Heuchler an den Hebeln

Selig sind die PR-BeraterPolitik zwischen Hostie und Haushaltskürzung

Kaum schließt sich der Papstpalast hinter dem letzten Grußwort, beginnen die Uploads. Die Timeline füllt sich. Sie kramen sie hervor, diese kunstvoll vergilbten Fotos mit päpstlicher Aura, wie andere Leute ihre Grundschulbilder mit dem Klassenhasen. Dort stehen sie, die Abgeordneten, Ministerinnen, Kanzlerkandidaten mit mittelmäßigem Lateinabitur – nebeneinander aufgereiht wie Ministranten der Moral, geschmückt mit dem ewigen Lächeln politischer Selbstvergewisserung: „Ich war bei ihm. Ich habe den Papst gesehen.“ Das allein scheint zu genügen, um sich für den nächsten Sozialabbau moralisch zu immunisieren.

Man beruft sich auf Nächstenliebe, wie andere auf Parkplätze: nur, wenn man gerade keinen findet. Und so wird die Caritas zur Karriereleiter, das Evangelium zur Elevator-Pitch, das „Was ihr dem Geringsten getan habt“ zur Textbaustein-Vorlage im Social-Media-Team. Dabei ist längst klar: Der Geringste im Land kann lange warten, bis sein Wohngeld ausgezahlt wird. Die Nächstenliebe dieser Politik endet dort, wo der Finanzvorstand des Verteidigungsministeriums sein Excel-File aufmacht.

Und morgen dann: „Die Bürgerinnen und Bürger müssen verstehen…“

Heute noch brüderlich in der Basilika, morgen wieder brutal im Bundestag. Denn das Ritual ist bekannt, die Dramaturgie eingeübt: Zuerst ein paar wohlfeile Worte über das Elend der Welt, dann die pragmatische Hinwendung zur Realität – also zur Kürzung von Kindergeld, zur Streichung von Frauenhäusern, zur Schließung von Sozialberatungen. In bester Tradition der biblischen Pharisäer wird das Gute gepredigt und das Gegenteil praktiziert – aber mit ministerieller Überzeugung.

Und wehe dem, der widerspricht! Der wird belehrt, der „verstehe die Komplexität nicht“, der solle „nicht moralisieren“, der solle „Realität anerkennen“. Die Realität, das ist der neue Gott. Und er ist ein knallharter Buchhalter. Seine Jünger heißen Subventionsabbau, Ausgabendisziplin und Bürokratieentlastung – letzteres natürlich nur für die Reichen. Alle anderen dürfen ihre Unterlagen bitte digital und doppelt hochladen, damit man ihnen mit bestem Gewissen die Hilfen verweigern kann.

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Was würde Jesus kürzen?

„Da aber Jesus ihre Bosheit erkannte, sprach er: Was versucht ihr mich, Heuchler?“ (Mt 22,18) – man könnte meinen, das stünde in einem Live-Ticker zur aktuellen Haushaltsdebatte. Es ist eine Frage, die heute kaum jemand stellt. Was würde Jesus kürzen? Das Elterngeld für Gutverdiener? Die Rüstungsausgaben? Den Dienstwagenpool? Oder vielleicht die Sendezeit von Talkshows, in denen man über „faule Arbeitslose“ debattiert, während die Mietpreise explodieren und Kinder ihre Schulbrote teilen müssen?

Doch die Antwort ist bekannt: Jesus wäre heute nicht eingeladen – zu unbequem, zu direkt, zu sehr an den Armen interessiert. Ein Sozialromantiker, ein Spinner, vielleicht gar ein Linkspopulist. Und vor allem: einer, der sich nicht für Selfies hergeben würde, wenn man ihn am Tag danach beim Bundesrechnungshof ans Kreuz nagelt.

Heuchelei als Grundwert der Mitte

Wer heute die Politik der sogenannten Mitte betrachtet, erkennt ein Schauspiel voller Widersprüche und PR-geölter Phrasen. „Wir müssen sparen!“ heißt es, während Rüstungsfirmen wie Hensoldt Milliardenkredite durchgewunken bekommen wie ein EU-Kommissar beim Lobbyempfang. „Wir dürfen niemanden zurücklassen!“ – außer natürlich die Alleinerziehenden, die Langzeitarbeitslosen, die Obdachlosen, die Geflüchteten und all jene, die kein Twitterprofil und keinen Spendenverein hinter sich haben.

Die große politische Heuchelei funktioniert, weil sie ritualisiert ist. Es gibt Sprechakte für jedes Desaster, Floskeln für jede Wunde, Narrative für jedes Scheitern. Und während im Hintergrund das soziale Netz zerfasert wie ein antiker Wandteppich, zitiert man Franz von Assisi – um ihn dann durch die Excel-Tabelle zu jagen.

Die Messe ist gelesen, der Haushalt genehmigt

Und so läuft es weiter, wie es immer gelaufen ist, nur mit besseren Mikrofonen. Die Politiker*innen knien, posten, posieren. Die Kirchen nicken milde. Die Medien kommentieren neutral. Und die Armen? Die stellen sich hinten an. Bei der Tafel. Beim Jobcenter. Beim Mietgericht. Vielleicht beten sie. Vielleicht fluchen sie. Vielleicht erinnern sie sich an Herodots Satz. Vielleicht an Matthäus. Vielleicht auch nur daran, dass es Zeiten gab, in denen Worte wie „Gerechtigkeit“ und „Würde“ noch nicht wie Ironie klangen.

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Doch eines ist gewiss: Wenn Jesus morgen käme – sie würden ihm eine PowerPoint zeigen. Und dann das Budget kürzen.

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