Wenn der Faschismus zurückkehrt

Die Tarnung im Sprachgewand

„Wenn der Faschismus zurückkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus.“ Dieser Satz, so abgedroschen er klingen mag, beschreibt das präziseste Charakteristikum autoritärer Sprache: Sie ist nie ehrlich, sondern immer verkleidet. Sie gibt sich nicht als Drohung, sondern als Weisheit; nicht als Angriff, sondern als Einsicht. Der heutige autoritäre Diskurs bedient sich daher derselben Methode wie die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts: Er redet mit den Worten der Moral, während er die Inhalte verdreht.

So erklärt Friedrich Merz: „Nicht der Frieden ist das Wichtigste. Frieden gibt es auf jedem Friedhof.“ Und Generalmajor Freuding: „Alles für die Freiheit aufzugeben – das ist Freiheit.“ Solche Sätze wirken harmlos, beinahe wie Aphorismen aus einem schlechten Kalender. Doch in Wahrheit sind sie rhetorische Knoten, in denen sich die Geschichte wiederfindet. Denn genau so klangen Mussolini, Carl Schmitt und Goebbels – nur weniger zivilisiert vorgetragen.

Mussolini: Der Frieden des Staates

Benito Mussolini hielt am 3. Januar 1925 im italienischen Parlament seine berühmte Rede, in der er den totalitären Anspruch erstmals unverblümt formulierte:

„Alles im Staat, nichts außerhalb des Staates, nichts gegen den Staat.“

Das ist die Urszene der faschistischen Umdeutung: Freiheit und Frieden existieren nur noch in der totalen Einbindung ins Kollektiv. Alles andere gilt als Chaos, Anarchie oder eben – wie Merz es heute in kleiner Münze sagt – Friedhof. Mussolinis Trick war, Frieden nicht als Abwesenheit von Gewalt zu definieren, sondern als die durch den Staat erzwungene Ordnung. Wer gegen diese Ordnung war, galt automatisch als Feind.

Merz’ „Friedhofsfrieden“ folgt derselben Logik: Der existierende Frieden wird entwertet, nur der erzwungene gilt. Es ist ein alter rhetorischer Schachzug, der Gewalt legitimiert, indem er den Status quo als wertlos erklärt.

Carl Schmitt: Der Freund-Feind-Dualismus

Carl Schmitt formulierte 1932 in seiner „Begriff des Politischen“-Schrift den Kernsatz:

„Das spezifisch Politische … ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“

TIP:  Ein rotes Märchen

Damit machte er klar: Frieden ist nicht das Ziel, sondern höchstens ein Zwischenzustand, solange die Feindunterscheidung nicht zur Geltung kommt. Für Schmitt war Politik ein permanenter Ausnahmezustand, der stets auf Konflikt hinausläuft.

Merz’ und Freudings Aussagen sind Miniaturen dieser Logik. Frieden ohne Feindbild ist wertlos (Merz), Freiheit ohne Opfer ist bedeutungslos (Freuding). Die alte schmittsche Gedankenfigur lebt fort: Das Politische definiert sich nicht durch Verständigung, sondern durch Abgrenzung. Wer diese Logik akzeptiert, betritt den Denkraum, in dem autoritäre Politik gedeiht.

Goebbels: Die Freiheit der Unfreiheit

Joseph Goebbels sagte 1933 in einer seiner frühen Berliner Reden:

„Wir wollen keine Freiheit, die uns gegen das Volk schützt. Wir wollen die Freiheit, die uns für das Volk kämpfend eint.“

Die rhetorische Technik ist identisch mit Freudings Formel. Freiheit wird nur noch als Opferbereitschaft verstanden. Ihre eigentliche Bedeutung – die Möglichkeit des Individuums, unabhängig zu handeln – wird zerstört. Stattdessen bleibt eine patriotisch aufgepumpte Leerformel, die Gehorsam meint und Gehorsam erzeugt.

Freuding wiederholt in militärischem Jargon denselben Trick: „Alles für die Freiheit aufzugeben – das ist Freiheit.“ Man muss nur das Wort „Volk“ hinzufügen, und man ist im Jahr 1933.

Die Kontinuität der Verdrehung

Mussolini, Schmitt, Goebbels – sie alle betrieben semantische Kriegsführung. Ihre Methode war einfach: Begriffe entwerten, umdeuten, im Pathos ertränken. Aus „Frieden“ wurde Ordnung durch Gewalt, aus „Freiheit“ wurde Unterordnung, aus „Politik“ wurde Feindbekämpfung.

Heute tauchen die gleichen rhetorischen Muster in demokratisch verpackter Sprache wieder auf. Wer den Frieden auf Friedhöfe reduziert, erklärt politischen Frieden für wertlos. Wer Freiheit nur als Selbstaufgabe versteht, predigt Unterwerfung als Tugend. Dass dies nicht als autoritär wahrgenommen wird, liegt einzig an der Verpackung – nicht am Inhalt.

Fazit: Die alten Stimmen im neuen Tonfall

Wenn man Merz’ und Freudings Sätze neben die Reden Mussolinis, Schmitts und Goebbels legt, wird deutlich: Wir haben es nicht mit zufälligen Entgleisungen zu tun, sondern mit einer langen Tradition autoritärer Rhetorik. Der Faschismus von heute marschiert nicht mehr mit Uniform und Fackel, sondern mit Sätzen, die wie Kalendersprüche wirken. Doch die Mechanik ist dieselbe: Sprache wird verdreht, Begriffe werden entkernt, Pathos ersetzt Vernunft.

TIP:  Wenn der Protest sich selbst verbrennt

Hitchens Rasiermesser bleibt das einzige wirksame Gegenmittel: „Was ohne Nachweis behauptet werden kann, kann auch ohne Nachweis verworfen werden.“ Und: Was sich in Widersprüche verstrickt, darf man nicht als Weisheit gelten lassen, sondern muss es als Warnsignal lesen.

Denn wenn die Sprache sich gegen ihre eigene Bedeutung wendet, ist das kein Zufall – es ist der Moment, in dem der Faschismus zurückkehrt.

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