Wenn der Strom nicht fließt, aber die Pointen sprühen

Es gibt historische Momente, in denen sich die Menschheit fragt, ob sie dem Fortschritt nun jubelnd entgegenschreitet oder ihm mit einer Fackel in der einen und einem Verlängerungskabel in der anderen Hand hinterherhinkt. Die Verabschiedung des neuen Elektrizitätswirtschaftsgesetzes – jener 150-seitigen, 191-paragrafigen literarischen Großform, die wie ein Kafka-Roman beginnt und wie eine technische Bedienungsanleitung endet – gehört zweifellos zu diesen Sternstunden der politischen Pyrotechnik. Und weil im Sitzungssaal des österreichischen Parlaments die Funken flogen, ohne dass dabei irgendjemand Gefahr lief, eine Übertragungsleitung zu überhitzen, darf man getrost fragen: Soll ich jetzt eigentlich heizen – oder heizt man erst nach Abschaffung der Merit-Order?
Eine Frage, die in ihrer absurden Klarheit jede noch so gut gemeinte Reform zu einem schmelzenden Eiswürfel im heißen Suppentopf der energiepolitischen Realität macht.

Wenn die Politik den Strommarkt erklärt – und der Strommarkt höflich nickt

Schön ist es ja immerhin, dass ein neuer Rechtsrahmen für einen „sich schnell wandelnden Markt“ geschaffen wurde. Märkte wandeln sich bekanntlich gern schnell, wenn man sie lang genug ignoriert. Und so präsentiert man nun voller Stolz eine Reform, die – wie die anwesenden Parlamentarier nicht müde wurden zu betonen – die größte seit zwanzig Jahren sei. Da es sich aber in sämtlichen Bereichen des modernen Lebens empfiehlt, bei Gigantismen vorsichtig zu sein (man denke an Lebensmittelverpackungen, die „extra groß!“ versprechen und nur voller Luft sind), sollte man doch zumindest kurz innehalten:

Groß ist hier nämlich vieles – insbesondere die Hoffnung, dass Strompreise „runtergehen“, während gleichzeitig Netze modernisiert, Speicher befreit und Tarife gedeckelt werden; ein politökonomisches Perpetuum Mobile, das allein schon deshalb unmöglich ist, weil bei jeder politischen Bewegung mehr Reibung entsteht als in einem schlecht gewarteten Umspannwerk.

Der Sozialtarif: Die Quadratur des sozialen Kreises mit Energieleitwert

Man darf den Architekten dieser Energiewende-Miniaturausgabe nicht vorwerfen, dass sie es nicht gut meinen. Da werden 290.000 Menschen zu Gewinnern ausgerufen, die künftig rund 300 Euro sparen. Eine mathematische Schönheit, die sich aus 2.900 Kilowattstunden zu sechs Cent ergibt – eine Preisgestaltung, die an jenen religiösen Glauben grenzt, dass Energieunternehmen plötzlich Wohltätigkeitsorganisationen werden, nur weil man ihnen politisch die Daumenschrauben anzieht.

Doch in Wahrheit ist der Sozialtarif ein Meisterstück der politischen Alchemie: Man nimmt Geld von Energieunternehmen, die dadurch selbstverständlich nicht etwa ihre Marge „ein wenig senken“, sondern fröhlich die Kostenverlagerungs-Maschine anwerfen werden. Die Vorstellung, dass man Stromkosten dauerhaft senken könne, ohne auch nur einmal die Merit-Order zu erwähnen (außer im leisen Nebensatz, dass sie eigentlich abgeschafft gehört, aber heute leider, leider nicht im Angebot war), ist ungefähr so realistisch wie die Hoffnung, ein Smart Meter könne einem persönlich die Zukunft vorhersagen.

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Der große Strommarktdeckel: Politische Thermodynamik mit Garantie

Was wäre eine Reform ohne Deckel! In der Politik gilt der Tarifdeckel als das, was in der Küche der Topfdeckel ist: Er soll verhindern, dass etwas überschäumt. Dass in der Realität eher die Herdplatte raucht, während der Deckel klappert, stört dabei niemanden. Der Zehn-Cent-Deckel leuchtet jedenfalls wie ein Hoffnungsschimmer am Horizont – vorausgesetzt, der Energiepreis explodiert vorher ordentlich. Erst wenn es knallt, greift der Mechanismus. Das ist, als würde ein Airbag nur dann auslösen, wenn das Auto bereits in zwei Teile gespalten ist.

Aber immerhin wird man sechs Monate lang geschützt. Ein halbes Jahr Komfortzone im Energiesturm – wie ein Heizlüfter in einer zugigen Berghütte: warm, aber mit externer Stromzufuhr.

Netzausbau, Kappungen, Speicher – die neue Dreifaltigkeit der Effizienzversprechen

Spitzenkappungen. Man muss dieses Wort einige Male laut aussprechen, um seinen vollen bürokratischen Wohlklang zu genießen. Babys sollten danach nicht benannt werden, aber als technokratisches Zauberwort erfüllt es seinen Zweck: Die eingespeiste Leistung wird gedrosselt, aber nur ganz wenig, versprochen, nicht mehr als ein Prozent pro Jahr.

Wer je eine Photovoltaikanlage auf dem Dach hatte, weiß natürlich: Wenn der Himmel im Sommer brennt, brennt auch der Wechselrichter. Und dann kommt die Netzbehörde mit dem metaphorischen Feuerlöscher und sagt: „Wir nehmen nur ein Prozent weg.“
Das ist ungefähr so beruhigend, als würde die Feuerwehr versichern, sie lösche nur die Hälfte des Hauses, aber dafür sehr gründlich.

Positiv hervorzuheben: Batteriespeicher werden nun „systemdienlich“. Das klingt nach Rehabilitationsmaßnahme für ungezogene Lithium-Ionen-Zellen – aber gut, wenn sie ihren Weg in die Gesellschaft finden sollen, dann bitte ohne Netzentgelt. Schließlich will man ja nicht jeden neuen Bürger mit Gebühren begrüßen.

Die große Harmonie: Wenn alle einer Meinung sind – außer denen, die es nicht sind

Es ist beeindruckend, wie stolz die Regierungsfraktionen erklären, man habe nun „Entlastungen“ erzielt. Die Opposition hält dagegen mit Worten wie „Mogelpackung“ oder „macht nichts billiger“. Und zwischen diesen beiden Polen steht die Bevölkerung, die nun darüber rätselt, ob sie sich Strom künftig leisten kann, solange sie ihre Anlage auf 20 Kilowatt Peak auslegt und mit systemdienlichen Speicherbatterien jongliert wie ein energiepolitischer Zirkusartist.

Und nun? Heizen oder nicht heizen? Das ist die Frage des Winters

Man könnte meinen, nach einem solchen Gesetzespaket sei die Antwort klar: Natürlich heizen!
Doch die Merit-Order steht wie ein schlecht gelaunter Türsteher vor dem Heizkörper und sagt: „Nicht ohne mich.“ Solange Gas den Strompreis bestimmt, sind alle Reformbemühungen nur eine höfliche Umdekorierung der strukturellen Realität.

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Und so bleibt die Frage aller Fragen – jene, die irgendwo zwischen politischer Satire und physikalischer Notwendigkeit schwebt:
Heizt man jetzt aus Solidarität, aus Überzeugung oder einfach deshalb, weil der Winter es verlangt?

Vielleicht ist die ehrlichste Antwort:
Man heizt – aber man heizt mit einem gewissen Zynismus. Man dreht den Thermostat hoch und denkt dabei an Spitzenkappungen, Sozialtarife, Tarifdeckel und all die großen Worte kleiner Politiker.
Und man lächelt augenzwinkernd, weil man weiß: Die wirkliche Reform, die den Strompreis nachhaltig entlasten würde, steht weiterhin im Raum wie ein Elefant auf einer stromlosen Bühne.
Und sie heißt: Abschaffung der Merit-Order.

Bis dahin aber dürfen wir satirisch frieren – oder polemisch schwitzen. Je nach Netzlast.

Die Erfindung der falschen Tonlage

Es beginnt, wie alle großen Tragikomödien der Moderne beginnen: mit einem Beschluss. Kein dramatischer Donner, kein Zittern der Weltordnung, sondern ein Dokument, datiert, abgestimmt, nummeriert. Vierzehn Personen und zwei Organisationen, säuberlich aufgelistet wie ein schlecht gelauntes Klassentreffen, dem man fernbleiben wollte, wären da nicht Sanktionen. Die Europäische Union, diese merkwürdig janusköpfige Konstruktion aus Friedenspreis und Verwaltungsakt, greift zum Instrumentarium der Strafe, nicht wegen Taten im klassischen Sinne, sondern wegen Erzählungen. Narrative, dieses weiche Wort aus dem Werkzeugkasten der Kulturwissenschaften, wird plötzlich hart wie ein Schlagstock. Nicht was getan wurde, sondern was gesagt, gedacht, vermutet oder gar behauptet wurde, gilt als Bedrohung. Die Tonlage stimmt nicht. Und wer falsch singt, fliegt aus dem Chor der Anständigen.

Der Ex Oberst als literarische Figur

Jacques Baud, ehemaliger Oberst, Schweizer, also per kultureller Zuschreibung neutral bis zur Verdächtigkeit, eignet sich hervorragend als Hauptfigur in diesem Drama. Ein Mann, der seine militärische Laufbahn hinter sich gelassen hat, um sich der unerquicklichsten aller zivilen Tätigkeiten zu widmen: dem Reden. Er tritt auf, so heißt es, in prorussischen Sendungen auf. Schon dieses Wort, „prorussisch“, ist ein kleines Meisterwerk der semantischen Vereinfachung. Es ersetzt Analyse durch Richtung, Argument durch Fahne. Baud behauptet Dinge, die man nicht hören will. Er sagt, die Ukraine habe etwas in Kauf genommen. Allein dieses In Kauf nehmen ist eine Provokation, weil es Handlungsmacht suggeriert, wo man lieber Opferstatus verordnet. Baud wird so zur Romanfigur wider Willen, zum ketzerischen Erzähler, der an der falschen Stelle den Vorhang hebt.

Die neue Theologie der Sicherheit

Sicherheit ist das große Sakrament unserer Zeit. In ihrem Namen darf alles gesagt werden, außer dem Falschen. Was falsch ist, entscheidet ein Gremium, das sich auf Dokumente beruft, die wiederum auf Einschätzungen beruhen, die aus Quellen stammen, deren Narrative die richtigen sind. Ein hermetischer Kreislauf, der so perfekt geschlossen ist, dass jede Abweichung wie Sabotage wirkt. Dreizehn Mal, so wird es notiert, taucht der Vorwurf der falschen staatlichen, diplomatischen oder außenpolitischen Narrative auf. Man möchte fast applaudieren für diese numerische Präzision. Dreizehn Mal Irrtum, dreizehn Mal Häresie. Die neue Theologie kennt keine Gnade, nur Korrektheit. Und wer außerhalb des Kanons spricht, gefährdet nicht nur den Diskurs, sondern gleich die Sicherheit ganzer Drittländer, ein Begriff, der so vage ist, dass er alles und nichts meint.

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Meinungsvielfalt als Sicherheitsrisiko

Sind strittige Meinungen eine Bedrohung? Die Frage wirkt naiv, fast altmodisch, wie aus einer Zeit, in der man glaubte, dass Wahrheit durch Streit ans Licht komme. Heute weiß man es besser. Streit erzeugt Unsicherheit, Unsicherheit erzeugt Zweifel, Zweifel unterminiert Geschlossenheit, und Geschlossenheit ist die neue Währung der Politik. Die Sanktion wird zur pädagogischen Maßnahme, zur erzieherischen Ohrfeige für all jene, die glauben, Denken sei ein individuelles Recht und kein delegierter Akt. Dass unter den Sanktionierten Franzosen und US Amerikaner sind, also Bürger jener Länder, die sich gern als Exportmeister der freien Rede verstehen, verleiht dem Ganzen eine ironische Note, die selbst ein Satiriker kaum besser hätte erfinden können.

Die Bürokratie als Erzählerin

Man stelle sich die Szene vor, nicht als Verschwörung, sondern als Alltag: Beamte, die Formulierungen feilen, Juristen, die Worte abwägen, Kommunikationsstrategen, die überlegen, wie man Sanktionen wegen Gedanken so formuliert, dass sie nicht wie Sanktionen wegen Gedanken klingen. Es ist ein literarischer Akt, dieses Schreiben von Begründungen. Jeder Satz ein Balanceakt zwischen Härte und Legitimation. Der Ratsbeschluss wird so selbst zum Narrativ, das vorgibt, lediglich Realität abzubilden, während es sie gleichzeitig erschafft. Baud wird nicht sanktioniert, weil er recht oder unrecht hat, sondern weil er erzählt. Und Erzählen ist Macht.

Das Augenzwinkern der Geschichte

Man könnte lachen, wenn es nicht so ernst gemeint wäre. Oder gerade deshalb. Die Geschichte zwinkert uns zu, wie sie es immer tut, wenn sie alte Muster in neue Verpackungen steckt. Früher nannte man es Zensur, dann Disziplinierung, heute heißt es Schutz vor Desinformation. Der Zynismus liegt nicht in der Maßnahme selbst, sondern in der Überzeugung, man könne durch Listen und Verbote das Unordentliche des Denkens bändigen. Das Essay endet, wie es begonnen hat, ohne Donner, aber mit einem leisen, ironischen Nachhall: Die größte Bedrohung für jede Ordnung war noch nie die falsche Meinung, sondern die Angst vor ihr.

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