Weihnachtsmärkte besser geschützt als Staatsgrenzen

1. Glühwein, Betonpoller und das Sicherheitsgefühl der kleinen Leute

Es ist wieder so weit: Die Lichterketten flackern, der Punsch dampft, und irgendwo zwischen Bratapfelduft und „Last Christmas“ materialisiert sich der nationale Sicherheitsapparat in seiner ganzen festlich-paramilitärischen Pracht. Wien rüstet auf – nicht gegen die Kälte, sondern gegen das diffuse Gefühl, dass irgendjemand irgendwo irgendwann etwas Böses tun könnte. „Keine konkreten Hinweise“, heißt es aus der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), jenem bürokratischen Orakel, das stets genau so viel sagt, dass man nicht weiß, ob man erleichtert oder alarmiert sein soll.

Doch trotz der Nicht-Gefahr bleibt die „Gefährdungslage hoch“. So paradox wie ein alkoholfreier Punsch, aber offenbar notwendig, um die jährliche Rechtfertigung für ein Heer an Sicherheitsmaßnahmen zu liefern, das in seiner Effizienz selbst mittelgroße Grenzschutzsysteme neidisch werden lässt. Betonpoller, Metalldetektoren, Drohnen, Zivilbeamte mit thermoisolierten Coffee-to-go-Bechern – das Arsenal des adventlichen Abwehrkampfes. Man könnte fast meinen, Wien fürchte nicht den Terrorismus, sondern die Rückkehr des ungefilterten Lebens an sich.

2. Die Krippe als Sicherheitszone

Der Weihnachtsmarkt, einst Symbol bürgerlicher Gemütlichkeit, hat sich in ein Versuchslabor moderner Überwachungskultur verwandelt. Zwischen Holzbuden, in denen Handgestricktes und überteuerte Zimtsterne feilgeboten werden, kreisen die Drohnen wie moderne Erzengel Gabriel – allerdings mit Wärmebildkamera statt Heilsbotschaft.

Hier soll niemand verdächtig wirken, aber jeder ist es irgendwie. Die Verkäuferin mit dem roten Schal, die etwas nervös nach dem Wechselgeld sucht – potenziell subversiv. Der Tourist, der zu lange auf sein Handy starrt – womöglich ein Aufklärer im Dienste dunkler Mächte. Der ältere Herr mit der Thermosflasche – vielleicht nur ein passionierter Teetrinker, vielleicht ein Anarchist der alten Schule.

Und während die Polizei mit Tarnjacke und Zivilmütze unauffällig durch die Menge streift, um unauffällig aufzufallen, bleibt das Sicherheitsgefühl paradoxerweise diffus: Man fühlt sich sicher, aber nur, weil man ständig daran erinnert wird, dass man es ohne diese ganze Show vielleicht nicht wäre. Der Punsch schmeckt dadurch etwas metallisch – vermutlich vom Nachgeschmack der Angst.

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3. Hochsicherheitsadvent – das österreichische Gesamtkunstwerk

Man muss Österreich in dieser Hinsicht fast bewundern: Kein anderes Land schafft es, die eigenen Widersprüche so kunstvoll zu dekorieren. Während die Staatsgrenzen durchlässiger sind als der Christbaumständer eines durchschnittlichen Haushalts, verwandeln sich innerstädtische Plätze in Festungen.

An der Peripherie – ein paar Kilometer weiter – zerfällt die EU-Außengrenze in symbolische Gesten und hektische Pressekonferenzen. Aber der Christkindlmarkt? Der ist sicher. Betonblöcke zieren die Zugänge wie adventliche Altarsteine der Ordnung. Sicherheitskräfte mit Maschinenpistolen flankieren den Stand mit kandierten Äpfeln.

Es ist, als wolle man der Welt zeigen: Wir wissen vielleicht nicht, wie man komplexe geopolitische Probleme löst – aber beim Schutz des Punschstandes Nummer 27 sind wir Weltklasse. Ein Land, das sich seiner „inneren Sicherheit“ hingibt wie einer Ersatzreligion, in der der Generalverdacht das Weihwasser ersetzt.

4. Die ritualisierte Panik

Die Logik ist dabei so einfach wie absurd: Jedes Jahr dieselbe Liturgie der Alarmbereitschaft. Pressekonferenz, „keine konkreten Hinweise“, aber „hohe Gefährdung“. Man könnte meinen, die Gefahr sei zu einem festen Bestandteil des Weihnachtsbrauchtums geworden – gleich nach dem Adventkranz und vor dem Lebkuchenherz.

Die Bürger nehmen es hin, ja fast liebevoll. „Na, sicher is’ sicher“, sagt die Dame im Pelzmantel, während sie an der Sicherheitskontrolle ihre Handtasche öffnen muss, damit ein uniformierter Wichtel hineinschauen darf. Der Sicherheitsdiskurs ist längst zum Teil der Folklore geworden. Es wäre fast enttäuschend, wenn einmal nichts über „erhöhte Sicherheitsmaßnahmen“ berichtet würde – der Mangel an Bedrohung würde uns womöglich verunsichern.

5. Von der Freiheit, sich sicher zu fühlen

Ironischerweise wird die eigentliche Bedrohung – die schleichende Normalisierung des Ausnahmezustands – kaum bemerkt. Wir tauschen Freiheit gegen ein Sicherheitsgefühl, das sich bei näherer Betrachtung als PR-Produkt erweist.

Was früher spontane Begegnung und urbanes Leben war, ist nun ein durchreglementiertes Ereignis mit klaren Zugangswegen, Überwachungskonzepten und Verhaltensrichtlinien. Die Kamera ist der neue Stern von Bethlehem: Sie leuchtet uns den Weg – aber nur dorthin, wo man uns haben will.

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Und während die Staatsmacht sich stolz auf die Schulter klopft, weil sie erfolgreich das imaginäre Böse vom Lebkuchenhaus ferngehalten hat, geht die eigentliche Erosion unbemerkt weiter – still, effizient, in den Köpfen. Das Misstrauen ist die neue Zivilreligion.

6. Epilog: Das letzte Punschfass

So endet die Geschichte jedes Jahr aufs Neue: Kein Anschlag, kein Drama – aber ein Gefühl, das bleibt. Ein dumpfer Stolz darauf, alles „richtig“ gemacht zu haben. Vielleicht ist das ja die eigentliche österreichische Spezialität: der Triumph über das, was nie geschehen ist.

Und wenn dann am 24. Dezember die letzten Betonpoller abtransportiert werden, zieht eine kollektive Erleichterung durch die Gassen: Wir haben es wieder geschafft.

Bis zum nächsten Advent, wenn die Direktion Staatsschutz erneut feststellt, dass „keine konkreten Hinweise“ vorliegen – aber die Gefahr selbstverständlich hoch bleibt.

Denn eines ist sicher: Die Weihnachtsmärkte sind geschützt.
Und alles andere – na ja, das wird sich schon ausgehen.

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