Warum Friedrich Merz zehnmal gefährlicher ist als Herbert Kickl

Der Wolf und der Wolf im Schafspelz

Man mag sich ja über vieles streiten, etwa darüber, ob Spinat wirklich Eisen enthält, ob der FC Bayern jemals wieder Sympathien gewinnen wird oder ob man in Deutschland einen funktionierenden Flughafen bauen kann. Doch in einer Sache gibt es keine zwei Meinungen: Die politische Landschaft ist ein Panoptikum des Grotesken, eine Theaterbühne, auf der sich die Figuren mit einer Mischung aus Tragik und unfreiwilliger Komik in Szene setzen. Und wenn man nach echten, handfesten Bedrohungen für Demokratie, sozialen Frieden und politische Vernunft sucht, dann wäre es ein naheliegender Fehler, sich allein auf die lautesten Schreihälse zu konzentrieren.

Ja, Herbert Kickl, der österreichische blaue Apokalyptiker, gibt sich mit Inbrunst als nationalistischer Alarmist, ein rechter Provokateur, der mit kaltem Kalkül den Wutbürgern nach dem Mund redet. Seine Mittel? Grobe Vereinfachungen, martialische Rhetorik und eine ausgeprägte Abneigung gegen alles, was irgendwie nach Rationalität riecht.

Doch Friedrich Merz, der schwarzkonservative Donnergott aus dem Sauerland, ist gefährlicher. Viel gefährlicher. Zehnmal gefährlicher. Denn während Kickl für den politischen Extremismus steht, der sich in schäumender Wut selbst entlarvt, ist Merz die schleichende Gefahr: ein Vertreter der gut getarnten, elitären Arroganz, der neoliberalen Zerstörungswut und der bieder-maskierten Reaktion. Kickl ist ein Randalierer im vollen Licht der Öffentlichkeit, Merz jedoch ein Nachtarbeiter mit dem Skalpell. Die einen fürchten die Kettensäge, doch der eigentliche Killer ist der Chirurg, der mit ruhiger Hand das soziale Netz seziert.

Kickl – Der Berserker des Boulevards

Lassen wir uns von der Lautstärke nicht täuschen: Kickl ist ein Kind der populistischen Grobschlächtigkeit, eine Art politischer Berserker, der sich an Wut und Angst weidet. Sein Repertoire? Die altbekannten Methoden des rechten Populismus: Migration als Allzweckproblem, „die da oben“ als Feindbild, autoritäre Law-and-Order-Fantasien, die selbst Orban ins Staunen versetzen würden.

Seine Angriffe gegen die Demokratie sind plump und durchschaubar. Ein Vorschlag wie „Asylstopp“? Klar. Polizeistaat? Selbstverständlich. Medien als Feinde? Unbedingt! Und weil er so offensichtlich mit dem Holzhammer arbeitet, bleibt ihm eine natürliche Grenze gesetzt: Er ist leicht zu entlarven. Sein Programm ist ein giftiger Cocktail, aber man erkennt sofort den Totenkopf auf der Flasche.

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Zudem bleibt Kickl ein Mann, der von seinen eigenen Extremen begrenzt wird. Er kann nie Kanzler werden, weil er zu viel Angst verbreitet, zu sehr nach reaktionärem Sektierertum riecht. Sein Brandstiftertum bleibt in der Ecke, in der sich auch andere europäische Rechtspopulisten einrichten mussten: groß genug, um zu nerven, aber zu toxisch für den echten Machtzugriff.

Merz – Der Neoliberale mit dem Florett

Und hier kommt Friedrich Merz ins Spiel – eine völlig andere Bedrohung. Sein Auftreten? Wohlerzogen, distinguiert, aufgeräumt. Ein Anzugträger von altem Schrot und Korn, dessen Habitus das perfekte Gegenteil des aufgebrachten Kickl ist. Er schreit nicht, er argumentiert. Er pöbelt nicht, er formuliert präzise. Er gibt sich nicht plump, sondern kultiviert. Und genau das macht ihn so gefährlich.

Denn hinter der bürgerlichen Fassade steckt eine eiskalte Agenda: eine Mischung aus marktradikalem Sozialabbau, konservativem Rollback und einer Politik, die in den 1980er Jahren schon fragwürdig war und heute eine Zumutung ist. Während Kickl offene Revolte gegen „die Eliten“ predigt, ist Merz selbst die Elite – aber eine, die mit einem Lächeln den Sozialstaat seziert und es als „Wettbewerbsfähigkeit“ verkauft.

Sein Blick auf die Gesellschaft ist geprägt von einem tiefen Misstrauen gegenüber allem, was nach Gleichheit riecht. Die Idee, dass ein Staat existiert, um Menschen zu helfen? Für Merz eine linke Spinnerei. Der Hartz-IV-Empfänger? Sollte mal lieber Aktien kaufen. Der Niedriglohnarbeiter? Hat sich wohl nicht genug angestrengt. Frauenquote? Ein sozialistischer Angriff auf die natürliche Ordnung.

Er ist das personifizierte Feigenblatt für alle, die sich nach einem Deutschland sehnen, in dem „Leistung“ wieder zählt – wobei „Leistung“ hier bedeutet: Wer oben ist, soll oben bleiben, und wer unten ist, soll endlich aufhören zu jammern. So viel Sozialdarwinismus war zuletzt en vogue, als Margaret Thatcher sich noch mit Ronald Reagan zum Tee traf.

Warum Merz zehnmal gefährlicher ist

Kickl ist der grobe Klotz, Merz die scharfe Klinge. Er destabilisiert nicht mit Krawall, sondern mit kühler Konsequenz. Seine politische Vision ist keine Dystopie voller Fackelzüge, sondern eine durchökonomisierte Gesellschaft, in der die Schwachen bestenfalls noch als bedauernswerte Fußnote existieren.

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Und vor allem: Während Kickl im eng begrenzten Rahmen eines Nationalisten zündelt, ist Merz Teil eines globalen Netzwerks. Er ist nicht einfach nur ein Rechtspopulist, sondern ein Agent des Finanzkapitals, ein Türöffner für jene, die den Staat als Beute betrachten. Seine Politik hat nicht das Ziel, Wutbürger auf die Straßen zu bringen – sondern leise, unaufgeregt und mit exzellenter Rhetorik ein System zu errichten, in dem nur noch die Starken überleben.

Merz kann Kanzler werden. Und genau das ist das Problem.

Das leise Gift des Merzismus

Herbert Kickl ist ein Brandstifter, der mit brennender Fackel durch die Straßen rennt. Friedrich Merz ist ein Ingenieur, der ein System baut, in dem die Flammen gar nicht erst auffallen, weil sie im Verborgenen lodern. Kickl kann laut schreien, aber er bleibt eine Nischenfigur. Merz dagegen hat die realistische Möglichkeit, die Grundpfeiler einer sozialen Demokratie so zu verschieben, dass wir eines Tages aufwachen und feststellen: Es gibt keine mehr.

Die Bedrohung der Demokratie kommt manchmal nicht im martialischen Lederjacken-Stil daher. Manchmal trägt sie einen Maßanzug und spricht in höflichem Tonfall. Und genau das ist die wahre Gefahr.

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