Es ist wieder passiert. Die Nation hält den Atem an, die Breaking-News-Balken flimmern über die Bildschirme, Experten werden herbeizitiert, Journalisten stochern in Halbsätzen, und Politiker greifen tief in die gut geölte Wundertüte ritualisierter Statements. Ein Anschlag. Ein Attentat. Ein Verbrechen von jener Sorte, das mediale Erschütterungen nach sich zieht, gefolgt von reflexhaften Worthülsen und kalkulierter Betroffenheitsrhetorik. Doch keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser: Unsere Politiker sind vorbereitet! Denn für solche Gelegenheiten gibt es das bewährte Textbaustein-Kit für Politiker – ein Set von sieben Standardphrasen, mit denen sich jede Tragödie in ein Déjà-vu der politischen Kommunikation verwandeln lässt.
1) Entsetzen & Abscheu
„Wir sind entsetzt und tief erschüttert über diese grausame Tat.“
Man stelle sich vor: Ein Minister tritt vor die Kameras, das Gesicht um eine Nuance ernster als sonst, aber nicht so erschüttert, dass es seine Amtsfähigkeit infrage stellen könnte. Die Stimme ruhig, aber mit einem Hauch von Ergriffenheit. Schließlich muss das Entsetzen vermittelt werden – jedoch nicht zu viel, um keine Panik zu verbreiten, und nicht zu wenig, um kein Mangel an Mitgefühl vorgeworfen zu bekommen. „Diese abscheuliche Tat ist durch nichts zu rechtfertigen!“ Nein, wirklich nicht. Weder durch soziale Missstände, noch durch politische Versäumnisse oder systemische Ursachen. Aber keine Sorge, dazu später mehr.
2) Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen
„Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Opfern und ihren Familien.“
Ein Satz wie eine Postkarte aus dem Phrasenbuch der Hilflosigkeit. Gedanken sind gut. Gedanken sind wichtig. Sie kosten nichts, verursachen keinen bürokratischen Aufwand und haben den unschlagbaren Vorteil, dass man sie nicht nachweisen muss. Wer überprüft schon, ob sich der Innenminister um 23:15 Uhr wirklich im stillen Kämmerlein sitzt und tief über die Opfer nachsinnt? Ein Satz, der nichts verlangt und trotzdem moralische Erhabenheit signalisiert. Perfekt!
3) Restlose Aufklärung wird zugesichert
„Wir werden alles tun, um diese Tat lückenlos aufzuklären!“
Hier schwingt ein Hauch von CSI:Politik mit. Der Staat ist ein schnelles, effizient arbeitendes Organ, das sofort nach der Tat die Ermittlungen aufnimmt – jedenfalls so lange, bis das mediale Interesse nachlässt und ein neuer Skandal die Agenda dominiert. Wer möchte wetten, dass in ein paar Monaten eine kleine Randnotiz in der Zeitung vermeldet, dass die „restlose Aufklärung“ sich als doch nicht so restlos erwiesen hat? Aber egal, jetzt zählt die Geste: Der Staat wird mit „aller Konsequenz“ handeln! (Obwohl: Hat jemals jemand mit „halbherziger Konsequenz“ gehandelt?)
4) Die volle Härte des Gesetzes wird angewendet
„Die Täter müssen die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen!“
Ein zeitloser Klassiker. Politiker müssen hier stets den Spagat schaffen: Einerseits den Rechtsstaat betonen, andererseits Härte zeigen, die irgendwie über das bisher Mögliche hinausgeht. Das klingt dann so: „Wir müssen die Gesetze konsequent anwenden!“ Moment mal – wurde das bisher nicht getan? Was genau bedeutet das? Hatten die Richter bisher etwa Mitleid? Oder wurde das Gesetz bislang nur lauwarm durchgesetzt? Fragen über Fragen, aber keine Sorge: Die Phrase wirkt, und das ist die Hauptsache.
5) Eine Kranzniederlegung folgt
„Wir gedenken den Opfern mit einer Schweigeminute.“
Ein visuelles Muss. Hier kann der Politiker betont langsam schreiten, tief Luft holen und eine Rose niederlegen – vorzugsweise in Schwarz-Weiß aufgenommen. Die Kamera fängt den Moment ein, die Nahaufnahme zeigt die feuchte Wimper des Staatsoberhauptes, das sanfte Nicken, den Moment der inneren Einkehr. Was danach kommt? Nun ja, der Flug ins nächste Meeting, aber das bleibt natürlich offscreen.
6) Entschiedene Maßnahmen werden angekündigt
„Wir werden entschiedene Maßnahmen ergreifen, um so etwas in Zukunft zu verhindern!“
Aber natürlich. Sofort wird ein Krisenstab einberufen, ein neues „Sicherheitskonzept“ wird „ausgearbeitet“, Experten werden „gehört“, ein Aktionsplan wird „entwickelt“. Konkrete Punkte? Später. Maßnahmen? Nächstes Jahr. Finanzierung? Ach, schauen wir mal. Aber „entschieden“ ist das Ganze in jedem Fall. Man muss ja Handlungsfähigkeit demonstrieren.
7) Bitte nicht instrumentalisieren!
„Wir dürfen diesen Vorfall nicht für politische Zwecke missbrauchen.“
Ah, der wahre Geniestreich. Denn dieser Satz kommt stets dann, wenn politische Debatten ungemütlich werden könnten. Jemand stellt unangenehme Fragen? „Instrumentalisierung!“ Jemand fordert Konsequenzen? „Populismus!“ Am besten funktioniert dieser Satz, wenn er von jenen benutzt wird, die selbst längst die Tragödie instrumentalisieren – aber eben nur in ihrer eigenen Richtung.
Fazit: Immer wieder dasselbe Theater
Man könnte meinen, Politik sei eine Form der Bühnenkunst, bei der jedes tragische Ereignis eine Neuinszenierung der immer gleichen Aufführung ist. Das Drehbuch steht längst, die Rollen sind verteilt, die Pointe vorhersehbar. Und doch fällt das Publikum immer wieder darauf herein. Vielleicht, weil es keine bessere Alternative gibt. Vielleicht, weil wir uns nach Ritualen sehnen. Oder vielleicht, weil es einfacher ist, an Worte zu glauben, als auf Taten zu warten.