
Wenn der Rechtsstaat zur Kulisse verkommt
Nancy Faeser, ihres Zeichens promovierte Juristin, Bundesministerin des Innern und für Heimat sowie, als Mitglied der SPD, auf dem linken Flügel der demokratischen Mitte verortet, verkündet mit entschlossener Miene: „Ich will Täter härter bestrafen!“ Eine Aussage, die so griffig wie problematisch ist. Denn der strafende Arm des Staates ist – zumindest nach traditioneller Auffassung – nicht in den Händen der Exekutive, sondern der Justiz. In der Welt des Rechtsstaats bestraft nicht die Ministerin, sondern das Gericht. Doch Faesers Slogan klingt eher nach einer eigenartigen politischen Selbstermächtigung: als müsse sie, die Kämpferin für Sicherheit und Ordnung, persönlich für die Gerechtigkeit sorgen – notfalls auch unter Umgehung lästiger rechtsstaatlicher Feinheiten.
Ein Versehen? Ein populistischer Sprechfehler im Eifer des Gefechts? Oder vielmehr ein beunruhigendes Symptom für eine Regierungskultur, in der die klare Trennung von Exekutive und Judikative zunehmend verwischt wird? Wer glaubt, dass solche Worte bloß rhetorische Schlenker ohne Konsequenz seien, irrt. Denn wenn führende Regierungsmitglieder beginnen, die Gewaltenteilung semantisch zu zerlegen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie es auch institutionell tun.
Die Selbstoffenbarung einer gefährlichen Geisteshaltung
Der Satz „Ich will Täter härter bestrafen“ liest sich wie das Wunschdenken einer autoritären Figur, die mit dem Widerspruch unabhängiger Gerichte hadert. Ist Faeser auf dem besten Weg, aus dem Rechtsstaat eine Art Kanzleistaat zu formen, in dem die politische Führung darüber bestimmt, was Recht und Unrecht ist? Wer die Zeichen der Zeit zu lesen weiß, kann diesen Satz kaum als bloße Unbedachtheit abtun. Zu oft schon haben Politiker der demokratischen Mitte Begriffe und Denkweisen übernommen, die sich nahtlos in das Arsenal illiberaler Demokratien einfügen. Wer in Ungarn nachfragt, wird schnell erfahren: Dort will Viktor Orbán ebenfalls Täter härter bestrafen – und praktischerweise auch gleich selbst bestimmen, wer Täter ist.
Das ungeschriebene Gesetz der Demokratie lautet, dass die Regierung sich aus der Rechtsprechung herauszuhalten hat. Faeser scheint davon wenig beeindruckt. Ihre Formulierung impliziert eine Art direkter ministerieller Strafzumessung – als könne sie per Dekret entscheiden, welche Sanktionen angemessen seien. Die Frage drängt sich auf: Weiß sie es nicht besser? Oder hält sie die rechtsstaatlichen Prinzipien einfach nur für hinderliche Fesseln, die es, wo immer möglich, zu lockern gilt?
Die populistische Wette auf den vergesslichen Bürger
Möglicherweise steckt hinter Faesers Aussage jedoch auch etwas ganz anderes: eine bewusste rhetorische Strategie. Wer „härtere Strafen“ fordert, spricht jene reflexhaften Instinkte im Wähler an, die bei jedem medial aufgebauschten Kriminalfall nach Vergeltung schreien. Die Komplexität eines funktionierenden Justizsystems wird in der politischen Kommunikation ohnehin zunehmend als lästig empfunden. Da ist es doch viel einfacher, mit harten Ansagen und entschlossener Miene vor die Kameras zu treten, um den Bürgern das Gefühl zu geben, jemand packe endlich durch.
Dass Faeser sich mit einer solchen Rhetorik in die Nähe eines populistischen Strafrechtsverständnisses begibt, wie es von der AfD oder rechtsautoritären Regierungen in Osteuropa vertreten wird, scheint sie entweder nicht zu bemerken oder willentlich in Kauf zu nehmen. Dabei zeigt die Geschichte: Wer den Wähler mit autoritären Reflexen ködert, endet oft in einer politischen Landschaft, in der die Büchse der Pandora nicht mehr zu schließen ist. Heute sind es „Täter“, morgen vielleicht Oppositionelle, übermorgen Journalisten.
Der schleichende Erosionsprozess des Rechtsstaats
Doch die eigentliche Gefahr liegt tiefer: Die Art und Weise, wie führende Politiker über Recht und Strafe sprechen, beeinflusst langfristig die Erwartungen und das Rechtsverständnis einer Gesellschaft. Wenn Bürger sich daran gewöhnen, dass Innenminister öffentlich die Bestrafung von Tätern fordern, dann verlagert sich das Verständnis von Justiz nach und nach von einer neutralen Instanz hin zu einem politischen Werkzeug der Exekutive. Die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien beginnt nicht erst mit der Umgestaltung von Gesetzen oder dem Umbau der Justiz – sie beginnt mit Sprache, mit Denkgewohnheiten, mit subtilen Verschiebungen dessen, was als normal gilt.
Die Geschichte zeigt uns unmissverständlich: Der Weg in den Autoritarismus wird selten in großen Schritten, sondern meist in kleinen, scheinbar harmlosen Trippelschritten beschritten. Es beginnt mit einer Formulierung hier, einer Umdeutung da, einer schleichenden Verschiebung dessen, was als legitim gilt. Nancy Faesers Satz ist vielleicht nur ein kleiner sprachlicher Ausrutscher – oder aber ein alarmierender Vorbote einer Politik, die sich immer selbstverständlicher über das Prinzip der Gewaltenteilung hinwegsetzt.
Es wäre höchste Zeit, dass jemand in Faesers Umfeld sie daran erinnert, dass ihre Aufgabe nicht darin besteht, Strafen zu verhängen, sondern die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren. Andernfalls könnten wir eines Tages in einer Republik aufwachen, in der nicht mehr Gerichte, sondern Politiker Urteile fällen. Und das, Frau Faeser, wäre dann wirklich ein härteres Strafmaß – für den Rechtsstaat.