
Wenn ein Satz beginnt mit „Wir müssen“, dann zuckt der Demokrat. Er zuckt, weil er weiß, dass gleich eine große Absage an kleine Unterschiede kommt, verpackt in die kalte Umschlagfolie der Notwendigkeit. „Wir müssen eine weitere Zuwanderung aus fremden Kulturen unterbinden“, heißt es da, als wäre es die Ausbreitung von Schimmelsporen in einem Reagenzglas – nicht Menschen mit Koffern, Kinderträumen und Bewerbungsschreiben. Die scheinbare Rationalität solcher Aussagen wirkt wie der weiße Kittel des Labortechnikers, der in Wirklichkeit eine Bombe zusammenlötet. Hier wird nicht diskutiert, sondern separiert – nicht differenziert, sondern sterilisiert.
Das Wort „fremd“ ist dabei das Schmiermittel im Getriebe des Ressentiments. „Fremd“ meint nicht „unbekannt“, sondern „unerwünscht“ – ein Abfallprodukt nationaler Selbstvergewisserung. Es ist das „fremde“ Brot, das in der Bäckerei liegt und zu viel Sesam hat. Die „fremde“ Nachbarin, die ihr Kopftuch so bindet, wie es Großmutter einst mit dem Sonntagskopftuch tat – nur mit der falschen Adresse im Gebet. „Fremd“ ist hier keine Beschreibung, sondern ein Urteilsspruch. Eine Grenze wird gezogen, nicht auf der Landkarte, sondern im Hirn.
Willkommen im Rassen-Feuilleton
„Sieben Millionen Ausländer in Deutschland sind eine fehlerhafte Entwicklung, für die die Politik verantwortlich ist“, verkündet ein Zitat, als sei es eine Bilanzpressekonferenz zur misslungenen Markteinführung eines neuen Automodells. Die Dehumanisierung findet im Passiv statt: Sie „sind“ eine Entwicklung – nicht sieben Millionen Menschen, die lachen, lieben, leben, sondern eine soziale Fehlkonstruktion, ein falscher Algorithmus im nationalen Betriebssystem.
In dieser Betrachtung sind Migrant:innen keine Subjekte, sondern Statistik, keine Stimmen, sondern Störgeräusche. Wie bequem es ist, Probleme zu benennen, ohne Verantwortung zu tragen. Als wäre das Land ein schlecht geführter Konzern, in dem Menschen Material sind, nicht Mitbürger. Und die „Politik“ – stets als fremdes Monster in Berlin imaginiert – ist der verantwortliche Manager, der nun „gefeuert“ gehört.
Eine andere Zivilisation – der patriarchale Feind
Wenn dann „Religion“ nur „nicht alleine ausschlaggebend“ ist, sondern lediglich das Brennglas, durch das Kultur wie ein Inferno erscheint, kommen wir in die Feinziselierung der Vorurteile. Ostanatolien wird zum Schauplatz der rückständigen Familie: Die Tochter wird verheiratet, die Ehefrau gehorcht, der Vater herrscht. Dass ähnliche Familiensysteme auch im bayerischen Oberland jahrhundertelang Tradition hatten, wird geflissentlich vergessen – denn dort hieß es nicht „Ehre“, sondern „Stolz der Familie“. Das eine ist „kulturell problematisch“, das andere „bodenständig“.
Was wir hier sehen, ist kein anthropologisches Interesse, sondern ein gezielter Kulturpessimismus mit Kompassnadel gen Süden und Osten. Die vermeintliche Analyse des Patriarchats wird zur Ethnisierung von Machtverhältnissen – als wären Sexismus und Autoritarismus keine globalen Probleme, sondern Gastgeschenke aus Afghanistan. Es ist der alte Trick: Man kritisiert das Falsche aus den richtigen Gründen, um das Richtige zu diskreditieren.
Die Zollunion des Ressentiments
„Zuwanderung aus fremden Zivilisationen schafft uns mehr Probleme“, tönt es, als wäre die Welt ein Bausatz und Zivilisationen inkompatible Lego-Sets. Man kann nicht einfach „Afrika“ auf „Europa“ stecken – das passt nicht. Und die Vorstellung, dass Migration ein interkultureller Prozess sein könnte, wird ersetzt durch die Metapher des Arbeitsmarkts: eine Bilanz, eine Nutzenrechnung, ein Profitcenter. Wenn der Migrant keinen Mehrwert generiert, ist er nicht willkommen – eine kaltherzige Marktlogik im sozialpolitischen Abendkleid.
Doch siehe da: Polen? Problemlos. Tschechien? Problemlos. Österreich? Sogar willkommen! Warum? Die Zivilisation passt besser. Es ist der alte Mythos vom kulturell „nahen“ Migranten, der sich besser integriert, weil er beim Grillen Schweinenacken mag. Der „verwandte“ Migrant ist quasi der „gute Onkel“ des Rassismus: Er bleibt im Wohnzimmer willkommen, solange er nicht das Buffet umstellt.
Die Landkarte der Ängste
Und was ist mit Kasachstan, Afghanistan, Anatolien? „Erhebliche Probleme“! Es ist die Geografie der Angst, die hier entworfen wird – ein Kartografie der Komplexe. Die Ferne wird nicht in Kilometern, sondern in Kulturkreisen gemessen. Die Grenze verläuft nicht am Mittelmeer, sondern im Kopf. Je weiter weg die kulturelle Projektion vom Bild des weißen, fleißigen, schweigsamen Westmenschen ist, desto problematischer erscheint sie.
Dabei sind die Probleme oft hausgemacht – durch mangelnde Förderung, strukturellen Rassismus, fehlende Bildungschancen. Aber wer will schon über Bildung reden, wenn man „Zivilisation“ sagen kann? Es klingt bedeutungsschwerer, wie ein Begriff aus dem Völkerkunde-Seminar. Doch das Ergebnis ist stets dasselbe: eine Hierarchie der Menschlichkeit.
Fazit: Die Zivilisation ist ein Bumerang
Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Oder man muss lachen, um nicht zu weinen. Denn was sich hier zeigt, ist nicht nur ein politisches Problem, sondern ein moralisches. Die „Zivilisation“, auf die so stolz verwiesen wird, entlarvt sich selbst – nicht in den Menschen, die sie ablehnt, sondern in der Art, wie sie ablehnt. Wer so spricht, zeigt nicht, was „die anderen“ falsch machen – sondern was im eigenen Denken faul ist.
Das wahre Problem ist nicht die „Zuwanderung aus fremden Kulturen“. Das Problem ist der Glaube, dass es fremde Kulturen überhaupt gibt – und dass sie bleiben sollen, wo der deutsche Gartenzaun endet.
ALLE Zitate stammen von SPD-Altkanzler Helmut Schmidt; im Gespräch mit ARD-Talkerin Sandra Maischberger (58) erläuterte Schmidt 2010:
„Wir müssen eine weitere Zuwanderung aus fremden Kulturen unterbinden“ – „Sieben Millionen Ausländer in Deutschland sind eine fehlerhafte Entwicklung, für die die Politik verantwortlich ist“ – „Religion ist nicht alleine ausschlaggebend, aber zum Beispiel in Ostanatolien, da spielt die Religion auf dem Dorf eine ganz große Rolle. Auch die Art und Weise, wie man in der Familie miteinander lebt, etwa die überragende Stellung des Vaters gegenüber seinen Kindern. Da werden die Töchter verheiratet gegen ihren Willen. Da muss die Ehefrau das tun, was der Mann will. Das ist eine andere Zivilisation.“ – „Zuwanderung aus fremden Zivilisationen schafft uns mehr Probleme, als es uns auf dem Arbeitsmarkt an positiven Faktoren bringen kann.“ – „Zuwanderung aus verwandten Zivilisationen, zum Beispiel aus Polen – ist problemlos. Zuwanderung aus Tschechien – ist problemlos. Aus Österreich, aus Italien – ist problemlos.“ Schwieriger werde es bei Migration aus Anatolien oder „Zuwanderung aus Afghanistan“, das bringe „erhebliche Probleme mit sich.“ Ebenso aus Kasachstan.