Der Revolutionssimulator

Wenn westliche Aktivisten Weltpolitik auf Instagram spielen

Man erkennt sie an den palästinensischen Halstüchern, den eilig zurechtgefilterten Selfies vom letzten „Free Palestine“-Marsch und den hochmoralischen Captions, die meist mehr Ausrufezeichen als Argumente enthalten. Es ist eine neue Generation des Engagements, in der man nichts wissen muss, um alles zu fühlen – und zwar sehr laut. Die westliche Aktivistenszene, urban, jung, virtuos im Kuratieren von Empörung, lebt in einem moralischen Paralleluniversum, in dem Grautöne bereits als Verrat gelten. Die Welt ist klar aufgeteilt: Israel = Apartheidstaat, Palästinenser = ewige Opfer. Wer das nicht so sieht, hat entweder „nichts verstanden“ oder „Zionistenpropaganda“ geschluckt, was im Aktivistensprech ungefähr so klingt wie „vom Teufel besessen“.

Die realen Gegebenheiten vor Ort interessieren nicht – es geht um Haltung, um Sichtbarkeit, um die Performanz des Widerstandes. Gaza ist für viele dieser moralisch überakuten Kosmopoliten weniger ein geographischer Ort als ein mythischer Sehnsuchtsraum der eigenen Radikalisierungsfantasien. Dort, im fernen Nahen Osten, kämpfen angeblich Menschen für ihre Freiheit – stellvertretend auch für den westlichen Aktivisten, der sich in Berlin-Neukölln oder in einem veganen Wiener WG-Zimmer mit Bambusvorhängen und „Critical Whiteness“-Lektüre die Nächte um die Ohren schlägt, um empörte Threads zu schreiben. Die Tatsache, dass diese Freiheitskämpfer queere Menschen auf offener Straße von Dächern werfen, Frauen unter Schleierzwang stellen und jegliche Opposition im Keim ersticken, wird dabei elegant übergangen. Ein bisschen Patriarchat, ein bisschen Scharia – wer wird denn so kleinlich sein! Es geht schließlich ums Prinzip!

Der ironische Höhepunkt ist erreicht, wenn diese Aktivisten, die sich in ihrer Freizeit gegen jede Form toxischer Männlichkeit, Gewalt und Autoritarismus aussprechen, ausgerechnet Organisationen wie die Hamas verteidigen – eine Bande reaktionärer, gewalttätiger Gotteskrieger, die von Gendergerechtigkeit etwa so viel halten wie ein Steinzeitmensch von Solarenergie. Aber hey: Dekolonialer Widerstand! Das klingt gut, das klebt gut auf Buttons, das verkauft sich gut auf Podien, auf denen man sich gegenseitig mit einer Mischung aus moralischem Größenwahn und gefährlichem Halbwissen bestärkt.

TIP:  29. September – Ein Livebericht

Die Waffe dieser Szene ist nicht der Diskurs, sondern der Shitstorm. Wer differenziert, wird gecancelt. Wer widerspricht, ist rechts. Wer auf die Fakten hinweist – etwa, dass die Hamas in ihrer Charta die Vernichtung des jüdischen Volkes fordert –, hat „internalisierte Islamophobie“. Der Debattenraum wird zur Echokammer, zur ideologischen Druckkammer, in der jeder Widerspruch als Mikroaggression gilt, jeder Hinweis auf Realität als koloniale Gewalt.

Und wenn dann – alle paar Wochen – wieder Bilder brennender Häuser durch die Feeds rauschen, setzt eine ritualisierte Empörungsperformance ein: Profile werden mit Flaggen bestückt, Linktrees mit Petitionen gefüllt, Hashtags getrommelt wie bei einem digitalen Voodooritual. Doch kaum versiegt der Strom der Aufmerksamkeit, kehrt man zurück zum Brunch, zur Achtsamkeit, zum Yoga mit Mantra – um beim nächsten Raketenhagel wieder lautstark „Ceasefire now!“ zu rufen, ohne auch nur einmal zu fragen, wer da zuerst geschossen hat. Die westliche Aktivistenszene lebt vom Konflikt, aber nicht in ihm – ihr Engagement ist so risikofrei wie ein Netflix-Abo, aber mit deutlich mehr moralischer Selbstgefälligkeit.

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