Zwischen allen Stühlen, auf allen Pulverfässern

Wer den Nahen Osten betrachtet, braucht entweder ein dickes Fell oder eine gut gefüllte Minibar. Zwischen den Ruinen aus Religion, Kolonialerbe, Großmachtinteressen und politischem Größenwahn kann man sich nicht setzen, ohne dass gleich irgendein Sprengsatz der Empörung hochgeht. Und doch lohnt sich ein literarischer Spaziergang durch dieses Minenfeld – nicht um die Wahrheit zu finden, die gibt es hier sowieso nur als zersplitterten Mosaikboden, sondern um dem absurden Theater die ihm gebührende, satirische Reverenz zu erweisen. Willkommen also im großen Kabinett des Schreckens, wo Realpolitik und religiöse Heilsversprechen gemeinsam um die Wette detonieren.

Die „Al-Aqsa-Flut“ – ein Sturm im Blutmeer

Am 7. Oktober 2023 bricht die Hamas aus ihrem hermetisch abgeriegelten Küstenstreifen aus, als hätte man den Deckel eines Schnellkochtopfs vergessen. Hunderte Kämpfer, paramilitärisch bis folkloristisch bewaffnet, dringen in israelisches Territorium ein. Sie töten, entführen, zerstören – und beweisen damit vor allem eins: Dass man mit ein paar Gleitschirmen, ein paar tausend Raketen und der Bereitschaft zum Massaker zwar keinen Staat gründet, aber sehr wohl die Schlagzeilen der Weltpresse kapert.

Natürlich ist das kein „Krieg“ im klassischen Clausewitz’schen Sinne, sondern ein Terrorstreich mit maximaler Symbolik: „Seht her, wir können eure Hightech-Grenze überwinden, eure Bürger töten, euren Staat blamieren.“ Der militärische Nutzen liegt irgendwo zwischen null und nichts, der propagandistische dafür bei hundert. Die Hamas zeigt, dass sie zwar keinen Staat regieren, aber sehr wohl den Puls des globalen Entsetzens steuern kann. Blut, so lehrt uns dieser Tag, ist die wirksamste Presseabteilung.

Hamas – die Staatssimulation für Fortgeschrittene

Die Hamas ist kein Staat, möchte aber einer sein – und zwar einer mit islamischer Aura und militärischer Attitüde. Sie regiert den Gazastreifen wie eine Mischung aus Sozialamt, Gottesstaat und Untergrundarmee. Sie verteilt Lebensmittel, betreibt Schulen, produziert Raketen in Hinterhofwerkstätten und fordert von ihren Bürgern die patriotische Bereitschaft, notfalls als menschliches Schutzschild in die Geschichte einzugehen.

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Ihr politisches Programm ist so klar wie unerreichbar: Kein Israel zwischen Fluss und Meer, dafür ein Palästina in den Grenzen der eigenen Fantasie. Da dieser Traum militärisch unvollziehbar ist, bleibt nur der permanente Beweis seiner Unausrottbarkeit – sprich: Gewalt. Jede Rakete, jeder tote Zivilist, jedes Bild zerstörter Häuser wird zur sakralen Fußnote des Widerstands. Die Hamas lebt davon, dass sie verliert und überlebt; jeder Schlag Israels bestätigt ihr Narrativ, dass Widerstand keine Option, sondern göttliche Pflicht sei.

Israel – der Staat als Naturgesetz

Auf der anderen Seite ein Land, das nicht nur existieren will, sondern in seiner Existenz den letzten Beweis für die historische Lehre „Nie wieder!“ sieht. Israel ist nicht einfach ein Staat, es ist die Antwort auf Auschwitz, die Versicherungspolice des jüdischen Volkes, die militärisch unter keinen Umständen platzt. Jeder Angriff wird daher nicht als Episode, sondern als metaphysische Anfechtung verstanden. Wenn Premier Netanjahu den 7. Oktober als „tödlichsten Tag für Juden seit dem Holocaust“ bezeichnet, ist das keine rhetorische Übertreibung, sondern Staatsraison in Reinform.

Folgerichtig reagiert Israel nicht mit Polizeiarbeit, sondern mit Krieg – und zwar mit der kühlen Präzision einer Hightech-Armee, die in einer Hand die Drohne steuert und in der anderen das Völkerrecht zurechtrückt. Das Ziel heißt „Vernichtung der Hamas“, doch weil diese sich in Tunneln, Krankenhäusern und Wohnblocks verschanzt, wird aus dem Anti-Terror-Krieg ein kollektives Strafgericht. Gazas Zivilbevölkerung dient als unfreiwilliges Beweisstück für die israelische Botschaft: Unsere Sicherheit ist nicht verhandelbar, eure Toten sind Kollaterale der Notwendigkeit.

Die Weltöffentlichkeit – moralischer Jahrmarkt der Eitelkeiten

Während in Gaza Bomben fallen und in Israel die Sirenen heulen, tritt die internationale Gemeinschaft auf wie ein Chor von verunsicherten Hochzeitsgästen, die nicht wissen, auf welcher Seite sie Platz nehmen sollen. Washington schickt Kriegsschiffe und mahnende Tweets („Don’t!“), Europa ringt um Formulierungen zwischen „bedingungsloser Solidarität“ und „humanitärer Besorgnis“, arabische Regime veranstalten symbolische Proteste, während sie hinter verschlossenen Türen weiter mit Israel Geschäfte machen.

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Alle reden von Frieden, meinen aber Macht. Für die USA ist Israel der unsinkbare Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer; für Iran ist Hamas der nützliche Stachel im Fleisch des Erzfeinds; für Saudi-Arabien ist der Konflikt ein Preisschild in den Verhandlungen mit Washington. Und für Europa ist es die ewige Gelegenheit, moralische Prinzipien zu proklamieren, während man Waffen exportiert und Gasdeals einfädelt. Niemand ist unschuldig, jeder ist interessiert – ein globaler Basar, auf dem Blut zur Währung geworden ist.

Das Absurde als Dauerzustand

So dreht sich das Karussell weiter: Hamas schießt Raketen, Israel antwortet mit Bombenteppichen, die UNO ruft zu Waffenstillständen auf, die niemand einhält, und die Welt schaut gebannt auf die nächste Eskalation, als wäre es ein besonders zynisches Staffelfinale einer endlosen Serie. Jede Seite sammelt ihre Märtyrer, jede Seite reklamiert das Monopol auf Leid, jede Seite nährt den Mythos, dass nur totale Vernichtung Frieden bringen könne.

Doch der eigentliche Sieger ist längst bekannt: Es ist die Logik der Gewalt selbst. Sie füttert sich aus jeder Bombe, jedem Massaker, jeder Träne – und wächst, bis sie größer ist als jede politische Idee, die sie angeblich rechtfertigt. Gaza bleibt eingemauert, Israel bleibt belagert, und der Rest der Welt bleibt Zuschauer eines Dramas, das längst zum Selbstzweck geworden ist.

Epilog: Zynismus als letzte Moral

Was bleibt, außer Zynismus? Vielleicht die Einsicht, dass in diesem Konflikt niemand „gewinnt“, weil alle längst verloren haben: die Palästinenser ihren Staat, die Israelis ihre Sicherheit, die Welt ihre Glaubwürdigkeit. Der einzige Fortschritt besteht darin, dass die Technik des Tötens immer raffinierter wird und die Rechtfertigungen immer pathetischer.

Vielleicht ist es also tatsächlich der Sarkasmus, der uns vor der Verzweiflung rettet. Denn wer über dieses mörderische Schauspiel nicht wenigstens bitter lachen kann, riskiert, von seiner Grausamkeit zerquetscht zu werden. Und solange das Lachen noch möglich ist, bleibt zumindest ein Rest menschlicher Freiheit – selbst mitten im Donnern der Bomben.

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