Wenn Logik weiblich wird

Über den unsichtbaren Schalter der Verantwortung

„Eigentlich ganz logisch“, denkt man sich und staunt doch, wie selten einfache, klare Schlussfolgerungen in der Geschichte der Menschheit umgesetzt wurden. Golda Meir, Israels legendäre Premierministerin, brachte es auf den Punkt, als sie eine scheinbar radikale Idee vorschlug, die eigentlich… nun ja, logisch war: Wenn Frauen nachts Opfer von Übergriffen werden, warum sollten dann nicht Männer – die Täter – zuhause bleiben, anstatt den Frauen die Freiheit zu rauben? Eine einfache Umkehr der Perspektive, die sich wie ein frischer Windstoß anhört und doch eine jahrhundertealte Luft von Staub aufwirbelt: Warum müssen immer die Opfer ihre Freiheit einschränken und nicht die Täter? Es ist eine Frage, die nicht nur logisch ist, sondern fast satirisch anmutet in ihrer Selbstverständlichkeit – und genau das macht sie so unbequem.

Aber natürlich, es wäre zu einfach, das wirklich umzusetzen. Die Empörung, die ein solcher Vorschlag auslösen könnte, hätte wahrscheinlich das Potenzial, ganze Parlamentsgebäude in Schwingungen zu versetzen. Denn wir alle wissen: Verantwortung ist wie ein heißer Kartoffelklumpen, den niemand lange halten will. Besonders dann nicht, wenn sie von der Hälfte der Bevölkerung erwartet wird, die zufällig am lautesten schreit, sie trage doch schon genug davon.

Logik als feministische Subversion

Golda Meirs Einwurf war nicht nur eine brillante rhetorische Volte, sondern ein Schlag ins Gesicht der gängigen Logik – jener Logik, die, wenn man ehrlich ist, weniger logisch ist als bequem. Denn was war der Vorschlag des Ministers anderes als eine Verlängerung eines seit Jahrhunderten etablierten Systems, das Frauen auf Schritt und Tritt reglementiert? Frauen sollen sich anpassen, sich schützen, ihre Kleidung überdenken, ihre Wege strategisch planen und jetzt auch noch nächtliche Ausgangssperren einhalten. Warum? Weil das Problem, so wird suggeriert, irgendwie an ihnen klebt.

Die Idee, dass die Männer, also diejenigen, die potenziell eine Gefahr darstellen, eingesperrt werden könnten, kehrt diese Logik in ihrer ganzen Absurdität um. Doch Achtung, Satire! Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass solche Ideen völlig unpraktisch sind, weil – und hier kommt der Lieblingssatz aller Verteidiger des Status quo – „man das ja nicht kontrollieren kann“. Seltsam nur, wie einfach es scheint, Frauen Vorschriften zu machen. Die Logik, die Golda Meir durchbricht, ist keine Logik. Es ist die jahrhundertealte Kunst, die Verantwortung so zu drehen, dass sie immer dort landet, wo sie am wenigsten Widerstand hervorruft: bei den Opfern.

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Männer in der Höhle – Eine urbane Utopie

Stellen wir uns das einmal vor: Eine Stadt, in der Männer nach Einbruch der Dunkelheit tatsächlich zuhause bleiben müssen. Was für eine dystopisch-komische Vision: Männer, die sich gegenseitig in WhatsApp-Gruppen trösten, weil sie die nächste After-Work-Party verpassen, während Frauen zum ersten Mal in Ruhe durch die nächtlichen Straßen schlendern könnten. Keine nervigen Catcalls, keine nervösen Blicke über die Schulter, keine Schlüssel als improvisierte Waffen zwischen den Fingern. Man könnte fast meinen, es wäre der Beginn einer völlig neuen urbanen Kultur – oder zumindest einer ruhigen Nacht.

Aber die Frage bleibt: Was würde passieren, wenn diese utopische Ausgangssperre tatsächlich durchgesetzt würde? Sicherlich würde man uns bald mit Untersuchungen über die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen überrollen. Männer zuhause? Die Bars und Fußballstadien würden pleitegehen. Die Lieferdienste könnten den Andrang der Bierbestellungen nicht mehr bewältigen. Und das Schlimmste: Wer würde in Talkshows die alten, aber bewährten Argumente von biologischer Natur und „Jungs sind eben Jungs“ vortragen? Ein echter Verlust für die Gesellschaft.

Die Kunst, die Verantwortung zu verschieben

Es ist faszinierend, wie geschickt sich die gesellschaftliche Logik in solchen Situationen immer wieder windet. Der Vorschlag, Männer zuhause zu lassen, wird belächelt, als weltfremd abgetan oder schlicht ignoriert. Warum? Weil er die Verantwortung von den Schultern der Frauen auf die Männer überträgt – ein Gedanke, der so revolutionär ist, dass er selbst heute noch wie ein Donnerschlag wirkt.

Die Wahrheit ist jedoch: Der Vorschlag, Frauen zuhause einzusperren, ist nicht weniger absurd. Er wird nur nicht so empfunden, weil wir kollektiv daran gewöhnt sind, dass Frauen die Hauptlast der Verantwortung für die eigene Sicherheit tragen sollen. Frauen sollen sich schützen, Männer hingegen… sollen einfach weitermachen. Es ist eine absurde Dichotomie, die sich bei näherem Hinsehen wie eine Karikatur des gesellschaftlichen Denkens entlarvt.

Satire oder Realität

Golda Meirs Vorschlag war rhetorisch gemeint (war er das?) – aber wie oft verraten gerade solche satirischen Einwürfe mehr über die Realität, als uns lieb ist? Die Vorstellung, dass Frauen ihre Freiheit verlieren sollen, um die „Ordnung“ zu wahren, zeigt, wie tief verwurzelt die Logik der Opferbeschuldigung in unserer Kultur ist. Gleichzeitig entlarvt die Ablehnung der Idee, Männer zuhause zu lassen, wie wenig wir tatsächlich bereit sind, Verantwortung dort zu verorten, wo sie hingehört.

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Denn letztlich ist die Frage doch: Was wäre, wenn wir tatsächlich einen Moment innehalten und sagen würden: Eigentlich ist das ganz logisch? Die Antwort darauf verrät nicht nur, wie unsere Gesellschaft funktioniert, sondern auch, warum sie sich so schwer damit tut, grundlegende Ungerechtigkeiten zu ändern.

Freiheit als Privileg

Vielleicht ist es das, was Golda Meirs Vorschlag so provokant macht: Er zeigt auf, dass Freiheit in unserer Gesellschaft oft als etwas betrachtet wird, das nur für die Hälfte der Bevölkerung selbstverständlich ist. Die Freiheit der Männer, nachts durch die Straßen zu ziehen, wird als unantastbar betrachtet. Die Freiheit der Frauen hingegen wird ständig gegen andere Werte abgewogen – Sicherheit, Moral, gesellschaftliche Normen.

Aber was, wenn wir wirklich einmal konsequent wären? Was, wenn wir tatsächlich die Freiheit der Frauen in den Vordergrund stellen würden und nicht nur in symbolischen Sonntagsreden? Die Antwort ist unbequem, denn sie würde bedeuten, dass wir unsere gesamte gesellschaftliche Logik infrage stellen müssten. Und genau das ist der Grund, warum so viele Menschen den Vorschlag von Golda Meir lieber als humorvolle Anekdote abtun, anstatt ihn ernsthaft zu diskutieren.

Ein kleiner Schritt für die Logik, ein großer Sprung für die Menschheit

Golda Meirs Kommentar ist mehr als nur ein cleverer Einwurf. Er ist eine radikale Infragestellung dessen, was wir als selbstverständlich betrachten. Er fordert uns auf, die Logik hinter unseren Entscheidungen zu hinterfragen – und das nicht nur in Bezug auf Geschlechterrollen, sondern in Bezug auf jede Form von Verantwortung, die wir gerne delegieren, verschieben oder uns von der Haut schaffen.

Denn eigentlich ist es ganz logisch: Verantwortung beginnt dort, wo das Problem entsteht – und nicht bei denen, die darunter leiden.


Quellen und weiterführende Links

  1. Meir, Golda. Mein Leben: Erinnerungen. Ullstein, 1975.
  2. „Golda Meir und die Nachtlogik.“ Haaretz, Artikel vom 3. November 2023.
  3. „Warum Frauen immer noch Verantwortung tragen.“ The Guardian, 2022.
  4. „Die Logik der Opferbeschuldigung.“ Zeit Online, Essay vom 15. April 2021.
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