
Wie aus Barbarei Widerstand wird und aus Recht ein Verbrechen
Wenn ein demokratischer Staat – sagen wir: Israel – ein Schiff stoppt, das trotz vorheriger Warnung versucht, eine Blockade zu durchbrechen, und die Passagiere danach freundlich mit Wasser, Brot und einer Rückfahrkarte in ihre jeweiligen Heimatländer verabschiedet, dann schreit man in den klimatisierten Redaktionsstuben Europas auf: „Piraterie! Kidnapping! Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!“
Wenn aber eine islamistische Terrororganisation – sagen wir: die Hamas – nachts in Häuser einbricht, Kinder, Frauen und Alte verschleppt, sie in stickigen Tunneln zwischen Sprengfallen und rostigen Kühlschränken monatelang als lebendige Schutzschilde missbraucht, dann ist das: „Ein Akt des Widerstands.“ Widerstand? Gegen wen – die Menschheit?
Willkommen im moralischen Paralleluniversum des postfaktischen Gutmenschentums, wo Realität nur stört, wenn sie nicht ins Weltbild passt.
Die Heuchelei als Lebensform: Eine postmoderne Symphonie in Moll
Man stelle sich vor, der Rot-Kreuz-Konvoi, der Geiseln in Gaza besucht, müsste sich erst mit einem Kalaschnikow-Quiz bei Kerzenlicht beweisen, bevor er zu den eingesperrten Senioren vorgelassen wird. Erste Frage: „Wie heißt der Oberterrorist mit Vornamen?“ Zweite: „Nennen Sie drei Möglichkeiten, wie man ein Baby als Deckung benutzen kann.“ Wer alle drei richtig hat, darf ins Tunnelabteil Nummer 7.
Was für die Weltöffentlichkeit dennoch als mutmaßlicher Teil des „Widerstandes“ durchgeht, wäre in jedem anderen Konflikt ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof – aber wehe, man schlägt das im Zusammenhang mit Palästinensern vor. Dann ist man sofort „islamophob“, „kolonial rassistisch“ oder einfach nur „Teil des Problems“.
Man sollte eigentlich Satire daraus machen, aber die Realität ist schneller. Kafka wäre neidisch – und vermutlich sprachlos.
Kollateralmoral: Wenn Bomben intelligent sind, aber die Debatte dumm bleibt
Die IDF wirft Flugblätter ab, warnt per SMS und Anruf, baut Fluchtkorridore – alles, um Zivilisten zu schonen. Hamas? Baut Tunnel unter Krankenhäusern, feuert Raketen aus Kindergärten. Die Welt? Empört sich über Israel. Die Rakete zählt nicht, wenn sie von einer „unterdrückten“ Hand kommt. Die Bombe schon, wenn sie von einem demokratisch gewählten Parlament genehmigt wurde.
Die moralische Buchhaltung der internationalen Gemeinschaft ist ein bisschen wie Wirecard – nur mit weniger Konsequenz. Hauptsache, das Feindbild bleibt intakt: Der kleine David ist plötzlich ein Goliath mit Atombombe, der sich gefälligst nicht gegen Steinschleudern und Tunnelkrieger wehren darf.
Die Ästhetik der Täterverklärung
Nichts liebt der europäische Intellektuelle mehr als einen bewaffneten Unterdrückten, vorausgesetzt, er ist weit genug weg und trägt ein Kopftuch. Am besten eines mit Symbolwert. Die Kalaschnikow wird dann zur Feder der Entrechteten, der Sprengstoffgürtel zum Notizbuch der Geschichte.
Dabei müsste man nur einmal – ganz mutig – die Parolen der Hamas auf Englisch übersetzen und in einem Berliner Seminar für Postkoloniale Literatur verlesen. Spätestens beim Aufruf zur Vernichtung aller Juden würde selbst der dekonstruktivistischste Derrida-Jünger rot werden. Und das nicht aus Scham, sondern aus Irritation über die sprachliche Direktheit. Ironie ist hier keine Strategie, sondern fehl am Platz.
Die Geisel als PR-Gimmick
Die Entführung Unschuldiger wird im Hamas-Narrativ zur Trophäe. Im internationalen Diskurs aber leider auch. Sobald eine Geisel mit schwerem Trauma freikommt, beginnt das Wettrennen der Relativierung: War sie wirklich so schlimm behandelt worden? Gab es vielleicht Gemüse zu essen? Durfte sie lesen? War der Tunnel wenigstens gut belüftet?
Diese Fragen werden mit einem dermaßen perversen Unterton gestellt, dass man glauben könnte, die Tunnel seien Spa-Anlagen mit eingeschränkter Lichtversorgung. Dass es sich um ein brutales Menschenschinderregime handelt, das seine eigene Bevölkerung als Ressource missbraucht, bleibt lieber unausgesprochen. Das würde die feine Balance der westlichen Empörungsethik stören.
Die verkehrte Welt ist kein Ort, sondern ein Zustand
Man kann nicht auf der einen Seite verlangen, dass sich Israel wie ein Schweizer Uhrwerk an jedes moralische Detail hält, während man auf der anderen Seite die Hamas behandelt wie eine wilde Naturgewalt, die halt tut, was Naturgewalten tun: töten, zerstören, entführen.
Doch wer einem Akteur alle Verantwortung abspricht, spricht ihm letztlich auch die Menschlichkeit ab – und damit auch jede Hoffnung auf Wandel. Vielleicht ist das die bitterste Pointe der ganzen Geschichte: dass ausgerechnet jene, die am lautesten „Menschlichkeit!“ fordern, sie dort am wenigsten erwarten, wo sie am nötigsten wäre.