
Whatever it takes – Der Ausnahmezustand als Dauerzustand
Es ist ein denkwürdiges Bild, das sich da in den feierlichen Hallen der Macht abzeichnet: Friedrich Merz, der altersweise Wiedergänger des deutschen Konservatismus, mit dem Duktus eines Sparkommissars aus dem Weltwirtschaftsforum, erhebt seine schmalen Hände zur Lobpreisung der Haushaltsdisziplin – um sie dann, mit dramatischer Geste, dem Schicksal unserer Zeit entgegenzuwerfen. „Whatever it takes!“ – eine Formel, die einst den Euro retten sollte, nun aber als sakraler Zauberspruch zur Unzeit das goldene Kalb der Schuldenbremse schlachten darf. Dass Merz ausgerechnet den legendären Draghi-Satz bemüht, jenen Notwehrschwur eines neoliberalen Technokraten, mag als subtiles Aperçu durchgehen – oder als zynisches Meme für die letzte, verzweifelte Aufrüstung des Westens.
Doch wo Merz die Stirn sorgenvoll in Falten legt, während er mit bebender Stimme von der „Bedrohung unserer Freiheit“ schwadroniert, drückt sich Markus Söder mit bajuwarischer Wucht durch die Tür und donnert ein „XXL!“ hinterher, als wäre die Bundesrepublik ein Fast-Food-Menü, das jetzt endlich die maximale Kalorienration für den Kampf gegen den Hunger des Weltgeistes erhält.
Die Schuldenbremse als sakrales Relikt
Dass ausgerechnet jene CDU, die sich jahrzehntelang als Zuchtmeister fiskalischer Askese aufspielte, nun die eiserne Regel des Grundgesetzes nach Gusto zur Disposition stellt, hätte vor wenigen Jahren noch den Tatbestand des Hochverrats erfüllt. Doch die Zeiten ändern sich, und wer die Schuldenbremse noch ernst nimmt, gilt in der Politik inzwischen als spleeniger Anachronist. Die politische Klasse hat begriffen, dass es in der postpandemischen Ära nur noch um den kreativen Ausnahmezustand geht: Klima, Corona, Krieg – die Krise ist der neue Normalzustand, und wenn Krisen kein Ende nehmen, dann ist auch jede Regel bloß noch Dekoration.
Es gehört zum feinen Zynismus dieser Tage, dass ausgerechnet die Verteidigungsausgaben – jene Investitionen in die endgültige Zerstörung, die sich bislang als Friedensdividende tarnen durften – nun zur Mutter aller Notwendigkeiten erklärt werden. Die Investitionen in Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktur oder gar soziale Absicherung? Leider nicht systemrelevant. Aber Drohnen, Panzer, Raketen – das ist der Stoff, aus dem die Zukunft gemacht wird.
Das Fetischkapital der Sicherheit
Während die letzten Brösel der sozialen Marktwirtschaft in den Suppenküchen der Tafeln landen, feiert der militärisch-industrielle Komplex seine glänzende Renaissance. Die Logik ist so einfach wie perfide: Sicherheit vor sozialer Gerechtigkeit, Geopolitik vor Gemeinwohl, Aufrüstung vor Daseinsvorsorge. So sieht die neue Hierarchie des Neoliberalismus aus, der sich nun endlich seiner Friedensrhetorik entledigen kann.
Dass in diesem historischen Augenblick ein Friedrich Merz an der Spitze der Opposition steht, ist nur folgerichtig. Der Mann, der als BlackRock-Lobbyist so etwas wie die fleischgewordene Schuldenbremse war, steht nun für die grenzenlose Verschuldung – solange es für den richtigen Zweck geschieht. Und wenn Markus Söder von einem Investitionsprogramm XXL spricht, dann ist das mehr als bloße Rhetorik: Es ist der endgültige Bruch mit dem Mythos, dass sich Staatsschulden je wieder abbauen ließen.
Vom Kriegs- zum Schuldenwirtschaftswunder
Was hier eingeläutet wird, ist eine neue Ära der Kriegswirtschaft – nur dass man sie heute euphemistisch als „Investitionsoffensive“ verkauft. Die Inflation wird sich in den Rüstungsbilanzen verstecken, die Schulden in den Schattenhaushalten versickern, und der Bürger wird mit Glück noch ein subventioniertes Wärmepumpenmodell erhaschen, während die Bundesregierung in Washington die nächste F-35-Staffel einkauft.
Es ist eine bittere Pointe, dass ausgerechnet die deutsche Politik, die sich jahrzehntelang für ihre fiskalische Disziplin feiern ließ, jetzt in die Rolle des willfährigen Waffenfinanziers gedrängt wird. Aber vielleicht war die Schuldenbremse nie mehr als eine billige Pose – ein folkloristisches Ritual, um die schwäbische Hausfrau bei Laune zu halten, während im Maschinenraum der Globalisierung längst andere Regeln galten.
Humor als letzte Waffe
Doch wo die große Politik ihre Prinzipien wechselt wie Designeranzüge, bleibt dem Bürger immerhin noch der Humor. Man stelle sich vor, wie Friedrich Merz mit leuchtenden Augen an der Bundesbank vorbeifährt, um sich in der Nacht heimlich ein Transparent ans Fenster zu hängen: „Whatever it takes!“ Darunter ein kleines Fußnotenzeichen, das die Bedingung vermerkt: Solange es nicht für Sozialausgaben ist.
Der Ausnahmezustand mag kommen, die Satire wird bleiben. Und wenn die letzten Milliarden in Marschflugkörpern verpufft sind, wird es noch immer einen Kabarettisten geben, der mit einer einzigen Pointe mehr Wirkung erzielt als alle Sondervermögen zusammen. Vielleicht ist das dann der letzte Rest von Aufrüstung, den sich dieses Land noch leisten kann.