Willkommen im Schacht: Sie glauben, Sie buddeln sich nach oben

„Sie sind kein Kapitalist, Sie sind ein ausgebeuteter Arbeiter mit Stockholm-Syndrom“

Beginnen wir mit einem Selbstbetrug, der so universal ist wie Zahnschmerzen und genauso unerträglich, wenn man ihn einmal ernst nimmt: Der Glaube, durch genug Arbeit, Cleverness oder Zufall vom geknechteten Lohnabhängigen zum Kapitalisten aufzusteigen.

Das ist ungefähr so plausibel wie die Hoffnung, durch ausreichend langes Treten im Hamsterrad irgendwann den Horizont zu erreichen. Sie strampeln – das ist sichtbar. Sie schwitzen – das ehrt Sie. Aber Sie bewegen sich nicht. Und das sollen Sie auch gar nicht.

Denn Ihre ganze Existenz – Ihre Angst, Ihr Ehrgeiz, Ihre Restillusion – ist Treibstoff für die Maschine. Sie denken, Sie arbeiten für sich. Tatsächlich aber sind Sie Biomasse in einer gigantischen Ökonomie der Hoffnung, aus der Rendite gepresst wird wie Saft aus halbverwestem Obst.

Ihr ETF-Sparplan ist nicht Ihre Eintrittskarte in die Welt der Besitzenden. Er ist das Lutschbonbon, das man Ihnen gibt, während man Sie langsam in siedendem Wasser kocht.

Sie denken, Sie haben Optionen – und das macht Sie erst recht zum Sklaven

„Niemand zwingt mich zu diesem Job“, sagen Sie – und das ist das Tragischste an allem: Ihre freiwillige Knechtschaft.

Denn je mehr Optionen Sie vermeintlich haben, desto größer Ihre Scham, dass nichts daraus wird. Es ist das Paradox der Freiheit: Niemand hält Sie fest, und doch kommen Sie keinen Millimeter voran. Sie tragen keine Ketten – aber Ihre Mietkosten, Ihre Versicherungen, Ihre Altersarmutsparanoia wirken präziser als jedes mittelalterliche Folterinstrument.

Und so optimieren Sie sich selbst: für eine Karriere, die nie kommt, für Gehaltserhöhungen, die nie reichen, für Anerkennung, die in Form von „Super Job, weiter so“-E-Mails daherkommt. Sie machen Weiterbildung, weil Sie glauben, Sie seien nicht gut genug – und nicht, weil das System Ihnen nie erlaubt hat, genug zu sein.

Ihre Mühe ist nicht edel. Sie ist tragikomisch.

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Ihre Verehrung ist pathologisch – und Ihr Chef weiß das

Sie sprechen über Ihre Vorgesetzten, als wären sie Halbgötter. Sie erzählen Freunden, dass der CEO „echt bodenständig“ sei. Dass er Ihnen auf der Betriebsfeier ein Bier angeboten habe.

Gratulation. Die Elite reicht Ihnen Brosamen – und Sie klatschen Beifall wie dressierte Zirkusaffen.

Sie sind emotional investiert in ein System, das Ihnen jederzeit ins Gesicht spucken würde, wenn es die Profitrate steigert. Und damit kein Aufschrei kommt, werden Sie gefüttert mit Corporate-Märchen: „Diversity“, „Teamspirit“, „Work-Life-Balance“. Alles Fassaden. Alles Theater.

Ihr Chef ist kein Mentor. Er ist ein Funktionär des Systems, das Sie ausbluten lässt – mit einem Lächeln und einem Wellness-Gutschein zum Quartalsziel.

Sie glauben, der Kapitalismus belohnt Fleiß – er belohnt Erbschaften

Sie schuften. Tag für Tag. Und was bringt’s? Ein bisschen Status. Eine bessere Zahnbürste. Vielleicht mal Business-Class, wenn Meilenaktionen laufen.

Der Kapitalismus, so wurde Ihnen gesagt, ist meritokratisch. Wer sich anstrengt, gewinnt. Doch schauen Sie sich um: Die Gewinner haben geerbt. Netzwerke. Immobilien. Aktienpakete.

Sie hingegen haben einen Bachelor in BWL, Rückenschmerzen mit 34 und einen Ratenkredit für einen gebrauchten Audi.

Sie sind nicht gescheitert, weil Sie faul waren. Sie sind gescheitert, weil Sie geglaubt haben, das Spiel sei fair.

Das System braucht Ihre Hoffnung – um Sie zu fressen

Wenn Sie heute kündigen würden – was würden Sie tun? Aussteigen? Wohin? In die Selbstständigkeit? In die Depression? In die Sinnsuche?

Egal, wohin Sie fliehen: Das System folgt Ihnen. Es steckt in Ihren Verträgen. In Ihrem Kontostand. In Ihrem Selbstbild. In Ihrer DNA.

Die größte Grausamkeit des Kapitalismus ist nicht, dass er ausbeutet – sondern dass er Ihre Sehnsucht nach Bedeutung, Selbstwirksamkeit und Autonomie verwendet, um Sie am Laufen zu halten.

Sie glauben, irgendwann kommt das große Aufatmen. Die Freiheit. Der Exit. Das passive Einkommen.

Aber nein – Sie werden alt, müde, überflüssig. Und dann ersetzt man Sie durch einen jüngeren, billigeren, motivierteren Klon von Ihnen selbst.

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Sie waren nie ein Subjekt. Sie waren immer nur Funktion.

Und trotzdem machen Sie weiter – warum?

Weil Sie nichts anderes kennen.

Weil die Wahrheit zu hässlich ist, um sie morgens nüchtern zu ertragen.

Weil es leichter ist, sich einzureden, dass man bald selbst Investor wird, als zu akzeptieren, dass man nie mehr war als ein Zahnrad, das sich selbst für das Getriebe hielt.

Weil Zynismus zwar bitter ist – aber wenigstens noch einen Geschmack hat, in einer Welt voller geschmacksneutraler Lügen.

Epilog ohne Trost:

Sie sind kein Kapitalist. Sie waren nie einer.

Sie sind ein Gläubiger im Tempel des Marktes, ein bürokratischer Mönch mit KPIs statt Gebeten. Und während Sie weiter an Ihrem LinkedIn-Profil feilen, sich durch Podcasts motivieren und auf Gehaltserhöhungen hoffen, stirbt jeden Tag ein kleiner Teil von dem in Ihnen, der einst geglaubt hat, frei zu sein.

Aber machen Sie ruhig weiter. Jeder Kult braucht seine Priester. Und das System braucht Menschen wie Sie:
Gebildet genug, um es am Laufen zu halten –
aber betäubt genug, um es nicht zu hinterfragen.


Machen Sie sich keine Sorgen: Der Burnout wird kommen, lange bevor die Erleuchtung eintritt. Und falls Sie das hier lesen und denken: „So schlimm ist es doch gar nicht.“ – dann hat das System bei Ihnen ganze Arbeit geleistet.

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