
Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Kampf gegen das Falsche, das Unreine, das ideologisch Ansteckende endlich den letzten logischen Schritt machte: Wir betrachten Gedanken jetzt als Viren. Nicht länger sind sie bloße Meinungen, Irrtümer oder – Gott bewahre – legitime Abweichungen, sondern infektiöse Partikel, die unser soziales Immunsystem bedrohen. Ursula von der Leyen, jene Grande Dame des semi-autoritären Wellness-Europäismus, hat das Prinzip in einer Handbewegung zwischen Bussi-Bussi und Brüsseler Rednerpult auf den Punkt gebracht: Prebunking sei das neue Gebot der Stunde. Vorbeugen sei besser als heilen. Gedanken prophylaktisch zu impfen besser, als sie später unter Schweiß, Tränen und YouTube-Kommentaren mühsam aus den Köpfen zu operieren.
Man muss diesen intellektuellen Quantensprung bewundern. Was einst unter mühsamer demokratischer Auseinandersetzung, unter langweiliger Aufklärung, unter dem anstrengenden Dulden von Unsinn und Irrtum lief, wird nun endlich elegant umgangen. Nicht mehr diskutieren, nicht mehr argumentieren, sondern präventiv impfen – mit den korrekten Informationen natürlich, den geprüften Wahrheiten, den TÜV-zertifizierten Meinungsmodulen. Wie wohltuend einfach könnte die Welt sein, wenn die richtige Meinung schon in der Schulmilch enthalten wäre. Ein bisschen wie Tetanus-Schutz, nur eben gegen Gedankensplitter.
Die Immunität der Massen oder: Bitte bleiben Sie auf den markierten Denkwegen
„Als Gesellschaft müssen wir Immunität aufbauen“, lautet der neue Imperativ. Wie charmant sich diese Worte in die große Erzählung der Gegenwart einfügen: Gesellschaft nicht mehr als Ort des Streits, der wilden Meinungsblüten und des unvorhersehbaren Diskurses, sondern als steriles Biotop, in dem nur noch autorisierte Narrative keimen dürfen. Immunität klingt freundlich, gesundheitsbewusst, nach etwas, das gute Bürger freiwillig anstreben sollten, wie ein Abo im Fitnessstudio oder eine Zahnreinigung. Dabei ist es nichts anderes als das freundliche Gesicht der geistigen Quarantäne.
Die Vision dahinter ist glasklar: Ein Volk von Denkgeimpften, die bereits bei leisestem Zweifel allergische Reaktionen entwickeln. Die Maske der Skepsis über dem Mund-Nasen-Komplex der Eigenständigkeit. Jeder Gedanke, der nicht auf Linie liegt, wird von den körpereigenen Argumentationszellen sofort attackiert, neutralisiert, ausgespült. Prebunking verspricht nichts weniger als die endgültige Befreiung vom Risiko der eigenen Urteilskraft. Eine Revolution der Reinheit – diesmal nicht im Blut, sondern im Bewusstsein.
Der gläserne Geist oder: Wie wir lernten, die Spritze zu lieben
Natürlich, so die Verheißung, wird das alles sanft geschehen. Niemand wird gezwungen. Niemand wird „zensiert“ im alten, groben Sinne. Nein, das Prebunking kommt als freundlicher Hinweis, als freundschaftlicher Nudge, als pädagogisches Augenzwinkern daher. Wer möchte nicht informiert sein? Wer will nicht geschützt sein vor den dunklen Mächten der Desinformation, diesen neuen mittelalterlichen Hexen, die aus den finsteren Ecken des Internets kriechen?
Die paradoxe Pointe des Ganzen besteht darin, dass die angebliche Immunisierung selbst ein perfides Infektionsmodell darstellt. Wer präventiv geimpft wird, hat keine natürliche Resistenz mehr – sondern eine künstlich erzeugte. Eine, die von den Impfstoffherstellern abhängt, von den Informationsministerien, von denjenigen, die definieren dürfen, was „wahr“ und was „falsch“ ist. Mit Prebunking wird die Wahrheit zur verabreichten Dosis. Ein Gedankentherapeutikum, das regelmäßig erneuert werden muss, um die Herde brav in die richtige Richtung grasen zu lassen.
Es ist der Traum jeder Verwaltung: Bürger, die ihre intellektuelle Hygiene eigenständig aufrechterhalten. Die brav den nächsten Booster der offiziellen Narrative abholen, sich einmal pro Quartal auf den neuesten Stand der genehmigten Realitätswahrnehmung bringen lassen. So wie der saisonale Grippeimpfstoff auf neue Virenstämme angepasst wird, wird auch die Informationsimpfung an neue „Bedrohungslagen“ justiert: Heute Klimawandel, morgen Energiepolitik, übermorgen Fragen der biologischen Geschlechteridentität. Die Medizin wird stets frisch sein. Nur die Patienten bleiben dieselben.
Fazit: Prebunk or die
Prebunking ist nicht einfach nur ein neues Modewort im semantischen Hamsterrad der Bürokratien. Es ist ein ideologischer Offenbarungseid: das Eingeständnis, dass man an die Kraft freier Debatten längst nicht mehr glaubt. Dass man überzeugt ist, nur noch mit pädagogischer Übergriffigkeit und präventiver Meinungsimpfung eine Gesellschaft aufrechterhalten zu können, die sonst sofort ins Wahnhafte abdriften würde. Dass der mündige Bürger, dieses alteuropäische Ideal, endgültig abgehakt wurde – ersetzt durch den gutgläubigen Konsumenten geprüfter Narrative.
Man kann das lustig finden, ironisch, bitter – oder man kann sich impfen lassen. Gegen Zweifel, gegen Nachfragen, gegen den Gedanken, dass Wahrheit vielleicht doch etwas Chaotisches, etwas Anstrengendes, etwas Unverfügbares sein könnte. Prebunk or die. Das ist die neue Losung. Wer will schon ein ideologischer Superspreader sein?