Die Söhne der Anderen sterben schöner

In jeder Epoche gibt es Sätze, die wie Gewehrsalven durch die Nebel der Vernunft knattern. Lebeds bitterer Aphorismus gehört zu jenen: Er trifft nicht nur den Nerv, er entblößt das Nervensystem. Und während die Kriegsapologeten der Gegenwart, in Talkshows mit Manschettenknöpfen aus Ethik und strategischer Moral, den nächsten Waffentransport besprechen, geschieht eines mit absoluter Regelmäßigkeit: Es sterben immer die Falschen. Immer die Armen. Immer die Kinder derer, die nicht eingeladen waren zur Sicherheitskonferenz.

Würde man – in einem Anfall göttlich inspirierter Gerechtigkeit – die Debatte über „militärische Optionen“ an eine Schulklasse aus dem Diplomatenviertel verlegen, mit der stillen Bedingung, dass der eigene Nachwuchs morgen früh zur Front abrückt, es würde nicht eine Rakete mehr starten. Kriege wären sofort obsolet – wie weiße Tennissocken oder öffentliche Intellektuelle. Der Frieden wäre kein Ideal mehr, sondern ein Reflex.

Doch solange man die Verluste outsourcen kann, ans untere Ende der Gesellschaft, an die Ränder der Weltkarte, bleibt Krieg eine diskursfähige Option. Als sei er eine Sportart, bei der nur die Ersatzbank blutet.

Die Saturierten simulieren Sinn

Es ist nicht der Wahnsinn der Straße, den wir fürchten müssten – es ist der Wahnsinn der Konferenzräume, der Thinktanks, der Universitätsseminare, wo junge Männer und Frauen mit Stirnrunzeln über „Asymmetrien im Konfliktpotential“ schwadronieren, als ginge es nicht um Fleisch, sondern um Flächen. Um Territorien, nicht um Träume. Sie reden von „chirurgischen Schlägen“, während irgendwo ein Kind mit abgerissenen Armen schreit. Man sieht es nicht – es wurde herausgecuttet für eine bessere Sendezeit.

Diese neue Elite – die globale Klasse der Irgendwo-Angestellten mit Überzeugungen im Leasing – hat gelernt, jeden Irrsinn in ein Narrativ zu übersetzen. Sie können einen Drohnenschlag in PowerPoint darstellen. Einen Genozid als „strukturelle Entladung“. Ein Exekutionskommando als „humanitäre Intervention“. Wer das tut, braucht keine Moral mehr – nur ein gutes Branding.

Die Sprache, einst Mittel der Aufklärung, ist zum Nebelwerfer geworden. Wahrheit wird dabei nicht verleugnet – sie wird gebrochen wie Licht im Prisma: Jeder darf sich seine Farbe aussuchen. Die Kinder der Elite tragen Uniformen aus Worten. Und sie schießen mit Konzepten, die tödlicher sind als Kugeln, weil sie wie Vernunft klingen.

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Krieg ist wieder chic – solange er sich gut streamen lässt

In einer Welt, in der jeder Schrecken auch Ästhetik sein darf, ist Krieg nicht mehr das absolute Grauen – er ist Content. Solange die Trümmer fotogen sind, der Widerstand möglichst jung und weiblich und das Feindbild sauber gezeichnet, lässt sich auch das Massaker gut monetarisieren. Man kann heute Kriegspartei sein, ohne die Couch zu verlassen. Man muss nur den richtigen Hashtag setzen, das Profilbild mit der passenden Flagge unterlegen und vielleicht einmal jährlich zur Friedensdemo gehen – wo es fair gehandelten Kaffee gibt und Literatur von Leuten, die nie selbst Blut gesehen haben, aber wissen, dass Pazifismus „naiv“ sei.

Der neue Krieg ist digital, moralisch aufgeladen, aber physisch fern. Er ist eine Gelegenheit zur Identitätsbildung für die saturierte Generation Ironie, die sich nichts mehr wünscht als Bedeutung – und sei es in Form eines Drohnenbildes mit passenden Filter. Krieg, das ist nicht mehr nur die Hölle – es ist ein Event mit Postproduktion.

Und die Kinder der Elite? Sie stehen in Podcast-Studios, diskutieren über Verteidigungshaushalte und Nachhaltigkeit, während ein Bursche aus dem Niemandsland mit 19 Jahren in einer nassen Uniform stirbt, die ihm nie gepasst hat.

Die neue Wehrpflicht: Moralische Mobilmachung

Man spricht wieder davon, Menschen „dienstpflichtig“ zu machen. Ein Begriff, der aus einer sprachlichen Eisenkammer stammt, als hätte Thomas de Maizière ihn mit Mottenkugeln verpackt aufbewahrt. Doch gemeint ist selten der eigene Sohn, die eigene Tochter – gemeint ist immer der andere. Der, der im Fitnessstudio arbeitet. Der, dessen Eltern keine Kolumnen schreiben. Die, die nie eingeladen werden, mitzureden – aber verpflichtet werden, mitzusterben.

Dabei müsste man doch, in einem gerechten Wahnsinn, einmal sagen: Wer einen Krieg fordert, verpflichtet sich selbst – mit Körper und Kind. Wer in Talkshows für „mehr Durchsetzungsfähigkeit im internationalen Raum“ plädiert, muss nachweisen, dass sein Nachwuchs das Wort „Graben“ nicht nur vom Familienurlaub in der Normandie kennt. Und wer Panzer fordert, sollte zumindest erklären können, wie man einen fährt – oder wenigstens, wie man aussteigt, bevor er brennt.

TIP:  Redefreiheit, ja aber ...

Die letzte Bastion: Das Lachen

Was bleibt, außer Zynismus? Vielleicht nichts – aber vielleicht auch das Lachen. Nicht das Lachen der Dummen, sondern das des Erwachens. Das bittere, trockene, das sich in der Kehle festsetzt, wenn man erkennt, wie absurd diese Welt geworden ist. Wie sehr wir uns einreden, dass wir zivilisiert seien, während wir mit feuchten Augen auf Live-Ticker starren, in denen gerade wieder ein Ort „zurückerobert“ wurde – mit 30.000 Toten.

Der Wahnsinn trägt heute Maßanzug. Er spricht mehrere Sprachen, kennt seine Zielgruppe und ist bestens vernetzt. Er tritt auf in Brüssel, Berlin, Boston – immer höflich, immer hochgebildet. Und immer bereit, das Leben anderer zu opfern, für Prinzipien, die man in Thinktanks erfunden hat und in Kriegsgräbern beerdigt.

Epilog: Rekrutierungsvorschlag

Alexander Lebed, ein General, kein Pazifist, sprach den klügsten Satz, den je ein Krieger gesagt hat. Er wusste, was Krieg ist. Und dass er aufhört, wenn jene, die ihn befehlen, auch jene wären, die ihn führen müssten.

Man stelle sich eine Welt vor, in der nicht die Kinder der Ungehörten marschieren – sondern die Kinder der Entscheider. In der nicht mehr über Krieg gesprochen wird, sondern mit ihm, von denen, die ihn wollen. Eine Welt, in der jeder Rüstungsdeal eine Patenschaft bedeutet. Und jedes Kriegsvotum eine Verpflichtung zur Front.

Dann wäre der Krieg vorbei – am ersten Tag. Und der Wahnsinn vielleicht mit ihm.

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