Die Rückkehr der Kriegsgeräte aus der Hölle

Antipersonenminen feiern ihr Comeback

Ach, wie haben wir uns damals gefreut, als die Ottawa-Konvention unterzeichnet wurde. Ein Meilenstein, rief man, ein Sieg der Zivilisation über die Barbarei, ein Zeichen, dass selbst Kriege Regeln kennen können – zumindest auf dem Papier. Und nun, in einer historischen Pirouette, die jeden Diplomaten zum Schwindeln bringen müsste, kündigen Staaten wie Finnland, Polen und die baltischen Brüder ihre Bereitschaft an, sich wieder zu bewaffnen mit jenen teuflischen Instrumenten, die jahrzehntelang ganze Landstriche in unsichtbare Friedhöfe verwandelten. Antipersonenminen – einst geächtet, nun wieder hoffähig, vielleicht sogar bald wieder „strategisch nützlich“.

Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um Fantasien oder dunkle Gedankenspiele, sondern um konkrete Austrittsabsichten aus einem internationalen Abkommen, das einst zu den großen zivilisatorischen Selbstvergewisserungen der Nachkriegsordnung gehörte. Man will wieder minen dürfen. Wie eine ehemalige Raucherin, die nicht nur wieder zur Zigarette greift, sondern auch gleich die WHO verklagt. Die Argumentation ist dabei ebenso klassisch wie zynisch: Verteidigung sei alles, Moral sei relativ, und überhaupt – Minen seien heute viel „moderner“ und könnten sich ja selbst abschalten. Hightech trifft Höllentechnik, digitaler Humanismus mit Zeitzünder.

Sicherheit durch Streusplitter: Der ethische Offenbarungseid in Tarnfarbe

Natürlich wird auch hier nicht von „verstümmelnden Tretminen“ gesprochen – man sagt lieber „bodenbasierte Abschreckungsinstrumente mit selektivem Wirkungsspektrum“. Worte, die klingen, als habe ein Think-Tank versucht, einem blutigen Fakt die Unschuld zurückzuschreiben. Wer dagegen protestiert, wird belehrt: Man befinde sich nun einmal in einem neuen geopolitischen Zeitalter. Und in diesem Zeitalter, so der neue Konsens, sei es legitim, selbst das moralisch Undenkbare wieder denkbar zu machen, solange es im Namen der Abschreckung geschieht.

Dass diese Art von Logik in den 90er Jahren als menschenverachtend galt, ist heute nur noch eine sentimentale Fußnote in Geschichtsbüchern, die kaum noch jemand liest. Heute gilt, was „militärisch notwendig“ ist – ein Begriff, der sich in etwa so klar definieren lässt wie „Kunst“ oder „Gott“. Und wenn eine baltische Regierung erklärt, dass man Minen nur auf eigenem Territorium einsetzt, zum Schutz vor möglichen Eindringlingen, dann klingt das fast vernünftig – bis man sich erinnert, dass genau diese Art von Verteidigung einmal ganze Kindergenerationen das Leben oder die Beine gekostet hat. Aber das war ja, wie gesagt, früher. Heute haben wir ja bessere Minen.

TIP:  WOKE.exposed

Europa, du hast dich schwer bewaffnet – und keinen Plan

Diese Entwicklungen sind nicht einfach nur alarmierend – sie sind symptomatisch für eine sicherheitspolitische Entgleisung, bei der sich moralische Prinzipien dem realpolitischen Dampfhammer beugen wie Grashalme im Sturm. Und das Tragische ist: Kaum jemand wagt es, laut zu widersprechen. Die einen schweigen aus strategischer Rücksicht, die anderen aus innenpolitischem Kalkül. Und wieder andere reden sich ein, man könne „punktuell“ austreten und trotzdem „grundsätzlich“ dem Geist der Konvention treu bleiben. Als wäre Abrüstung ein Buffet, aus dem man sich das herauspickt, was gerade passt.

Dabei bedeutet der Rückschritt in Sachen Antipersonenminen nicht nur eine gefährliche politische Symbolik – er ist eine konkrete, menschenverachtende Entscheidung mit langfristigen Konsequenzen. Denn Minen verschwinden nicht, nur weil ein Krieg endet. Sie bleiben, sie warten, sie töten – Jahre später, wahllos, absurd, grausam. Und doch feiern sie in Europa, der selbsternannten Hochburg des Völkerrechts, gerade ihr unheilvolles Comeback. Es ist, als hätte jemand beschlossen, die Apokalypse scheibchenweise zu legalisieren – juristisch sauber, militärisch begründet und politisch pragmatisch.

Zynischer Schlussgedanke: Vielleicht geben wir dem Krieg bald den Friedensnobelpreis

Was bleibt, ist das flaue Gefühl, dass etwas fundamental falsch läuft. Dass Europa, dieser einstige Kontinent der Aufklärung, gerade dabei ist, sich selbst zu entzaubern – nicht aus Not, sondern aus Kalkül. Dass Verträge gebrochen werden, weil sie „nicht mehr zeitgemäß“ sind. Dass Moral geopfert wird, weil sie angeblich nicht effizient ist. Und dass wir alle zusehen, wie das Rad der Geschichte rückwärtsläuft – diesmal nicht aus Dummheit, sondern mit voller Absicht.

Vielleicht wird irgendwann ein künftiger Historiker diese Zeit so beschreiben: „In einer Ära der globalen Umbrüche und planetaren Krisen entschied sich Europa, nicht in Nachhaltigkeit, Diplomatie oder Bildung zu investieren – sondern in Minen. Es wollte sicher sein. Es wurde es nicht.“

Aber Hauptsache, der Verteidigungshaushalt stimmte.

Please follow and like us:
Pin Share