Wenn der Patient Deutschland lacht – und keiner den Notarzt ruft

Über ein klimapolitisches Selbstexperiment zwischen Hybris, Realitätsverlust und der Kunst, sich selbst auf die Schulter zu klopfen, während man fällt.

Es gibt Momente, da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Und dann gibt es Momente, da lacht die ganze Welt – nur Deutschland hält sich die Ohren zu. Der neueste Bericht des Weltenergierats fällt in die zweite Kategorie. Über 100 Experten aus fast 50 Ländern wurden gefragt, wie sie die deutsche Energiewende so finden. Die Antwort ist so bitter wie ein doppelter Espresso, schwarz wie ein Kohlekraftwerk und so deutlich, dass man meinen könnte, es handele sich um Satire. Leider handelt es sich um Realität. Und damit um etwas, das in Deutschland zunehmend als zumutungsfrei ignorierbar gilt.

Ein Scheinriese beim Klimayoga

Man kennt das Bild aus alten Kinderbüchern: Der Scheinriese, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Deutschland hat es geschafft, dieses Bild auf die internationale Energiepolitik zu übertragen. Aus der Ferne betrachtet, hält man uns noch für den klimafreundlichen Musterschüler mit den schmutzigen Fingernägeln der Vergangenheit. Kommt man näher, erkennt man: Da übt gerade jemand den Spagat zwischen Abschalten und Durchhalten – auf einem Bein, mit verbundenen Augen und unter Ausschluss der physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Es wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre.

Die Zahlen der Umfrage sind so eindeutig, dass sie in jedem normalen Land einen Untersuchungsausschuss auslösen würden. In Deutschland lösen sie bestenfalls einen warmen Kamillentee aus. 74 Prozent der befragten Experten glauben nicht daran, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 erreicht. 79 Prozent bezweifeln die Klimaneutralität bis 2045. Und nur 43 Prozent halten die angestrebten 80 Prozent Ökostrom für realistisch. Das ist in etwa so, als würde der Weltärztebund dem deutschen Gesundheitsminister mitteilen, dass sein Operationsplan eher an russisches Roulette erinnert – und der Minister daraufhin die OP-Termine verdoppelt.

Der Atomausstieg: Moral als Exportschlager – den keiner kauft

Besonders grotesk wird es beim Thema Atomkraft. In Deutschland feiert man den Atomausstieg wie einen moralischen Endsieg. Im Rest der Welt schüttelt man den Kopf – oder fällt gleich vom Stuhl. Null Prozent der EU-Experten finden den deutschen Weg nachahmenswert. Null. Das ist kein Tippfehler, sondern eine Zahl, die klingt wie eine Ohrfeige mit der flachen Hand der Realität. Selbst außerhalb Europas teilen nur fünf Prozent diese Haltung – und das vermutlich aus Höflichkeit.

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Man kann sich das bildlich vorstellen: Während Robert Habeck in Berlin den letzten Reaktor abschaltet und dazu Goethe zitiert, telefonieren die Energieexperten von Paris bis Prag mit dem AKW-Betreiber ihres Vertrauens, um sicherzustellen, dass das eigene Licht morgen noch brennt. Deutschland aber sonnt sich im Glanz seiner eigenen Tugend – auch wenn es draußen dunkel wird.

Die Wetter-App als Energieministerium

Das große Missverständnis liegt freilich nicht nur in der Technologie, sondern im Weltbild. Deutschland hält sich für den Vorreiter der grünen Transformation, den Pionier auf dem klimaneutralen Highway. Der Rest der Welt hingegen sieht einen schwergewichtigen Industriekoloss, der sich freiwillig ans Bein fesselt, was sonst nur ein Zen-Mönch in der Sinnkrise täte. Unsere Nachbarn schauen zu, wie Deutschland seine Energieversorgung der Wetter-App überlässt – und das dann „Flexibilisierung“ nennt.

Der schwedische Experte spricht von einem „unrealistischen Live-Experiment“. Die Türkei nennt es „erfolglos“. Und in Frankreich vermutet man, dass der deutsche Energieplan auf der Rückseite eines Bio-Brots geschrieben wurde – mit dem Filzstift der Selbstgerechtigkeit. Es wäre ja alles halb so schlimm, wenn es ein nationaler Sonderweg bliebe. Aber die Nebenwirkungen der deutschen Energiewende betreffen eben nicht nur uns. Europa hängt am deutschen Stromnetz wie der Patient am Tropf – und staunt, dass Deutschland den Beutel jetzt eigenmächtig mit Kamillentee befüllt.

Der klimapolitische Solotanz: Wenn keiner mitmacht, liegt es bestimmt an den anderen

Deutschland sieht sich gern als Anführer einer Bewegung, der leider noch niemand beigetreten ist. Das hat Tradition. Der deutsche Drang zur Weltverbesserung – früher militärisch, heute ökologisch – trifft regelmäßig auf das Missverständnis, dass der Rest der Welt das ähnlich euphorisch sieht. Tut er nicht. Frankreich und Slowenien sprechen es offen aus: Deutschland denkt zu wenig europäisch. Der Rest denkt sich den Teil und baut derweil Kernkraftwerke.

Dass in Deutschland selbst der Wasserstoff nicht zündet, dass die CO₂-Bepreisung im internationalen Vergleich wirkt wie ein veganer Steakabend in Texas, dass die Industrie fluchtartig das Weite sucht – all das wird hierzulande mit einem Lächeln quittiert. Notfalls erklärt man der Welt, dass sie einfach noch nicht so weit ist. Oder man vermutet, wie einst das DDR-Fernsehen, den Neid der anderen. Denn wenn der Sozialismus am Ende war, hieß es auch: Der Klassenfeind hat sabotiert. Heute ist es der Markt.

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Das Pfeifen im energiepolitischen Dunkel

Was also passiert jetzt? Richtig: Nichts. Kein ARD-Brennpunkt, kein Bundestagsantrag, keine nächtliche Krisensitzung im Kanzleramt. Der Bericht des Weltenergierats wird weggelächelt wie ein unangenehmer Zahnarzttermin. Vielleicht, weil er nicht ins Narrativ passt. Vielleicht, weil sich niemand die Blöße geben will, einzugestehen, dass man sich verrannt hat. Oder weil der deutsche Politikbetrieb inzwischen so sehr in seiner eigenen Filterblase schwebt, dass selbst internationale Ohrfeigen wie Wellnesskuren wirken.

Dabei wäre es höchste Zeit, aufzuwachen. Und nicht nur mit den Lippenbekenntnissen der politischen Sonntagsreden, sondern mit einer Bilanz, die sich nicht in Windrädern pro Quadratkilometer oder Heizungsumfragen erschöpft. Eine Bilanz, die fragt: Wer zahlt das alles? Wer verliert? Und was, wenn am Ende herauskommt, dass wir die Einzigen sind, die den grünen Weg ins Nirwana gewählt haben – während der Rest der Welt längst andere Pfade beschreitet?

Ein letztes Lachen – bevor das Licht ausgeht?

Die internationale Kritik ist kein Geplänkel am Rande. Sie ist das rote Warnlicht am Armaturenbrett der Energiewende. Und sie zeigt, was wir längst wissen müssten: Wenn man mitten auf der Autobahn den Motor ausbaut, sollte man sich nicht wundern, wenn das Vorbild plötzlich zum Hindernis wird.

Vielleicht lacht die Welt tatsächlich über uns. Vielleicht zuckt sie auch nur mit den Schultern. Das wirklich Bittere ist: Wir selbst merken es nicht mehr. Wir stehen stolz auf dem Abgrund, klopfen uns gegenseitig auf die Schulter und sagen: Siehste, da geht noch was.

Es ist ein Experiment. Vielleicht ein letztes.

Und diesmal schaut die Welt nicht nur zu.

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