Ein alter Marxist auf verlorenem Posten

Stellen wir uns also einen alten Genossen vor: Er trägt die Spuren einer Vergangenheit, die nach kaltem Rauch in Hinterzimmern riecht, nach Flugblättern, die im Regen aufweichten, nach Politisierung bei Bier und Blutwurst. Seine Hände zittern ein wenig, nicht nur vom Alter, sondern auch vom Anblick dessen, was sich heute „Linke“ nennt. Er sitzt da, auf einem unbequemen Plastikstuhl im muffigen Konferenzraum einer hippen Parteigliederung, umgeben von jungen Menschen, die aussehen, als hätten sie mehr Zeit in Second-Hand-Läden verbracht als in Betrieben.

Er hört sich an, wie eine sichtlich empörte Sprecherin, Mitte zwanzig, mit lilafarbenem Haar und MacBook im Schoß, in leidenschaftlichem Tonfall erklärt, dass die größte Gefahr für die Gesellschaft nicht Ausbeutung, Verarmung oder Krieg sei, sondern die „strukturelle Diskriminierung durch binäre Toilettensysteme“. Der alte Marxist nimmt einen Schluck aus seiner Thermoskanne, die noch den Aufkleber „Frieden schaffen ohne Waffen“ trägt, und murmelt halblaut: „Toiletten, ja, früher war’s der Klassenkampf, jetzt ist’s wohl der Klosettkampf.“

Als ein anderer Delegierter den Vorschlag macht, man müsse den Kapitalismus „transkulturell dekonstruieren“ und am besten durch „flüssige Netzwerke von Caring Communities“ ersetzen, greift sich der alte Marxist an die Stirn. In seinem Kopf rauscht das Echo vergangener Zeiten: Streiks, Barrikaden, harte Auseinandersetzungen mit Fabrikbesitzern. Er denkt an Kolleginnen mit Hornhaut an den Händen, an Männer, die mit kaputtem Rücken heimkamen. All das wirkt heute so fern wie eine schwarz-weiße Wochenschau.

Er versucht, die Hand zu heben, um einzuwerfen, dass Marx den Kapitalismus nicht „dekonstruieren“, sondern stürzen wollte, dass Klassen keine „Diskurse“, sondern knallharte ökonomische Realitäten sind. Doch die Sitzungsleitung bittet ihn freundlich, aber bestimmt, seine „privilegienbasierte Rednerliste“ zu respektieren. „Ältere weiße Männer“ stünden diesmal „ganz hinten“, erklärt man ihm. Er nickt bitter und schweigt. „Ich bin also ein Bourgeois, nur weil ich meine Rente beziehe“, denkt er, „das hätte Marx bestimmt so gesehen.“

TIP:  Fachkräftemangel – Homemade

Als er später nach Hause schlurft, die Jacke noch nach kaltem Rauch von gestern riechend, kramt er in seiner alten Kiste, findet das vergilbte „Kommunistische Manifest“, blättert hinein und lacht kurz auf – dieses herzhafte, sarkastische Lachen eines Mannes, der schon zu viel gesehen hat. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“, murmelt er, und setzt hinzu: „…aber bringt bitte auch eure Genderleitfäden mit, sonst wird’s nichts mit der Revolution.“ Dann klappt er das Buch zu und denkt sich, dass die Bourgeoisie diesmal nicht von der Linken gestürzt wird, sondern sich vor Lachen totlacht.

Please follow and like us:
Pin Share