Wenn die Freiheit sich schnäuzen geht

Ein Gesetz wie ein Hustensaftbeipackzettel

Deutschland hat eine große Begabung: Während anderswo Revolutionen, Aufstände oder wenigstens ein paar brennende Autos die Bevölkerung aufrütteln, gelingt es der Bundesrepublik regelmäßig, selbst die gravierendsten Einschnitte in die Grundrechte so zu formulieren, dass sie wirken wie die harmlose Gebrauchsanweisung eines Heizlüfters. So nun auch beim Gesetzentwurf zur Zustimmung zu den überarbeiteten Internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO.

Da liest man in Artikel 2 mit der Gelassenheit eines Steuerbeamten beim Sonntagskaffee: Ja, ach übrigens, Grundrechte könnten eingeschränkt werden – körperliche Unversehrtheit, Bewegungsfreiheit, Briefgeheimnis. Ein kleiner Rundumschlag durch die Verfassung, so beiläufig eingestreut wie der Hinweis auf mögliche Nebenwirkungen bei einem Hustensaft: Kann Schläfrigkeit, Übelkeit und leichte Auflösung der Demokratie hervorrufen.

Die Faktenchecker, die sich verrechnet haben

Noch vor wenigen Wochen hatten dieselben Stimmen, die stets wie Schutzengel der amtlichen Wahrheit auftreten, den Bürgern süß ins Ohr geflüstert: „Keine Sorge, liebe Untertanen, die WHO-Regeln sind doch nur Empfehlungen, ein freundlicher Rat wie der von Oma, man solle mehr Zwiebeln essen.“

Nun aber stellt sich heraus, dass die Bundesregierung in ihrem eigenen Entwurf offen zugibt, was angeblich gar nicht zur Debatte stand: dass man sich Rechte nehmen lassen kann, wenn die internationale Gesundheitsbehörde „Hatschi“ sagt. Korrigieren die Faktenchecker nun ihre Faktenchecks? Oder gilt hier die deutsche Spezialität, wonach nicht die Wirklichkeit, sondern die Haltung zur Wirklichkeit korrekt sein muss?

Die WHO als neue Hausärztin der Nation

Die Vorstellung ist charmant: In Berlin wird ein Gesetz geschrieben, das die Hoheit über Freiheit und Körperlichkeit quasi an die WHO weiterreicht – eine Organisation, die niemand gewählt hat, die aber sehr fleißig Empfehlungen schreibt, ähnlich wie ein Hausarzt, der statt eines Attests lieber eine ganze Enzyklopädie aushändigt.

Empfehlungen, so heißt es, seien nicht bindend. Aber in Deutschland ist das so: Wenn ein Amt etwas empfiehlt, dann ist das ungefähr so unverbindlich wie die Steuererklärung. Wer glaubt, er könne „frei entscheiden“, bekommt es bald mit einem Maßnahmenkatalog zu tun, der an Länge und Dramatik jeder IKEA-Anleitung überlegen ist.

TIP:  Die wortlose Zivilisation

Die Demokratie im Wellnessbereich

Man stelle sich die Szene vor: Die Verfassung sitzt entspannt im Liegestuhl, nippt an einer Apfelschorle und nickt freundlich, während eine supranationale Organisation Handtücher auf die demokratische Sonnenliege wirft. Die Regierung erklärt dazu in betulichem Ton: „Keine Sorge, alles nur Wellness. Ein bisschen Einschränkung hier, ein wenig Freizügigkeit da, das lockert die Grundrechte, macht sie geschmeidig für den Ernstfall.“

So wird Souveränität zur Aromatherapie: Man legt sie auf heiße Steine, atmet tief durch und schwitzt sie leise aus.

Opposition auf Rezept

Während SPD, Union, FDP und Grüne in geradezu musterhafter Einigkeit die internationale Gesundheitskooperation feiern, melden sich nur zwei kleine Störenfriede: die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Ein ungleiches Paar, vereint im Widerstand – eine Art politisches Schmalspur-Märchen, in dem Rotkäppchen und der Wolf gemeinsam gegen den Förster aufbegehren.

Brandenburg hat das Schauspiel bereits geliefert: Dort regiert das BSW mit und sagt nun trotzdem laut „Nein“. Man könnte fast meinen, in der Provinz herrscht mehr demokratisches Muskelspiel als im gesamten Bundestag.

Die Stille nach dem Niesen

Bemerkenswert ist jedoch, wie still es im Land geblieben ist. Kein Aufschrei, keine Massenproteste, nicht einmal eine anständige Schlagzeile, die den Puls hochtreibt. Stattdessen liest man von Urlaubsempfehlungen, Fußball-Transfers und der Hitzeentwicklung in südeuropäischen Freibädern.

Vielleicht liegt es daran, dass die Deutschen das Niesen zur politischen Kategorie erhoben haben: Man hört es, man zuckt, man sagt „Gesundheit“ – und geht sofort wieder zur Tagesordnung über. Dass die eigene Bewegungsfreiheit im nächsten Krisenfall auf Rezept rationiert werden könnte, interessiert weniger als die Frage, ob der Bierpreis auf dem Oktoberfest steigt.

Schlussdiagnose: Demokratie mit Beipackzettel

So stehen wir nun da, im August 2025: Ein Gesetz, das Grundrechte einschränkt, versteckt sich hinter dem freundlichen Gesicht der internationalen Gesundheitskooperation. Die Regierung nickt, die Opposition bellt, das Volk gähnt.

Man könnte meinen, die Freiheit selbst sei inzwischen eine dieser alten Hausapotheken: irgendwo hinten im Schrank, in einer zerknitterten Schachtel, längst abgelaufen, aber man hebt sie noch auf – man weiß ja nie. Und wenn dann tatsächlich eine Krise kommt, sagt die Regierung: „Bitte nehmen Sie täglich eine Einschränkung nach WHO-Vorgabe, unzerkaut, mit einem Glas lauwarmer Demokratie.“

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