Wenn Frieden zum Verdachtsfall wird

Es gibt Momente, da blättert man durch ein intellektuelles Leitmedium der Republik und fragt sich: Haben sie das jetzt wirklich geschrieben – oder ist das Satire, die sich für ihre Pointe schämt? Und dann liest man es schwarz auf weiß, in feiner Typografie, auf Papier, das nach Selbstüberzeugung riecht: Der Kampf für den Frieden sei von der Rechten „gekapert“ worden. Gekapert! Als wäre Frieden eine Yacht der Wohlmeinenden, nun entführt von Pegida-Seeräubern in Richtung der Meinungsfalle. Wer heute gegen Krieg ist, läuft Gefahr, als verdächtig zu gelten – nicht moralisch überhöht, sondern politisch kontaminiert. Ein Fall für die Gesinnungshygiene.

Es ist ein erstaunlicher Trick der Diskursverschiebung: Der einst moralisch höchste Wert – Frieden! – wird durch den Schleudergang der Lagerlogik gezogen und kommt heraus wie ein Fähnchen im Wind der Zeitdiagnose. Wer heute zur Mäßigung mahnt, ist plötzlich nicht mehr „links“, sondern „verdächtig rechts“ – eine Schuld durch Nähe, durch Vokabular, durch falsche Demonstrationsteilnahme. Die ZEIT, jenes Organ des gehobenen Bildungsbürgertums mit Hang zum latteartigen Weltverständnis, sieht das nüchtern: Der Frieden ist in falsche Hände geraten. Doch nicht etwa, weil der Krieg zu viele Unterstützer hat – sondern weil der Frieden von den Falschen gefordert wird.

Das neue Links: Kriegsbereit und moralisch unangreifbar

Es ist ein bemerkenswerter Wandel, den wir hier erleben dürfen. Die Linke, einst Barrikade und Mahnerin, ist heute gut gelaunt auf Linie mit Leopard-Panzern, NATO-Partnerschaft und einer moralisch gefestigten Bereitschaft zum Eskalationsmanagement. Wer früher Transparente trug mit „Frieden schaffen ohne Waffen“, trägt heute Statements wie „Waffen für den Frieden“ – ein Slogan, der in seiner kognitiven Selbstauflösung nur noch von „Krieg ist Sicherheit“ getoppt werden könnte. George Orwell könnte sich melden, um Tantiemen zu fordern, wäre er nicht längst unter der Erde – vielleicht auch aus Scham.

Die alte Linke – also jene, die noch zwischen Militär und Diplomatie, zwischen Interesse und Empathie unterscheiden konnte – wird heute behandelt wie ein räudiger Hund, der in der guten Stube der moralischen Upperclass nichts mehr zu suchen hat. Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, ja sogar alte SPD-Ruinen, die sich noch an die Ostpolitik erinnern – sie alle werden mit dem Duft der Irritation versehen, den die neue Mitte nicht erträgt. Frieden? Gerne – aber bitte als langfristige Vision, nicht als störende Forderung im Hier und Jetzt.

Der neue Verdacht: Abweichung vom Konsens

Was heute auffällt: Der Konsens ist kein Debattenprodukt mehr, sondern ein Dogma. Wer ihn nicht mitträgt, wer ihn hinterfragt, steht außerhalb. Früher war es die Rechte, die in Bekenntnissen dachte. Heute sind es die Haltungsmedien. Der SPIEGEL ruft zur Wehrhaftigkeit auf, die ZEIT erinnert an die Tugend des Mutes, und die TAZ… na ja, sie sitzt zwischen den Stühlen und fragt sich, ob der Pazifismus nicht vielleicht doch ein patriarchales Konzept war.

Wenn Demonstranten auf der Straße stehen mit dem Wort „Frieden“ auf dem Plakat, wird nicht gefragt, was sie sagen, sondern wer sie sind. Und wem es nützt. Die Botschaft ist dabei fast sekundär – entscheidend ist die Positionierung. Wenn Rechte gegen den Krieg demonstrieren, dann ist nicht der Krieg das Problem – sondern die Demonstration. Eine dialektische Kapriole, die selbst Hegel aus dem Grab rufen lässt: „Das ist nicht Synthese, das ist Selbstverleugnung mit PR-Budget!“

Die ZEIT als Seismograph des Systemgewissens

Die ZEIT ist nicht einfach nur Zeitung. Sie ist Stimmungslage, Selbstgespräch der Gebildeten, Korrekturblatt für das linksliberale Oberstübchen. Was dort geschrieben steht, ist nicht selten ein Vorabdruck dessen, was übermorgen Regierungslinie wird – oder umgekehrt. Und wenn dort steht, dass die weißen Tauben nach rechts flattern, dann ist das keine zoologische Beobachtung, sondern eine moralische Warnung: Trau keiner Taube, die nicht mit der richtigen Fahne fliegt.

Es ist das alte Problem der Gesinnungsethik, wiedergeboren im Design von Feuilletonseiten: Es zählt nicht das Ergebnis, sondern die Absicht. Und wenn die Absicht, Frieden zu fordern, aus der falschen Ecke kommt, wird das Ergebnis – Frieden – lieber verschoben. Auf bessere Zeiten. Auf bessere Menschen. Auf jene, die ideologisch sauber genug sind, um „Nein zum Krieg“ sagen zu dürfen.

Der Irrsinn der Lager: Wenn Kategorien wichtiger werden als Inhalte

Was ist das eigentlich für eine politische Kultur, in der Begriffe wie Frieden, Diplomatie oder Deeskalation nicht mehr an sich diskutiert werden, sondern anhand ihrer Sprecher verdächtig gemacht werden? Wo das Wer das Was überstrahlt – und die Haltung wichtiger wird als die Wirklichkeit? Der Pazifismus wird heute nicht mehr kritisiert, sondern katalogisiert: Ist das ein linker Pazifist? Ein rechter? Ein russischer? Ein zu früher? Ein zu lauter?

So entsteht eine neue Paranoia der Meinungszuschreibung. Sie wirkt wie eine zivilisierte Hexenjagd mit Fußnoten. Und wer da noch sagt, dass Frieden kein links-rechts-Thema sei, sondern ein Menschheitsthema – der steht plötzlich da wie ein Realitätsverweigerer. Oder, schlimmer noch: wie jemand ohne Haltung. Und das ist heute das wahre Sakrileg.

Fazit: Wer für den Frieden ist, muss heute Beweise liefern

Es ist eine absurde Zeit, in der wir leben. Eine Zeit, in der man sich für den Wunsch nach Frieden rechtfertigen muss. In der die ZEIT meint, den Frieden retten zu müssen – vor den Falschen, nicht vor dem Krieg. In der die weiße Taube auf ihre politische Gesinnung hin befragt wird, bevor man sie fliegen lässt.

Der Wahnsinn ist nicht, dass Rechte den Frieden fordern. Der Wahnsinn ist, dass man sich davon den Frieden nehmen lässt.

Ein Gott, ein Volk, ein Führer

Es gibt Momente in der Geschichte, da steht die Kirche nicht auf, sondern stramm. Der Nationalsozialismus war eine solcher Momente. Während draußen Bücher brannten, schwieg man drinnen zu den Flammen. Während Menschen deportiert wurden, betete man für den Führer. Während der „totalitäre Mensch“ geschaffen wurde, zeigte sich das „Haus Gottes“ erschreckend offen für neue Mieter. Es war eine seltsame Koexistenz: das Kreuz in der einen, der Gruß in der anderen Hand. Zwischen Kanzel und Komplizenschaft lag oft nur ein feierliches Nicken.

Natürlich gab es auch Widerstand. Den aufrechten. Den mutigen. Bonhoeffer, Niemöller, die Bekennende Kirche. Aber sie waren die Ausnahme – nicht die Regel. Die Regel war: Arrangieren. Anpassen. Abnicken. Und am besten noch einen Segen dazu. Die Institutionen, jahrhundertelang geübt in weltlicher Nähe und heiliger Fernsicht, taten das, was sie am besten konnten: überleben.

Schwarzbraune Frömmigkeit – Von der Volksgemeinschaft zur Volkskirche

Die Kirchen im Dritten Reich – ob evangelisch oder katholisch – standen nicht auf der Anklagebank der Macht, sondern saßen oft mit im Zuschauerraum. Die evangelische Kirche? In Teilen begeistert. Die „Deutschen Christen“ etwa wollten Jesus gleich vollständig arisieren – aus dem Jüdischen entfernen, als könne man das Christentum einfach durch ideologische Dialyse reinigen. Ein Kreuz ohne Davidstern. Eine Religion ohne Wurzel. Die Bibel: entschärft. Der Glaube: gleichgeschaltet.

Und die katholische Kirche? Diplomatisch, gewunden, ängstlich – aber zu oft auch zu willig. Das Reichskonkordat von 1933 war kein Triumph der Diplomatie, sondern ein moralischer Offenbarungseid. Der Vatikan erkaufte sich institutionelle Sicherheit – und schwieg. Man wollte seine Sakramente behalten und verlor dabei seine Seele.

Wenn Gewissen zur Beichte wird – und Moral zur Metapher

Man darf nicht vergessen: Die Kirchen verstanden sich als überstaatliche, ja überzeitliche Institutionen. Und genau das war ihre Schwäche. Wer zu sehr auf Ewigkeit schielt, übersieht leicht das Unrecht der Gegenwart. Die Gleichschaltung wurde nicht als moralische Katastrophe erkannt, sondern als göttliche Prüfung gedeutet. Man sah sich als Opfer – selten als Mitläufer, nie als Profiteur. Dabei waren Kirchen auch Orte der Stabilität im Chaos. Orte, an denen Menschen Trost fanden – ja. Aber auch Orte, an denen man sich moralisch entlasten konnte, ohne sich historisch zu verantworten.

Die Predigt wurde zum Spagat zwischen Gewissen und Gefährdung. Man sprach vom Leiden Christi, aber selten vom Leiden der Juden. Man beschwor die Nächstenliebe – und schwieg zum Hass auf die „Volksfeinde“. Wer sich äußerte, riskierte viel. Aber die Mehrheit riskierte: nichts.

Bonhoeffer und die einsame Klarheit

Er war die Ausnahme. Dietrich Bonhoeffer. Theologe. Denker. Widerständler. Hingerichtet im KZ Flossenbürg. Für ihn war Glauben nicht Meditation, sondern Konsequenz. Er sprach nicht nur vom Bösen – er nannte es beim Namen. Sein Gott war nicht der Gott der Anpassung, sondern der Entscheidung.

Was Bonhoeffer dachte, war unbequem. Auch heute noch. Er sagte: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Wie viele haben damals geschrien? Wie viele heute singen – ohne je zu schreien?

Nach 1945 – Von der Beichte zur Beschwichtigung

Und nach dem Krieg? Da wurde viel von Schuld gesprochen – aber noch mehr von Überforderung. Die Kirchen verpassten den Moment, sich radikal zu befragen. Die meisten Pfarrer kehrten zurück auf ihre Kanzeln, als sei nichts geschehen. Viele Bischöfe taten so, als hätten sie das ganze Reich einfach verschlafen – oder falsch verstanden.

Es dauerte Jahrzehnte, bis eine echte Auseinandersetzung begann. Der Begriff der „Mittäterschaft“ wurde sorgfältig umschifft. Man sprach lieber von „Verführbarkeit“, von „Zwängen der Zeit“, von „moralischen Dilemmata“ – als wäre das Dritte Reich ein philosophisches Experiment gewesen und kein beispielloser Zusammenbruch aller ethischen Prinzipien.

Die Moral von der Geschichte: Wenn Gott schweigt, muss der Mensch sprechen

Was bleibt? Die Kirchen haben versagt. Nicht in allem, nicht überall – aber im Ganzen. Sie haben das Evangelium eingetauscht gegen das Evangelium der Angepasstheit. Sie haben auf das Jenseits gehofft – und das Diesseits preisgegeben.

Aber wer glaubt, der darf nicht nur glauben. Er muss handeln. Sonst wird das Kreuz zum Symbol des Wegsehens. Und der Glaube zur Floskel. Die Geschichte der Kirchen im Nationalsozialismus ist keine Anklage, sondern ein Spiegel. Und er zeigt: Wer seine Stimme nicht erhebt, wird Teil des Schweigens. Und Schweigen, wenn es laut genug wird, ist die tödlichste aller Beichten.

Politik als Kriegsspiel mit Stirnrunzeln

Es ist eine seltsame Zeit, in der selbsternannte Strategen in Maßanzügen mit PowerPoint-Präsentationen über Krieg und Frieden verhandeln, als ginge es um die Quartalszahlen eines mittelständischen Maschinenbauers. Und mittendrin steht er, der Mann, der seine ganze politische Renaissance auf einem Glaubwürdigkeitsdefizit aufgebaut hat: Friedrich Merz, genannt „Taurus“, benannt nach der Präzisionsrakete, die wie er selbst vor allem eines ist – laut, teuer und politisch schwer steuerbar.

Während die einen den Frieden suchen, um den Krieg zu beenden, suchen andere den Krieg, um sich im Frieden zu profilieren. In dieser merkwürdigen Dialektik spielt Merz die Rolle des kalten Realisten – oder vielmehr des heißen Dampfplauderers. Er redet von Führung, meint aber Machtdemonstration. Er spricht von Solidarität, zielt aber auf Eskalation. Und während die moralisch aufgeladene Rhetorik der Bellizisten in Talkshows wie Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt verteilt wird – heiß, klebrig und im Übermaß –, sitzt irgendwo ein Mann, der weiß, wie Krieg wirklich funktioniert. Ein Mann, den man heute schon fast als subversiv bezeichnen muss, weil er nüchtern bleibt: General a.D. Harald Kujat.

Wenn ein General die Vernunft verteidigt

Kujat, kein Pazifist, kein Träumer, kein Twitter-Prophet. Ein Mann, dessen Stimme sich nicht überschlägt, weil er weiß, dass im Krieg niemand schreit – außer denen, die sterben. Und dieser Mann sagt, glasklar, logisch und vernunftgeschärft wie eine Klinge: Wenn Deutschland Taurus liefert und zugleich die Planung und Durchführung übernimmt, dann ist das keine Spende, kein Beistand, keine symbolpolitische Fanfare – sondern der offene Eintritt in einen Krieg gegen eine Atommacht. Punkt.

Doch in der politischen Parallelrealität ist solche Klarheit ein Affront. Wer heute so etwas sagt, wird nicht etwa gehört, sondern gecancelt – nicht aus Bosheit, sondern aus Bequemlichkeit. Denn Kujats Wahrheit ist sperrig. Sie passt nicht in die 280 Zeichen der Empörungsindustrie. Sie ist nicht gefällig, nicht kampagnenfähig, nicht mit Glitzersternchen zu versehen. Deshalb müssen andere her – die Lautsprecher, die „Macher“, die politischen Raufbolde mit der moralischen Weste aus Watte. Menschen wie Friedrich Merz, der glaubt, man könne Geopolitik wie Aktien handeln – nur dass der Börsencrash diesmal in Feuer und Asche kommt.

Merz und der Krieg: Der Feldherr im Fernsehstudio

Friedrich Merz hat von Militärstrategie so viel Ahnung wie ein Veganer von Wildschweinjagd. Aber das hindert ihn nicht daran, seine Stimme zur Trompete des gerechten Krieges zu erheben. Er spricht von Führung, als wäre ein Raketenangriff der neue Maßstab deutscher Außenpolitik. Der Taurus, das Symbol seiner Standhaftigkeit, ist in Wahrheit nur das Spiegelbild seiner Hybris – ein Spielzeug des politischen Symbolismus, mit dem man sich die Welt zurechtballert, wenn das Argument versagt.

Merz und seine Mitstreiter argumentieren, Deutschland dürfe nicht zaudern. Aber was sie meinen: Deutschland dürfe nicht denken. Wer zögert, wer abwägt, wer die Konsequenzen kalkuliert, gilt heute als Putinversteher. Der neue Puritanismus duldet keine Grautöne, keine Differenzierung. Es gibt nur noch „mutig“ oder „feige“, „Entschlossenheit“ oder „Verrat“. Dass zwischen diesen Polen die Vernunft liegt – das wird zur Nebensache erklärt.

Ideologie gegen Realität: Der Moment der Verantwortung

Was Kujat formuliert, ist keine Meinung – es ist die Beschreibung eines realpolitischen Zustands. Er sagt, was Sache ist: Wenn Deutschland Kriegsführung übernimmt, dann ist das Kriegsteilnahme. Nicht mehr, nicht weniger. Wer das nicht versteht, sagt Kujat, habe in der Politik nichts verloren. Und man möchte hinzufügen: Wer es versteht und trotzdem dafür plädiert, ist entweder gefährlich oder eiskalt zynisch – oder beides.

Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Es liegt im politischen Theater selbst, das die Bühne des Krieges mit der Kulisse des Fortschritts verwechselt. Der Westen ist so tief in seine moralische Selbstinszenierung verstrickt, dass er den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Größenwahn nicht mehr erkennt. Und so ruft man nach Raketen, weil es sich einfacher anfühlt als Diplomatie. Man will zeigen, dass man auf der richtigen Seite steht – auch wenn man damit die ganze Welt ins falsche Ende der Geschichte stürzt.

Ein Blick in die Geschichte: Die alten Irrtümer in neuem Gewand

Die Idee, durch Eskalation Frieden zu schaffen, ist so alt wie absurd. Schon 1914 waren sich viele sicher, dass ein „begrenzter“ Krieg Ordnung schaffen werde. Die Geschichte hat gelacht – mit 17 Millionen Toten. Auch damals war man überzeugt, dass man handeln müsse, „bevor es zu spät ist“. Und auch damals war das Handeln selbst der Anfang vom Ende. Heute nennt man das „Lernen aus der Geschichte“ – und handelt exakt entgegengesetzt.

Und jetzt? Wieder marschiert man nicht, aber delegiert. Man schickt keine Truppen, aber dafür die Technik – inklusive Bedienungsanleitung aus Berlin. Eine digitale Form der Kriegsteilnahme, moralisch aufbereitet und mit humanitärem Disclaimer versehen. Aber wie viele „nicht vorhandene“ Beteiligungen braucht es, bis die Realität sich nicht mehr tarnen lässt? Wie viele Taurus braucht es, bis die Maske fällt?

Pointe oder Offenbarung: Wer schützt uns vor den Führern?

Kujats Worte sind nicht nur eine Warnung – sie sind ein letzter Notruf der Vernunft. Ein verzweifelter Versuch, das Steuer herumzureißen, bevor die Titanic der deutschen Außenpolitik endgültig auf atomaren Eisbergen zerschellt. Wer sie ignoriert, handelt nicht naiv, sondern verantwortungslos. Es geht nicht um linke oder rechte Ideologie, nicht um Russlandliebe oder Ukrainehass – es geht um das, was man in besseren Zeiten „Staatskunst“ nannte.

Doch was wir stattdessen erleben, ist ein Stück aus dem Tollhaus: Ein Oppositionsführer als Waffenlobbyist, ein General als Mahner in der Wüste, eine Öffentlichkeit, die lauter ist als klug. Und während man Friedrich Merz zujubelt, weil er endlich „klare Kante“ zeigt, übersieht man, dass er sie an den Abgrund zeichnet.

Fazit?

Es ist schwer, eine Pointe zu schreiben, wenn das Thema eigentlich kein Ende hat, sondern einen Zünder. Und so bleibt nur diese kleine, bitterböse Wahrheit:

Wer in Friedenszeiten als Politiker vom Krieg träumt, sollte in Kriegszeiten nicht erwarten, dass ihm noch jemand zuhört.

Die Regierungen – ein gelebter Beweis für den Dunning-Kruger-Effekt

nie der Gegenwart, dass ausgerechnet jene, die das komplexe Räderwerk einer hochvernetzten Welt am wenigsten verstehen, in ihren Cockpits sitzen wie Kleinkinder in einer Raumfähre – mit großen Augen, klebrigen Fingern und einem unbegründeten Selbstvertrauen, das jeder objektiven Betrachtung Hohn spricht. Der Dunning-Kruger-Effekt, jene empirisch nachgewiesene Verzerrung, bei der die inkompetenten Geister ihre eigene Inkompetenz nicht nur verkennen, sondern fälschlich für Exzellenz halten, hat in der politischen Elite seinen sakralen Tempel gefunden. Einzigartig ist lediglich das Ausmaß.

Es regieren Menschen, deren Bildungsweg irgendwo zwischen einem abgebrochenen Soziologiestudium und einem glanzlosen Aufenthalt im Verwaltungsapparat der Mittelmäßigkeit verlief – aber sie sprechen mit der Gravitas römischer Senatoren und dem missionarischen Ernst von Esoterik-Gurus. Minister mit der intellektuellen Spannweite eines Backofens diskutieren über Energiewenden, Digitalisierung und künstliche Intelligenz, als hätten sie selbst Alan Turing geboren. Staatssekretäre halten Reden über Transformation, während sie nicht einmal ihre PowerPoint ohne Hilfe starten können. Und über all dem schwebt der tragikomische Duft völliger Ahnungslosigkeit – parfümiert mit Begriffen wie Resilienz, Transparenz, Partizipation und Nachhaltigkeit, hinter denen sich nicht Kompetenz, sondern Floskelnestwärme verbirgt.

Der Talkshow-Triumph der Ahnungslosen

Wo sich früher vielleicht noch jemand bemühte, wenigstens so zu tun, als hätte er Ahnung, genügt heute die bloße Pose der Betroffenheit. Die Talkshows der Republik sind voll von Gestalten, die einander in wohlklingender Dürftigkeit überbieten, dabei aber ihre Sätze mit so viel Inbrunst beenden, als hätten sie gerade einen philosophischen Meilenstein gelegt – dabei war es nur der zaghafte Versuch, das Wort „Komplexität“ zu umkreisen, ohne sich selbst zu verletzen. Sie diskutieren mit feierlicher Miene, ob man die wirtschaftliche Lage durch „eine neue Haltung“ verbessern könne, als wäre der Bundeshaushalt ein Chakra.

Ein Ministerpräsident sagt, man dürfe in Krisenzeiten „nicht den Menschen aus dem Blick verlieren“ – als wäre das je gelungen. Eine Bundesministerin erklärt, „Transformation sei ein Prozess“ – ja, wirklich? Und der Himmel ist oben? Man fragt sich, ob diese Menschen eine Regierung führen oder bloß ein Improvisationstheater mit öffentlich-rechtlicher Dauerförderung.

Vom Innenleben leerer Köpfe – Wenn Arroganz Wissen ersetzt

Es gehört zu den faszinierenden Paradoxien der Macht, dass nicht selten gerade jene Figuren in höchste Ämter aufsteigen, die mit gesundem Selbstzweifel niemals kandidiert hätten. Wer weiß, was er nicht weiß, bewirbt sich nicht für den Vorsitz eines Landes. Wer hingegen in schlichter Seelenruhe davon überzeugt ist, seine durchschnittliche Meinung sei universal gültig, der strebt nach Ministerien, nach Gremien, nach Gipfeltreffen – und dort angekommen, erteilt er Weisungen, deren intellektuelle Substanz sich bei näherem Hinsehen als Pressspan erweist.

Diese Politiker sind keine Versager, sie sind Helden – im Scheitern. Sie sind unerschütterlich in der Überzeugung, alles im Griff zu haben, während sie mit ihrer Terminologie jonglieren wie mit glühenden Eisen, die sie nicht begreifen, aber für stilistisch elegant halten. Sie bauen Windräder, wo kein Wind weht, schreiben Digitalgesetze auf Faxgeräten und erklären Energiesicherheit zur moralischen Kategorie. Wer sie darauf hinweist, wird verdächtigt, zynisch zu sein – als ob Zynismus nicht die letzte Bastion des Verstandes wäre in einer Landschaft voll Inkompetenz.

Die Bevölkerung als Feigenblatt – Partizipation als Placebo

Natürlich – man hört auf „die Menschen“. Man befragt sie. Man lädt sie in „Dialogformate“. Und wer einmal dabei war, weiß: Das ist kein Dialog, sondern ein pädagogisch durchgestyltes Beruhigungsritual. Die Regierenden setzen Bürgerpanels auf, geben dem Ganzen eine Pseudo-Offenheit und präsentieren dann als Ergebnis exakt das, was vorher schon feststand – allerdings mit einem Smiley-Sticker namens Beteiligung versehen.

In Wahrheit wird das Volk nicht gefragt, sondern beschwichtigt. Man verkauft Politik als kollektive Sinnsuche, während man das Ruder bereits in jene Richtung gerissen hat, die man für ideologisch alternativlos hält. Und wer Kritik äußert, der hat es „nicht verstanden“, ist „rechtsoffen“, „toxisch“, „destruktiv“ oder – besonders perfide – einfach „nicht auf dem Stand der wissenschaftlichen Debatte“. Was diese Debatte genau ist, weiß keiner, am wenigsten jene, die sich auf sie berufen.

Geschichte als Mahnung – und als ignorierte Wiederholung

Es gab Zeiten, da konnte man das Gefühl haben, Regierung sei ein Synonym für Organisation. Heute ist sie eher das Gegenteil. Es ist ein System, das sich aus sich selbst heraus legitimiert, dabei aber zunehmend das Monströse der Beliebigkeit annimmt. Man erinnert sich, wenn man denn will, an historische Episoden, in denen Führung in Unwissenheit mündete – mit katastrophalen Folgen. Doch wer mahnt, gilt als Unruhestifter.

So ist das kollektive Gedächtnis heute ein loses Archiv mit Zugangssperre. Wir kennen die Geschichte – aber wir tun, als wäre sie irrelevant. Man fährt sehenden Auges in die nächste Mauer, in dem man sich gegenseitig bescheinigt, dass Mauern heute inklusiver seien. Und die Warnung wird vom Tisch gewischt mit der Begründung, dass sie nicht „konstruktiv“ sei. Konstruktiv heißt heute: Ja sagen zum Irrsinn, solange er nachhaltig lächelt.

Schlussfolgerung mit doppeltem Boden

Manchmal fragt man sich, ob es wirklich Dummheit ist – oder doch eine hochfunktionale Form des Irrsinns, in der das System genau die hervorbringt, die es braucht: Inkompetente mit Sendungsbewusstsein, Ahnungslosigkeit als Tugend, Überheblichkeit als Kompetenzsimulakrum. Der Dunning-Kruger-Effekt ist kein Unfall – er ist systemimmanent. Die Fähigkeit zur Selbstüberschätzung ist heute Grundvoraussetzung für den politischen Aufstieg. Zweifel ist Schwäche. Denken ist Ballast. Wer fragt, verliert Zeit. Wer antwortet, gewinnt Redezeit.

Und so bleibt uns, dem Fußvolk, nichts als der trockene Trost der Satire – das letzte Territorium, auf dem Wahrheit noch ausgesprochen werden darf, solange sie als Witz daherkommt. Denn in einem System, das vom Wahn regiert wird, ist der Zynismus der letzte Beweis von Verstand.

Feiertage für alle! Aber ohne Bedeutung, bitte.

Christliche Feiertage? Nur noch ein Auslaufmodell mit Glitzerdeko?

Echt jetzt? Weihnachten abschaffen? Ostern „umwidmen“? Christi Himmelfahrt diversifizieren? Wer heute mit halbwegs ironiefreiem Gesichtsausdruck vorschlägt, den deutschen Feiertagskalender an eine zunehmend säkularisierte, diversifizierte, fragmentierte und emotional hyperverfügbare Gesellschaft anzupassen, der sollte sich zunächst fragen, ob er eigentlich weiß, wozu Feiertage ursprünglich einmal gedacht waren – oder ob er sie mittlerweile nur noch als stressige Kalenderhürden zwischen zwei Amazon-Bestellungen betrachtet. In einer Welt, in der man sich ernsthaft fragen muss, ob der Nikolaus bald ein interreligiös zertifizierter Lieferroboter mit Inklusionschip sein muss, um niemanden zu triggern, wirkt der Gedanke, christliche Feiertage seien „nicht mehr zeitgemäß“, wie die klimaneutrale Reinkarnation eines kulturrevolutionären Kamikazeflugs – nur mit Gendersternchen.

Man könnte meinen, die christlichen Feiertage seien eine Art symbolisches Bollwerk gegen die postmoderne Beliebigkeit. Doch statt sie zu verteidigen, wird ihre Existenz nun mit dem Argument der kulturellen Vielfalt infrage gestellt – als wären Weihnachten und Ostern nicht ohnehin schon die letzten großen Rituale, bei denen sogar Konfessionslose ihre Verwandten besuchen, Gänse essen, passive Aggression beim Familienkakao kultivieren und in sich hineinbrummen, dass Oma schon wieder denselben Karpfenwitz erzählt. Es ist grotesk: Gerade jene, die sich für Toleranz, Teilhabe und Vielfalt einsetzen, sind oft die ersten, die fordern, dass gewachsene kulturelle Strukturen weichen sollen – zugunsten eines säkularen Niemandslandes aus „freien Tagen zur individuellen Entfaltung“. Klingt nach Yogaseminar, riecht aber verdächtig nach Sinnentleerung.

Vom säkularen Selbstbetrug und der kalendarischen Cancel Culture.

Wie sähe er denn aus, dieser neue, flexible Feiertagskalender der Zukunft? Jeder bekommt „seinen“ Feiertag, je nach Herkunft, Glauben, emotionalem Ladezustand oder astrologischer Konstellation? Am Montag feiern die Buddhisten das Vesakh, am Dienstag bekommen die Muslime Eid Mubarak-Freizeit, mittwochs dürfen Atheisten kollektiv Netflix schauen, donnerstags wird ein rein hypothetischer Tag des Agnostikers eingeführt („vielleicht gibt’s frei – vielleicht auch nicht“), und freitags wird das Ganze diversitätsgerecht durch einen spirituellen „Feiertag für alle, die sich irgendwie anders fühlen“ abgerundet. Klingt fair. Und ist vollkommen absurd.

Feiertage leben nicht davon, dass sie individuell verhandelbar sind. Sie leben davon, dass sie kollektiv erlebt werden. Dass sie – ob nun aus religiösem Bewusstsein oder kultureller Gewohnheit – eine gemeinsame Unterbrechung im Strom des Alltags markieren. Wer versucht, das in eine Art Buffetmodell umzuwandeln, an dem sich jeder nach Lust und Laune bedient, bekommt am Ende genau das: ein unübersichtliches, matschiges Durcheinander mit zu viel Soße, zu wenig Sinn und garantiert ohne soziale Bindungskraft. Integration, Inklusion und Toleranz sind keine Kalenderoptionen. Sie sind Haltungen. Und wer glaubt, man könne kulturellen Pluralismus erzwingen, indem man alle Unterschiede gleichwertig in ein formalistisch glattes Feiertagskorsett presst, verwechselt Gerechtigkeit mit Gleichmacherei – und kulturelle Vielfalt mit beliebigem Zersplittern.

Tradition als kulturelles Rückgrat – oder lästiges Relikt aus Omas Keller?

Es ist doch bezeichnend: In einem Land, das sich gerne als hochreflektierte Kulturnation verkauft, gelten christliche Feiertage inzwischen als verdächtig. Als wäre das bloße Erwähnen von „Pfingsten“ ein mikroaggressiver Akt gegenüber der globalisierten Moderne. Dabei geht es hier nicht darum, den Katechismus in die Verfassung aufzunehmen oder Messwein als offizielles Regierungsgetränk einzuführen. Es geht um etwas sehr Einfaches: kulturelle Identität durch Wiederholung, durch Symbolik, durch gemeinsam geteilte Zeiten der Stille, des Feierns, des Erinnerns.

Feiertage wie Weihnachten und Ostern haben über Jahrhunderte hinweg genau das geleistet. Sie sind nicht nur religiöse Marker – sie sind emotionale Anker. Sie strukturieren das Jahr, geben Halt, ermöglichen kollektive Pausen. Sie sind anthropologisch betrachtet keine Dogmen, sondern Rituale. Und wer meint, Rituale seien entbehrlich, sollte sich einmal ansehen, wie zerbröselt Gesellschaften ohne gemeinsames Symbolsystem aussehen: wie ein Haufen Puzzlestücke, die alle darauf bestehen, der Mittelteil zu sein – aber keine Ahnung haben, was das Bild zeigt.

Die Statistik-Lüge: Wenn 51,5 Prozent angeblich nicht mehr reichen

Ach ja, die Statistik: Nur noch 51,5 Prozent der Menschen in Deutschland gehören 2023 dem Christentum an. Und schon wird das Christentum zur Minderheitenmeinung erklärt, die im öffentlichen Raum bitte etwas leiser auftreten möge. Man stelle sich dieses Argument auf andere Bereiche übertragen vor: „Nur noch 51,5 Prozent der Bevölkerung sprechen fließend Deutsch – lasst uns konsequenterweise Kant auf Koreanisch lesen.“ Oder: „Nur noch 51,5 Prozent essen Fleisch – also verbieten wir die Bratwurst im Fußballstadion.“ Es ist der logische Fehlschluss einer Gesellschaft, die sich angewöhnt hat, jede Mehrheit sofort zu problematisieren, sobald sie nicht absolut ist.

Die Reduktion auf demografische Zahlen übersieht dabei, dass kulturelle Prägung nicht automatisch mit formeller Mitgliedschaft korreliert. Man kann kein Mitglied einer Kirche sein und trotzdem jedes Weihnachten feiern. Man kann keinen Gottesdienst besuchen und dennoch an Allerheiligen innehalten. Die tieferliegende kulturelle Matrix, auf der dieses Land funktioniert – mit all seinen Gewohnheiten, Feiertagsregeln, Ladenöffnungszeiten, Schulferien – ist durch und durch christlich durchwirkt. Und das zu leugnen, nur weil es statistisch sexy klingt, ist intellektuell ungefähr so redlich wie ein veganes Schnitzel mit Schweineform.

Feiertage als politische Bühne – oder kollektive Erschöpfung?

Natürlich, man kann Feiertage auch als Plattform für gesellschaftlichen Wandel denken. Und sicher – in einer pluralistischen Gesellschaft braucht es Aushandlungsprozesse. Aber dabei sollte man nicht vergessen: Wer jede noch so tiefe kulturelle Verwurzelung mit dem Verweis auf Inklusion in Frage stellt, betreibt keine Integration, sondern Selbstverleugnung. Feiertage sind keine ideologischen Werbetafeln, die man im Fünfjahresrhythmus austauscht. Sie sind, ob man will oder nicht, Teil des kollektiven Gedächtnisses – und dieses Gedächtnis kann man nicht einfach löschen, weil die Gegenwart sich gerade in eine andere Richtung deklariert.

Die Idee, durch flexible Feiertage mehr Freiheit zu schaffen, klingt auf den ersten Blick attraktiv – wie so vieles, was postmodern daherkommt. Aber in Wirklichkeit ist sie eine Einladung zur sozialen Vereinzelung. Denn was bleibt, wenn jeder seinen eigenen Feiertag feiert? Eine Gesellschaft voller Menschen, die sich alleine freuen. Das klingt nicht nach Fortschritt. Das klingt nach Vereinzelung unter dem Deckmantel der Vielfalt.

Die Rückkehr des Kalenders

Vielleicht ist es Zeit für ein neues Denkmodell. Eines, das nicht sofort kapituliert, wenn eine kulturelle Praxis mehr als zwanzig Jahre alt ist. Eines, das den Mut hat, zwischen Tradition und Zwang zu unterscheiden – und nicht jedes kollektive Ritual sofort unter Verdacht stellt. Vielleicht sollten wir endlich wieder lernen, dass es okay ist, Dinge zu bewahren, einfach weil sie sich bewährt haben. Vielleicht ist Weihnachten nicht exklusiv – sondern einladend. Vielleicht ist Ostern kein Dogma – sondern ein Symbol der Hoffnung. Vielleicht ist Christi Himmelfahrt nicht „männlich“ – sondern einfach nur ein freier Donnerstag mit Potential für Grillgut.

Echt jetzt? Feiertage streichen, nur weil sie christlich sind?
Vielleicht wäre es klüger, einfach mal innezuhalten – und sich daran zu erinnern, dass auch eine multireligiöse Gesellschaft irgendwann ein gemeinsames Kalenderblatt braucht. Und sei es nur, um gemeinsam zu merken: Heute ist frei. Und das ist gut so.

Wie schnell aus der ausgestreckten Hand der ausgestreckte Mittelfinger wird

Die ausgestreckte Hand – Illusion einer Verständigung

Es war einmal – so beginnt jede gute Tragödie – eine Demokratie, die davon lebte, dass Menschen miteinander redeten. Nicht einverstanden waren, aber einander zuhörten. Nicht dieselbe Meinung teilten, aber ein gemeinsames Spielfeld anerkannten. In dieser Zeit hatte die ausgestreckte Hand noch Bedeutung: als Geste der Einladung, als Angebot zum Dialog, als Versuch, den Graben nicht zu vertiefen, sondern zu überbrücken.

Doch das war, wie so vieles, bevor die Kommentarspalten begannen, den Ton anzugeben. Bevor das Like zur neuen Währung und die Empörung zur neuen Moral wurde. Bevor jedes Gespräch automatisch verdächtig war, jede Frage als Infragestellung, jede Differenz als Affront galt. Heute bedeutet die ausgestreckte Hand meist nur noch eines: dass sie gleich abgehackt wird. Denn wer sich zu sehr streckt, zeigt sich verletzlich – und wer sich verletzlich zeigt, wird zerlegt.

Verständigung ist zur Pose geworden. Dialog zur rhetorischen Fußnote unter monolithischen Statements. Es geht längst nicht mehr darum, gemeinsam etwas herauszufinden – sondern darum, möglichst effizient recht zu behalten. Und wenn schon nicht recht zu behalten, dann wenigstens das Gegenüber moralisch zu erledigen. Der Diskurs als Arena. Die ausgestreckte Hand als taktische Finte, bevor der Schlag kommt. Willkommen im Zeitalter des reflexhaften Mittelfingers.

Diskurs als Nahkampf – Von Meinungsfreiheit zu Meinungsverteidigung

Die Rhetorik der Gegenwart kennt keine Zwischentöne mehr. Es gibt kein „Ich sehe das anders, aber du hast einen Punkt“ – es gibt nur noch Zustimmung oder Feindschaft. In Talkshows grinst man sich ins Gesicht, während man innerlich das Messer wetzt. In sozialen Netzwerken reicht ein falsches Wort – und das Tribunal tagt. Die Verteidigung: zwecklos. Der Diskurs ist ein Schützengraben, und wer die Hand reicht, zeigt nur, wo er am leichtesten zu treffen ist.

Dabei berufen sich alle auf die Meinungsfreiheit, als sei sie ein Freifahrtschein zum intellektuellen Erbrechen. Doch Meinungsfreiheit heißt nicht, dass jede Meinung gleich klug ist. Oder gar folgenlos. Und schon gar nicht, dass andere sie klaglos ertragen müssen. Aber statt sich auf Inhalte zu konzentrieren, streiten wir über Sprechakte. Statt um Wahrheit geht es um Tonlage. Wer wie was gesagt hat – das ist der neue Stoff, aus dem Skandale gemacht sind.

Und so mutiert der politische Diskurs zur akustischen Geisterbahn: überall Echo, keine Substanz. Die ausgestreckte Hand? Wird gelesen als Zeichen der Schwäche oder als Übergriff. Denn wer sich noch für Verständigung interessiert, ist entweder naiv, oder – schlimmer – ein „beide-Seiten“-Typ. Und die sind, wie jeder weiß, schlimmer als der Gegner selbst.

Die Dialektik der Polarisierung – Wie man eine Gesellschaft im Namen der Gerechtigkeit zersägt

Man beginnt mit edlen Absichten: Man will die Welt gerechter machen. Den Ausgegrenzten eine Stimme geben. Die Strukturen hinterfragen. Alles richtig, alles wichtig. Doch aus dem Wunsch nach Sichtbarkeit wird schnell ein Regelwerk der Rechthaberei. Aus Differenz wird Differenzierung, aus Differenzierung Separatismus, aus Separatismus Identität – und aus Identität ein Dogma. Wer nicht dazugehört, gehört nicht dazu. Punkt.

Der Diskurs wird zum Exerzierplatz moralischer Loyalität. Man ist nicht mehr Mitstreiter, sondern Mitglied. Und wie in jedem Kult, zählt weniger, was gesagt wird – sondern wer es sagt, wie, mit welchen Hashtags, in welchem Outfit. Sprache wird dekonstruiert, bis sie nicht mehr spricht, sondern nur noch signalisiert.

Auf der Gegenseite: das gleiche Spiel, nur in bitter. Auch hier wird der Diskurs zur Schlachtbank, der Zweifel zum Verrat. Wer das Gendersternchen nicht mitsprechen will, wird zum Kulturkämpfer erklärt. Wer es spricht, zum Untergang des Abendlandes. Und zwischen den Fronten: die Demokratie, auf Knien, mit Ohropax.

Die Revolution frisst ihr Kommentarspaltenkind – Vom Aktivismus zur Selbstparodie

Der Aktivismus, geboren aus Not und Wut, hat sich professionalisiert – und dann selbst verdaut. Heute ist er Hashtag, Marke, Identitätskit. Die moralische Leidenschaft wurde durch Postings ersetzt, die Dringlichkeit durch einen Content-Kalender. Ein falscher Tweet aus 2012 genügt, und die einstige Heldin wird zur Ausgestoßenen. Der Purismus des Progressiven duldet keinen Makel, keinen Fehltritt, keinen ironischen Zwischenton.

Widerspruch? Verdächtig. Metaebene? Verrat. Ironie? Elitär. Satire? Nur okay, wenn sie der eigenen Fraktion dient. Aus der Revolution wurde ein Regelwerk. Aus der Bewegung eine Marke. Und aus dem Widerspruch ein Karriereende.

Die ausgestreckte Hand? Abgelehnt – zu wenig Haltung. Zu viel Ambivalenz. Zu wenig Klarheit. Der Aktivismus ist kein Gespräch mehr, sondern ein Briefing. Wer sich nicht sofort zu allem positioniert, hat sich schon verdächtig gemacht. Willkommen in der Welt der moralischen Autobahnkontrollen.

Wer nicht wütend ist, hat nicht zugehört – Die Tyrannei der Betroffenheit

Gefühl ist Wahrheit. Und wer betroffen ist, hat recht. So lautet das ungeschriebene Gesetz der Diskursmoderne. Der Schmerz ersetzt das Argument, die Träne den Beweis. Wer leidet, darf diktieren, was gesagt werden darf. Wer nicht leidet – oder schlimmer: nicht glaubwürdig genug – soll besser schweigen.

Es ist kein Zufall, dass der politische Diskurs zunehmend klingt wie eine Selbsthilfegruppe im Ausnahmezustand. Man bekennt nicht mehr Positionen, sondern Verletzungen. Und wehe, jemand fragt nach Kontext, nach Differenzierung, nach Geschichte – das ist dann schon Gewalt. Rhetorisch, strukturell, vielleicht sogar emotional.

So wird aus dem Diskurs ein Minenfeld, in dem nur noch der lauteste Schmerz zählt. Die ausgestreckte Hand hat in diesem Klima keine Chance – sie ist zu leise, zu langsam, zu rational. Und Rationalität gilt als verdächtig – schließlich kommt sie oft von denen, die „nicht wirklich betroffen“ sind.

Fazit ohne Frieden – Warum der Mittelfinger bleibt, auch wenn keiner mehr hinschaut

Und so bleibt er, dieser Finger. Irgendwo zwischen Trotz, Verzweiflung und Autopilot. Keine Botschaft mehr, kein Widerstand – nur noch ein Zucken. Die ausgestreckte Hand? Zu oft verbrannt. Zu oft ignoriert. Zu oft falsch verstanden. Heute wird sie kaum noch angeboten, und wenn doch, dann misstrauisch beäugt. Ist das noch ein Dialogangebot – oder schon ein Versuch, mich zu vereinnahmen?

Was bleibt, ist ein Diskurs, der sich selbst zerschrien hat. In einer Welt, in der Widerspruch sofortige Feindschaft bedeutet, ist Verständigung eine Zumutung. Der Mittelfinger steht da wie ein Mahnmal für das, was mal möglich war. Und vielleicht – ganz leise, ganz fern – gibt es doch jemanden, der ihn irgendwann wieder einzieht. Der nicht nur Recht haben will, sondern verstehen. Nicht nur reagieren, sondern zuhören.

Bis dahin aber bleibt er stehen. In Tweets, Talkshows, T-Shirts. Und vielleicht, wenn man genau hinsieht, erkennt man darunter doch noch die Schatten einer ausgestreckten Hand. Eingeknickt, eingerostet, aber da. Noch.

Wer NAZI ruft, steht oft selbst im Wald

Es gehört heute fast schon zum guten Ton, seinem Gegenüber – vorzugsweise im Internet oder auf Demonstrationen mit bunten Pappschildern – das große N-Wort entgegenzubrüllen. Nein, nicht das eine, sondern das andere: NAZI. Es rollt leicht über die Zunge, schmeckt nach moralischer Überlegenheit und fühlt sich an wie ein geistiges Placebo, das bei jeder Form von Meinungsabweichung eingenommen wird. Und siehe da: Schon fühlt man sich wie Sophie Scholl mit WLAN.

Aber halt, einen Moment bitte! Was genau werfen wir da eigentlich rum? Wer die Nazikeule schwingt, sollte sich wenigstens einmal vergewissert haben, ob das, was er da tut, nicht in etwa so differenziert ist, wie einem Schüler der dritten Klasse „Stalin“ an den Kopf zu werfen, nur weil er bei „Mensch ärgere dich nicht“ gewonnen hat.

Denn: Wer heute anderen unterstellt, Nazi zu sein, sollte sich ehrlich fragen, ob diese Leute heute dies planen – oder irgendetwas auch nur im fernen Dunstkreis dessen. Und hier lohnt sich ein Blick auf die Hitliste der Hölle – die Greatest Hits des Dritten Reichs.

Holocaust 2.0? Wohl kaum.

Man kann es nicht anders sagen: Der Holocaust war nicht nur das brutalste, sondern auch das effizienteste Menschenschlachten der Geschichte. Es war Genozid mit Fahrplan, Völkermord mit Stempel, Ausrottung mit Durchschlagformular. Eine ganze Bürokratie versammelte sich um das Ziel, eine komplette Bevölkerungsgruppe zu vernichten – akribisch, systematisch, eiskalt. Und heute?

Heute reicht es, wenn jemand einen Tweet schreibt, der nicht sofort die korrekte Anzahl Regenbogenfarben enthält, um zum potenziellen Holocaust-Initiator erklärt zu werden. „Sprache ist Gewalt!“ hallt es aus dem Elfenbeinturm der Empörungsethik. Doch ist ein schlecht formulierter Satz wirklich gleichzusetzen mit der Rampe von Auschwitz?

Wer die Shoah in einem Atemzug mit Genderdebatten, Tempolimit oder Querdenkerdemos nennt, relativiert genau das, was er zu verteidigen vorgibt.

Angriffskrieg und globale Vernichtung: Die neue Meinungsabweichung

Der Zweite Weltkrieg – ein Werk des totalen Wahnsinns, geboren aus Größenwahn, ideologischem Irrsinn und blanker Mordlust. Über 60 Millionen Tote, ganze Länder in Trümmern, die Welt ein Friedhof. Und heute?

Heute beginnt der „neue Faschismus“ angeblich schon dann, wenn jemand gegen Waffenlieferungen nachdenkt oder bei Corona-Maßnahmen einmal fragt: „Sind wir sicher, dass das sinnvoll ist?“ Die Antwort: NEIN, du bist jetzt schon bei Stalingrad. Willkommen im Club der Wehrmachtsnostalgiker – bitte hinten anstellen, gleich neben dem Typen mit dem Bio-Hafermilch-Shaming.

Wenn jede geopolitische Diskussion gleich ein neuer Überfall auf Polen ist, dann ist bald nichts mehr kein Krieg.

Euthanasie und „Aktion T4“: Nein, dein unfreundlicher Arzt ist nicht Dr. Mengele

Die industrielle Ermordung von Menschen mit Behinderung im Nationalsozialismus war kein Akt der „Überlastung des Gesundheitssystems“, sondern Ausdruck ideologischer Entmenschlichung. Es war Mord im Namen der „Reinheit“, nicht Fehlplanung im Krankenhausbudget.

Heute aber gilt bereits ein Hinweis auf Pflegeengpässe oder die Frage, ob alles medizinisch Notwendige auch sinnvoll ist, als Einstieg in die Eugenik. Wer kritisiert, wird gleich mit dem „Lebensunwert“-Etikett versehen. Die Begrifflichkeiten werden aus ihrem Kontext gerissen, als wären sie Plastiklöffel in der Kantine der Empörung.

Ein Politiker, der die Demografie analysiert, ist nicht gleich der Reichsärzteführer.

Wer in jedem einen Nazi sieht, entlastet die echten

Die Nationalsozialisten ermordeten Menschen wegen ihrer Meinung, ihrer Herkunft, ihrer Sexualität, ihrer Religion. Sie sperrten sie ein, folterten sie, töteten sie. Punkt. Und heute?

Heute reicht es, wenn jemand sagt: „Ich sehe das anders“, um gleich als „rechtsradikal“, „faschistoid“ oder – ganz kreativ – „strukturell antisemitisch“ zu gelten. Manchmal wird sogar das Wort „Nazi“ durch Begriffe ersetzt, die gerade hipper klingen: „Rechtsoffen“, „toxisch“, „problematisch“. Allesamt Begriffe, die weniger nach KZ und mehr nach Feuilleton-Abendessen in Berlin-Mitte klingen – aber trotzdem den moralischen Baseballschläger schwingen wollen.

Wer alle zum Nazi macht, tut den echten Nazis einen Gefallen. Denn wer überall das Grauen wittert, stumpft ab für das echte. Der Unterschied zwischen einer mörderischen Ideologie und einer missglückten Äußerung wird nivelliert – und damit auch der Schrecken des Originals.

Zwangsarbeit & Menschenversuche – bitte Kontext behalten

Zwangsarbeit. Menschenversuche. Josef Mengele. Worte, bei deren bloßer Nennung sich der Magen umdreht. Und heute?

Heute werden Studien zur Maskenwirksamkeit mit KZ-Experimenten verglichen. Impfgegner sprechen von „medizinischem Faschismus“, als ob ein Piks mit Biontech dem Eisbad für Zwillingspaare gleichkäme. Man möchte ihnen zurufen: Euch hat keiner an Eisenbahnschienen gefesselt. Ihr konntet einen Aufkleber mit dem Wort „Diktatur“ auf euer SUV kleben. So sehr unterdrückt war das also nicht.

Der inflationäre NAZI-Vorwurf ist die neue Geschichtsvergessenheit

Natürlich gibt es Neonazis. Und ja, rechte Ideologien sind weiterhin eine Gefahr. Aber wenn alles Nazi ist – die Mitte, der Diskurs, der Lehrer, der falsche Witz, die falsche Meinung – dann bleibt am Ende keiner mehr übrig, der das Wort noch ernst nimmt. Und das ist brandgefährlich.

Denn das NS-Regime war keine Talkshow mit „harten Worten“. Es war Mord. Systematisch. Staatsräson. Menschenverachtung auf Gesetzesniveau. Und wenn man diesen Maßstab heute anlegt – ernsthaft –, dann sollte man ganz genau wissen, wovon man redet.

Oder man schweigt besser – bevor man zum Totengräber des historischen Gewissens wird.

Fazit in einem Satz?
Wer inflationär NAZI schreit, hat nicht verstanden, was ein Nazi war – und beleidigt damit vor allem die Opfer.

Die große Maskerade

Von der Kunst, mit Würde belogen zu werden

Es beginnt, wie alles beginnt – mit einem Lächeln. Nicht jenem warmherzigen, das einem echten Gefühl entspringt, sondern jenem geübten, kalkulierten Zucken der Mundwinkel, das sich so glatt anfühlt wie eine Pressmitteilung nach einem Korruptionsskandal. In dieser Demokratie, die sich gern als gläsernes Haus präsentiert, werden die Fenster mit Milchglas verklebt, während man uns predigt, Transparenz sei das höchste Gut – gleich nach dem Bruttoinlandsprodukt und dem Börsenwert von Rheinmetall. Die Wahrheit, so heißt es, sei ein hohes Ideal. Und wie das mit Idealen nun einmal ist: Man strebt sie an, erreicht sie nie, aber schmückt sich gern mit ihnen – wie ein Politiker mit einem Klimaversprechen im Wahlkampf oder ein Fernsehintendant mit dem Etikett „unabhängig“.

Denn wer hierzulande glaubt, er würde noch über „Fakten“ informiert, der glaubt auch, dass Lobbyisten einfach nur interessierte Bürger mit Anzug und Zugang sind. Die Informationslage ist wie ein dreifach gefilterter Latte Macchiato: geschäumt, gezuckert, dekoriert – aber letztlich hohl. Was als Nachricht daherkommt, ist oft PR in Maßanzug, geschnürt mit der Seidenschleife staatsnaher Redaktionstreue. Und das Publikum? Es sitzt da, nickt weise, klatscht gelegentlich, und bestellt die nächste Lüge im To-go-Becher. Denn was soll’s – Hauptsache, sie ist schön verpackt.

Wahrheit als Altlast: Warum Aufklärung nur in Museen stattfindet

Man stelle sich für einen Moment vor, es gäbe eine Art fossile Wahrheit, archäologisch konserviert, aus einer Zeit, in der Worte noch Gewicht hatten und Politiker gelegentlich aus Scham zurücktraten, statt sich mit einem LinkedIn-Post für ihre „neue spannende Herausforderung in der Wirtschaft“ zu feiern. Diese Wahrheit, einst hoch gehandelt wie Gold oder Anstand, liegt heute in den Kellern der Archive, versteckt zwischen Regierungsprotokollen und geleakten E-Mails, und ist ungefähr so präsent im öffentlichen Diskurs wie ein unbequemer Historiker in der Talkshowrunde mit fünf Spin-Doktoren.

Wer die Wahrheit heute ausspricht, gilt entweder als Träumer, Verschwörungstheoretiker oder Kabarettist. Letzteres ist dabei die angenehmste Variante – denn wer als Satiriker lügt, darf das, weil er es ja „nicht ernst meint“. Wenn aber ein Whistleblower mit ernster Miene ans Mikro tritt, wird er entweder ausgelacht, diffamiert oder nach Moskau verbannt – ironischerweise in jenes Land, das im Westen als Hochburg der Propaganda gilt. Was für ein köstliches Paradoxon: Der Westen feiert seine Pressefreiheit wie ein Veganertreffen eine Bio-Sojawurst, während Julian Assange in einer fensterlosen Zelle langsam zu Staub zerfällt.

Die Lüge als Systemkomponente: Über das tägliche Theater der Täuschung

Die Lüge ist nicht das Gegenteil der Wahrheit – sie ist ihre notwendige Ergänzung. In einem System, das von permanentem Widerspruch lebt – Wirtschaftswachstum gegen Klimaschutz, Freiheitsrechte gegen Überwachung, soziale Gerechtigkeit gegen Shareholder Value – braucht es die Lüge wie das Orchester den Dirigenten: zur Koordination des Unvereinbaren. Der moderne Staat ist dabei weniger Leviathan als vielmehr Maskenball: Jeder spielt seine Rolle, alle wissen, dass es ein Spiel ist, aber wehe, jemand reißt sich die Maske herunter – das wäre unschicklich.

Die Politiker lügen, weil sie müssen. Die Medien lügen, weil sie sollen. Und das Volk? Das lügt sich selbst an, weil es will. Denn nichts ist angenehmer, als in der bequemen Illusion zu verharren, man sei informiert, frei und beteiligt – während man in Wahrheit lediglich zwischen Pest, Cholera und FDP wählen darf. Demokratie ist zu oft das Angebot, sich die Farbe der Handschellen auszusuchen, mit denen man sich an das Narrativ der Zeit kettet. Und wehe, jemand stellt die falsche Frage – etwa, warum Rüstungsausgaben plötzlich „Sicherheitsinvestitionen“ heißen oder warum Grundrechte immer genau dann „diskutabel“ werden, wenn man sie gerade bräuchte.

Fazit ohne Fazit: Oder warum Ironie die letzte Zuflucht des Realisten ist

Es ist vielleicht kein Wunder, dass Ironie die bevorzugte Stilfigur der Gegenwart ist. Wer noch bei Verstand ist, kann das Weltgeschehen nur mit einem Augenzwinkern betrachten – oder mit einem Nervenzusammenbruch. Zwischen Talkshows, die inhaltsleerer sind als die Wahlprogramme ihrer Gäste, und Expertenrunden, in denen die Wirklichkeit wie ein lästiger Zwischenrufer weggemoderiert wird, bleibt dem denkenden Menschen nur eine Option: die Flucht nach vorn, ins Zynische.

So sitzen wir also hier, alle miteinander, in einem grotesken Kabinett der Widersprüche, heben unser Glas auf die „Faktenlage“ und schmunzeln über die „objektive Berichterstattung“, während wir uns im Flimmerlicht des nächsten Skandals wärmen. Vielleicht, nur vielleicht, sind wir ja gar nicht Opfer der Lügen – sondern ihre stillen Komplizen. Weil es einfacher ist, belogen zu werden, als hinzusehen. Und bequemer, die Wahrheit zu belächeln, als sie zu ertragen.

Verschont mich mit Euren Predigten!

Ich will Wein trinken und Wasser predigen.

Wie oft muss man es denn noch sagen, wie oft muss man die moralingeschwängerten Nebelschwaden zerreißen, die sich wie ein muffiger Vorhang aus feuchtem Filz über jede Diskussion legen, bis auch der Letzte merkt, dass hier nicht argumentiert, sondern bekehrt werden soll? Ihr mögt Eure Predigten für ethisch wertvoll halten, für zivilisatorische Höchstleistungen in der Tradition Kants und Konsorten, doch in Wahrheit seid ihr nur wandelnde Lautsprecher der Selbstgefälligkeit, die von der Kanzel herab röhren, während sie mit der anderen Hand das Buffet plündern. „Authentizität“ ruft Ihr, doch keiner von Euch würde freiwillig ein Wochenende ohne WLAN in einem Zelt am Stadtrand verbringen, selbst wenn Greta persönlich die Isomatte signiert hätte. Und ich? Ich möchte Wein trinken. Einen schweren, tiefdunklen, sündhaft teuren Bordeaux – während ich mit vollgeschmiertem Mund über die Tugend schwadroniere. Einverstanden? Nein? Umso besser.

Die Moral als Modediktat – oder: Die veganen High Heels der Gesinnung

Moral, meine Lieben, ist längst nicht mehr das, was sie mal war. Früher wurde sie sonntags zwischen Schweinsbraten und dem evangelischen Kirchenlied verabreicht, heute kommt sie in ökologisch abbaubaren Verpackungen aus dem Co-Working-Space. Man trägt sie wie ein Accessoire, stilistisch zwischen Latte Macchiato und Gendersternchen angesiedelt, und glaubt ernsthaft, sie verleihe dem Träger eine Aura von Welterlösung. Die neue Moral ist kein innerer Kompass, sie ist eine Image-Kampagne mit Corporate Design und passenden Instagram-Filtern. Wer mit ihr nicht konform geht, wird nicht mehr diskutiert, sondern abgesägt, gecancelt, digital geschreddert. „Du isst Fleisch?“ fragt man mich mit dem Entsetzen einer Operndiva, der man die Arie gestrichen hat. „Ja“, sage ich, „und ich genieße es mit einer Flasche Pinot Noir, während ich über die Klimakrise lamentiere.“ – Widerspruch ist der letzte Luxus.

Der Pharisäer 2.0 – oder: Likes statt Himmelreich

Die neuen Pharisäer tragen kein Talar mehr, sondern Fair-Fashion und Selbstzufriedenheit. Ihre Bibel ist ein Twitter-Thread, ihre Sakramente die Reposts der Gleichgesinnten. Sie brauchen kein Jenseits, denn ihr Paradies ist die algorithmisch gestützte Echokammer. Dort singen sie sich gegenseitig die Psalmen der Haltung, des Aktivismus, der korrekten Sprache – und wehe dem, der einen Ton zu tief gerät. Wer differenziert, wird als unrein gebrandmarkt. Wer ironisch ist, als zynisch verworfen. Wer zweifelt, ist verdächtig. Die neuen Moralisten predigen nicht, um zu bessern, sondern um zu glänzen. Tugend ist ihr Statussymbol, der Balken im Auge des anderen ihre Lieblingswaffe. Und ich? Ich streue Salz in die Wunde und trinke einen weiteren Schluck. Santé!

Die heilige Empörung – oder: Die Guillotine der Gefühle

Empörung ist die Liturgie der Gegenwart. Mit der Inbrunst mittelalterlicher Inquisitoren stürzt man sich auf jede Abweichung, auf jedes Wort, das nicht durch sämtliche Filter der Empfindlichkeitsindustrie gelaufen ist. Die Vergehen sind klein, die Strafen groß – eine falsch platzierte Pointe kann Existenzen kosten. Satire? Nur noch in Sicherheitsabstand. Ironie? Ein Fall für den Ethikrat. Was bleibt, ist eine Zivilgesellschaft unter Dauerüberwachung der eigenen Gefühle, ein hysterisches Theater, in dem jeder Zuschauer auch Kritiker und Henker ist. Ich hingegen – mit glasigem Blick und fettigen Fingern – applaudiere laut und langsam. Denn nichts entlarvt die Bigotterie der Tugendwächter besser als der ungefilterte Exzess. Wer Wasser predigt, darf ruhig ein bisschen rotweinselig sein. Alles andere wäre – nun ja – unehrlich.

Klimaretter mit Kerosinsucht – oder: Die Business-Class der Besserwisser

Wie oft muss man eigentlich über den Atlantik jetten, um genug Karma zu sammeln, dass einem die persönliche CO₂-Bilanz wie ein rein gewaschenes Tischtuch erscheint? Wer heute ein „Klimaretter“ sein will, sollte entweder fliegen, wie Greta – per Segelschiff, medienwirksam – oder gleich in Business Class mit der Überzeugung, dass man ja schließlich einen veganen Snack gewählt hat, reisen. Denn das ist das neue Ablassmodell: Wer genug Hafermilch trinkt, darf auch am Wochenende nach Marrakesch. Ein bisschen CO₂ hier, ein paar Kompensationszertifikate da – schon ist das ökologische Gewissen reingewaschen wie eine Stewardess-Uniform am Layover-Sonntag.

Diese Leute, die in Yogahosen aus recyceltem PET-Plastik am Flughafen loungen, erzählen dir bei einem Glas Fairtrade-Wein, dass wir dringend unser Verhalten ändern müssen – und dabei meinen sie natürlich: deins, nicht ihres. Sie selbst sind ja „nur beruflich unterwegs“, und dass das Business-Event auf Bali stattfand, sei „leider nicht zu vermeiden“ gewesen. Ich hingegen schiebe mir ein blutiges Steak rein und lache laut, weil wenigstens ich weiß, dass ich ein Heuchler bin – was schon mehr ist, als man von der Mehrheit der moralhygienischen Vielflieger behaupten kann. Klimaretter mit Jetlag – das sind die neuen Missionare der Doppelmoral.

Selbstoptimierung als neue Religion – oder: Beten mit Proteinshake

Früher kniete man in der Kirche, heute beugt man sich im Fitnessstudio. Der Unterschied? Keiner, außer dass die modernen Gläubigen mehr Selfies machen. Die Religion der Gegenwart heißt Selbstoptimierung, und ihr Katechismus lautet: Du sollst immer besser werden – fitter, fokussierter, effizienter. Meditation ersetzt das Abendgebet, Cold-Plunges das Taufbecken, und der persönliche Coach ist der neue Beichtvater. Gesündigt wird nicht mehr durch Ehebruch, sondern durch Gluten.

Diese neue Religion duldet keine Häretiker: Wer nicht mindestens 10.000 Schritte pro Tag macht, seinen Cortisolspiegel misst und intermittent fastet, wird aus der Gemeinde der Selbstverbesserung verstoßen – oder schlimmer: ignoriert. Dabei ist das Ziel nicht etwa Erlösung, sondern ein Sixpack und eine makellose Morgenroutine, die man in einem Podcast ausbreiten kann. „Ich stehe um 4:45 Uhr auf, trinke einen Liter Zitronenwasser, schreibe meine Dankbarkeitsliste und lese 20 Minuten stoische Philosophie.“ – Na herzlichen Glückwunsch. Ich stehe um zehn auf, fluche beim Zähneputzen und lese Nietzsche – mit Kater. Und rate mal, wer glücklicher ist?

Denn im Streben nach Selbstperfektion bleibt eines auf der Strecke: das Menschliche. Die Fehler, die Exzesse, das Scheitern – kurz: alles, was das Leben lebenswert macht. Ich trinke lieber zu viel, als dass ich mich zu Tode optimiere. Und wenn ich dabei eine Falte mehr bekomme? Dann ist sie wenigstens echt.

Epilog mit Restalkohol – oder: Der letzte Toast auf die Doppelmoral

Lasst mich in Ruhe mit Euren To-Do-Listen fürs gute Leben, mit Euren achtsamen Ratschlägen und den mantrahaften Wiederholungen dessen, was heute als „richtig“ gilt. Ich will sündigen, schwanken, schlingern – und gleichzeitig das Hohelied der Vernunft singen, mit vollem Mund, schlechtem Timing und einem leichten Rülpser zum Schluss. Denn nur wer sich seiner eigenen Widersprüchlichkeit bewusst ist, darf überhaupt noch den Mund aufmachen. Die anderen sollten besser schweigen – oder wenigstens vorher das Glas heben.

Prost!

Wenn Erinnerungspolitik zum Schulaufsatz mutiert

Es gibt Ereignisse, deren Symbolkraft so monumental ist, dass selbst die Berliner Bürokratie sie nicht völlig in einer Excel-Tabelle wegfiltern kann. Der 8. Mai – das offizielle Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, die Kapitulation Nazideutschlands, die Stunde null, der Tag, an dem das Grauen, der industrielle Mord, das flächendeckende Elend offiziell gestoppt wurde – gehört dazu. Und wenn man einen solchen Tag feiert (Entschuldigung, gedenkt!), dann sollte man sich wohl ein wenig zusammenreißen, denkt man. Ein bisschen Contenance. Ein bisschen Würde. Ein bisschen historische Verantwortung.

Aber wir leben ja bekanntlich in Zeiten, in denen Würde inflationär durch Hashtags ersetzt wird. Also kam jemand auf die glorreiche Idee, zum 80. Jahrestag des Kriegsendes nicht alle Sieger dieses Krieges einzuladen. Genauer: Man lud explizit die diplomatischen Vertreter Russlands und Weißrusslands aus. Nicht einfach ignoriert, nein – ausgeladen. Wie ein pöbelnder Onkel auf einer Hochzeit, der die Braut einst sitzenließ. Mit maximaler Geste. Mit ernster Miene. Und, natürlich, mit dem üblichen Pathos, das deutsche Politiker entwickeln, wenn sie mit empörter Stimme von der Weltbühne herab ein „Zeichen setzen“.

Man fragt sich, ob irgendwann die ganze Republik einfach in ein riesiges Schild verwandelt wird. „Hier wird ein Zeichen gesetzt.“ Drunter: ein QR-Code, der zu einer flammenden Bundestagsrede führt. Authentisch wie ein Werbespot für Zahnzusatzversicherungen.

Was ist Geschichte, wenn man sie sich passend zusammenschneidet?

Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang: Deutschland, das Land, dessen Hauptstadt 1945 vor allem von sowjetischen Soldaten befreit (oder – je nach Gusto des Geschichtsbuchs – erobert) wurde, lädt 80 Jahre später den Nachfolger jenes Staates aus, der dabei den größten Blutzoll zahlte. Über 25 Millionen Tote. Ein Großteil davon Zivilisten. Ganze Landstriche verbrannt. Städte ausradiert. Familien zerfetzt. Und als Dank dafür: Tür zu. Einladung entzogen. „Sorry, passt gerade nicht ins Narrativ.“

Natürlich, es geht um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Natürlich, Putin ist ein Autokrat, der Völkerrecht bricht und Propaganda zu seiner Religion erhoben hat. Kein vernünftiger Mensch würde das relativieren wollen. Aber – und jetzt kommt das große, böse ABER, vor dem deutsche Moralisten gerne panisch zurückzucken wie Vampire vor Knoblauch – darf man die Geschichte deswegen umetikettieren? Darf man mit der Nagelfeile der Gegenwart an den historischen Tatsachen herumschaben, bis sie wieder ins ästhetische Fenster der aktuellen Bundesregierung passen?

Der sowjetische Soldat, der 1945 in Berlin fiel, war kein Parteigänger Putins. Er hatte kein Twitter-Account, auf dem er Desinformation verbreitete. Er war ein Mensch, der in einem brutalen Krieg gegen ein noch brutaleres Regime kämpfte. Und der jetzt offenbar – diplomatisch gesprochen – von seinem eigenen Andenken ausgeladen wurde.

Gedenken mit Schaum vor dem Mund

Natürlich, das Ganze ist auch eine mediale Inszenierung. Und wir Deutschen lieben unsere Inszenierungen. Insbesondere, wenn sie in Anzügen stattfinden und Sätze beinhalten wie: „Wir stehen fest an der Seite der Ukraine“ – eine Formulierung, die inzwischen so oft recycelt wurde, dass man sie vermutlich bald auf nachhaltigem Karton gedruckt in jedem Bioladen kaufen kann.

Der Ausschluss der russischen und weißrussischen Botschafter ist kein diplomatischer Fauxpas – das wäre zu harmlos –, sondern ein kalkulierter Affront. Ein politisches Schauspiel, bei dem man sich am liebsten selbst applaudieren würde, während man auf einem Mahnmal tanzt. Es geht nicht mehr um Gedenken, sondern um Geltung. Nicht um Versöhnung, sondern um Verwertung. Wer Geschichte heute nicht instagramkompatibel verpacken kann, wird eben gelöscht. Oder ausgeladen. Oder – im besten Fall – einfach totgeschwiegen.

Der Staat als moralischer Erzieher mit Gedächtnislücke

Was bleibt also von dieser Form des Gedenkens? Eine Art schulmeisterliche Pädagogik, bei der sich die Regierung als moralischer Oberlehrer geriert und der Welt erklärt, was man aus der Geschichte zu lernen habe – wohlgemerkt: aus einer selektierten Geschichte, zusammengeschnitten mit der Effizienz eines Imagevideos.

Es ist eine Form von Erinnerungskultur, die weniger an Kultur erinnert als an ein schlecht moderiertes Talkshowpanel: laut, selbstgerecht, vergesslich. Der historische Kontext wird nicht mehr mühsam erarbeitet, sondern passend gebogen. Wenn’s nicht passt – wird’s ignoriert. Oder, im Fall russischer Diplomaten: rausgeschmissen. Die eigene moralische Überlegenheit fühlt sich eben am besten an, wenn man keine Gegenstimmen im Raum hat.

Fazit: Man kann sich auch zu Tode erinnern – solange es dem Zeitgeist gefällt

Am Ende bleibt eine bittere Ironie: Ausgerechnet Deutschland, dessen Schuld am Zweiten Weltkrieg unauslöschlich in den Annalen steht, maßt sich an, bei der Gedenkfeier zum Kriegsende selektiv zu kuratieren, wer als würdig gilt, anwesend zu sein. Ausgerechnet das Land, dessen Hauptstadt durch sowjetisches Blut befreit wurde, erklärt dem diplomatischen Vertreter der Sowjetnachfolge den Zugang zur Erinnerung für unzumutbar.

Das ist kein „Zeichen“, das ist eine Kapitulation – vor dem eigenen Anspruch, Geschichte ehrlich, komplex und würdig zu behandeln.

Aber hey – vielleicht gibt’s ja nächstes Jahr ein neues Gedenkformat: Nur mit den „guten“ Mächten. Mit moralischem TÜV-Siegel. Ohne lästige Ambivalenzen. Hauptsache, es gibt Häppchen.

Und ein Gruppenfoto mit Kanzlerlächeln. Hashtag: #NieWieder.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr satirisch-gedächtnisbewahrender Erinnerungsbeauftragter.

Osterbotschaft

Es ist wieder so weit: Osterzeit. Der Stein ist weggerollt, der Tod wurde besiegt, der Himmel ist offen, und der Pfarrer zwitschert auf der Kanzel wie ein verliebter Spatz. Christus ist auferstanden, ruft er – und die Gemeinde murmelt es zurück, mit der Inbrunst eines abgelaufenen Teebeutels im dritten Aufguss. Halleluja. Ein weiteres Kirchenjahr hangelt sich am liturgischen Gerüst entlang, und irgendwo in der Mitte dieses österlichen Hochgefühls steht ein Satz, so kurz wie gewaltig, so einfach wie revolutionär: „Fürchtet euch nicht!“ Ein Engel spricht ihn aus, in der Morgendämmerung eines Grabgartens, zwischen Erdbeben, blitzendem Gewand und einem leeren Felsloch. Doch statt dass dieser Satz unsere Gegenwart durchdringt wie ein grelles Osterlicht durch modrige Keller, ist er zum frommen Wandschmuck verkommen, zur Kalenderspruch-Melasse auf Pastellhintergrund, weichgespült wie ein Bischof in der Talkshow. Dabei ist es kein Trostpflaster, das der Engel da verteilt, sondern ein Befehl. „Fürchtet euch nicht!“ – das ist keine Einladung zur inneren Balance. Das ist der Auftakt zur Revolte.

Die Angst als Geschäftsmodell

Denn was wäre der Mensch ohne Angst? Ein freier, mündiger Bürger vielleicht – ein Albtraum für jede Versicherung, jede Kirche, jeden Innenminister. Die Angst ist die Währung, in der moderne Gesellschaften ihre Ordnung sichern: Angst vor dem Fremden, Angst vor dem Klimawandel, Angst vor dem Virus, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, der Liebe, des WLANs. Und hinter jeder Angst lauert ein Prophet des Status quo, der uns zur Anpassung mahnt, zur Unterwerfung ruft, uns mit säuselndem Tonfall beibringt, dass „Verzicht“ eigentlich nur ein anderes Wort für „solidarisches Handeln“ ist, während das Großkapital sich am Angstschweiß der Massen die Taschen vollschlägt. Die Osterbotschaft ist dagegen der größte anarchistische Akt der religiösen Überlieferung: Der Tod hat keine Macht mehr, also auch die Angst nicht – und wer sich nicht mehr fürchtet, der ist unregierbar. Ein gefährlicher Gedanke. Kein Wunder, dass man ihn lieber weichzeichnet, inszeniert mit Harfengeklimper und Tulpenvasen.

Widerstand ist zwecklos – sagen die, die fürchten, dass er nicht ist

„Widersteht!“ – das wäre der logische Nachsatz zum osterlichen „Fürchtet euch nicht“. Aber genau dieser Nachsatz fehlt in den Predigten. Stattdessen wird Ostern zum Fest des Wohlverhaltens verklärt. Da feiern wir das Aufstehen des Einen, während wir kollektiv sitzenbleiben – auf unseren Sofas, unseren Komfortzonen, unseren Privilegien. Widerstand? Ach, das überlassen wir den Nostalgikern mit Antifa-Aufklebern und den letzten überlebenden Hippies in Waldhütten. Der brave Christ von heute – sozialverträglich und integrationsfähig – klatscht höchstens dann Beifall, wenn Greta Thunberg auftritt, solange sie dabei nicht den Sonntagsbraten verbietet. Und wer ernst macht mit dem „Widersteht!“ – der landet schneller unter Beobachtung als ein Reichsbürger mit Aluhut. Die paradoxe Pointe: Die Auferstehung wird gefeiert, aber nicht nachgeahmt. Man betrachtet sie wie einen Zaubertrick – faszinierend, aber nicht zur Nachahmung empfohlen. Jesus als spirituelle Attraktion, nicht als revolutionäres Vorbild.

Kirche als Placebo – fromm dosiert, hoch ineffektiv

Natürlich, es gibt Ausnahmen. Einzelne Pfarrerinnen, Theologinnen, Aktivisten, die sich nicht mit einer dekorativen Rolle begnügen. Aber sie sind die Minderheit – die rebellischen Fische im Weihwasser. Die offizielle Kirche hingegen – egal ob katholisch mit Goldkragen oder protestantisch mit Gendersternchen – hat sich längst häuslich eingerichtet im Schoß der Macht. Man streichelt die Wunden der Welt mit liturgischen Salben, verordnet Seelsorge statt Systemkritik, verteilt Brocken von Spiritualität, aber schweigt zu den Ursachen der Angst. Kein Wort zu Rüstungsexporten an Diktaturen, kein Aufschrei zu asylpolitischer Grausamkeit, kein Aufbegehren gegen die neoliberale Durchökonomisierung der Existenz. Hauptsache, die Kollekte stimmt und der Gemeindebrief erscheint pünktlich. Die Kirche ist vielerorts kein Raum des Widerstands mehr, sondern der Kompensation – eine seelische Tankstelle, betrieben von gutmeinenden Angestellten Gottes, die Angst zu therapieren versuchen, anstatt sie zu entlarven.

Auferstehung als Zumutung

Die eigentliche Zumutung von Ostern ist nicht der leere Grabstein, sondern der volle Anspruch: Wenn der Tod überwunden ist, dann verliert jede Ausrede ihre Kraft. Dann kann niemand mehr behaupten, es gäbe keinen Sinn, kein Ziel, kein Danach. Dann wird Glaube nicht mehr zur Flucht, sondern zur Herausforderung. Und wer sich nicht fürchtet – wirklich nicht – der ist bereit, alles zu riskieren: Besitz, Status, Karriere, selbst das eigene Leben, wenn es sein muss. „Fürchtet euch nicht!“ – das ist ein Ruf zur Unverhandelbarkeit der Wahrheit. Ein Aufruf zur Verweigerung gegenüber allen Systemen, die vom Menschen nur die produktive Funktion erwarten, nicht sein ganzes, widerspenstiges, aufbegehrendes, göttlich begabtes Ich.

Der unbequeme Poet

Peter Handke und die Pflicht zum Widerspruch

Es gibt Schriftsteller, die schreiben, um geliebt zu werden. Und es gibt jene, die schreiben, weil sie es müssen – aus einer inneren Notwendigkeit heraus, die sich weder durch Applaus noch durch Empörung aufhalten lässt. Peter Handke gehört unzweifelhaft zur zweiten Kategorie. Er ist kein Autor der Konzessionen, kein Intellektueller, der sich vom Zeitgeist treiben lässt, sondern einer, der mit poetischer Entschlossenheit gegen das Rauschen der Meinungen anschreibt. Dass dieser Mann, der sich weigert, sich vor der Heiligen Kuh „Demokratie“ zu verneigen, wie es ihm Medien und Politik eintrichtern wollen, immer wieder Empörung auslöst, ist weniger ein Skandal als vielmehr ein Beweis dafür, wie wenig Raum der gesellschaftliche Diskurs heute noch für wirkliche Abweichung lässt. Handke stört. Und das ist gut so. Denn wo niemand mehr stört, ist es mit der Literatur nicht mehr weit her.

„Ich schreibe nicht, um zu urteilen. Ich schreibe, um zu zeigen.“
(Die Lehre der Sainte-Victoire, 1980)

Das Wort “Demokratie” und seine Entleerung

„Ich kann das Wort Demokratie nicht mehr ausstehen“ – ein Satz, der wie ein Hammerschlag wirkt, und dessen Echo sich in der Erregung der Debatten spiegelt. Doch wer diese Aussage vorschnell als demokratiefeindlich abtut, hat entweder Handkes Werk nicht gelesen oder seine Denkweise nie wirklich verstanden. Was Handke meint, ist nicht die Demokratie im ureigenen Sinne – die Herrschaft des Volkes, getragen von Recht und Teilhabe –, sondern das Schlagwort, das zur bloßen Floskel verkommen ist. Der Begriff, einst geladen mit revolutionärer Hoffnung und Gestaltungskraft, wird heute in politischen Sonntagsreden heruntergeleiert, um Machtverhältnisse zu zementieren, nicht zu hinterfragen. In diesem Sinne ist Handkes Kritik ein Aufschrei gegen die Selbstzufriedenheit eines Systems, das seine eigene Unantastbarkeit predigt, während es im Innersten von der Auflösung gelebter Demokratie bedroht ist.

„Was gesagt wird, ist nicht das, was ist. Aber wenn nichts gesagt wird, ist nichts.“
(Versuch über die Müdigkeit, 1989)

Die kleinen Diktaturen des Alltags

Wenn Handke sagt, Frankreich sei eine Demokratie voller kleiner Diktaturen, dann beschreibt er eine Realität, die viele spüren, aber nur wenige benennen dürfen. Die Bürokratisierung des Lebens, das Regime der Sprache, die Regeln der politischen Korrektheit, der Imperativ zur moralischen Haltung – all dies sind Erscheinungsformen jener subtilen Macht, die nicht durch offene Gewalt, sondern durch die Normierung des Denkens herrscht. Die Diktatur der Gewissheiten, die in sozialen Medien ihre inquisitorische Kraft entfaltet, lässt dem Andersdenkenden kaum noch Raum zum Atmen. Und darin liegt das Tragische: Denn wo die Meinungsfreiheit sich in einen Konsenszwang verwandelt, verliert auch der Protest seinen Ort.

„Die wahren Diktaturen erkennt man nicht an den Uniformen, sondern an der Sprache.“
(Noch einmal für Thukydides, 1990)

Der Krieg in der Ukraine: Ein anderer Blick

Handkes Einschätzung des Ukraine-Kriegs mag vielen als Zumutung erscheinen. Doch Literatur ist nicht dazu da, das Sagbare zu wiederholen, sondern das Verdrängte ins Licht zu zerren. Wenn Handke sagt, der Krieg sei vermeidbar gewesen, dann spricht daraus nicht Russophilie oder Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Ukrainer, sondern ein tiefes Misstrauen gegenüber den Narrativen der Macht. Er insistiert auf einer Sichtweise, die nicht von medialen Schlachtfeldern diktiert ist, sondern vom Zweifel getragen wird – dem Zweifel an der Klarheit von Schuld und Unschuld, von Aggressor und Opfer.

„Wenn ich nur noch sagen kann, was alle sagen, dann bin ich keiner mehr.“
(Das Gewicht der Welt, 1977)

Sein Mitgefühl gilt dem Volk – nicht dem politischen Spektakel. Und das ist in unserer Gegenwart vielleicht die radikalste Form des Humanismus.

Der letzte Zeuge der Weltverzweiflung

„Zehn Prozent Akkuladung“ – diese Metapher für den Zustand der Welt zeugt von einer melancholischen Hellsicht, die Handkes Spätwerk zunehmend durchzieht. Er spricht nicht mehr als junger Empörer, sondern als alter Zeuge. Der Furor ist der Klarsicht gewichen, das Pathos der Stille. Doch die Wucht seiner Worte ist geblieben. Handke fühlt das Ende – nicht nur des politischen Diskurses, sondern einer ganzen kulturellen Epoche. Der Welt geht die Energie aus, weil sie sich selbst nicht mehr spürt. Weil sie sich im Lärm ihrer eigenen Technologien verliert und dabei ihre poetische Substanz aufzehrt.

„Es war eine Zeit, da schien alles noch vor mir zu liegen. Jetzt liegt alles hinter mir, und ich sehe deutlicher.“
(Mein Jahr in der Niemandsbucht, 1994)

Literatur als Ort der Unversöhnlichkeit

Peter Handke hat nie versucht, ein politischer Ratgeber zu sein. Er ist auch kein Philosoph, der Systeme entwirft. Seine Aussagen sind Bruchstücke eines Weltgefühls, Fragmente einer inneren Unruhe. Wer sie auf ihre politische Korrektheit hin prüft, verkennt ihren Ursprung. Handke spricht aus dem Zwischenraum – zwischen Gefühl und Sprache, Wahrnehmung und Denken. Er ist ein Unzeitgemäßer, weil er nicht gefallen will. Und das ist seine größte Stärke. Die Literatur lebt nicht von Konsens, sondern vom Riss.

„Ich will nicht recht haben. Ich will sehen.“
(Versuch über den geglückten Tag, 1991)

Handke ist einer der letzten, die dieses Ringen noch wagen – kompromisslos, sprachgewaltig, sperrig. Man muss ihn nicht lieben. Aber man muss ihn ernst nehmen. Denn wer ihn zum Schweigen bringen will, stellt nicht nur einen Menschen kalt – er verrät die Idee der Literatur selbst.

Green giants: Bamboo & hemp – the super plants of sustainability

In a world that is increasingly looking for ecological solutions, two ancient plants are becoming the focus of modern innovation: bamboo and hemp. What characterises them is not only their amazing versatility, but also their impressive environmental footprint. From buildings to textiles to fuels, these green giants could be the materials of tomorrow. Let’s take a closer look at their capabilities and potential applications.

Bamboo: The turbo waxer with the power of steel

Fast as lightning – growing in the fast lane

Bamboo is a true botanical wonder. The fastest species can grow up to 91 cm per day – that’s almost a metre within 24 hours! This makes bamboo one of the fastest growing plants in the world.

By comparison, an average tree such as an oak takes over 50 years to reach harvest maturity. Bamboo, on the other hand, is ready for harvest in 3 to 5 years – without having to be replanted, as it grows back from the same root system.

Stronger than steel? Yes, really!

An often quoted, almost unbelievable fact: certain types of bamboo have a tensile strength of up to 28,000 PSI (pounds per square inch) – which is higher than some types of steel. This property makes it an extremely resilient material in the construction industry.

A practical example:

In parts of Asia, entire bridges are built from bamboo that can easily carry cars. Earthquake-resistant houses in Nepal and Indonesia also use bamboo as a load-bearing element – light, flexible and super-strong.

From architecture to everyday life: bamboo in use

  • Houses: Modern architects are increasingly focussing on bamboo as a sustainable alternative to concrete or steel. It can be bent, glued and processed into panels.
  • Furniture: From designer chairs to kitchen tables – bamboo not only looks elegant, it is also durable and robust.
  • Clothing: Bamboo fibres can be processed into soft, breathable fabric that is antibacterial and odour-inhibiting. Ideal for underwear or sportswear.

Hemp: The forgotten all-rounder returns

More than just „green“ – hemp as an industrial plant

Hemp has a somewhat disreputable image – wrongly so! Industrial hemp contains hardly any THC (the psychoactive element) and is above all one thing: incredibly versatile.

From paper for the American constitution to ropes for ships and bricks for houses – hemp has been a reliable raw material for centuries.

Record holder in terms of fibre production

Did you know that hemp produces four times as many fibres as cotton on the same surface area? It also requires 80 % less water and no pesticides – a real ecological advantage.

Exemplary applications:

  • Textiles: Hemp fibres are tear-resistant, breathable and antibacterial. They are used for jeans, shoes and even bags. Hemp is also becoming increasingly popular for outdoor clothing.
  • Bioplastics & composites: Car companies such as BMW and Mercedes use hemp fibres as a lightweight construction material in door panels.
  • Construction industry: Climate-friendly, breathable walls can be built with „hempcrete“ – CO₂-binding and mould-resistant.
  • Biofuel: Biodiesel can be produced from hemp seed oil. Although hemp is not yet widely used, it has enormous potential for the future.

Bamboo & hemp in comparison – the super plants in a duel

CriterionBambooHemp
GrowthUp to 91 cm/day3-4 months until harvest
Fibre productionHigh (but less than hemp)4x more fibres than cotton
Areas of applicationConstruction, furniture, clothing, paperTextiles, building materials, fuel, plastics
SustainabilityNo fertilisers, binds CO₂No pesticides, CO₂-negative
Special featuresTensile stronger than steel, very flexibleExtremely versatile, biodegradable

Vision of the future: living with super plants

Imagine a house built on a foundation of hempcrete, with bamboo walls and furniture. The clothes you wear are made of breathable bamboo fibre, your bag is made of hemp fabric. And your car? Partly built from hemp composites, fuelled by biodiesel made from hemp seed oil.

What sounds like a utopia is already a reality in parts – and could become the standard if we continue to focus on sustainable alternatives to conventional materials.

Conclusion: eco-warriors with a future

Bamboo and hemp impressively demonstrate that the solutions to many environmental problems are already growing – literally. With their wide range of applications, environmental friendliness and efficiency, they are not just green, they are ingeniously green.

16% ist das neue 51%

In einer Welt, in der politische Entscheidungen oft in hohlen, altbekannten Rhetoriken ertrinken und die Wahlergebnisse wie ein endloses, sich wiederholendes Mantra das politische Leben dominieren, gibt es eine neue, schockierende Erkenntnis: Demokratie, so wie wir sie kennen, ist, wenn die Mitglieder einer Partei, die lediglich 16% der Stimmen erhalten hat, über Kanzler und Regierung entscheiden. Doch Moment – war das nicht immer schon so? Ist das nicht der wahre Kern der Demokratie? Ist das nicht die erhabene Weisheit der Mehrheit, die sich in der Kunst des parlamentarischen Feilschens, des erbitterten Taktierens und der heiligen Koalitionsverhandlungen manifestiert? Eine gewisse Ironie lässt sich dabei nicht leugnen, denn wie könnte etwas, das als „Volksvertretung“ bezeichnet wird, in Wahrheit zu einer so grotesken Farce verkommen? Nun, wie dem auch sei – in dieser Entfremdung von jeglicher politischen Vernunft, in der Demokratie nicht mehr als die summierte Rechnung aus politischem Kalkül und Selbstinteresse ist, wird die Vorstellung, dass eine 16%-Partei ein derart fundamentales Machtspiel gewinnt, zu einer bitteren Satire. Und das mit einem Augenzwinkern, versteht sich.

Die Elite der Minderheit: Wer regiert, wenn die Masse schweigt?

Natürlich wird nun der ein oder andere Leser schockiert den Kopf schütteln. 16 Prozent? Das muss ein Fehler sein! Wer möchte schon von einer Partei regiert werden, die eine derart marginale Wählerschaft repräsentiert? Und doch, in diesem modernen Moloch der Politik, in dem sich mehr Koalitionen bilden als in einem Wall Street Büro, sind 16% das neue 51%. Wer hätte gedacht, dass wir irgendwann in einer Ära leben würden, in der nicht nur Minderheitsregierungen zur Norm gehören, sondern auch die schwindende Macht der Wählerstimmen in ein kollektives politisches Märchen verwandelt wird? Politiker, die uns einst als die „Stimmen des Volkes“ verkauft wurden, sind längst zu den Priestern des parlamentarischen Tempels geworden, die die geheime Sprache der Hinterzimmerverhandlungen sprechen. Doch wer hört auf die Stimme des Volkes, wenn das Volk sich überfordert fühlt und den Glauben an die wahre Demokratie längst verloren hat?

Es ist an der Zeit, sich eingehend mit der Art von Demokratie auseinanderzusetzen, die sich durch das seltsame und teils verwirrende Zusammenspiel von Partikularinteressen und „politischen Realitäten“ manifestiert. Die „Realität“ besagt, dass, während 84% der Wähler ihre Präferenzen auf verschiedene Parteien aufteilen, der Rest der politisch Begabten – wir sprechen hier von der „16%-Fraktion“ – am Ende das Sagen hat. Doch sie dürfen sich nicht zu sehr darüber freuen. Der wahre Triumph liegt in der bitteren Ironie: diese Partei erhält eine Mehrheit in der politischen Arena, nur um sie dann, in einem Akt scheinbar göttlicher Erleuchtung, mit einer anderen, gleich unpopulären Fraktion zu teilen. Der politische Preis wird ausgehandelt, und was bleibt, ist ein zermürbendes Wettrennen der schlechten Kompromisse. Ist das Demokratie? Oder ist es der verzweifelte Versuch, auf einem sinkenden Schiff ein paar Rettungswesten zu ergattern?

Kanzlerwahl im Zeitalter der politischen Akrobatik: Ein Zirkus der Macht

Stellen wir uns für einen Moment vor: Es ist Wahlabend. Die Wähler gehen in Scharen zur Urne, ihre Stimmen wie ein Meer von Meinungen, die am Ende des Tages in ein monumentales Durcheinander aus Zahlen und Prozenten fließen. Und doch, am Ende des Abends, ist das politische Ergebnis klar – oder besser gesagt: Die große Unklarheit herrscht. Die Kanzlerwahl? Ein Scherz. Denn während in der Theorie der Kanzler von der Mehrheit des Bundestages gewählt werden soll, sieht die Realität des politischen Spiels in Deutschland anders aus. Der Bundestag ist in einem ständigen Zustand der Uneinigkeit gefangen, und die eigentliche Wahl des Kanzlers wird von einer der am wenigsten vertretenen Parteien als „ultima ratio“ entschieden.

Wer braucht schon den Populismus der Massen, wenn die politische Elite mit einer Handvoll Zirkusnummern die Verhandlungen führen kann? Wer braucht einen breiten Konsens, wenn man sich mit den ach so klugen, stets berechnenden „Koalitionspartnern“ verbünden kann? In einem politischen Zirkus, in dem die Akrobaten der Macht sich ständig neu erfinden, kann ein ehemaliger Außenseiter plötzlich zum Nationalhelden erhoben werden, während die Wählerschaft nur noch ratlos vor der Manege steht. Demokratie, die in den Händen der sogenannten „Glaubensgemeinschaft der Parlamentarier“ liegt, verliert ihre Bodenhaftung. Diejenigen, die wirklich regieren, sind nicht die, die gewählt wurden, sondern die, die die geheimen Verhandlungen kontrollieren. Und hier, in diesem abgedunkelten Raum der „Verantwortung“, entscheiden sich die Schicksale der Nation.

Das Ende der Volksrepräsentation: Der Mythos von der „Volksnähe“

Es ist ein bemerkenswerter Gedanke, den man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen muss: Wer repräsentiert eigentlich wen? Die 16%-Partei, deren „Kernwähler“ mit jeder Wahl mehr und mehr in die politischen Nischen abwandern, muss sich zunehmend mit der Frage auseinandersetzen, wie sie in einer so fragmentierten Gesellschaft noch relevant bleiben kann. Schließlich wird Demokratie in diesem „neuen“ Sinne zunehmend als ein Sammelsurium von Kompromissen und politischem Taktieren wahrgenommen, bei dem der Bürger nicht mehr gefragt wird – sondern vielmehr der glühende Blick des Politikers auf seinen „strategischen Vorteil“ gerichtet ist.

Und wie steht es mit der „Volksnähe“? Sie ist das Lieblingswort eines jeden Politikers. Doch dieses Wort hat so viele Facetten, dass es in der Praxis fast keinerlei Bedeutung mehr besitzt. Was bedeutet es, volksnah zu sein? Die Frage ist eigentlich so alt wie die Demokratie selbst, doch in einer Zeit, in der politische Programme wie Mosaiksteine in ein immer unverständlicheres Ganzes eingefügt werden, lässt sich kaum mehr ein klarer Standpunkt erkennen. Der Politiker von heute ist nicht der Volksvertreter von gestern – er ist der stille Architekt einer Realität, in der der demokratische Prozess weniger durch die Wünsche der Wählerschaft als durch die Intrigen der politisch Mächtigen bestimmt wird.

Fazit: Ein Hoch auf die demokratische Farce

Letztlich, und das ist die größte Erkenntnis dieses polemischen, jedoch augenzwinkernd humorvollen Essays, leben wir in einer Zeit, in der die Demokratie nicht mehr als die Summe der Stimmen der Wählerschaft verstanden wird. Stattdessen ist sie das Produkt einer ständigen Verhandlung unter denen, die sich als die wahren Herrscher der politischen Welt begreifen. Die 16%-Partei mag also die Fäden in der Hand halten – doch in einer Demokratie, die mehr und mehr wie ein absurder Theaterakt wirkt, ist es der Zuschauer, der am Ende fragt: Ist das noch die Demokratie, von der wir träumten, oder haben wir uns längst in einem Zirkus der Macht verirrt? Und so bleibt uns nur, uns das Schauspiel anzusehen – mit einem melancholischen Lächeln und einem Hauch von Resignation.

Für die, die sich beleidigt fühlen werden – also alle

Bevor wir zur eigentlichen, staatsgefährdenden, Demokratiezersetzenden und zweifellos von finsteren Mächten ferngesteuerten Kritik schreiten – und ja, ich verwende hier bewusst das Wort „Kritik“, auch wenn das in Zeiten wie diesen einem Brandanschlag auf das Grundgesetz gleichkommt –, sei eine Vorbemerkung gestattet. Wer in dieser Republik heute das Wagnis eingeht, einen Gedanken zu Ende zu denken, bevor er ihn mit einem moralischen Filter systemkonform weichspült, gilt bestenfalls als „Querulant“, schlimmstenfalls als „Gefährder“, und in der Mitte des Spektrums wartet der folkloristische Tritt in die soziale Ächtung. Darum sei an dieser Stelle gleich klargestellt: Alles, was folgt, ist natürlich nicht ernst gemeint. Es ist Satire. Ironie. Kunst. Literatur. Humor. Und selbstverständlich ein Ausdruck tiefster Loyalität zur einzig wahren, ewig jungen, moralisch unangreifbaren Demokratie 2.0.

Die Metamorphose der Kritik: Vom Diskurs zum Delikt

Es war einmal ein Land, in dem man Dinge sagen durfte, ohne sie erst in genderneutrale Watte zu wickeln. Wo man im Fernsehen noch über Politiker lachen konnte, ohne dabei das Risiko einzugehen, dass eine Faktencheck-Taskforce mit Rammbock und Hashtag durchs Wohnzimmerfenster krachte. Damals nannte man das: Meinungsfreiheit. Heute hingegen ist Meinungsfreiheit eine Art nostalgischer Fetisch – man redet gern darüber, stellt sie zur Schau, nennt sie ununterbrochen beim Namen, aber wehe, jemand benutzt sie tatsächlich. Dann wird’s ungemütlich.

Denn Kritik ist heute kein Bestandteil mehr des demokratischen Diskurses – sie ist ein Angriff. Nicht etwa auf eine konkrete Entscheidung, nicht auf ein Gesetz oder eine Maßnahme, sondern auf das heilige Prinzip der Demokratie selbst. Wer sich etwa erdreistet, eine Regierungsentscheidung in Zweifel zu ziehen, stellt sich damit – laut offizieller Sprachregelung – außerhalb des „demokratischen Konsenses“. Und weil dieser Konsens inzwischen so eng gezogen ist wie die Jeans eines Influencers, reicht ein falscher Halbsatz, um auf ewig aus der Herde verstoßen zu werden.

Die neue Theologie: Demokratie als dogmatisches Unfehlbarkeitskonstrukt

Die Demokratie, so wurde uns einst beigebracht, lebt vom Streit, vom Widerwort, vom Zweifel. Heute lebt sie – glaubt man den Verteidigern der „offenen Gesellschaft“ – vom Beklatschen, vom Konsens, vom immerwährenden Nicken. Kritik ist nicht mehr der Sauerstoff des Diskurses, sondern dessen CO₂. Sie vergiftet das Klima, sorgt für „Verunsicherung“ und nährt „Narrative“, dieses neue Lieblingsschimpfwort der Wohlmeinenden. Ein „Narrativ“ ist heute nichts anderes als eine Meinung, die der Regierungsmehrheit nicht gefällt.

Demokratie ist zum neuen Sakralobjekt geworden. Sie darf nicht mehr angefasst werden, schon gar nicht mit schmutzigen Händen. Kritik ist Blasphemie. Und wie alle Religionen in ihrer Endphase hat auch diese ihre Inquisition entwickelt. Die Heiligen heißen heute „Verfassungsschützer“, die Ketzer heißen „Demokratiefeinde“, „Delegitimierer“, „Schwurbler“ oder einfach nur: „besorgte Bürger“ – was mittlerweile ein derart sarkastischer Kampfbegriff ist, dass man sich fragt, ob er aus einer besonders zynischen Comedy-Redaktion stammt.

Die Talkshow als Tribunal, das „Wir“ als Urteil

Man kennt das Schauspiel: Eine Person – sagen wir ein Autor, ein Mediziner, ein Professor – äußert einen kritischen Gedanken. Nicht hetzerisch, nicht verfassungsfeindlich, sondern einfach: nachdenklich. Was dann folgt, ist die ritualisierte Abwicklung. Die Talkshow lädt ihn ein – nicht um zuzuhören, sondern um vorzuführen. Die anderen Gäste, handverlesen aus dem Stamm der Unerschütterlich-Überzeugten, rollen die Augen, atmen tief durch, machen besorgte Gesichter. Der Moderator, einst Diener der offenen Debatte, mutiert zum Staatsanwalt in einem Gericht ohne Berufungsinstanz.

Dann fällt der Satz: „Aber das ist doch Wasser auf die Mühlen der …“. Damit ist alles gesagt. Denn das Argument ist nicht mehr relevant. Nur noch dessen mögliche Wirkung zählt. Und weil die Wirkung – irgendwo, theoretisch, hypothetisch – gefährlich sein könnte, muss auch der Gedanke selbst gefährlich sein. Logik? Egal. Hauptsache, die Moral bleibt sauber.

Von der Kritik zur Kategorie: Wer widerspricht, gehört nicht mehr dazu

Die perfideste Methode der Kritikvermeidung ist nicht die Widerlegung – es ist die Kategorisierung. Man sagt heute nicht mehr: „Das Argument ist falsch.“ Man sagt: „Ah, das ist ja wieder so eine typische Erzählung von XY.“ Und XY ist wahlweise: rechts, links, antisemitisch, russlandfreundlich, neoliberal, klimaleugnend, verschwörungsideologisch – je nach Kontext und Tagesform. Der Trick ist einfach: Wer kritisiert, wird nicht mehr als Stimme innerhalb des Diskurses gesehen, sondern als Vertreter eines Lagers. Und Lagersprache ist Lagerdenken. Damit hat man ihn erledigt, ohne je auf seine Argumente eingehen zu müssen.

So entsteht das, was man den „Konsens der Anständigen“ nennt. Ein Konsens, der so stabil ist, dass er jeden Widerspruch nicht widerlegt, sondern aussortiert. Der Diskurs endet nicht, weil keiner mehr reden will, sondern weil keiner mehr zuhört. Und wer trotzdem redet, bekommt keine Antwort, sondern ein Etikett.

Schlussbetrachtung mit bitterem Nachgeschmack und einem Hauch Hoffnung

Natürlich, dieser Text ist überzogen. Polemisch. Zynisch. Einseitig. Und, wie eingangs gesagt, selbstverständlich nicht ernst gemeint. Denn wer wäre so töricht, in einem Land wie diesem wirklich zu glauben, dass Kritik an Regierungshandeln automatisch als Delegitimierung der Demokratie gilt? Wer würde ernsthaft behaupten, dass offene Debatte heute durch ein Korsett aus politischer Korrektheit, moralischer Überhöhung und mediengetriebener Cancel Culture ersetzt wurde?

Nein, das wäre ja absurd.

Viel wahrscheinlicher ist, dass dieser Text bald zitiert wird – in einem Dossier über Demokratieverachtung, Desinformation und rechte Narrative. Und das wäre doch ein schöner Abschluss: Wenn die Kritik an der Kritik der Kritik zur Bestätigung genau jener Zustände wird, die sie eigentlich bloß – mit einem Augenzwinkern – beschreiben wollte.

Wie deutsche Wunderwaffen sich im ukrainischen Schlamm blamieren

Die Bundesrepublik Deutschland, stolzes Heimatland der Bedenkenträger, Metrikfetischisten und exportorientierten Waffentechnokraten, hat es erneut geschafft, sich selbst zu überholen – diesmal auf dem Schauplatz des Krieges, im ölverschmierten Spiegel der Geschichte, der sich als ironischer Zerrspiegel offenbart. Dort, wo einst die Leopardenzähne des kalten Krieges knirschten, rollt heute, ein bisschen keuchend und viel zu wartungsintensiv, ein Hightech-Panzer durch den Schlamm der Ukraine, nur um dann still und leise – aber mit WLAN – liegenzubleiben.

Man hatte ja gehofft, dass der Leopard 2A6, diese rollende Apotheose deutscher Wehrtechnik, ein Feuerwerk der Effizienz entfacht. Doch was explodierte, war allenfalls die Erwartungshaltung. Die Ukraine, in einem Abwehrkampf gegen Russland, wird nun Zeugin einer Tragikomödie der besonderen Art: Die präziseste Panzerhaubitze seit Menschengedenken trifft nicht nur Ziele, sondern auch regelmäßig an ihre eigenen Grenzen. Ersatzteile? Ja, wenn man das nötige Paket-Tracking und eine stabile DHL-Verbindung in die Ostukraine hat. Und wehe, der Wartungstrupp kommt nicht rechtzeitig – dann steht das 7-Millionen-Euro-Gefährt da wie ein überteuerter Blumentopf mit Tarnanstrich.

Die Realität des Gefechts

Ein Gerät ist in Deutschland nur dann wirklich gut, wenn es so kompliziert ist, dass man für seinen Betrieb ein eigenes Masterstudium braucht, idealerweise mit einem Nebenfach in mittelalterlicher Hermeneutik, denn wer versteht schon die Bedienungsanleitung der Panzerhaubitze 2000? Wahrscheinlich nur der Mensch, der sie geschrieben hat – und der ist leider in Elternzeit. So wird jedes Gefecht zum Seminar, jeder Feuerbefehl zur Projektarbeit, jede Reparatur zum interdisziplinären Forschungsauftrag zwischen Maschinenbau und Improvisationstheater.

Und dann ist da der Patriot – nicht der Amerikaner mit Cowboyhut und Freiheitsglocke, sondern der deutsche, mit mehr Softwareproblemen als ein Windows-98-Rechner auf LSD. Er schießt – meistens. Wenn er denn will. Wenn er denn darf. Wenn er denn kann. Und vor allem: wenn die Stromversorgung stimmt. In deutschen Hallen getestet, in ukrainischen Stromausfällen gescheitert – die deutsche Rüstung, ein tragisch-komischer Monolog über Hochmut, der stets vor dem Einsatzfall kommt.

Das Comeback der Rentnerwaffe

Aber siehe da! Inmitten all dieses technokratischen Desasters erhebt sich ein Relikt aus besseren, einfacheren Zeiten: der Gepard. Eine Art Flak-Panzer mit der Seele eines VW Käfers – robust, unkaputtbar, schnurrend wie ein altgedienter Dieselmotor. In Deutschland ausgemustert, im Krieg plötzlich Superstar. Ein Dinosaurier, der mit seinem Getöse noch echten Respekt einflößt – nicht durch ausgeklügelte Sensorik oder modulare Digitalisierung, sondern durch das altmodische Prinzip: Draufhalten und treffen.

Der Gepard, so scheint es, ist der Trabi unter den Panzern: belächelt, verspottet, aber am Ende das einzige Fahrzeug, das wirklich fährt. Während sich der Leopard in einem existentialistischen Selbstfindungsprozess verliert, macht der Gepard das, was er soll – er ballert. Ohne Bluetooth, ohne App-Anbindung, ohne moralische Selbstzweifel. Und das macht ihn, tragischerweise, zum modernsten aller deutschen Waffen.

Das Fazit des Attachés

„Kompliziertes Gerät bleibt ungenutzt“, heißt es im Protokoll, als wäre das eine neue Erkenntnis. Dabei hätte man nur einmal in die deutsche Geschichte blicken müssen, um zu wissen: Je komplexer die Apparatur, desto größer der Stillstand. Deutschland liebt es, sich in der Eleganz des Konzepts zu verlieren – egal ob beim Flughafen, beim Bahnhof oder beim Panzer. Dass das Endprodukt dann oft nicht das tut, was es soll, ist dabei fast nebensächlich. Hauptsache, die PowerPoint-Präsentation war eindrucksvoll.

So ergibt sich ein Bild, das nicht nur tragisch, sondern auch hochgradig absurd ist: Ein Land, das sich selbst als Vorreiter technischer Vernunft begreift, liefert Waffen, die in der Praxis scheitern – und feiert sich trotzdem für seine Prinzipien. Ein Land, das sich der Welt als moralischer Leuchtturm verkauft, aber lieber einen funktionierenden Flakpanzer in Rente schickt als einen Gedanken an die Bodenrealität eines Krieges zu verschwenden. Und ein Land, das alles tut – nur eben nicht das, was nötig wäre.