Präambel des drohenden Donnerwetters

Man stelle sich vor: Ein Samstag in Kecskemét, die Luft geschwängert von patriotischem Pathos, der süße Duft frisch gedruckter Slogans weht durch die Reihen der Digitalen Bürgerkreise, und auf der Bühne steht der Premierminister eines mitteleuropäischen Landes, das sich – folgt man der Rhetorik seines Regierungschefs – nur noch knapp am Rand einer historischen Katastrophe entlangschleppt. Viktor Orbán, der Mann, der das Unheil kommen sieht, lange bevor der Rest des Kontinents überhaupt die Wetterkarte studiert hat, verkündet, die Wahl 2026 werde die letzte Wahl vor dem Krieg sein.

Es ist eine Ankündigung, die so unbestreitbar epochal klingt, als hätte sie ein antiker Seher, frisch aus der Höhle des Orakels, in den Medienraum des 21. Jahrhunderts geschleudert. Und gewiss: Wenn man das eigene politische Schicksal so behutsam und klug pflegt wie andere Menschen Bonsai-Bäume, dann lohnt sich ein wenig Endzeitdramatik immer. Sie nährt die Wurzeln, befeuchtet das Moos und verhindert, dass irgendjemand auf die Idee kommt, nachzufragen, ob nicht auch das eine oder andere Blatt künstlich angeheftet sein könnte.

Krieg oder Nicht-Krieg – das ist hier die Frage, und die Antwort kennt nur einer

Orbán lässt keinen Zweifel: 2026 entscheidet nicht etwa über Schulen, Straßen, Krankenhäuser oder – Gott bewahre – alltägliche Lebensqualität, sondern über Krieg oder Frieden. Ein politischer Reduktionismus, der so kühn ist, dass er beinahe schon bewundernswert wirkt. Denn während andere Regierungschefs mühsam versuchen, komplexe Realitäten zu erklären, hat Orbán längst verstanden: Wer gewinnt, hat recht; wer verliert, hat Krieg.

Natürlich ist „Krieg“ ein mächtiges Wort, ein rhetorisches Stemmeisen, das jede Debattentür aus den Angeln hebt. Und wenn man erst einmal verkündet hat, dass der Feind nicht nur an den Toren rüttelt, sondern bereits im Keller Licht brennen lässt, dann lässt sich vieles sagen – und noch mehr vermeiden.

Dass „pro-Brüssel“ in dieser Dramaturgie die Rolle des Bösewichts übernimmt, verwundert niemanden, der Orbán länger als fünf Minuten zugehört hat. Brüssel ist für diese Art politischer Epik, was die Drachen für „Game of Thrones“ sind: ein notwendiges Monster, das man immer dann herbeizitiert, wenn die Handlung schwächelt.

Gier, diese alte Bekannte – diesmal in Brüssel

Brüssel, so erfahren wir, ist gierig. Gierig nach Sanktionen, gierig nach Gehorsam, gierig danach, Ungarn keine Ausnahmen zu gewähren, obwohl die Stadt ja angeblich so wenig Einwohner zählt, dass man fast vermuten könnte, Orbán halte sie für ein Provinzdorf, das sich wundersamerweise zur EU-Hauptstadt emporgeträumt hat.

Man muss ein wenig schmunzeln, wenn der Premierminister aus tiefster Brust erklärt, dass „Gier“ sei, wenn jemand sich nicht um die Auswirkungen seines Handelns auf andere kümmere. Denn so elegant gedreht könnte man fast meinen, es handle sich nicht um eine Kritik, sondern um eine Selbstbeschreibung eines internationalen Energiebezugs, der die geopolitische Stabilität mit der Zärtlichkeit einer Abrissbirne behandelt.

Doch der Ministerpräsident weiß, was zählt: Ausnahmen. Ausnahmen sind wie Freikarten fürs politische Überleben. Und wenn Donald Trump eine solche Ausnahme gewährt, begleitet von jener charmanten Drohung, die an unvergessliche Mafiafilm-Momente erinnert, dann klingt das in Orbáns Erzählung fast wie eine Anekdote über väterliche Fürsorge.

Links hebt, rechts senkt – fischt der Staat im Steuermeer

In der Orbánschen Welt ist die Wirtschaftspolitik eine bipolare Wasserschildkröte: Auf der einen Seite hebt die Linke die Steuern – immer, überall, logisch, zwanghaft –, auf der anderen Seite senkt die Rechte sie, fast so zuverlässig wie die Schwerkraft einen fallengelassenen Apfel nach unten zieht.

Es ist ein Weltbild, das so schlicht ist, dass es tatsächlich eine gewisse Eleganz besitzt. Denn während akademische Volkswirtschaftler in mühsamen Modellen über „Güterallokation“, „externe Effekte“ und „Strukturreformen“ sprechen, weiß Orbán längst: Es gibt nur zwei Wege. Und beide haben Pfeile. Einer zeigt nach oben, einer nach unten. Fertig.

Dass die Linke angeblich glaubt, Geld sei bei Politikern besser aufgehoben, ist dabei ein hübsches Detail, das den politischen Gegner in einer Art karikaturhafter Überzeichnung darstellt, wie sie in alten Comics üblich war, wenn man Bösewichte mit Augenbrauen aus Sägeblättern ausstattete. Orbáns Problem: Er wirkt dabei ganz ernsthaft davon überzeugt, dass es tatsächlich genau so einfach ist.

Souveränität als Fetisch der kleinen Staaten

Ungarn müsse „unabhängig“ bleiben, „souverän“, „sein eigener Herr“. Das sind Begriffe, die Orbán mit der innigen Leidenschaft eines Menschen verwendet, der ein besonders empfindliches Haustier pflegt, das jederzeit vor Schreck tot umfallen könnte, wenn man es nur zu laut anspricht.

Natürlich klingt Souveränität wundervoll – fast so wie „Schokolade“, „Freundschaft“ oder „kostenlose Gesundheitsversorgung“. Doch Orbáns Vorstellung davon gleicht mitunter eher einem absurden Theaterstück, in dem ein Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern versucht, sich als geopolitischer Ninja zu inszenieren, der mit besonders ausgeklügelten Gedankensprüngen selbst Riesen überlistet.

Die USA, so behauptet Orbán, hätten Europa bescheinigt, seine Regierungen würden „die Demokratie verhöhnen“. Eine Art diplomatischer Tobsuchtsanfall? Ein Missverständnis? Oder war vielleicht schlicht der US-Praktikant an jenem Tag für die Formulierungen verantwortlich? Orbán jedenfalls baut daraus eine weitere Mahnung in seiner Notwendigkeitsoper: Europa wolle keinen Frieden – nur er wolle ihn, und zwar so sehr, dass seine Friedensliebe inzwischen beinahe militärische Intensität erreicht hat.

Die Klugheit der Kleinen und die „Dummheit“ als nationale Bedrohung

Orbán erklärt mit voller Überzeugung, ein kleines Land könne es sich nicht leisten, dumm zu sein. Eine bemerkenswerte Aussage, nicht zuletzt, weil sie ahnen lässt, wie viele Menschen in Ungarn bei diesem Satz spontan an die Zusammensetzung verschiedener politischer Gremien gedacht haben dürften.

Die Warnung, dass „dumme Menschen niemals in Führungspositionen gewählt werden sollten“, hat etwas Tragikkomisches. Denn wie so oft in der Politik entsteht hierbei ein Déjà-vu-Gefühl: Diejenigen, die vor Dummheit warnen, haben selten den Blick in den Spiegel gemeint.

Finale: Die große Vorbereitung auf die Nachkriegswelt

Die Nachkriegswelt – deren Existenz Orbán bereits so sicher antizipiert wie andere Menschen den nächsten Jahreszeitenwechsel – müsse vorbereitet werden. Gleichzeitig müsse man die Wahl 2026 gewinnen. Beides sei gleichermaßen wichtig. Ein Satz, der so wunderbar offenherzig ist, dass er beinahe schon als versehentliche Selbstenthüllung gelten könnte.

Denn das Kalkül ist klar: Wer den Krieg vorher ankündigt, kann den Frieden nachher feiern – selbst wenn beides ausschließlich im imaginären Raum stattgefunden hat.

Epilog in Moll

So bleibt am Ende ein Eindruck von einem politischen Erzähler, der mit dramatischen Allegorien jongliert wie ein Varietékünstler, der sich nicht sicher ist, ob im nächsten Moment sein Publikum klatscht oder ihn ausbuht. Und wie bei jedem guten Satirestoff ist es schwer zu entscheiden, ob man lachen, weinen oder sich einfach ein Glas Wein einschenken sollte.

Vielleicht ist es aber genau diese Ambivalenz, die die Orbánsche Rhetorik so faszinierend macht: Sie ist ein bisschen Tragödie, ein bisschen Farce, und ein bisschen Zirkus – und manchmal, ganz heimlich, auch ein wenig Selbstparodie.

Beate und die Transparenz in der Waldheimat

Die alpine Kunst des Durchblickvermeidens

Die Waldheimat war schon immer ein Ort eigentümlicher Klarheiten und noch eigentümlicherer Verschleierungstechniken. Man könnte sagen, sie sei eine Art demokratiepolitisches Feuchtbiotop, in dem Transparenz zwar als exotische Pflanze gedeiht, aber in sorgfältig regulierten Mengen, vorzugsweise weit hinter einem Sichtschutz aus Verordnungen, Übergangsbestimmungen und bewusst missverstandenen Paragraphen. Dort, wo sich einst die Kühe an gemütlichen Sommerabenden gegenseitig zutaten, welches Kraut am Hang am besten gedeiht, findet man heute Akten, die offenbar beschlossen haben, ebenfalls Wiederkäuer zu sein: Sie tauchen auf, verschwinden, kommen vorübergehend ans Licht, nur um sich dann Jahrzehnte später erneut in ihren Panzerschränken niederzulassen, mit dem behaglichen Gefühl, der Öffentlichkeit einmal mehr ein Schnippchen geschlagen zu haben. Und inmitten all dessen sitzt Beate, Hüterin der Transparenz, ehemalige Leuchtturmgestalt der NEOS, heutige Ministerin – umgeben von der satten Aura politischer Verantwortung –, die offenbar die außerordentliche Gabe besitzt, jene Fenster zu verdunkeln, deren Öffnung sie einst mit rosarotem Pathos gefordert hatte. Eine Ironie, die man sich nicht besser ausdenken könnte, hätte nicht bereits die österreichische Realität jahrzehntelang daran gefeilt.

Der Personalakt als politisches Totemtier

Es gibt in diesem Land Dinge, die verehrt werden wie sakrale Gegenstände, nicht wegen ihres Inhalts, sondern wegen ihrer Möglichkeit, Unannehmlichkeiten hervorzurufen. Der Personalakt von Kurt Waldheim gehört zweifellos in diese Kategorie. Er ist die österreichische Bundeslade der Nachkriegszeit: Jeder weiß, dass sie irgendwo existiert, niemand darf sie öffnen, und alle, die zu nah herantreten, verschwinden – zumindest politisch – für einige Zeit in jener Schattenzone, in der nur mehr die jeweils zuständige Pressesprecherin den Weg nach draußen kennt. Dieser Akt war während des Wahlkampfes 1986 verschollen, wiedergefunden, im Panzerschrank verstaut, selektiv Präsentiertem unterzogen, an Journalisten verfüttert und schließlich zum ewigen Problemfall der Zweiten Republik geworden. Er ist ein Symbol für das, was Österreich am besten kann: die gleichzeitige Behauptung, dass alles ohnehin längst aufgearbeitet sei, gepaart mit einem fast zärtlichen Festklammern an jenen Dokumenten, die genau dieser Aufarbeitung im Weg stehen. Dass ausgerechnet die Historikerkommission von 1988, die mit dem Pathos der schonungslosen Aufklärung angetreten war, den Akt nicht einmal sehen wollte, wirkt im Rückblick wie eine besonders österreichische Pointe – vielleicht hielt man ihn schlicht für überbewertet oder für eine administrativ gewordene Form von Zweitwohnsitz: niemand hat ihn, niemand braucht ihn, aber wehe, es fragt jemand danach.

Der Minoritenplatz und die Kunst der taktischen Übergabe

Mit der Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes war plötzlich ein ungebetener Luftzug im engen Flur der ministeriellen Aktenverwaltung zu spüren. Und wie man weiß, verabscheuen Ministerien Zugluft fast so sehr wie jene unangenehmen Situationen, in denen Journalisten höflich, aber bestimmt verlangen, das Gesetz möge auch für Behörden gelten. Die einzig logische Lösung: den Personalakt nicht öffnen, sondern verschieben. Und zwar nicht irgendwie, sondern präzise, fachgerecht, in bester österreichischer Tradition: hinüber ins Staatsarchiv, wo die langen Schatten der Archivgesetzgebung über jedes Dokument fallen wie das schützende Dach einer Berghütte über den müden Wanderer. Die Übergabe erfolgte so flott, man hätte meinen können, der Akt sei plötzlich radioaktiv geworden und müsse dringend aus der Reichweite neugieriger Bürger gebracht werden. Am selben Tag, an dem der Antragsteller freundlich über die Unanwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetzes aufgeklärt wurde, rollte der Akt bereits archivalisch Richtung Wien-Erdberg, wo er nun bis 2033 in einer Art amtlichem Winterschlaf verharren darf. Ein taktisches Meisterstück, das in seiner Eleganz fast an alpine Abfahrtstechnik erinnert: Die Kurven eng, die Geschwindigkeit hoch, die Transparenz gering.

Beate als Lichtgestalt des Lichtvermeidens

Besonders hübsch ist die Rolle jener Bundesministerin, die einst – damals noch als NEOS-Abgeordnete – das Banner der Transparenz hochhielt wie eine Mischung aus Jeanne d’Arc und Pressesprecherin der Aufklärung. Die gleiche Beate, die 2013 den ersten Antrag für ein Informationsfreiheitsgesetz stellte, muss heute mitansehen, wie unter ihrem Namen Schreiben verschickt werden, die den Geist der Transparenz eher als scheue Spukgestalt behandeln, die man besser keinem Tageslicht aussetzt. Man könnte meinen, die Ministerin habe in ihrem Amt eine merkwürdige Metamorphose durchlaufen: vom politischen Glühwürmchen, das die Finsternis erhellen will, zum Beamtenminnenspiel, bei dem die Regeln lauten: „Wer zuletzt durchsichtig ist, verliert.“ Vielleicht ist es einfach der österreichische Verwaltungsapparat, der aus jeder Reformerin mit beeindruckender Zuverlässigkeit eine Verfechterin des status quo macht – eine Art institutioneller Gravitation, die jede idealistische Absicht nach unten zieht, in jene Schubladen, in denen schon andere Transparenzprojekte staubig ruhen.

Das Archiv als Zeitmaschine der Verantwortung

Die Entscheidung, den Personalakt unter das Bundesarchivgesetz fallen zu lassen, ist im Grunde eine elegante Form der politischen Zeitreise: Man befördert ein ungeliebtes Dokument in eine Zukunft, in der alle Beteiligten längst emeritiert, pensioniert oder im Fall politischer Karrieren: diskret vergessen worden sind. 2033 klingt politisch betrachtet wie eine ferne Galaxie, ein Jahr, das nur noch in Fußnoten vorkommen wird: „Damals, als man noch Ministerien hatte, die Transparenz mit dem Staubwedel verwechselt haben.“ Wenn der Personalakt in zehn Jahren endlich zugänglich sein wird, werden Historiker vermutlich feststellen, dass man all das bereits gewusst hat – oder zumindest hätte wissen können, wenn man es denn gewollt hätte. Es ist ein vertrautes Muster: Man vertagt die Verantwortung auf eine Generation, die keine Fragen mehr stellt, weil sie dann mit ganz anderen Baustellen beschäftigt ist, etwa der Auswertung digitaler Kommunikationsarchive, die längst komplexer sind als alle Papierschränke der Republik zusammen.

Und täglich grüßt die Vergangenheitsbewältigung

Österreich ringt gern mit seiner Vergangenheit, allerdings vorzugsweise in der Art eines Ringers, der sehr bemüht aussieht, aber strategisch darauf hinarbeitet, möglichst selten Bodenkontakt zu bekommen. Man umkreist das Thema, klopft die Verfassung auf mögliche Auswege ab, zieht die Archivgesetze heran, zitiert historische Zuständigkeiten – aber man vermeidet es, das eigentliche Problem anzufassen. Waldheims Geschichte ist in dieser Disziplin ein Meisterkurs: Ein Akt, der als politisches Risiko gilt, darf nicht einfach behandelt werden wie jeder andere. Die Verwaltung scheint vielmehr beschlossen zu haben, dass Dokumente, je brisanter, desto länger im Halbdunkel ruhen müssen, damit sich ihre Schärfe auf natürlichem Wege verliert. Vielleicht hofft man auch, dass sich die historische Verantwortung wie ein alter Käse verhält: lang genug gelagert, verliert er seinen beißenden Geruch und wird zu einem milden, fast harmlosen Artefakt, das man am Ende sogar gern herzeigt.

Epilog der Transparenz: Ein Land und seine Akten

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Transparenz in Österreich ein Kulturprojekt ist, das von der gleichen Energie getragen wird wie der Bau von Großprojekten: ambitioniert begonnen, liebevoll diskutiert, am Ende aber von einer Vielzahl kreativer Umwege, Fristverlängerungen und formalistischer Entscheidungen umstellt. Der Personalakt Waldheim ist dafür das vielleicht schönste Beispiel: ein Dokument, das mehr sagt, indem es nicht gezeigt wird, als es je könnte, wenn man es offenlegte. Und Beate, die einstige Vorkämpferin für offene Verwaltung, steht nun an jener Stelle, die in diesem Land traditionell schneller rotiert als jedes Karussell: der Grenze zwischen Prinzip und Praxis. Dass sie dort steht, ist kein persönliches Versagen, sondern fast schon eine österreichische Naturgewalt – der Bannkreis der Verwaltung, der jeden Fortschrittsversuch in ritualisierte Amtshandlungen verwandelt. Aber wer weiß: Vielleicht kommt 2033 tatsächlich der große Tag, an dem wir endlich erfahren, was in diesem sagenumwobenen Akt steht. Und vielleicht werden wir feststellen, dass die eigentliche Sensation nicht der Inhalt ist, sondern die jahrzehntelange Energie, die darauf verwendet wurde, ihn zu schützen. Ein Aufwand, der fast sentimental stimmt – so sehr hat man sich in der Waldheimat an das Verbergen gewöhnt, dass Transparenz selbst schon wieder als verdächtig gilt. In dieser Atmosphäre, so scheint es, atmen nicht die Menschen leichter, sondern nur die Akten.

Anne Frank mit Kufija

Wenn Historie zur Meme-Kultur mutiert

Es gibt Momente in der Kunstkritik, die so bizarr wirken, dass man sich fragen muss, ob man Zeuge eines intellektuellen Deliriums oder schlicht moralischer Blindheit ist. Costantino Ciervos Ausstellung „Comune. Das Paradox der Ähnlichkeit im Nahostkonflikt“ gehört zweifellos in diese Kategorie. Neapel, 1961 geboren, Wirtschaft und Politik studiert, nur um dann, wie so viele Intellektuelle mit gescheitertem Rationalismus, die „freie Kunst“ als Bühne für moralische Selbstverherrlichung zu wählen – welch groteske Ironie.

Ciervo greift nicht irgendeinen politischen Skandal, sondern die wohl sensibelste Figur des 20. Jahrhunderts: Anne Frank – versehen mit einer roten Kufija. Es ist der Versuch, historische Opfer als Accessoires eines zeitgenössischen Diskurses zu benutzen. Hier wird nicht Kunst geschaffen, hier wird Geschichte trivialisiert, geformt nach der Bequemlichkeit des Künstlers. Die stille Chronistin ihres eigenen Untergangs wird zum moralischen Kompass umdefiniert – posthum, digital, entkernt.

Die Kunst der Grenzüberschreitung oder der ästhetische Antisemitismus

Anne Frank, am Tisch sitzend, ein iPad vor sich – als wäre ihr Tagebuch plötzlich ein Twitterfeed. Die Frage, wie sie sich zum Nahostkonflikt positionieren würde, ist so abgründig wie geschmacklos.(Ciervo fragt: „Wie würde sich Anne Frank heute zum Nahostkonflikt positionieren? Wie würde sie sich anlässlich der genozidalen Politik Israels in Gaza verhalten? Würde sie wegen ihres Humanismus, den ihre Tagebücher dokumentieren, wie zahlreiche jüdische Intellektuelle ihre Stimme gegen die israelische Politik erheben?„) Dies ist kein Dialog mit der Vergangenheit, sondern eine Aneignung, eine intellektuelle Kolonialisierung historischer Erfahrung. Moralisch verkleidet, intellektuell verbrämt – im Kern jedoch eine Form von klassischem, ästhetisch verbrämten Antisemitismus: die Verfälschung der Geschichte unter dem Vorwand humanistischer Ambitionen.

Humor als Schutzanzug gegen Unfähigkeit

Ciervo bietet ein Meme der Shoah: Anne Frank + iPad + rote Kufija. Der „Humor“, der hier suggeriert wird, ist nicht befreiend, sondern entlarvend. Er offenbart eine Gesellschaft, in der historische Sensibilität beliebig verschiebbar geworden ist, solange das Resultat viral taugt. Die Ironie wird zum Mittel der Distanzierung von Verantwortung: Wenn das Opfer gefahrlos politisch instrumentalisierbar wird, spielt der Kontext keine Rolle mehr.

Das moralische Feuilleton in Absurdität

Der intellektuelle Voyeurismus, der hier betrieben wird, ist subtil wie ein Vorschlaghammer. Die Erwartung, historische Opfer in zeitgenössische Debatten einzuspannen, ohne dass die Vergangenheit zurückschlägt, offenbart die moralische Kurzsichtigkeit des Kunstbetriebs. Ciervos Bild provoziert kaum, es ästhetisiert die eigenen, bequemen Vorurteile – und das unter dem Deckmantel „kritischer Kunst“.

Schlussakkord: Historische Integrität versus digitale Provokation

Am Ende steht der Betrachter ratlos vor Anne Frank, iPad vor sich, rote Kufija als politisches Instagram-Filter-Accessoire. Was inszeniert wird – Diskurs, Provokation oder eitle Symbolmanipulation – bleibt unklar. Dass dies als künstlerische Kühnheit gefeiert wird, offenbart mehr über die Zeitgenossen als über den Künstler. Die Erkenntnis ist bitter: Manchmal ist die Absurdität so groß, dass sie sich nicht einmal mit bitterem Humor rechtfertigen lässt. Man kann nur staunen – und sich fragen, wie viel Gleichgültigkeit und ästhetisierte Geschichtsvergessenheit nötig sind, um so etwas zu kreieren.

Die unheilige Allianz von Marx und Cappuccino

Man muss sich das einmal vorstellen: Karl Marx, der glühende Prophet der proletarischen Emanzipation, liefert 1843 in seiner „Zur Judenfrage“ eine Abhandlung, die, entkleidet von ihrem philosophischen Mäntelchen, schlichtweg wie ein Lehrbuch des antisemitischen Ressentiments wirkt. „Welches ist der weltliche Grund des Judenthums? Der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.“ Ein derartiges rhetorisches Feuerwerk der Dämonisierung – bei aller intellektuellen Hochglanzverpackung – liest sich wie ein literarischer Vorgriff auf die spätere nationalsozialistische Agitation. Hier liegt nicht nur eine sachliche Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse vor, sondern eine geradezu theatralische Inszenierung des Juden als Inbegriff des Bösen, des Profanen, des wirtschaftlich-pragmatischen Menschen überhaupt. Und dennoch: Wer in dieser Linken nach moralischer Selbstkritik sucht, findet höchstens eine verschämte Fußnote. Man könnte lachen, wäre die Tragweite dieser Worte nicht so verheerend, hätten sie nicht den Nährboden für Jahrhunderte latenten Antisemitismus gelegt.

Latte, Palituch und moralische Hochstapelei

Heute, so scheint es, ist Marx’ giftige Vorlage nicht mehr nötig – sie hat einen schickeren, hipperen Anstrich erhalten. Der Antisemitismus der Linken trägt keinen braunen Anzug mehr; er sitzt auf Designerstühlen in Cafés, nippt an Soja-Latte und trägt Palituch wie eine moralische Uniform. Die alten Kategorien von Eigennutz und Geldgier haben sich gewandelt: Nun heißt der Feind „Zionismus“, und das Schachern ist ersetzt durch imaginäre koloniale Unterdrückungsstrukturen. Hier versammelt sich die neue Avantgarde: Bobo-Schmuddelkinder, ausgestattet mit Judith-Butler-Zitaten wie Talismanen, bewaffnet mit postkolonialer Theorie, die jedem realen politischen Diskurs die Luft abdreht. Queere Gazapahtasien tanzen auf dem Podium, während im Hintergrund die Handschläge mit Islamisten schon fast zum festen Bestandteil der Choreographie gehören. Man könnte es grotesk nennen, könnte die Fassung verlieren, würde man nicht erkennen, dass genau diese groteske Selbstverliebtheit das Kapital der neuen linken Moral-Elite ist.

Die Perfektionierung des ideologischen Hokuspokus

Es ist geradezu atemberaubend zu beobachten, wie die Enkel jener, die einst unter der Ideologie des Klassenkampfes litten und doch Menschlichkeit predigten, heute die alte Ressentimentsammlung im roten Mäntelchen gesellschaftsfähig machen. Marx’ antisemitische Fingerzeige werden durch postmoderne Philosophie poliert, verpackt in gutklingende Schlagworte und moralische Heiligenscheine. Der historische Antisemitismus wird nun getarnt als „kritische Solidarität mit unterdrückten Völkern“, als „Antizionismus“, als „emanzipatorische Ethik“ – und die Öffentlichkeit nickt höflich, während die alten Feindbilder ungestört weiterleben. Es ist die Vollendung eines ideologischen Hokuspokus, der aus Ressentiment, Selbstgerechtigkeit und intellektuellem Exhibitionismus eine kaum zu durchschauende Symphonie der Selbsttäuschung komponiert.

Eine linke Tragikomödie in mehreren Akten

Am Ende bleibt ein bitter-komischer Eindruck: Die Linke, die einst die Fesseln der Ungleichheit sprengen wollte, hat eine erstaunliche Fähigkeit entwickelt, antisemitische Strömungen zu veredeln, zu verhüllen und ihnen gleichzeitig einen intellektuellen Glanz zu verleihen. Was Marx als Feindbild in seine Feder schrieb, wird heute in Form von Kaffeekultur, Gender-Debatten und geopolitischer Moralanalyse fortgeführt. Die groteske Ironie: Aus historischen Opfern werden rhetorische Projektionsflächen, aus moralischer Empörung wird ideologische Selbstverliebtheit, und aus Kritik an Machtstrukturen ein veritabler Ersatzkrieg gegen Juden, nur diesmal in Designerklamotten. Man kann sich dieser grotesken Tragikomödie nicht entziehen; man kann sie nur, mit schmerzlichem Schmunzeln, als Spiegel unserer kollektiven intellektuellen Eitelkeit erkennen – und sich fragen, wie aus der Prophetenstimme des Klassenkampfes ein Cappuccino-Antisemitismus entstehen konnte, der so perfekt getarnt ist, dass man ihm fast applaudieren möchte.

Die große linke Selbstverzwergung: Ein Requiem in Rot

Über die Infantilität einer Partei

Es gehört zu den zuverlässigsten Naturgesetzen der österreichischen Politik, dass eine Partei, sobald sie sich ernsthaft anschickt, über Außenpolitik zu sprechen, sich in jenem intellektuellen Raum wiederfindet, der irgendwo zwischen Parteitagsfolklore und sozialromantischem Rollenspiel schimmert. Doch die SPÖ hat es geschafft, diese Disziplin zu perfektionieren und zugleich zu pervertieren – eine Quadratur des Kreises, die fast schon bewundernswert wäre, würde sie nicht im Ergebnis aussehen wie ein schlecht gelaunter Sketch aus einer politischen Kabarettsendung, die seit Jahren keine neuen Autoren mehr findet.
Der jüngste Geniestreich: Die völkerrechtliche Anerkennung eines Palästinenserstaates – ganz ohne zu bestimmen, welche politische Entität man da eigentlich hofiert. Ein Akt symbolischer Außenpolitik, dessen intellektueller Tiefgang ungefähr jenem entspricht, den man beim Spontankauf eines roten Nelken-Broschürleins am Infostand erreicht. Und selbst das nur, wenn die Verkäuferin zufällig Politikwissenschaft studiert hat.

Der Staat als Fantasieprodukt der Parteistrategen

Es ist ein bemerkenswerter Mut zur Leere, mit dem der Parteivorstand sich darüber hinwegsetzt, dass Staatlichkeit – Überraschung! – nach wie vor aus Bevölkerung, Staatsgebiet und effektiver Herrschaft besteht. Die Drei-Elemente-Lehre, eine Art „Staatsrecht für Anfänger“, wird dabei offensichtlich als optionaler Lesestoff betrachtet, so wie der Waschzettel einer neuen Winterjacke oder die Packungsbeilage von Aspirin: Kann man lesen, muss man aber nicht, es funktioniert auch so.
Bloß tut es das eben nicht.
Denn ein Gebilde, dessen letzter allgemein anerkannter demokratischer Urnengang im Jahr 2006 stattfand und das seither von einer Miliz kontrolliert wird, deren politisches Programm aus einer Mischung aus Totalitarismus, Misogynie und prämodernen Blut-und-Boden-Phantasien besteht, ist nicht einfach ein Staat, nur weil sich europäische Linke dabei besonders moralisch fühlen.
Ein Staat ist nicht die Summe seiner Pressekonferenzen, und Legitimität entsteht nicht dadurch, dass man sie in einem düsteren Sitzungszimmer der Löwelstraße beschließt.

Von Realpolitik und anderen ausgestorbenen Spezies

Wer internationale Anerkennung verteilt wie Gratis-Kugelschreiber am Erstwählerstand, verwechselt Realpolitik mit Wünsch-dir-was. Die Welt ist jedoch kein Safe Space für moralpädagogische Signalpolitik, und Außenpolitik besteht leider aus etwas mehr als einer Mischung aus Betroffenheitsmimik und korrekt gewickeltem Palästinenser-Tuch.
Realpolitik bedeutet Zwänge. Komplexität. Konsequenzen!
Und genau diese drei Dinge stehen traditionell nicht im Verdacht, im innersten Herzen sozialdemokratischer Beschlusslogik beheimatet zu sein.
Vielleicht wäre es auch deshalb an der Zeit, die romantisierende Projektion durch eine nüchterne Betrachtung zu ersetzen. Oder, böser gesagt: erst denken – dann Papier.

Das alte Gift im neuen Gewand

Doch über all diesem außenpolitischen Dilettantismus lauert etwas Tieferes, Düsteres, Unangenehmes. Ein intellektuelles Erbe, das man in den progressiven Kreisen so gerne übersieht wie den Schimmel hinter einer Wand, die man ohnehin bald neu streichen wollte.
Der Antisemitismus der Linken.

Nicht jener dumpf martialische, der in der Imagination immer noch Springerstiefel trägt und das HJ-Liederbuch unterm Bett versteckt, sondern jener salonfähige, akademisch veredelte, mit moralischem Zeigefinger präsentierte Antisemitismus, der sich selbst für das Gegenteil hält.
Ein Antisemitismus, der sich heute „Antizionismus“ nennt – und damit glaubt, automatisch entlastet zu sein, wie ein Kettenraucher, der erklärt, seine Schachtel täglich sei bloß „Atemtraining“.
Und es lohnt sich tatsächlich, an die Wurzeln zu erinnern.
Marx’ Schrift Zur Judenfrage ist ein Dokument, das man schwerlich anders lesen kann als mit Schaudern. Der angebliche Prophet der Befreiung zeigt sich dort als Autor, der Formulierungen gebraucht, die man – ohne Quellenangabe – mühelos in Pamphleten des 20. Jahrhunderts verorten könnte, deren Autoren man heute in jeder historischen Rückschau mit Gummihandschuhen anfasst.
Die Reduktion des Judentums auf Geld, Schacher, Eigennutz ¹. Die Behauptung eines „antisocialen Elements“. Die Entmenschlichung.
Hannah Arendt bezeichnete diese Schrift als ein „klassisches Werk“ des linken Antisemitismus – und es ist bemerkenswert, wie wenig sich dieser Grundton in manchen linken Milieus verändert hat, auch wenn die Sprache nun in Gendersternchen und Empowerment-Vokabular gehüllt daherkommt.

Palituch, Latte und der moralische Abgrund

Heute sitzen sie also da – die moralisch überhöhten Antizionisten, die sich selbst für die letzten Aufrechten halten. Mit dem Palästinensertuch schwingt man die historische Verantwortung, mit dem Bio-Latte die intellektuelle Überlegenheit, und irgendwo dazwischen schwillt eine moralische Grandezza an, die jede nüchterne Analyse sofort erstickt.
Man sieht förmlich die Verachtung im Blick, wenn man es wagt, ihnen zu erklären, dass Israel vielleicht doch ein wenig komplexer ist als das Klischee eines kolonialen Unholds, der aus purer Laune das Weltgeschehen traktiert.
Und während die wahren Neonazis heute irgendwo in trostlosen Kellern vegetieren, haben sich die neuen Mainstream-Antisemiten längst in den Kulturzentren und Parteigliederungen eingerichtet.
Sie nennen sich Antirassisten – und finden ausgerechnet am jüdischen Staat einen Gegenstand moralischer Obsession, der seltsam exakt die jahrhundertealten Projektionen wiederholt, die man eigentlich überwunden glaubte.

Epilog eines politischen Abschieds

Vielleicht ist es diese Mischung aus außenpolitischer Infantilität und ideologischer Blindheit, die das Fass zum Überlaufen bringt.
Vielleicht ist es die Unfähigkeit der Partei, zwischen moralischer Pose und analytischer Vernunft zu unterscheiden.
Vielleicht ist es aber auch einfach die Erkenntnis, dass man eine Partei nicht retten kann, die sich selbst bereits als moralisches Kunstprojekt versteht, statt als politische Kraft.
Wie auch immer – es ist der Sargnagel. Der letzte. Der endgültige.
Ruhe sanft, alte Sozialdemokratie.
Es hätte so schön sein können.

¹ „Welches ist der weltliche Grund des Judenthums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.“ Die Passagen von Marx über Juden lesen sich zuweilen wie Originaltexte von Nazis. Das Judentum sei „ein allgemeines gegenwärtiges antisociales Element“. In der jüdischen Religion liege „die Verachtung der Theorie, der Kunst, der Geschichte, des Menschen als Selbstzweck„. Selbst „das Weib wird verschachert„.

Eine historische Einordnung

Der Heilige Nikolaus von Myra war kein Türke

„Lernen Sie Geschichte!“ Ein Satz, der wie ein höflicher Vorschlag klingt, aber oft eher wie eine schallende Ohrfeige gemeint ist. Auch dann, wenn man die Diskussion um den Heiligen Nikolaus verfolgt, jenen berühmten Bischof aus Myra, der seit Jahrhunderten in der christlichen Tradition als mildtätiger, großherziger Schutzpatron der Kinder, Seefahrer und Händler verehrt wird. Doch in der Ära der postmodernen Wokeness scheint selbst der Heilige seiner Identität beraubt zu werden: „Nikolaus war ein Türke!“ wird uns plötzlich in den sozialen Medien und selbst in vermeintlich seriösen Diskursen entgegengeworfen – als wäre das eine historische Tatsache.

Nun, meine Damen und Herren, es wird Zeit für einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit. Der Heilige Nikolaus von Myra war kein Türke. Und nein, er wurde auch nicht in der Türkei geboren. Die Türkei existierte im 3. und 4. Jahrhundert schlicht und ergreifend nicht. Genauso wenig wie die Turk Völker, die erst Jahrhunderte später von den zentralasiatischen Steppen in Richtung Anatolien zogen. Die Region, in der Myra (das heutige Demre) lag, gehörte damals zur römischen Provinz Lykien – einem stark hellenisierten, christlich geprägten Gebiet. Kurz gesagt: Die Turk-Völker hatten in der Gegend so viel verloren wie ein Veganer in einer Grillparty-Schlange.

Ein Bischof in ohne türkischen Reisepass

Nikolaus wurde etwa im Jahr 270 nach Christus geboren, vermutlich in der Stadt Patara, einer antiken Metropole in Lykien, das heute Teil der Türkei ist. Aber ein Mensch aus Lykien als „Türke“ zu bezeichnen, ist in etwa so akkurat wie die Behauptung, Julius Cäsar sei Italiener gewesen, weil Rom heute in Italien liegt. Das ist nicht nur historisch falsch, sondern auch intellektuell faul.

Die Welt, in der Nikolaus lebte, war Teil des römischen Imperiums. Griechen und Römer dominierten die Kultur, die Sprache und die Religion. Nikolaus selbst war ein Christ, und zwar in einer Zeit, in der das Christentum noch keine Staatsreligion war, sondern oft von römischen Kaisern verfolgt wurde. Man könnte also argumentieren, dass Nikolaus’ Leben selbst ein Zeugnis des Widerstands gegen die staatliche Unterdrückung war – lange bevor moderne Staaten oder Religionen wie der Islam in der Region Fuß fassten.

Die Idee, Nikolaus als „Türken“ zu deklarieren, basiert auf der simplen Tatsache, dass sein Geburts- und Wirkungsort in der heutigen Türkei liegt. Doch diese geografische Verortung sagt nichts über die Identität oder die Kultur des Heiligen aus. Es ist, als würde man behaupten, ein Wikinger, der einst in Schweden lebte, sei ein „EU-Bürger“, weil Schweden heute in Europa liegt.

Wokeness und die Neuverpackung der Geschichte

Die Behauptung, Nikolaus sei „türkisch“, ist daher mehr als nur eine historische Ungenauigkeit. Sie ist ein Paradebeispiel für die intellektuelle bequeme Unredlichkeit, die sich aus der Angst speist, kulturelle Unterschiede offen anzusprechen. In der Ära der Wokeness, in der alles relativiert und entmythologisiert werden soll, wird die Vergangenheit immer häufiger instrumentalisiert, um moderne politische Narrative zu stützen.

Warum wird also so viel Energie darauf verwendet, Nikolaus mit der Türkei zu assoziieren? Vielleicht, weil es einigen Ideologen ein warmes, wohliges Gefühl gibt, wenn sie zeigen können, wie „offen“ und „tolerant“ die Welt schon immer gewesen sei. Die Tatsache, dass diese Toleranz im Falle von Nikolaus eine historische Fantasie ist, scheint dabei keine Rolle zu spielen.

Es ist natürlich nichts gegen interkulturellen Dialog einzuwenden. Im Gegenteil: Der Austausch zwischen Kulturen hat die Menschheitsgeschichte immer bereichert. Aber der Versuch, Nikolaus’ Geschichte umzudeuten, ist kein Dialog. Es ist ein Übergriff auf die Wahrheit, eine Verfälschung, die darauf abzielt, Traditionen zu entkernen und kulturelle Identitäten zu nivellieren.

Der Islam und der Heilige Nikolaus

Ein besonders faszinierender Aspekt dieser Narrative ist der Versuch, eine Verbindung zwischen Nikolaus und dem Islam herzustellen. Das Problem? Der Islam entstand erst mehrere Jahrhunderte nach Nikolaus’ Tod. Wie also hätte der Islam tolerant gegenüber einem christlichen Bischof sein können, der lebte, als die arabische Halbinsel noch von polytheistischen Stämmen geprägt war?

Hier wird nicht nur Geschichte verbogen, sondern geradezu ins Lächerliche gezogen. Es ist, als würde man behaupten, Newton habe seine Gravitationstheorie entwickelt, um der Raumfahrt der NASA den Weg zu ebnen. Oder dass Mozart seine Symphonien komponierte, um später TikTok-Remixes zu inspirieren.

Die Verteidigung der eigenen Kultur

Die eigentliche Tragik dieser Diskussion liegt jedoch nicht nur in der historischen Verfälschung, sondern in der dahinterliegenden Absicht. Der Versuch, Nikolaus als „türkisch“ zu vereinnahmen, ist Teil eines größeren Trends, der darauf abzielt, westliche Traditionen und kulturelle Identitäten zu relativieren.

Natürlich sollte man die Geschichte kritisch betrachten, auch die der eigenen Kultur. Aber es ist etwas völlig anderes, wenn man Traditionen ohne Rücksicht auf historische Fakten umdeutet, nur um einer modernen Ideologie zu dienen.

Nikolaus ist ein Symbol der christlichen Nächstenliebe, der Großzügigkeit und des Glaubens. Seine Geschichte gehört zur europäischen Kulturgeschichte, genauso wie seine Verehrung als Schutzpatron . Die Relativierung dieser Traditionen – ob aus politischer Korrektheit oder ideologischem Eifer – ist nicht nur respektlos gegenüber der Geschichte, sondern auch gegenüber den Menschen, die diese Werte bis heute leben.

Lernen Sie Geschichte

Der Heilige Nikolaus von Myra war kein Türke, genauso wenig wie er ein Produkt der Wokeness ist. Er war ein Bischof der christlichen Kirche, der in einer hellenistischen, römischen Welt lebte, lange bevor die Türkei, der Islam oder die moderne politische Korrektheit existierten.

Geschichte ist kein Spielplatz für Ideologen. Sie ist eine Wissenschaft, die Fakten und Kontexte erfordert. Und wenn wir eines aus der Geschichte lernen sollten, dann dies: Respekt vor der Wahrheit ist der erste Schritt, um die Zukunft zu verstehen – und Traditionen zu bewahren.

Ein Triumph der Bürokratie im Gewand der Moderne

Man stelle sich vor: In den glitzernden Hallen des europäischen Molochs namens Brüssel, wo Teppiche dicker sind als die Logik so mancher Gesetzestexte und Kaffeemaschinen an strategisch sensiblen Punkten installiert werden, um den politischen Puls zu überwachen, haben sich zwei Titanen der Gesetzgebung – das EU-Parlament und der Rat – endlich auf einen Kompromiss geeinigt. Ein Wunder, könnte man denken, angesichts der zahllosen Stunden, in denen Politiker auf engsten Raum konferierten, gestikulierten und sich in rhetorischen Turnübungen maßen, als stünde die Rettung der Welt auf dem Spiel. Doch was der mühsam errungene Konsens nun verkündet, ist nichts anderes als die feinsinnige Anerkennung von Genom-Editierung auf Pflanzenbasis. Ein bisschen revolutionär, ein bisschen konventionell, und vor allem ein triumphaler Sieg der Bürokratie, die es versteht, wissenschaftliche Innovation in eine Formalität zu verwandeln, die sich so anfühlt, als hätte man den Mars kolonisiert, während man nur die Tomatenbeete optimiert hat.

NGT1: Die neue Unschuld der Agrarwelt

NGT1, das neue Kürzel für „einfache genom-editierte Pflanzen“, klingt wie ein Passwort aus einem dystopischen Roman, könnte aber auch als Bezeichnung für ein futuristisches Getränk durchgehen. Doch nein, es handelt sich um Pflanzen, die Wissenschaftlern schon seit geraumer Zeit das Herz höher schlagen lassen – und Bauern ebenso. Denn das, was nun beschlossen wurde, ist nichts weniger als die weitgehende Gleichstellung mit herkömmlichen Pflanzen: keine Kennzeichnungspflicht, keine speziellen Anbauregeln, keine leidigen Kontrollmechanismen, die den Landwirt in endlose Formulare verstricken, während die EU-Aktenberge leise lachen. Man könnte fast glauben, man hätte einen geheiligten Vertrag zwischen Innovation und Bürokratie geschlossen – ein Pakt, in dem Wissenschaft und Gesetzgebung sich zähneknirschend die Hände reichen, während sie heimlich darüber witzeln, dass niemand wirklich versteht, was diese Pflanzen jetzt genau können oder dürfen.

Von der Etikettenschwindelei zur bürokratischen Selbstironie

Es ist schon bemerkenswert, wie sehr die EU darin brilliert, aus der Freiheit der Wahl eine akademische Herausforderung zu machen. Einst waren Kennzeichnungen eine heilige Pflicht, ein Bollwerk gegen den freien Willen des Verbrauchers, der nun vor lauter Informationen nicht mehr weiß, ob er Salat kauft oder ein biologisches Mini-Experiment. Heute, da NGT1 die Hallen der regulatorischen Gnade betreten, scheint alles einfacher. Fast schon zu einfach, als hätte man vergessen, die endlosen Tabellen auszufüllen, die sonst jede Innovation begleiten. Die Ironie liegt auf der Hand: Ausgerechnet eine Technologie, die potenziell alles verändert, wird in den Schoß der Normalität gelegt, während gleichzeitig das Bürokratietheater in allen anderen Bereichen in gewohnter Pracht weitergeht. Es ist, als ob man einen Feuerlöscher aus Gold goss, nur um ihn dann in einem staubigen Regal verschwinden zu lassen.

Die humoristische Tragik der europäischen Entscheidungsfindung

Natürlich wäre es zu einfach, diesen Triumph der administrativen Evolution nur als pragmatischen Schritt zu feiern. Vielmehr offenbart er die zutiefst humoristische Tragik der europäischen Entscheidungsfindung: Jahrzehnte der Debatten, der Studien, der endlosen Ausschüsse, die am Ende nur bestätigen, dass ein Stück Gemüse fast genauso sein darf wie das andere, solange es nicht zu rebellisch ist. Die Politik applaudiert sich selbst für das, was die Natur längst kannte, und der Bürger steht staunend vor den Regalen, als hätte er gerade Zeuge eines diplomatischen Kabaretts geworden. Es ist Satire, die sich selbst schreibt, ein Theaterstück ohne Vorhang, in dem jeder Akteur glaubt, er sei der Protagonist, während die eigentliche Handlung – die stille, unspektakuläre Gleichstellung der Pflanzen – unbeachtet zwischen den Aktendecks der EU-Gesetzgebung dahinschleicht.

Fazit: Bürokratie, die leise die Welt verändert

So stehen wir also da: Ein Kompromiss, der eher wie ein stilles Nicken zwischen zwei alten Rivalen wirkt, hat den Weg geebnet für eine kleine Revolution im Gemüsebeet. NGT1-Pflanzen dürfen nun wachsen, ohne dass sie die kostbaren Flure der Bürokratie unnötig strapazieren. Es ist ein triumphaler Moment des administrativen Humors, ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Wissenschaft: Macht ruhig, was ihr könnt, wir schauen nur zu – und unterschreiben am Ende den Keks des Fortschritts, während wir heimlich noch die Protokolle zählen. Europa zeigt einmal mehr, dass es nicht nur Regeln schreiben, sondern auch Geschichten erzählen kann – Geschichten, die zynisch, augenzwinkernd und herrlich absurd zugleich sind.

Sepp und der Passierschein A38

Es war einmal ein Mann namens Sepp, der, wie viele andere brave Bürger in diesem Land, ein Ziel hatte: er wollte einfach nur etwas erledigen. Vielleicht war es der Erwerb eines kleinen, harmlosen Dokuments, vielleicht auch nur der behördliche Nachweis, dass er existierte – wer kann das schon so genau sagen? Wie auch immer, er stand nun vor der unüberwindbaren Festung aus Schaltern, Formularen und Formularnummern, die man landläufig als „Verwaltung“ bezeichnet. Und hier kommt der berühmt-berüchtigte Passierschein A38 ins Spiel, jenes mythische Artefakt, das in der kollektiven Erinnerung der Bürger etwa denselben Stellenwert innehat wie der Heilige Gral oder die verschwundene Socke im Wäschetrockner.

Sepp, ein Mann von mittlerer Intelligenz, aber erstaunlicher Ausdauer, erkannte bald die tiefe Logik dieses bürokratischen Labyrinths: Je mehr Stempel, je mehr Unterschriften und je mehr Formulare man aufeinanderhäufte, desto klarer offenbarte sich die Staatsraison in ihrer reinsten Form. Jede Abteilung, jeder Beamte, jeder misstrauisch blickende Sachbearbeiter war ein Wächter über die Ordnung, die das Land so dringend benötigte. Und dennoch, trotz der äußeren Härte und inneren Kälte dieses Systems, schimmerte ein kaum merklicher Humor durch die Ritzen der Verwaltungsmauern: Man konnte sich schon vorstellen, dass irgendwo, tief in einem Amtszimmer, ein Beamter saß, der über die zahllosen absurden Regeln kicherte, während er Sepp einen weiteren Aufkleber auf sein Dokument klebte.

Der Passierschein A38 war aber mehr als nur ein Stück Papier. Er war ein Prüfstein für die Geduld, ein Spiegel der Seele des Bürgers, ein soziales Experiment in Sachen stoischer Resilienz. Wer ihn erlangte, konnte sich für eine kurze, glänzende Stunde als Sieger fühlen, nur um im nächsten Moment festzustellen, dass der nächste Schritt der Bürokratie noch verschachtelter, noch absurder und noch kleinkarierter war. Sepp lernte, dass Geduld nicht nur eine Tugend, sondern ein staatlich zertifizierter Lebensstil war, der in stundenlangen Warteschlangen, in einer Aktenvernichtungsanlage von Papierbergen und in der subtilen Gewalt des „Bitte setzen Sie sich wieder“ gemessen wurde.

Die Schellhornsche Jahrhundert Verwaltungsreform

Doch die Geschichte endet nicht mit Sepps triumphalem Scheitern oder sporadischem Erfolg. Nein, das Universum der Verwaltung ist stets in Bewegung, immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, Effizienz und Sinnlosigkeit zu vereinen. Hier tritt die Schellhornsche Jahrhundertreform auf die Bühne – ein Ereignis, das in seiner ambitionierten Arroganz und administrativen Selbstverliebtheit so unvergleichlich ist, dass man es nur noch mit historischer Ironie betrachten kann.

Schellhorn, ein Mann mit beeindruckender Fähigkeit, Komplexität zu schaffen, wo einfache Lösungen ausreichen würden, präsentierte ein Konzept, das sowohl visionär als auch bürokratisch tödlich war. Ziel war es, die Verwaltung „moderner, digitaler und bürgerfreundlicher“ zu gestalten. Das Resultat war eine Verschachtelung aus neuen Formularen, zusätzlichen Genehmigungsschritten und einer Software, die man nur noch mit streng geheimer Liturgie bedienen konnte. Es war eine Revolution der Papierberge, eine Renaissance der Schreibtischstapel, ein Triumph der Komplexität über den Menschen.

Ironischerweise versprach die Reform Transparenz, doch ihre Umsetzung erinnerte eher an das Lesen eines mittelalterlichen Manuskripts ohne jegliche Vokale: Man verstand nichts, fühlte sich aber erhaben über die intellektuelle Herausforderung. Die Bürger, Sepp inklusive, wurden in eine Art kafkaesken Theaterproduktion geworfen, in der jeder Akt mit einem Formular begann und mit einer Verzweiflungstat endete. Und doch – welch feiner, subtiler Humor – das Ganze war so absurd, dass man beinahe applaudieren musste.

Die Schellhornsche Reform zeigte eindrucksvoll, dass bürokratische Kunst nicht nur in Effizienz oder Ordnung liegt, sondern in der Fähigkeit, den Menschen in den Wahnsinn zu treiben, während man ihn gleichzeitig glauben lässt, alles sei zu seinem Besten. Man könnte sagen, dass sie das Äquivalent einer Oper war, komponiert in Paragraphen und Stempeln, aufgeführt auf der Bühne der öffentlichen Verwaltung. Sepp, unser Held und Antiheld zugleich, war sowohl Zuschauer als auch Opfer, und seine Geschichte ist ein Lehrstück in Sachen Geduld, Komik und resignativer Bewunderung für die abstrusen Schönheiten des bürokratischen Universums.

In diesem Sinne lebt Sepp weiter – zwischen Aktenbergen und Formularen, stets auf der Suche nach dem legendären Passierschein A38, der vielleicht nie existiert hat, aber für immer in den Herzen der Bürger als Sinnbild des absurden Triumphs staatlicher Ordnung weiterlebt. Und die Schellhornsche Reform? Sie bleibt ein Mahnmal, dass der Mensch zwar Herr der Verwaltung sein könnte, doch in Wahrheit oft nur ihr humorvoller Statist ist.

Singt nicht mit Juden

Es ist immer wieder erstaunlich, wie ein Festival von glitzernden Kostümen, falschen Pailletten und kunstvoll geschminkten Lippenstiftflächen plötzlich zu einem geopolitischen Zirkus werden kann. Der Eurovision Song Contest, dieses versponnene, alljährliche Spektakel, das eigentlich von quäkenden Popstimmen, unkoordinierten Tanzchoreografien und dem subtilen Schmerz eines Live-Publikums lebt, ist nun offiziell ein Ort, an dem Staatenpolitik lautstark und mit hoher Oktanzahl durch die Lautsprecherboxen brüllt. Israel darf also teilnehmen – und Österreich darf die Bühne stellen – während die Welt zusieht und einige Länder empört den Kopf schütteln, als hätte jemand im Pausenraum des Multikulturalismus aus Versehen das Licht des rationalen Denkens ausgeschaltet.

Was für ein glorreicher Augenblick, wenn Musik plötzlich nicht mehr nach Harmonien, Tonarten oder gar nach dem intimen Flattern eines Herzschlags beurteilt wird, sondern nach der Frage, ob die politische Landkarte gerade ein bisschen zu sehr nach Konflikt aussieht. Der irische Sender RTÉ findet die Teilnahme „unzumutbar“ – angesichts des „entsetzlichen Verlusts von Menschenleben“. Unzumutbar also. Nicht moralisch problematisch, nicht politisch heikel, nein, schlicht unzumutbar. Welch ein Ausdruck für die elegante Grazie moderner Sprache! Man fragt sich, ob RTÉ auch den morgendlichen Toast ablehnt, weil in der Welt Menschen hungrig sind, oder ob nur dann Unzumutbarkeit greift, wenn sie nach Fernsehquoten schmeckt.

Musik, die von Geopolitik singt

Spanien, so meldet es José Pablo López, Präsident von RTVE, besteht auf der Maxime: ESC ist kein reiner Musikwettbewerb, sondern ein „Festival, das von geopolitischen Interessen dominiert wird“. Welch scharfsinnige Beobachtung! Ein Wettbewerb, der seit 1956 dazu diente, ein wenig Europa zusammenzuschweißen, Musik zu feiern und vor allem die kindliche Freude am Verstimmen in Mikrofonen zu ermöglichen, wird nun auf einmal zum Schachbrett internationaler Diplomatie. Man könnte fast applaudieren, wäre da nicht die schale Ironie: Länder, die mit dem ESC jährlich Millionen in die Finanzierung stecken, treten nun auf moralische Barrikaden, während der ORF, offenbar der unerschütterliche Don Quijote der musikalischen Neutralität, die Bühne aufbaut, als sei sie ein Friedenspalast.

Dass Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien zu den Hauptgeldgebern zählen, verleiht dem Boykottgedanken einen geradezu kafkaesken Charme. Es ist, als würde man einen Bankier bitten, die Zinsen zu boykottieren, weil ihm die Farbe des Geldes nicht gefällt. Und dennoch: Niederlande, Slowenien und andere Länder erwägen den Rückzug, als hätten sie den unheilvollen Traum eines ESC ohne diplomatische Verwicklungen durchlitten und wären nun zu politisch korrekt, um weiterzusingen. Man hört die imaginären Dirigenten schon stöhnen: „Mehr Geopolitik im Takt, bitte!“

Glitzernde Heuchelei

Und so sitzt man nun da, zwischen dem Schimmer von Sequins und dem dunklen Schatten der Realität, und fragt sich: Wie viele Lieder können noch von Liebe, Frieden und Einhörnern singen, bevor die politische Landkarte jede Note vergiftet? Der Eurovision Song Contest – einst ein frivoles Stelldichein der europäischen Selbstüberhöhung, heute ein Spiegelkabinett der moralischen Ambivalenz. Die Zuschauer starren gebannt auf den Bildschirm, während Journalisten die emotionale Unverträglichkeit von „Singen mit Juden“ analysieren, als handele es sich um ein metaphysisches Problem, das nur durch strikte Nicht-Teilnahme gelöst werden kann.

Inmitten all dieser absurden Schattierungen des Ernstes bleibt eine Wahrheit: Musik kennt keine Grenzen. Sie schert sich nicht um Embargos, Boykotte oder moralische Gutachten von der Sorte, die sich in Vorstandsetagen und Medienhäusern heimlich über Tee und Kekse austauschen. Musik ist subversiv, anarchisch, gelegentlich unerträglich, und vor allem: unberechenbar. Genau darin liegt die Ironie. Während Nationen sich in glänzender, diplomatischer Heuchelei sonnen, läuft im Hintergrund ein schief gesungenes Duett, das alles übertönt. Das Publikum jubelt, weint oder lacht, und für einen kurzen Moment ist die Welt wieder genau so absurd wie sie sein sollte.

Man kann also nur eins raten: Singt. Singt laut. Singt schlecht. Singt mit oder ohne Zustimmung der geopolitischen Eliten. Denn am Ende ist es die Musik, die bleibt – glitzernd, schrill, widersprüchlich, und vor allem unbestechlich.

So viele Mistkerle

Wie Frankreichs alte Linke sich in eine neue Sackgasse manövriert

Man sagt ja gern, die Geschichte wiederhole sich – mal als Tragödie, mal als Farce, gelegentlich auch als kafkaesker Verwaltungsvorgang mit dreifacher Durchschrift und Stempel «Dringend». Frankreich, dieses Land, das seit gut 250 Jahren an der Idee feilt, man könne Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unter einen Hut bringen, erlebt eine neue Variation dieses uralten Refrains. Und diesmal, so scheint es, ist es eine tragikomische Operette, in der die Sänger die falsche Partitur studiert haben und das Orchester trotzig beschliesst, gleichzeitig Wagner, Debussy und die Titelmelodie von Mission Impossible zu spielen.

Denn plötzlich, inmitten des Rauschens der grossen politischen Selbstversicherungen, ist da dieser hässliche, alte Bekannte, der sich in französische Debatten zurückschleicht wie ein ungebetener Gast mit schlechtem Atem: der Antisemitismus. Und zwar nicht die blasse, konspirativ flackernde Version der Kellerphilosophen, sondern die breite, selbstbewusste, lautstark marschierende Form, die in Frankreichs Strassen wieder erschreckend salonfähig wird.

Während viele entsetzt die Hände ringen, zeigen zwei prominente Autoren – der frühere Charlie Hebdo-Chefredaktor Philippe Val und der Philosoph Michel Onfray – auf ein politisches Lager, das sich traditionell als moralischer Hochsitz verstand: die Linke, genauer gesagt der Teil, der heute unter dem Etikett «islamo-gauchisme» firmiert und unter der Fuchtel von Jean-Luc Mélenchon stolz behauptet, er sei die letzte Bastion der Unterdrückten.

Die neue Linke, die alte Blindheit

Man muss Mélenchon eines lassen: Er hat eine bemerkenswerte Begabung, sich stets in Richtung des lautesten Applauses zu drehen – solange der Applaus nicht aus bürgerlicher Mitte, jüdischen Gemeinden oder sozialdemokratischen Reihen kommt. Seine Partei La France insoumise präsentiert sich gern als rebellische Samaritertruppe, die gegen Imperien, Kapital, Patriarchat und alles kämpft, was unmodern, ungerecht oder unpraktisch erklärt werden kann.

Doch sobald es um Antisemitismus geht, erhebt sich in diesem Lager jene alte, unkaputtbare Verwechslung: die Idee, dass jede Gruppe, die sich als Opfer präsentiert, automatisch moralisch unfehlbar sei. Diese gedankenlose Hierarchie des Leidens – nach dem Motto: Wer als Unterdrückter gilt, darf jede Abscheulichkeit sagen, ohne dass man ihm deswegen die Schärpe der progressiven Unschuld abnimmt – ist der psychologische Kern ihres Problems.

Es ist ein wenig, als würde man einem Vegetarier zugestehen, dass er zwar keine Tiere isst, aber gern Katzen anzündet – weil er ja «eigentlich» zu den Guten gehört. Und so landet die extreme Linke in der grotesken Situation, mit islamistischen Hardlinern und Antisemiten zu kollaborieren, solange diese sich mit genügend dramatischer Stimme als Opfer westlicher Strukturen inszenieren.

Islamogauchismus – das Kind, das niemand erziehen wollte

Val und Onfray sind alles andere als höfliche Chirurgen. Sie operieren nicht mit feinen Instrumenten, sondern mit dem rhetorischen Flammenwerfer. Doch ihr Argument ist so unangenehm wie schwer zu widerlegen:

Der zeitgenössische französische Antisemitismus kommt nicht nur – und nicht einmal hauptsächlich – aus den bekannten rechtsextremen Abgründen, sondern aus der Fusion von radikalem Islamismus und postkolonial aufgeladenem Linksdiskurs.

Onfray beschreibt das Phänomen als eine Art moralische Verfahrensverirrung, bei der progressive Intellektuelle mit verzücktem Idealismus gegen alles Westliche wettern – und dabei blind werden für die autoritären, frauenfeindlichen, homophoben und nun einmal antisemitischen Ideologien, die sie in Schutz nehmen.

Val wiederum, selbst gezeichnet von dem, was der islamistische Terror seinen Kollegen bei Charlie Hebdo angetan hat, verweist darauf, wie grotesk die Linke sich selbst verrät: ausgerechnet jene politische Tradition, die einst gegen religiösen Fanatismus kämpfte, klatscht heute jenen Beifall, die im Namen einer vermeintlich antirassistischen Moral den Judenhass wieder salonfähig machen.

Das Pariser Theater des Absurden

Wer die französische Linke verstehen will, muss begreifen, dass sie Empörung für eine heilige Disziplin hält. Empörung ist ihre tägliche Gymnastik, ihr ideologisches Stretching, ihr Sonntagsspaziergang. Doch diese Empörung ist selektiv – wie ein Raucher, der sich über Autoabgase beschwert.

Wenn ein jüdisches Schulkind in einem Vorort bedroht wird – Stille.

Wenn Judenfeindlichkeit aus dem islamistischen Milieu kommt – Abwiegeln.

Wenn hingegen eine israelische Regierung etwas tut, das man kritisieren kann – und man kann eine Menge kritisieren –, dann rollt sofort der ganze moralische Tross heran, mit Fanfaren, Transparenten und vielen wohlfeilen Parolen.

Der Antisemitismus wird dabei selten als solcher benannt. Stattdessen wird er camoufliert, wie ein schlecht überspieltes Schmuggelpaket, versehen mit Etiketten wie «Systemkritik», «Anti-Imperialismus» oder «Solidarität mit den Unterdrückten». Es ist jene semantische Nebelmaschine, die Val und Onfray so vehement attackieren: die intellektuelle Feigheit, die sich hinter Betroffenheitslyrik versteckt.

Ein Land am Rand einer moralischen Nebelwand

Frankreich ist müde geworden, sagen viele. Müde der ewigen Debatten, müde der ständigen Krisen, müde jener moralischen Verrenkungen, die nötig sind, um gleichzeitig universalistisch und partikularistisch sein zu wollen. Und doch, so zynisch das klingt: Frankreich ist nie müder, als wenn es gerade besonders wach sein müsste.

Heute müsste es hinschauen:

auf die Explosion antisemitischer Übergriffe,

auf die schwindende Sicherheit jüdischer Gemeinden,

auf die groteske Verzahnung zwischen progressiven Wortführern und fundamentalistischen Milieus.

Doch stattdessen diskutiert man darüber, ob der Begriff Islamogauchisme vielleicht beleidigend sei für die sensiblen Seelen der politischen Avantgarde. Man führt ein akademisches Minenfeld über Gender, Klassenkampf und Identitätspolitik, während im Hintergrund Menschen davonlaufen, weil ihr Nachbar sie plötzlich für einen kolonialistischen Agenten des Weltzionismus hält.

Schluss: Die Mistkerle sind nicht unsichtbar – man will nur nicht genau hinsehen

Und wer zu lange wegschaut, wird irgendwann Teil des Problems

Die Wahrheit ist bitter wie ein schlecht gezapfter Pastis: Der Antisemitismus in Frankreich steigt dramatisch – und zwar genau dort, wo man ihn am wenigsten zugeben will.

Val und Onfray provozieren, überzeichnen, polemisieren – gewiss. Aber sie tun es aus einer intellektuellen Verantwortung heraus, die der heutigen Linken zu entgleiten droht. Nicht weil sie konservativ wären, nicht weil sie reaktionär geworden wären, sondern weil sie einsehen: Wer im Namen des Guten das Böse ignoriert, ist nicht progressiv, sondern verantwortungslos.

Und vielleicht liegt darin die letzte Pointe dieses tragikomischen Dramas:

Die Linke wollte immer die Welt verändern.

Heute schafft sie es nur noch, sich selbst zu karikieren.

Wer jedoch Mistkerle nicht Mistkerle nennt, darf sich nicht wundern, wenn plötzlich so viele davon herumlaufen.

Big Sister Ursula

Man muss Ursula von der Leyen fast bewundern. Nicht für die elegante Kontrolle über Haushaltszahlen, Impfstoffverträge oder Transparenz – das wäre ja zu gewöhnlich –, sondern für ihr makelloses politisches Fingerspitzengefühl, immer genau dort nachzulegen, wo Europas Demokratie ein klein wenig zu entspannt wirkt. Während die Bürger gemütlich in ihre Smartphones tippen, als sei die digitale Welt ein gutmütiges Tamagotchi, schiebt Ursula, große Schwester im Brüsseler Wohnzimmer, leise und doch unerbittlich die Möbel um. Denn Sicherheit braucht Platz, und Privatsphäre nimmt bekanntlich viel zu viel davon ein. Da überrascht es nicht, dass plötzlich eine ganze Architektur aus Überwachungsgerüsten emporragt: Chat-Scans, Altersüberprüfung, Client-Side-Scanning – so viele hochmoderne Sorglosigkeitsversprechen, dass man sich fragt, warum Europa nicht schon längst ein paradiesischer Ort der Unschuld ist. Vermutlich weil der Bürger, dieses störrische Wesen, immer noch so lästig selbstbestimmt sein will. Sehr unzeitgemäß.

Der neue Hofstaat in Brüssel: Wo die Privatsphäre höflich den Raum verlässt

Man stelle sich den EU-Rat vor wie eine Art modernisierten Absolutismus: ein höfischer Tanz, bei dem jede Nation ihre Zustimmung mit der Grazie eines gut geölten Automaten serviert. Österreich hebt die Hand, nicht weil es muss, sondern weil es irgendwie dazugehört. Die höfische Etikette ist streng: Wer gegen Überwachung votiert, steht schnell als Exot da, als jemand, der noch an eigenständiges Denken glaubt – und das kann im 21. Jahrhundert niemand ernsthaft wollen. Also nickt man in Wien fröhlich mit, während man gleichzeitig beteuert, völlig gegen Überwachungsmaßnahmen zu sein, was ungefähr so glaubwürdig wirkt, wie wenn ein Dieb schwört, er sei nur zufällig mit dem Brecheisen im Schlafzimmer fremder Leute eingeschlafen.

Was dabei erstaunlich unterhaltsam ist: Alle reden von freiwilligen Scans. Freiwillig! Ein Wort, das in Brüssel bedeutet: Ihr dürft es freiwillig tun, aber wehe, ihr tut es nicht, dann fragen wir in drei Jahren noch einmal und machen es zur Pflicht. Frei wie ein Vogel, der entscheiden darf, ob er in den Käfig fliegt – oder hineingeschoben wird. Ein Meisterwerk politischer Semantik, subtil wie ein Presslufthammer.

Big Brother is watching you? Pah. Big Sister liest vorher schon mit.

Der Witz an der Sache: Während Orwell 1984 schrieb, wusste er nicht, wie niedlich Big Brother einmal aussehen würde – oder dass Big Sister Ursula den Kaffee serviert, während sie uns in einer Art fürsorglicher Paranoia alles aus dem Smartphone puhlt, was irgendwie nach Unsauberkeit riecht. Der große Bruder war ein martialischer Autokrat. Die große Schwester ist eine Art digitaler Hygienebeauftragter: Sie desinfiziert private Nachrichten präventiv, bevor sie überhaupt verschlüsselt sind. Client-Side-Scanning nennt sich das. Ein bisschen wie wenn die Polizei dein Auto durchsucht, bevor du überhaupt losfährst, und dir dann sehr freundlich dafür dankt, dass du deine Grundrechte zur Verfügung stellst. Bürgernähe à la Bruxelles.

Natürlich alles nur, damit keine abgründigen Verbrechen geschehen – und wer könnte schon etwas dagegen haben? Das ist der geniale, fast schon poetische Dreh: Der Bürger wird eingeladen, sein Misstrauen gegenüber flächendeckender Überwachung einzustellen, weil alles unter dem Banner des Kinderschutzes geschieht. Ein mächtiges moralisches Schutzschild, das jede kritische Frage automatisch in den Verdacht der Unmenschlichkeit versetzt. Ein psychologisches Kunststück – und die EU beherrscht es virtuos.

Altersverifikation: Die neue Eintrittskarte ins digitale Leben

Wie gemütlich doch die Zukunft wird: Man will nur kurz seine Nachrichten checken, und schon hält der Algorithmus höflich die Hand auf: „Ausweis, bitte.“ Ein Gesichtsscan hier, ein Bankdatenabgleich da – und schon ist man bereit für die freie Meinungsäußerung 2.0. Das digitale Ich wird dadurch so eindeutig wie die Steuer-ID, die wir ohnehin alle im Schlaf aufsagen können. Wer bisher dachte, das Internet sei ein Ort voller kreativer Identitäten, voller Pseudonyme, Avatare und künstlicher Charaktere, wird feststellen, dass die EU-Regulatorik diesen Wildwuchs sehr unästhetisch findet. Ordnung muss sein. Und Ordnung beginnt dort, wo niemand mehr anonym ist.

Die Ironie ist herrlich: Gerade jene Generation, die sich ohnehin nicht davor scheut, ihre halbe Existenz auf Instagram zu dokumentieren, wird nun durch technische Zwangsverifikationen endgültig in die nackte Wahrheit gezerrt. Teenager, die sich seit jeher erfinderische Ausreden ausdenken, um Elternkontrollen zu umgehen, werden sich künftig mit biometrischer Perfektion authentifizieren müssen, bevor sie jemandem ein Meme schicken. Wie praktisch, dass die Geräte alles speichern. Was könnte da schiefgehen?

Der gläserne Bürger: Von der Transparenz zur Transzendenz

Die EU nennt es Risikominimierung, Datenschützer nennen es Albtraum. Und irgendwo zwischen diesen Polen steht der Bürger, der inzwischen gelernt hat, dass „vorübergehend“ in Brüssel eine zeitliche Kategorie ist, die ungefähr so verlässlich ist wie die Haltbarkeit von Quark im Sonnenschein. Die zunächst befristete Sonderregelung wird deshalb – welch Zufall – dauerhaft. Damit freiwillige Scans auch weiterhin freiwillig bleiben können, ohne je wirklich aus der Welt zu verschwinden. Ein eleganter Schritt, der jeden Skeptiker beruhigen soll: Die EU würde nie und nimmer eine freiheitliche Grundordnung unterlaufen. Sie würde sie höchstens modernisieren – und modern heißt im europäischen Verwaltungsdeutsch: effizient durchleuchten.

Dass der Bürger in diesem Prozess zum Datenspender wird, ist lediglich die systemische Zusatzfunktion. Denn Daten sind das neue Öl, und wer wäre die EU, wenn sie nicht zumindest probieren würde, ihr eigenes digitales Bohrloch in unser Kommunikationsverhalten zu setzen? Ein Schatz, so sagt man, wartet unter der Erde. Und ein noch größerer in unseren Smartphones.

Die Demokratie im Fitnessstudio der Überwachung

Skeptiker behaupten ja gerne, Überwachung führe zur Erosion demokratischer Strukturen. Brüssel hingegen sieht das sportlicher: Demokratie muss flexibel bleiben, elastisch, belastbar. Ein wenig Überwachungsstretching schadet da nicht. Wenn man Journalisten, Anwälten oder Ärzten zuhört, klingt das allerdings weniger nach Fitnessstudio und mehr nach einer schleichenden systemischen Muskelzerrung. Pressefreiheit, Berufsgeheimnis, Whistleblower-Schutz – alles hübsche Accessoires einer alten Ordnung, die jetzt für die neue Ära der Sicherheit auf Figur gebracht werden müssen.

Wie beruhigend, dass ein eigens errichtetes EU-Zentrum bis 2030 mehr als hundert Millionen Euro verschlingen wird, um all die Meldungen aus den Messengern zu sortieren. Das klingt fast wie ein Jobprogramm für Datenarchäologen, die in den Sedimentschichten unserer digitalen Intimitäten nach verwertbaren Fragmenten graben. Jede Gesellschaft braucht schließlich ihre Priesterschaft – und warum nicht eine, die sich in der digitalen Beichte auskennt?

Wenn Konzerne anfangen zu drohen, wird’s spaßig

Signal, Threema und andere Messenger-Unternehmen erklärten bereits, sie würden sich eher aus der EU zurückziehen, als ihre Verschlüsselung auszuhebeln. Das hat fast etwas Romantisches: ein zartrosa Hauch digitaler Rebellion. Schwer bewaffnete Datenschützer in Kapuzenpullovern, die sich weigern, die Kryptografie zu verraten. Und die EU steht daneben und fragt sich verwirrt, warum private Firmen plötzlich moralische Rückgrate entwickeln. Man war aus Brüssel gewohnt, dass die Wirtschaft niederkniet, wenn nur ausreichend Formularwesen versprochen wird.

Dass das jetzt anders ist, könnte man als Warnsignal verstehen. Oder – wie Ursula es vermutlich formulieren würde – als Anlass, die Regulierung noch ein klein wenig besser zu machen. Schließlich darf kein Anbieter glauben, er könne sich der wohlmeinenden Umarmung europäischer Gesetzgebung entziehen. Freiheit ist schließlich dort am schönsten, wo sie geregelt ist.

Der politische Widerstand: Ein Chor seltsamer Einigkeit

In einer beeindruckenden Wendung zeigt sich, dass sowohl rechte als auch linke Opposition mit der EU plötzlich einer Meinung sind – ein historisches Ereignis, das ungefähr so häufig vorkommt wie ein defizitfreier EU-Haushalt. Die FPÖ sieht die Grundrechte in Trümmern, die Grünen wittern Rechtsbruch und Überwachungsdammbruch. Wenn politische Gegner sich so leidenschaftlich einig sind, sollte das eigentlich Alarm auslösen. Doch in Brüssel interpretiert man solche Einigkeit traditionell als Bestätigung, dass der Kompromiss ausgewogen ist. Schließlich sind beide Seiten unzufrieden – die reine demokratische Harmonie!

Der Bürger allerdings, diesem Konflikt ausgesetzt, fühlt sich wie ein Kind in einer Scheidung: Beide streiten, beide schreien, und er weiß nicht, ob er nun von der EU oder den Nationalstaaten erzogen – pardon: überwacht – wird.

Finale: Ein Monster entsteht – und alle hoffen, es sei vegan

Am Ende bleibt das Versprechen, dass alles nur zum Schutz der Kinder geschieht. Ein völlig valides Anliegen, das tragischerweise als moralischer Rammbock missbraucht wird, um eine Überwachungsarchitektur aufzubauen, die selbst ein autoritärer Staat nur mit leuchtenden Augen betrachten könnte. Brüssel baut ein Monster, so sagen Kritiker – aber eines, das hoffentlich harmlos bleibt, weil es freiwillig gefüttert wird. Man könnte sich fast entspannt zurücklehnen, wäre da nicht das dumpfe Gefühl, dass Monster selten bei der Diät bleiben, die man ihnen anfangs verordnet.

Europa will sicherer werden, sagen die Architekten des neuen Überwachungskontinents. Und vielleicht werden wir es sogar. Aber sicherer wovor? Vor Verbrechen – oder vor Freiheit?
Ein feiner Unterschied, den Big Sister Ursula vermutlich in einem ihrer vielen Ordner abgeheftet hat. Zwischen „Sicherheit“ und „Privatsphäre“, alphabetisch sortiert, liegt nur ein Blatt Papier. Und die Schere steht schon bereit.

Friedensangst – Die neue Panik der Prosperität

Es gibt Wörter, die sich heimlich in die Sprache schleichen, wie Katzen durch eine angelehnte Terrassentür: ungebeten, aber sofort Herr im Haus. „Friedensangst“ ist eines dieser Wörter. Ein hübsches Neologismus-Früchtchen, das gleichzeitig duftet und stinkt – süßlich in seiner Hoffnung, modrig in seiner Bedeutung. Man möchte es fast streicheln, dieses paradox aufpoppende Sprachwesen, bis man merkt, dass es mit leicht fettigen Fingern vom Parkett gekommen ist, aus einer jener Börsenhöhlen, in denen die Luft aus Angst, Kaffee und Krawattenstaub besteht. Ein Wort wie ein nachlässig verklebtes Pflaster: Man schaut hin, obwohl man es lieber lassen würde.

Wenn der Frieden zur Störung wird

Es sind sonderbare Zeiten, wie sie sonst nur Historiker erfinden, wenn sie mit ihren Studierenden Eindruck schinden wollen: Zeiten, in denen die Kanonen nicht mehr das Zittern verursachen – sondern ihr Verstummen. Es ist, als hätten wir kollektiv vergessen, dass Normalität eigentlich der Ausgangszustand der Welt sein sollte und nicht die Ausnahme. Dass Ruhe nicht verdächtig ist und Frieden keine geopolitische Unregelmäßigkeit, die auf ökonomische Gefahren hindeutet. Doch genau das scheint die Börsenlogik unserer Gegenwart zu fordern: Sie verlangt Unruhe wie andere Leute glutenfreie Snacks. Ein bisschen Knall, ein bisschen Knallgas, und schon fühlen sich die Kurse wohl. Das Schlachtfeld als Wärmflasche. Der Waffenstillstand als Kälteeinbruch.

Da steht also Rheinmetall, dieser neue Liebling der Investoren, plötzlich im Gegenwind – nicht, weil die Geschäfte schlecht laufen, sondern weil die Welt womöglich ein klein wenig weniger brennt. Die Aussicht auf Waffenruhe drückt die Kurse. Ein US-Friedensplan reicht aus, um ein milliardenschweres Beben auszulösen. Anleger kratzen sich nervös am Krawattenknoten und fragen sich: „Was, wenn die da draußen ernst machen mit der Deeskalation?“ Es ist beinahe rührend – wie ein Junkie, der erschrickt, weil jemand ihm versehentlich eine Woche Urlaub schenkt.

Das Börsenmonster erwacht: Ein Gefühl wie ein Börsen-Crash im Pyjama

So entsteht unser neues Lieblingsungeheuer: Friedensangst. Ein Begriff, der klingt, als sei er von einem hyperventilierenden Statistiker erfunden worden, der zu lange auf tickenden Charts gestarrt hat. Die Märkte reagieren inzwischen auf Frieden wie Vampire auf Vitamin D. Ein zaghafter Waffenstillstand – und schon schmilzt die Performance dahin, leise zischend, wie Butter auf einer heißen Rüstung.

Es ist die Antithese dessen, was in der Schule noch gelehrt wurde: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Heute müsste man hinzufügen: „… denn sonst bricht der DAX ein.“ Fortschritt bedeutet offenbar, dass moralische Paradoxien inzwischen als Kapitalmarktindikatoren herhalten. Eine Emotionslandschaft, die eher an eine neurotische Komödie erinnert als an globale Ökonomie.

Anlegerlogik: Das große Zucken der Zivilisation

Früher fragte man in finsteren Momenten: „Was, wenn sie schießen?“ Heute flüstert man nervös: „Was, wenn sie damit aufhören?“ Eine Frage, die den gesamten intellektuellen Spagat offenbart, den wir auf diesem wackeligen Zeitstrahl der Moderne vollführen. Wir haben uns so sehr an Dauerkrise gewöhnt, dass ihr Ausbleiben wie eine existenzielle Unannehmlichkeit wirkt.

Vielleicht ist die Friedensangst also nicht nur ein Wort, sondern ein Symptom. Ein leises Nagen an der globalen Psyche, die zu lange auf ständiges Donnergrollen konditioniert wurde. Die Börsen zittern beim Klang der Stille. Investoren bekommen Panikattacken, wenn irgendwo ein Verhandlungstisch aufgebaut wird. Und während die Analysten hektisch ihre Excel-Modelle massieren, versucht der Rest der Welt, sich daran zu erinnern, wie eigentlich Alltag ohne Alarmstufe Rot aussieht.

Und nun?

Vielleicht sollten wir Friedensangst nicht nur belächeln – obwohl sie geradezu darum bettelt –, sondern als unfreiwilligen Spiegel unserer Zeit betrachten. Ein groteskes Kaleidoskop der Prioritäten, das zeigt, wie tief die Märkte in die Seelenlandschaft eingewandert sind. Und vielleicht, nur vielleicht, ist dieses neue Wort ein Anfang: Ein schief grinsendes, zynisch funkelndes Signal dafür, dass wir dringend neu sortieren müssen, was wirklich als Katastrophe zu gelten hat.

Denn wenn der Frieden Angst macht und der Krieg Sicherheit verspricht, ist es nicht die Börse, die falsch tickt. Es ist die Welt. Oder besser: das, was wir aus ihr gemacht haben.

Die EU am Wochenmarkt

Es gibt Momente in der europäischen Politik, da weiß man nicht, ob man applaudieren, lachen oder panisch den letzten Rest an Menschenwürde aus dem brennenden Haus der geopolitischen Selbstüberschätzung retten soll. Die jüngste Verkündigung der EU-Kommission, Europa solle künftig „gemeinsam Rohstoffe einkaufen“, gehört zweifellos zu jenen exquisiten Episoden des politischen Theaters, in denen Idealismus und Realitätsferne eng miteinander tanzen – so eng, dass man sich fragt, wer von beiden wem auf die Füße tritt. Denn während die Kommission feierlich ihre geballte Einkaufskraft beschwört – man darf sich das gern als gigantischen Wocheneinkauf mit 27 Einkaufszetteln vorstellen – schwingt gleichzeitig ein kaum verhülltes „Isch ’abe auch eine Drohung“ im Raum, gerichtet an jene Länder, die es wagen könnten, Europa nicht prioritär zu beliefern. Es ist der klassische EU-Moment: moralisch erhaben auftreten, ökonomisch entschlossen wirken – und dabei unfreiwillig Komik erzeugen.

Der Kontinent als Schnäppchenjäger

Ein Kontinent, der gemeinsam Rohstoffe einkauft – die bloße Vorstellung hat etwas rührend Hausmütterliches. Man sieht förmlich die EU-Kommissarinnen und -Kommissare mit Trolley und Jutebeutel über den globalen Wochenmarkt schlendern, hier ein seltenes Metall beäugend, dort ein Gasvorkommen kritisch prüfend, und zwischendurch empört nachfragend, ob dieses Lithium denn nun wirklich nachhaltig sei oder bloß nachhaltig im Werbeprospekt. Der Gedanke dahinter ist einfach: Wenn 27 Staaten zusammen auftreten, dann haben sie eine stärkere Verhandlungsposition. Und zweifellos stimmt das – zumindest in jener theoretischen Welt, in der alle 27 dieselben Interessen, dieselbe Geduld und dieselbe Vorstellung von Preis und Priorität haben. In der wirklichen Welt allerdings wird der gemeinsame Einkauf schnell zum geopolitischen Gruppentherapieexperiment, bei dem jeder Mitgliedstaat zwar gern Solidarität predigt, aber im entscheidenden Moment doch wieder fragt: „Und was genau bringt mir das?“

Immerhin lässt sich die EU dabei nicht lumpen. Denn wer könnte der Versuchung widerstehen, der Welt mit wohlig schwingender moralischer Überlegenheit zu erklären, dass Europa – dieses große, friedliebende, überall beliebte Europa – künftig seine Einkaufsliste diktieren will wie eine etwas zu selbstbewusste Kundin in einem Bioladen, die verlangt, dass der Kassierer weiß, was sie „sonst immer nimmt“.

Wenn die sanfte Drohung mit dem Zeigefinger winkt

Doch hinter der freundlich-technokratischen Formulierung, man wolle „mit geballter Einkaufskraft Lieferengpässe verhindern“, steckt ein Subtext, der sich nur mit einer fein abgeschmeckten Portion Zynismus voll entfaltet. Denn die Kommission erklärt implizit: „Wenn ihr nicht anständig liefert, werden wir … ja, was eigentlich? Sehr enttäuscht sein? Den Handelspartner streng anschauen? Oder – Gott bewahre – womöglich den diplomatischen Zeigefinger heben?“

Die Andeutung einer Drohung wirkt dabei wie jene sanfte pädagogische Warnung, mit der Eltern ihrem Kind nahelegen, dass es jetzt aber wirklich gleich ins Bett müsse, sonst passiere … ja, sonst passiere etwas, das man nie konkret ausbuchstabiert. Die EU erklärt also entschlossen, aber nicht zu detailliert, dass andere Länder gefälligst ihre Rohstoffe herausrücken sollen. Dass diese Länder sich denken könnten: „Europa, du produzierst selbst kaum was davon, kritisierst unsere Politik täglich – und jetzt möchtest du bitte bevorzugt beliefert werden?“ … darüber schweigt man höflich.

Doch man muss fair sein: Die Weltlage ist ernst genug. Wenn China den Export bestimmter Metalle einschränkt und die USA sich wieder einmal in protektionistische Selbstfindungsseminare begeben, dann bleibt Europa nur, irgendeine Art „strategischer Autonomie“ zu improvisieren. Und wenn man keine Minen hat, dann, nun ja, kauft man eben gemeinsam ein – und hofft, dass Moral, Kaufkraft und charmantes Lächeln ausreichen, um afrikanische, südamerikanische oder asiatische Rohstoffnationen zu überzeugen, sich den europäischen Bedürfnissen zu beugen.

Die große europäische Selbstbehauptungsoper

In Wahrheit ist die Ankündigung der EU-Kommission ein weiterer Akt in jenem langatmigen, doch stets dramatisch inszenierten Versuch, Europa als geopolitischen Akteur darzustellen, der mit den Supermächten mithalten kann. Man könnte meinen, der Kontinent stehe auf einer Theaterbühne mit USA und China, während diese beiden sich mit Laserkanonen duellieren – und Europa versucht, mit einer besonders eindrucksvollen PowerPoint-Präsentation Eindruck zu schinden.

Die Idee der gemeinsamen Rohstoffbeschaffung erinnert an jene legendären Momente der EU-Historie, in denen man glaubte, durch institutionelle Eleganz geopolitische Härte ersetzen zu können. Doch der globale Rohstoffmarkt ist kein Debattierclub, und auch kein Seminar für wertebasierte Außenpolitik, sondern ein knallhartes, oft schmutziges Geschäft, in dem Macht, Zugang und Infrastruktur zählen. Da hilft es wenig, wenn die EU ihre „strategischen Bedürfnisse“ in wohlklingenden Papieren formuliert. Ein Bergbaukonzern in Indonesien oder Chile mag höflich nicken – und trotzdem verkaufen, an wen er will.

Die Schönheit der Ironie liegt jedoch in der Tatsache, dass die EU politisch stets dorthin strebt, wo sie am wenigsten glaubwürdig ist. Ein kontinentales Einkaufszentrum? Großartig. Eine geopolitische Speerspitze? Nun ja. Ein Ressourcenimperium? Höchstens im PowerPoint-Format. Doch zumindest beweist Europa einmal mehr seinen unbeirrbaren Optimismus: Wenn schon nicht pragmatisch, dann wenigstens feierlich.

Die moralische Großmacht mit Einkaufswagen

Es wäre unfair, den europäischen Ansatz ausschließlich zu belächeln. Ein gemeinsamer Einkauf kann tatsächlich helfen, die Preise zu stabilisieren, Abhängigkeiten zu verringern und die Verhandlungsmacht zu erhöhen. Doch Europa wäre nicht Europa, wenn es nicht gleichzeitig glauben würde, dass man mit moralischem Anspruch geopolitische Physik überlisten könnte. Die EU sieht sich gern als Hort der Werte, der Transparenz, der fairen Partnerschaften. Doch der Rohstoffmarkt ist ein Tummelplatz jener Realität, die sich für Werte nur interessiert, wenn sie sich in Dollar, Yuan oder zumindest Kupferdraht umrechnen lassen.

So entsteht jene köstliche Diskrepanz, die dieses gesamte Projekt zur Satire macht: Ein Kontinent, der weder die Rohstoffe besitzt noch deren Abbau forcieren will und gleichzeitig gegenüber der Welt die moralische Messlatte hält, möchte nun „mit geballter Einkaufskraft“ auftreten – vermutlich mit demselben Ausdruck auf dem Gesicht, mit dem man einem überforderten Einzelhändler erklärt, das Haltbarkeitsdatum des Sojajoghurts entspreche nicht den EU-Anforderungen.

Und dennoch: Die EU meint es ernst. Sie will keine Bittstellerin mehr sein. Keine politische Vegetarierin in einer Welt der geopolitischen Fleischfresser. Keine moralische Kommentatorin, die am Rand steht, während andere handeln. Nein, Europa möchte endlich etwas tun, das nach Macht aussieht – selbst wenn es am Ende nur ein ziemlich großer, ziemlich komplizierter Einkauf wird.

Schlusswort eines wohlmeinenden Zynikers

Vielleicht ist das der wahre Kern des Ganzen: Europa versucht, die eigene Ohnmacht mit kollektiver Organisation zu übertönen. Und das ist – im besten Sinne – zutiefst menschlich. Denn wer kennt es nicht: Wenn man keine echte Kontrolle hat, beginnt man eben Listen zu schreiben, Einkaufsgruppen zu gründen und sich gegenseitig in der Illusion zu bestärken, dass gemeinsames Auftreten Stärke bedeutet.

Vielleicht funktioniert es. Vielleicht wird Europa tatsächlich unabhängiger. Vielleicht werden die Lieferketten stabiler. Oder vielleicht wird die Kommission in ein paar Jahren erklären, dass die Welt leider nicht angemessen kooperiert habe und man nun eine „gemeinsame strategische Reflexion“ anstrebe.

Aber bis es so weit ist, bleibt uns zumindest ein gewisses Maß an Unterhaltung: Ein Kontinent im kollektiven Einkaufsrausch, moralisch aufgeladen, politisch ambitioniert – und herrlich unfreiwillig komisch. Ein Europa, das versucht, mit einem Einkaufswagen die Weltpolitik neu zu ordnen. Ein Bild, das so absurd ist, dass es fast schon wieder poetisch wirkt.

Unser Sportminister Babler gibt sich die Kugel

Es gibt Momente in der politischen Sphäre, in denen man als Beobachter nicht weiß, ob man sich nun die Augen reiben, laut auflachen oder einfach seufzend kapitulieren soll. Jene Szene, in der Sportminister Vizekanzler Andreas Babler beim „Vienna is lit!“-Flipperturnier auftauchte, gehörte zweifellos in diese Kategorie der multipel ambivalenten Regungen. Ein Minister, der sich „die Kugel gibt“ – metaphorisch selbstverständlich, man ist ja humanistisch gebildet – und dabei lässig zwischen zwei Tilt-Warnungen über den gesellschaftlichen Zusammenhalt fabuliert, ist ein kulturpolitischer Moment, den man im Geschichtsbuch später vermutlich unter „symptomatische Randnotiz eines überbeschleunigten Jahrzehnts“ finden wird. Doch was wie eine ironische Fußnote beginnt, entfaltet sich in Wahrheit als seltenes Panorama unserer Zeit: Der Retro-Flipper als politisch-emotionaler Kraftort, die nostalgische Kugel als Modell moderner Politik – unberechenbar, bunt blinkend, laut scheppernd und immer kurz davor, in den Abgrund zu rauschen.

Der Minister als Kugel, der Flipper als Gesellschaft

Dass das Flipperturnier eine „Community“ beherbergte, die „diese Kultur lebt und weiterträgt“, wie der Minister ernsthaft verkündete, ist einer jener Sätze, die man sofort in einer Fußgängerzone als Straßenperformance aufführen könnte: Der Nostalgieenthusiast, der beleidige Kulturpessimist und der verwirrte Passant würden gleichermaßen stehen bleiben. Diese „Kultur“ – das rhythmische Klackern der Kontaktpunkte, ein 80er-Jahre-Maschinenbrummen, das nach ölverschmiertem Heldenmut riecht – wird in diesem Moment zu einem Quasi-Kulturdenkmal erhoben. Und während Babler versucht, sich selbst zwischen Bumpern und Blinklichtern zu positionieren, merkt man, wie sehr dieser Wettbewerb seine eigene ministerielle Psyche spiegelt. Wer Flipper spielt, weiß: Die Kontrolle ist immer nur Illusion. Man kann noch so entschlossen die metallene Kugel in Bewegung setzen, am Ende entscheidet ein chaotisches Set aus Schwerkraft, Mechanik und unberechenbarem Glück. Genau so fühlt sich politische Verantwortung dieser Tage an – nur dass im Gegensatz zum Flipper niemand am Ende „Replay“ drückt.

Man könnte sogar argumentieren, dass Babler in diesem Setting sein bislang ehrlichstes öffentliches Statement abgegeben hat, ohne ein einziges Wort zu sagen: Durch die schiere Anwesenheit an einem Gerät, das schillerndes Spektakel und durchschaubare Sinnlosigkeit in perfekter Synthese verbindet. Eine Kugel wird abgeschossen, kämpft sich durch labyrinthische Herausforderungen, prallt an glitzernden Oberflächen ab, entkommt knapp mehreren Katastrophen und landet – früher oder später – doch wieder unten im Loch. Wenn das nicht die Metapher für österreichische Innenpolitik ist, dann weiß ich auch nicht.

Wenn Nostalgie zur Staatsräson erklärt wird

Dass der Minister öffentlich verkündete, wie „großartig“ das sei, „wie stark der Flipper-Trend zurück ist“, wäre in einer Welt, die sich mit Klimakrisen, geopolitischen Friktionen und einer erstaunlich kreativen Inflation herumplagt, eigentlich eine Satire in sich. Doch vielleicht ist es ja genau die Pointe unserer Epoche: Der Rückzug in harmlose Retro-Trostwelten. Während draußen ein globales Durcheinander tobt, flüchtet man sich in das vertraute Klackern der 1980er. Alte Geräte, die früher im verrauchten Beisl standen, werden nun zu Leuchttürmen kultureller Relevanz erhoben. Der politische Souverän, der einst über Arbeitsmarkt, Migration oder soziale Gerechtigkeit parlierte, erklärt nun mit heiligem Ernst die Rückkehr der Flipperkultur zur gesellschaftlichen Aufgabe. Man wähnt sich in einem dystopischen Roman über eine Welt, die endgültig beschlossen hat, dass die großen Erzählungen viel zu kompliziert sind – also ersetzt man sie durch nostalgische Miniaturdramen aus Stahl und Plastik.

Natürlich könnte man zynisch behaupten, es handle sich hier um eine ideale politische Strategie: Beim Flipper kann man wenigstens noch behaupten, man habe den Kugelverlauf ansatzweise beeinflusst. In der echten Welt hingegen hat jeder Versuch der Einflussnahme die charmante Tendenz, von unvorhersehbaren Ereignissen pulverisiert zu werden. Vielleicht ist das die bittere Wahrheit: Manchmal ist der Flipperraum schlicht ein besserer Ort als der Ministerratssaal.

Ein Dank, der wie eine Prophezeiung klingt

Und dann steht er da, der Vizekanzler, flankiert von blinkenden Geräten, und jemand ruft ihm zu: „Danke für Ihren gesellschaftlichen Einsatz in diesen gesellschaftlich herausfordernden Zeiten!“ Ein Satz so repetitiv, dass man ihn am liebsten als Dauerschleife auf einem dieser digitalen Scoreboards einstellen möchte. Es ist die Art von politischem Dank, die gleichzeitig klingt wie eine Lobeshymne, eine Entschuldigung und eine Warnung. Man spürt förmlich, wie die Worte ins Leere driften, wie sie zwischen zwei Bumpern hängen bleiben, bevor sie leise abgleiten: Wir danken ihnen, weil wir sonst nicht wüssten, wofür wir ihnen eigentlich danken sollen. Wir danken ihnen, weil man hofft, dass der Dank selbst schon die schwierigen Zeiten entschärfen möge. Wir danken ihnen, weil es in Österreich eine jahrhundertealte Tradition ist, Funktionsträgern rituell Dankbarkeit entgegenzuschleudern – unabhängig davon, ob sie nun tatsächlich etwas getan haben oder nicht.

Doch im glitzernden Halbdunkel des Flipperraums hat dieser Satz etwas Ergreifendes. Vielleicht, weil er so absurd ist. Vielleicht, weil er so ernst gemeint klingt. Vielleicht, weil man versteht, dass zwischen den Kuchler Gassen und dem Kanzleramt letztlich alle dasselbe wollen: Dass die Kugel ein bisschen länger oben bleibt, bevor sie wieder unweigerlich verloren geht.

Epilog: Die Kugel rollt weiter

So verlässt der Sportminister schließlich das Turnier, wahrscheinlich halb euphorisiert, halb überfordert, aber um eine neue Erfahrung reicher. Und irgendwo in diesem absurden Bild – ein Minister, der die Kugel abfeuert und dabei Gesellschaftspolitik beschwört – liegt tatsächlich ein Kern Wahrheit: Vielleicht ist unsere Zeit nur noch durch Satire zu ertragen. Vielleicht sind Flipperautomaten die letzten Orte, an denen wir den Zufall als Freund akzeptieren. Vielleicht zeigt uns dieses Bild, worum es politisch längst geht: Nicht um perfekte Kontrolle, sondern darum, sich mit Stil durch Chaos zu manövrieren.

Und so bleibt uns am Ende nur ein Fazit: Wenn schon die Welt eine Maschine voller Bumper, Multiballs und blinkender Ablenkungen ist – dann sollten wir wenigstens die Fähigkeit kultivieren, darüber zu lachen. Oder, wie es der Minister getan hat: Uns hin und wieder einfach die Kugel geben.

Wir haben’s hinter uns

Postmigrantische Gesellschaft

In einer Ära, in der wir uns sprachlich offenbar nur noch rückwärts fortbewegen können, ist es kaum verwunderlich, dass sich die Vorsilbe post- als semantischer Zuchtmeister über die wackligen Konstruktionen öffentlicher Debatten erhebt. Kaum hat man sich an die Postmoderne gewöhnt, da sie schon in die Jahre kommt; kaum hat man die Postkolonialität korrekt buchstabiert, da wird sie in akademischen Mittelschichtrunden zu einem intellektuellen Haustier degradiert, das die Teilnehmer*innen bei Bedarf in den Schoß nehmen, um sich daran zu wärmen. Und nun also „postmigrantisch“, das neue Etikett, frisch gedruckt mit der Begeisterung eines sozialwissenschaftlichen Paketboten, der mal wieder vergessen hat, was eigentlich im Karton war.
Der Mensch von heute soll sich angeblich im postmigrantischen Zeitalter befinden, doch wer sich die Mühe macht, einen Blick in das gesellschaftliche Treppenhaus zu werfen, hört die Stimmen derjenigen, die diese Treppe überhaupt erst betreten wollten: Es knarzt, es ächzt, und manchmal bricht eine Stufe weg, wie ein pessimistischer Kommentar im Feuilleton. Postmigrantisch – als wäre Migration bereits erledigt, sauber archiviert, abgeheftet, und die Realität nickt höflich, obwohl sie nicht eingeladen war. Die Vorsilbe, die einst den Fortschritt signalisieren sollte, entlarvt sich selbst als Verlegenheitsgeste einer Gesellschaft, die ihre eigenen Begriffe nur noch ex post versteht.

Das Versprechen der Vorsilbe

Die Ironie besteht darin, dass dieses post- stets den Anspruch erhebt, etwas Überwundenes zu markieren, obwohl es ja gerade auf etwas verweist, das hartnäckiger ist als die Optimismusfloskeln politischer Sonntagsreden. Die Postmoderne war nie richtig modern, die Postkolonialität nie sauber entkolonialisiert, und nun behauptet das „postmigrantische“ Zeitalter standhaft, man hätte das Thema gesellschaftlich durchgespielt wie ein Strategiespiel auf leichtem Schwierigkeitsgrad.
In Wirklichkeit jedoch thront dieses post- wie eine schlecht gelaunte Grammatikgouvernante über einem Alltag, der sich um die Etiketten wenig schert. Menschen migrieren weiterhin, manche freiwillig, viele unfreiwillig, und selbst jene, die schon seit Generationen hier sind, gelten mancherorts – je nach Hautfarbe, Name oder Akzent – weiterhin als provisorische Gäste im eigenen Land. Wer hier also etwas „postuliert“, postuliert vor allem sich selbst, dekoriert mit einem Begriff, der eher ein intellektuelles Schulterklopfen für Eingeweihte ist als eine Diagnose gesellschaftlicher Realität.

Der Etikettendruck als Ersatzhandlung

In einem bemerkenswerten Akt kollektiver Selbstüberschätzung glaubt man heutzutage, eine Gesellschaft ließe sich durch sprachliche Präfixe wie Möbelkataloge ordnen. Postmigrantisch – das klingt nach Fortschritt, nach einem Zustand, in dem alles Unangenehme längst überwunden wurde, ein Versuch, Komplexität mit der Präzision einer Büroklammer zu bändigen.
Doch der Etikettendruck dient letztlich als Ersatzhandlung: Man kann sich mit einem Wort schmücken, anstatt sich mit den darin enthaltenen Realitäten auseinanderzusetzen. So entsteht eine intellektuelle Selbstberuhigungspraxis, die zwar semantisch kunstvoll erscheint, aber praktisch ebenso leer ist wie die Motivationssprüche in Großraumbüros. Man druckt, deklariert, versieht mit Präfixen – und hofft, dass die Welt dem Beispiel folgt. Sie folgt nicht. Sie hat Besseres zu tun.

Die Polemik der Selbsttäuschung

Es wäre falsch zu behaupten, der Begriff sei völlig nutzlos. In akademischen Dialogen entfaltet er eine gewisse Eleganz, er schwingt mit jenem leichten Hauch des Fortschritts, den man gern im Seminarraum inhalieren möchte. Doch sobald man damit versucht, die Realität zu sortieren, verwandelt er sich in einen sprachlichen Taschenspielertrick: Man behauptet eine nachmigrantische Phase, während man gleichzeitig den Menschen, die angeblich „post“ sind, im Alltag immer wieder signalisiert, dass sie es nicht sind.
Hier offenbart sich die wahre Polemik: Nicht die Gesellschaft ist postmigrantisch, sondern die Geduld derjenigen, die das immer wieder hören müssen. Die Zynik liegt nicht im Begriff selbst, sondern in seinem Gebrauch, in der unbewussten Arroganz einer Gesellschaft, die Probleme für gelöst erklärt, sobald sie einen akademisch ausreichend klingenden Namen haben.

Ein augenzwinkerndes Resümee

Vielleicht sollten wir, statt ständig neue Prefixe zu erfinden, einmal innehalten und fragen, wozu wir diese Begriffe überhaupt benötigen. Sie geben uns das wohlige Gefühl, auf einem intellektuellen Hochplateau zu stehen, während wir in Wahrheit über einen semantischen Abgrund balancieren.
„Postmigrantisch“ ist im besten Fall eine Hoffnung, im schlechtesten eine Selbsttäuschung. Eine Gesellschaft, die glaubt, Migration ließe sich durch ein post- rückstandslos wegdefinieren, verhält sich wie jemand, der den Wecker früher stellt, um zu glauben, er habe mehr geschlafen.
Doch vielleicht liegt im Begriff wenigstens ein kleines Fünkchen Humor: In seinem unbeabsichtigten Geständnis, dass wir uns selbst oft nicht mehr ernst nehmen können. Und vielleicht liegt in diesem Lächeln die eigentliche Chance. Denn eine Gesellschaft, die über ihre eigenen Etiketten lachen kann, ist zumindest ein Stück weit auf dem Weg – vielleicht nicht post-irgendwas, aber immerhin: angekommen in der Realität.

Österreichs Winterschlaf

Schiefergas: Der Schatz, den wir nie wollten

Man stelle sich vor: Unter den sanften Hügeln des niederösterreichischen Weinviertels lagert ein Schatz, größer als so mancher Finanzplan der Republik, mächtiger als die Sommerhitze in Poysdorf, gefährlicher nur für die Faulheit der politischen Entscheidungsträger. Fast drei Jahrzehnte könnte dieses Schiefergas Österreich nahezu autark mit Energie versorgen – und dennoch starren wir mit zitternden Fingern auf die Heizkörper, während die EU-Gaspreise in schwindelerregende Höhen klettern. Es ist die Ironie par excellence: Ein Land, das so stolz auf seine Weine und seine „grüne Seele“ ist, könnte seine Bürger nun frierend durch den Winter schicken – und das alles, weil jemand vor zehn Jahren beschlossen hat, lieber auf dem moralischen Pedestal der Ökologie zu reiten, anstatt pragmatisch zu handeln.

Die Montanuniversität Leoben hatte damals bereits die Lösung parat: Wasser, Stärke, Sand – nichts, was die Umwelt ernsthaft bedroht – und das Gas fließt aus dem Gestein wie Wein aus einem frisch entkorkten Fass. Aber nein, die Bürgerinitiativen „Risiko Gas“ und „Schiefes Gas“ standen wie eine Horde mittelalterlicher Drachenritter vor dem Schatz und brüllten „Halt! Nicht mit uns!“ Landesrat Karl Wilfing, zufälligerweise langjähriger Bürgermeister von Poysdorf und zufälligerweise ein Mann, dessen politisches Karma sich wohl auf das Wohl seiner Gemeinde konzentrierte, nickte zustimmend. Das Resultat: Die OMV gab 2013 auf, die Gasgewinnung wurde eingestellt – und die Winterheizungen der Österreicher warten seither auf ein Wunder, das nie kam.

Fracking mit Zitronensaft? Österreichs alternative Realität

Natürlich, es geht hier nicht um eine simple Ölkatastrophe oder die traditionelle Fracking-Paranoia, die man gerne mit schaurigen Bildern von vergiftetem Trinkwasser und glühenden Kühen illustriert. Die Methode der Leobener Wissenschaftler war sauber, fast schon liebevoll zur Natur, ein Hightech-Ballett der Chemie, das Gas aus der Tiefe lockte, ohne sie zu zerstören. Man könnte fast meinen, die Wissenschaft habe die Politik überlistet, nur um dann selbst vor einer Wand aus bürokratischer Ignoranz zu stehen. Stattdessen importiert die EU heute Flüssiggas aus aller Welt, geliefert von  Tankschiffe voll von Schweröl, das die Atmosphäre wie einen undurchsichtigen Schleier überzieht. USA, Katar, Nigeria, Russland – wir begrüßen euch alle mit offenen Häfen und roten Rechnungen.

Wenn man es nüchtern betrachtet, wäre die Rechnung simpel: Hätte man die OMV arbeiten lassen, wäre Österreich seit 2020 unabhängig von russischem Gas gewesen. Seit 2020! Stattdessen fahren wir nun panisch in die Tankstellen der Welt, während die politischen Entscheidungsträger fröhlich diskutieren, ob ein Windrad vielleicht doch zu laut ist. Die Kluft zwischen rationaler Notwendigkeit und politischem Handeln könnte man kaum satirischer inszenieren – und genau das passiert, wenn man die Verantwortung mit einem Lächeln auf das nächste Jahrzehnt verschiebt.

Der Winter der zögerlichen Herzen

Jetzt stehen wir also da, zitternd vor Heizkörpern, während der Winter kommt. Es ist ein Winter der Absurditäten, der politischen Theaterkunst und der Verzögerungskunst. Österreich könnte seine Gasversorgung aus dem eigenen Boden sichern, aber nein – lieber lassen wir uns von fremden Staaten die Energiekosten diktieren, unterzeichnen Vertragswerke, die uns in endlosen Zahlungsstrudeln halten, und warten darauf, dass der nächste Sommer vielleicht die politische Courage zurückbringt. Die österreichische Energiepolitik ist ein Drama in drei Akten: Verleugnung, Verweigerung, Verzweiflung.

Und während wir frierend im Kerzenschein sitzen, könnte man beinahe den Humor in der Tragödie erkennen: Österreich, das Land der Präzision, der Ingenieure, der Forscher, lässt sich von Bürgerinitiativen, alten politischen Ambitionen und einem Übermaß an moralischer Empfindlichkeit in eine Lage manövrieren, die einem kafkaesken Wintermärchen würdig wäre. Vielleicht lachen wir später darüber, wenn wir nicht mehr zittern. Oder wir zittern weiter, während wir darüber lachen – eine wirklich heimische Mischung aus Schauer, Satire und Schiefergas, das wir nie hatten.