Ich bin ein alter, weißer Mann. Schon diese Aussage – rein deskriptiv – ist heute ein Schuldeingeständnis. Ein verbaler Offenbarungseid, der in der Hierarchie der moralischen Wertung irgendwo zwischen „SUV-Fahrer“ und „Atomkraftbefürworter“ rangiert. Ich bin über 60, also: cis, hetero, männlich, westlich sozialisiert, wirtschaftlich unabhängig und politisch überhaupt nicht „woke“. Ich bin, kurz gesagt, der Endgegner jeder Diskursveranstaltung an deutschen Universitäten. Ich bin das, wovor heute gewarnt wird – nicht etwa wegen meiner Taten, sondern meiner Jahrgänge. Eine Art wandelndes Patriarchat im Ruhestand, das bestenfalls schweigen, schlimmstenfalls umdenken sollte.
Denn ich habe mich geirrt. Ja wirklich. Ich dachte früher, es gäbe zwei Geschlechter – biologisch jedenfalls. Ich dachte, Sprache diene der Verständigung und nicht dem Tugendsignal. Ich dachte, Ironie sei ein Stilmittel und kein Mikroaggressionswerkzeug. Und ich dachte, Meinungsfreiheit bedeute, dass man widersprechen darf – nicht, dass man um Verzeihung winseln muss, bevor man etwas Kritisches äußert.
Apokalypse auf Raten: Der Klimatod wartet an der Kasse
Die neue Religion unserer Zeit kennt keine Himmel, keine Heiligen, keine Erlösung – aber sie kennt die Apokalypse. Und sie kommt garantiert, wenn wir nicht sofort eine CO₂-Steuer bezahlen. Nicht irgendwann, sondern morgen. Spätestens übermorgen. Es sei denn, wir recyceln unsere Zahnbürsten, verzichten auf Flugreisen, essen Hafermilch und zahlen, zahlen, zahlen. CO₂ ist das neue Teufelsgas. Früher hat man sich im Namen des Herrn gegeißelt – heute kompensiert man seinen Latte-to-go mit einem schlechten Gewissen und 18 € für atmosfair.
Ich erinnere mich an eine Zeit, da war Ökologie wichtig, aber nicht hysterisch. Da waren Klimaforscher nüchtern, nicht missionarisch. Heute dagegen sind Kinder die Vordenker der Energiepolitik, und wer einen Baum pflanzt, darf sich als Messias feiern lassen. Ich habe nichts gegen Umweltschutz – aber etwas gegen den sakral aufgeladenen Ablasshandel, der daraus gemacht wurde. Wer nicht mitmacht, ist nicht nur ein Leugner, sondern ein Sünder. Eine Art CO₂-Ketzer. Und für Ketzer war in der Geschichte nie viel Platz.
Die Rentenzahler aus aller Welt
Ich habe auch gelernt: Migration rettet unsere Renten. Das sagen Studien. Zumindest manche. Also die richtigen. Jene, die man in Talkshows zitiert und in Redaktionen herumreicht wie Hostien. Die Idee, dass Menschen, die aus völlig anderen kulturellen, sprachlichen und sozialen Systemen kommen, in einem Land mit durchreglementiertem Arbeitsmarkt, höchsten Zugangshürden und maximaler Bürokratie plötzlich alle Steuerzahler werden, ist so charmant wie naiv. Aber sie klingt gut. Und das ist heute wichtiger als alles andere.
Ich erinnere mich an Zeiten, in denen Integration ein mühsamer, aber konkreter Prozess war. Heute ist sie ein abstraktes Dogma. Eine Behauptung, die jeder Einzelfall widerlegt – aber niemand infrage stellen darf. Denn das wäre dann „rechts“. Und rechts ist, wie wir wissen, das neue Böse. Ein Begriff, der alles umfasst – von Menschen, die sich über Sprachregelungen wundern, bis hin zu tatsächlichen Nazis. Ein semantisches Erdbeben, das den Unterschied zwischen einem konservativen Bürger und einem Faschisten in einem moralischen Erdrutsch verschwinden lässt.
Die Einbahnstraße des Diskurses
Man sagt mir: Die Gefahr kommt von rechts. Immer. Ausschließlich. Wer das infrage stellt, gilt bereits als Teil des Problems. Dabei ist das Problem vielleicht nicht nur politisch – sondern intellektuell. Es ist die Unfähigkeit, Ambivalenz zu ertragen. Die neue Öffentlichkeit funktioniert wie ein Sicherheitsgurt: festgeschnallt, alternativlos, mit Airbag gegen jede Form von Abweichung. Die alte pluralistische Idee, dass man miteinander ringt, sich widerspricht, streitet und dennoch respektiert – ist abgelöst worden durch eine Moraljurisdiktion, in der Begriffe wie „Vielfalt“ nur gelten, solange sie im gleichen Takt nicken.
Ich war nie ein Fan des Sozialismus. Heute wird er mir wieder als Zukunftsmodell verkauft – diesmal im grünen Gewand, mit dem Versprechen: Wohlstand für alle. Natürlich nicht in Form von Eigentum, Verantwortung oder Leistung. Sondern durch Umverteilung, Regulierung und Dauerbetreuung. Der Bürger als Kunde eines Staates, der alles weiß, alles lenkt, alles zuteilt. Das hat beim letzten Mal schon nicht funktioniert – aber diesmal ist es ja „fürs Klima“ und „gegen Rechts“. Das reicht.
Und nun? Ein Fazit im Nebel
Ich bin ein alter weißer Mann. Ich bin privilegiert. Aber mein größtes Privileg ist, dass ich mich noch erinnern kann. An Diskurse ohne Cancel Culture. An Wissenschaft ohne Dogmen. An Journalismus ohne Haltungspflicht. An Politik ohne infantil-moralischen Imperativ. An Zeiten, in denen man dem Staat misstraute, nicht heiligsprach.
Heute ist das alles Geschichte. Und Geschichte, das weiß ich, wird von denen geschrieben, die übrig bleiben. Und wer sich nicht beugt, bleibt nicht übrig. Er wird „eingespart“, „entfolgt“, „entlarvt“, „problematisiert“ – oder einfach ignoriert.
Aber ich bin noch da. Ich schaue zu. Ich schreibe. Ich erinnere mich. Und vielleicht, irgendwann, wird man merken, dass das größte Privileg nicht jung, divers oder genderfluid ist – sondern kritisch.