschenrechtler schlagen Alarm – wobei „schlagen“ das falsche Wort ist. Sie piepsen. Sie piepsen durch Statements, durch NGO-Berichte, durch halbherzige diplomatische Andeutungen. Denn es ist wie immer: Solange ein Land wirtschaftlich interessant ist oder strategisch irgendwie zwischen China und den USA liegt, schaut man lieber weg, statt hin. Repression? Ja, aber in einem tropisch-warmen Klima. Ein bisschen wie Urlaub, nur mit Hausdurchsuchung.

Die Ironie, die nie schläft: Likes als Landesverrat

Und während man über Vietnam den moralischen Zeigefinger erhebt – natürlich sanft und in Gender-Mainstreaming-konformer Haltung – regt sich ein seltsames Déjà-vu. War da nicht neulich etwas… in Deutschland? Wo ein Chefredakteur wegen vermeintlicher Majestätsbeleidigung light sieben Monate Haft auf Bewährung bekam? Wo Hausdurchsuchungen nicht wegen Kokain oder Kinderpornografie stattfanden, sondern wegen Facebook-Kommentaren und Likes auf Twitter (pardon: X – das soziale Netzwerk mit dem Charme einer dystopischen Waschmaschine)?

Ja, richtig erinnert. Willkommen im deutschen Paragrafenwunderland, wo §188 des Strafgesetzbuches wie ein alter Opa in der Ecke steht und plötzlich wieder sprechen darf. Der sogenannte Schutz der Ehre von Verfassungsorganen klingt, als wäre er aus einem Feuilleton des Kaiserreichs gefallen, wird aber wieder modern – wie Tweed oder die Renaissance der Schallplatte. Wer sich heute kritisch über „Repräsentanten des Staates“ äußert, kann durchaus Post von der Staatsanwaltschaft bekommen – und zwar nicht in Form eines netten Follows.

Der §188 – Deutschlands Antwort auf vietnamesische Konsequenz

Man darf es natürlich nicht vergleichen – obwohl genau das der Sinn dieser Satire ist. In Vietnam kommt man für Kritik an der Regierung direkt ins Gefängnis. In Deutschland geht man zuerst durch die Instanzen, dann durch die Medien und am Ende vielleicht durch den Reißwolf der öffentlichen Meinung. Die Methoden unterscheiden sich, das Prinzip bleibt gleich: Wer zu laut denkt, wird aussortiert. Nur sind die deutschen Varianten hübscher verpackt: Mit StGB, mit richterlichem Siegel und einem Hauch liberaler Selbsttäuschung.

§188 schützt Politiker*innen vor „verleumderischer Beleidigung“ – was immer das im Zeitalter der permanenten Kränkungskultur bedeuten mag. Der Staat sagt: Man muss die Würde des Amtes schützen. Die Satire sagt: Wenn ein Amt nicht mit Kritik umgehen kann, hat es keine Würde verdient. Und irgendwo dazwischen steht der Bürger, der sich fragt, ob er beim nächsten Tweet besser ein Emoji verwendet, das als ironisch erkennbar ist. Ironie wird zur Überlebensstrategie, Subtext zur Mutprobe.

Die Gedanken sind frei – solange sie nicht geliked werden

Es ist der feine Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Meinungsmanagement. Vietnam hat keinen Bedarf an Feigenblättern – dort zeigt die Autokratie ihr Gesicht offen. Deutschland hingegen streichelt seine Pressefreiheit mit der einen Hand, während die andere Hand die Presserechtler beschäftigt. Und immer öfter trifft es nicht mehr nur klassische Journalisten, sondern auch den Normalbürger mit DSL-Anschluss und einem zu flotten Daumen. Ein falsches Like kann heute schon als politische Stellungnahme gelten – und das ist die vielleicht gruseligste Pointe unserer Zeit: Nicht mehr, was du sagst, wird gefährlich – sondern, was du bestätigst.

Likes waren einmal Zeichen der Zustimmung, dann wurden sie zur Währung, nun sind sie potenzielle Beweismittel. Der Like ist das neue Geständnis. Und man spürt ihn förmlich, den alten Geist des Totalitarismus, wie er durch die Kommentare schleicht und leise flüstert: „Zeig mir, wen du likst, und ich sage dir, ob du morgen noch ungestört wohnen kannst.“

Repression als Serviceleistung: Wir unterdrücken Sie gerne

Die moderne Repression ist freundlich. Sie hat keinen Schnurrbart, keine Schergen in Ledermänteln, keine brüllenden Lautsprecher. Sie hat Datenschutzerklärungen, Push-Benachrichtigungen und Nutzungsbedingungen. Und vor allem hat sie eine Rhetorik: Die da lautet, alles diene nur dem Schutz. Dem Schutz vor Hass. Vor Desinformation. Vor Extremismus. Vor allem, was die Ordnung der Dinge in Frage stellt.

Doch irgendwann kippt der Schutz in Schranke. Und dann sind wir wieder bei Herodot, oder bei Orwell, oder bei der simplen Wahrheit, dass Macht sich immer selbst absichert – ob mit Bajonett oder Paragraf. Nur ist der moderne Bürger kein Dissident mehr, sondern ein Kunde. Und der moderne Dissident ist ein Troll – so lange, bis sich zeigt, dass seine Fragen berechtigt waren.

Fazit: Der Witz, der keiner mehr sein will

Vielleicht ist das alles nur ein großer Witz. Vielleicht leben wir in der ironischsten aller Welten, in der autoritäre Staaten Ehrlichkeit walten lassen und demokratische Systeme ihre dunklen Seiten mit Regenbogenflaggen dekorieren. Vielleicht ist auch das nächste Like der letzte – bevor der nächste § greift. Und vielleicht steht eines Tages ein Kind vor einem Bildschirm, scrollt durch alte Memes, und fragt: „Papa, was war damals eigentlich diese Meinungsfreiheit?“

Und Papa wird sagen: „Ach, das war so ein Ding wie Napster oder StudiVZ. Gab’s mal. War cool. Aber dann… kam der Like.“

Zweimal „88“ ist einmal zu viel

Es war ein ganz gewöhnlicher Aprilmorgen. Die Vögel zwitscherten, der Aktienmarkt zuckte nervös, und irgendwo in einer Redaktionsstube tippte ein erfahrener Nachrichtenredakteur mit ausdrucksloser Miene die Schlagzeile: Papst gestorben – im Alter von 88 Jahren. Keine Stunde später: Klaus Schwab, der Hohepriester des Weltwirtschaftsforums, kündigt seinen Rückzug an – ebenfalls mit 88. Und das alles? Direkt nach dem 20. April. Dem historischen Symbol-Unfall, den man nicht einmal flüsternd aussprechen kann, ohne dass Google nervös mit der Augenbraue zuckt.

Zufall? Der Gott der Aufklärung lacht. Die Zahl 88 – in der rechten Esoterik-Symbolik seit jeher ein Chiffre für „Heil H.“ – taucht gleich zweimal auf, und das auch noch auf der großen Bühne der Weltpolitik und Welterlösung. Ein bisschen zu rund, ein bisschen zu mathematisch perfekt für eine Welt, die sich sonst eher an schiefen Zufällen ergötzt. Was also ist hier los? Die Vorzeichen stehen günstig für den literarischen Wahn.

Wenn die Matrix glitcht: Zahlenmystik für Fortgeschrittene

Zahlen, man muss das sagen, waren schon immer die Lieblinge der Paranoiden – und der Investoren. Sie sind kühl, präzise, scheinbar objektiv – und doch schieben sich durch sie die wildesten Spekulationen wie Erdmännchen durch ein Legobauwerk. „88“ – das klingt zunächst harmlos wie ein Seniorenclub im Mittelgebirge. Doch in der Symbolik des Kalenders, der Medien und des politischen Theaters wird sie zum performativen Totem, zur dunklen Chiffre des Unaussprechlichen.

Wenn der Papst mit 88 stirbt, sagt man: „Nun ja, gesegnetes Alter.“ Wenn Schwab mit 88 abtritt, sagt man: „Zeit wird’s.“ Aber wenn beides am selben Tag geschieht, direkt nach dem 20. April, da beginnt es leise zu rascheln in den feuchten Kellern des gesunden Menschenverstands. Die Timeline ist zu sauber, zu choreographiert, wie eine mittelgute Netflix-Miniserie, die sich für Shakespeare hält. Es riecht nach Inszenierung – oder mindestens nach einer besonders zynischen Fußnote im Protokoll der Weltregierung.

Apokalyptisches Eventmanagement: Vom Vatikan zur Davos-Bühne

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der Mann, der jahrzehntelang über den Zustand der Seelen wachte, und der Mann, der jahrzehntelang über den Zustand der Weltwirtschaft meditierte, verlassen gemeinsam die Bühne – mit exakt derselben Zahl im Gepäck. Da wäre selbst ein Tarot-Kartenleger kurz sprachlos. Was wie ein Scherz beginnt, wird bei näherem Hinsehen zur Oper: ein finaler Akt des Zahlenballetts, der irgendwo zwischen Weltethos, Klimaagenda und Bunkerbau mäandert.

Und genau hier, in dieser absurden Koinzidenz, öffnet sich ein Fenster in die tiefere Psyche der Zeit: Die Welt ist zu einer Art intellektueller Jahrmarkt geworden, auf dem Symbolik verkauft wird wie Zuckerwatte – süß, klebrig und voller Luft. Und die „88“? Die hängt über dem Karussell wie eine kaputte Leuchtreklame: flackernd, unangenehm, aber man kommt trotzdem nicht dran vorbei.

Zufall oder Zitat? Die Dämmerung der Post-Ironie

Die Welt ist nicht mehr ironisch. Sie ist längst postironisch. Es gibt keine Pointe mehr, die so grotesk ist, dass sie nicht am nächsten Tag als „Push-Nachricht“ auf dem Smartphone erscheint. Und so beginnt das Spiel mit der Zahl – nicht als Verschwörung, sondern als Zitat. Als selbstreferenzielle Farce, die sich ihrer eigenen Symbolik bewusst ist, sie aber trotzdem serviert wie einen lauwarmen Business-Lunch in Davos.

„88“ ist keine Zahl mehr. Sie ist ein Meme. Sie ist eine Textstelle aus dem dunklen Evangelium der Gegenwart, das zwischen Silicon Valley und Vatikan verhandelt wird. Sie ist das neue „666“, aber mit Business Class und Networking-Buffet. Und wenn sie zweimal hintereinander auftaucht, darf man ruhig einmal die Stirn runzeln, sich einen Espresso holen und sich fragen: War das jetzt ein Zeichen? Oder nur ein sehr teures Marketingkonzept?

Fazit: Es gibt keine Zufälle. Nur Eventplaner mit zu viel Freizeit

Was lernen wir aus alledem? Dass nichts mehr zu banal ist, um nicht Teil eines größeren Narrativs zu sein. Dass der Kalender zu einem literarischen Genre geworden ist. Und dass die Welt sich nicht mehr durch Fakten erklärt, sondern durch Stimmungen, Muster und den ewigen Verdacht, dass hinter jeder Pressemitteilung ein Drehbuch steckt.

Vielleicht ist also „88“ einfach nur das neue „Normal“. Vielleicht ist es auch nur die Lebensdauer für Männer, die zu viel Macht und zu wenig Schlaf hatten. Vielleicht steckt auch einfach nur ein schlecht gelaunter Gott dahinter, der Excel liebt und sich für Satiriker ein paar kleine Easter Eggs im Weltlauf ausgedacht hat.

In jedem Fall: Wenn nächstes Jahr Elon Musk mit 88 eine Mars-Kolonie eröffnet – am 21. April – dann war das definitiv kein Zufall mehr.

Abgang eines Orakels

Wenn die Zukunft pensioniert wird

Es gibt Momente in der Geschichte, die wirken so leise, dass man sie fast übersieht – und gerade deshalb sollte man zweimal hinschauen. Klaus Schwab, jener säulenheilige Prophet der globalisierten Steuerungskultur, jener hyperaktive Taktgeber einer Weltelite, die sich nie verläuft, weil sie alle Karten besitzt, hat das Zepter abgegeben. Mit 88 Jahren, einer Zahl so doppelt-unendlich wie sein Einfluss, zieht er sich zurück. Der Mann, der in Davos mehr Weltordnung formulierte als sämtliche G7-Gipfel zusammen, geht. Und die Welt, ach, sie wird es nicht merken. Denn wie bei allen gut funktionierenden Systemen ist das eigentliche Genie nicht mehr die Idee, sondern die Maschine. Der „Great Reset“ hat längst Autopilot.

Schwab, das muss man ihm lassen, war kein gewöhnlicher Globalist. Er war die Matroschka-Figur des Neoliberalismus – Professor, Unternehmer, Strippenzieher, Showmaster, Zyniker mit Menschenbild. Sein WEF war keine Konferenz, sondern eine sakrale Versammlung des vernetzten Kapitalismus. CEOs, Politiker, Intellektuelle, KI-Gurus und irgendwie auch Bono: alle lauschten ihm, wenn er sprach. Oder besser: intonierte. Denn Schwab sprach nie. Er deklarierte. Mit deutscher Präzision, mit schwerer Stimme, die klang, als hätte sie die Klimaanlage der Welt direkt verschluckt. Und jetzt also: Rücktritt. Oder sagen wir besser – strategischer Selbstausstieg.

Das Wasser gehört uns – und wer durstig ist, hat eben kein Geschäftsmodell

Wer aber nun die Nachfolge dieses Endgame-Druiden antritt, ist keine leere Marionette. Peter Brabeck-Letmathe, ehemaliger Nestlé-Chef, ein Mann, der weiß, dass die Welt zwar drei Viertel aus Wasser besteht, aber man daran nicht zwangsläufig jemanden teilhaben lassen muss. Brabeck, dieser Technokrat des Zuckerwassers, hat sich einst den Zorn der Wassersozialromantiker zugezogen, als er erklärte, dass Wasser kein öffentliches Gut sein solle, sondern – wie jede andere Ware auch – einem Marktpreis folgen müsse. Eine Ansicht, so kühl formuliert, dass selbst die Gletscher schmolzen, nur um aus dem Markt zu fliehen.

Aber machen wir uns nichts vor: Brabeck sagt nur, was viele längst denken. Die Zeit der Gemeingüter ist vorbei. Öffentliche Daseinsvorsorge? Ein Sentiment für Bibliothekare. Die neue Weltordnung ist ein Supermarkt mit Gesichtserkennung. Bildung, Gesundheit, Energie, Information – alles wird skaliert, bepreist, verkauft. Und nun auch das Wasser. Und zwar nicht als Menschenrecht, sondern als Premium-Abo. Wer also künftig am Brunnen steht und kein digitales Zahlungsmittel dabeihat, darf immerhin den Algorithmus bewundern, der sein Scheitern protokolliert.

Davos ist tot – lang lebe Davos!

Doch zurück zum Weltwirtschaftsforum. Der Abgang Schwabs ist, bei aller Rhetorik, kein Ende, sondern ein zyklisches Ereignis. Denn der Globalismus stirbt nicht. Er verlagert sich. Er tarnt sich. Er aktualisiert seine App. Die Gipfel der Zukunft finden vielleicht nicht mehr in Davos statt, sondern im Metaversum. Aber die Teilnehmerliste bleibt gleich: Der Hedgefondsmanager, die Verteidigungsministerin mit ESG-Profil, der Digitalnomade mit Blockchain-Ideologie und der Philosoph, der für alles eine Fußnote parat hat – inklusive zum Thema Fußnoten.

Brabeck wird das WEF nicht neu erfinden. Warum auch? Die Marke funktioniert. Wie Coca-Cola oder Waffenexporte. Man muss nur den Inhalt ab und zu an den Zeitgeist anpassen. Früher sprach man von „Public-Private Partnerships“, heute nennt man es „Multi-Stakeholder-Dialogue“. Früher nannte man es Lobbyismus, heute „Impact Investing“. Die Welt verändert sich nicht – sie wird nur eloquenter in ihrer Rechtfertigung. Und wer ein Problem damit hat, bekommt ein Panel.

Wem gehört die Zukunft? Spoiler: Nicht dir.

Der wahre Skandal am WEF war nie seine Existenz – sondern seine Selbstverständlichkeit. Man sitzt dort nicht, um Demokratie zu simulieren, sondern um sie zu optimieren. Nach oben. Dort wird nicht abgestimmt, sondern abgestimmt. Die Welt, so zeigt sich in Davos jedes Jahr aufs Neue, ist kein chaotisches Durcheinander, sondern ein einigermaßen gut funktionierendes Abo-Modell mit variablem Zugangscode. Und wer nicht drin ist, ist draußen. Punkt.

Brabeck ist der ideale Nachfolger, weil er keine Skrupel hat, sondern Kennzahlen. Weil er die Privatisierung der Lebensgrundlagen nicht als Rückschritt, sondern als Fortschritt sieht. Weil er weiß, dass Moral in PowerPoint-Slides immer nur eine Spalte ist – neben Umsatz und Risiko. Und weil er, vielleicht unbewusst, genau das lebt, was die neue globale Elite längst verinnerlicht hat: Die Welt ist nicht für alle da. Nur für die, die zahlen können. Für die anderen bleibt der Livestream.

Das letzte Glas Wasser gehört dem Algorithmus

Was bleibt also von Schwab, wenn der letzte Applaus verklungen ist und der letzte Panelist sein LinkedIn-Profil aktualisiert hat? Eine Welt, die gelernt hat, ihre Zukunft in Zahlenkolonnen zu pressen. Eine Welt, die ihre Hoffnungen an CEOs und KI-Cluster delegiert hat. Eine Welt, in der der Zugang zu Wasser, Luft, Bildung und Leben selbst nicht mehr durch Geburt, sondern durch Bonität bestimmt wird.

Herodot hätte gelacht. Oder geweint. Vielleicht beides. Denn während wir früher dachten, der Krieg sei das Ende der Zivilisation, wissen wir heute: Das Ende kommt leise, in Form eines Logins. Und wer dann durstig ist, kann ja den neuen CEO des WEF anschreiben. Vielleicht gibt’s einen Gratiscode fürs Probetrinken.

„Willkommen in der Freiheit™“

Ein totalitärer Reiseführer durch die Demokratie der Gegenwart

„Es war einmal eine Zeit, da dachte man, der Totalitarismus sei ein Relikt. Heute erkennt man: Er hat bloß ein neues Outfit, eine PR-Agentur – und WLAN.“

1. Unterdrückung der Meinungsfreiheit – Die Hofnarren sitzen heute im Gerichtssaal

Man könnte es Satire nennen – wenn es nicht so oft vor Gericht enden würde. In Polen verklagt der Staat kritische Künstler. In Ungarn werden oppositionelle Journalisten zum Schweigen gebracht. In Indien sitzt der kritische Reporter in Untersuchungshaft, in Russland sitzt er im Lager, in Saudi-Arabien sitzt er gar nicht mehr, weil man ihn in Istanbul zersägt hat. In Deutschland? Da fliegt einem schon mal der Shitstorm um die Ohren, wenn man öffentlich einen Gesundheitsminister kritisiert – während YouTube gleich prophylaktisch löscht. Willkommen im Zeitalter der Plattformzensur: Meinungsfreiheit gibt’s noch – aber bitte im Rahmen der Nutzungsbedingungen.

2. Staatliche Propaganda – Heute mit Sprechblasen in Regenbogenfarben

Früher nannte man es „Stürmer“, heute nennt man es „Kampagne für gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Der Unterschied? Design. Die Methode bleibt dieselbe: Dauerbeschallung in Endlosschleife. In Russland lobt das Fernsehen täglich Putins Friedenswillen, während Bomben fallen. In China ist alles, was Xi sagt, automatisch wahr. Und im Westen? Da verkaufen uns Nachrichtensprecher auf TikTok militärische Eskalation als moralische Pflicht. Waffenlieferungen heißen plötzlich „solidarische Unterstützung“. Zivile Kollateralschäden? Leider notwendig. Friedensdemos? Irgendwie verdächtig. Alles nur Haltung, Baby.

3. Überwachungsstaat – Wir sehen dich gern, auch beim Zähneputzen

George Orwell hätte feuchte Augen: China setzt auf Social Scoring, Gesichtserkennung und Totalkontrolle. Aber auch der Westen hat gelernt: Die NSA liest mit, Amazon hört zu, Google denkt für dich – und dein Smart-TV weiß, wie oft du Popcorn kaust. Und wenn du auf der Straße protestierst, erkennt dich die Kamera. Noch besser: Dein eigenes Smartphone verrät dich. Denn wozu braucht man eine Geheimpolizei, wenn die Bürger ihre eigene Überwachung in der Hosentasche tragen?

4. Militarisierung und Gewaltmonopol – Frieden schaffen mit mehr Drohnen

Wer Frieden will, muss rüsten – so die neue Ethik. Deutschland baut eine „kriegsentscheidende Industrie“ auf, Frankreich plant Hyperschallwaffen, und die USA… nun ja, die haben nie aufgehört. Und der Bürger? Der darf demonstrieren – solange er keine Pyrotechnik zündet. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat, und wenn der entscheidet, dass deine Meinung gefährlich ist, hilft dir kein Grundgesetz mehr, sondern höchstens ein Anwalt mit starken Nerven und schwachem WLAN.

5. Abschaffung individueller Rechte – Ein QR-Code entscheidet, wer du bist

Die Pandemie hat’s vorgemacht: Bewegungsfreiheit? Nur mit App. Versammlungsfreiheit? Bitte anmelden, registrieren, und möglichst still verhalten. Datenschutz? Im Ausnahmezustand optional. Ob Lockdown, Ausgangssperre oder Berufsverbot – alles möglich, wenn’s „dem Gemeinwohl“ dient. Und niemand hat gefragt: Was bleibt vom Individuum, wenn es nur noch als statistische Variable betrachtet wird?

6. Kontrolle der Wirtschaft – Der Staat als CEO deines Lebens

In China ist der Staat gleich CEO aller großen Unternehmen. In Europa tarnt man es geschickter: Subventionen, Notverstaatlichungen, „Systemrelevanz“. Wenn der Markt nicht spurt, wird er korrigiert – nicht durch Angebot und Nachfrage, sondern durch Erlass und Dekret. Und plötzlich entscheiden Beamte, was „nachhaltiges Wirtschaften“ bedeutet. Willkommen in der ESG-Wirtschaft, wo Moral der neue Marktmechanismus ist – aber nur, wenn sie zertifiziert ist.

7. Zentrale Kontrolle und Einparteiensystem – Vielfalt als Tarnung

Demokratie lebt vom Wettbewerb der Ideen – sofern sie in den gängigen Spektrum passen. In Russland gibt es formell mehrere Parteien – aber sie stimmen alle für Putin. In China gibt es sogar acht „Blockparteien“ – alle loyal zur KP. Und bei uns? Nun, wenn alle Parteien plötzlich denselben Krieg befürworten, dieselbe Energiepolitik propagieren und dieselbe Empörung teilen – dann wirkt das demokratische Spektrum plötzlich wie eine graue Tapete mit verschiedenen Mustern, aber demselben Kleister.

8. Ideologische Monopolisierung – Vielfalt? Ja. Aber bitte nicht im Denken.

Ob Klima, Gender, Corona oder Krieg: Wer abweicht, wird nicht debattiert, sondern diffamiert. Man darf alles sagen – aber wehe, man meint es ernst. Universitäten, Medienhäuser und NGOs sprechen im Chor. Die Ideologie ist fluide, progressiv und unantastbar. Wer fragt, ob zwei plus zwei nicht doch manchmal vier ergibt, wird gleich als „rechts“, „leugnerisch“ oder „delegitimierend“ markiert. Orwell sagt hallo.

9. Manipulation der Geschichte und Bildung – 1984 war kein Lehrbuch, sondern ein Tutorial

Die Kolonialzeit wird neu geschrieben, Statuen gestürzt, Lehrpläne ideologisch gereinigt. In Florida werden Sklaverei-Inhalte gestrichen, in Berlin ersetzt man Aufklärung durch „Perspektivwechsel“. Schüler lernen nicht mehr Geschichte, sondern Narrative. Und wer kritisch hinterfragt, ob Kolumbus wirklich schlimmer war als Stalin, bekommt einen Elternbrief.

10. Mobilisierung der Massen – Klatschen, Marschieren, Liken

Ob Black Lives Matter, Klimastreiks oder Corona-Applaus – der moderne Totalitarismus tarnt seine Mobilisierung als Graswurzelbewegung. In Wahrheit stehen PR-Agenturen, Thinktanks und Staatsgelder dahinter. Die Masse marschiert nicht mehr im Gleichschritt – sie tanzt auf TikTok. Aber der Takt kommt von oben.

11. Schaffung eines Feindbildes – Der ewige Andere

Mal ist es der Ungeimpfte, mal der Russe, mal der Kritiker mit Twitteraccount. Der Totalitarismus braucht keinen Teufel – er erschafft ihn. Medien helfen mit, Politiker füttern die Narrative, das Volk empört sich. Und alle sind sich einig: Der Feind ist schuld. Immer.

12. Rechtlosigkeit und Willkür – Der Paragraf beugt sich der Parole

In Belarus sitzen Menschen für ein weißes T-Shirt. In Hongkong für ein Lied. In Deutschland? Da reicht manchmal ein falscher Tweet, ein falsches „Like“ um Besuch vom Staatsschutz zu bekommen. Der Rechtsstaat lebt – aber er ist selektiv. Und immer häufiger ist nicht das Gesetz entscheidend, sondern dessen „kontextuelle Auslegung“.

13. Kontrolle von Religion und Kultur – Halleluja, aber bitte staatlich zertifiziert

In China werden Kirchen überwacht, Imame umerzogen. In Frankreich sind Kopftücher verdächtig, in Deutschland sind Kirchenglocken zu laut – aber Drag Story Hour in der Grundschule? Staatsförderung. Religion ja, aber nur, wenn sie sich in die staatliche Kulturagenda einfügt. Gott hat keine Lobby, aber der Kulturfonds schon.

14. Atomisierung der Gesellschaft – Jeder gegen jeden, alle fürs System

Freunde? Verdächtig. Familienbande? Belastend. Die neue Loyalität gilt der Regel, nicht dem Menschen. Während Nachbarn einander bei Verstößen melden, wie in Australien während der Lockdowns, wird sozialer Kitt durch Misstrauen ersetzt. Die Gesellschaft? Ein Cluster vereinsamter Individualisten mit Dauerverbindung zur Staatscloud.

15. Instrumentalisierung von Angst und Terror – Heute mit psychologischer Feinjustierung

Keine Sirenen mehr – aber Push-Mitteilungen. Keine Panzer auf der Straße – aber Bedrohungsszenarien im Feed. Pandemie, Krieg, Klimakatastrophe, Inflation – alles gleichzeitig. Angst macht gefügig. Angst verhindert Widerspruch. Angst ist die unsichtbare Uniform des modernen Untertanen.

16. Monopolisierung der Kommunikation – Kontrolle per Algorithmus

Twitter war mal frei, Facebook mal ein soziales Netzwerk. Heute entscheiden Algorithmen, was du siehst – und was nicht. In Russland macht das der Staat direkt. Im Westen macht es Meta, aber mit den „richtigen“ Flagellanten Partnern. Plattformen löschen nicht alles – nur das, was „unsicher“ ist. Die neue Pressefreiheit heißt: „In Übereinstimmung mit den Gemeinschaftsstandards entfernt.“

17. Opferbereitschaft – Stirb für das Klima, opfere für die Gerechtigkeit

Heize weniger, dusche kürzer, lebe ärmer – aber mit moralischer Überlegenheit. Der neue Totalitarismus fordert nicht mehr Leben – er fordert Lebensstil. Die Tugend ist Verzicht, das Ziel ein diffuses „Besseres Morgen“. Und wer fragt, ob das alles wirklich nötig ist, lebt bereits im Verdacht, nicht zu leiden – und das ist verdächtig.

18. Manipulation von Sprache und Begriffen – Das Ministerium für Wortdesign

Krieg heißt heute „militärische Sonderoperation“, Zensur ist „Plattformregulierung“, Inflation ist „Preisanpassung“. Sprache dient nicht mehr der Aufklärung, sondern der Umdeutung. Begriffe werden entkernt, neu gefüllt und dann moralisch aufgeladen. Wer die alten Bedeutungen verwendet, wird gecancelt – linguistisch und sozial.

19. Erschaffung einer neuen Realität – Das Metaversum der Macht

Die Realität ist, was regierungsnahe Experten sagen. Alles andere ist „Desinformation“. Es gibt keine objektiven Fakten mehr – nur noch zertifizierte Erzählungen. Die Wahrheit ist nicht länger ein Ziel, sondern ein Produkt. Willkommen in der Hyperrealität, in der Herodot ein Verschwörungstheoretiker wäre – und Kafka eine Gebrauchsanleitung.

Und so leben wir weiter – in der besten aller Welten. Oder wenigstens in der effizientesten. Denn Freiheit ist heute vor allem eines: eine rhetorische Ruine mit WLAN.

Nachruf aus Weihrauch und Amnesie

Der Papst ist tot. Möge er in Frieden ruhen – aber bitte nicht in einem Nebel aus halbgaren Heiligenlegenden und journalistischem Gedächtnisschwund. Noch ehe der Leichnam abgekühlt ist, werden in den Redaktionen des Westens bereits Hagiografien wie am Fließband produziert. Der weiße Rauch, der über dem Vatikan aufsteigt, signalisiert nicht etwa die Wahl eines neuen Oberhaupts, sondern die Auslöschung kritischer Erinnerung. Franziskus, der als Jorge Mario Bergoglio auf einem argentinischen Fußballfeld vermutlich besser aufgehoben gewesen wäre als im Vatikanpalast, wird jetzt als „Papst der Armen“, als „Reformer“, gar als „Marx-verstehender Hirte“ verklärt. Eine PR-Rekonstruktion, so weichgespült wie das Taufwasser im Petersdom. Man möchte meinen, der Herrgott selbst habe das Drehbuch geliefert – und gleich die kritischen Passagen ausradiert. Willkommen im postmortalen Weichzeichnerjournalismus, wo sich selbst der Papst noch ins säkulare Heldennarrativ einfügt, solange er tot genug ist.

Ein Papst bleibt ein Papst – auch im Jogginganzug des Fortschritts

Verstehen wir uns nicht falsch: Franziskus war in vielem besser als seine Vorgänger. Er war warmherziger als Ratzinger, weniger mumifiziert als Johannes Paul II., und er sprach gerne über Armut, was in der katholischen Kirche bereits als Revolution gilt. Doch ein linkes Feigenblatt macht noch keinen linken Baum. Seine scheinbar progressive Rhetorik täuschte nicht darüber hinweg, dass er, wie alle Päpste vor ihm, mit dem eisernen Griff des Dogmas regierte. Ein Jesuit mit einem Lächeln, das mehr verbarg als enthüllte. Der Reformer, der Reformen verweigerte. Der Kritiker des Kapitalismus, der nie seine Bankverbindungen löschte. Der bescheidene Papst, der sich weigerte, die patriarchalen Grundpfeiler der Kirche auch nur anzuritzen. Ein Che Guevara des Gewissens vielleicht – aber einer, der seine Mütze gegen die Mitra tauschte, seine Zigarre gegen Dogmen und seine Revolte gegen ein „Aber nicht zu schnell“.

Feminismus: Erdbeeren auf dem klerikalen Kuchen

Wer glaubt, Franziskus sei ein Freund der Frauen gewesen, kennt vielleicht die Schlagzeilen, nicht aber die Fußnoten. Ein paar weibliche Theologinnen hier, eine nette Geste da – und schon spricht man vom „feministischen Papst“. Dabei war der Heilige Vater in Genderfragen nicht einmal im vorvorletzten Jahrhundert angekommen. Der Feminismus sei eine Spielart des Machismo, nur „mit Rock“, dozierte er. Und weil er ein Mann war, dachte er vermutlich: Wer einen Rock trägt, meint es nicht ernst. Frauen als Priesterinnen? Ein kategorisches Nein. Frauen als Gleichgestellte? Höchstens symbolisch. Frauen in der Liturgie? Als Dekoration, als liturgische Beistellung, als Erdbeere auf dem Sakramentenkuchen. Schön anzusehen, aber keinesfalls tragend.

Und wehe, sie wollen keine Kinder. Dann droht die metaphysische Schelte: „alte Jungfer“, das Urteil eines Papstes, der offenbar nicht zwischen weiblicher Selbstbestimmung und katholischer Fortpflanzungspflicht unterscheiden konnte. Der Uterus war für Franziskus kein Raum der Freiheit, sondern ein organischer Dienstleister in der klerikalen Geburtenökonomie. Willkommen im Paradies der unbefleckten Entmündigung.

Homosexualität: Toleranz mit Rückspiegel

„Wer bin ich, um zu urteilen?“ – dieser Satz machte Karriere. Franziskus’ fünf Worte der scheinbaren Öffnung gegenüber homosexuellen Menschen gingen um die Welt. Doch wie so oft bei päpstlichen Aussagen ist es der Kontext, der das Dogma zementiert. Denn wenn man den Satz aufdröselt, bleibt eine klare Diagnose übrig: Homosexualität sei zwar nicht kriminell, aber behandlungsbedürftig. Frühzeitige psychiatrische Betreuung sei sinnvoll, so der Pontifex auf einer Pressekonferenz, als ob er nicht über Menschen, sondern über eine besonders renitente Form von Pubertät spräche. „Frociaggine“, der vulgär-italienische Begriff für „Schwuchteln“, den er intern verwendete, entlarvt die sprachliche Patina, die seine öffentliche Diplomatie zu kaschieren versuchte. Nein, Franziskus war kein Verbündeter der Queer-Bewegung. Er war ihr freundlicher Gegner. Er lächelte beim Ausschluss.

Abtreibung: Der Arzt als Attentäter

Und wenn es ums Eingemachte ging, war Jorge Bergoglio ganz der alte Argentinier. Abtreibung? Nicht nur Sünde – sondern Mord mit Vorsatz. Die Ärztin, die eine Schwangerschaft beendet, sei eine „Auftragsmörderin“, ein Begriff, der mehr mit Tarantino als mit Theologie zu tun hat. Das Dogma war hier nicht nur unbarmherzig, es war theatralisch inszeniert. Ein päpstlicher Tarantismus in drei Akten: Schuld, Schuld und Schuld. Diese sprachliche Eskalation war kein Ausrutscher, sondern Kalkül. Man wollte Wirkung erzeugen – nicht durch Nachsicht, sondern durch Schock. Und man erzielte sie: Christen verließen die Kirche, doch das war der Preis für moralische Klarheit. Zumindest in einer Welt, in der Klarheit immer in eine Richtung wirkt – gegen die, die ohnehin schon kaum gehört werden.

Missbrauchsskandale: Nichts sehen, nichts hören, nichts glauben

Und dann wären da noch die Keller. Die dunklen, muffigen Räume unter der barocken Fassade, gefüllt mit Akten, Schweigen und Scham. Franziskus war kein Pädophilenschützer vom Schlage eines Barbarin oder Ratzinger – aber auch kein Aufklärer. Die Sauvé-Kommission empfing er nie. Den Bericht? Nie gelesen. In Argentinien ließ er Pater Grassi decken, der zwei Jungen missbraucht hatte. Als es um Kardinal Barbarin ging, empfahl Franziskus seinen Gläubigen, sich nicht von „linken Strömungen“ beeinflussen zu lassen. Als wäre Kindesmissbrauch eine politische Ideologie. Es ist die moralische Schizophrenie eines Systems, das Sünde predigt und systematisch vergisst. Die Leichen im Keller des Vatikans riecht man bis zum Tiber – aber man nennt sie dort Weihrauch.

Die Faust Gottes – oder: Das Blasphemieverbot für Anfänger

Selbst im Tod wusste Franziskus noch zu polarisieren. Er starb am Ostermontag, als wollte er noch ein letztes Mal das liturgische Drehbuch umschreiben. Und als Charlie Hebdo nach dem Anschlag um seine ermordeten Zeichner trauerte, sagte der Papst sinngemäß: Wer den Glauben anderer beleidige, müsse mit einem Faustschlag rechnen. Kein Wort über die Freiheit der Satire. Kein Wort über das Recht auf Gotteslästerung in einem säkularen Staat. Stattdessen ein päpstlicher Reflex, der an die Inquisition erinnert, nur mit freundlicherem Branding. Dass in Frankreich die Blasphemie seit 1881 legal ist, war ihm entweder entfallen oder egal. Der Glaube stand über der Verfassung – wie immer.

Nachruf ohne Heiligenschein

Also ja: Der Papst ist tot. Möge er ruhen, aber nicht in einem Mantel aus Lügen. Wer Jorge Mario Bergoglio als „linken Papst“ verklärt, verkennt das Wesen des Vatikans: Er war Reformer im Schneckentempo, ein Menschenfreund mit Zensurhintergrund, ein konservativer Kommunikator, der wusste, dass ein Lächeln mehr erreicht als ein Dogma. Doch unter dem Lächeln: der gleiche alte Papst. Ein Reaktionär mit Zugang zu WLAN.

Vielleicht braucht die Welt genau das: eine Autorität, die sich nicht bewegt, um wenigstens so zu tun, als ob sie standhält. Aber verwechseln wir Stillstand nicht mit Fortschritt. Und verwechseln wir vor allem nicht höfliche Worte mit radikaler Veränderung.

Denn selbst ein Papst kann nett sein – und trotzdem vollkommen falsch liegen.

Heuchler an den Hebeln

Selig sind die PR-BeraterPolitik zwischen Hostie und Haushaltskürzung

Kaum schließt sich der Papstpalast hinter dem letzten Grußwort, beginnen die Uploads. Die Timeline füllt sich. Sie kramen sie hervor, diese kunstvoll vergilbten Fotos mit päpstlicher Aura, wie andere Leute ihre Grundschulbilder mit dem Klassenhasen. Dort stehen sie, die Abgeordneten, Ministerinnen, Kanzlerkandidaten mit mittelmäßigem Lateinabitur – nebeneinander aufgereiht wie Ministranten der Moral, geschmückt mit dem ewigen Lächeln politischer Selbstvergewisserung: „Ich war bei ihm. Ich habe den Papst gesehen.“ Das allein scheint zu genügen, um sich für den nächsten Sozialabbau moralisch zu immunisieren.

Man beruft sich auf Nächstenliebe, wie andere auf Parkplätze: nur, wenn man gerade keinen findet. Und so wird die Caritas zur Karriereleiter, das Evangelium zur Elevator-Pitch, das „Was ihr dem Geringsten getan habt“ zur Textbaustein-Vorlage im Social-Media-Team. Dabei ist längst klar: Der Geringste im Land kann lange warten, bis sein Wohngeld ausgezahlt wird. Die Nächstenliebe dieser Politik endet dort, wo der Finanzvorstand des Verteidigungsministeriums sein Excel-File aufmacht.

Und morgen dann: „Die Bürgerinnen und Bürger müssen verstehen…“

Heute noch brüderlich in der Basilika, morgen wieder brutal im Bundestag. Denn das Ritual ist bekannt, die Dramaturgie eingeübt: Zuerst ein paar wohlfeile Worte über das Elend der Welt, dann die pragmatische Hinwendung zur Realität – also zur Kürzung von Kindergeld, zur Streichung von Frauenhäusern, zur Schließung von Sozialberatungen. In bester Tradition der biblischen Pharisäer wird das Gute gepredigt und das Gegenteil praktiziert – aber mit ministerieller Überzeugung.

Und wehe dem, der widerspricht! Der wird belehrt, der „verstehe die Komplexität nicht“, der solle „nicht moralisieren“, der solle „Realität anerkennen“. Die Realität, das ist der neue Gott. Und er ist ein knallharter Buchhalter. Seine Jünger heißen Subventionsabbau, Ausgabendisziplin und Bürokratieentlastung – letzteres natürlich nur für die Reichen. Alle anderen dürfen ihre Unterlagen bitte digital und doppelt hochladen, damit man ihnen mit bestem Gewissen die Hilfen verweigern kann.

Was würde Jesus kürzen?

„Da aber Jesus ihre Bosheit erkannte, sprach er: Was versucht ihr mich, Heuchler?“ (Mt 22,18) – man könnte meinen, das stünde in einem Live-Ticker zur aktuellen Haushaltsdebatte. Es ist eine Frage, die heute kaum jemand stellt. Was würde Jesus kürzen? Das Elterngeld für Gutverdiener? Die Rüstungsausgaben? Den Dienstwagenpool? Oder vielleicht die Sendezeit von Talkshows, in denen man über „faule Arbeitslose“ debattiert, während die Mietpreise explodieren und Kinder ihre Schulbrote teilen müssen?

Doch die Antwort ist bekannt: Jesus wäre heute nicht eingeladen – zu unbequem, zu direkt, zu sehr an den Armen interessiert. Ein Sozialromantiker, ein Spinner, vielleicht gar ein Linkspopulist. Und vor allem: einer, der sich nicht für Selfies hergeben würde, wenn man ihn am Tag danach beim Bundesrechnungshof ans Kreuz nagelt.

Heuchelei als Grundwert der Mitte

Wer heute die Politik der sogenannten Mitte betrachtet, erkennt ein Schauspiel voller Widersprüche und PR-geölter Phrasen. „Wir müssen sparen!“ heißt es, während Rüstungsfirmen wie Hensoldt Milliardenkredite durchgewunken bekommen wie ein EU-Kommissar beim Lobbyempfang. „Wir dürfen niemanden zurücklassen!“ – außer natürlich die Alleinerziehenden, die Langzeitarbeitslosen, die Obdachlosen, die Geflüchteten und all jene, die kein Twitterprofil und keinen Spendenverein hinter sich haben.

Die große politische Heuchelei funktioniert, weil sie ritualisiert ist. Es gibt Sprechakte für jedes Desaster, Floskeln für jede Wunde, Narrative für jedes Scheitern. Und während im Hintergrund das soziale Netz zerfasert wie ein antiker Wandteppich, zitiert man Franz von Assisi – um ihn dann durch die Excel-Tabelle zu jagen.

Die Messe ist gelesen, der Haushalt genehmigt

Und so läuft es weiter, wie es immer gelaufen ist, nur mit besseren Mikrofonen. Die Politiker*innen knien, posten, posieren. Die Kirchen nicken milde. Die Medien kommentieren neutral. Und die Armen? Die stellen sich hinten an. Bei der Tafel. Beim Jobcenter. Beim Mietgericht. Vielleicht beten sie. Vielleicht fluchen sie. Vielleicht erinnern sie sich an Herodots Satz. Vielleicht an Matthäus. Vielleicht auch nur daran, dass es Zeiten gab, in denen Worte wie „Gerechtigkeit“ und „Würde“ noch nicht wie Ironie klangen.

Doch eines ist gewiss: Wenn Jesus morgen käme – sie würden ihm eine PowerPoint zeigen. Und dann das Budget kürzen.

Wir halten fest: Haltung ist wichtiger als Hirn

Die Bewertungsgesellschaft: Wo das Argument stirbt und das Gefühl regiert

Es war einmal eine Gesellschaft, in der man sich noch stritt. Mit harten Worten, klaren Gedanken, spitzen Federn und aufgeschlagenen Büchern. Man zerriss sich in Zeitungsartikeln, duellierte sich mit Zitaten und konterte mit Fußnoten. Ein Argument galt nicht deshalb, weil es gefiel, sondern weil es durchdacht war – und vielleicht sogar unbequem. Doch diese Epoche ist vorbei. Tot. Begraben unter Likes, Empörungswellen und Talkshowgeschrei. Heute zählt nicht, was jemand sagt, sondern wer es sagt – und vor allem, wie.

Willkommen in der Ära der Meinungsbewertung. Wer heute noch wagt, einen Gedanken zu formulieren, der nicht vorher auf seine moralische Hautverträglichkeit getestet wurde, der lebt gefährlich. Er riskiert keine Replik, sondern eine Diagnose: „problematisch“, „toxisch“, „rechts offen“, „links verklärt“, „cis-normativ“, „nicht inklusiv“, „tone-deaf“, „technokratisch“, „kulturvergessen“ – die Etikettenregale sind gut gefüllt, und das Verfallsdatum des Arguments liegt meist vor der ersten Silbe.

Was zählt, ist nicht mehr, ob etwas stimmt, sondern ob es rein ist. In der Bewertungsgesellschaft wird nicht mehr geprüft, sondern gewogen. Und wehe, das Ergebnis entspricht nicht dem moralisch geforderten BMI der Gegenwart.

Moral als Maßstab: Der Fetisch der Gesinnung

Die Meinung von heute ist kein Gedankengebäude mehr, sondern ein Fashion-Statement. Man trägt sie wie ein T-Shirt: Haltung gegen Rechts, Haltung gegen Kapitalismus, Haltung gegen Haltungslosigkeit. Und wer keine hat – oder, schlimmer noch, eine falsche –, der wird in den digitalen Schafspelz der Ignoranz gekleidet. Diskussionen sind passé. Debatten sind zu gefährlich. Stattdessen gibt es Ratings. Bewertungsskalen. Kategorisierungen. Und am Ende immer dasselbe Fazit: „Darf man so nicht sagen.“

Der Moralismus unserer Zeit ist nicht etwa ein Rückfall in religiöse Dogmatik – das wäre immerhin ehrlich. Nein, er tarnt sich als Fortschritt. Als Bewusstsein. Als Gerechtigkeit. In Wahrheit ist er eine Reinigungsmaschine, die alles wegspült, was nicht dem Code entspricht. Und dieser Code lautet: Sag nichts, was man falsch verstehen könnte. Im Zweifel lieber gar nichts. Die neue Form der Tugend ist die Selbstzensur mit empathischem Lächeln.

Argumente? Wer braucht Argumente, wenn er Haltung hat? Wenn die Tränen in den Augen glänzen, wenn man für das Gute kämpft, dann ist jeder Gedanke, der zu differenziert, schon fast ein Verrat. Wo früher der Dissens das Herz der Demokratie war, ist heute die Übereinstimmung das Ideal: Alle gleich gut, alle gleich betroffen, alle gleich empört. Und wer abweicht, wird nicht kritisiert – er wird aussortiert.

Diskursverweigerung als soziales Kapital

In dieser neuen Welt zählt nicht der Gedanke, sondern der Gestus. Der performative Aufschrei ersetzt die sachliche Einordnung, das Mem den Essay, der Shitstorm das Streitgespräch. Es geht nicht mehr um Überzeugung, sondern um Überwältigung. Der lauteste Affekt gewinnt, nicht das überzeugendste Argument. Wer differenziert, verliert – denn Differenz stört die moralische Hygiene.

Man könnte fast sagen: Die neue Intellektualität besteht darin, nicht zu denken, sondern zu fühlen. Und zwar richtig. Es ist die Ära der empathisch begründeten Denkvermeidung. Und wer sich dem entzieht, wer es wagt, zu widersprechen – nicht aus Bosheit, sondern aus Neugier –, der wird nicht etwa mit Gegenargumenten bedacht, sondern mit Etiketten: „Naiv.“ „Privilegiert.“ „Altweiß.“ „Männermeinung.“ „Whataboutism.“

Diskursverweigerung ist zum Statussymbol geworden. Es demonstriert Reinheit. Es schützt vor Irritation. Und es gibt Sicherheit: Denn wer nichts infrage stellt, wird auch selbst nicht infrage gestellt. Eine perfekte Symbiose aus Konformität und Komfort.

Die Reduktion des Menschen auf seine Meinung

Wenn die Meinung eines Menschen wichtiger ist als seine Fähigkeit zu denken, dann wird aus der Person ein Avatar. Kein Individuum mehr, sondern eine Haltung auf zwei Beinen. Eine Meinung ist heute nicht mehr ein Aspekt des Denkens, sondern dessen Ersatz. Und so wird jeder Mensch zum Marker, zum Standpunkt, zum Feind oder Freund. Man kennt sich nicht – man bewertet sich. Sympathisch ist, wer dasselbe teilt. Gefährlich, wer widerspricht.

Diese Reduktion ist ein Armutszeugnis für die Aufklärung. Sie verwandelt die Idee von Freiheit – der Freiheit zu irren, zu provozieren, sich zu korrigieren – in ein Korsett der Meinungshygiene. Man darf noch alles sagen, solange es niemandem wehtut. Doch was ist eine Gesellschaft, in der das einzig erlaubte Wort das ist, das niemanden stört? Sie ist nicht frei – sie ist betäubt.

Am Ende steht das Schweigen – aber in guter Haltung

Wir leben in einer paradoxen Zeit. Noch nie war es so leicht, sich öffentlich zu äußern – und noch nie so gefährlich, es wirklich zu tun. Jeder darf sprechen, aber wehe, er sagt etwas Falsches. Die digitale Öffentlichkeit ist ein Tribunal geworden, vor dem man täglich erscheinen muss, auch ohne Anklage. Es reicht, wahrgenommen zu werden – der Rest erledigt der Mob.

Das Ideal der pluralistischen Gesellschaft wurde ersetzt durch das Ideal der gesäuberten Meinungslage. Und während die einen schweigen, aus Angst vor Reputationsverlust, reden die anderen, ohne je etwas zu sagen. Es ist ein kollektives Rauschen ohne Substanz. Eine Kakophonie der korrekt kalibrierten Unverbindlichkeiten.

Herodot würde sich im Grab umdrehen. Sokrates würde zynisch grinsen und den Schierlingsbecher gleich noch mal nehmen. Und wir? Wir scrollen weiter, liken Statements, die wir nicht verstehen, und blockieren Menschen, die uns beunruhigen. Es ist bequem, es ist ungefährlich – und es ist das Ende des Denkens.

Herr Merz, wie verlogen kann man sein?

Der Heilige Vater ist tot – und Herr Merz verneigt sich vor seinem eigenen Spiegelbild

Der Tod des Papstes ist zweifellos ein Ereignis von weltweiter Tragweite. Menschen aller Nationen zünden Kerzen an, beten, halten inne – und währenddessen schreibt Friedrich Merz einen Nachruf, der klingt, als hätte ChatGPT ihn im Karrieremodus der CDU verfasst. Pathos, Pathos, Amen. „Der Tod von Papst Franziskus erfüllt mich mit großer Trauer.“ Natürlich. Dieselbe Trauer, die man empfindet, wenn man in Umfragen zwei Prozentpunkte verliert. Oder wenn die Steuerreform nicht ganz so „unternehmerfreundlich“ ausfällt, wie es das Herz begehrt.

Merz, der politische Technokrat im Maßanzug, der Kaltherzigkeit zur Tugend stilisiert hat, gedenkt hier einem Mann, der sein Pontifikat der globalen Ungleichheit, der Barmherzigkeit, dem Asylsuchenden und dem Armen gewidmet hat. Der erste Papst, der den Kapitalismus als das benannte, was er ist: ein ausbeuterisches System, das auf Kosten der Schwächsten funktioniert. Und jetzt schreibt eben jener Friedrich Merz, der sich noch nie zu schade war, gegen Sozialleistungen zu poltern und sich öffentlich an der Vorstellung zu erfreuen, dass „wer arbeiten kann, auch arbeiten soll“ – selbst wenn er drei Jobs braucht, um die Miete zu zahlen –, über Franziskus’ „Demut“ und seinen Einsatz für „Gerechtigkeit“. Ja, Herr Merz, wie verlogen kann man eigentlich sein, ohne dass einem die Stirn vor Scheinheiligkeit schmilzt?

Barmherzigkeit als Börsenwert: Wenn fromme Worte wie Aktienkurse steigen

Man kann Herrn Merz viel vorwerfen, aber nicht, dass er nicht weiß, was er tut. Der Mann hat ein politisches Gespür für den Moment, wie ein Börsenmakler für den Fallkurs einer Nation. Seine frommen Worte über Franziskus sind weniger Nachruf als PR-Offensive – eine stille Imagekampagne, wie man sie sonst nur von fragwürdigen DAX-Konzernen kennt, die sich plötzlich zu Diversität bekennen, kurz nachdem ihnen ein Skandal um Kinderarbeit die Bilanz verhagelt hat.

Denn natürlich weiß Merz: Franziskus war beliebt. Nicht bei allen, aber bei vielen. Bei denen, die sich eine Kirche wünschen, die sich nicht in Gold aufwiegt, sondern in Empathie. Bei jenen, die an eine spirituelle Instanz glauben, die mehr ist als die Stimme aus dem Off in einer steueroptimierten Lebensrealität. Und was tut man als Politiker, wenn ein solcher Mann stirbt? Man schreibt ein Kondolenzstatement, das so weichgespült daherkommt, dass selbst ein Weichspülerhersteller auf die Knie fallen würde.

Die Barmherzigkeit Gottes, schreibt Merz. Ein schöner Satz, besonders wenn er aus dem Munde eines Mannes kommt, der in seiner Karriere selten barmherzig, aber immer gnadenlos ökonomisch dachte. Es ist diese kalte Poesie des Zynismus, die den modernen Konservativen auszeichnet: Man feiert die Heiligkeit der Armen, während man ihnen gleichzeitig die Heizkostenbeihilfe streicht.

Franziskus – ein Feindbild auf dem CDU-Parteitag, ein Heiliger in der Presseschau

Man stelle sich vor, Franziskus hätte als Redner auf einem CDU-Parteitag gesprochen. Seine Kritik am Markt, seine Warnungen vor Umweltzerstörung, seine klare Haltung zu Geflüchteten – es wäre das politische Äquivalent eines Flächenbrands gewesen. Man hätte ihn verdächtigt, mit der Linkspartei zu sympathisieren. Spätestens beim Wort „Systemkritik“ hätten ein paar Wirtschaftsflügel-Vertreter nervös zum Notausgang geschielt. Und dennoch: Kaum ist der Mann tot, wird er von Friedrich Merz posthum in den Olymp der moralischen Lichtgestalten gehoben. Da hat sich einer ausgerechnet den Papst als Feigenblatt für sein Wertevakuum ausgesucht.

Denn das ist der neue Trick der politischen Rechten: Sie vereinnahmen alles, was einmal gut war, und drehen es in ihrer Kommunikation so lange durch die Mangel, bis es ihnen selbst als Tugend ausgelegt wird. Man tut so, als hätte man immer schon auf der Seite des Guten gestanden – während man in Wahrheit die ganze Zeit die Aufrüstung des Sozialabbaus forciert hat. Franziskus sprach von der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Merz ist ihre deutsche Übersetzung.

Heilige Vaterfiguren und vaterlose Politik

Franziskus war – in einem sehr ursprünglichen Sinne – eine Vaterfigur. Nicht, weil er Macht ausübte, sondern weil er Schutz bot. Er sprach für jene, für die sonst niemand spricht. Für Geflüchtete, für Arme, für die Kranken. Für jene, die in der kalten Logik neoliberaler Märkte zu Marginalien reduziert werden. Und was hat Merz aus diesem Vermächtnis gemacht? Ein Tweet. Ein warmes, formelhaftes, inhaltsentkerntes Textgebilde, so glatt, dass selbst ein Kirchenlied darin keinen Halt fände.

Die Ironie könnte nicht größer sein: Ein Mann, der von Gnade spricht, aber keine kennt. Der Demut preist, aber keine lebt. Der für den Tod eines Papstes trauert, den er als Lebenden politisch wohl nie ernst genommen hat. Es ist, als würde Jeff Bezos ein Epos über das Leid der Paketboten schreiben. Als würde ein Waffenlobbyist über die Schönheit des Friedens philosophieren.

Amen heißt: Es ist vorbei. Außer bei Herrn Merz. Da fängt’s gerade an

Das Problem ist nicht, dass Merz dem Papst gedenkt. Das Problem ist, dass er dabei so klingt, als hätte er sich selbst verwechselt mit ihm. Als sei Franziskus ein leuchtendes Vorbild – und nicht der genaue Gegenentwurf zu seiner politischen DNA. Diese Art von Scheinheiligkeit ist kein Einzelfall, sie ist System. Sie ist die Maskerade einer politischen Klasse, die sich Werte auf den Zettel schreibt, während sie gleichzeitig Menschen unter den Bus wirft – sofern dieser wirtschaftlich rentabel fährt.

Franziskus hat der Welt gezeigt, dass Glaube nicht bedeutet, sich hinter Dogmen zu verstecken, sondern sich mitten in das Chaos der Welt zu stellen. Merz hingegen nutzt Glauben als Dekor, als Sprachregelung, als PR-Mantel. Und vielleicht ist das die größte Beleidigung für all jene, die wirklich trauern. Nicht, weil ihr Papst tot ist. Sondern weil sie wissen, dass sein Erbe jetzt von Leuten wie Friedrich Merz ausgeschlachtet wird – als rhetorischer Leichenschmaus im Politikbetrieb.

Möge Franziskus in Frieden ruhen. Und möge seine Botschaft lauter weiterleben als das Echo der Heuchler.