Willkommen im Totalschaden

Deutschland, die ehemalige Automacht im freien Fall

Es riecht nach kaltem Öl, verbranntem Plastik und Angstschweiß in den heiligen Werkshallen der Republik. Wo einst der stolze Takt der Roboterarme und das satte Klicken der Drehmomentschlüssel den Pulsschlag einer Weltmacht markierten, herrscht heute das leise Sirren von Excel-Tabellen und die frostige Stille der Personalabteilungen. „Transformation“ nennen Politiker und Vorstände dieses Massaker, als handle es sich um eine harmlose Raupenmetamorphose und nicht um ein industrielles Aderlassen, bei dem Hunderttausende Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit tropfen. Deutschland, einst die Lokomotive Europas, gleicht nun einem liegengebliebenen Diesel, der auf offener Strecke den Geist aufgibt – während die Konkurrenz bereits in Highspeed-Zügen an einem vorbeirauscht und dabei freundlich aus dem Fenster winkt.

Der letzte Tanz der Benzinbarone

Die deutsche Autoindustrie war einmal das stolzeste Aushängeschild des Exportweltmeisters, ein schimmernder Mythos aus verchromten Kühlergrillen und perfekt geschlossenen Spaltmaßen. Heute wirkt sie wie ein heruntergekommener Varieté-Künstler, der immer noch seine alten Kunststücke vorführt, während das Publikum längst weitergezogen ist. Jahrzehntelang lebte man im Wahn ewiger Überlegenheit, berauscht vom eigenen Ingenieursfetisch und der Überzeugung, dass die Welt auf ewig nach deutschem Verbrennungsmotor lechzen würde. Jetzt steht man da – ohne Plan, ohne Akku, ohne Software – und muss zusehen, wie die Konkurrenz aus Kalifornien und Shenzhen das Goldgräbergeschäft der Elektromobilität absahnt, während man selbst noch mit der Betriebsanleitung des letzten Diesels ringt.

Die vielbeschworene „Transformation“ ist nichts anderes als ein Totentanz, bei dem die alten Benzinbarone so tun, als seien sie Avantgarde, während sie in Wahrheit nur den eigenen Untergang choreografieren.

Zahlen aus der Hölle

Bosch entlässt nicht 9.000, sondern 22.000 – und wirkt dabei beinahe erleichtert, als hätte man endlich die richtige Dosis Gift gefunden. Goodyear schließt nach 125 Jahren einfach das Werk, als wäre ein Jahrhundert Industriegeschichte nur ein lästiger Posten in der Bilanz. ZF, MAN, Ford – die Namen reihen sich wie Grabsteine auf einem Friedhof, auf dem täglich neue Kreuze eingeschlagen werden. Und jedes Mal, wenn irgendein Wirtschaftsinstitut mit frischer „Studie“ zur Arbeitsplatzvernichtung aufwartet, ist sie bereits so aktuell wie ein Faxgerät. Kaum veröffentlicht, schon überholt – die Realität spielt ein perverses Spiel der ständigen Überbietung: „Ihr dachtet 18.000? Wie niedlich. Hier sind 30.000. Und morgen, wer weiß?“

TIP:  Die Rückkehr der Vergangenheit

Es ist, als würde die Industrie selbst Wetten auf die Geschwindigkeit ihres eigenen Aderlasses abschließen – ein makabres Bingo, bei dem die Gewinne in Vorstandsetagen ausgeschüttet werden, während draußen Familien ihre Existenz verlieren.

Betriebsräte im Pyjama der Ohnmacht

IG Metall und Betriebsräte mühen sich redlich, wenigstens so zu tun, als hätten sie noch Einfluss. Man spricht von „Zukunftstarifverträgen“, „Transfergesellschaften“ und „Anpassungsprogrammen“, als könne man mit bürokratischem Nebel die Tatsache verschleiern, dass am Ende schlicht und ergreifend Jobs verschwinden. Sozialpläne sind nichts anderes als weiche Kissen auf dem Weg in den Abgrund – hübsch drapiert, aber tödlich. Die Gewerkschaften verhandeln über Abfindungen, während die Manager längst darüber beraten, welches Werk als Nächstes auf dem Altar der Profitrate geopfert wird.

Elektroträume aus Fernost, Alpträume aus Wolfsburg

Die Elektromobilität, einst als grüner Heilsbringer verkauft, entpuppt sich als bitterer Elektroschock. Batterien? Aus Asien. Software? Aus Kalifornien. Innovation? Aus allen Himmelsrichtungen, nur nicht aus dem Land der Kabelbäume. Deutschland reduziert sich auf die Rolle des Karosseriebauers in einer globalen Wertschöpfungskette, deren Wert längst anderswo entsteht. Während Elon Musk Raketen ins All schickt, streitet man in Wolfsburg darüber, ob die nächste Betriebsversammlung mit belegten Brötchen oder nur noch mit Filterkaffee ausgestattet werden kann.

Die große nationale Selbstlüge

Deutschland liebt es, sich selbst für seine Tugenden zu feiern: Gründlichkeit, Ingenieurskunst, Präzision. Doch all diese Werte sind im Angesicht der neuen Realität so nützlich wie ein Drehmomentschlüssel im App Store. Man wollte die Zukunft mit deutscher Perfektion erobern, hat sich aber stattdessen in endlosen Gremien totgeprüft und das Wichtigste übersehen: dass Geschwindigkeit, Mut und radikale Entscheidungen zählen – und nicht die hundertste Arbeitsgruppe zur „Strategie Elektromobilität 2040“.

Die Manager, die einst mit stolz geschwellter Brust von „globalen Märkten“ schwadronierten, sitzen nun in Talkshows und erklären mit Grabesstimme, dass Werksschließungen „unausweichlich“ seien. Politiker wiederum reden von „Chancen“ und „Innovation“, während sie eigentlich nur Zeit schinden, um nicht als diejenigen in die Geschichtsbücher einzugehen, die das Autoimperium zu Grabe trugen.

TIP:  Alerta, Alerta, sonst Omerta

Deutschland im Standstreifen der Geschichte

So sitzt die einstige Autonation nun wie ein liegengebliebener Mittelklassewagen auf dem Standstreifen der Weltwirtschaft, Warnblinker an, Motor tot, während die Zukunft vorbeirauscht und im Rückspiegel verschwindet. Die Hände noch krampfhaft am Lenkrad der Vergangenheit, klammert man sich an das, was einmal war: an Dieselgeruch, an Spaltmaße, an Ingenieursstolz. Doch der Tank ist leer, die Batterie schwach, und niemand wird anhalten, um Starthilfe zu geben.

Vielleicht bleibt am Ende nur Galgenhumor. Deutschland, Land der Autofetischisten, wird sich daran gewöhnen müssen, dass der Mythos von Volkswagen, Mercedes und Co. bald nur noch eine Fußnote in den Geschichtsbüchern ist – irgendwo zwischen Kohleausstieg und Faxgerät. Und während die letzten Arbeiter die Lichter in den Werkshallen löschen, darf man sich immerhin trösten: Das Fernlicht der Ironie reicht weiter als jeder Scheinwerfer aus Stuttgart.

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