Wie man in endlosen Schleifen des blame games die Realität elegant ausspart

Der rhetorische Tanz auf dem Drahtseil der Verantwortung

Man nehme eine rhetorische Wendung, füge eine Prise moralische Entrüstung hinzu und garniere das Ganze mit einer großzügigen Portion politischer Verantwortungsdiffusion. Voilà: das Rezept für einen politischen Satz, der zugleich wie ein Feuerwerkskörper am Nachthimmel funkelt und dennoch nach kurzer Zeit in Nichts verpufft. So etwa klingt es, wenn Siemtje Möller, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, in aller Öffentlichkeit verlauten lässt: „Man muss weiterhin Druck auf die Israelische Regierung ausüben, damit die Geiseln frei kommen.“ Ein Satz, der sich so schön anfühlt, als hätte man damit alles gesagt – und dabei nichts geklärt.

Denn, so trivial es klingen mag, hier vermischen sich zwei ganz grundsätzliche Ebenen von Verantwortung und Handlungsmacht in einem kaum zu durchdringenden Nebel aus politischem Kalkül und sprachlicher Ausweichmanöver. Israelische Regierung – verantwortlich für Geiselnahme? Nein, natürlich nicht. Hamas, eine terroristische Organisation, die mittels Entführung und Gewalt operiert, trägt diese Verantwortung. Und hier beginnt der Tanz auf dem Drahtseil.

Der Druck, der keiner ist – Verantwortung auf Abwegen

Die Botschaft der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden liest sich wie ein Meisterstück politischer Ambivalenz: „Druck auf Israel“, während das Problem bei Hamas liegt. Wer also soll diesen Druck ausüben? Die Antwort bleibt – ironischerweise – in der Schwebe. Man könnte fast meinen, es handle sich um eine raffinierte Übung im Verschieben der Verantwortung, um es nicht mit der unangenehmen Frage zu tun zu bekommen: Wer zwingt die Hamas, Geiseln freizulassen?

Denn klar ist: Druck auf Israel, ein souveräner Staat, der sich verteidigt und zugleich ums Überleben kämpft, kann niemals die unmittelbare Lösung des Problems sein, wenn die Täter woanders sitzen. Das ist ungefähr so, als würde man einer jungen Frau, die Opfer eines Überfalls wurde, raten, doch bitte auf die Straße zu gehen und sich nicht zu wehren – mit dem Ziel, die Kriminalitätsrate zu senken. Absurder geht’s kaum, doch politische Statements sind eben keine Strafrechtsvorlesungen.

TIP:  Eine Schelle mit Horn

Moralische Gleichsetzung oder: Die Kunst, zwei ungleiche Gegner in einen Topf zu werfen

Manchmal scheint es, als ob das politische Establishment einer gespenstischen Versuchung erliegt: Die moralische Gleichsetzung von Täter und Opfer, von Staat und Terrororganisation, von Aggressor und Verteidiger. Es ist die moderne Variante des „Man hat ja auch auf der anderen Seite Schuld“ – ein argumentatives Minenfeld, das zwar in der Theorie elegant klingt, in der Praxis aber Menschenleben aufs Spiel setzt und Verantwortung verwischt wie Farbe auf nassem Papier.

Die Hamas entführt Geiseln, setzt Zivilisten als menschliche Schutzschilde ein, verhöhnt internationales Recht und jegliche Form von Menschlichkeit. Israel, in seiner paradoxalen Rolle, versucht nicht nur zu reagieren, sondern auch den Spagat zwischen legitimer Selbstverteidigung und der Einhaltung eigener ethischer Standards zu meistern. Ein schwerer Tanz, der leider durch gut gemeinte, aber fehlgeleitete politische Appelle an die falschen Adressaten zusätzlich erschwert wird.

Druck ausüben? Aber auf wen eigentlich?

Das große Manko der Aussage liegt im Verschweigen des Offensichtlichen: Wer hat die Mittel, den Druck auf die Hamas auszuüben? Welche Hebel werden eingesetzt, um diese Terrororganisation zur Aufgabe zu bewegen? Die Weltöffentlichkeit? Internationale Organisationen? Nachbarn? Und vor allem: Wie? Denn anders als ein souveräner Staat, der durch politische, wirtschaftliche und militärische Macht agiert, operiert eine Organisation wie Hamas im Schatten, im Guerillakampf und im Zerrbild zwischen Befreiungskampf und Terror.

Das Dilemma wird sichtbar, wenn man erkennt, dass der „Druck auf Israel“ nicht nur unangebracht, sondern kontraproduktiv ist. Er schwächt den einzigen legitimen Partner im Konflikt und lässt die eigentlichen Täter unangetastet. Gleichzeitig wird so die friedliche Lösung immer mehr in die Ferne gerückt – was man als Zuschauer, Betroffener oder schlicht als Menschenfreund mit ein wenig bitterem Zynismus nur beklagen kann.

Schlussgedanken: Der politische Zynismus als stille Waffe

Der Satz von Siemtje Möller steht exemplarisch für eine viel größere Krankheit in der politischen Kommunikation: die Bereitschaft, Verantwortung zu verschleiern, Klarheit zu vermeiden und auf rhetorische Nebelkerzen zu setzen, die letztlich keine Probleme lösen, sondern sie nur kaschieren. Es ist eine Haltung, die sich zwischen gutem Willen und politischem Opportunismus bewegt – mit dramatischen Konsequenzen für alle Beteiligten.

TIP:  Straffreiheit war gestern

Der Wunsch nach der Freilassung der Geiseln ist ohne Zweifel edel und menschlich. Doch er sollte begleitet sein von einer unmissverständlichen Forderung an die Täter – die Hamas –, ihre Verbrechen einzustellen. Nur so wird aus dem rhetorischen Spiel ein echter Schritt in Richtung Frieden. Bis dahin aber bleibt der Druck auf den Falschen – und die Geiseln bleiben Gefangene eines Sprachspiels, das an Klarheit und Konsequenz schmerzlich spart.

Und das, liebe Leser, ist der zynische Witz an der ganzen Geschichte: Während wir auf die falschen Regierungen drücken, sitzen die Geiseln weiter in der Falle. Die Politik applaudiert sich selbst – und die Welt schaut zu.

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