Von Münzen, Scheinen und digitaler Bevormundung

Die große Bequemlichkeitslüge

Es klingt wie ein Märchen aus der PR-Abteilung der Banken: Eine bargeldlose Gesellschaft ist angeblich sauberer, sicherer, praktischer. Keine schmutzigen Münzen mehr, die durch tausend Hände wandern (und vermutlich mehr DNA-Spuren enthalten als ein Tatort), keine übervollen Geldbeutel, die einem beim Sitzen den Ischiasnerv abklemmen, kein mühsames Abzählen von Klimpergeld an der Supermarktkasse. Stattdessen: beep, und die Welt ist wieder in Ordnung.

Doch hinter dem futuristischen Beep-Beep-Paradies lauert die Wirklichkeit, die so düster ist, dass selbst George Orwell sie als „etwas übertrieben“ abgelehnt hätte. Denn während wir uns über den Wegfall der Zwei-Cent-Münze freuen, verabschieden wir uns unbemerkt von dem letzten Stück Autonomie, das wir als Konsumenten noch besitzen: der Möglichkeit, unauffällig, anonym und ohne digitale Fußfessel durch die Welt zu gehen.

Freiheit gegen Funkchip getauscht

Ein Zwanzigeuroschein ist eine kleine Revolution: Er erzählt keine Geschichten. Er verrät nicht, ob er gestern im Bioladen für Bio-Tofu oder vorgestern im Nachtclub für sündhafte Cocktails den Besitzer wechselte. Im Gegensatz zur Kreditkarte plappert er nicht wie eine sabbernde Schwiegermutter, die ungefragt intime Details preisgibt.

In der bargeldlosen Zukunft jedoch redet das Geld pausenlos. Jede Transaktion wird protokolliert, kategorisiert, archiviert. Dein Cappuccino? „Morgendliche Koffeinabhängigkeit.“ Dein Zigarettenkauf? „Gesundheitsgefährdendes Verhalten, Meldung an Krankenkasse empfohlen.“ Dein Einkauf im Erotikshop? „Interessanter Lebensstil, bitte zur Zielgruppe für neue Algorithmen hinzufügen.“ Bald schon werden die Algorithmen dich besser kennen als deine eigene Großmutter – und das ist kein Fortschritt, sondern eine verdammte Zumutung.

Die Fragilität des Digitalen

Die Bargeldgegner behaupten, digitale Systeme seien unfehlbar. Dieselben Leute, wohlgemerkt, die ihre Passwörter auf Post-its kleben oder beim Online-Banking regelmäßig von „Systemfehler 504“ begrüßt werden. Schon heute reicht ein verpatztes Update oder ein Hackerangriff, und die halbe Nation steht wie Idioten an der Tankstelle, unfähig, Benzin zu bezahlen.

Mit Bargeld passiert das nicht. Ein Fünfziger hat noch nie ein Update gebraucht. Er hat noch nie auf „Bitte warten…“ geblinkt, und er lässt sich auch nicht per Mausklick sperren. Er funktioniert bei Sonne, Regen, Blackout oder Revolution. Nur in der Waschmaschine hat er seine Schwächen.

TIP:  Jüdische Künstler gerne, aber bitte keine Lebenden

Die Zensur des Konsums

Die wahre Perle im digitalen Käfig ist die Möglichkeit der Steuerung. Heute blockiert die Bank vielleicht nur verdächtige Transaktionen nach Nigeria. Morgen blockiert sie womöglich deine Bestellung bei McDonald’s – aus „gesundheitspolitischen Gründen“. Übermorgen verweigert dein Konto den Kauf eines Billigflugs, weil dein CO₂-Budget erschöpft ist.

Und falls du dachtest, das sei Satire: In China wird genau dieser Mechanismus bereits getestet – Social Credit Score nennt sich das. Wer zu viel raucht, zu laut protestiert oder einfach nur die falsche Meinung äußert, findet sich plötzlich ohne Zugticket, ohne Kreditkarte, ohne Hotelzimmer wieder. Und wenn Europa oder die USA etwas können, dann ist es, schlechte Ideen aus Fernost mit leichter Verspätung begeistert zu übernehmen.

Psychologie der Haptik

Es gibt noch einen Aspekt, den die Bargeldabschaffer ignorieren: das Gewicht. Geld, das man in der Hand hält, fühlt sich an. Wer einen Fünfziger aus dem Portemonnaie zieht, hat ein kurzes Zucken im Herzen: „War der Einkauf wirklich 50 Euro wert?“ – eine sehr gesunde, sehr menschliche Frage.

Die digitale Zahlung hingegen ist entmaterialisiert. Es ist wie Monopoly spielen, nur dass die Bank diesmal real ist und das Spielbrett die Welt. Jeder Klick ist so leicht wie Luft, die Schuld wächst unsichtbar, und ehe man sich versieht, ist man nicht nur pleite, sondern auch noch Premiumkunde eines Schuldnerregisters.

Satirische Zukunftsvisionen: Das Leben im Beep-Beep-Staat

Stellen wir uns also die glänzende Zukunft vor, in der Bargeld abgeschafft wurde:

  • Beim Kauf der dritten Schachtel Zigaretten am Tag ertönt aus deinem Smartphone ein schriller Jingle: „SCHANDE! SCHANDE!“, während die Zahlung verweigert wird.
  • Wer nach 22 Uhr Bier kauft, bekommt automatisch eine Push-Nachricht: „Ihr Sozialverhalten wird den zuständigen Behörden gemeldet.“
  • Ein Schokoriegel ist noch drin, der zweite nur mit ärztlichem Attest, der dritte wird automatisch in „Karottensticks“ umgebucht.
  • Dein Konto sperrt sich prophylaktisch selbst, wenn du politische Bücher bestellst, die nicht auf der staatlich empfohlenen Leseliste stehen – natürlich nur, um dich vor „gefährlicher Desinformation“ zu schützen.
  • Die Bank-App schickt dir wöchentlich einen „Moralischen Kontoauszug“: 2.500 Kalorien konsumiert, 0,3 Tonnen CO₂ verursacht, 1 fragwürdiger Pornokauf – Punktabzug für die Gesamtbilanz.
TIP:  Vielen Dank, Frau Nuland!

Klingt grotesk? Ja. Unmöglich? Leider nein.

Fazit: Die letzte Banknote als Freiheitsmanifest

Wer glaubt, dass Bargeld ein Relikt der Vergangenheit ist, hat nicht verstanden, dass es in Wahrheit ein Symbol für die Zukunft ist – nämlich für eine Zukunft, in der der Mensch mehr ist als eine durchsichtige Kundennummer mit Konsumprotokoll.

Die letzte Banknote, die letzte Münze – sie sind nicht nur Zahlungsmittel, sondern Freiheitsdokumente. Wenn sie verschwinden, verschwinden wir gleich mit: als anonyme Bürger, als unabhängige Individuen, als Menschen, die im Zweifel noch ein Bier, ein Buch oder ein Stück Schokolade kaufen können, ohne dass ein Algorithmus den Kopf schüttelt.

Oder, um es mit Hitchens Rasiermesser zu sagen: Alles, was ohne Nachweis behauptet wird – dass Bargeld überflüssig sei, dass digitale Systeme sicherer seien, dass Überwachung nur dem Guten diene – kann und sollte ohne Nachweis verworfen werden. Und zwar bar auf die Hand.

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