Wie man die Trümmer anderer liebt

I. Die Wiederaufbauverweigerung als Tugend

Außenminister Johann Walter David Rudolf, kurz „Jo“, ein Mann, der schon durch die Anzahl seiner Vornamen ahnen lässt, dass er in politischen Hierarchien das Streben nach Bedeutung verinnerlicht hat, findet: Syrien sei „immer noch zu zerstört, um dorthin zurückzukehren“. Das ist schön gesagt, fast poetisch, wenn man die Betonung richtig setzt: immer noch zu zerstört – als wäre Zerstörung ein Zustand, den man abwarten kann wie eine Wetterlage. Jo steht da wie ein meteorologischer Humanist, der den Wiederaufbau in die Vorhersage einordnet: „Heute im Osten leichte Schauer, im Süden Hoffnung, und über Syrien weiterhin Trümmer, bei mäßigem Wiederaufbauwillen.“

Was ihn auszeichnet, ist seine Zurückhaltung. In einer Welt, in der alles sofort wiederaufgebaut, restauriert, rekonstruiert und geglättet werden will, entdeckt Jo das Gegenteil als neue Ethik: den moralischen Mehrwert der Nichtreparatur. Eine zerstörte Stadt ist schließlich auch ein Symbol – und Symbole, das weiß man im Auswärtigen Amt, sind leichter zu verwalten als Baustellen. Die Betonmischer des Gewissens laufen dort nie warm.

Während also Jo den moralischen Schutt sortiert, sitzen die Älteren in Berlin, Hamburg, Dresden, Hiroshima und Nagasaki in ihren sanierten Altbauwohnungen, mit denkmalgeschützten Deckenstuck, und lachen sich die Wände wund. Denn sie kennen das. Sie haben gesehen, wie man mit ein paar Ziegeln, viel Schweiß und einer ordentlichen Portion „Nie wieder!“ aus verbrannter Erde wieder eine Vorzeigedemokratie bastelt. Es ging ja – erstaunlich schnell sogar. Damals, als man noch keine „humanitäre Müdigkeit“ kannte, sondern bloß Hunger, Frost und eine fast schon zynische Lust am Überleben.

II. Die Heuchelei des Wiederaufbaus – oder: Beton statt Bekenntnis

Nun aber stellt sich die Frage: Wer soll das alles wiederaufbauen? – Eine Frage, die Jo wahrscheinlich in seiner Mittagspause in einem sehr westlich möblierten Büro gestellt bekommt, irgendwo zwischen diplomatischer Kunstblume und Nespresso-Maschine. Und Jo, der Realist, antwortet nicht ohne Stolz: „Wer, wenn nicht wir.“
Ein Satz, der auf der Zunge klingt wie ein Werbeslogan der Bundeswehr oder eine Imagekampagne für die neue Außenpolitik: Wir bauen wieder, was wir vorher nicht bombardiert haben.

Das ist ja der neue deutsche Stil: moralisch beteiligt, aber praktisch abwesend. Der Wiederaufbau soll geschehen, aber bitte nicht in der Realität. Man könne, so hört man, „nicht überall sein“. Deutschland ist Weltmeister im Fernmitgefühl. Es errichtet keine Städte, sondern Narrative. Aus Asche werden keine Häuser, sondern Pressemitteilungen. Die deutsche Außenpolitik gleicht einem Architekturbüro für symbolische Verantwortung: Man plant viel, man zeichnet schön – nur das Fundament bleibt fiktiv.

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Und währenddessen hocken die alten Damen und Herren in Dresden und murmeln: „Wir haben unsere Stadt wiederaufgebaut, Stein für Stein, obwohl sie in Trümmern lag.“ Ja, Dresden, diese marmorne Ikone der Wiederauferstehung, deren Rekonstruktion längst so vollkommen ist, dass sie aussieht wie eine Computersimulation des Vergessens. Was ist der Unterschied zwischen dem Wiederaufbau einer Stadt und dem Wiederaufbau eines Gewissens? Der eine braucht Mörtel, der andere Mut. Beides scheint heute knapp.

III. Das Gedächtnis der Trümmer – oder: Warum die Alten lachen

Es ist also nicht Spott, der sie lachen lässt, die Alten in Berlin, Hamburg, Dresden, Hiroshima, Nagasaki. Es ist die absurde Komik des Déjà-vu. Sie erkennen im Gestus des Ministers den alten Reflex des Vergessens, nur neu verpackt: „Wir würden ja, aber…“ – dieser Satz ist die eigentliche deutsche Konstante, das inoffizielle Staatsmotto zwischen Bequemlichkeit und Bedenken.

Die Alten lachen, weil sie wissen, dass jede Ruine eine Frage stellt: Wer schaut hin, wer baut auf, wer schaut weg? Und sie lachen, weil sie ahnen, dass Jo und seine Kollegen die Ruinen lieber in der Ferne belassen, damit sie als Beweis dienen, wie schlimm die Welt ohne deutsche Prinzipien aussieht. Das Elend wird zum Ausstellungsstück der moralischen Überlegenheit.

Man könnte fast sagen, Jo betreibt Denkmalschutz an der Zerstörung. Je länger Syrien in Schutt liegt, desto länger bleibt das eigene Mitgefühl frisch, der moralische Kredit unangerührt. Nichts verdirbt schneller als konkrete Hilfe; sie riecht nach Verantwortung. Symbolische Solidarität dagegen hält ewig, besonders, wenn sie in Talkshows serviert wird.

IV. Der Wiederaufbau als deutsche Berufung – oder: Wir können nicht anders

„Wer, wenn nicht wir?“ – dieser Satz ist so herrlich zweideutig, dass man ihn sich auf eine Gedenktafel meißeln könnte. Er klingt nach Verantwortung, meint aber oft: Bitte jemand anderes.
Dabei liegt im deutschen Wesen, wenn man der Geschichte trauen darf, eine fast religiöse Lust am Wiederaufbau. Es ist unsere nationale Ersatzhandlung für Erlösung. Wir lieben Trümmer, solange sie unsere sind. Wir lieben das Aufstehen, weil es uns von der Schuld erlöst. Aber beim Aufstehen anderer schauen wir lieber zu.

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Vielleicht ist das das eigentliche Geheimnis unserer Außenpolitik: Wir sind Wiederaufbauexperten in der Theorie, aber Pazifisten im Praktischen. Wir bauen nur dort, wo man uns hinterher lobt. Wo kein Lob, da keine Lust. Syrien? Zu kompliziert. Zu gefährlich. Zu zerstört.
Manchmal scheint es, als sei „Zerstörung“ für Jo Wadephul weniger eine Realität als ein willkommenes Argument, um sich nicht zu sehr zu engagieren.

V. Schluss mit dem Schutt – oder: Die Ironie des Wiederaufbauimperativs

Am Ende bleibt die große, sarkastische Pointe: Deutschland, das Land der Wiederaufbauer, erkennt plötzlich die Vorteile der Zerstörung. Sie hält fern, was anstrengend wäre. Sie liefert gute Bilder und schlechte Ausreden. Sie lässt uns moralisch erhaben erscheinen, während wir auf den Trümmern anderer unsere Selbstgerechtigkeit errichten.

Und irgendwo, in einem Konferenzsaal des Auswärtigen Amts, lehnt sich Jo Wadephul zurück, nippt an einem Glas stillen Wassers und sagt in seiner bedächtigsten Stimme: „Wir müssen Verantwortung zeigen – aber mit Augenmaß.“ Ein Satz, der klingt, als hätte man die deutsche Nachkriegsgeschichte in Watte gepackt und ihr das Herz herausgenommen.

Draußen stehen Touristen vor der rekonstruierten Frauenkirche, bewundern die Sandsteinfassade, und niemand fragt, ob es richtig war, sie wieder aufzubauen. Die Antwort ist ohnehin bekannt:
Wer, wenn nicht wir.

Nur diesmal lacht keiner. Außer den Alten. Und vielleicht – ganz leise – die Ruinen selbst.

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