Fachkräftemangel – Homemade

„Homemade“ klingt ja eigentlich nach etwas Gemütlichem, nach Marmelade von Oma oder nach selbstgestrickten Wollsocken. In Deutschland jedoch bedeutet „hausgemacht“ oft: Man hat das Problem eigenhändig so lange ignoriert, verdrängt und schöngefärbt, bis es eine Größe erreicht hat, bei der nur noch eine Taskforce aus fünf Arbeitskreisen, drei Unterausschüssen und einem pdf-Formular in DIN A-4 helfen könnte – theoretisch.

Das große Verschwinden der Kompetenz

Deutschland, Land der Dichter, Denker und des gepflegten DIN-A4-Formulars, steht vor einer jener absurden Situationen, die nur in den Statistiken und den dazugehörigen Talkshow-Runden logisch erscheinen: Jedes Jahr packen rund 210.000 junge Menschen mit deutschem Pass im Alter zwischen 20 und 40 ihre sieben Sachen und verabschieden sich mit einer Mischung aus Erleichterung, Wehmut und leiser Häme von der alten Heimat. Sie tun dies nicht, weil sie sich in Andalusien einen Platz in der Sonne sichern wollen (obwohl auch das mitunter vorkommt), sondern weil sie in Kanada plötzlich als „Top Talent“ gelten, in Australien als „Highly Skilled Worker“ und in Norwegen einfach als Mensch, der etwas kann.

Drei Viertel dieser Auswanderer haben einen Hochschulabschluss, den sie sich in Deutschland mühsam mit Bologna-konformer Prüfungslogistik und modulverliebten Dozenten erarbeitet haben. Der Rest sind hochqualifizierte Handwerker, die in Neuseeland für ihr Schreinerhandwerk gefeiert werden, während sie hierzulande darüber diskutieren mussten, ob man nicht auch drei Jahre Berufserfahrung in Excel-Kalkulationen als „handwerkliche Tätigkeit“ anerkennen könne.

Man könnte das alles für eine Art freiwilliges Elite-Exil halten, ein intellektuelles Walhalla, das im Ausland stattfindet. Tatsächlich ist es aber eher eine stille Abstimmung mit den Füßen – gegen Behördenwege, gegen Lohnabzüge, gegen die absurde Mischung aus Fachkräftemangel und Fachkräfteverhinderungskultur.

Aber keine Sorge – die Migration wird’s schon richten

Und während wir den selbstgebackenen Fachkräftemangel in den Ofen der demografischen Entwicklung schieben, blättert die Politik gelassen im Rezeptbuch: „Migration, das wird’s schon richten.“ Ein Satz, der so wohlig klingt wie ein Märchenanfang, aber ungefähr so präzise ist wie die Wegbeschreibung eines Navigationsgeräts, das mit einer dreifachen Ironieschleife programmiert wurde.

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Die Idee dahinter: Was an Know-how, Fleiß und Innovationskraft das Land verlässt, kann durch Import aus aller Welt ersetzt werden. Und in der Theorie stimmt das sogar – so wie in der Theorie auch Einhörner existieren, die Steuererklärungen fristgerecht abgeben. Nur: Migration ist kein magischer Schalter, den man umlegt, und plötzlich stehen Millionen perfekt integrierter Fachkräfte vor den Werkstoren der Mittelständler, mit blendendem Deutsch, anerkannten Abschlüssen und der brennenden Lust, einen Beruf zu ergreifen, den hier schon keiner mehr machen will.

Die Realität ist komplizierter, aber das ist für die Schlagzeile „Migration löst Fachkräftemangel“ ungefähr so relevant wie ein Wetterbericht für die Venus. Da stehen nämlich auf der einen Seite Menschen, die durchaus etwas können, aber auf der anderen Seite ein Behördenapparat, der in seiner Effizienz selbst Kafka zu viel gewesen wäre. Die formalen Hürden sind so liebevoll konstruiert, dass man fast meinen könnte, sie seien Teil einer staatlichen Escape-Room-Challenge.

Das große Missverständnis von Angebot und Nachfrage

Der Witz an der ganzen Sache: Der deutsche Fachkräftemangel ist weniger ein Mangel an Menschen, sondern ein Mangel an Attraktivität. Man könnte fast meinen, das Land leide unter einer beruflichen Bindungsstörung. Junge Menschen mit Fähigkeiten und Ambitionen finden sich hier oft in Jobs wieder, in denen man nicht etwa für Können, sondern für Durchhaltevermögen belohnt wird – und zwar beim Ertragen von Bürokratie, Projektbesprechungen und dem flächendeckenden Einsatz von Faxgeräten.

Gleichzeitig gilt jede Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen oder einem Abbau sinnloser Vorschriften als „Wunschkonzert“. Man müsse eben auch mal nehmen, was da ist, heißt es dann – nur eben nicht aufseiten der Arbeitgeber. Da wird nicht selten lieber eine Stelle monatelang unbesetzt gelassen, als einem Bewerber mit „nur“ 85 % Passgenauigkeit auf das Anforderungsprofil eine Chance zu geben.

Homemade – die nationale Eigenproduktion

So kommt es, dass wir unseren Fachkräftemangel praktisch selbst herstellen – in einer Art nationalem Slow-Food-Verfahren, bei dem man sorgfältig darauf achtet, dass nur die Besten das Land verlassen und die Bürokratie weiterhin blüht. Das ist nicht einmal böser Wille; es ist die stille Macht der Gewohnheit. Wenn man jahrzehntelang gelernt hat, dass Veränderungen unbequem sind, dann ist es leichter, den Status quo in eine „Herausforderung“ umzudeklarieren und ein paar Programme aufzusetzen, die ihn elegant verwalten.

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Die Absurdität erreicht ihren Höhepunkt, wenn dieselben Politiker, die noch vor fünf Jahren jede Form der Zuwanderung mit skeptischem Blick betrachteten, heute auf dem internationalen Fachkräftemarkt auftreten wie Heizdeckenverkäufer: „Kommen Sie nach Deutschland, hier gibt’s Arbeit, Kultur, soziale Sicherheit – und wenn Sie ganz viel Glück haben, sogar einen Termin bei der Ausländerbehörde innerhalb der nächsten 14 Monate.“

Fazit mit Augenzwinkern

Es wäre unfair, den ganzen Prozess als reines Scheitern zu bezeichnen. Immerhin schaffen wir es, gleichzeitig einen Fachkräftemangel zu beklagen, talentierte Leute zu verlieren und deren Abwanderung durch strukturelle Hürden noch zu beschleunigen. Das muss man erst einmal hinkriegen. Man könnte fast stolz darauf sein – wenn es nicht so schmerzhaft wäre.

Der Fachkräftemangel ist in Deutschland kein Schicksal, sondern eine hausgemachte Spezialität: langsam gegart, fein gewürzt mit Bürokratie, gewendet in politischer Kurzsichtigkeit und serviert auf einem Bett aus wohlmeinenden, aber wirkungslosen Strategien. Guten Appetit.

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