Ostfront 3.0

Von Jakob Blasel lernen, heißt siegen lernen

Es gibt Sätze, die gehören in die Annalen der politischen Rhetorik gemeißelt, Sätze, die sich so perfekt in das Zeitgeistgetriebe einfügen, dass man sich wundert, warum sie nicht längst von einer Künstlichen Intelligenz als Konsensprosa des Jahres ausgezeichnet wurden. Einer davon stammt von Jakob Blasel, seines Zeichens Bundessprecher der Grünen Jugend Deutschland. Der Satz lautet: Wer in dieser Weltlage noch immer zögert, Europas Freiheit auch mit Waffen zu verteidigen, ist nicht links – sondern naiv und unsolidarisch.

Nun mag man einwenden, dass ein junger Mann in Funktion einer Parteijugendorganisation vielleicht nicht zwingend das intellektuelle Rückgrat einer Bewegung verkörpert, sondern eher das emotionale Trampolin, auf dem sich die Ideen der Zukunft bereits heute schon warmhüpfen. Doch dieser Einwand griffe zu kurz. Denn die Grünen, einst die Mutter aller pazifistischen Bewegungen, haben sich in den vergangenen Jahren mit der Eleganz eines Leopardenpanzers in eine Partei verwandelt, die Krieg nicht nur als ultima ratio, sondern als moralische Pflicht zur Aufrechterhaltung der westlichen Wertegemeinschaft begreift. Da ist es nur folgerichtig, dass sich der Nachwuchs auf die Barrikaden der Twitter-Timeline begibt, um dort die Reihen der Zögerer, Zweifler und Zauderer mit verbalen Bajonetten auf Linie zu bringen.

Grüne Feldgrauromantik

Der ironische Twist, der sich bei der Lektüre von Blasels Mahnruf einstellt, besteht darin, dass er – ob gewollt oder nicht – eine der großen Traditionen linker Bewegungen in Deutschland reanimiert: die Begeisterung für den heroischen Opfergang in einem gerechten Krieg. Was wäre schließlich die deutsche Linke ohne ihren Hang zur militanten Selbstüberhöhung? Schon Karl Liebknecht wusste, dass die wahren Feinde im eigenen Land stehen, und wenn es sein muss, wird der eigene Klassenverrat eben mit Marschmusik kaschiert. In der grünen Variante bedeutet das: Wer nicht bereit ist, sich für Europas Freiheit von russischem Gas in den Schützengraben der moralischen Überlegenheit zu werfen, ist ein unsolidarischer Schwurbler.

Doch was bedeutet es eigentlich, Europas Freiheit mit Waffen zu verteidigen? Nun, in erster Linie natürlich, dass andere die Waffen tragen und bedienen. Das ist der große Vorteil des moralischen Imperativs: Er lässt sich bequem von der Homeoffice-Schnittstelle aus formulieren, während man sich einen Hafermilch-Cappuccino in die doppelt recycelbare Bambustasse gießt. Der moderne Bellizist trägt keine Uniform mehr, sondern einen Jutebeutel mit der Aufschrift Kein Mensch ist illegal, während er sich gedanklich an die Seite der ukrainischen Territorialverteidigung imaginiert. Man könnte fast sagen: Das Neue an Ostfront 3.0 ist, dass der Klassenkampf jetzt wieder in Klassen getrennt geführt wird.

Solidarität im Abonnement

Die Solidarität, von der Blasel spricht, ist eine äußerst flexible Währung. Sie lässt sich mit ein paar Tweets aufladen, durch Likes und Shares diversifizieren und in moralischer Rendite verzinsen. Es ist die Solidarität jener, die für die richtige Sache auf die Straße gehen, aber für die falsche Sache den öffentlichen Nahverkehr bevorzugen. Der wahre Held dieser Zeit ist nicht der Deserteur, sondern der Denunziant, der mit Instagram-Filtern und #StandWithUkraine-Profilbildern seine Wehrbereitschaft unter Beweis stellt.

Wer dagegen auf die Idee kommt, dass Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet vielleicht nicht das geeignetste Mittel sind, um den Weltfrieden zu stabilisieren, gerät schnell in den Verdacht, ein Putintroll, Querfrontler oder – Gott bewahre – naiv zu sein. Die Naivität, einst ein liebevoller Makel romantischer Weltverbesserer, ist in der grünen Kriegsrhetorik zum Stigma der Gestrigen geworden. Die neue Realpolitik trägt Camouflage, nur dass die Muster jetzt gendergerecht diversifiziert sind.

Wir werden uns den Krieg nicht nehmen lassen

So ziehen sie also wieder gen Osten, die Geister der Geschichte, diesmal in Lastenrädern und mit Fridays-for-Future-Stickern auf den Kampfstiefeln. Die Generation, die keine Lust auf Krieg hatte, bekommt ihn jetzt als moralische Bringschuld verordnet. Und weil die größte Unverschämtheit der Gewalt bekanntlich ihre Verweigerung ist, bleibt nur die Frage, wann das erste Freiwilligen-Bataillon der Grünen Jugend aufbricht, um in der Ostukraine für die Freiheit des Westens zu kämpfen.

Man darf gespannt sein, ob Herr Blasel seine Meldung bereits abgegeben hat. Die Bundeswehr hat schließlich Nachwuchsprobleme, und was könnte unsolidarischer sein, als in dieser Weltlage den Job der Waffenverteidigung ausschließlich den anderen zu überlassen? Vielleicht wäre das ja der nächste logische Schritt der Wehrbereitschaft: eine Grüne Jugend International Brigade – mit veganem Proviant, genderneutralen Uniformen und CO₂-neutraler Munition.

Bis es so weit ist, bleibt uns immerhin der Trost, dass es für die endgültige Mobilmachung bislang nur Worte braucht. Die Grünen haben bekanntlich immer schon mehr Bücher geworfen als Bomben. Nur dass sie mittlerweile nicht mehr so genau wissen, auf welcher Seite des Schützengrabens sie landen.

Die österreichische Neutralität

Es war einmal ein kleines Land im Herzen Europas, dessen größte diplomatische Errungenschaft darin bestand, niemandem auf die Nerven zu gehen. Man nannte es neutral. Ein goldener Mythos, geboren im Kalten Krieg, als Österreichs Staatsvertrag unterzeichnet wurde und man sich mit staatsmännischer Gravitas und einem gewissen Wiener Schmäh die Absolution für die eigene historische Mitläuferschaft erkaufte – mit einem Versprechen, das sich so schön anhörte wie ein Heurigenlied nach der vierten Runde: Immerwährende Neutralität.

Nun, am Aschermittwoch des Jahres 2025, stand also ein Herr Dengler von den NEOS im Hohen Haus und sprach jene Worte, die mit der nüchternen Brutalität einer Kontokündigung daherkommen: „Die österreichische Neutralität ist vorbei.“ Und man fragt sich, ob dieser Mann sich jemals das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 zu Gemüte geführt hat – jenes sakrosankte Dokument, das unsere Unparteilichkeit wie ein k.u.k. Spitzendeckerl über den republikanischen Tisch breitet. Nein, Herr Dengler, die Neutralität ist nicht vorbei. Aber sie stirbt langsam, von ihrem eigenen Pflegepersonal erwürgt.

Kreisky im Spinmodus

Bruno Kreisky, der große alte Mann der österreichischen Außenpolitik, dürfte mittlerweile mit einer Drehgeschwindigkeit durch sein Ehrengrab rotieren, dass man damit halb Wien mit Ökostrom versorgen könnte. Der Gedanke, dass ausgerechnet eine Außenministerin von den NEOS – jener Partei, die sich für den Fortschritt hält, aber in Wirklichkeit nur ein überdimensionierter LinkedIn-Post ist – nun den außenpolitischen Taktstock führt, grenzt an metaphysische Ironie.

„Unverbrüchliche Treue der Republik“ – so lautet der Amtseid, den jeder Abgeordnete im Parlament schwört. Ein schönes Wort, unverbrüchlich. Man spürt förmlich den altmodischen Anstand, der darin schwingt – als würde man von einem bürgerlichen Lehnstuhl aus mit einem Gläschen Zweigelt auf die Weltlage blicken. Doch leider ist die politische Klasse der Gegenwart eher mit der unverbrüchlichen Treue zur NATO-Pressestelle gesegnet. Neutralität? Das klingt heute für manche wie ein Relikt aus der analogen Ära, wie ein Wählscheibentelefon in einem Coworking-Space.

Der Pragmatismus der Feigheit

Natürlich, die Welt hat sich verändert. Russland führt Krieg, die USA drängen zur Geschlossenheit, und Österreichs Politiker möchten beim großen Tisch der Moralapostel wenigstens am Katzentisch Platz nehmen. Man will dazugehören. Mitspielen. Endlich auch einmal im NATO-Zelt mitrauchen, selbst wenn man sich dabei nur den Filter in den Mund steckt. Die Neutralität hingegen? Ein hinderliches Relikt, ein nostalgisches Souvenir aus einer Zeit, in der die Welt noch in zwei Hälften geteilt war und Österreich sich mit der geschickten Eleganz eines Fiakergespanns genau dazwischen parkte.

Man könnte ja wenigstens ehrlich sein. Man könnte sagen: Ja, die Neutralität war einmal gut, aber jetzt ist sie uns im Weg. Aber nein, die österreichische Methode verlangt eine andere Choreographie. Man beruft sich auf den Pragmatismus, was in der politischen Sprache Wiens bloß ein Synonym für die feige Kapitulation vor dem Zeitgeist ist. Man erklärt die Neutralität für unzeitgemäß, während man sie gleichzeitig in den Sonntagsreden als sakrosankten Bestandteil der nationalen Identität beschwört.

Der Kuss des Technokratentodes

Die NEOS, diese freundlichen Technokraten in Pastellfarben, sind nicht per se die Totengräber der österreichischen Neutralität – aber sie übernehmen den Kuss des Todes mit der professionellen Kühle eines Unternehmensberaters, der einem Traditionsbetrieb die letzten Sozialleistungen aus den Rippen rechnet. Ein bisschen mehr Integration in die Europäische Verteidigungspolitik hier, ein paar unverbindliche NATO-Kooperationsabkommen dort – am Ende steht der Patient politisch tot im Sarg, während die Partei für ihre Modernität gelobt wird.

Die Realsatire als Regierungsprogramm

Dass nun ausgerechnet diese Partei das Außenministerium besetzt, könnte eine köstliche Pointe sein, wenn es nicht so tragisch wäre. Eine Partei, die im Wesentlichen aus liberalen Wochenendphilosophen und Start-up-Optimisten besteht, wird nun Österreichs Position in der Welt vertreten. Vielleicht ist es nur konsequent: Wer an die unsichtbare Hand des Marktes glaubt, hält auch die Neutralität für einen nachrangigen Punkt im Businessplan.

Doch während sich die politische Elite in die neuen Zeiten einordnet, bleibt die alte Wahrheit bestehen: Neutralität ist nicht nur ein politisches Konzept, sondern ein Charakterzug. Und dieser Charakterzug war, bei aller Ironie, immer der letzte Rest moralischer Eigenständigkeit, den sich dieses Land bewahrt hatte.

Vielleicht wird man in ein paar Jahren am Wiener Heldenplatz eine kleine Gedenktafel anbringen: „Hier ruhte die österreichische Neutralität. Gestorben an Opportunismus, Pragmatismus und einer Parteichefin mit PowerPoint-Kompetenz.“

In unverbrüchlicher Treue, versteht sich.

DANKE, GENOSSE ANDI!

Kickl wird’s freuen.

Es gibt Momente in der politischen Choreographie, da kann man nur ehrfürchtig den Hut ziehen. Wenn die große Symphonie des Neoliberalismus mit chirurgischer Präzision genau jene Töne trifft, die in den Ohren der Besitzlosen wie blanker Hohn klingen, dann bedarf es keiner weiteren Kritik mehr – die Farce steht für sich. Also: Danke, Genosse Andi! Die soziale Frage ist gelöst, und zwar mit der feinen Spitzhacke einer bürgerlichen Elitenverwaltung, die es vorzieht, die Armen diskret unter der Armutsgrenze zu versenken, anstatt sie mit unschicklicher Gleichheit zu belästigen.

Der Chef des WIFO, Gabriel Felbermayr, seines Zeichens wissenschaftlicher Einflüsterer der politischen Mittelmäßigkeit, hat sich nun also bemüßigt gefühlt, in seiner Rolle als intellektuelle Rückendeckung der österreichischen Version von Sozialabbau mit humanitärem Antlitz das Offensichtliche zu bestätigen: Die Schwachen trifft es härter. Die Armen sind ärmer, die Reichen reicher – who would have thought? Was in der Kabarettkunst als Plattitüde gelten würde, ist im akademisch-technokratischen Politiksprech offenbar eine bahnbrechende Erkenntnis. Möge man ihm einen Nobelpreis für angewandte Banalisierung verleihen!

Wenn das System Armut produziert – und die Ampel sie verwaltet

Die herrschende Ideologie der Gegenwart, jener liberale Marktfetischismus mit sozialdemokratischer PR-Maske, versteht sich nämlich blendend darauf, die Ungleichheit nicht zu beseitigen, sondern bloß so zu moderieren, dass sie hübsch aussieht. Es ist die hohe Kunst der rot-grün-gelben Tranquilizer-Politik: Man gibt ein paar Brosamen ab, schmiert ein wenig Almosenbutter auf die trockene Brotkruste, verteilt ein paar Heizkostenzuschüsse an die chronisch Unterkühlten – und nennt das Ganze dann „sozial ausgewogen“. Dass währenddessen die Immobilienhaie weiter ihre Zähne im weichen Fleisch der Wohnungsnot versenken, die Energiekonzerne ihre Profitexzesse unter dem Deckmantel der Klimawende feiern und die Superreichen ihre Depots mit jenen Hilfspaketen füllen, die für die Unterschicht gedacht waren – geschenkt.

Felbermayrs Beitrag zur Debatte gleicht einem meteorologischen Bericht aus der Hölle: Es wird wärmer, besonders für jene, die kein Dach über dem Kopf haben. Dass die unteren Einkommensschichten „weniger Möglichkeiten haben, es sich zu richten“, ist eine so unfassbare Untertreibung, dass man fast ein Denkmal für diese Form der Sprachvermeidung errichten möchte. Tatsächlich haben die Betroffenen keinerlei Möglichkeiten, sich irgendetwas zu richten – außer vielleicht das Haltbarkeitsdatum von abgelaufenen Lebensmitteln im Supermarktcontainer.

Der neue Klassenkampf – von oben nach unten

Währenddessen müht sich die Ampelkoalition redlich, den längst entschiedenen Klassenkampf von oben nach unten in ein philanthropisches Missverständnis umzudekorieren. Man verteilt die Armut mit der gleichen Gerechtigkeit, mit der ein Altwarenhändler den Sperrmüll auf dem Gehsteig verteilt: Jeder darf sich bedienen, aber nur, wenn er es sich leisten kann, früh genug dort zu sein. Die eigentliche Pointe ist, dass der moralische Kredit für diese Art der Gnadenverwaltung trotzdem bei den Grünen und Sozialdemokraten verbucht wird – während die FPÖ in aller Ruhe das Unzufriedenheitskapital verzinst.

Das größte Kunststück in diesem ganzen Spektakel besteht allerdings darin, die soziale Kälte als natürliche Begleiterscheinung des Klimawandels zu verkaufen. Während die Welt draußen überhitzt, frieren die Menschen in ihren Wohnungen – das ist jene Form von Ironie, die in der Literatur als geniale Groteske durchgehen würde, in der Politik aber schlicht als Sachzwang firmiert. Wer da noch von Verschwörungstheorien redet, hat den wahren Geist der Epoche nicht verstanden.

Solidarität als Standortnachteil

Die heilige Dreifaltigkeit der zeitgenössischen Wirtschaftspolitik lautet: Wettbewerbsfähigkeit, Standortattraktivität und Marktanpassung. Übersetzt bedeutet das: Solidarität ist ein Standortnachteil, Armut eine marktgerechte Verhaltensanpassung und soziale Gerechtigkeit eine sentimentale Marotte aus einer längst vergangenen Ära. Der Kapitalismus unserer Tage gibt sich nicht einmal mehr die Mühe, seine hässliche Fratze hinter dem sozialen Puder des Wohlfahrtsstaats zu verstecken – stattdessen wird das nackte Elend mit bürokratischer Kälte verwaltet.

Dass sich Kickl darüber freut, ist nicht etwa ein bedauerlicher Kollateralschaden – es ist Teil des Plans. Die Mitte entkernt sich selbst, die Linke vertagt ihre Revolution auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, und die Rechten übernehmen den Rest. Man nennt das in der politischen Betriebsanleitung wohl „alternativlose Realpolitik“.

Danke, Genosse Andi!

Danke dafür, dass du in der großen Tradition der Sozialdemokratie die soziale Frage gleich selbst mitbeerdigst, bevor sich irgendjemand daran erinnert, dass es auch anders ginge. Danke, dass du den neoliberalen Klassenkampf so geschmeidig moderierst, dass die Betroffenen gar nicht merken, wer ihnen gerade die letzte Hoffnung abräumt. Danke, dass du dem autoritären Populismus schon mal die rote Teppichbrücke über den sozialen Abgrund baust.

Kickl wird’s freuen – und er muss nicht einmal etwas dafür tun. Er braucht nur zu warten, bis der Markt die Armen erzogen hat.

Vom gesichtslosen „Islamismus“ zum kenntnisreichen „Islamismus“

Oh, der Islam. Eine Religion der Friedlichkeit, so hört man immer wieder in den Nachrichtensendungen, die aus irgendeinem Grund nur dann Aufmerksamkeit erhalten, wenn ein Terroranschlag stattgefunden hat. Aber halt, wer den Fehler begeht, das, was in diesen friedlichen Religionen verborgen liegt, gründlicher zu hinterfragen, könnte sich gewaltig verspekulieren – wie etwa der naiv-gläubige Tourist, der glaubt, in Venedig nur Brücken aus Gummi zu sehen. Doch keine Sorge, dieser Text wird nicht einfach so in die gängigen Klischees abgleiten, wie sie von Apologeten und – zugegeben – manchmal auch Islamkritikern vorgetragen werden. Nein, er wird tiefer bohren, scharfsinniger und in einer manierierten Mischung aus Zynismus, Polemik und Witz die Frage aufwerfen: Hat der Islam vielleicht doch sehr viel mit Islamismus zu tun?

Nun gut, bevor wir mit der Axt auf das Gemäuer von “Frieden und Toleranz” schlagen, sei gesagt: Der Islamismus ist nicht einfach der böse Schatten, der aus der Mitte der Religion herauswächst. Er ist nicht der rote Drache, der sich verselbstständigt und böse heranrollt. Oder doch? Viele Köpfe, die sich sowohl in der akademischen als auch in der journalistischen Welt einen Namen machen wollten, haben die These vertreten, der Islamismus sei ein Produkt des Westens oder ein Resultat eines modernen Wahnsinns. Aber sind wir nicht einmal ein wenig neugieriger, bevor wir solche simplen Entschuldigungen akzeptieren? Schließlich ist der Islamismus nicht ohne Ursprung, und dieser Ursprung, mein lieber Leser, hat nicht nur viel mit der Interpretation des Islams zu tun – er ist untrennbar mit den Texten verknüpft, die die Grundlage dieser Religion bilden.

Eine Mission der Liebe?

Ein kleiner Spaziergang durch die so genannten „Schwertverse“ im Koran könnte uns schon eine erhellende Vorstellung darüber verschaffen, wie die militante Lesart der Religion auf eine lange Geschichte zurückblickt. Doch um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Diese Verse sind nicht etwa in einem metaphorischen Container verpackt, wie man sie heute gerne als „historische Kontexte“ auslegt. Nein, der Koran ist von Natur aus in seinen Texten sehr klar und direkt. Die Schwertverse, etwa aus der Surah At-Tawba (9:5), die als „Vers des Schwertes“ berühmt wurde, fordern eine ganz und gar nicht friedliche Haltung:

„Und wenn die heiligen Monate vergangen sind, so tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet.“

Diese klare Aufforderung, sich von den „Ungläubigen“ zu trennen oder sie zu eliminieren, mag im 21. Jahrhundert bei manchen, die sich der doppelten moralischen Lesart hingeben, als „Missverständnis“ gelten – als Verirrung in der Textanalyse. Doch die historische Realität lässt sich nicht so leicht mit modernen Perspektiven übertünchen. Der Koran ist nicht nur ein spiritueller Kompass, sondern auch ein militärischer Leitfaden. Warum also sollen wir diese Verse ignorieren oder relativieren, nur weil sie nicht mehr in unsere Ästhetik der sanften Toleranz passen?

Natürlich gibt es die erleuchteten Stimmen, die sagen: „Ja, aber es gibt ja auch den Vers, der die Gewalt verbietet!“, und das ist sicherlich richtig. Aber, und hier beginnt die wahre Herausforderung, der Islamismus, von dem wir hier sprechen, funktioniert nach einem Prinzip der Abrogation, einer schönen theologisch-juristischen Doktrin, die dafür sorgt, dass die „friedlichen“ Verse – die gerne mal zitiert werden – schlichtweg von den „kriegerischen“ Versen abgelöst werden, wenn es um politische Handlungsfähigkeit geht. Die „Schwertverse“ sind dann – Sie ahnen es schon – die vorherrschende Wahrheit.

Abrogation: Der Islamische Text als Waffe

Was für eine goldene Theorie! Die Abrogationstheorie ist ein wahres Geschenk für die harte, militante Interpretation des Islams, weil sie es erlaubt, den Koran nach Belieben umzuschichten. Ein Vers, der den Pazifismus predigt? Kein Problem, der wird einfach durch einen späteren, aggressiveren ersetzt. Und hier kommt der elegante Trick: Der Koran kann niemals „fehlerhaft“ sein, er kann niemals als „unvollständig“ betrachtet werden – sondern er kann lediglich durch den „fortschrittlichen“ Kontext des Propheten und seiner Biografie fortgeführt werden. Ein wahres Meisterwerk der Textverarbeitung!

In der Praxis bedeutet dies, dass die Schwertverse über die vielen Versöhnungsaufrufe und friedlichen Lehren des frühen Korans triumphieren. Ein bisschen wie bei einem politischen Diskurs, in dem man zuerst mit den friedlichen Argumenten beginnt und dann, wenn es notwendig wird, den „schlagkräftigeren“ Punkt des Verfassers hervorholt.

Die Hadithen und das Leben Mohammeds: Ein Quellenverzeichnis für Terror

Doch der Koran allein genügt nicht, um das Bild des Islamismus zu vervollständigen. Da gibt es noch die Hadithen und die Sira, die Biografie des Propheten Mohammed. Beide sind wichtige Quellen für das Verständnis des Islams. Und auch hier entdecken wir einen interessanten Unterschied zwischen den vielen, oft inkonsistenten Interpretationen der Religion. Mohammed, der in seiner Jugend ein eher als pazifistisch geltender Unternehmer war, verändert sich dramatisch in seiner späten Zeit und wird zum Kommandeur, der zahlreiche Kriege führt und zum Entsetzen der Umgebung Kriegsgefangene hinrichten lässt.

Die Hadithen und die Sira bieten uns detaillierte Berichte über diese Lebenswende. Viele dieser Berichte stammen aus den ersten Jahrhunderten nach Mohammeds Tod, als der Islam sich gerade im Prozess befand, sich aus seiner Konfliktphase zu lösen und – naiv wie wir sind – in die goldene Ära des Wissens und der Wissenschaft überzugehen. Wer jedoch die Hadithen ernsthaft liest, wird nicht selten auf Geschichten stoßen, die das Bild des sanften, spirituellen Führers von heute ins Wanken bringen. In der Sira erfahren wir von seinem militärischen Feldzug gegen die jüdischen Stämme in Medina, und in vielen Hadithen finden sich spezifische Instruktionen für das Verhalten im Krieg.

Der Islam und der Islamismus – Eine Frage der Perspektive?

Am Ende könnte man einwenden, der Islamismus sei doch nur eine Verzerrung des wahren Islam – eine Reaktion auf die moderne Welt, die missverstanden oder politisch instrumentalisiert wird. Aber das reicht nicht aus, um der Frage gerecht zu werden, warum der Islamismus so tief in den religiösen Texten und in der historischen Biografie des Propheten verankert ist. Wer sich die Mühe macht, den Koran, die Hadithen und die Sira unter der Prämisse der Abrogation und der militärischen Expansion zu lesen, wird schnell feststellen, dass der Islamismus ein Produkt des Textes selbst ist – zumindest ein nicht zu vermeidender Teil des Dilemmas.

Das bedeutet nicht, dass alle Muslime zwangsläufig Islamisten sind – das ist natürlich eine Vereinfachung. Doch die Tendenz, den Islam und den Islamismus zu trennen, geht an den Wurzeln vorbei. Vielleicht ist der Islamismus nicht bloß ein isoliertes Phänomen, sondern das, was passiert, wenn man die historischen und religiösen Quellen so liest, wie sie vorgeben, zu sein. Und das ist ein Gedanke, der viele im westlichen Diskurs kalt erwischen dürfte.

Eine Anweisung zur moralisch reinen Selbstaufopferung

Für alle, die meinen, die Ukraine MUSS gewinnen:

Es gibt Haltungen, die sind so erhaben, dass sie sich von der schnöden Realität längst emanzipiert haben. Eine davon ist die Überzeugung, dass die Ukraine unbedingt gewinnen MUSS — ein Imperativ so unumstößlich wie der Satz des Pythagoras oder die Pflicht, Soja-Milch in den Kaffee zu schütten. Wer diesen Imperativ anzweifelt, offenbart nicht nur einen Mangel an sittlicher Reinheit, sondern gerät unweigerlich in Verdacht, ein geheimer Agent des Bösen zu sein — oder, noch schlimmer: jemand, der den Frieden einem gerechten Krieg vorzieht.

Der Luxus der Fernempörung

Nun ist es eine der größten Errungenschaften unserer Zeit, dass man an Kriegen teilnehmen kann, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Die Leinwand ist das Smartphone-Display, die Waffe der Tweet, der Schützengraben die Kommentarspalte. Und so sitzen sie da, die digitalen Clausewitz-Epigonen, und mahnen mit zitternder Stimme zur letzten Verteidigung der Freiheit — von der heimischen Couch aus, die Wärmflasche im Rücken, der Chardonnay im Glas.

Dabei ist das Schöne an dieser Art von Bellizismus, dass er völlig risikofrei ist. Man kann sich in aller Lautstärke für den Sieg einsetzen, ohne selbst die kleinste Unannehmlichkeit in Kauf zu nehmen. Der Aufruf zu Waffenlieferungen, immer aus sicherer Entfernung abgefeuert, klingt eben mutiger als die Bitte um Friedensverhandlungen — und kostet nichts außer ein paar Likes in der eigenen Filterblase.

Wenn Haltung zur Ersatzreligion wird

Die moralische Pflicht zur Parteinahme kommt mit einem kleinen, aber feinen Kniff daher: Wer sie hinterfragt, outet sich als Ketzer. „Neutralität ist keine Option“ — ein Satz, der sich mit der Inbrunst eines Glaubensbekenntnisses wiederholt. Denn der moderne Kriegsbefürworter sieht sich nicht mehr als politisches Subjekt, sondern als Prediger in eigener Sache. Was bleibt, ist ein binäres Weltbild: Hier die Lichtgestalten des Widerstands, dort die Finsternis der Appeasement-Verräter.

Natürlich wäre es konsequent, die eigene Begeisterung für den Sieg der Guten mit einem kleinen Ausflug an die Front zu krönen. Ein Helm wird sich schon finden, eine AK47 auch — und wenn nicht, dann wenigstens ein hipper Stahlhelm im Vintage-Look passend zur Ostfront. Doch erstaunlicherweise endet die Bereitschaft zur Solidarität oft genau dort, wo der eigene Körper ins Spiel kommt.

Warum seid ihr noch hier?

Wäre es nicht der ultimative Akt der Kohärenz, wenn die tapferen Twitter-Generäle ihre Accounts löschen, sich den Freiwilligenverbänden anschließen und der Welt vorleben, was Haltung wirklich bedeutet? Stattdessen wird auf der sicheren Seite der Geschichte gestanden, während andere auf der blutigen Seite der Geographie sterben.

Das ist die eigentliche Pointe dieser ganzen moralischen Aufrüstung: Wer am lautesten fordert, dass die Ukraine siegen MUSS, trägt oft am wenigsten zum Sieg bei. Man empört sich mit reiner Seele, aber sauberen Händen.

Ein bisschen Selbstironie tut nicht weh

Natürlich könnte man jetzt einwenden, dieser Text sei zynisch, unfair oder gar defätistisch. Aber vielleicht ist das eigentliche Problem, dass die moralischen Hochdruckgebiete unserer Zeit wenig Humor vertragen. Ein bisschen Augenzwinkern schadet dem Ernst der Lage keineswegs — im Gegenteil: Wer sich über seine eigene Entrüstung lustig machen kann, ist in der Regel näher an der Wahrheit als jene, die sich mit tränenerstickter Stimme selbst zum Widerstandskämpfer stilisieren.

Deshalb bleibt am Ende nur eine Frage: Warum seid ihr eigentlich noch hier? Die Ukraine MUSS doch gewinnen. Auf, auf — es ist nie zu spät für ein Ticket nach Kiew. Ein Helm wird sich schon auftreiben lassen.

Die Welt am Abgrund?

Der Stolperstein der Hypermoral

Es beginnt – wie so oft in der Geschichte – mit den besten Absichten. Der Westen, ein Konglomerat aus selbstreferenziellen Demokratien, die sich als moralischer Endpunkt der Zivilisation betrachten, sieht sich erneut in der Rolle des Weltethikers. Die Bühne ist bereitet: Ein überfallenes Land, ein Aggressor mit imperialer Sehnsucht, und ein Zuschauerraum voller liberaldemokratischer Gesellschaften, die ihre eigene moralische Überlegenheit wie eine Monstranz vor sich hertragen. Man verteilt Sanktionen, Waffen und warme Worte, während man sich gegenseitig auf Podiumsdiskussionen die Hände schüttelt. Die Verurteilung des Bösen gerät zur psychotropen Droge, ein kollektiver Rausch in der Glaubensgemeinschaft der Gerechten.

Doch die Hypermoral hat eine tückische Nebenwirkung: Sie duldet keine Komplexität. Die Welt wird binär, geteilt in Licht und Schatten, Gut und Böse, während das Grauspektrum der Realpolitik unberührt bleibt wie ein verbotener Text in der Bibliothek der Tugendhaften. Wer zu Differenzierung rät, wird zum Kollaborateur gestempelt. Diplomatie ist Verrat, Kompromiss ein Verriss des eigenen Wertekanons. So avanciert der Moralist unversehens zum Brandbeschleuniger.

Die Rüstungsökonomie als Lebensversicherung

Der Übergang vom moralischen Kreuzzug zur ökonomischen Interessenverwaltung verläuft nahtlos. Die Produktionslinien der Kriegswirtschaft surren längst wieder im Stakkato der Profitabilität. Alte Industrien feiern ihre Renaissance, während der Markt die Silhouetten der Apokalypse in Quartalszahlen gießt. Waffenlieferungen werden zur humanitären Pflicht erklärt, was nicht nur der Hypermoral, sondern auch der Bilanztinte schmeichelt. Ein Panzer ist schließlich kein Kriegsgerät, sondern eine Freiheitskapsel, die sich mittels Steuererleichterung und Unternehmensförderung gen Himmel rechnet.

Hinter der Kulisse winden sich Politiker in der Choreographie der Selbsttäuschung. Man müsse Russland „schwächen“, aber keinesfalls besiegen – ein intellektuelles Kunststück, das die Quadratur des Kreises zur bürokratischen Routine erhebt. Derweil verlagert sich die Front von der Steppe in die Portfolios der Aktienbesitzer, während Thinktanks darüber sinnieren, ob man die Ukraine zur Schweiz Osteuropas oder doch zur neuen Westbank der NATO umfunktionieren könnte.

Die Eskalationslogik des Unvermeidlichen

Es ist der Moment, in dem der Konflikt zur Eigendynamik wird. Der Krieg wird nicht mehr geführt, um ein Ziel zu erreichen, sondern um seinen eigenen Fortbestand zu rechtfertigen. Eskalation ist keine Option mehr, sondern eine physikalische Notwendigkeit, ein Perpetuum Mobile der Destruktion. Jeder Waffenstillstand gerät zur gefährlichen Versuchung, jeder Friedensappell zur Ketzerei. Die Logik des Krieges hat sich längst von der Vernunft emanzipiert.

Was aber, wenn der Westen zu seinem eigenen Entsetzen gewinnt? Ein in die Enge getriebenes Russland, das an seinem nuklearen Arsenal ebenso verzweifelt festhält wie an seinem imperialen Selbstverständnis, wäre kaum ein Garant für den Weltfrieden. Ein entmachteter Putin wäre nicht der Beginn einer neuen Ära, sondern der Prolog zur Bandenherrschaft über das größte Land der Erde. Der Weltfrieden, den man durch Waffengaben zu erkämpfen hofft, droht zu einem thermonuklearen Schwelbrand zu mutieren, der aus der Peripherie über die Zentren rollt.

Die freiwillige Blindheit der Vernünftigen

Die Tragik unserer Zeit ist nicht die Unwissenheit, sondern der kalkulierte Verzicht auf Wissen. Man weiß, wie Kriege eskalieren. Man kennt die Dynamiken, die aus lokalen Konflikten Weltbrände machen. Man hat all die Lehren der Geschichte in Lehrbüchern verewigt – nur um sie in der Praxis zu ignorieren. Die größte Gefahr für den Frieden ist nicht der Zynismus der Machthaber, sondern die heilige Einfalt der Idealisten.

Die Frage, ob sich der Ukrainekrieg zu einem dritten Weltkrieg auswachsen könnte, ist letztlich eine Frage des kollektiven Willens. Noch könnte man sich für den Frieden entscheiden – doch wer will das schon, wenn der Krieg so viel verführerischer ist? Wer will die Diplomatie, wenn die Moral das Schwert erhebt? Wer will die Vernunft, wenn die Hypermoral ihre eigene Kreuzzugsromantik in Netflix-tauglichen Narrativen inszeniert?

Vielleicht wäre es an der Zeit, die Geschichte nicht länger als moralische Erlösungserzählung, sondern als Tragödie zu begreifen – mit dem kleinen Unterschied, dass das Publikum diesmal mit auf der Bühne steht.