
Vorspiel der Rechthaber: Über die Rückkehr des betreuten Denkens
Es ist ein eigenartiger Zustand, den wir im Jahre 2025 mit einer Mischung aus abgestumpfter Resignation und hysterischer Betriebsamkeit zur Kenntnis nehmen – nämlich der, dass ausgerechnet jene westlichen Demokratien, die sich über Jahrzehnte hinweg als Bollwerke individueller Freiheit und pluralistischer Meinungsvielfalt inszenierten, nun in einer grotesken Kopie jenes Systems angekommen zu sein scheinen, das man dereinst stolz und siegestrunken überwunden glaubte. Willkommen, meine Damen und Herren, liebe non-binäre Geschlechtsidentitäten, in der Demokratisch-Digitalen Regulativrepublik, kurz: DDR 2.0 – nur diesmal mit besserer Grafik und flüssigerem Scrollverhalten.
Was einst mit dem schleichenden Verfall argumentativer Kultur begann – einem pseudotoleranten „Debattenklima“, das man eher als stickige Kammer mit Sauerstoffmangel bezeichnen müsste –, kulminiert nun in einem System permanenter pädagogischer Korrektur. Denken wird nicht mehr gefordert, sondern vorformuliert. Haltung ersetzt Erkenntnis, Moral ersetzt Fakten, Empörung ersetzt Differenzierung. Und wie in jedem guten Spätstadium eines Kontrollsystems glaubt die Mehrheit, frei zu sein – weil man sie gelehrt hat, dass Freiheit darin bestehe, exakt das zu wollen, was man ihr vorgibt.
Die neue Unfreiheit: Algorithmen als Agitatoren
Man muss es sich einmal auf der Zunge zergehen lassen wie einen zu stark gesüßten Ersatzkaffee aus dem real existierenden Sozialismus: Während man früher Wanzen fürchtete, trägt man heute freiwillig ein Mikrofon in der Tasche – mit Standortfreigabe und Gesichtserkennung, versteht sich. Big Brother hat sich nie so charmant gegeben wie durch das Apple-Logo auf der Rückseite deines Smartphones. Der Unterschied zwischen freiwilliger Selbstüberwachung und staatlich verordneter Kontrolle ist, wie sich zeigt, keiner der Struktur, sondern einer der Benutzeroberfläche.
Die Algorithmen, jene scheinbar neutralen Priester des Digitaltempels, sind heute Meinungsmacher, Zensoren und Erzieher in Personalunion. Sie entscheiden, was sichtbar wird, was gesagt werden darf, wer „relevant“ ist – und vor allem, wer nicht. Die „Richtlinien der Gemeinschaft“, diese Orwell’sche Phraseologie in Zuckerwatte, sind der neue Paragraf 106: Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, darf sehen, wie schnell man in den digitalen Gulag der Deplattformierung verschwinden kann – ohne Anklage, ohne Verteidigung, ohne Revision. Statt politischer Lagerhaft gibt es heute Shadowbans. Komfortabler, aber nicht weniger wirksam.
Umerziehung 2.0: Das Betroffenheitsregime der Gutmeinenden
Früher, so erzählt man sich heute wie aus einem Märchenbuch, wurden Menschen noch nach ihrer Leistung beurteilt, nach ihrem Charakter, nach ihrer Fähigkeit zur Kritik. Heute jedoch zählen einzig die heiligen Abzeichen identitärer Zugehörigkeit: Wer ist marginalisiert genug, um gehört zu werden? Wer ist betroffen genug, um nicht widersprochen werden zu dürfen? Wer ist korrekt genug, um von der Cancel Culture verschont zu bleiben?
Die neue Elite, die sich als unterdrückte Minderheit geriert, beherrscht die Kunst der moralischen Erpressung wie einst die Funktionäre ihre Floskeln vom Klassenfeind. Es geht nicht mehr um Wahrheit, sondern um Empfindlichkeit. Und wehe, man verletzt ein Tabu – nicht etwa durch Intention, sondern durch Interpretation! Denn was zählt, ist nicht, was gesagt wurde, sondern wie es gefühlt wurde. Willkommen im Regime der hypermoralischen Schneeflocken, die bei der leisesten Erwähnung von Ambivalenz zu schmelzen beginnen – und danach den Thermostat auf „Ewige Betroffenheit“ drehen.
Die Rückkehr der Planwirtschaft – diesmal ökologisch korrekt
In der DDR 1.0 scheiterte der Sozialismus an der Banalität seiner Ineffizienz: leere Regale, schmierige Butter und Trabant-Wartelisten. In der Version 2.0 tritt die Planwirtschaft erneut auf die Bühne – diesmal im grünen Gewand und mit dem Segen der Apokalypse. Unter dem Banner des „Klimaschutzes“ wird nicht nur das Thermostat reguliert, sondern gleich der gesamte Lebensstil. Verzicht wird zur Tugend verklärt, Degrowth zum Erlösungsversprechen, und wer noch Fleisch isst oder in den Urlaub fliegt, gilt als Klimasünder erster Klasse – selbst wenn er am Rande des Existenzminimums lebt.
Das Paradoxe daran? Die neue ökologische Planwirtschaft zementiert soziale Ungleichheit. Denn der ökologisch korrekte Lebensstil ist ein Luxus: Bioladen, Lastenrad und urban gardening sind kaum Realitäten des Proletariats, sondern Statussymbole einer saturierten Bionade-Bourgeoisie, die sich für ihre Tugendhaftigkeit gegenseitig auf LinkedIn applaudiert. Und während man dem kleinen Mann das Heizen verbietet, fliegen die Apostel des Weltklimas in Privatjets zu Nachhaltigkeitsgipfeln.
Der neue Sozialismus ist digital, global – und freiwillig
Was macht diese DDR 2.0 so perfide? Es ist der Umstand, dass sie sich nicht aufzwingt, sondern einschmeichelt. Sie kommt nicht mit Uniformen und Stasi-Akten, sondern mit „Nudging“ und Benutzerfreundlichkeit. Sie will dich nicht brechen, sondern überzeugen. Sie arbeitet nicht mit Zwang, sondern mit Zustimmung. Und genau darin liegt ihre Tücke.
Denn wo früher Macht sich durch sichtbare Gewalt manifestierte, hat sie heute die Form der Zustimmung angenommen: Du willst digital sein, du willst kontrolliert werden, du willst dich anpassen – weil die Alternative Isolation, Unsichtbarkeit, Cancel ist. Die neue Konformität ist freiwillig – und deshalb so alternativlos wie einst die Einheitsliste.
Finale Furioso: Warum Satire das letzte Asyl des Denkens bleibt
Wer heute satirisch schreibt, tastet sich blind durch ein Minenfeld hypersensibler Ideologien, durch die Nebelschwaden algorithmischer Zensur und durch die Floskelwüsten eines politmedialen Komplexes, der längst aufgehört hat, sich für Wahrheit zu interessieren. Satire ist keine Waffe mehr – sie ist eine Notwehr. Sie ist das letzte Refugium für jene, die sich der sanften Tyrannei des Betreuten Denkens nicht beugen wollen.
Und so bleibt uns nur das Schreiben, das Spotten, das ironische Zwinkern aus dem Untergrund der Vernunft. Während draußen die neue DDR 2.0 ihre gläsernen Paläste errichtet und den Menschen einflüstert, dass sie frei sind – solange sie nur sagen, denken und fühlen, was erlaubt ist.
Nachsatz:
Ob das alles so kommen muss? Nein.
Ob es trotzdem so gekommen ist? Frag dich mal selbst.
Und wenn du das Gefühl hast, dass dieses Essay übertrieben ist, sei dir sicher: Das dachte man 1984 auch.