Bismarcks langer Schatten
Die deutsche Außenpolitik gleicht seit jeher einem unruhigen Schüler, der mal den Lehrer zu beeindrucken, mal die Klasse zu dominieren versucht, und dabei regelmäßig über seine eigenen Schnürsenkel stolpert. Bismarck, der eiserne Kanzler, verstand es immerhin noch, das Reich mit einer Mischung aus Zynismus und Kalkül in das europäische Gleichgewicht einzupassen – mit dem Bewusstsein, dass Deutschland „saturiert“ sei, wie er es nannte. Doch schon seine Nachfolger ließen sich von einer gefährlichen Sehnsucht packen: dem „Platz an der Sonne“. Und kaum war dieser Anspruch formuliert, stolperte das Kaiserreich in Kolonialabenteuer, die weniger Sonne als vielmehr Untergang bescherten. Man hätte meinen können, zwei Weltkriege später sei diese Hybris für immer kuriert. Aber offenbar ist das historische Gedächtnis eine fragile Angelegenheit, die sich zuverlässig dort verflüchtigt, wo politische Eitelkeit neue Nahrung findet.
Vom Kaiser zum Kanzlerkandidaten
So wirkt Merz’ Vorstellung, deutsche Soldaten könnten zwischen Russland und der Ukraine als Friedenswächter auftreten, wie eine groteske Neuauflage dieses alten Weltpolitikdramas: Ein Land, das doch vor allem als wirtschaftliche Mittelmacht glänzt, träumt wieder von militärischer Selbstinszenierung. Der deutsche „Platz an der Front“ – diesmal nicht in Afrika oder in China, sondern direkt am Dnipro. Man darf sich fragen, ob Merz die ironische Pointe bewusst ist: dass er in seiner Sehnsucht nach historischer Gravitas genau in jenes Muster verfällt, das Deutschland im 20. Jahrhundert zweimal ins Verderben führte. Vielleicht glaubt er, gerade diese Wiederholung könne nun endlich die ersehnte Katharsis bringen. Tragischerweise gilt aber nach wie vor: Wer mit der Geschichte Schach spielt, riskiert, dass sie einen mattsetzt.
Weltpolitik als Theater
Das Drama der deutschen Außenpolitik besteht darin, dass sie sich für ein Drama hält. Bismarck wusste noch, dass Politik ein Kunsthandwerk war, das im Verborgenen blüht, zwischen Geheimverträgen und Balanceakten. Doch die Nachgeborenen sahen darin eine Bühne. Kaiser Wilhelm II. ließ sich in Uniformen fotografieren, um Weltpolitik als Pose zu verkaufen. Friedrich Merz, mit seiner Stahlkantenbrille, versucht dasselbe auf intellektuelle Weise: kein Pickelhaube-Kaiser, sondern der moderne Manager, der glaubt, den Frieden wie einen Konzernvertrag absichern zu können. Doch das Theaterstück bleibt dasselbe: Deutschland überschätzt sich, das Publikum schaut irritiert, und die Bühne endet nicht selten in Trümmern.
Die NATO als Neuauflage der Kanonenbootpolitik
Man könnte die NATO auch als eine Art späte Variante jener Kanonenbootpolitik sehen, die einst im Kaiserreich Mode war. Nur dass diesmal die Flotte nicht in Übersee, sondern in Osteuropa ankert. Dass Russland die bloße Möglichkeit einer NATO-Präsenz in der Ukraine als existenzielle Bedrohung wahrnimmt, könnte man als Warnsignal begreifen – oder, in deutscher Tradition, als Einladung zur Eskalation. Denn nichts reizt den deutschen Drang zur Weltpolitik so sehr wie die Aussicht, sich endlich als moralischer Zuchtmeister der Geschichte profilieren zu dürfen.
Orwell im Berliner Regierungsviertel
George Orwell hat das Prinzip des ewigen Krieges als Grundlage hierarchischer Gesellschaften beschrieben. In Deutschland lässt sich das noch feiner zuspitzen: Der ewige Krieg als Mittel, jene Weltpolitikpose aufrechtzuerhalten, die man im Frieden nie durchhielte. Frieden würde Deutschland auf seine eigentliche Rolle zurückstutzen – das Land der Autos, Dichter und Exportüberschüsse. Krieg hingegen erlaubt die große Rede, das Pathos, die staatsmännische Gravitas. Kurz: Krieg ist die Bühne, die Frieden verweigert. Insofern könnte man fast zynisch sagen: Merz ist nur die logische Figur in einem alten deutschen Stück, das immer wieder gespielt wird – ein Reprisenprogramm, das nie zu Ende gehen darf.
Schluss: Die Eleganz der Verweigerung
Doch es gäbe eine Alternative – eine, die Bismarck vermutlich gefallen hätte: die bewusste Selbstbegrenzung. Keine Stiefel im Osten, keine Illusionen vom deutschen Weltordner, sondern die nüchterne Rolle des Vermittlers, des stillen Diplomaten, des verlässlichen Händlers. Ein Frieden, gesichert nicht durch deutsche Soldaten, sondern durch die kluge Einbindung neutraler Staaten, wäre nicht heroisch, aber stabil. Doch das erfordert jene Tugend, die in Deutschland seit über hundert Jahren rar geworden ist: die Eleganz der Verweigerung. Und so bleibt der Verdacht, dass Deutschland, statt Geschichte zu überwinden, erneut beginnen, sie zu imitieren – diesmal unter dem Banner des Friedens, aber mit denselben alten Illusionen im Gepäck.
Der deutsche Traum vom Platz an der Front
Bismarcks langer Schatten
Die deutsche Außenpolitik gleicht seit jeher einem unruhigen Schüler, der mal den Lehrer zu beeindrucken, mal die Klasse zu dominieren versucht, und dabei regelmäßig über seine eigenen Schnürsenkel stolpert. Bismarck, der eiserne Kanzler, verstand es immerhin noch, das Reich mit einer Mischung aus Zynismus und Kalkül in das europäische Gleichgewicht einzupassen – mit dem Bewusstsein, dass Deutschland „saturiert“ sei, wie er es nannte. Doch schon seine Nachfolger ließen sich von einer gefährlichen Sehnsucht packen: dem „Platz an der Sonne“. Und kaum war dieser Anspruch formuliert, stolperte das Kaiserreich in Kolonialabenteuer, die weniger Sonne als vielmehr Untergang bescherten. Man hätte meinen können, zwei Weltkriege später sei diese Hybris für immer kuriert. Aber offenbar ist das historische Gedächtnis eine fragile Angelegenheit, die sich zuverlässig dort verflüchtigt, wo politische Eitelkeit neue Nahrung findet.
Vom Kaiser zum Kanzlerkandidaten
So wirkt Merz’ Vorstellung, deutsche Soldaten könnten zwischen Russland und der Ukraine als Friedenswächter auftreten, wie eine groteske Neuauflage dieses alten Weltpolitikdramas: Ein Land, das doch vor allem als wirtschaftliche Mittelmacht glänzt, träumt wieder von militärischer Selbstinszenierung. Der deutsche „Platz an der Front“ – diesmal nicht in Afrika oder in China, sondern direkt am Dnipro. Man darf sich fragen, ob Merz die ironische Pointe bewusst ist: dass er in seiner Sehnsucht nach historischer Gravitas genau in jenes Muster verfällt, das Deutschland im 20. Jahrhundert zweimal ins Verderben führte. Vielleicht glaubt er, gerade diese Wiederholung könne nun endlich die ersehnte Katharsis bringen. Tragischerweise gilt aber nach wie vor: Wer mit der Geschichte Schach spielt, riskiert, dass sie einen mattsetzt.
Weltpolitik als Theater
Das Drama der deutschen Außenpolitik besteht darin, dass sie sich für ein Drama hält. Bismarck wusste noch, dass Politik ein Kunsthandwerk war, das im Verborgenen blüht, zwischen Geheimverträgen und Balanceakten. Doch die Nachgeborenen sahen darin eine Bühne. Kaiser Wilhelm II. ließ sich in Uniformen fotografieren, um Weltpolitik als Pose zu verkaufen. Friedrich Merz, mit seiner Stahlkantenbrille, versucht dasselbe auf intellektuelle Weise: kein Pickelhaube-Kaiser, sondern der moderne Manager, der glaubt, den Frieden wie einen Konzernvertrag absichern zu können. Doch das Theaterstück bleibt dasselbe: Deutschland überschätzt sich, das Publikum schaut irritiert, und die Bühne endet nicht selten in Trümmern.
Die NATO als Neuauflage der Kanonenbootpolitik
Man könnte die NATO auch als eine Art späte Variante jener Kanonenbootpolitik sehen, die einst im Kaiserreich Mode war. Nur dass diesmal die Flotte nicht in Übersee, sondern in Osteuropa ankert. Dass Russland die bloße Möglichkeit einer NATO-Präsenz in der Ukraine als existenzielle Bedrohung wahrnimmt, könnte man als Warnsignal begreifen – oder, in deutscher Tradition, als Einladung zur Eskalation. Denn nichts reizt den deutschen Drang zur Weltpolitik so sehr wie die Aussicht, sich endlich als moralischer Zuchtmeister der Geschichte profilieren zu dürfen.
Orwell im Berliner Regierungsviertel
George Orwell hat das Prinzip des ewigen Krieges als Grundlage hierarchischer Gesellschaften beschrieben. In Deutschland lässt sich das noch feiner zuspitzen: Der ewige Krieg als Mittel, jene Weltpolitikpose aufrechtzuerhalten, die man im Frieden nie durchhielte. Frieden würde Deutschland auf seine eigentliche Rolle zurückstutzen – das Land der Autos, Dichter und Exportüberschüsse. Krieg hingegen erlaubt die große Rede, das Pathos, die staatsmännische Gravitas. Kurz: Krieg ist die Bühne, die Frieden verweigert. Insofern könnte man fast zynisch sagen: Merz ist nur die logische Figur in einem alten deutschen Stück, das immer wieder gespielt wird – ein Reprisenprogramm, das nie zu Ende gehen darf.
Schluss: Die Eleganz der Verweigerung
Doch es gäbe eine Alternative – eine, die Bismarck vermutlich gefallen hätte: die bewusste Selbstbegrenzung. Keine Stiefel im Osten, keine Illusionen vom deutschen Weltordner, sondern die nüchterne Rolle des Vermittlers, des stillen Diplomaten, des verlässlichen Händlers. Ein Frieden, gesichert nicht durch deutsche Soldaten, sondern durch die kluge Einbindung neutraler Staaten, wäre nicht heroisch, aber stabil. Doch das erfordert jene Tugend, die in Deutschland seit über hundert Jahren rar geworden ist: die Eleganz der Verweigerung. Und so bleibt der Verdacht, dass Deutschland, statt Geschichte zu überwinden, erneut beginnen, sie zu imitieren – diesmal unter dem Banner des Friedens, aber mit denselben alten Illusionen im Gepäck.