Man stelle sich vor, wie Hayek und Popper — zwei Männer mit einem skeptischen Blick für das sozialtechnologische Pfuschertum ihrer Zeit — im britischen Nebel der Dreißiger Jahre gemeinsam im Speisesaal für vertriebene Kontinentalgelehrte sitzen. Hayek rührt mit österreichischer Sorgfalt seinen Tee um, als ob er damit den Satz vom methodischen Individualismus verquirlen wollte, während Popper bereits im Stehen argumentiert, denn er konnte bekanntlich nicht einmal schweigen, ohne dabei theoretisch Stellung zu beziehen. Es ist eine jener Szenen, die das 20. Jahrhundert in seiner paradoxen Komik nur allzu gut beherrschte: Fliehende Denker, die im Exil die Grundlagen für die Freiheit derer legten, die sie zuvor aus ihren Ländern gejagt hatten. Und über allem schwebt — wie der Geruch lauwarmen Puddings — die Ahnung, dass Europa noch lange brauchen würde, um zu verstehen, was die beiden da eigentlich an kritischer Dynamitstange ablieferten: Hayeks epistemologisches Sperrfeuer gegen den Planungswahn und Poppers chirurgische Demontage historizistischer Allmachtsfantasien. Dass sich die Marxisten anschließend empört in einem „Positivismusstreit“ über sie hermachten, ist im Rückblick nur eine Fußnote; in Wahrheit war es die intellektuelle Variante des traditionellen Wiener Schnitzelklopfers: laut, flach und besonders dann empörend, wenn das Fleisch zäh war.
Die vier apokalyptischen Reiter des Spätkapitalismus, jetzt auch als deutsche Sonderedition
Man hätte ja hoffen können, dass sich Jürgen Habermas, der sich mit der Frankfurter Schule zeitweise so intensiv verzopfte, dass man ihn beinahe als philosophischen Friseurmeister hätte anstellen können, mit seinen Legitimationsproblemen im Spätkapitalismus überlebt haben würde wie ein gutes Regalbrett im Bücherschrank der Geschichte: etwas vergilbt, aber zuverlässig. Doch nun, ein halbes Jahrhundert später, schlägt die Realität zu und präsentiert uns seine vier Krisentypen als hätten sie sich zu einem fröhlichen Dämonenquartett zusammengefunden, das beschlossen hat, Deutschland systematisch durch die Mangel der historischen Ironie zu drehen. Keine satirische Überzeichnung nötig: Die ökonomische Krise erlebt man bereits beim Aufschrauben der eigenen Stromrechnung, die Rationalitätskrise beim Versuch, einen Klimaschutz- oder Migrationsgipfel zu verstehen, die Legitimitätskrise beim Lesen aktueller Wahlumfragen und die Motivationskrise beim Blick ins eigene Umfeld, wo sich nicht wenige in spirituellen Aufenthalten zwischen Latte-Art-Kurs und persönlicher „Work-Whatever“-Haltung eingerichtet haben, als wäre der Westen ein gigantisches Selbstverwirklichungslabor, in dem nur der Zusammenbruch der Geburtenrate zuverlässig reproduziert wird.
Vom Ende der Industrie zur romantischen Verklärung des Sägewerks
Die ökonomische Krise, so sagt man, sei eine Art systemischer Burnout. Und tatsächlich wirkt die Republik derzeit wie ein Industriekörper, der bei jedem Versuch, eine Schraube festzuziehen, ins philosophische Grübeln gerät: Warum dreht sie überhaupt? Wohin? Und darf man das eigentlich CO₂-neutral? Die Antwort ergibt sich ganz ohne Planwirtschaft: Die Kapitaleigner wissen sie längst und packen ihre Koffer — nicht aus Bosheit, sondern aus jener Art pragmatischen Realismus, den Hayek so scharf umriss, wenn er vom Wissen sprach, das in der Gesellschaft verstreut liegt. Offenbar liegt es nun verstärkt in Texas, Warschau oder Singapur. Zurück bleiben Lücken, die man politisch mit Euphemismen stopft, wie einst kaputte Fenster mit Zeitungspapier. Es raschelt nur stärker.
Die große Rationalitätskrise oder: Wenn die Verwaltung schneller scheitert, als sie drucken kann
Man könnte fast meinen, die Verwaltung habe beschlossen, sich als unfreiwilliges Kabarett neu zu erfinden. Europäische Verordnungen erscheinen in der Frequenz, in der andere Menschen Atem holen; die Kommunen sind derweil damit beschäftigt, neue Formulare zu entwickeln, um nachzuweisen, dass sie die alten niemals bewältigt haben. Migration und Klimawandel werden politisch verwaltet, als handele es sich um zwei hyperaktive Haustiere, die abwechselnd das Mobiliar anknabbern, während man Sitzungen abhält, um die Schuldfrage zu klären. In dieser Lage bräuchte man Poppers kritischen Rationalismus — stattdessen bekommt man oft seine Karikatur: den kritischen Irrationalismus, der in nächtlichen Talkshows zu Hochform aufläuft.
Die Legitimitätskrise oder: Warum das Vertrauen schneller schwindet als die Mitte
Vertrauen ist ein scheues Reh, pflegte man früher zu sagen. Heute ist es ein gehetztes Wildtier zwischen zwei Großbaustellen ideologischer Natur. Links wie rechts knistern die Ränder des politischen Spektrums im Takt zunehmender Frustration. Man könnte beinahe meinen, die Demokratie sei in jene Phase eingetreten, in der man ihr nicht mehr zutraut, Erwachsenenprobleme zu lösen. Hayek hätte darauf wohl trocken erwidert, dass jede übermäßige Planung zur Entmündigung führt, und Popper hätte gewarnt, dass politische Heilslehren stets zuerst sich selbst vergöttern, um dann die Gesellschaft zu knechten. Aber wer hört schon auf kluge Männer, wenn der Algorithmus in der Timeline gerade wieder verspricht, dass nur noch ein radikaler Schritt fehlt, um die Welt zu retten?
Die Motivationskrise: Von der Arbeitsmoral zum Wellness-Existentialismus
Es ist bekanntlich einfacher geworden, motivierte Mitarbeiter zu suchen als ein Einhorn. Arbeit, die einst Quelle von Identität, Stolz und sozialer Einbindung war, wird zunehmend verdrängt durch das Credo des individuellen Entfaltungs-Imperativs: „Ich arbeite, um ich selbst zu sein, und wenn ich mich ändern muss, um zu arbeiten, dann ist die Arbeit falsch.“ Diese Logik funktioniert so lange, bis man eine Gesellschaft braucht, die ihre Infrastruktur, ihre Steuersysteme, ihre Forschung, ihre Energieversorgung und ihr Gesundheitswesen nicht von staatlich subventionierten Yogaseminar-Absolventen betreiben lässt. Gleichzeitig verflüchtigen sich familiäre Bindungen wie historischer Rauch, und mit ihnen das Gefühl, für irgendjemanden Verantwortung zu tragen.
Der Orientierungsverlust nach dem Ende der Glaubensgewissheiten – monadischer Komfort und digitale Ersatzrituale
Der Mensch ohne religiösen Halt ist ein kompliziertes Wesen: Er ersetzt Gott gern durch eine Mischung aus moralischem Lifestyle, technologischem Fetischismus und sinnstiftenden Ersatzritualen in sozialen Medien. Doch keiner dieser Ersatzgötter verlangt langfristige Opfer — die eigentliche Voraussetzung jeder tragenden Sinnarchitektur. Die Monade der Gegenwart führt ein bequemes, aber entkerntes Dasein; man lebt länger, aber flacher; besser, aber unverbundener; freier, aber orientierungsloser. Selbstarbeit wird überflüssig, Taxifahrer durch Navigationsgeräte ersetzt, und bald vielleicht auch die letzten Bereiche, in denen Menschen noch eine unersetzliche Rolle spielen. Ob die Demokratie das übersteht? Schwer zu sagen. Sie ist ein hochkomplexes Ökosystem, das von Bürgern getragen wird, die an seine Grundannahmen glauben müssen — und genau diese Annahmen sind im Erosionszustand.
Schluss: Popper und Hayek als ungeplante Zukunftspropheten
Wenn man Hayek und Popper heute lesen würde — nicht als Orakel, sondern als freundliche Mahner — könnte man erkennen, dass Freiheit kein Zustand ist, sondern ein fortwährendes Projekt, das weder Planungsfetischisten noch Geschichtsdeterministen anvertraut werden darf. Vielleicht werden neue Lösungen tatsächlich aus dem wilden kapitalistischen Wettbewerb entstehen, jenem chaotischen Feld, das Hayek für produktiver hielt als jede wohlmeinende Zentralplanung. Oder aber wir erleben eine Phase, in der erst der Mangel an Freiheit den Wert der Freiheit wieder sichtbar macht. In jedem Fall hätte Popper uns geraten, unsere Gesellschaft als offenes Experiment zu betrachten, nicht als geschlossene Doktrin. Und Hayek hätte wohl hinzugefügt, man möge bitte davon absehen, das Experiment von oben zu kontrollieren, solange wir nicht einmal die Nebenwirkungen unserer kleinsten Eingriffe zu begreifen imstande sind.