Es ist sicherlich ein Treppenwitz der Religionsgeschichte, dass ausgerechnet die beiden vielleicht missverstandensten Himmelsbeamten – Lucifer, der ewige Buhmann des abendländischen Katechismus, und Melek-Taus, der stolze Pfauenengel der Jesiden, der von Außenstehenden gern reflexartig als „versteckter Satan“ deklariert wurde – in einem imaginären, metaphysischen Boxkampf gegeneinander antreten sollen. Ein göttliches Showdown Deluxe, als hätten die Erzengel beschlossen, die himmlische Ordnung mit einer Prise Reality-TV-Würze zu garnieren. Beiden Figuren haftet das hartnäckige Parfum der Rebellion an, doch wie bei allen rebellischen Gestalten ist unklar, ob sie nun gegen die Tyrannei des Absoluten protestieren oder lediglich den Wunsch verspüren, in irgendeinem kosmischen Sitzungsprotokoll endlich einmal falsch verstanden zu werden. Das macht sie zu idealen Kontrahenten für ein Essay, das sich dem Spannungsverhältnis zwischen Mythos, Projektion und moraltheologischer Abfallwirtschaft mit einer gehörigen Portion Polemik widmet – denn schließlich brauchen wir im 21. Jahrhundert dringend neue Formen des göttlichen Entertainments.
Der eine fiel, der andere kniete – und beide wurden dafür verurteilt
Lucifer ist in der westlichen Tradition so etwas wie der archetypische Pechvogel der Mythopoetik: Er stolpert über seinen eigenen Stolz, fällt, und seither trägt er den Ruf des ultimativen Bösewichts wie ein unkündbares Arbeitsverhältnis mit sich herum. Natürlich gab es Momente, in denen man ihm gerne zugestehen würde, einfach nur einen schlechten Tag gehabt zu haben. Vielleicht hatte er nur den falschen Ratgeber, vielleicht war die himmlische Büropolitik etwas zu autoritär, oder vielleicht war er schlicht der Erste, der den Mut hatte, das himmlische Status-quo-Spreadsheet zu kritisieren. Doch die christliche Imagination – immer ein wenig süchtig nach dramaturgischen Schwarz-Weiß-Kontrasten – entschied sich für die einfache Lösung: Rebell = Böse = Aus dem Paradies raus.
Melek-Taus hingegen demonstriert dieselbe Haltung – Stolz, Unbeugsamkeit, Selbstbehauptung –, doch die Erzählung kippt bei den Jesiden in eine völlig andere Richtung: Sein Nicht-Kniefall ist kein Akt satanischer Hybris, sondern eine ultimative Treueerklärung. Ein semantischer Salto, der zeigt, wie sehr religiöse Geschichten davon abhängen, wer gerade das Drehbuch schreibt. Die Jesiden sehen in ihm keinen gefallenen Geist, sondern einen Engel, der seinen Auftrag bis zum dogmatischen Anschlag ernst nimmt. Das ist im Grunde die spirituelle Version eines Mitarbeiters, der zu sehr an die interne Firmenphilosophie glaubt – und dennoch posthum als Betriebsfehler deklariert wird, weil die Konkurrenz eine aggressivere PR betreibt.
Der Kampf um die Deutungshoheit: Kosmische PR-Strategien
Wenn zwei mythologische Figuren derart divergierende Rollen in der Menschheitsfantasie spielen, stellt sich die Frage, ob es hier wirklich um metaphysische Wahrheit geht oder schlicht um Marketing. Lucifer bekommt das Hollywood-Bösewicht-Paket: Hörner, roter Satin, suboptimale Hautpflege und der Charme eines erfolglosen Influencers, der verzweifelt versucht, seine Followerzahl im Hades zu erhöhen. Melek-Taus dagegen schmückt die Federn eines Pfaues, ein Tier, das so unverschämt selbstbewusst ist, dass es schon als Symbol gilt, bevor es sich überhaupt bewegt. Da überrascht es wenig, dass viele Außenstehende irritiert reagieren: Ein Engel, der aussieht wie ein überdimensionierter Pride-Month-Dekorationsartikel und gleichzeitig weltgeschichtliche Verantwortung trägt – das ist für monotheistische Puristen offenbar ästhetisch zu anspruchsvoll.
Doch was beide verbindet, ist die Frage: Wer definiert eigentlich, welches Wesen „böse“ ist? Wenn Teologie das kollektive Ergebnis eines jahrtausendelangen Storytellings ist, dann sind Lucifer und Melek-Taus lediglich Opfer eines literarischen Framing-Problems. Vielleicht hätte Lucifer in einer anderen Kultur eine Fanbase gehabt, die ihn als tragischen Idealisten feiert, während Melek-Taus bei entsprechend feindlicher Redaktion als kosmischer Querulant gebrandmarkt worden wäre. Man darf vermuten, dass sich im göttlichen Archiv noch zahlreiche unveröffentlichte Skripte befinden, in denen beide völlig andere Rollen einnehmen – etwa in musicalartigen Himmelsrevuen oder in himmlischen Satire-Magazinen, die leider nie das Licht der Welt erblickten.
Moralische Ambiguität oder: Der Mensch braucht seine Bösewichte
Natürlich ist die eigentliche Pointe, dass beide Figuren weniger über sich selbst als über die Menschen aussagen, die sie erfunden, überhöht oder diffamiert haben. Lucifer ist der idealtypische Ort, auf den das Abendland seine dunklen Impulse projiziert – ein metaphysischer Container für alles, was man nicht im eigenen Keller finden möchte. Melek-Taus wiederum ist das Paradebeispiel dafür, wie Religionsgemeinschaften von Außen zu „anderen“ gemacht werden, indem man ihre Symbolfiguren vorschnell in vertraute Muster presst. Das ist die spirituelle Variante des App-Design-Prinzips: Wenn du etwas nicht verstehst, pack es in ein Interface, das du kennst. Auch wenn es überhaupt nicht passt.
Interessanterweise demonstrieren beide Gestalten, dass der Mensch moralische Ambiguität nur sehr schlecht aushält. Eine Figur, die weder eindeutig gut noch eindeutig böse ist, überfordert das theologische System – ähnlich wie ein Betriebssystem, das eine Datei nicht öffnen kann und sie daher kurzerhand in den Papierkorb verschiebt. Das Ergebnis ist ein Jahrtausende währender Informationskrieg, in dem beide Engel mit denselben Eigenschaften völlig gegensätzlich bewertet werden. Aus Stolz wird Hybris, aus Loyalität wird Rebellion, aus kosmischem Auftrag wird persönlicher Fehltritt. Und dazwischen stehen wir, etwas verwirrt, und fragen uns, warum die göttliche Weltordnung offensichtlich dieselben Unzulänglichkeiten hat wie ein schlecht moderiertes Diskussionsforum.
Epilog: Zwei Engel, ein Missverständnis, und die Menschheit im Zuschauerraum
Wie würde das himmlische Duell also ausgehen, wenn man beide Protagonisten auf eine metaphysische Bühne stellt und sagen würde: „So, klärt das jetzt unter euch!“? Wahrscheinlich würden Lucifer und Melek-Taus gar nicht kämpfen. Vielleicht würden sie sich bei einem ambrosischen Getränk darüber austauschen, wie anstrengend menschliche Interpretationen sind. Vielleicht würden sie lachend feststellen, dass sie – jede Kultur für sich – nur als Projektionsflächen dienen, während niemand auf die Idee kommt, sie nach ihrer eigenen Sichtweise zu fragen.
Und genau darin liegt die satirische Essenz dieses Essays: Der Mensch konstruiert sich Engel und Dämonen nach seinem Geschmack, je nachdem, welche moralische Landschaft gerade dekoriert werden soll. Am Ende sind Lucifer und Melek-Taus nicht die Antagonisten eines kosmischen Dramas, sondern lediglich zwei Figuren, die in verschiedenen Traditionen unterschiedliche Kostüme tragen – mal schwarz, mal bunt – und trotzdem stets missverstanden werden. Vielleicht wären sie im realen Himmel die besten Freunde, geeint durch die Erfahrung, jahrtausendelang von einem Publikum beurteilt worden zu sein, das seine eigenen Schatten lieber externalisiert.
Ein wahrhaft teuflisch-engelhaftes Missverständnis – mit Federn, Feuer und einem Augenwinkern.