Herr Merz, wie verlogen kann man sein?

Der Heilige Vater ist tot – und Herr Merz verneigt sich vor seinem eigenen Spiegelbild

Der Tod des Papstes ist zweifellos ein Ereignis von weltweiter Tragweite. Menschen aller Nationen zünden Kerzen an, beten, halten inne – und währenddessen schreibt Friedrich Merz einen Nachruf, der klingt, als hätte ChatGPT ihn im Karrieremodus der CDU verfasst. Pathos, Pathos, Amen. „Der Tod von Papst Franziskus erfüllt mich mit großer Trauer.“ Natürlich. Dieselbe Trauer, die man empfindet, wenn man in Umfragen zwei Prozentpunkte verliert. Oder wenn die Steuerreform nicht ganz so „unternehmerfreundlich“ ausfällt, wie es das Herz begehrt.

Merz, der politische Technokrat im Maßanzug, der Kaltherzigkeit zur Tugend stilisiert hat, gedenkt hier einem Mann, der sein Pontifikat der globalen Ungleichheit, der Barmherzigkeit, dem Asylsuchenden und dem Armen gewidmet hat. Der erste Papst, der den Kapitalismus als das benannte, was er ist: ein ausbeuterisches System, das auf Kosten der Schwächsten funktioniert. Und jetzt schreibt eben jener Friedrich Merz, der sich noch nie zu schade war, gegen Sozialleistungen zu poltern und sich öffentlich an der Vorstellung zu erfreuen, dass „wer arbeiten kann, auch arbeiten soll“ – selbst wenn er drei Jobs braucht, um die Miete zu zahlen –, über Franziskus’ „Demut“ und seinen Einsatz für „Gerechtigkeit“. Ja, Herr Merz, wie verlogen kann man eigentlich sein, ohne dass einem die Stirn vor Scheinheiligkeit schmilzt?

Barmherzigkeit als Börsenwert: Wenn fromme Worte wie Aktienkurse steigen

Man kann Herrn Merz viel vorwerfen, aber nicht, dass er nicht weiß, was er tut. Der Mann hat ein politisches Gespür für den Moment, wie ein Börsenmakler für den Fallkurs einer Nation. Seine frommen Worte über Franziskus sind weniger Nachruf als PR-Offensive – eine stille Imagekampagne, wie man sie sonst nur von fragwürdigen DAX-Konzernen kennt, die sich plötzlich zu Diversität bekennen, kurz nachdem ihnen ein Skandal um Kinderarbeit die Bilanz verhagelt hat.

Denn natürlich weiß Merz: Franziskus war beliebt. Nicht bei allen, aber bei vielen. Bei denen, die sich eine Kirche wünschen, die sich nicht in Gold aufwiegt, sondern in Empathie. Bei jenen, die an eine spirituelle Instanz glauben, die mehr ist als die Stimme aus dem Off in einer steueroptimierten Lebensrealität. Und was tut man als Politiker, wenn ein solcher Mann stirbt? Man schreibt ein Kondolenzstatement, das so weichgespült daherkommt, dass selbst ein Weichspülerhersteller auf die Knie fallen würde.

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Die Barmherzigkeit Gottes, schreibt Merz. Ein schöner Satz, besonders wenn er aus dem Munde eines Mannes kommt, der in seiner Karriere selten barmherzig, aber immer gnadenlos ökonomisch dachte. Es ist diese kalte Poesie des Zynismus, die den modernen Konservativen auszeichnet: Man feiert die Heiligkeit der Armen, während man ihnen gleichzeitig die Heizkostenbeihilfe streicht.

Franziskus – ein Feindbild auf dem CDU-Parteitag, ein Heiliger in der Presseschau

Man stelle sich vor, Franziskus hätte als Redner auf einem CDU-Parteitag gesprochen. Seine Kritik am Markt, seine Warnungen vor Umweltzerstörung, seine klare Haltung zu Geflüchteten – es wäre das politische Äquivalent eines Flächenbrands gewesen. Man hätte ihn verdächtigt, mit der Linkspartei zu sympathisieren. Spätestens beim Wort „Systemkritik“ hätten ein paar Wirtschaftsflügel-Vertreter nervös zum Notausgang geschielt. Und dennoch: Kaum ist der Mann tot, wird er von Friedrich Merz posthum in den Olymp der moralischen Lichtgestalten gehoben. Da hat sich einer ausgerechnet den Papst als Feigenblatt für sein Wertevakuum ausgesucht.

Denn das ist der neue Trick der politischen Rechten: Sie vereinnahmen alles, was einmal gut war, und drehen es in ihrer Kommunikation so lange durch die Mangel, bis es ihnen selbst als Tugend ausgelegt wird. Man tut so, als hätte man immer schon auf der Seite des Guten gestanden – während man in Wahrheit die ganze Zeit die Aufrüstung des Sozialabbaus forciert hat. Franziskus sprach von der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Merz ist ihre deutsche Übersetzung.

Heilige Vaterfiguren und vaterlose Politik

Franziskus war – in einem sehr ursprünglichen Sinne – eine Vaterfigur. Nicht, weil er Macht ausübte, sondern weil er Schutz bot. Er sprach für jene, für die sonst niemand spricht. Für Geflüchtete, für Arme, für die Kranken. Für jene, die in der kalten Logik neoliberaler Märkte zu Marginalien reduziert werden. Und was hat Merz aus diesem Vermächtnis gemacht? Ein Tweet. Ein warmes, formelhaftes, inhaltsentkerntes Textgebilde, so glatt, dass selbst ein Kirchenlied darin keinen Halt fände.

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Die Ironie könnte nicht größer sein: Ein Mann, der von Gnade spricht, aber keine kennt. Der Demut preist, aber keine lebt. Der für den Tod eines Papstes trauert, den er als Lebenden politisch wohl nie ernst genommen hat. Es ist, als würde Jeff Bezos ein Epos über das Leid der Paketboten schreiben. Als würde ein Waffenlobbyist über die Schönheit des Friedens philosophieren.

Amen heißt: Es ist vorbei. Außer bei Herrn Merz. Da fängt’s gerade an

Das Problem ist nicht, dass Merz dem Papst gedenkt. Das Problem ist, dass er dabei so klingt, als hätte er sich selbst verwechselt mit ihm. Als sei Franziskus ein leuchtendes Vorbild – und nicht der genaue Gegenentwurf zu seiner politischen DNA. Diese Art von Scheinheiligkeit ist kein Einzelfall, sie ist System. Sie ist die Maskerade einer politischen Klasse, die sich Werte auf den Zettel schreibt, während sie gleichzeitig Menschen unter den Bus wirft – sofern dieser wirtschaftlich rentabel fährt.

Franziskus hat der Welt gezeigt, dass Glaube nicht bedeutet, sich hinter Dogmen zu verstecken, sondern sich mitten in das Chaos der Welt zu stellen. Merz hingegen nutzt Glauben als Dekor, als Sprachregelung, als PR-Mantel. Und vielleicht ist das die größte Beleidigung für all jene, die wirklich trauern. Nicht, weil ihr Papst tot ist. Sondern weil sie wissen, dass sein Erbe jetzt von Leuten wie Friedrich Merz ausgeschlachtet wird – als rhetorischer Leichenschmaus im Politikbetrieb.

Möge Franziskus in Frieden ruhen. Und möge seine Botschaft lauter weiterleben als das Echo der Heuchler.

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