Die Pascalsche Wette und die Energiepolitik

Wo der Zweifel schwitzt und die Vernunft Urlaub macht

Die Menschheit hat sich seit Blaise Pascal in vielen Bereichen weiterentwickelt—sie fliegt zum Mond, sie baut Mini-Kernreaktoren ins Wohnzimmer (wenn man den Marketingversprechen mancher Start-ups glauben möchte) und sie schafft es mittlerweile, drei Stunden über Energiesicherheit zu streiten, ohne ein einziges Mal über Energie zu sprechen. Dennoch schwebt über allem weiterhin jene lakonische Wette des französischen Philosophen, die uns bis heute verfolgt wie ein schlecht gezogener Weisheitszahn: „Handle so, als ob.“

Und während Pascal dabei an das Jenseits dachte, wenden moderne Politiker diese Logik lieber auf etwas viel Profaneres an: die Frage, ob wir weiterhin fossile Brennstoffe verfeuern sollen, bis der Planet aussieht wie ein übernutzter Grillrost, oder ob wir – Gott bewahre! – auf erneuerbare Energien setzen.

Wenn Energiepolitik zum Kriegsdienst wird

Es ist faszinierend, wie sich energiepolitische Debatten in einem süßlich-schalen Paradoxon verheddern: Die einen reden, als stünden sie kurz davor, mit Fackel und Mistgabel die Windräder zu stürzen; die anderen formulieren ihre Argumente mit der sanften Autorität jener Menschen, die ein Seminar besucht haben mit dem Titel „Wie verpacke ich Panik in Hoffnung?“.

Doch am auffälligsten ist die wachsende Leidenschaft, mit der beide Seiten ihre Argumente in einer Sprache vortragen, die eher an Wehrdienstpflicht als an Klimapolitik erinnert. Man könnte meinen, es gehe nicht um Energie, sondern um den letzten Aufruf zum Stellungskommando.

Einige Politiker verkünden mit aufrechter Brust, man müsse „die Öl- und Gasversorgung verteidigen“, als stünde ein feindlicher Trupp Solarzellen kurz davor, die heimische Scholle zu überrennen. Und auf der anderen Seite rezitieren Aktivisten ihre Manifeste mit der Pathos-Schwere eines Offiziers, der seine Einheit in die Schlacht gegen die letzte Kohlegrube schickt.

Im Hintergrund tönt dann gelegentlich ein rhetorisches Echo, das man am liebsten sofort zu den Akten legen würde: der geistige Schatten eines Himmler, der als abschreckendes Mahnmal zeigt, wohin militarisierte Rhetorik und ideologische Selbstgewissheit im schlimmsten Fall führen können. Und genau deshalb lässt sich der Vergleich nur satirisch, nur ironisch, nur als groteske Warnfigur nutzen. Denn sobald Energiepolitik beginnt, sich martialisch zu verkleiden, wird sie automatisch dumm – und gefährlich dazu.

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Die Pascalsche Wette der fossilen Welt: „Was, wenn alles nur Panikmache ist?“

Hier greift nun Pascal mit seinem zarten 17.-Jahrhundert-Händchen in die Debatte und setzt seine kleine, brillante Falle.

„Stell dir vor“, flüstert er dem energiepolitischen Entscheidungsapparat ins Ohr, „dass die Klimakrise vielleicht nicht so schlimm ist. Was verlierst du, wenn du trotzdem auf erneuerbare Energien setzt?“

Die Antwort müsste lauten:

„Nun ja, wir verlieren vielleicht ein oder zwei überbezahlte Öl-Lobbyisten und einige liebgewonnene geopolitische Abhängigkeiten.“

Doch die Realität antwortet lieber so:

„Wir verlieren unsere Art zu leben! Unsere Freiheit, zu heizen wie Großvater! Unsere Identität!“

Man reibt sich verwundert die Augen. Wann genau ist Energiepolitik zum Identitätskampf geworden? Wann wurde das Einfamilienhaus zur „Festung Fossil“? Wann das E-Auto zur „Gefahr für die abendländische Zündkerzenkultur“?

Die Pascalsche Wette der Erneuerbaren: „Und was, wenn die Katastrophe doch kommt?“

Die andere Seite argumentiert wiederum mit der grünen Variante der Pascalschen Wette:

„Was, wenn die Klimakrise wirklich schlimm wird? Dann ist jede Tonne CO₂ weniger ein Schritt zur Rettung.“

Soweit klingt das vernünftig. Doch leider nimmt die Dramatik manchmal Ausmaße an, die an übermotivierte Katastrophen-PR erinnern. Dann wird die Klimapolitik mit einem apokalyptischen Pinsel so dick bemalt, dass selbst Pascal sich schämen würde.

Doch immerhin: Diese Seite bewegt sich, trotz aller Überladung, noch auf der Ebene von Wissenschaft, Fakten und – man staune – gelegentlicher Vernunft. Dass in den entsprechenden Diskursräumen trotzdem die Wahrscheinlichkeit besteht, jemandem zu begegnen, der mit der Vehemenz eines Generals erklärt, man müsse dem Klimawandel „den Krieg erklären“, ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie zwanghaft beide Lager versuchen, ihre Positionen in Kriegsmetaphern zu pressen.

Das eigentliche Problem: Die Wette ist längst entschieden

Pascal würde heute vermutlich den Kopf schütteln, sein Manuskript essen und sich einen Job in einem Bereich suchen, der weniger aufreibend ist – vielleicht im Straßenbau, vielleicht als Social-Media-Manager.

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Denn egal, wie man die Wette dreht:

Der Einsatz ist zu hoch, um ihn auf dem Altar ideologischer Rhetorik zu opfern.

Und doch geschieht genau das.

Während die Welt in Dürreperioden, Energiekrisen und geopolitischen Konflikten schlingert, verheddern sich die Diskutanten lieber in einem kulturkämpferischen Theaterstück, das so grotesk ist, dass selbst die Satire Mühe hat, es zu übertreffen.

Schluss: Eine Wette, die keine mehr ist

Die Pascalsche Wette ist keine Wette mehr, sondern eine Diagnose.

Eine Diagnose darüber, wie schwer es modernen Gesellschaften fällt, Entscheidungen zu treffen, die weniger von Angst, Stolz oder ideologischer Selbstdarstellung geprägt sind als von empirischer Vernunft.

Vielleicht sollte die Energiepolitik also einfach zu Pascal zurückkehren und sagen:

„Wir tun das Sinnvollste, weil die Folgen des Gegenteils zu absurd wären.“

Und wenn jemand wieder mit Kriegsrhetorik kommt – egal ob fossil oder erneuerbar – dann sollte man ihn freundlich darauf hinweisen, dass wir schon genug historische Beispiele haben, wohin Militarisierung des Denkens führt.

Sie taugen als Mahnung.

Als Inspiration – nie wieder.

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