Der Frieden fährt jetzt Panzer – 80 Jahre nach dem Krieg

Am 8. Mai 1945, heute vor exakt 80 Jahren, verstummten die Kanonen des Zweiten Weltkriegs – Europas letzte große Apokalypse, bevor wir lernten, Zerstörung präziser zu gestalten. Was damals als Tag der Befreiung gefeiert wurde, hat sich heute zum Tag der gesinnungsethischen Doppeldeutigkeit entwickelt. Eine Gelegenheit für Politiker*innen aller Couleur, mit feierlich gesenktem Blick und blitzenden PR-Augen zu verkünden, dass wir niemals vergessen dürfen, dass Frieden unser höchstes Gut ist – und dass dieser leider nur mit mehr Waffen gesichert werden kann.

Wie beruhigend, dass wir als aufgeklärte, liberale Demokratien gelernt haben, unsere Worte genauso gezielt einzusetzen wie Marschflugkörper. „Nie wieder Krieg“ – das klingt nach Mahnmal, meint aber längst das nächste Rüstungsbündnis. Wer heute „Frieden“ sagt, meint eine strategisch saturierte Eskalationsbereitschaft mit wertebasiertem Anstrich. Wir liefern keine Waffen, um zu töten – wir liefern sie, um zu retten. Das ist kein Zynismus, das ist Verteidigungspolitik mit PowerPoint-Zertifikat.

Wenn das Erinnern zur Pose wird

Der 8. Mai ist heute weniger ein Tag der Reflexion als ein Kalender-Event mit fest eingebauter Doppelmoral. Es wird gekranzniedergelegt, geschwiegen und gleichzeitig lautstark betont, wie wichtig es sei, nicht neutral zu sein. Moralische Klarheit ist wieder gefragt, Schwarz und Weiß liegen endlich wieder klar getrennt wie in einem frühen Western. Nur dass die Guten diesmal NATO heißen und das Ziel nicht mehr Völkerverständigung, sondern Systemwettbewerb ist.

Und so wird Gedenken heute zur stilisierten Haltungsübung. Die alten Veteranen, sofern noch lebendig, nicken dazu milde. Vielleicht erinnern sie sich noch an eine Zeit, in der Krieg als Scheitern galt – und nicht als moralisch gerechtfertigte Option mit Lieferkette und Bundestagsmandat. Damals kämpfte man gegen Faschismus, heute reicht ein böser Blick aus dem Osten, um den militärischen Komplex wieder auf Betriebstemperatur zu bringen.

Pazifismus – der letzte Fetisch einer übermüdeten Nachkriegsethik

Wie rührend: Es gibt sie noch, diese Menschen, die an Frieden glauben. Meistens sind sie alt, Lehrer oder Katholiken. Oder alles zugleich. Sie schreiben Leserbriefe, die niemand mehr druckt, und stehen mit Transparenten vor Ministerien, während über ihren Köpfen die Eurofighter trainieren, das Neue Europa zu sichern. Sie sagen Dinge wie: „Man müsste verhandeln.“ Oder: „Auch der Gegner hat Interessen.“ Welch dekadente Sentimentalität!

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Denn in der realpolitischen Gegenwart gibt es keine Zeit für Naivität. Wer heute noch vom Frieden spricht, während sich die Verteidigungshaushalte verdoppeln, wird mindestens belächelt, wenn nicht gleich unter russischem Verdacht verhaftet. Die Zeitenwende duldet keine Zweifel – höchstens Lieferverzögerungen bei Leopard-Ersatzteilen. Und während sich der Pazifismus ins Private zurückzieht wie ein alternder Hund in die Garage, feiern die Rüstungsaktien ein Comeback wie Dieter Bohlen bei RTL.

Der Krieg als Karrierechance – oder: Wie man aus Geschichte endlich wieder Profit schlägt

Man könnte fast meinen, der Krieg ist zurück – aber diesmal als Businessmodell mit Integritätsgarantie. Zwischen den Mahnreden zum 8. Mai blinken die Quartalszahlen der Rüstungskonzerne: Rheinmetall, Hensoldt, Lockheed – Namen, die klingen wie Soundtracks der neuen Weltordnung. Frieden ist schön, aber Marge ist schöner. Und während der gemeine Steuerzahler noch glaubt, Solidarität werde in humanitärer Hilfe gemessen, wissen die CEOs: Am Ende zählt die Reichweite – von Raketen wie von Reichweitenmedien.

Auch in der Politik wird wieder gekämpft, diesmal um Glaubwürdigkeit im Kriegsdiskurs. Wer heute Karriere machen will, darf nicht zögern, Waffenlieferungen zu fordern. Jeder Talkshow-Auftritt ist ein Stellungskrieg im moralischen Gelände. Je härter der Ton, desto reiner das Gewissen. Wer differenziert, verliert. Die Schlacht um die Narrative wird mit denselben Mitteln geführt wie die auf dem Schlachtfeld: mit Drohnen, Satelliten und der atomaren Option, einen Tweet zu löschen.

Fazit: Nie wieder Krieg – wir meinen es ernst. Bis zur nächsten Lieferung.

Der 8. Mai 1945 – ein Tag der Befreiung. Und heute? Ein Tag der Betriebsanleitung für ein Friedensverständnis, das ohne Rüstung nicht mehr auskommt. Wir gedenken, wir mahnen, wir liefern. Die Mahnmale stehen noch, aber sie haben neue Nachbarn bekommen: Logistikzentren für ballistische Hoffnung. Der Frieden ist nicht tot – er wurde nur ausgelagert. In parlamentarische Ausschüsse, in diplomatische Telegramme, in NATO-Papierberge.

Es bleibt also dabei: „Nie wieder Krieg“ – außer, es ist wirklich dringend. Und falls doch: Wir hätten da was im Lager.

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