Wählt wie wir es wollen

Demokratie auf Knopfdruck

Wir schreiben das Jahr 2024, und die Demokratie ist moderner denn je. Nicht etwa, weil die Bürger plötzlich weiser gewählt hätten, sondern weil die „großen Online-Plattformen“ (VLOPs) und die „sehr großen Online-Suchmaschinen“ (VLOSEs) – jene kryptischen Giganten, die wir mit absurden Akronymen versehen, um ihre bedrohliche Macht zu verschleiern – jetzt gesetzlich dazu verpflichtet sind, unseren politischen Diskurs zu überwachen. Klingt gut? Sicher. Klingt gefährlich? Absolut.

Dank des Digital Service Act (DSA) sind die Akteure des Internets endlich gezwungen, Risiken für Wahlprozesse zu identifizieren, zu analysieren und zu mindern. Das bedeutet, dass Ihre Meinung, liebe Bürgerinnen und Bürger, nicht mehr ganz so frei ist wie früher – aber keine Sorge, das ist natürlich alles zu Ihrem Schutz. Was wäre schließlich Demokratie ohne eine ordentliche Zensur durch private Unternehmen, die im Namen von Transparenz und Wahrheit agieren?

Demokratie in Echtzeit gefiltert

Die slowakischen Parlamentswahlen im September 2023 waren der erste große Test für dieses neue digitale Paradies. Und siehe da: Alles funktionierte wie geschmiert. Desinformation? Schnell gekennzeichnet. Eskalation? Klar geregelt. Faktenprüfung? Top organisiert. Es war, als hätte jemand die Demokratie durch ein perfekt geöltes Maschinengewehr aus Bürokratie und Algorithmen gejagt.

Doch bei aller Euphorie bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Denn während Plattformen stolz ihre neuen Maßnahmen zur „Wahlintegrität“ präsentierten, fragte kaum jemand: Wer entscheidet eigentlich, was Desinformation ist? Wer legt fest, welche „Fakten“ geprüft werden? Und wer überwacht die Wächter? Die Antwort ist so ernüchternd wie vorhersehbar: dieselben Plattformen, die uns zuvor Fake News, Filterblasen und fragwürdige Werbung ins Gesicht gespült haben. Aber jetzt tragen sie Anzüge aus digitaler Integrität und verkaufen uns ihre Zensur als Fortschritt.

Das Ergebnis passt nicht? Jetzt schon!

Wenn die slowakischen Wahlen eine Generalprobe waren, wird Rumänien 2024 zur Premiere. Noch bevor die erste Stimme abgegeben wurde, sind die Algorithmen längst im Einsatz. Verdächtige Inhalte werden herausgefiltert, bevor sie sich verbreiten können. Postings, die zu stark von der offiziellen Linie abweichen, verschwinden wie von Geisterhand – pardon, wie von gut gemeinten Algorithmen.

TIP:  Warum der deutsche Michel an allem schuld ist

Doch was passiert, wenn das Wahlergebnis nicht den Erwartungen entspricht? Wenn der falsche Kandidat – sprich, der aus Sicht der Plattformen „gefährliche Populist“ – triumphiert? Dank des DSA könnte man den Verdacht hegen, dass die „Integrität“ der Wahlen schnell zur Integrität der gewünschten Ergebnisse werden könnte. Schließlich, so heißt es ja, geht es nur darum, „Risiken zu mindern“. Und was könnte riskanter sein als eine Wahl, bei der das Volk tatsächlich entscheidet?

Der Algorithmus weiß es besser

Die vielleicht größte Ironie am DSA ist, dass er die Meinungsfreiheit schützen soll, während er sie gleichzeitig durchleuchtet, bewertet und teilweise eliminiert. Frei sind die Meinungen nur so lange, wie sie den vorgegebenen Kriterien entsprechen. Ein bisschen wie ein Kunstkritiker, der nur Landschaftsbilder akzeptiert und alles andere als „gefährliche Abweichung“ brandmarkt.

Die Mechanismen, die uns schützen sollen, sind letztlich dieselben, die uns bevormunden. Eine Meinung zu äußern, wird immer mehr zu einem Hindernislauf durch digitale Schranken: Ist dein Post politisch korrekt? Hast du alle Fakten belegt? Ist dein Tonfall akzeptabel? Und vor allem: Wurde deine Meinung von den Algorithmen als „unproblematisch“ eingestuft?

Plug-and-Play-Wahlen

Was wir erleben, ist nichts weniger als die Transformation der Demokratie in ein kontrolliertes Dienstleistungsmodell. Wahlen sind keine wilden, unberechenbaren Ereignisse mehr, sondern durchregulierte Prozesse, die fast klinisch sauber ablaufen. Die Stimme des Volkes wird durch die Stimme der Plattformen moderiert, und die Entscheidungen des Einzelnen werden zu Datenpunkten, die von Algorithmen verarbeitet und gefiltert werden.

Man könnte sagen, dass dies das Ende der „alten“ Demokratie ist – einer Demokratie, die chaotisch, fehleranfällig und oft enttäuschend war, aber auch ehrlich und unberechenbar. Stattdessen bewegen wir uns hin zu einer neuen Form: einer Demokratie, die optimiert, reguliert und algorithmisch überwacht ist. Aber wie viel Freiheit bleibt, wenn jedes Wort, jeder Gedanke und jede Stimme durch den Filter der „Integrität“ geleitet wird?

TIP:  Die große Erleichterung in kleinen Gläsern

Wählt wie wir es wollen!

Der Digital Service Act ist ein Meisterwerk moderner Bürokratie – ein Gesetz, das auf den ersten Blick vernünftig klingt, aber bei näherer Betrachtung die Grundprinzipien der Demokratie auf den Kopf stellt. Während uns versprochen wird, dass unsere Wahlen sicherer und freier werden, zeichnet sich eine düstere Wahrheit ab: Die Kontrolle liegt nicht mehr beim Volk, sondern bei denen, die entscheiden, welche Meinungen zulässig sind.

Die Demokratie wird nicht durch Wahlfälschung zerstört. Sie wird durch gut gemeinte Regeln, durch subtile Eingriffe und durch die schleichende Verschiebung der Macht untergraben. Vielleicht werden wir in ein paar Jahren zurückblicken und uns fragen, wann genau wir unsere Freiheit verloren haben. Und vielleicht werden wir uns dann an Rumänien 2024 erinnern – als die Demokratie endgültig zu einer Dienstleistung wurde.


Weiterführende Links und Quellen

  1. Offizielle Informationen zum Digital Service Act (DSA)
  2. Bericht zu den slowakischen Wahlen und dem DSA-Testlauf
  3. Artikel: Wie Algorithmen den politischen Diskurs beeinflussen
  4. Kritik an der Rolle von VLOPs und VLOSEs in der Demokratie
  5. Studie zur Regulierung der Meinungsfreiheit durch Plattformen
Please follow and like us:
Pin Share