Von „Es war einmal …“ zu „Laut Experten …“

Die Verwandlung der Erzählung – vom Zauber zum Zitat – Wie die Märchen der Moderne das Erbe der Fantasie verraten

Es war einmal eine Zeit, da begann jede Erzählung mit einer Zauberformel. Ein einfaches „Es war einmal …“ reichte aus, um uns in eine Welt zu entführen, in der alles möglich war: Feen flatterten durch verwunschene Wälder, mutige Helden bezwangen Drachen, und Prinzessinnen retteten sich selbst oder warteten, auf dass die Zeit ihrer Erlösung schlug. Diese Geschichten hatten keine Experten, keine Studien, keine Beweise – sie lebten von der Magie des Erzählens, der Fantasie, des Glaubens an das Unwahrscheinliche. Heute jedoch, in unserer Ära der angeblichen Aufklärung und Fakten, beginnt das Märchen mit einem anderen Zauberspruch: „Laut Experten …“

Dieser neue Einstieg ist keine bloße Stilfrage, sondern ein Symptom eines tiefgreifenden kulturellen Wandels. Die „Experten“ sind die neuen Zauberer, deren geheimnisvolle Sprüche wir zitieren, ohne sie wirklich zu verstehen. Die Zauberformel wurde durch einen Satz ersetzt, der sich so harmlos gibt wie ein Fußnotenapparat, dabei aber jede Fantasie im Keim erstickt. Wo früher der Zweifel an der Wirklichkeit den Raum für Wunder schuf, herrscht heute der Anspruch auf objektive Wahrheit – auch wenn diese Wahrheit oft so nebulös ist wie ein Elfennebel im Morgengrauen.

Die unsichtbaren Experten und die Schattenbibliothek der Studien

Wer aber sind diese „Experten“? Diese mysteriösen Wesen, deren Stimmen heute jede Diskussion eröffnen und jede Meinung legitimieren, als gäbe es ohne sie kein Entrinnen vor der nackten Wahrheit? Seltsamerweise bleibt ihre Identität oft genauso nebulös wie die Konturen der Drachen in den alten Geschichten. Man nennt sie nicht beim Namen, man nennt sie nicht einmal ihre Institutionen – sie sind nur „Experten“, die wie unsichtbare Gespenster über unseren Köpfen schweben und ihre Urteile fällen.

Noch absurder wird es bei den „Studien“, auf die sich diese Experten berufen. Man könnte fast meinen, dass es eine geheime Schattenbibliothek gibt, in der jede erdenkliche Studie lagert, sorgfältig von unsichtbaren Bibliothekaren katalogisiert, aber nie öffentlich zugänglich gemacht. Diese Studien sind die modernen Zauberbücher, deren Zaubersprüche wir ohne kritische Prüfung wiederholen, als wäre jede Fußnote ein heiliger Text. Das ist die Ironie unserer Zeit: Wir verlassen uns auf nicht überprüfbare Quellen, um unsere Meinungen zu stützen, und nennen das dann Wissenschaft.

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Märchenhafte Ironie: Die Wissenschaft als neue Legende

In Wahrheit sind diese „Experten“ und „Studien“ das neue Märchen, das man sich gegenseitig erzählt, um der Unsicherheit in einer komplexen Welt zu entkommen. Die Wissenschaft hat ihre Erhabenheit verloren, und damit auch den Anspruch auf unfehlbare Wahrheit. Stattdessen wird sie zur Bühne, auf der sich Dogmen und Ideologien als scheinbar neutrale Fakten tarnen.

Wir leben in einer Zeit, in der es zum guten Ton gehört, „laut Experten“ zu argumentieren, während man selbst kaum mehr als ein Echo in einem endlosen Hallraum von Phrasen ist. Diese neue Märchenform hat keinen Zauberstab, sondern einen Statistikrechner; keine Elfen, sondern Graphen; keine Helden, sondern Meta-Analysen. Die Realität ist so komplex und widersprüchlich, dass nur der Verweis auf „Experten“ sie scheinbar ordnen kann – auch wenn das Ergebnis oft eine kaleidoskopische Verzerrung ist.

Der Verlust der Fantasie und die Sehnsucht nach dem Einfachen

Der größte Schaden dieser Entwicklung liegt jedoch nicht im Verlust der Unmittelbarkeit der Erzählung, sondern im Verlust der Fähigkeit, das Leben selbst als eine Geschichte voller Möglichkeiten zu begreifen. Wenn jede Aussage mit „Laut Experten“ beginnt, endet sie oft in einer Sackgasse der Zweifel und der Angst vor dem Irrtum. Die Fantasie, die einst die Welt erhellte, wird ersetzt durch die Angst vor dem Widerspruch, die Angst, falsch zu liegen, die Angst, keine vermeintlich objektive Autorität zu zitieren.

Doch vielleicht steckt in diesem Verlust auch eine paradoxe Hoffnung: Die Sehnsucht nach dem Einfachen, nach der magischen Welt, in der man sich noch in einem „Es war einmal …“ verlieren darf. Vielleicht ist der wahre Zauber, den wir wiederentdecken müssen, nicht die blinde Hingabe an „Experten“ oder „Studien“, sondern die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, die uns mehr sind als bloße Fakten – Geschichten, die uns erlauben, uns selbst und unsere Welt neu zu sehen.

Epilog: Ein Plädoyer für das Märchen im Zeitalter der Experten

Also, lassen wir die „Experten“ für einen Moment schweigen. Brechen wir das Schweigen mit einem mutigen „Es war einmal …“ und öffnen wir die Türen zu einer Welt, in der Fantasie und Zweifel, Hoffnung und Ironie, Skepsis und Freude koexistieren können. Denn nur in dieser Welt können wir die Wahrheit finden – nicht als einen Satz in einer Studie, sondern als lebendige Geschichte, die wir selbst weiterschreiben dürfen.

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Denn das wahre Märchen ist nicht das, was uns Experten erzählen, sondern das, was wir wagen zu glauben. Und das beginnt immer noch mit den magischen Worten: „Es war einmal …“

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