Der große Kehraus

Die große Revolution im Weißen Haus

Es gibt Dinge, die überraschen nicht einmal mehr die viel zu abgebrühten Journalisten der Post-Wahrheits-Ära. Dass Donald Trump mit der Subtilität eines Presslufthammers alles ummodelt, was ihm nicht passt, gehört dazu. Doch diesmal hat er sich keinen Geringeren als Elon Musk zur Seite geholt – den Mann, der Raketen ins All schießt und gleichzeitig per Tweet ganze Aktienmärkte ins Trudeln bringt. Das Ziel des Duos: USAID, die Behörde für internationale Entwicklung, die man – folgt man dem heiligen Mantra des neuen Washingtons – eigentlich nie gebraucht hat.

Wer braucht denn sowas!

Entwicklungshilfe ist ohnehin ein Relikt der alten, gutmenschlichen Weltordnung, in der man noch daran glaubte, dass sich Staaten nicht wie Unternehmen führen lassen. Die Vorstellung, mit altruistischer Hilfe Vertrauen zu schaffen, kann nur von jenen stammen, die nie verstanden haben, dass sich Weltpolitik in Deals bemisst – vorzugsweise „great deals“. Wenn Trump also diese „Geldverbrennungsmaschine“ einstampft, dann ist das nur konsequent. Dass die Website der Behörde kurzerhand verschwindet, könnte man als einen sanften Hinweis verstehen: Die Entwicklungshilfe ist Geschichte, löschen wir also schon mal die Spuren.

Mars statt Mali

Nun also Elon Musk, der Mann mit den großen Visionen. Anstatt in den Sudan oder nach Haiti zu investieren, könnte das Geld sinnvoller für den Aufbau von Marskolonien genutzt werden – schließlich weiß jeder, dass Flucht eine bewährte Strategie ist, wenn man einen Planeten zugrunde gerichtet hat. Warum also Menschen in Krisenregionen helfen, wenn man ihnen stattdessen einfach eine One-Way-Ticket-Rakete Richtung Roter Planet anbieten kann?

Alle Ministerien als Start-ups

Natürlich hat das alles System. Warum nur USAID auflösen? Warum nicht gleich das ganze Konzept von Regierung neu denken? Jedes Ministerium könnte doch in ein Start-up umgewandelt werden. „DefenseX“ für das Pentagon, „HealthX“ für das Gesundheitswesen, und „JusticeX“ für das Justizministerium – alles geleitet von Visionären, die mehr Tweets als Gesetze schreiben. Statt langwieriger demokratischer Prozesse gibt es dann einen wöchentlichen Poll auf X, bei dem das Volk abstimmen kann, welche Gesetze ihnen am besten gefallen. „Direct Democracy“, nur eben so, wie sie in der Silicon-Valley-Fantasie existiert.

Willkommen in der neuen Welt

Man kann sich dem Charme dieser neuen Ordnung kaum entziehen: Keine lästige internationale Verantwortung mehr, keine Steuergelder für andere Länder, dafür eine Twitter-Umfrage, ob man Haiti lieber verkaufen oder von SpaceX terraformen lassen sollte. In dieser neuen Welt ist alles möglich – solange es sich monetarisieren lässt.

Doch eines bleibt sicher: Die USAID wird in den Geschichtsbüchern als das letzte Opfer einer Regierung stehen, die sich der ultimativen Wahrheit verschrieben hat: Alles ist nur so lange wichtig, bis ein Milliardär es für überflüssig erklärt. Und dann? Löschen. Reset. Next Deal.

Die wundersame Vermehrung der Arbeitslosen

Der Fortschritt schreitet voran – auf unseren Rücken

Es war einmal eine Zeit, in der Menschen noch gebraucht wurden. Ja, liebe Leserinnen und Leser, kaum zu glauben! Menschen waren notwendig, um Züge zu steuern, Programmiercode zu schreiben oder Kunden an der Supermarktkasse zu begrüßen. Doch dann kam der Fortschritt. Er kam nicht etwa als edler Retter in schimmernder Rüstung, sondern als seelenlose KI, als unermüdliche Maschine mit endlosem Speicherplatz und ohne den Wunsch nach Mittagspausen, Krankheitsurlaub oder gar Gehalt. Die Herrschaften der Wirtschaft jubelten. „Effizienz! Wachstum! Automatisierung!“ So erklangen die Lobeshymnen der Elite, während sich auf der Straße die Arbeitslosen vermehren wie Karnickel im Frühling.

Arbeiten bis zum Umfallen – weil’s so schön ist

Nun wäre das Problem ja noch händelbar, würde man den Menschen einfach etwas Ruhe gönnen. „Wir haben Maschinen, wir haben Wohlstand, lasst uns allen ein sorgenfreies Leben ermöglichen!“ – Eine nette Utopie, die jedoch mit der Realität so viel gemein hat wie ein Discounterbier mit edlem Champagner. Nein, stattdessen fordern unsere weisen Entscheidungsträger: „Länger arbeiten! Rente mit 70!“ Ein brillanter Gedanke! Mit 40 gehören wir zum alten Eisen, doch mit 70 sollen wir noch frisch wie ein Jungbrunnen über die Baustelle oder das Bürogebäude springen. Welch eine Ironie, dass genau jene, die diese Gesetze erlassen, meist nie selbst einen Finger rühren mussten.

Vom Sinn des Lebens – oder wie man Unsinn verkauft

„Aber keine Sorge“, verkünden Experten auf Podiumsdiskussionen, „es entstehen neue Jobs!“ Jene ominösen Arbeitsplätze, die angeblich aus dem Boden sprießen wie Unkraut nach einem Frühlingsregen. Der geneigte Leser dürfte sich jedoch wundern: Wo genau sind diese „neuen Berufe“? Eine gründliche Untersuchung fördert zutage: Influencer sein! Drop-Shipping betreiben! Sich als Lebensberater auf TikTok verdingen! Und wenn gar nichts mehr hilft, dann bleibt noch die Möglichkeit, sich in einem Callcenter mit Mindestlohn von wütenden Kunden anschnauzen zu lassen. Fortschritt!

Die größte aller Lügen – „Niemand wird zurückgelassen“

Ein besonders beliebtes Mantra der Politik lautet: „Wir lassen niemanden zurück!“ Oh, wie beruhigend! Man könnte glatt vergessen, dass allein in Deutschland Millionen in prekarisierten Jobs festhängen, dass Wohnungspreise explodieren und Altersarmut fröhliche Urstände feiert. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen beim Blick in die Zukunft das Gefühl haben, sich in einer Reality-Show zu befinden, in der die Regeln von Wahnsinnigen gemacht wurden.

Und wer verarscht hier wen?

Und so bleibt uns nur ein letzter Gedanke: Wer kann uns noch mehr verarschen? Die Politik mit ihren Versprechungen? Die Wirtschaft mit ihren „Chancen“? Oder doch wir selbst, weil wir diese Farce Jahr für Jahr weiter mitspielen? Eine klare Antwort gibt es nicht. Nur eine Gewissheit bleibt: Die Maschinen lachen sich ins Fäustchen – falls sie denn eine hätten.

Gates, Trump und die WHO

Prolog: Die Welt als Schachbrett

Es gibt Figuren auf diesem globalen Schachbrett, die sich so unverzichtbar gemacht haben, dass man kaum zu entscheiden vermag, ob man sie bewundern oder fürchten soll. Bill Gates, der IT-Messias mit dem Hang zur Philanthropie, Donald Trump, der Widersacher des Establishments mit der emotionalen Bandbreite eines Actionhelden aus den 80ern, und die WHO, jener ärmlich ausgestattete Weltgesundheitsdirigent, der sich zwischen Pandemie-Management und politischer Diplomatie als feinsinniger Jongleur versuchen muss.

Ein Trio, das mehr Spannung verspricht als ein griechisches Drama, durchzogen von Intrigen, Selbstüberschätzung und der steten Frage: Wer bestimmt eigentlich wirklich, wo es langgeht?

Erster Akt: Der Philanthrop als Schattenregierung

Bill Gates, der Mann, der einst das Betriebssystem unserer Computer in eiserner Monopolhand hielt, hat längst die Systemsteuerung auf globale Gesundheit umgestellt. Seine Stiftung verteilt Impfstoffe wie einst Microsoft Windows-Kopien, nur diesmal mit noch mehr „Updates“ und weitreichenderen Konsequenzen. Eine Milliarde hier, eine Partnerschaft dort – und plötzlich sitzt er bei der WHO gefühlt am Steuerrad. Kritiker wittern darin die sanfte Umarmung einer neuen Art von Herrschaft: Philanthrokapitalismus! Die WHO freut sich über die wohlgefälligen Zuwendungen, denn bekanntlich ist das Budget knapp, und was schert es die Welt, wenn ein paar Regierungen skeptisch dreinblicken?

Zweiter Akt: Der Prophet des Chaos

Doch wehe, wenn der große orangefarbene Elefant die Manege betritt! Donald Trump, der Mann, der sich als „beste Präsidentschaft“ seit dem Urknall begreift, erklärt sich selbst zum einzig wahren Seher des politischen Parketts. „Die WHO ist eine Marionette Chinas!“ donnerte er einst ins Mikrofon, um ihr zugleich die finanzielle Axt anzusetzen. Der Mann, der sonst jeden Dollar dreimal umdreht, bevor er ihn abzieht, hatte plötzlich kein Interesse mehr an globalen Gesundheitsinstitutionen, deren Expertisen nicht in seinen Twitter-Threads Platz fanden.

Inmitten einer Pandemie könnte man so etwas als tragischen Wahnsinn bezeichnen – wäre da nicht der immense Unterhaltungswert. Wer braucht noch Netflix, wenn die geopolitische Bühne so lebendig ist?

Dritter Akt: Die WHO als Seiltänzerin

Und dann gibt es die WHO, die arme, geschundene Organisation, die sich verzweifelt mühte, die Glaubwürdigkeit zu bewahren. Sie muss sich die Vorwürfe der Unterwerfung unter Gates‘ Spendenpolitik ebenso gefallen lassen wie den Schrecken der Trump’schen Wutstürme. Zwischen Impfallianzen, Pandemieplänen und politischer Diplomatie balancierend, erinnert sie an eine Akrobatin auf dünnster Drahtseilspannung.

Mit jedem neuen Gesundheitsnotstand wird ihre Position prekärer. Hat sie versagt? Oder ist sie nur das Bauernopfer eines Machtkampfes, den ohnehin ganz andere gewinnen?

Epilog: Die Frage nach der Macht

Wer also zieht die Fäden in diesem globalen Drama? Der softwaregestählte Philanthrop, der rüpelhafte Prophet des Chaos oder die diplomatische Marionette? Vielleicht ist die Wahrheit viel banaler: Keiner zieht die Fäden, weil das Chaos bereits längst die Oberhand gewonnen hat.

Eines jedoch bleibt gewiss: Die nächste Pandemie kommt bestimmt. Und mit ihr neue Schachfiguren, neue Dramen und neue Akte in diesem endlosen Theater der Weltpolitik.

Der grüne Kreislauf des Zynismus

Der grüne Plan: Wer retten will, soll zahlen

Es gibt Tage, an denen sich die Realität wie eine besonders schlecht geschriebene Satire liest. Leider ist das oft dann der Fall, wenn politische Entscheidungen auf eine Weise fallen, die das Wort „absurd“ völlig neu definiert. So geschehen in der Republik Österreich, wo die gute alte Tradition, sich beim Verteilen von Steuergeld in Richtung privater Interessen nicht in die Karten schauen zu lassen, eine neue Blüte treibt – diesmal im grünen Gewand.

Die Tafel Österreich hat in den letzten 25 Jahren eine Aufgabe übernommen, die es in einem so wohlhabenden Land eigentlich gar nicht geben sollte: Sie rettet Lebensmittel, die sonst im Müll landen würden, und versorgt damit jene, die sich den Gang in den Supermarkt nicht mehr leisten können. 340.000 armutsbetroffene Menschen in Österreich würden ohne diese Organisation noch härter kämpfen müssen. Eine Schande? Nein, sagt das zuständige Ministerium – eine Geschäftschance!

Wettbewerbsverzerrung im Namen der Fairness

Nun ist es so, dass sich die Tafel in den letzten zwei Jahren um eine digitale Plattform bemüht hat, um Überproduktionen effizienter zu verteilen. Eine löbliche Initiative, die allerdings vom Gewessler-Ministerium torpediert wurde – denn dort kam man plötzlich auf die glorreiche Idee, exakt so ein Projekt öffentlich auszuschreiben. Mit einer klitzekleinen Bedingung, die karitative Organisationen per Definition ausschloss: Die Bewerber mussten eine hohe Bonität nachweisen. Ein cleverer Trick, denn wohltätige Organisationen, die auf Spenden angewiesen sind, können schlecht mit Millionen-Rücklagen aufwarten.

Das Ergebnis? Die Ausschreibung ging an die gewinnorientierte Unverschwendet GmbH – ein Unternehmen, das aus überschüssigen Lebensmitteln Marmeladen, Sirup und Chutneys herstellt und diese natürlich nicht verschenkt, sondern verkauft. Marktwirtschaft funktioniert eben am besten, wenn der Markt vorher nach Wunsch manipuliert wird.

Grün lackierter Neoliberalismus

Der Clou an der Sache ist natürlich, dass es sich hierbei um die selbe Regierung handelt, die sich lautstark gegen soziale Ungerechtigkeit positioniert – zumindest, wenn es in den sozialen Medien gut ankommt. In der Realität jedoch sind es genau diese progressiven Macher, die dafür sorgen, dass Profitinteressen ganz zufällig immer etwas wichtiger sind als gemeinnützige Projekte. Man möchte fast glauben, dass grüne Politik inzwischen nur noch die Verpackung eines altbekannten, neoliberal-marktradikalen Produkts ist.

Doch keine Sorge: Die Gewinne von Unverschwendet werden sicherlich in Nachhaltigkeitsprojekte reinvestiert. Oder in Beraterhonorare. Oder ins Marketing. Oder in einen besonders geschmackvollen Bio-Smoothie aus geretteten Mangos.

Schluss mit lustig?

Vielleicht wäre es an der Zeit, sich einzugestehen, dass es in dieser Regierung nicht um Gerechtigkeit geht, sondern um eine besonders durchdachte Form des „Greenwashings“. Man kann den Kapitalismus nicht mit Kapitalismus bekämpfen – oder doch? Offenbar gibt es Menschen, die fest daran glauben, dass sich soziale Gerechtigkeit am besten durch Profitmaximierung erreichen lässt. Man nennt sie auch Politiker.

Wenn man solche Grüne hat, braucht man keine Neoliberalen mehr.

Wird demnächst Dostojewski Pflichtlektüre?

Es sind stürmische Zeiten, in denen NATO-Generalsekretär Mark Rutte zum großen Exorzismus gegen den russischen Sprachgeist aufruft. „Kein Russisch-Unterricht in unseren Schulen!“ ruft er, mit dem Brustton der letzten Gewissheit, als ginge es um die Verhinderung einer Apokalypse biblischen Ausmaßes. Ein Wimpernschlag der Geschichte trennt uns offenbar von einer dystopischen Zukunft, in der Erstklässler das kyrillische Alphabet statt der lateinischen Lettern lernen, „Krieg und Frieden“ zur Pflichtlektüre wird und das „r“ nur noch rollend ausgesprochen werden darf.

Wer nicht aufrüstet, muss Tolstoi lesen

Es ist ein Satz, der mit der Wucht eines Schwertschlages fällt: „Das müssen wir verhindern!“ Da ist sie, die bittere Einsicht: Es geht längst nicht mehr um Artillerie oder Wirtschaftssanktionen, sondern um die finale Verteidigung der kulturellen Bastionen. Wer sich dem Rutte’schen Dogma nicht fügt, findet sich wohl bald in einem finsteren Kellerloch wieder, gezwungen, in Originalsprache „Die Gebrüder Karamasow“ zu entziffern.

Dabei weiß man doch, dass Sprachen immer das trojanische Pferd imperialer Bestrebungen sind. Englisch brachte uns Coca-Cola, McDonald’s und Netflix. Latein war der Vorbote von Römerstraßen, Aquädukten und Steuerpflichten. Und Russisch? Nun, es wäre wohl die Vorhut für Pelmeni, Samoware und Dostojewski – ein wahrhaft erschütterndes Szenario!

Die letzte Schlacht: Phonetik gegen Freiheit

Aber keine Sorge! Die NATO steht bereit, den Feldzug gegen den rollenden „R“-Terror zu führen. Die Alternativen sind klar: Entweder massive Aufrüstung oder ein Leben im Schatten der russischen Sprachherrschaft. Also her mit den Raketen, den Panzern, den Milliardenhilfen – solange wir sicherstellen, dass kein Kind „Wladimir Iljitsch Lenin“ fehlerfrei aussprechen kann.

Und doch, in einer ironischen Wendung der Geschichte, wird wohl gerade dieser verzweifelte Kampf um die sprachliche Reinheit am Ende für das Gegenteil sorgen: Denn was verbieten wir, wird umso begehrenswerter. Vielleicht ist das Geheimnis des Friedens ja am Ende doch nicht die Aufrüstung, sondern das entspannte Eingeständnis, dass ein paar russische Vokabeln niemanden zur Marionette des Kremls machen.

Aber so weit sind wir noch nicht. Zunächst gilt es, den großen Krieg um das kleine Alphabet zu gewinnen. Hoch die Waffen! Hoch die Grammatikbücher!

Iden des Merz

Von Globalisierungseuphorie zu Grenzziehungshysterie

Es ist eine dieser faden Ironien der Geschichte, dass ausgerechnet jene politischen Kräfte, die seit Jahrzehnten mit fanatischem Eifer für eine entfesselte Globalisierung kämpfen, nun mit fast religiösem Furor die nationale Abschottung predigen. Sie haben die Märkte entgrenzt, die Konzerne entnationalisiert, die Produktion in Billiglohnländer verlagert, die Sozialstaaten abgebaut, Löhne gedrückt und Arbeitskräfte flexibilisiert – aber wenn es um Menschen geht, die aus genau diesen Destabilisierungszonen zu uns kommen, dann wird plötzlich das Abendland verteidigt, dann ist die Nation wieder heilig, dann wird das Soziale plötzlich zum „wir können nicht alle aufnehmen“.

Friedrich Merz, dieser großbürgerliche Klassenkrieger in Nadelstreifen, steht exemplarisch für diesen Zynismus. Jahrzehntelang hat er als wirtschaftsliberaler Hardliner keine Gelegenheit ausgelassen, den „Markt“ über den „Staat“ zu erheben, Lohnzurückhaltung zu predigen und „Wettbewerbsfähigkeit“ als ultimatives Argument für sozialen Kahlschlag ins Feld zu führen. Doch kaum tritt das Thema Migration auf den Plan, mutiert er zum besorgten Patrioten, der das Soziale entdeckt – freilich nicht als Schutz für die Armen, sondern als Keule gegen die noch Ärmeren.

Kapital ohne Grenzen, Menschen mit Schlagbäumen

Der Widerspruch könnte kaum offensichtlicher sein: Dieselben Politiker, die noch gestern beklatschten, wie Amazon, Apple und BlackRock jeden staatlichen Eingriff verhöhnten, fordern heute maximale Kontrolle über Migration. Kapital darf sich frei bewegen, aber Menschen sollen es nicht. Unternehmen dürfen jeden Arbeiter weltweit gegen einen billigeren austauschen, aber wenn sich ein Arbeiter selbst auf den Weg macht, dann ist das plötzlich eine „Überforderung“.

Merz & Co. haben kein Problem mit Migration – solange sie nach unten drückt. Sie applaudieren, wenn osteuropäische Pflegekräfte für Hungerlöhne deutsche Senioren betreuen oder wenn Geflüchtete als Erntehelfer schuften. Aber wehe, sie verlangen Mindestlohn, Schutz oder Perspektiven. Dann wird die AfD-light-Rhetorik ausgepackt, und plötzlich geht es um „Leistungsmissbrauch“ und „Sozialtourismus“.

Das Drama der gescheiterten Globalisierungsgewinnler

Die besondere Lächerlichkeit dieses Theaters liegt darin, dass Leute wie Merz überhaupt nicht wissen, was sie wollen. Jahrzehntelang war ihre Botschaft klar: „Wir brauchen mehr Zuwanderung, um unsere Renten zu sichern, unsere Fachkräftelücken zu füllen, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken!“ Aber nun, wo die Folgen ihrer eigenen Politik sichtbar werden – wo die soziale Ungleichheit explodiert, wo Geringverdiener realisiert haben, dass ihre Löhne nicht steigen, wo der Frust über den Neoliberalismus mit Wucht in den Mainstream einbricht –, versuchen sie, sich mit populistischen Nebelkerzen aus der Affäre zu ziehen.

So sitzt Merz da, mit seinem opportunistischen Dauergrinsen, und schwadroniert über „die Ampel, die die Kontrolle verloren hat“, während er in Wahrheit eine ganz andere Panik verspürt: die Angst, dass die Leute merken, wer wirklich schuld an der sozialen Spaltung ist. Es sind nicht die Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea, die Deutschland „überfordern“. Es ist die Politik der Deregulierung, der Steuergeschenke für Konzerne, der Privatisierungen und des Lohndumpings, die die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter geöffnet hat.

Aber anstatt sich dieser Wahrheit zu stellen, wird Migration als Sündenbock instrumentalisiert. Wer über Wohnungsnot, marode Infrastruktur oder kaputte Schulen klagt, bekommt nicht zu hören: „Ja, das ist das Ergebnis jahrzehntelanger Kürzungspolitik.“ Nein, er soll glauben: „Das liegt an den Flüchtlingen.“

Der Robin Hood der Oberschicht

Man muss Merz eines lassen: Er hat das seltene Talent, ein Problem zu diagnostizieren, das er selbst verschärft hat, um dann eine Lösung zu fordern, die alles noch schlimmer macht. So wie er als BlackRock-Lobbyist die Vermögenskonzentration befeuert hat, um dann mit dem Märchen vom „steuerzahlenden Mittelstand“ gegen Erbschaftssteuern zu kämpfen, so beklagt er heute die soziale Verunsicherung, um sie mit noch mehr neoliberalem Kahlschlag zu beantworten.

Denn was ist seine eigentliche Antwort auf Migration? Weniger Sozialstaat, mehr Markt, mehr Druck auf Arbeitslose, mehr „Eigenverantwortung“ – sprich: genau die Politik, die dazu geführt hat, dass so viele Menschen das Gefühl haben, sie würden abgehängt. Wer also glaubt, Friedrich Merz interessiere sich ernsthaft für „die kleinen Leute“, der glaubt auch, dass ein Wolf Schäfer geworden ist, nur weil er sich mal ein paar Schafsfelle übergeworfen hat.

Das Ende der Maskerade

In Wahrheit haben Leute wie Merz keine Vision für Deutschland – außer einer, in der ihre eigene Klasse weiterhin profitiert, während der Rest sich gegenseitig zerfleischt. Ihre größte Angst ist nicht Migration, sondern Solidarität. Denn was wäre, wenn diejenigen, die sich heute von rechter Rhetorik blenden lassen, realisieren, dass ihre wahren Gegner nicht die Migranten sind, sondern die neoliberalen Strippenzieher, die ihre Löhne drücken, ihre Mieten explodieren lassen und ihre sozialen Sicherheiten abbauen?

Deshalb muss die Debatte so geführt werden, wie sie geführt wird: mit maximaler Emotionalisierung, mit Sündenböcken, mit Symbolpolitik, mit jeder Menge Nebelkerzen. Merz braucht die AfD, weil er genau wie sie lebt: von Spaltung, von Ablenkung, von falschen Fronten. Doch der Tag wird kommen, an dem die Maske fällt – und dann könnte es eng werden für die Herren der Heuchelei.

Der Wolf bleibt ein Wolf

Friedrich Merz als Verteidiger der sozialen Gerechtigkeit? Das ist, als würde Jeff Bezos über Gewerkschaften philosophieren oder Christian Lindner den Kommunismus entdecken. Nein, er bleibt, was er ist: ein knallharter Klassenkrieger, ein BlackRock-Lobbyist im CDU-Mantel, ein Wolf, der sich immer dann als Hirte geriert, wenn es ihm nützt.

Und deshalb, liebe Leser, gilt: Wenn Friedrich Merz über Migration spricht, dann redet er nicht über Migration. Er redet über Macht. Über Kontrolle. Und darüber, wie er beides behalten kann.

Mit Volldampf in die selbstverschuldete Energiekrise

Der große deutsche Energiewunderwahn

Deutschland, das Land der Dichter, Denker und Dekarbonisierer. Hierzulande glaubt man fest an Wunder – vor allem an jene, die sich in Form von Windrädern und Solarpanels materialisieren sollen. Dass die Physik bislang noch keine offizielle Parteimitgliedschaft bei den Grünen oder der SPD beantragt hat, wird geflissentlich ignoriert. Derweil klopfen sich die politisch Verantwortlichen für die ambitionierte Energiewende auf die Schultern – unbeeindruckt von der Tatsache, dass der Anteil von Wind- und Sonnenenergie am Gesamtenergieverbrauch im Jahr 2021 magere 8,5 % betrug. Eine Zahl, die beim Bundesumweltamt fein säuberlich dokumentiert ist, die aber niemand in der politischen Elite je zu Gesicht bekommen haben dürfte. Oder schlimmer: gesehen und trotzdem ignoriert hat.

Verboten, verboten, verboten – Das politische Credo

Woran könnte es nur liegen, dass sich die grüne Energiewende als windiger Wunschtraum entpuppt? Vielleicht daran, dass Deutschland in seiner unnachahmlichen Art alles abgeschafft hat, was verlässlich Energie liefert? Kernkraft? Verboten. Kohlekraftwerke? Stillgelegt. Flüssiggas-Terminals? Abgelehnt. Erdgas-Fracking? Natürlich verboten. CO2-Speicherung? Geht gar nicht! Und während das politische Establishment sich gegenseitig für diesen energiepolitischen Kahlschlag auf die Schultern klopft, stellen sich die Bürger eine zunehmend drängende Frage: Wie genau soll die Versorgungssicherheit bei all dem sich verschärfenden Verbotitis-Wahn gewährleistet werden?

Der Glaube an den grünen Wasserstoff

Doch keine Sorge, die Politik hat selbstverständlich eine Lösung parat: Grüner Wasserstoff. Der heilige Gral der Energiewende, die ultimative Antwort auf jede kritische Nachfrage. Dass Wasserstoff in der Natur nicht vorkommt und seine Herstellung Unmengen an Strom frisst? Geschenkt! Dass dieser Strom ausgerechnet von jenen Wind- und Solaranlagen kommen soll, die gerade einmal einen Bruchteil der benötigten Energie liefern? Ach was! Wer so kritisch nachhakt, ist ohnehin nur ein Ketzer der Klimakirche, ein fossiler Reaktionär, der den Fortschritt sabotieren will.

Realistische Alternativen? Bloß nicht!

Dabei gäbe es durchaus Wege, aus dem selbstgebauten Dilemma herauszufinden – wenn man denn wollte. Man könnte zum Beispiel die drei verbliebenen Kernkraftwerke weiterbetreiben. Oder man könnte heimisches Schiefergas fördern, um unabhängiger von russischem oder katarischem Gas zu werden. Oder – Gott bewahre! – man könnte CO2-Abscheidungstechnologien für Kohlekraftwerke nutzen, um deren Emissionen drastisch zu reduzieren. Und wenn man ganz mutig wäre, könnte man sogar die riesigen deutschen Braunkohlereserven mittels Fischer-Tropsch-Verfahren in klimaneutralen Treibstoff umwandeln. Aber nein, all das wäre viel zu pragmatisch! Schließlich geht es nicht um Lösungen, sondern um moralische Überlegenheit. Und die wird in Deutschland bekanntlich in Megawattstunden Illusionen gemessen.

Und der Bürger? Zahlt die Zeche.

Die Energiepreise explodieren, der Strom wird rationiert, und an besonders windstillen Tagen darf sich der Deutsche bald wieder an den Charme der guten alten Kerze gewöhnen. Doch all das ist es wert – denn am Ende steht der moralische Endsieg: Deutschland als leuchtendes Vorbild der Welt, ein ökologisches Utopia, in dem die letzten Kohlekraftwerke längst gesprengt wurden und die letzten KKWs in Museen verstauben. Dass die Menschen frieren und Unternehmen abwandern? Kollateralschäden im Kampf für die gute Sache. Und während das Licht langsam ausgeht, bleibt eine letzte Hoffnung: Vielleicht erfinden wir doch noch ein Perpetuum Mobile – oder wenigstens eine Ideologie, die Wärme erzeugen kann.

Wie die Demokratie das Kuschen lernte

Es beginnt immer schleichend. Ein kleines Augenzwinkern hier, ein Schulterzucken dort. In Deutschland empört man sich noch darüber, dass konservative Parteien mit der extremen Rechten kokettieren; in Österreich ist es längst politische Routine. Skandale, die in Berlin den Rücktritt eines Ministers auslösen würden, erzeugen in Wien bestenfalls ein resigniertes „Wird schon passen“. Die Kunst der langsamen Abstumpfung hat das alpine Land perfektioniert. Man gewöhnt sich daran, dass politische Ethik zur Geschichtskategorie wird, dass Verfassungsgerichtsentscheide nur noch Empfehlungen sind und dass Empathie als Schwäche gilt. Kurz gesagt: Wer einmal gelernt hat, mit dem Unannehmbaren zu leben, dem erscheint der Niedergang irgendwann als gelebte Normalität.

Der konservative Pakt mit dem Teufel

Konservative Parteien in ganz Europa stecken in einem Dilemma: Sie möchten modern erscheinen, aber nicht progressiv, traditionell, aber nicht altmodisch, autoritär, aber nicht diktatorisch. Und so tun sie das, was Konservative am besten können: Sie schielen nach rechts. Jedes Mal, wenn sie einen Millimeter in Richtung Extremen rücken, wird die Mitte weiter nach rechts gezogen, bis es irgendwann keinen Unterschied mehr macht, ob man eine schwarze oder eine blaue Krawatte trägt. In Österreich wurde dieser Tanz mit der FPÖ perfektioniert: Seit 25 Jahren gibt es keine Berührungsängste mehr. Die ÖVP hat sich so tief ins ideologische Sumpfgebiet begeben, dass sie inzwischen die darin lebenden Krokodile füttert, anstatt sie zu fürchten.

Demokratie? Eine Frage der Interpretation

Demokratie war einmal ein Wert. Heute ist sie eine dehnbare Verhandlungsmasse. Wenn ein Kanzler sich mit einem Klubchef der extremen Rechten zum lockeren Plausch trifft, ist das dann schon ein Bruch demokratischer Grundwerte oder nur ein pragmatischer Austausch? Wenn Medien eingeschüchtert, Kritiker diffamiert und Minderheiten als „Problem“ deklariert werden – ist das noch Demokratie oder bereits deren Aushöhlung? Die Antwort darauf hängt davon ab, wen man fragt. Die einen sagen: „Ja, aber wir haben Wahlen!“ Die anderen entgegnen: „Und was, wenn diese Wahlen immer weiter manipuliert werden?“ Österreich hat sich an solche Fragen gewöhnt, in Deutschland fängt man gerade erst an, sie zu stellen.

Die Verrohung als Volkssport

Man sagt, dass ein Frosch, wenn man ihn in kaltes Wasser setzt und dieses langsam erhitzt, nicht merkt, dass er gekocht wird. Die europäischen Gesellschaften funktionieren nach demselben Prinzip. Man gewöhnt sich an Sprache, die gestern noch Tabu war. Man toleriert Hass, weil er nicht gegen einen selbst gerichtet ist. Und irgendwann, wenn man bemerkt, dass das Wasser verdächtig warm wird, ist es zu spät. Diese schleichende Normalisierung des Autoritären ist das, was Holocaust-Überlebende wie Eva Szepesi warnend in Erinnerung rufen. Die Shoah begann nicht mit Auschwitz, sondern mit Worten, mit Schweigen, mit Wegschauen. Und wenn wir eines aus der Geschichte gelernt haben sollten, dann das: Demokratie stirbt nicht plötzlich. Sie wird stückweise zerlegt, bis sie nur noch ein leerer Begriff ist, den niemand mehr ernst nimmt.

Schlussgedanken oder: Warum es (noch) nicht zu spät ist

Die gute Nachricht ist: Noch kann man sich entscheiden. Noch kann man sich empören, noch kann man protestieren, noch kann man Haltung zeigen. Aber es wird nicht einfacher werden. Wer schweigt, der gewöhnt sich. Wer sich gewöhnt, der akzeptiert. Und wer akzeptiert, der verliert am Ende alles. Die Frage ist also nicht, ob man sich aufregt, sondern wie lange man sich noch erlaubt, nicht zu resignieren.

Safespaces – Die Wärmestube der Woken

Die Revolution im Kuschelbett

Einst war die Welt ein kalter, harter Ort, bevölkert von Menschen mit Meinungen, die in ihrer ungebändigten Wildheit die zarten Seelen der Zukunftsgewaltigen verwundeten. Doch siehe da: Eine neue Bastion des Schutzes erhob sich über das Trümmerfeld der toxischen Freiheit – der Safespace. Ein Refugium für die Empfindsamen, die aus der rohen Realität eine sanft gepolsterte Gedankenlandschaft zimmerten, in der jede Dissonanz mit sanftem „Du bist gesehen und gehört“-Flüstern übersponnen wurde.

Die alte Welt mag brutale Kriege, Hungersnöte und Pestepidemien gekannt haben, doch all das verblasst vor der einzig wahren Katastrophe unserer Zeit: Der verbalen Mikroaggression. Und so ward der Safespace geboren, das Epizentrum der gefühlten Verletzung und institutionell verordneten Behaglichkeit.

Die Anatomie des Safespaces: Von Knautschzonen und Triggerwarnungen

Was unterscheidet den Safespace von gewöhnlichen Orten der Ruhe? Es ist der unbedingte Glaube, dass nicht äußere Gefahren, sondern Gedanken, Worte, Konzepte die eigentliche Bedrohung darstellen. Hier existiert keine Realität, die nicht durch das Prisma der subjektiven Befindlichkeit gefiltert wurde.

  • Triggerwarnungen als architektonisches Fundament: Jede noch so banale Diskussion wird mit einer Liste potenzieller Risiken versehen. Man könnte ja versehentlich an etwas erinnert werden, das das fragile psychische Gleichgewicht aus der Balance bringt.
  • Die Wärmestube der emotionalen Unversehrtheit: Die gefühlte Realität zählt mehr als Fakten, weshalb unliebsame Debatten bereits im Keim erstickt werden – aus Liebe natürlich.
  • Die Heilige Inquisition der Wortwahl: Ein falsches Wort, ein ironisches Augenzwinkern zur falschen Zeit – und schon stürzen sich die Moral-Hallunken auf das ketzerische Subjekt, das es wagte, die geschützte Werkstatt der Tugendhaften zu verunreinigen.

Kurzum: Der Safespace ist die infantile Nachbildung einer Welt ohne Reibung, ein vorauseilender Gehorsam gegenüber der Empfindlichkeit als höchstem Gut.

Der Opferstatus als Statussymbol

Im Safespace regiert keine Leistung, kein Wissen, kein Charakter – hier regiert das Leid als Währung der gesellschaftlichen Hierarchie. Je mehr erlittene Diskriminierung (real oder retrospektiv rekonstruiert), desto mehr moralische Autorität. Man ist nicht mehr, was man kann, sondern was einem widerfahren ist – oder was man sich zurechtlegt, um in der Opferpyramide aufzusteigen.

  • Wer noch keinen Grund zur Klage hat, muss kreativ werden: Mikroaggressionen, strukturelle Gewalt oder „toxische Atmosphäre“ helfen, sich auf der Klageleiter emporzuhangeln.
  • Der weiß-männliche Cis-Mensch ist der natürliche Feind – es sei denn, er huldigt als zerknirschter Bußprediger der neuen Religion der gekränkten Sensibilität.
  • Diskurs? Fehlanzeige. Argumentation? Ein Relikt toxischer Rhetorik. Wer sich verteidigt, klagt sich an.

Die Perversion der Progressivität

Einst war Progressivität ein Synonym für Kritik, Debatte, Tabubruch. Heute? Ein verkniffenes Regelwerk zur Vermeidung jeglicher seelischen Dissonanz. Es ist die Revolution der Mimose, der Umsturz durch das Tempolimit der Zumutbarkeit.

Und das Tragische: Die woken Wärmestuben sind nicht bloß ein Ort der Defensive, sondern ein Laboratorium der neuen Macht. Was im behüteten Elfenbeinturm der Universität begann, sickert durch die Institutionen und frisst sich wie ein pilzartiger Befall in Kultur, Wissenschaft und Medien.

  • Die Comedy? Tot. Ironie? Gefährlich.
  • Die Literatur? Ein Minenfeld aus Triggerwarnungen.
  • Der Diskurs? Eine Tribunal-Sitzung mit vorab festgelegtem Urteil.

Der Safespace ist kein Refugium der Schwachen – er ist die neue Machtbasis einer Generation, die keine Feinde duldet, sondern nur Verbündete oder zu Auszumerzende kennt.

Das Ende der Reibung, der Beginn der Starre

Eine Gesellschaft, die sich in Safespaces verkriecht, mag sich sicher fühlen. Doch Sicherheit ist nicht Freiheit. Und die woken Wärmestuben werden irgendwann zu sterilen Leichenschauhäusern des Denkens – ein Ort, wo keine Idee mehr reiben darf, weil jeder Funke potenziell ein Brand ist.

Die Frage bleibt: Wer löscht zuerst das Licht?

AUCH BELGIEN GEHT AN RECHTS

Belgien also. Auch Belgien. Das kleine, komplizierte, föderale, dreigeteilte Belgien, das Land, das politisch stets ein Gleichgewichtskünstler auf dem Hochseil europäischer Befindlichkeiten war. Nun kippt es. Nicht mit einem großen Knall, nicht mit der revolutionären Geste eines wütenden Wahlvolks, sondern mit der schweigsamen Konsequenz einer schleichenden Erosion. Es rückt nach rechts, gemessen und bedacht, wie ein Kellner, der in einem Brüsseler Café einem deutschen Touristen mit verständnislosem Blick doch noch ein Bier ohne Schaum serviert.

Und da steht er nun, Bart De Wever, der ewige Erklärer, der Mann mit der Haltung eines Lateinlehrers auf Speed, der Intellektuelle unter den Nationalisten, der mit seiner N-VA eine Koalition schmiedet, die bereits in ihrem Namen klingt, als wäre sie in einem texanischen Waffengeschäft ausgedacht worden: die Arizona-Koalition. Man kann sich das bildlich vorstellen – knallende Peitschenhiebe auf die politische Kutsche, Staub wirbelt auf, und am Horizont verschwindet die alte belgische Konsensdemokratie wie ein verängstigtes Kaninchen.

Von der belgischen Lösung zur belgischen Abwicklung

Wer Belgien kennt, weiß: Dieses Land hat ein beinahe unnatürliches Talent, sich nicht entscheiden zu müssen. Flamen gegen Wallonen? Kompliziert. Brüssel dazwischen? Noch komplizierter. Regierungen bilden? Oh bitte, warum so eilig – das Land lief ja auch 541 Tage ohne! Belgien ist die Schweiz der Unentschlossenen, ein Land, das mit seiner institutionellen Verwirrung sämtliche Probleme so lange einhegt, bis sie keiner mehr versteht.

Doch diesmal, diesmal haben sie sich entschieden. Oder richtiger: Die Flamen haben entschieden. Die Wallonen dürfen bestenfalls mitspielen, so, als würde man ihnen erlauben, an einer exquisiten flämischen Käseverkostung teilzunehmen, aber bitte ohne eigene Wünsche. Und wer sitzt am Tisch? Die Sozialisten (halbherzig), die Liberalen (verzweifelt) und die Konservativen (begeistert). Das Ziel? Eine Regierung, die nicht unbedingt rechtsextrem ist, aber doch deutlich nach rechts neigt – wie ein alter, durchgesessener Sessel, der irgendwann einfach umfällt.

Der Herr der Ringe – äh, der flämischen Sezession

Bart De Wever, das muss man wissen, ist nicht nur Politiker, sondern auch Historiker. Ein Mann, der die Geschichte so liest, wie ein Bäcker sein eigenes Brot lobt: mit Stolz auf das eigene Handwerk und einer gehörigen Portion Verklärung. Seit Jahrzehnten erklärt er Belgien für überflüssig, ein historisches Missverständnis, ein Land, das nur existiert, weil die Großmächte 1830 gerade nichts Besseres zu tun hatten. Dass er jetzt als Premierminister genau dieses Landes auf dem Thron sitzt, ist eine Ironie, die nicht einmal ein belgischer Comiczeichner besser hinbekommen hätte.

Und während er regiert, schwebt die große Frage über allem: Wird Belgien diese Legislatur überleben? Oder ist dies der Anfang vom Ende, die schrittweise Umsetzung des flämischen Traums von Unabhängigkeit? De Wever wird sich hüten, das offen zu sagen – noch nicht. Aber es wird eine Regierung sein, die Belgien nicht weiter zusammenfügt, sondern es in seiner stillen Zersetzung verwaltet.

Rechtspopulismus light – aber bitte ohne Vlaams Belang

Natürlich, Vlaams Belang, die offen rechtsextreme Partei, bleibt draußen. Man hält sich an die alte Regel: Man regiert nicht mit dem Teufel. Stattdessen baut De Wever eine respektable Rechte auf, eine Art politischer Gin Tonic – hart genug, um zu wirken, aber verdünnt genug, um noch als zivilisiert zu gelten. Migration wird verschärft, Sozialpolitik zurückgefahren, das traditionelle Flandern gepriesen – all das mit der feinen Ironie, dass Belgien selbst eine historisch gewachsene Multikulti-Konstruktion ist.

Die Wallonen, ohnehin in der politischen Defensive, werden sich in dieser Koalition fühlen wie Gäste auf einer Party, auf der sie niemand kennt, während der Gastgeber bereits die Musik nach seinem Geschmack umgestellt hat. Und Brüssel? Ach, Brüssel ist ohnehin ein eigener Kosmos, eine Stadt, die europäischer ist als belgisch, und die Belgier ohnehin schon immer ein wenig irritiert hat.

Die letzte Runde läuft

Belgien bekommt also seine erste rechts dominierte Regierung. Nicht die radikale, brutale Variante, sondern die intellektuell verpackte, salonfähige Version. De Wever spielt Schach, nicht Rugby. Aber der Weg ist klar: Die politische Landschaft hat sich verschoben, das alte belgische Modell der ewigen Kompromisse ist angezählt. Die Frage ist nicht, ob Belgien weiter existiert, sondern wie lange es das noch tut.

Am Ende bleibt vielleicht nur eine Erkenntnis: Dieses kleine, seltsam vertrackte Land, das sich über Jahrzehnte gegen jede Form von Eindeutigkeit gewehrt hat, ist nun doch auf eine klare Richtung festgelegt worden. Und die zeigt – ob man es mag oder nicht – nach rechts.